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Archiv "Dolly und das Embryonenschutzgesetz" (21.03.1997)

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M

ußte denn ausgerechnet ein weibliches Schaf den Be- weis dafür erbringen, daß Männer von Natur aus überflüssig sind? Es verzichtete für die Erzeugung seines Nachwuchses auf den männlichen Artgenossen und ließ sich, darf man einem Bericht ei- nes britischen Forscherteams in der Zeitschrift „Nature“ glauben, aus sei- nem Euter Zellen entnehmen und de- ren Zellkerne in vorher entkernte Ei- zellen anderer Schafe einbringen. Ei- ne dieser so manipulierten Zellen wurde alsdann – so wie es sonst nach einer erfolgreichen extrakorporalen Befruchtung geschieht – auf ein wei- teres Schaf übertragen, welches nach der entsprechenden Tragezeit das in- zwischen weltweit bekannte Lamm

„Dolly“ zur Welt gebracht hat (1). Da steht es nun, ein genetisch getreues Abbild jenes Tieres, dem die Zellen aus seinem Euter entnommen wor- den waren. Und natürlich schaut uns Dolly über das Fernsehen und in den Zeitungen mit großen, unschuldigen Augen an (was, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Ausgabe vom 26. Februar [Seite 35] feststellt, zur Verharmlosung des ganzen Vor- gangs beitragen kann). Denn über die evolutionsbiologischen, ethischen und juristischen Probleme, die mit ih- rer Herkunft verbunden sind, mögen sich andere ihre Gedanken machen, insbesondere auch darüber, ob das, was beim Säugetier gelungen ist, nicht ebenso auch beim Menschen möglich sein müßte; ein ernsthafter Zweifel hieran kann eigentlich nicht bestehen. So fragt man sich denn auch nur, ob der Forscher der Versu- chung widerstehen wird, künftig ein- mal Menschen nach seinem Bilde zu schaffen.

Damit aber ist zugleich die Trag- weite dessen angedeutet, was hier vor wenigen Monaten in Schottland sei- nen Anfang genommen hat. So ist es denn auch kein Zufall, daß sich ver- antwortungsbewußte Persönlichkei- ten in aller Welt heute die Frage nach den Grenzen des in der Fortpflan-

zungsmedizin ethisch noch Vertretba- ren stellen; allen voran der Präsident der Vereinigten Staaten, der alsbald nach Bekanntwerden des schotti- schen Experiments den Bericht einer Bioethik-Kommission angefordert hat. In Deutschland wiederum sind die von der Problematik besonders betroffenen Ressortminister sofort in eine erste Prüfung eingetreten, ob und inwieweit künftig möglich er- scheinenden Mißbräuchen im Hu- manbereich mit den Mitteln des Straf- rechts begegnet werden kann. So wird in einer Pressemitteilung des Bundes- ministers der Justiz vom 26. Februar 1997 bereits darauf hingewiesen, daß in Deutschland das am 1. Januar 1991 in Kraft getretene Embryonenschutz- gesetz (ESchG) die künstliche Erzeu- gung genetisch identischer Menschen strafrechtlich verboten hat. Unabhän- gig davon werde aber noch geprüft, ob das britische Experiment Anlaß für ergänzende strafrechtliche Rege- lungen biete.

Strafrechtliche Beurteilung

Auch die nachfolgende – inner- halb eines kurzen Bearbeitungszeit- raums durchgeführte und deshalb notgedrungen kursorische – Prüfung des gesetzgeberischen Handlungsbe- darfs führt zu dem Ergebnis, daß das Klonen eines Menschen auf dem bei der Erzeugung des Schafes Dolly be- schrittenen Wege von dem Klonie- rungsverbot des Embryonenschutz- gesetzes erfaßt wird (dazu im einzel- nen unter „Klonierungsverbot“). Der entsprechende Mißbrauch der Mög- lichkeiten der heutigen Fortpflan- zungsmedizin könnte damit jetzt schon strafrechtlich geahndet werden.

Daß die entsprechende Strafvor- schrift des Embryonenschutzgesetzes dabei nur auf den Unrechtsgehalt ab- stellt, der in der künstlichen Erzeu- gung genetisch gleicher Menschen liegt, vermag zwar im vorliegenden Fall dogmatisch nicht zu befriedigen.

