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Archiv "Medizinische Forschung: Auswandern ist die falsche Reaktion" (05.12.2003)

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s ist viel gesagt worden über die zu verbessernden Umstände medizini- scher Forschung an deutschen Uni- versitätskliniken. Es ist noch mehr ge- sagt worden über die angeblich besse- ren Bedingungen in den anglo-amerika- nischen Ländern. Vieles davon trifft zu – wenn auch nicht ganz so verzerrt zu- gunsten unserer Konkurrenz.

Die übliche Verallgemeinerung der Überlegenheit des amerikanischen Sy- stems beruht meist auf dem Vergleich der Forschungslandschaft an amerikani- schen Elite-Universitäten mit denen an deutschen Universitäten. Dabei ist ein allgemeiner Vergleich problematisch und nützt nicht der Debatte, da sich hier jeweils historische und gesellschaftspoli- tische Strömungen widerspiegeln, denen konträre Grundprinzipien zugrunde lie- gen. Wollten wir in Deutschland eben- falls privatwirtschaftliche Organisatio- nen der Eliteförderung wie Harvard, MIT, Stanford oder Princeton, so be- dürfte es dafür eines gesellschaftlichen Konsenses, ausreichender Finanzeinla- gen durch private Träger und einer Kon- zentrierung von Wissenschaft auf wenige exzellente Standorte (und damit ein Ver- lassen föderalistischer Forschungsförde- rung). Deutschland könnte das. Aber will es das auch? Sinnvoller wäre es, ein- zelne Punkte des amerikanischen Sy- stems als Vorbild für Veränderungen der deutschen Strukturen zu überprüfen.

Es ist ein Recht der jüngeren Gene- ration, die gegebene Situation zu kriti- sieren. Mit Davonlaufen darauf zu rea- gieren ist aber nur die zweitbeste Lö- sung – zumal zu einem Zeitpunkt, an dem die Problematik erstmals auch in Gesellschaft und Politik erkannt wird und erste Anzeichen für Veränderungs- bereitschaft sichtbar werden. Ein Sy- stem kann sich nicht selbst ändern. Die Beteiligten des Systems sind gefragt.

Auch wenn nicht alle neuen Ideen auf Konsens stoßen (siehe Juniorprofessu- ren): Ohne neue Strukturen auszupro- bieren, kann das System nicht an Flexi- bilität gewinnen. Hier sind uns andere Nationen voraus, weil dort mehr gehan- delt und weniger diskutiert/lamentiert wird. Nur wer Fehler macht, kann sie später korrigieren. In diesem Zusam- menhang dürfen die zarten Keime wie internationale MD-PhD-Program- me, Modellstudiengänge, neue Ansätze

der Forschungsförderung durch Private Public Partnerships und andere teils lo- kale, teils regionale und nationale In- itiativen nicht wieder erstickt werden.

Flächendeckende Veränderungen sind reibungsloser einzuführen, wenn sie sich in Pilotprojekten bewährt haben. Dazu braucht es freiere Universitäten. Zu oft stehen Landes- oder Bundesgesetze ei- genständigen Konzepten der Universitä- ten entgegen. Die Gleichschaltung der Universitäten unter dem Deckmantel der Chancengleichheit sollte überwun- den werden, damit die Universitäten durch eigene Modelle ein Profil ent- wickeln können. Insbesondere im medi- zinischen Wissenschaftsbetrieb ist es notwendig, ein Nebeneinander von Mo- dellen zu erlauben, um neue Wege be- schreiten zu können, die zu einer verbes- serten Verzahnung von Grundlagenwis- senschaften und klinischer Forschung führen – und gleichzeitig die Überbela- stung wissenschaftlich tätiger junger Ärzte abbauen. Die medizinischen Fach- bereiche sollten den notwendigen Frei- raum erhalten, um im Wettbewerb un- tereinander die besten Strukturen für ei- ne freie Forschung zu erarbeiten.

