Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 4110. Oktober 2008 A2147
P O L I T I K
P
ausenlos klingelt das Tele- fon, seitdem die Meldung über die Nachrichtenticker läuft:„Kölner Ärztin erhält Alternativen Nobelpreis.“ Die Mitarbeiterinnen der Hilfsorganisation „Medica mon- diale“ haben alle Hände voll zu tun, um die Presseanfragen zu beantwor- ten. 50 Interviews für Zeitungen, Funk und Fernsehen wird Dr. med.
Monika Hauser (49) allein an die- sem Tag geben. Doch von Müdig- keit keine Spur: „Ich nutze das ge- zielt und gerne, wenn die Medien mal hinhören“, sagt sie. Tatsächlich schafft es das Anliegen von Medica mondiale sonst nie unter die Top Ten der Nachrichten. Die Vergewal- tigung von Frauen in Kriegs- und Krisengebieten ist ein allgegenwär- tiges Problem, aber weit weg von deutschen Wohnzimmern und au- ßerdem noch immer ein Tabuthema.
Trotzdem kämpft Hauser auch 15 Jah- re nach Gründung von Medica mon- diale mit vollem Einsatz für die Op- fer und prangert die Täter an.
Alles beginnt an einem kalten No- vembertag 1992. Hauser liest einen Artikel über den Balkankrieg, ge- nauer gesagt einen Beitrag im „Stern“
über Massenvergewaltigungen bos- nischer Frauen. Vermutlich lesen Tausende Menschen in Deutschland diesen Bericht. Sie sind betroffen, blättern dann jedoch irgendwann weiter durchs Heft und werfen die Zeitschrift schließlich ins Altpapier.
Für die junge Ärztin aber ändert der Artikel alles. Sie ist schockiert – ei- nerseits über die reißerische Auf- machung des Texts, andererseits über die Tatsache, dass die Verge- waltigungen nicht zufällig gesche-
hen, sondern systematisch. Ihr wird klar: Die sexuelle Gewalt ist kein
„Kollateralschaden“ des Krieges.
Es handelt sich um eine gezielte Strategie.
Die damals 33-jährige Fachärztin für Gynäkologie weiß um die Fol- gen von Vergewaltigungen für Kör- per und Psyche. Für sie steht sofort fest, dass sie helfen muss – und zwar vor Ort. „Ein Frauenprojekt in Bos- nien? Haben Sie noch alle Tassen im Schrank?“, fragt sie damals ein deutscher Diplomat. Doch Hauser packt dennoch ihre Koffer – sicher- lich in einer gewissen Naivität. Alles scheint zu passen, denn kurz zuvor hat sie ihre Stelle als Klinikärztin in Essen gekündigt, um ins Ausland zu gehen. Sie ist ein internationaler
Hartnäckige Helferin
DAS PORTRÄT
Dr. med. Monika Hauser, Gynäkologin und Gründerin der Organisation „Medica mondiale“
Im Einsatz für Frauen, die keine Lobby haben:Mo- nika Hauser erhält den „Right Live- lihood Award“ – besser bekannt als Alternativer Nobel- preis – und rund 50 000 Euro für ihre Hilfsprojekte.
Mensch: Als Kind Südtiroler Eltern wächst sie in der Schweiz auf, stu- diert in Österreich. Sie hat einen ita- lienischen Pass, lebt aber seit 1983 in Deutschland.
Hauser kommt überall zurecht, so scheint es. In der bosnischen Stadt Zenica schafft sie das, was niemand für möglich hält: Sie eröff- net ein Therapiezentrum für verge- waltigte Frauen und Mädchen. Ein Jahr später gründet sie mit Medica mondiale eine Hilfsorganisation, die mittlerweile weltweit aktiv ist:
unter anderem in Afghanistan, im Kosovo, in Liberia und im Kongo.
Der Ansatz der Arbeit ist ganzheit- lich: Die Opfer erhalten medizini- sche, psychosoziale und juristische Hilfe. Außerdem hat Medica mon- diale keinen rein karitativen An- spruch, sondern auch einen femi- nistischen. Hauser geht es darum, dass die sexuelle Gewalt als Men- schenrechtsverletzung und Kriegs- verbrechen anerkannt wird. „Wir haben gemerkt, dass diese Frauen überhaupt keine Lobby haben“, sagt sie. Deshalb versucht Medica mon- diale, auf die Verantwortlichen in der Politik einzuwirken.
Der Alternative Nobelpreis und das Medieninteresse werden Hauser bei ihrer Arbeit helfen. Das heißt aber nicht, dass die Ärztin jede Aus- zeichnung annimmt: Als Bundes- präsident Roman Herzog ihr 1996 das Bundesverdienstkreuz verleihen wollte, lehnte sie ab. Damit protes- tierte sie gegen den Beschluss der Innenministerkonferenz, bosnische Flüchtlinge abzuschieben. Monika Hauser ist eben eine Frau mit Grundsätzen. Dr. med. Birgit Hibbeler
Seit vielen Jahren kämpft Monika Hauser gegen Vergewaltigungen von Frauen in Kriegsgebieten.
Mit ihrer Organisation „Medica mondiale“ hilft sie den Opfern und prangert die Taten als Kriegs- verbrechen und Menschenrechtsverletzungen an. Dafür erhält sie nun den Alternativen Nobelpreis.
Foto:dpa