Denn gerade auch die Verwerflich- keit, die darin liegt, auf unnatürli- chem Wege einen Menschen mit ei- nem einzigen Elternteil entstehen zu lassen und schon dadurch den so ent- standenen Menschen der naheliegen- den Gefahr auszusetzen, in eine Außenseiterrolle zu geraten und un- ter Umständen die Art seiner Her- kunft ein Leben lang psychisch nicht zu verkraften, sollte sich in dem Straftatbestand widerspiegeln. Krimi- nalpolitisch aber kann es zunächst einmal beruhigen, daß überhaupt schon eine Strafvorschrift im Em- bryonenschutzgesetz vorhanden ist, die das Klonen eines Menschen auf dem von den britischen Forschern be- schrittenen Weg erfaßt.

Das vorstehende Ergebnis be- zieht sich indes nur auf Fallgestaltun- gen im Humanbereich, die in ihrer Ausgestaltung unmittelbar dem briti- schen Vorgehen bei dem eingangs ge- schilderten Tierexperiment entspre- chen. Bei der Prüfung der Frage, ob aufgrund der neuen Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin gesetzge- berischer Handlungsbedarf besteht, wird man aber auch schauen müssen, welche Mißbrauchsmöglichkeiten sonst noch im Zusammenhang mit den neuen Techniken gegeben sind, denen mit dem bisherigen Instrumen- tarium des Embryonenschutzgesetzes unter Umständen noch nicht hinrei- chend begegnet werden kann. Hier stellt sich vor allem die Frage, ob das Gesetz in ausreichender Weise gene- tische Manipulationen erfaßt, die gleichzeitig mit einer Klonierung vor- genommen werden. Denn der For- scher, der in seiner Hybris nicht ein- mal davor zurückschreckt, Menschen zu klonen, wird erst recht keine Hem- mungen haben, kleine Schönheitsfeh- ler des von ihm zu klonenden Men- schen durch entsprechende Genmani- pulationen zu vermeiden. Ein Gesetz- geber, der es für erforderlich hält, das Klonen strafrechtlich zu verbieten, wird konsequenterweise deshalb auch die im Zusammenhang mit dem Klo- nen in Betracht kommende Genmani-

Dolly und das

Embryonenschutzgesetz

Detlev von Bülow

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pulation strafrechtlich zu erfassen su- chen (dazu im einzelnen unter „Straf- rechtliche Beurteilung“).

Ein Problemkreis, der mit dem Stichwort „totipotente Zellen“ ange- deutet sein mag, wird sicherlich noch vertiefter Erörterung bedürfen. Vor allem werden die sich hier stellenden Fragen nur in einer interdisziplinären Zusammenarbeit beantwortet wer- den können. Der vorliegende Beitrag muß sich deshalb darauf beschrän- ken, den sich insoweit aus der Sicht des Juristen ergebenden Diskussions- bedarf darzustellen (dazu unter „Pro- blematik der totipotenten Zellen“).

Zum

Klonierungsverbot

Nach § 6 Abs. 1 ESchG macht sich strafbar, „wer künstlich bewirkt, daß ein menschlicher Embryo mit der gleichen Erbinformation wie ein an- derer Embryo, ein Foetus, ein Mensch oder ein Verstorbener ent- steht“.

Der vorstehende Tatbestand dürfte damit auf Fallgestaltungen, die im Humanbereich in ihrer Ausgestal- tung unmittelbar dem Vorgehen der britischen Forscher bei ihrem Tierex- periment entsprechen, zur Anwen- dung gelangen. Denn da die als Träge- rin der menschlichen Erbanlagen in allen Zellen eines Menschen enthalte- ne DNA grundsätzlich (2) den glei- chen, wenn auch nicht völlig identi- schen Aufbau besitzt, muß auch die einem Menschen zum Zwecke der Einbringung in eine fremde – ent- kernte – Eizelle entnommene Kör- perzelle in ihrem Zellkern die glei- chen genetischen Informationen ent- halten wie alle übrigen Zellen einer Person. Kommt es nach der Einbrin- gung des Zellkerns der entnommenen Körperzelle in die zur Verfügung ste- hende – entkernte – Eizelle zu Zelltei- lungen, wie sie sich unter nicht künst- lichen Bedingungen nach der Be- fruchtung der Eizelle vollziehen, so werden auch alle Zellen des sich ent- wickelnden Kindes die gleichen Erb- informationen enthalten wie diejeni- gen, die der Kern der Körperzelle ent- hielt, welche der Person entnommen worden war. Oder mit anderen Wor- ten: Das Kind wird dann auch nur