Deutschland neigt zum Perfektionis- mus, wovon auch Strukturveränderun- gen nicht ausgeschlossen sind. Dinge, die nicht in vollem Umfang funktionieren, werden als Misserfolg gedeutet. Schlim- mer noch, Umstrukturierungen werden im Voraus analysiert und zum Scheitern verurteilt. Gepaart mit unserem Ver- ständnis von Chancengleichheit, besteht somit kaum Möglichkeit, Gewohntes zu hinterfragen, geschweige denn zu verän- dern. Nicht jede neue Idee, die zu einer neuen Struktur führt, wird glücken und dabei im Konsens aller Beteiligten zu fai- ren Lösungen führen. Aber neue Ideen und Strukturen sollten ausprobiert wer- den können, bei Erfolg ausgebaut und auf andere Strukturen übertragen wer- den und bei Misserfolg auch wieder ein- gestellt werden können. Dabei ist darauf zu achten, dass Misserfolg nicht dadurch definiert wird, dass bestehende Struktu- ren gefährdet sind. Dies setzt voraus, T H E M E N D E R Z E I T

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„Zurück in Deutschland, fehlt den forschungsbe- geisterten Klinikern die Perspektive einer attraktiven Forschungstätigkeit. Das ist bedauerlich, da research and development mit zu den spannendsten Aspekten der Medizin gehören." Prof. Dr. Guido Schürmann

„An der Situation hat sich in den letzten Jahren an- scheinend nicht allzu viel geändert. Aufgrund der Ar- beitsbedingungen habe ich bei meinem Zurückkom- men aus den Staaten im Jahre 1972 meine wissen- schaftliche Karriere beendet.“ Dr. Artur Burget

„Die Leistungsspitze des Berufsstandes verflüchtigt sich – stetig steigend, still und leise. Da sind auch die Querdenker, die Ideengeber, die Intellektuellen des Me- dizinbetriebes dabei, die ohnehin keine Chance im deut- schen Gutsherrenwesen haben.“ Gerhard Schuster

Medizinische Forschung

Auswandern ist die falsche Reaktion

Weil so viele junge Wissenschaftler das Land verlassen,

müssen die Rahmenbedingungen für medizinische Forschung in Deutschland schnell und weitreichend geändert werden.

Joachim L. Schultze

In DÄ 28–29/2003 kritisierten Ristow et al. den Forschungsstandort Deutschland.

Viele Leser haben sich dazu geäußert (s. u.). Schultze plädiert für Optimismus.

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dass auch Modelle erlaubt werden, die keine Chancengleichheit – zum Beispiel zwischen einzelnen Universitäten – mehr voraussetzen. Auch hier gibt es be- reits die ersten guten Beispiele. So sind medizinische Fachbereiche, die an die

„Interdisziplinären Zentren für klini- sche Forschung“ (IZKF) oder „Koordi- nierungszentren für Klinische Studien“

(KKS) angeschlossen sind, im Vorteil ge- genüber anderen Universitäten. Aber es sind genau diese Aktionen, die es erlau- ben, den einzelnen medizinischen Fach- bereichen wieder ein eigenständiges Profil zu geben. Wer kein IZKF oder KKS besitzt, wird sich in anderen Berei- chen auszeichnen müssen. Solche Verän- derungen sind aus Sicht des Status quo immer mit Fehlern in der Umsetzung, mit Allianzenbildung oder auch mit Be- nachteiligung nicht Beteiligter verbun- den. Aber nur die Schaffung solcher Strukturen erlaubt langfristig leistungs- bezogene, interdisziplinäre teamorien- tierte Forschung sowie vielleicht auch die Möglichkeit, innerhalb solcher Strukturen aus dem zu engen BAT-Sy- stem auszuscheren. Auch hier sollten Modelle probiert werden und Fehler auf dem Weg zu einer leistungsorientierte- ren Bezahlung zugelassen werden.

