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Max Oppenheimer: Das Orchester. Ein Gemälde im Spiegel der zeitgenössischen Kritik
Im Dezember 1986 wurde in der Galerie Gerda Bassenge, Berlin, ein Ölgemälde von Max Oppenheimer (gen. Mopp; 1885 Wien - 1954 New York) zum Verkauf angeboten. Das Bild trägt den Titel »Symphonie«
(51 x 71 cm, 1920-23) und stellt eine kleinere, nicht ganz identische Kopie des Kolossalgemäldes gleichen Inhalts dar, das er »Orchester« (3 x 4,38 m, 1921-23) nannte. Das »Orchester« wird allgemein als Mopps Hauptwerk angesehen. Seinen künstlerischen Ruf hat sich Oppenheimer durch seine Fähigkeiten als Zeichner und durch seine eindrucksvollen Porträts erwor
ben, von denen in der Musikwelt das von »Busoni am Klavier« (1916) am geläufigsten ist. Mopps Bild »Orchester« hat, als es nach 1923 in Städten wie Paris, Wien, Prag, München oder Berlin ausgestellt wurde, immenses Auf
sehen erregt. Zahlreiche zeitgenössische Ausstellungsberichte, Rezensio
nen und Kritiken setzten sich mit der ungewöhnlichen Thematik und ihrer formalen Gestaltung auseinander. Sie kamen zu ganz unterschiedlichen Deutungen. Die verschiedenen Interpretationen von damals dienen heute als Leitfaden meiner Beschreibung.
Der Inhalt des Bildes ist, was man nicht sieht
Der Kritiker des » Kunstwanderers« sah, daß in dem Kolossalgemälde der kühne Versuch, Musiktöne durch Farben und Linien hervorzuzaubern, mehr Problem als Lösung war (Der Kunstwanderer, 7, 1925, S. 358). Wie würde dann ein gelungener Versuch der Übertragung von Musik in Farben und Linien aussehen? Es ist nicht sehr schwer, sich auszudenken, wie man Musik in Malerei umsetzen kann, zumal unser visuelles Gedächtnis nach der Ausstellung »vom Klang der Bilder« (Stuttgart 1985) über ein dicht angefülltes Bilderrepertoire verfügt. Da bestünde die Möglichkeit, Analo
gien zwischen Tönen, Akkorden und Farben herzustellen. In diesem Fall
läge es nahe, den unterschiedlichen Instrumentengruppen des Orchesters unterschiedliche Farben zuzuordnen. Man könnte den Klang, den sie pro
duzieren, sichtbar machen, indem man die unterschiedlichen Klang-Farben zu einem fulminanten Lichtereignis zusammensetzt. Die Lichtstrahlen, die Fagott und Harfe aussenden, könnte man als einen solchen Versuch werten, den Klang der Instrumente in Farben zu übersetzen. Wenn das Mopps Absicht war, dann erscheint das angesichts des gewaltigen Apparates arm
selig und rudimentär. Oder, vorausgesetzt den Maler interessiert die Bewe
gung, die die Musik erzeugt: zum Beispiel das Fliegen der Bögen über die Saiten der Geigen, oder die ungeheure Motorik der sich bewegenden Fin
ger, ob sie nun Flöte, Klarinette oder Geige spielen. Und nicht zu vergessen, die Ekstase des Dirigenten, der oft mit Körpereinsatz sein Orchester bezwingt. Doch in diesem Bild erscheint ein gesamtes Orchester wie abfo
tografiert, wie in einer Pose erstarrt. Monumental ist die Gestik des Diri
genten. Gesetzt, der Maler intendierte eine Übertragung der Musik auf der Ebene des Strukturmerkmals »Zeit«. Wie weit entfernt ist doch dieses Bild von einer kubistischen Aufsplitterung der Flächen und Formen, um Zeit und Bewegung in der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Ansichten auf die
Leinwand zu bannen. Oppenheimer setzt dieses Gestaltungsmittel lediglich bei Pauke und Becken ein. Mehr Problem als Lösung, heißt das, der Maler hat sein Thema verfehlt?
Welche Funktion hat eigentlich die akribisch anmutende Genauigkeit, mit der hier sehr realistisch ein Symphonieorchester abgebildet wurde?
Der Inhalt des Bildes ist, was man sieht
Mopps Intention war es, den Riesenapparat eines -durchaus nach Mah
lerschen Intentionen - verstärkten Orchesters ... in einen Rahmen zu zwin
gen, [um] Sinn und Geheimnis des musikalischen Schauspiels hervorzupres
sen (Max Osborne, in: Veröffentlichungen des Kunstarchivs Nr. 25/26, 1926, S. 10).