Zellen besitzen, welche die gleichen Erbinformationen besitzen wie die Zellen der Person, von der die für die Klonierung verwendete Körperzelle stammte. Damit aber dürfte der For- scher im Sinne des § 6 Abs. 1 ESchG bewirkt haben, daß ein Embryo mit der gleichen Erbinformation wie der eines bereits vorhandenen Menschen entstanden ist.

In den Stellungnahmen zu dem britischen Experiment ist nach einer dpa-Meldung vom 3. März 1997 gegen eine daraus resultierende Strafbarkeit des Forschers seitens des Direktors des Instituts für Humangenetik und medizinische Biologie in Halle, Ingo Hansmann, eingewandt worden, daß der für das Klonen verwendete Zell- kern der menschlichen Körperzelle nur 99 Prozent der Erbinformationen des Nachkommens enthalte; ein Pro- zent dagegen stamme „von den Mito- chondrien, Organellen innerhalb der Zellen, aber außerhalb des Zell- kerns“. Somit sei ein geklontes Lebe- wesen niemals absolut identisch mit dem Spender des Zellkerns, so daß § 6 Abs. 1 ESchG hier nicht eingreifen könne.

Dazu ist zu sagen, daß das gelten- de Recht diesem Einwand bereits Rechnung trägt, indem § 6 Abs. 1 ESchG ausdrücklich nicht das Entste- hen eines Embryos mit „derselben“

Erbinformation wie der der Spende- rin des Zellkerns verlangt, sondern es genügen läßt, daß ein Embryo mit

„gleicher“ Erbinformation entsteht.

Die Auslegung des Merkmals der

„gleichen Erbinformation“ in einer Vorschrift, die sich entsprechend ih- rer Überschrift auf das „Klonen“ be- zieht, wird im übrigen nicht zuletzt auch davon abhängig sein, welchen Inhalt – auch im internationalen Be- reich – dem Begriff des Klonens bei- gemessen wird.

Bei der Prüfung der Frage, ob im Einzelfall ein Embryo mit „gleicher“

Erbinformation entstanden ist wie der der Spenderin der Körperzelle, wird man nach dem Zweck der Vor- schrift allerdings einen strengen Maß- stab anzulegen haben. Da der Gesetz- geber seinerzeit vor allem ein Bedürf- nis sah, die künstliche Erzeugung von Mehrlingen nach einer Entnahme noch „totipotenter“ Zellen eines menschlichen Embryos zu verhin-

dern, wird man den Tatbestand des

§ 6 Abs. 1 ESchG grundsätzlich wohl auch nur dann als erfüllt ansehen kön- nen, wenn der geklonte Embryo in seinen Erbanlagen der Spenderin der Körperzelle in ihren Erbanlagen weit- gehend so gleicht, wie dies auch bei der künstlichen Entstehung von Mehrlingen nach der Entnahme toti- potenter Zellen eines Embryos der Fall ist.

In der öffentlichen Diskussion sind aber noch aus einem weiteren Grunde Zweifel geäußert worden, ob das britische Experiment im Fall sei- ner entsprechenden Durchführung am Menschen nach § 6 Abs. 1 ESchG strafbar sei. So ist in der öffentlichen Diskussion zum Teil aus dem Um- stand, daß § 6 Abs. 1 ESchG auf den durch das Klonen entstandenen Em- bryo abstelle, der Schluß gezogen worden, der Schutz des Gesetzes er- strecke sich nur auf Embryonen bis zum 14. Tage ihrer Entwicklung, wo- bei für diesen Zeitraum auf die enge Definition des Embryos in § 8 Abs. 1 ESchG hingewiesen wird (die Äuße- rungen in den Medien sind zu diesem Punkt zum Teil sehr unklar).