Der wissenschaftlich tätige Arzt prägt die akademische Medizin. Von den traditionellen Vertretern der Schul- medizin wird die Personalunion des Arztes und Wissenschaftlers zwingend gefordert. Nur so könne medizinische Spitzenwissenschaft erzielt werden, die wiederum dann zu innovativer Medizin führt. Es muss hinterfragt werden, ob dies in Zukunft noch möglich ist. Gera- de in hoch technisierten Bereichen der Medizin sollte der Trend dahin gehen, drei unterschiedliche ärztliche Kar- rierewege einzuführen:

den Kliniker, der innovative Medi- zin umsetzt, sie aber nicht erforscht;

den klinischen Forscher, der wie der Kliniker einerseits als Arzt klini- sche medizinische Leistungen erbringt, andererseits aber klinische Forschung betreibt, das heißt klinische Studien zur

Entwicklung neuer Therapien, Medika- mente und Diagnostika durchführt, und den Wissenschaftler, der weder me- dizinische Leistungen der Krankenver- sorgung noch klinische Forschung, son- dern laborbasierte medizinische For- schung betreibt. Diese kann grundla- genorientiert oder auch kliniknah sein.

Traditionalisten argumentieren, dass eine solche Trennung hierzulande nicht möglich sei, weil dies das System ge- fährden würde. Insbesondere stelle es die Grundsätze für die Qualifikationen eines Lehrstuhlinhabers in den klini- schen Fächern infrage, da diese ja dann keine „ordentliche Forschung“ mehr durchgeführt hätten.

Drei ärztliche Karrierewege

Was die Trennung in drei ärztliche aka- demische Karrierewege angeht, so zei- gen Erfahrungen, dass eine solche Tren- nung in den USA möglich geworden ist und dass diese auch in Deutschland zu- mindest teilweise umgesetzt wurde. Die Eingliederung von wissenschaftlichen Professuren in klinische Abteilungen ist der erste Schritt, von der verschmähten

„medizinischen Feierabendforschung“

wegzukommen. Ein weiterer Schritt ist die Entwicklung von MD-PhD-Pro- grammen, die – wie zum Beispiel an der Kölner Uniklinik – erstmals zum Titel eines Dr. med. nat. führen, sozusagen zur Eintrittskarte für eine Karriere als medizinischer Wissenschaftler.

Unterscheidet man zwischen Klini- kern, klinischen Forschern und Wissen- schaftlern, stellt sich die Frage, wie ein Lehrstuhlinhaber in einem klinischen Fach sich wissenschaftliche Qualifika- tionen erarbeiten soll. Ohne weiterrei- chende Veränderungen zu entwickeln, würde eine Trennung an dieser Stelle scheitern müssen, denn weder ein rei- ner Kliniker noch ein Wissenschaftler würden für eine solche Position nach heutigem Pflichtenheft infrage kom- men. Aber ist der heutige Mediziner dafür besser qualifiziert? Schon heute

ist man doch hin- und hergerissen zwi- schen Bewunderung und Unverständ- nis, wie eine Person das alles schaffen kann. Auch aus ökonomischen Ge- sichtspunkten sollte hier umgedacht werden. Große klinische Abteilungen sind vom Umsatz her mit Unternehmen vergleichbar. Wenn die Funktion des leitenden Arztes oder Ärztlichen Di- rektors mehr und mehr von Manage- mentqualitäten geprägt ist, dann ist die fachliche Qualifikation nicht mehr der entscheidende Aspekt. Dann könnte selbst ein medizinischer Wissenschaft- ler eine klinische Abteilung leiten, so- fern er qualifizierte Kliniker und klini- sche Forscher in sein Management- Team rekrutieren kann. Aktueller ist die Vorstellung, dass aus dem Ärztli- chen Direktor der leitende Gesund- heitsmanager einer Abteilung wird, der auf ein Managementteam zurückgrei- fen kann, in dem Kliniker, klinische For- scher, Wissenschaftler, Wirtschaftler und Business Developer sitzen. Die Trennung der Laufbahn in Kliniker, kli- nischen Forscher und medizinischen Wissenschaftler erscheint dann logisch.

Ein Anachronismus ist die mancher- orts strikt praktizierte Trennung der so genannten theoretischen Fächer in der Medizin von den klinischen Fächern.

Zwar ist die historisch bedingte Tren- nung anhand der Aufgaben der jeweili- gen Fächer nachvollziehbar, aber auch hier darf man sich nicht den Entwick- lungen der modernen Medizin entzie- hen. Warum sind in den USA die Com- prehensive Cancer Centers weiterhin die erfolgreichsten Forschungseinrich- tungen im Bereich Onkologie? Allein die Struktur kann es nicht sein. Ent- scheidend ist vielmehr das tägliche Mit- einander von Experten unterschiedlich- ster Fachrichtungen und Ausrichtungen.

