[124] Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 30|
30. Juli 2010S C H L U S S P U N K T
KÖRPERBILDER: ALBRECHT DÜRER (1471–1528)
Das ideale erste Menschenpaar
D
ie Künstler der Renaissance wollten den mensch- lichen Körper so lebensnah wie möglich abbilden.Ihnen fehlten allerdings grundlegende anatomische Kenntnisse, da das Sezieren von Leichen bis ins hohe Mittelalter aus religiösen Gründen verboten war. Um das Zusammenspiel von Muskeln, Sehnen, Knochengerüst und Organen zu ergründen, schnitten Albrecht Dürers Zeitgenossen Leonardo da Vinci und Michelangelo so- gar heimlich Körper unlängst Verstorbener auf.
Auch ihr aufstrebender deutscher Kollege, der 1495 mit dem Gedankengut der Renaissance im Gepäck von seiner ersten Italienreise zurückkehrte, sah das Wissen über den Körper als Voraussetzung für seine künstleri- sche Arbeit an. Aber er erforschte diesen vor allem mit Hilfe von Geometrie und Mathematik. 1504 vollendete Dürer den berühmten Kupferstich „Adam und Eva“, Quintessenz seiner jahrelangen Auseinandersetzung mit der Proportionslehre. Seine Erkenntnisse hatte er um 1500 in dem Werk „Vier Bücher von menschlicher Pro- portion“ (1) niedergeschrieben. Mit höchster technischer Präzision ritzte der Künstler feinste Linien in die Kupferplatte und modellierte seine Vorstellung vom per- fekt proportionierten männlichen und weiblichen Körper.
Indem er das Modell der antiken Götterskulpturen Apoll
und Venus auf Adam und Eva übertrug, stellte er den idealen Zustand des Menschen kurz vor dem Sündenfall dar. Während Eva, von der Schlange verführt, selbstbe- wusst die verbotene Frucht entgegennimmt, scheint Adam noch zu zögern. Zahlreiche mittelalterliche Sinn- bilder wie die Hinterlist verkörpernde Schlange, die zur Vorsicht mahnende Bergziege oder der Papagei als Aus- druck der Begehrlichkeit laden dazu ein, sich näher mit dem vielschichtigen Bild zu beschäftigen. Bis 1. Novem- ber 2010 ist es in der Staatsgalerie Stuttgart ausgestellt.
Dürers ideales erstes Menschenpaar, das als Druckgra- fik in Europa schnelle Verbreitung fand, wurde zum Maß- stab aller nachfolgenden Künstlergenerationen. Das The- ma setzte er drei Jahre später, nach seinem zweiten Ita- lienaufenthalt, noch einmal um – diesmal als monumen- tales zweiteiliges Ölgemälde „Adam und Eva“, das heute im Madrider Prado zu bewundern ist. Sabine Schuchart
Albrecht Dürer, Adam und Eva, 1504, Kupferstich (25,1 × 19,4 cm): Die Suche nach den idealen Maßen und Proportionen des menschlichen Körpers beschäftigte Dürer viele Jahre. Als Träger der absoluten oder göttlichen Schönheit wählte er Adam und Eva, die – in paradiesischer Unschuld vor dem Sündenfall – ihre Nacktheit selbstverständlich zur Schau stellen.
Damit schuf der Künstler eine der ersten Aktdarstellungen nördlich der Alpen.
Foto: Staatsgalerie Stuttgart
Ausstellung:
„. . . Nur Papier, und doch die ganze Welt . . .“, 200 Jahre Graphische Sammlung, Staatsgalerie Stuttgart, Mi./Fr./Sa./So.
10–18, Di./Do. 10–20 Uhr; bis 1. 11. 2010, www.staatsgalerie.de
LITERATUR
1. Eine editierte, kommentierte Neufassung des 1528 nach Dürers Tod publizierten Werks erscheint Ende 2010 im Akademie-Verlag, Berlin, 416 S., 304 schwarz-weiße Abb., 79,80 Euro;
2. Christian Schoen, Albrecht Dürer: Adam und Eva, Reimer Verlag Berlin 2001, 361 S., 58 Euro