Oppenheimers musikalische Sachkenntnis erstreckte sich aber auf mehr als auf die genaue Auflistung aller zu einem modernen Symphonieorchester zugehörigen Instrumente. Man betrachte die minutiöse Wiedergabe der Handhaltung der Geiger, wie sich die Finger um den Frosch des Bogens legen, wie sie sich ihren Ton auf dem Griffbrett suchen. Typisch ist auch die Körperhaltung: der leicht gebeugte Kopf, der mit dem Kinn die Geige gegen die Schulter preßt; der etwas in sich versunkene Oberkörper, der sich an den Stuhl lehnt, als wolle er Routine und Desinteresse symbolisieren; die leicht gespreizten Beine, das eine leicht vor dem anderen, auf der ganzen Sohle aufliegend, das andere das Gleichgewicht nur mit der Fußspitze ausglei
chend. Die Konzentration der Kontrabassisten im Gleichstrich spiegelt sich offen in ihren Gesichtern wider. Die aufgeblasenen Backen der Hornisten zeigen die Anstrengung des Spiels. Aber auch das Versunkensein in die Musik wird ausgedrückt. Der junge pizzicato-spielende Cellist mit dem wilden Haarschopf (direkt unter dem Dirigenten rechter Hand) kennt nur sein Spiel und scheint die anderen Musiker kaum wahrzunehmen. Nicht nur die unterschiedlichen körperlichen Ausdrucksformen des musikalischen Spiels werden vorgeführt. Jedem einzelnen Musiker hat er eine ihm eigene Physiognomie verliehen - besonders auffallend der Dirigent, der die Gesichtszüge Mahlers trägt. Doch mit welchen Mitteln zwängt er den Rie
senapparat in den Rahmen? Die Mittel des Bildaufbaus sind Symmetrie und Gleichgewicht. In der Mitte bildet das Gold der Harfe, die auf einem Podest
steht, den wirkungsvollen Hintergrund für die Figur des Dirigenten. Das Zentrum wird zusätzlich durch die Tastatur, den sich nach rechts und links neigenden Celli am vorderen Bildrand betont. Rechts halten das schwere Blech, Pauke und Becken der Wand der Kontrabässe die Waage. In dem Raum, den sie aussparen, sind die anderen Instrumentengruppen konzen
trisch um ihren Führer angeordnet. Die Orgelpfeifen, die als Kolossalord
nung Mitte und Bildränder bestimmen, wiederholen und verstärken die symmetrische Ordnung der Instrumentenaufstellung.
Der Inhalt des Bildes ist, was man hört
Nicht das Schauspiel des Symphonieorchesters in Aktion ist der Inhalt des Bildes, sondern das, was es für den Hörer produziert: » . . . wahrhaftig! es drängt mich, von der unglaublichen akustischen Wirkung des Bildes zu zeu
gen, der suggestiven Macht, mit der es das geistige Ohr des Beschauers hallu
zinatorisch mit der gesättigten, üppig kolorierten Klangmasse heutiger Instrumentalmusik erfüllt.« (Thomas Mann, zit. nach Veröffentlichungen des Kunstarchivs Nr. 25/26, 1926, S. 19; zuerst veröffentlicht in: Berliner Tageblatt 12, Januar 1926).
Es fällt einem heute schwer nachzuvollziehen, daß ein Bild eine derartige Wirkung auf einen Betrachter ausüben kann. Dennoch: Man stelle sich ein Gemälde vor mit den Maßen 3 x 4,38 m. Ungewöhnlich sein Inhalt. Mit musikalisch-technischer Sachkenntnis und großem zeichnerischen Vermö
gen hat ein Maler den an die 70 Personen zählenden Apparat eines Sympho
nieorchesters auf der Leinwand erstehen lassen. Allein die Menge der Figu
ren muß beeindrucken. Das Orchester ist mitten im Spiel, während eines Konzerts. Das schwere Blech (Posaunen, Tuben und Hörner) setzt ein.
Dazu ertönt ein Paukenwirbel und Beckenklang. Die Vervielfältigung der Paukenschlegel und die Repetition der Beckenflächen stellen die Bewegung dar und suggerieren den für diese Instrumente charakteristischen Klang.