Nur wenn man die Fragestellungen und Probleme der anderen erfährt, kann man eine sinnvolle Kooperation aufbau- en. Nur wenn „Theoretiker“, besser Wissenschaftler, mit Klinikern und Kli- nischen Forschern zusammenarbeiten, können wichtige wissenschaftliche Fra- T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 495. Dezember 2003 AA3223

„Seit 2002 wird jedem Wissenschaftler ein Zeit- budget von zwölf Jahren zugeordnet (Ärzte: 15 Jahre), nach dessen Ablauf er nicht mehr befristet an Univer- sitäten eingestellt werden kann. Dies macht die For- scherlaufbahn zum Risiko.“Prof. Dr. Bernhard Fleischer

„Auf dieses Land kommt ein kleines Heer von ar- beitslosen Akademikern zu. Es betrifft jene, die nach der letzten Änderung des Hochschulrahmengesetzes eine jetzt klar abgegrenzte Arbeitszeit im deutschen Univer- sitätssystem haben.“ Dr. Wolfgang Gowin

„In Deutschland ausgebildete Ärzte finden nicht nur schlechte Forschungsbedingungen vor, sie sind für diese Art von Tätigkeit auch sehr schlecht qualifiziert – sofern sie sich nicht aus eigener Initiative darum bemüht haben.“ Dr. Tilman Steiner

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gen angegangen werden. Auch hierfür gibt es gute Beispiele und Förderungsin- strumente in Deutschland, zum Beispiel die Sonderforschungsbereiche und kli- nischen Forschergruppen.

Die Deutsche Forschungsgemein- schaft und andere Förderer sind gut be- raten, wenn sie genauestens überprü- fen, ob junge Ärzte genügend Freiraum für ihre Projekte bekommen.Wie könn- te dies bereits heute verbessert werden?

Ein Beispiel wären Partnerschaften zwischen Wissenschaftlern und Klini- kern. Die entsprechende biochemische, molekularbiologische, statistische oder genomische Expertise könnte Projek- ten von Ärzten an klinischen Abteilun- gen durch Partner-Wissenschaftler aus den Fachbereichen zur Verfügung ge- stellt werden. Dies erfordert Teamgeist, Flexibilität und Verständnis für die Si- tuation des anderen, dürfte aber dem jetzigen Ansatz der Forschung an klini- schen Einheiten überlegen sein.

Enge Partnerschaften

Eine Alternative hierzu ist die Einrich- tung von Wissenschaftlichen Leiterstel- len in klinischen Abteilungen, die eine Partnerschaft von Klinikern, klinischen Forschern und Wissenschaftlern in ei- ner Abteilung erlauben. Klinisch tätige Ärzte bearbeiten wissenschaftliche Projekte gemeinsam mit einem Wissen- schaftler im Labor (und nicht nur mit einem schlecht angeleiteten medizini- schen Doktoranden). Die klinischen Aspekte (klinische Fragestellung, Pati- entenrekrutierung, -auswahl, Proben- material, Organisation, Ethikantrag, klinische Parameter) sind Aufgabe des Klinikers, die Laboruntersuchungen Aufgabe des Wissenschaftlers. Dieser Ansatz verkürzt die Projektzeiten er- heblich, meist auch die Kosten, und führt damit auch schneller zur Beant- wortung der Fragestellung.

In Köln sind wir einen Schritt weiter- gegangen und haben zwei Arbeitsgrup- pen mit einer Doppelspitze fusioniert,

um weitere Synergien zu schaffen. Die Gruppe wird von einem klinisch tätigen Oberarzt und einem Wissenschaftler ge- leitet und besteht aus rein wissenschaft- lich tätigen Mitgliedern und assoziierten Ärzten, die ihrer klinischen Arbeit nachgehen können. So sind wiederum sehr enge „Partnerschaften“ zwischen Klinikern, klinischen Forschern und Wissenschaftlern möglich geworden.