Dazu wiederum ist zu sagen:

Soweit sich die in § 8 Abs. 1 ESchG enthaltene Begriffsbestim- mung zum menschlichen Embryo äußert, erfaßt sie allerdings nicht den Embryo, der sich aus einem in eine entkernte Eizelle transferierten Zell- kern einer menschlichen Körperzelle entwickelt. In § 8 Abs. 1 ESchG heißt es vielmehr: „Als Embryo im Sin- ne dieses Gesetzes gilt bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner je- de einem Embryo entnommene toti- potente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu ei- nem Individuum zu entwickeln ver- mag.“ Im hier zu behandelnden Fall entwickelt sich die Frucht nun aller- dings weder aus einer befruchteten Ei- zelle noch aus einer einem Embryo entnommenen totipotenten Zelle, so daß die Annahme, daß die sich aus der transferierten Körperzelle ent- wickelnde Frucht zu Beginn dieser Entwicklung einen Embryo im Sinne des § 6 Abs. 1 ESchG darstellt, in der Tat nicht unmittelbar auf die Begriffs-

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bestimmung des § 8 Abs. 1 ESchG ge- stützt werden kann. Andererseits wird man aber auch nicht aus der Begriffs- bestimmung des § 8 Abs. 1 ESchG den umgekehrten Schluß ziehen können, daß als Embryonen im Sinne des Em- bryonenschutzgesetzes nur die in § 8 Abs. 1 ESchG als solche bezeichneten Embryonen gemeint sind. Daß dies vom Gesetzgeber nicht gewollt war, zeigt schon die Fassung des § 8 Abs. 1 ESchG, bei der es vor allem mit Rück- sicht auf den im internationalen Be- reich anzutreffenden unterschiedli- chen Sprachgebrauch (zum Beispiel der Bezeichnung der Frucht vor dem Zeitpunkt der Nidation als „Präem- bryo“) nur darum ging, ausdrück- lich klarzustellen, daß „bereits“

die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an als Em- bryo im Sinne des Gesetzes zu gelten habe. Durch das Wort „bereits“ wird schon hinreichend deutlich,

daß insoweit keine ab- schließende Definition des Embryos beabsichtigt war.

Allenfalls könnte es viel- leicht zweifelhaft sein, ob der Gesetzgeber für die Frühphase der embryonalen Entwicklung, für die er ein Bedürfnis nach einer klar- stellenden Regelung gese- hen hatte, eine abschließen- de Regelung in § 8 Abs. 1 ESchG getroffen hat. Indes wird man auch dies vernei- nen können, da es dem Ge- setzgeber nach der Ratio des Embryonenschutzgeset-

zes, den menschlichen Embryo umfas- send ab Anbeginn seiner Entwicklung zu schützen, mit Sicherheit nicht dar- um gegangen ist, sich entwickelndes menschliches Leben aus dem straf- rechtlichen Schutz herauszunehmen, mag dieses Leben wie auch immer ent- standen sein.

Wenn sich demnach § 8 Abs. 1 ESchG auch für die Frühphase der embryonalen Entwicklung nicht als abschließende Regelung erweist, so dürfte es sich doch empfehlen, bei ei- ner Novellierung des Embryonen- schutzgesetzes die genannte Vor- schrift an die neuen Entwicklungen im Bereich der Fortpflanzungsmedi- zin anzupassen. Vor allem erscheint es

wünschenswert, ausdrücklich klarzu- stellen, von wann ab bei der hier in Betracht kommenden Fallgestaltung von einem Embryo im Sinne des § 6 Abs. 1 ESchG gesprochen werden kann, zumal der bei der extrakorpora- len Befruchtung maßgebliche Zeit- punkt einer Kernverschmelzung in- nerhalb der befruchteten Eizelle hier nicht zur Verfügung steht. Die not- wendige Klarstellung müßte sich da- bei dann auch auf § 8 Abs. 2 ESchG erstrecken.

Ein Bedürfnis für eine entspre- chende Klarstellung ist nach den Er- fahrungen mit den in den USA bereits durchgeführten Versuchen, menschli- che Embryonen im Frühstadium ihrer Entwicklung durch Abspaltung toti- potenter embryonaler Zellen zu klo- nen, die so erzeugten Embryonen dann aber nicht austragen zu lassen, durchaus gegeben. Denn ebenso könnten Forscher auf den Gedanken

kommen, die Möglichkeiten, die sich beim Klonen eines Schafes in Schott- land gezeigt haben, auch im Human- bereich zu erproben, ohne dabei auch schon die Hemmschwelle zu über- schreiten, die zusätzlich gegenüber ei- ner Austragung der durch die Mani- pulation entstandenen Frucht gege- ben sein dürfte.