Die Musiker zur Linken, verharren sie im Piano oder warten auf ihren Ein
satz? Die Lichterscheinungen, die den fast kirchenartigen Raum erfüllen, mögen die Mahlerschen Klangmassen symbolisieren, die über den Zuhörer im Parkett oder den Betrachter vor dem Bild hinwegrauschen. Ist es allein seine Größe, seine Kolossalität, die bewirkt, wie Karl Kraus ironisch
anmerkte, daß der Besucher, der vor Mopps Gemälde tritt, das Gefühl hat, als müßte er sich das Ohr zuhalten. Denn von dieser Leinwand braust einem ein Fortissimo entgegen.«? (Die Fackel, Nr. 632-639, Okt. 1923, S. 129) Der Inhalt eines Bildes ist die Frage nach seiner Form
Nicht bei allen Betrachtern hat das Bild einen derartigen Eindruck hinter
lassen. Viele Kritiker messen Oppenheimer an dem Format, in dem er das Symphonieorchester erstehen ließ. Der Aufgabe eines Wandgemäldes - Pathos und Wucht - werde Mopp nicht gerecht. Das dem Bild fehlende Pathos versuche er durch seine Farbgebung wettzumachen. Er beschränkt die Farben auf die Kombination weniger »edler« Töne: braun für die Strei
cher, schwarz für die Anzüge der Musiker, gelb für die Blechbläser, königs
blau für die Deckblätter der Noten und das Futteral der Geigenkästen, weiß für die Notenblätter, Gold für die Notenständer, dezentes graubraun für den Hintergrund. Die raffinierte Farbgebung, die an byzantinische Mosaike erinnert, täusche nicht darüber hinweg, daß angesichts der Größe des Gemäldes seine Komposition zu eindeutig, schematisch, peinlichst aus
getüftelt (Der Cicerone, 16, 1924, S. 981) sei. Sein Können, das in seinen Porträts oder Zeichnungen besser zur Entfaltung käme, verliere sich hier in inhaltlosem Virtuosentum. »Aber - nur mit Trauer wird es angesichts so umfassenden Könnens gesagt -fast alles bleibt in (expressionistischer) Rou
tine stecken. Hinter aller dämonischen Geste brilliert die Eleganz, hinter aller Vitalität der Salon, hinter all den vielen ausdrucksvollen Händen die Geste des ach so differenzierten, des ach so nervösen Weltf!,efühls. Die Dinge fallen oft auseinander in Psychologismus und Kunstgewerbe.« (Der Cicerone,
18, 1926,
s.
36).Die eindringliche, realistische Abbildung des Orchesterapparates wider
spricht der Deutung, daß spezielle musikalische Inhalte wie das Moment der Zeit oder der Bewegung, bestimmte Töne oder Klänge in die Malerei übertragen werden sollten. Sie spricht aber dafür, daß Mopp, der die anfangs erwähnten gestalterischen Mittel sehr wohl beherrschte, sie hier bewußt nicht gebrauchte. Auf die Frage, ob ein bestimmtes Orchester por
trätiert sei, gibt die Biographie des Künstlers allerdings wenig Auskunft.1 Oppenheimer, der übrigens auch Geige spielen konnte, studierte von 1900
bis 1906 an der Wiener und Prager Akademie. Es mag sein, daß er in dieser Zeit Konzerte unter der Leitung Mahlers besucht hat, denn er soll Mahler sehr verehrt haben. Das oben genannte Bild ist jedoch in denJ ahren 1920-23 entstanden, zu einer Zeit, die er in der Schweiz verbrachte. Der gewagten These nachgehen, ein bestimmter Moment einer bestimmten Mahlersym
phonie sei dargestellt, hieße im Zählen der Instrumente steckenbleiben. Der Sinn einer derartigen Deutung erscheint fragwürdig. Es liegt vielmehr die Ver
mutung nahe, daß Mopp mit diesem Bild einem Berufsstand, dem des Orchestermusikers und dem des Dirigenten, ein Denkmal schaffen wollte.2 Reiht es sich doch so gesehen in die Gruppe der Bilder ein, die er von ande
ren Berufsständen gemalt hat. In seinem Gesamtwerk finden sich neben dem von ihm bevorzugten Genre, dem des Musikerbildnisses, auch Darstel
lungen anderer Bereiche des zeitgenössischen Lebens, der Welt des Sports
und der Medizin. Barbara Barthelmes
Anmerkungen
1 Allerdings sind einige der dargestellten Musiker, vor allem in der zweiten Fassung, identifiziert worden, u.a. der Geiger Arnold Rose, den Mopp bereits in dem Gemälde »Rose Quartett« (1924) verewigte (vgl. : Katalog Kunst in Österreich 1918-1938, Halbturn 1984, S. 123/124).
2 Die zweite Fassung des gleichen Themas, die Oppenheimer 1935 in Wien begann und 1940 in den USA vollendete, würde diese These durch den veränderten Titel- es heißt jetzt »Die Philharmoni
ker« - unterstützen. (Abb. vgl. : Katalog Kunst in Österreich, Halbturn 1984, Tafel 15.) Für Auskünfte und Informationen danke ich Marie Agnes von Puttkammer, Bonn.
Fotonachweis:
Foto nach »Auktion 48«, Teil II, Galerie Gerda Bassenge, Berlin, Dez. 1986, S. 407.
Oppenheimer, Max: Die Symphonie. Öl auf Leinwand, ca. 51 x 71 cm, 1920-23.
Kopie nach: Oppenheimer Max, Orchester, T empera und Ö I auf Leinwand, 300 x 4 38 cm, 1921-23.