Langfristig und weit über diese er- sten Ansätze hinausgehend, führt an ei- nem echten Strukturwandel kein Weg vorbei. Dies erfordert ein aktives For- schungsmanagement der medizinischen Fachbereiche an den Universitätsklini- ken. Beispiele sind die Entstehung von Tumorzentren oder Herzzentren, die im klinischen Bereich eine enge Zusam- menarbeit von Ärzten verschiedener Fachdisziplinen voraussetzen. Diese Zentren sollten genutzt werden, um Forschungsstrukturen darum herum zu entwickeln, die dann auf die klinischen Ressourcen auch zugreifen können.

Ein wichtiges Instrument, um For- schung durch erhöhte Transparenz at- traktiver zu gestalten, ist die Offenlegung der Gutachten von Forschungsanträgen für den Antragssteller. Damit wird es den Antragstellern ermöglicht, ihre For- schungsvorhaben qualitativ zu verbes- sern und erneut zur Begutachtung einzu- reichen. Im gleichen Schritt könnten in- ternationale Gutachtergremien einge- führt werden. Diese Gremien sind aus fachlichen Gründen unabdingbar, da die Projekte immer interdisziplinärer wer- den und somit nur ein Gremium von Wis- senschaftlern unterschiedlicher Fach- richtungen einen Antrag sachlich korrekt beurteilen kann. Zudem würde es sich anbieten, zu prüfen, ob die Standards des National Institute of Health für die Beur- teilung des extramuralen Forschungspro- gramms auf deutsche Verhältnisse über- tragbar wären, eventuell in Kombination mit dem Einsatz moderner Kommunika- tionsmedien wie dem Internet.Wenn die- ser Prozess für wissenschaftliche Manu- skripte möglich ist, warum nicht auch für wissenschaftliche Antragstellung?

Mit mehr Geld kann mehr Wissen- schaft geleistet werden, woraus wahr- scheinlich mehr Ergebnisse resultieren, die sich in mehr und möglicherweise auch besseren Publikationen nieder- schlagen. Nebenbei: Auch die Harvard- Universität schneidet nicht so gut ab, wenn man die Zahl der Publikationen inklusive ihrer Güte oder ihres „Im- pacts“ in ein Verhältnis zur Zahl der Postdoktoranden stellt.

Es steht außer Zweifel, dass sowohl die von den Ländern als auch vom Bund finanzierten Forschungseinrich- tungen und -programme im Anteil an den jeweiligen Gesamthaushalten wei- ter gesteigert werden müssen. Wer im Gesundheitssystem sparen will, muss langfristig eine innovative medizinische Forschung fördern. Insbesondere in der angewandten medizinischen Forschung im Bereich „neue Therapien und Dia- gnostika“ wird sich Spitzenforschung künftig auch dadurch auszeichnen, dass Verfahren entwickelt werden, die aus der Fortschrittsfalle herausführen und kostengünstiger als bisher sind.

Daneben können die Deutschen auch in Bezug auf das „Erwirtschaften“

privater Gelder aus dem Ausland ler- nen. Das öffentliche Bewusstsein, For- schung zum Beispiel über Stiftungen zu fördern, könnte substanziell verbessert werden. Auch „Institutionelles Fund- raising“ an Forschungseinrichtungen und Universitätskliniken ist ein bisher kaum erschlossener Markt in Deutschland.

Die Initiativen der Regensburger Uni- versitätsklinik, die jährlich einen Lauf zur Förderung der Leukämie-For- schung veranstaltet, sind eine lobens- werte Ausnahme. Zugegeben, beim Wis- senschaftsmarketing sind uns die Ame- rikaner mit ihrer „do it yourself“- und

„we are the best“-Mentalität überlegen.

Darüber hinaus gibt es aber auch Wirtschaftlichkeitspotenziale. Insbeson- dere im Bereich Großgeräte bestehen noch ungenutzte Synergieeffekte an den Universitäten. Unbürokratische gemein- same Nutzung von Geräten und Einrich- tungen, die Entwicklung von zentralen T H E M E N D E R Z E I T

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„Bei 90–95 Prozent der Ausschreibungen für C-3-Stel- len steht der erfolgreiche Bewerber schon vorher fest.

Hausinterne Personalpolitik geht vor Leistungskultur.

