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Konzepte der Angst in der Psychoanalyse

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-1950

Das Buch schließt eine Lücke in der psychoanalytischen Lite- ratur. Als umfassendes Kompendium psychoanalytischer Angsttheorien leistet es einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Psychoanalyse und liefert einen hervorragenden Überblick über 100 Jahre psychoanalytische Theorien der Angst und Angststörungen.

Besondere Berücksichtigung erfahren dabei die einzelnen Angsttheorien von Sigmund Freud, weil er seine Auffassungen zur Angst im Laufe seines langen Forscherlebens bedeutend modifiziert hatte und seine Theorien die elementare Grundlage für die Angstkonzepte anderer Autoren abgegeben haben.

Schwerpunktmäßig behandelt werden die Beiträge von Karl Abraham, Sandor Ferenczi, Otto Rank, Ernest Jones, Paul Federn, Wilhelm Reich und Melanie Klein. Meyer untersucht dann die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der genannten Autoren. Kritische Betrachtungen zum frühen psychoanalyti- schen Angstverständnis, zur Trieb-Umwelt-Kontroverse und ein Ausblick auf den zweiten Band schließen die Untersuchung ab.

Guido Meyer,geboren 1967, Diplom-Psychologe, Studium der Psychologie an den Universitäten Gießen und Bonn. Er beschäftigt sich seit langem mit der Theoriegeschichte der Psychoanalyse. Sein Buch über Geburt, Angst, Tod und das Begehren nach dem Mutterleib – Geschichte der Urthemen in der Psychoanalyseist bereits im Brandes & Apsel Verlag erschienen. Meyer ist beruflich im klinischen Bereich tätig.

Guido Meyer

Konzepte der Angst in der Psychoanalyse

Band 1: 1895 -1950 Vorwort von Raymond Borens

Titel Konzepte der Angst_END 04.03.2005 15:22 Uhr Seite 1

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wissen & praxis 131

Guido Meyer

Konzepte der Angst

in der Psychoanalyse

Band 1: 1895-1950

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Im Unterschied zu vielen anderen Schulen in der Psychologie stellt das Phänomen der Angst in der Psychoanalyse eines der komplexesten Phänomene dar. Die Komplexität im psychoanalytischen Versuch, gesunde wie pathologische Angsterscheinungen von ihrer inneren Dynamik und zugleich auch von ihren äußeren Determinanten her ver- stehen zu können, spiegelt sich auch in der Vielfalt an Konzepten wider, die hierüber entwickelt worden sind.

Ziel des Buches ist es, alle wesentlichen Konzepte darzustellen und zu untersuchen, die zum Phänomen der Angst in der frühen Psychoanalyse aufgestellt worden sind.

Besondere Berücksichtigung erfahren dabei die einzelnen Angsttheorien von Sigmund Freud, weil er zum einen seine Auffassungen zur Angstproblematik im Laufe seines langen Forscherlebens bedeutend modifiziert hatte, und zum anderen, weil seine Auf- fassungen die elementare Grundlage für die Angstkonzepte anderer Autoren – blei- benden Epigonen wie späteren Dissidenten – abgegeben haben.

Neben den Theorien von Freud werden zahlreiche Beiträge zur Angst von weiteren Psychoanalytikern eingehend vorgestellt und diskutiert, die gerade in ihrem späteren Werk z. T. erheblich von ihrem geistigen Mentor abgewichen sind. Schwerpunktmä- ßig behandelt werden hier die Beiträge von Karl Abraham, Sàndor Ferenczi, Otto Rank, Ernest Jones, Paul Federn, Wilhelm Reich und Melanie Klein, die zu den wich- tigsten Vertretern der frühen Psychoanalyse gezählt werden.

Im zweiten Teil dieses Buches erfolgen Untersuchungen über die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zwischen den vorgestellten Konzepten. Auch wird die Frage ge- stellt, inwieweit sich die einzelnen Angstkonzepte hinsichtlich der Trieb-Umwelt- Kontroverse zuordnen lassen können. Kritische Betrachtungen zum frühen psycho- analytischen Angstverständnis und ein Ausblick auf die Auseinandersetzungen mit der Angst in der heutigen Psychoanalyse schließen die Untersuchungen ab.

Dieses Buch soll eine schon lange fällige Lücke in der psychoanalytischen Literatur schließen. Das Werk ist nicht nur ein umfassendes Kompendium über alle bedeutsa- men Konzepte, die über die Angst in der frühen Psychoanalyse aufgestellt worden sind, sondern es zeigt darüber hinaus durch präzise Untersuchungen die Entstehungs- bedingungen der einzelnen Beiträge auf, ihre Verbundenheiten und Differenzen. Hier- mit wird ein umfangreicher Beitrag zum komplexen Phänomen der Angst geliefert, der zugleich auch einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Psychoanalyse und ihrer zahlreichen Spaltungsbewegungen darstellt. Auch als Lehrbuch leistet das Werk gute Dienste.