Als Ergebnis der vorliegenden Prüfung läßt sich also, wie schon in der Vorbemerkung erwähnt, festhal- ten, daß das Klonen eines Menschen auf dem vom britischen Forscherteam bei der Erzeugung des Schafes Dolly beschrittenen Wege von dem Klonie- rungsverbot des Embryonenschutz- gesetzes erfaßt sein dürfte.

Klonierung und Gentransfer

In der Vorbemerkung ist bereits die Vermutung geäußert worden, ein Forscher, der sich in seiner Hybris da- zu hingebe, Menschen zu klonen, wer- de erst recht keine Hemmungen ha- ben, vermeintliche „Schönheitsfeh- ler“ des von ihm zu klonenden Men- schen durch entsprechende Genmani- pulationen zu vermeiden. Je ein- schneidender die durch einen ent- sprechenden Gentransfer bewirkten Veränderungen der Erbinformation der für das Klonen vorgesehenen Körperzelle sind (man denke etwa an den Gentransfer in solche Abschnitte der DNA, die für das äußere Erschei- nungsbild bedeutsam sind), desto problematischer dürfte es sein, auch dann noch im Sinne des § 6 Abs. 1 ESchG davon zu sprechen, daß der Forscher hier das Entstehen eines menschlichen Embryos mit „glei- cher“ Erbinformation wie der des Menschen, von dem die zu Klonie- rungszwecken entnommene Körper- zelle stammt, bewirkt habe. Eine Be- strafung wegen Verstoßes gegen das in § 6 Abs. 1 ESchG enthaltene Klo- nierungsverbot wäre dann ausge- rechnet in diesem besonders kras- sen Fall zu verneinen. Und nicht nur dies. Auch das Verbot des § 5 Abs. 1 ESchG, das Manipulationen am menschlichen Erbgut verhindern will, könnte künftig möglicherweise mit Hilfe der neuen Fortpflanzungsme- thoden unterlaufen werden. Denn da

§ 5 Abs. 1 ESchG die Strafbarkeit von der künstlichen Veränderung menschlicher Keimbahnzellen abhän- gig macht, dürfte die Vorschrift so- wohl ihrem Wortlaut nach als auch nach der in § 8 ESchG enthaltenen Begriffsbestimmung der Keimbahn- zellen („Keimbahnzellen im Sinne dieses Gesetzes sind alle Zellen, die in einer Zell-Linie von der befruchteten Eizelle bis zu den Ei- und Samenzel- len des aus ihr hervorgegangenen Menschen führen, ferner . . .“) selbst dann nicht auf den Gentransfer in menschliche Körperzellen anwend- bar sein, wenn die entsprechend ma- nipulierten Zellen später durch Ein- bringung in entkernte menschliche Eizellen zur Entstehung neuen menschlichen Lebens genutzt werden

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sollen. Allein die Ratio der Vor- schrift, Manipulationen am menschli- chen Erbgut zu verhindern, vermag eine extensive Auslegung des in § 5 Abs. 1 ESchG enthaltenen Merkmals

„Keimbahnzellen“ dahingehend, daß auch normale Körperzellen vor ihrer Einbringung in eine entkernte Eizelle bereits „Keimbahnzellen“ seien, nicht zu erlauben. Das aus Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes abgeleitete Ana- logieverbot stünde einer solchen In- terpretation entgegen. Sie würde im Sinne der Rechtsprechung des Bun- desverfassungsgerichts über den „er- kennbaren Wortsinn der Vorschrift“

hinausgehen (3).

Allenfalls wird man die Entker- nung einer menschlichen Eizelle und die nachträgliche Einfügung des Zell- kerns einer menschlichen Körperzelle noch unter das Merkmal des Verän- derns einer Keimbahnzelle subsu- mieren können. Dies erscheint aber schon deshalb nicht zweifelsfrei, weil die Eizelle schon vom Zeitpunkt ihrer Entkernung an ihren Charakter als Keimbahnzelle verloren haben dürfte.