Die wissenschaftliche Leistung ist ein untergeordnetes Beurteilungskriterium.“Prof. Dr. Clemens von Schacky

„Anstatt immer nur Gründe dafür zu benennen, warum der Nachwuchs wegbricht, und sie damit zu rechtfertigen, sollte man viel öfter die Vorteile der deutschen Medizin hervorheben und somit für diese

werben.“ Dr. Ulrich Schwertfeger

„Nicht nur die Forschungsbedingungen sind in Groß- britannien angenehmer, sondern auch die allgemeinen Arbeitsbedingungen. Nicht nur die Lernbedingungen sind in Großbritannien besser, sondern die Verwaltung kümmert sich auch um die Ärzte.“ Dr. Bernd Klemenz

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Serviceeinheiten für teure Techniken und vor allem ein gemeinsames Gestal- ten der Infrastruktur sind überfällig. Vie- le Institute an US-amerikanischen Elite- Universitäten sind „Soft Money“-Insti- tute, was bedeutet, dass nur eine Grund- infrastruktur zur Verfügung gestellt wird, ohne Planstellen und wichtige Spezial- geräte. Darüber hinaus muss für die Grundausstattung und administrative Serviceleistungen eine hohe Summe zu- sätzlich zum Forschungsgeld aufgebracht werden.Deshalb sind sowohl Institute als auch Forscher daran interessiert, die In- frastruktur zu pflegen. Und: Den ameri- kanischen Nachwuchswissenschaftlern stehen zwar längerfristige Finanzierungs- instrumente zur Verfügung. Man sollte aber nicht unterschätzen, dass man meist mehrere solcher „Grants“ braucht, um eine eigenständige und langfristig erfolg- reiche Arbeitsgruppe aufzubauen.

Die Universitätskliniken stehen vor tief greifenden strukturellen Änderun- gen. Denn es ist schwer vorstellbar, dass in Unternehmen dieser Größenordnung weiterhin die Bereiche Ausbildung (Lehre), Forschung/Entwicklung und Produkt/Dienstleistung (Klinik) in einer Einheit geführt werden können. Wir können uns nicht davor verschließen, dass in Zukunft ein finanztechnisch soli- der Rahmen geschaffen werden muss, damit die medizinische Versorgung nicht ihre Qualität und ihre Menschlichkeit verliert. Diese Diskussion ist an den Uni- versitätskliniken in vollem Gange. Dabei fällt auf, dass die Diskussion um die Rol- le der Lehre und Forschung und ihrer Fi- nanzierung in den Hintergrund rückt.

Aus wirtschaftlicher Sicht nicht verwun- derlich, denn wie in der freien Wirtschaft gilt es zunächst, den defizitären Bereich der medizinischen Dienstleistungen in den Griff zu bekommen, bevor wieder in Ausbildung, Forschung und Entwick- lung investiert werden kann. Zu hinter- fragen ist, ob diese wirtschaftlichen Ge- setze auf die medizinische Forschung an- gewandt werden sollen.Wenn Forschung und Lehre, und damit Innovation, nicht in Mitleidenschaft gezogen werden sol-

len durch die notwendigen Verbesserun- gen im klinischen Bereich, dann müssen die Ärzte auch bereit sein, diese Berei- che – wie in der Industrie üblich – vom medizinischen Dienstleistungssektor ab- zukoppeln. Hier wird oft das Argument angebracht, das dies eben in der Medizin nicht möglich sei. Beispiele aus anderen Ländern zeigen aber, dass – nach schmerzhafter Übergangsphase – die Trennung medizinischer Versorgung von Forschung und Lehre sehr wohl möglich ist.Allerdings bedeutet dies, dass für For- schung und Lehre ein wirtschaftlicher Rahmen mit Administration vorgehal- ten werden muss.

