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ls die Krankenschwester Bettina Odenwälder* feststellt, dass sie schwanger ist, weiß sie zugleich:Ich will so lange wie möglich in meinem Team weiterarbeiten. Um auf der Inten- sivstation bleiben zu können, tut sie, was Kolleginnen vorher ebenfalls getan ha- ben: „Ich habe die Schwangerschaft erst einmal verschwiegen.“ In eine andere Abteilung will sie so lange wie möglich nicht. Zu wenig Personal, viele Pflege- fälle – und dann eine neue schwangere Kollegin, die nicht schwer heben soll und eine Stunde Pause am
Stück beanspruchen kann?
Bloß nicht.
So wie Bettina Oden- wälder handeln Ärztinnen, Krankenschwestern und Hebammen häufiger. Denn die Vorschriften des Mutter- schutzgesetzes greifen erst, wenn eine Schwangere ihren Arbeitgeber über ihren Zustand informiert hat. Dann gelten zu ihrem Schutz und zu dem des
ungeborenen Kindes strenge Regeln.
Für werdende Mütter sind regelmäßige Lasten von mehr als fünf Kilogramm oder gelegentliche Lasten von mehr als zehn Kilogramm theoretisch tabu.
Nachtarbeit zwischen 20 und 6 Uhr ist Schwangeren verboten. Bei der an sich untersagten Sonn- und Feiertagsarbeit macht der Gesetzgeber eine Ausnahme für bestimmte Berufsgruppen. Schwan- gere Krankenschwestern, Ärztinnen und Hebammen dürfen an Sonn- und Feier- tagen arbeiten, sofern „jede Woche einmal eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 24 Stunden im Anschluss an eine Nachtruhe gewährt wird“. Dar-
über hinaus ist Schwangeren jede Tätig- keit untersagt, die zu Schädigungen durch gesundheitsgefährende Stoffe, Strahlen oder Gase führen kann.
All diese Vorgaben dienen dem Schutz und der Fürsorge. Sie führen je- doch in Krankenhäusern nach Meinung der Kritikerinnen zunächst zu völliger Schutzlosigkeit, weil Schwangerschaften häufig verschwiegen werden, und dann nach der Bekanntgabe zu einem fakti- schen Berufsverbot, gerade für Ärztin- nen. „Mutterschutz ja, Tätigkeitsverbot
nein“, fordert Dr. med. Astrid Bühren, Präsidentin des Deutschen Ärztinnen- bundes (DÄB). Der DÄB setzt sich für eine praxisnahe Novellierung der Mut- terschutzgesetzgebung ein. Bei einem Treffen mit der Bundesgesundheitsmini- sterin bekamen die Ärztinnen Rücken- deckung: Ulla Schmidt versprach, sich für eine Bund-Länder-Kommission ein- zusetzen, die Vorschläge entwickeln soll.
Der Ärztinnenbund hatte sich bereits vor dem Deutschen Ärztetag für einen entsprechenden Antrag eingesetzt, den die Delegierten dann auch verabschiede- ten. Darin heißt es: „Die Bestimmungen und die strengen Auslegungen der Lan- desämter für Arbeitsschutz grenzen die Arbeitsmöglichkeiten schwangerer an-
gestellter Ärztinnen . . . durch Beschäfti- gungsverbote in nahezu allen Bereichen von Klinik und Praxis dramatisch ein.“
„Wir wollen am Mutterschutz selbst nichts ändern“, stellt Bühren klar. Zahl- reiche praxisbezogene Details müssten ihrer Auffassung nach aber regelmäßig angepasst werden.Als Paradebeispiel für überaltete Schutzvorschriften gilt die Anästhesie. Hier hätten sich die Gesund- heitsgefahren für schwangere Ärztinnen durch den Einsatz von effizienten Ab- saugsystemen und durch vermehrte intravenöse Anästhesien deutlich verrin- gert, sagt Bühren. Die Mutterschutz- bestimmungen für Anästhesistinnen seien ein Problem, bestätigt Evelyn Weis, Justiziarin beim Berufsverband deut- scher Anästhesisten.
Zurückhaltender äußert sich hingegen der Bund Deutscher Hebammen. Presse- referentin Dr. Edith Wolber bezeichnet die derzeitigen Richtlinien als stimmig:
„Ohne Not sollte man solch eine Gesetz- gebung nicht aufbrechen.“ Gleichwohl bestätigt sie, dass auch manche Hebam- men ihre Schwangerschaft verschweigen. Häufig woll- ten sie nicht auf die Wöchne- rinnenstation oder ins Säug- lingszimmer, sagt Wolber.
Dass schwangere Kolle- ginnen keine Geburten mehr übernehmen dürfen, hält Wolber für sinnvoll. Ge- bärende könnten um sich treten oder sehr handfest körperliche Hilfe beanspru- chen. Wenn eine Geburt aber läuft, gibt es auch für die Hebamme kein Zurück mehr, und nicht immer kann eine andere einsprin- gen. Der Hebammenbund würde es je- doch ebenso wie der DÄB begrüßen, wenn die unterschiedlichen Bestimmun- gen in den einzelnen Bundesländern vereinheitlicht würden.
Der Marburger Bund unterstütze den Vorstoß des Ärztinnenbundes, versichert Geschäftsführerin Dr. med. Magdalene Benemann. Dass die geltenden Bestim- mungen teilweise so restriktiv gehand- habt werden, hat ihrer Meinung nach verschiedene Ursachen. Manchmal fehle es den zuständigen Behörden an Detail- kenntnissen. In anderen Fällen könnten sie nicht von gesetzlichen Bestimmungen
abweichen. Sabine Rieser
P O L I T I K
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A2290 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 34–3523. August 2004
Novellierung des Mutterschutzes
Gewünscht: Praxisnahe Veränderungen mit Maß
Der Deutsche Ärztinnenbund setzt sich dafür ein, dass schwangere Ärztinnen mehr tun dürfen als bisher.
*Name von der Redaktion geändert
Die DÄB-Vorsitzende Dr. med. Astrid Bühren (links) bekam bei ihrem Ein- satz für eine praxisnahe Novellierung der Mutterschutzgesetzgebung Rückendeckung von Ulla Schmidt.
Foto:Bernhard Eifrig Foto:phalanx