Sofern aus embryologischer Sicht davon ausgegangen werden kann, daß das Klonen eines Men- schen entsprechend dem in Schott- land aufgezeigten Weg die Einbrin- gung des hierfür verwendeten Zell- kerns in eine menschliche Eizelle voraussetzt, eine künstliche Alterna- tive insoweit zumindest auf lange Sicht nicht möglich erscheint, so könnte ein Unterlaufen des in § 6 Abs. 1 ESchG enthaltenen Verbots durch einen gleichzeitigen Gentrans- fer wohl schon dadurch erreicht wer- den, daß man generell die Einbrin- gung eines Zellkerns einer menschli- chen Zelle in eine entkernte Eizelle untersagt. Es müßte aber zuvor si- chergestellt sein, daß keine vertretba- ren Gründe gegen eine solche umfas- sende und zugleich den Vorteil großer Einfachheit besitzende Rege- lung bestehen.

Sollte sich dieser Weg als nicht gangbar erweisen, müßte wohl das Embryonenschutzgesetz um einen speziellen Tatbestand ergänzt wer- den, der generell verbietet, das Ent- stehen eines menschlichen Embryos zu bewirken, ohne daß es hierbei zu einer Befruchtung einer menschli- chen Eizelle durch eine menschliche

Samenzelle kommt. Diese Fassung hätte wiederum den Vorteil, daß sie noch deutlicher als die erste Alterna- tive den Unrechtsgehalt berücksichti- gen würde, der darin liegt, auf un- natürlichem Wege einen Menschen zu schaffen, der – genetisch gesehen – nur einen Elternteil besitzt und der – wie schon in der Vorbemerkung ange- deutet – die Art seiner Herkunft unter Umständen ein Leben lang psychisch nicht zu verkraften vermag. Auch würde eine entsprechende Norm, die sich gegenüber dem Verbot des § 6 ESchG als spezielle Norm (mit ent- sprechend hoher Strafdrohung) er- weisen würde, die Gerichte von der Schwierigkeit befreien, die in Fällen zusätzlicher Genmanipulationen bei der Anwendung des § 6 Abs. 1 ESchG (Problem der „gleichen“ Erbinforma- tion) entstehen könnte.

Wenn auch beide Alternativen si- cherstellen würden, daß in Fällen, in denen im Zusammenhang mit einer Klonierung eine Genmanipulation an der entnommenen Körperzelle durch- geführt wird, nunmehr eine angemes- sene Bestrafung über den neuen Tat- bestand erfolgen kann, so dürfte es sich nicht nur aus dogmatischen Gründen wohl doch empfehlen, auch die §§ 5 ESchG (künstliche Verände- rung menschlicher Keimbahnzellen) und 8 Abs. 3 (Begriffsbestimmung der Keimbahnzellen) umfassend an die neuen Entwicklungen der Fortpflan- zungsmedizin anzupassen, auch wenn dies schwieriger als die Ergänzung des

§ 6 ESchG sein wird. Jedenfalls müß- te sichergestellt sein, daß die in die- sem Beitrag behandelten Manipula- tionen auch über § 5 ESchG bestraft werden können.

Problematik der totipotenten Zellen

Noch während der Vorarbeiten zum Embryonenschutzgesetz war man davon ausgegangen, daß menschliche Zellen nur während der ersten Zellteilungsstadien in dem Sinne totipotent seien, daß sich aus ih- nen unter bestimmten Voraussetzun- gen (Entnahme und Einbringung in eine entkernte menschliche Eizelle) selbständiges menschliches Leben zu entwickeln vermöge. Ob diese Auf-

fassung nach dem Klonierungsexperi- ment in Großbritannien noch auf- rechterhalten werden kann, erscheint zweifelhaft.

Obwohl die menschlichen Zellen des einzelnen Individuums in ihrer DNA – zumindest grundsätzlich – die gleichen Erbinformationen aufwei- sen, nehmen sie im Verlaufe der sich während der embryonalen und föta- len Entwicklung vollziehenden Diffe- renzierung sowie danach jeweils un- terschiedliche Aufgaben wahr. Es ist dafür Sorge getragen, daß jeweils nur diejenigen Gene – also diejenigen Teilstücke der DNA – aktiviert wer- den, die nach der Differenzierung je- weils „vor Ort“ benötigt werden. Wel- che komplizierten Vorgänge im Kör- per allerdings dafür verantwortlich sind, daß jeweils zur rechten Zeit – man denke nur an Reifungsprozesse – und am rechten Ort – die Haare soll- ten tunlichst nicht auf den Zähnen wachsen – die im Einzelfall benötig- ten Gene aktiviert werden, ist Gegen- stand intensiver Forschung.