Schwerpunkte bilden

Darüber hinaus spielen ökonomische Gesichtspunkte eine Rolle, die eine Schwerpunktbildung der medizinischen Hochschulen erfordert. So sind die me- dizinischen Fachbereiche der so ge- nannten ABCD Region (Aachen, Bonn, Cöln, Düsseldorf) in Nordrhein- Westfalen aufgerufen worden, ein ge- meinsames Konzept mit Schwerpunk- ten an den einzelnen Standorten zu er- arbeiten. Dies wird ein schmerzhafter Prozess, besonders für diejenigen Ärz- te, die nicht am Schwerpunkt ihres Fachgebietes angesiedelt sind. Schwer- punkt heißt aber eben gerade nicht, auf die „peripheren“ Einheiten gänzlich zu verzichten, sondern in konzertierter Aktion vom Schwerpunkt aus schlag- kräftige Programme für wichtige Fra- gestellungen zu entwickeln.

Beispiel Onkologie: Die Ressourcen- bündelung und Synergieeffekte, die zum Beispiel in einer Region wie der ABCD- Universitäten möglich wären, könnte zu einer Bildung eines Comprehensive Cancer Centers führen, dass sich hin- ter amerikanischen Zentren nicht ver- stecken müsste. Unabhängig von den Kosten stellt sich die Frage, ob sich die Beteiligten von bestehenden Strukturen verabschieden können. Die Personen müssen sich verändern wollen.

Ein besonders schwieriges Feld ist die Veränderung von Berufungsverfah- ren. Unter der Annahme, dass vermehrt Netzwerkstrukturen, interdisziplinäre Zentren oder themenorientierte Struk- turen (Herzzentren, Tumorzentren, Zentrum für Chronische Entzündun- gen) entstehen, ist es fraglich, ob das bisherige Verfahren der Stellenaus- schreibung, Kommissionsbildung, Be- gutachtung und Berufung überleben kann – zumal derzeit oft Mitglieder von Berufungskommissionen ohne themati- schen Bezug zur ausgeschriebenen Stel- le stehen. Zwar muss das traditionelle Konzept nicht ersatzlos gestrichen wer- den, es sollte aber um die Möglichkeit ergänzt werden, gezielt insbesondere für neue Positionen international aner- kannte Experten von anderen Institu- tionen abwerben zu können.

Ein Kopieren der amerikanischen Verhältnisse in der medizinischen For- schung ist weder durchführbar noch wünschenswert, denn ähnlich einer

„confirmatory science“ ist auch ein

„confirmatory system“ meist nicht so gut wie das Vorbild. So düster die Situation an vielen Stellen in Deutschland auch er- scheinen mag, es existieren inzwischen Ansätze auf vielen Ebenen, die Dinge zu verändern. Die traditionelleren Vertre- ter des jetzigen Systems müssen davon überzeugt werden, dass die medizinische Forschung mit neuen Ideen und Struktu- ren tatsächlich verbessert wird. Hierfür braucht es junge und aktive Mitglieder, die auch im Ausland Erfahrungen ge- sammelt haben, um sie in Deutschland in neue Ideen und Strukturen einbringen zu können. Aber endgültiges Auswan- dern ist nicht das Gebot der Stunde.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2003; 100: A 3222–3225 [Heft 49]

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. Joachim L. Schultze

Molekulare Tumorbiologie und Tumorimmunologie Universitätsklinikum Köln

Joseph-Stelzmann-Straße 9, Haus 16, 50924 Köln T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 495. Dezember 2003 AA3225

„Intellektuelle Leistung, die im Bereich der For- schung mit dem hohen unternehmerischen Risiko des Fehlschlages verbunden ist, muss mindestens an- nähernd so gut honoriert werden wie die florierende Apparate-Medizin.“ Prof. Dr. Christian J. Strasburger

„Für Amerikaner ist die Tätigkeit als physician scientist unattraktiv. Alle Förderprogramme haben nichts ge- nutzt. Die Zahl der jungen Ärzte, die NIH-Anträge stellen, geht kontinuierlich zurück. Die horizontale Vernetzung hat nichts genutzt.“ Prof. Dr. Giuliano Ramadori

„Trotz der notwendigen Kritik sind die Bemühun- gen um den Forschungsstandort Deutschland erfolg- reich. Eigenverantwortung und Selbstbestimmung sind auch in Deutschland gefordert. Leistung wird unterstützt und ist erfolgreich.“ Prof. Dr. Rolf Neth Die zitierten Leserbriefe in Langfassung im DÄ-Internet- Forum „Der Nachwuchs geht“: www.aerzteblatt.de/foren

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