Ausgerechnet für einen außeror- dentlich problematischen Teilbereich dürfte dies indes nicht mehr in glei- cher Weise gelten. Das aus der Sicht der britischen Forscher erfolgreich durchgeführte Klonierungsexperi- ment läßt nämlich erwarten, daß es der Forschung in absehbarer Zeit auch gelingen wird, die der Klonie- rung zugrundeliegenden Gesetz- mäßigkeiten voll zu erfassen und da- mit auch die fragwürdige Möglichkeit zu schaffen, gezielt die im Kern einer Körperzelle enthaltene DNA nach Einbringung dieses Kerns in eine wie- derum entkernte Eizelle so zu aktivie- ren, daß sie – im Sinne der früheren Vorstellungen – diejenigen Aufgaben zu erfüllen vermag, die bei der norma- len embryonalen Entwicklung von den im Frühstadium noch „totipoten- ten“ Zellen des Embryos wahrge- nommen werden.

Spätestens seit den britischen Ex- perimenten wird man wohl davon ausgehen müssen, daß eine derartige Aktivierung der in der explantierten Körperzelle enthaltenen Gene der- zeit nur im Wege einer Interaktion zwischen dem Kern der explantierten Körperzelle und der entkernten Ei- zelle, in welche man den Kern der Ei- zelle eingebracht hat, möglich ist.

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Außerdem scheint es offenbar ent- scheidend auch darauf anzukommen, daß sich die entkernte Eizelle wie auch die zu verwendende somatische Spenderzelle in einer für die entspre- chende Aktivierung der Gene opti- malen Entwicklungsphase befindet.

Wenn dies richtig ist, könnte die dem § 8 Abs. 1 ESchG zugrundelie- gende Vorstellung, nach der Zellen ei- nes Embryos im Stadium der ersten Zellteilungen eine gegenüber den Körperzellen besondere Eigenschaft der Totipotenz besitzen, fraglich wer- den. Da die Zellen des Embryos oh- nehin die gleiche genetische Informa- tion besitzen wie die in einer späte- ren Entwicklungsphase entstandenen Körperzellen, könnte in der Tat eini- ges dafür sprechen, daß potentiell alle Zellen des Menschen von ihrer ge- samten Erbinformation her die Auf- gaben ausführen könnten, die bislang nur den frühen embryonalen Zellen zuerkannt worden waren. Entschei- dend käme es nur darauf an, daß die Interaktion mit der entkernten Eizel- le in optimaler Weise, das heißt in ei- ner optimalen Entwicklungsphase der Ei- und der Spenderzelle erfolgen kann.

Ist dies tatsächlich der Fall, so dürften sich die einem menschli- chen Embryo im Frühstadium seiner Entwicklung entnommenen und von der Begriffsbestimmung des § 8 Abs. 1 ESchG erfaßten Zellen letztlich ihrem Wesen nach allein noch durch die aus neuen väterlichen und mütterlichen Anteilen zusammengesetzte Erbin-

formation, nicht mehr aber durch die sogenannte „Totipotenz“ von dem in eine entkernte Eizelle eingebrachten Kern einer Körperzelle unterschei- den. Ob sich damit auch die Einstel- lung zu den einem Embryo in einem frühen Zellteilungsstadium entnom- menen Zellen – das Gesetz definierte diese in § 8 Abs. 1 ESchG grundsätz- lich schon vor dem Transfer in eine entkernte Eizelle als menschliche Embryonen – ändern wird, bleibt ab- zuwarten.

Sollte sich der Gesetzgeber aller- dings dafür entscheiden, nicht mehr schon die dem Embryo entnommene Zelle vor ihrem Transfer als neuen Embryo zu bezeichnen, sondern die Embryoneneigenschaft davon abhän- gig zu machen, daß die Zellkerne der einem Embryo entnommenen Zellen bereits in entkernte Eizellen einge- fügt und deren Erbinformationen in einer Weise aktiviert worden sind, wie dies für die Entwicklung eines Em- bryos erforderlich ist, würde dies von einer erheblichen Tragweite sein. Ins- besondere würde sich dies auf die Einstellung zur Präimplantationsdia- gnostik, wie sie in den USA seit lan- gem an frühen embryonalen Zellen durchgeführt wird, auswirken; sie würde dann auch in Deutschland nicht mehr unter das Klonierungsver- bot fallen.

Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung kann es nicht darum gehen, voreilig zu den mit dem Stich- wort „totipotente Zellen“ aufgewor- fenen vielschichtigen Problemen wer-

tend Stellung zu nehmen oder gar be- stimmte Lösungsvorschläge zu unter- breiten. Hinzu kommt, daß der Jurist ohnehin hier der fachlichen Unter- stützung durch die Embryologie be- darf. Es muß deshalb an dieser Stelle genügen, Fragen aufgeworfen zu ha- ben.

Schlußbemerkung

Die Entwicklungen im Bereich der Fortpflanzungsmedizin haben deutlich gemacht, daß wir in immer stärkerem Maße geneigt sind, das Le- ben – sei es des Menschen, sei es des Tieres – als Ergebnis technisch lösba- rer Aufgaben zu sehen. Wir meinen, zunehmend nicht nur zu wissen, was Leben beendet, sondern auch, was Leben „technisch“ bedingt. Und da- mit laufen wir zwangsläufig auch Ge- fahr, die Ehrfurcht vor dem Leben und insbesondere auch die Achtung vor der Würde des Menschen zu ver- lieren. Dabei gibt es für uns auf dem Weg des Forschens sicher keinen Weg zurück. Vielleicht führt er uns eines Tages aber bis zu jener Grenze, an der wir erkennen, daß wir über die wirk- lich entscheidenden Dinge nur allzu wenig wissen: daß wir zwar viele De- tailkenntnisse über das Entstehen des Lebens haben, aber auf die entschei- dende Frage, was Leben ist, keine Antwort zu geben vermögen. Viel- leicht mag das denn der Augenblick sein, in dem wir uns wieder unserer Grenzen bewußt werden und wieder die Ehrfurcht vor dem Leben gewin- nen, die uns heute zuweilen verloren- gegangen scheint.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-718–725 [Heft 12]

Literatur

1. Wilmut I, Schnieke AE, McWhir J, Kind AJ, Campell KHS: Viable offspring derived from fetal and adult mammalian cells. Na- ture 1997; 385: 810-813.

2. Winnacker, Frankfurter Allgemeine Zei- tung, 28. Februar 1997; Seite 39.

3. Vgl. dazu BVerfGE 47, 109, 121; 71, 108, 115.

Anschrift des Verfassers Detlev von Bülow Ministerialdirigent a. D.

Hangweg 73 53757 St. Augustin Unter Klonierung versteht man die Vervielfachung einer definierten Zelle

beziehungsweise eines Organismus. Hierzu bestehen bei Säugetieren momen- tan zwei Möglichkeiten: die schon länger bekannte Variante nutzt die Fähigkeit von einzelnen totipotenten Zellen aus, einen vollständigen Organismus zu ent- wickeln. Die Fähigkeit zur Totipotenz verlieren die embryonalen Zellen aller- dings nach den ersten Zellteilungen. Mit dieser Technik können aus einer be- fruchteten Eizelle mehrere Nachkommen erzeugt werden, die eineiigen Ge- schwistern entsprechen und die somit das neu kombinierte Erbgut der Eltern besitzen. Die neue Alternative, die bei der Klonierung von Dolly angewandt wurde, beschreitet hingegen einen anderen Weg. Hier wurden Zellkerne diffe- renzierter Körperzellen in entkernte unbefruchtete Eizellen transferiert. Die Konsequenz ist, daß der so entstandene Organismus mit der Spenderzelle, ab- gesehen von der aus der Eizelle stammenden mitochondrialen DNA, identisch ist. Kommerziell ist diese Technik besonders für die Vervielfältigung von trans- genen Tieren („Bioreaktoren“) interessant, die ein bestimmtes menschliches Protein, beispielsweise einen Blutgerinnungsfaktor, produzieren. me

Das Neue an der Klonierung von Dolly

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