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Guido Meyer

Konzepte der Angst in der Psychoanalyse

Band 1: 1895-1950

Vorwort von Raymond Borens

Brandes & Apsel

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Auf Wunsch informieren wir Sie regelmäßig über Neuerscheinungen in dem Bereich Psychoanalyse/Psychotherapie – Globalisierung/

Politisches Sachbuch/Afrika – Interkulturelles Sachbuch – Sachbücher/

Wissenschaft – Literatur.

Bitte senden Sie uns dafür eine E-Mail an info@brandes-apsel.de mit Ihrem entsprechenden Interessenschwerpunkt.

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Außerdem finden Sie unser Gesamtverzeichnis mit aktuellen Informationen im Internet unter: www.brandes-apsel-verlag.de und unsere E-Books und E-Journals unter: www.brandes-apsel.de Der Brandes & Apsel Verlag bedankt sich bei der

SIGMUND-FREUD-STIFTUNG zur Förderung der Psychoanalyse e. V.

für die Unterstützung bei der Publikation des Buches.

wissen & praxis 131 1. Auflage 2013 (E-Book)

1. Auflage 2005 (gedrucktes Buch)

© Brandes & Apsel Verlag GmbH, Frankfurt a. M.

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, Mikroverfilmung, Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen oder optischen Systemen, der öffentlichen Wiedergabe durch Hörfunk-, Fernsehsendungen und Multimedia sowie der Bereithaltung in einer Online-Datenbank oder im Internet zur Nutzung

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BLA

Inhalt

Danksagung ...9

Vorwort von Raymond Borens ...11

Zum Untersuchungsgegenstand ...13

Einleitung...19

TEIL I: KONZEPTE DER ANGST Kapitel I Die frühe Angsttheorie von Sigmund Freud...27

1.1 Darstellung der frühen Angsttheorie auf der Grundlage klinischer Phänomene ...27

1.2 Hintergründe der frühen Auffassungen ...38

1.3 Der Prototyp zum frühen Angstverständnis: »Der kleine Hans«...42

1.4 Die Angst, das Gefühl des Unheimlichen und die Verdrängung ...53

Kapitel II Die späte Angsttheorie von Sigmund Freud...57

2.1 Gründe der Revision, Konsequenzen für die frühe Auffassung...57

2.2 Die Integration der späten Angsttheorie mit der Strukturtheorie ...61

2.3 Die späte Angsttheorie in ihrem Verhältnis zur zweiten und dritten Triebtheorie Freuds...67

2.4 Der Schritt von der »Es-Psychologie« zur »Ich-Psychologie« ...72

2.5 Das Verhältnis von Angst und Gefahr ...74

2.6 Die Funktion des Ichs und die Abwehr...78

2.7 Klassifikationen der Angst...81

2.7.1 Traumatische Angst vs. Signalangst ...81

2.7.2 Neurotische Angst vs. normale Angst...82

2.7.3 Es- (Trieb-) Angst, Über-Ich-Angst, Realangst ...82

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BLA

2.8 Angstformen in Abhängigkeit der Entwicklungsphasen

und ihre »Traumata« für das Individuum... 84

2.9 Freuds Haltung zur Bedeutung des Geburtserlebnisses ... 89

2.10 Diskussion um eine »Ur-Angst« bei Freud ... 95

2.11 Synopsis ... 99

2.12 Freuds implizite Stimmung in »Hemmung, Symptom und Angst«... 101

Kapitel III Beiträge zur Angst von Karl Abraham... 105

3.1 Zur Person von Karl Abraham ... 105

3.2 Abrahams Beiträge zur Angst im klinischen Kontext ... 107

3.3 Abrahams Beiträge zur Libidoentwicklung als Grundlage für weitere Überlegungen zur infantilen Angst... 111

3.4 Die Beiträge von Abraham in Bezug zu Freuds Angstauffassungen... 113

Kapitel IV Beiträge zur Angst von Sàndor Ferenczi ... 115

4.1 Zur Person von Sàndor Ferenczi ... 115

4.2 Ferenczis Beiträge zur Angst in der infantilen Entwicklung... 117

4.3 »Ein kleiner Hahnemann« zur Ergänzung von Freuds »kleinem Hans«.. 121

4.4 Die tiefere Bedeutung der Kastrationsangst auf der Grundlage des »Versuchs einer Genitaltheorie«... 124

4.5 Auffassungen zur Angst in Verbindung mit Freuds Todestriebtheorie. 127 4.6 Die Beiträge von Ferenczi in Bezug zu Freuds Angstauffassungen... 130

Kapitel V Beiträge zur Angst von Otto Rank... 135

5.1 Zur Person von Otto Rank... 135

(8)

BLA

mittelalterlichen Hexen- und Aberglauben ...163

6.3 Die Bedeutung der Angst in den Phänomenen der Kälte, Krankheit und Geburt ...168

6.4 Die Theorie der »Furcht vor Aphanisis«...170

6.5 Die »Furcht vor Aphanisis« in weiterer Betrachtung...172

6.6 Die Beiträge von Jones in Bezug zu Freuds Angstauffassungen ...178

Kapitel VII Beiträge zur Angst von Paul Federn...191

7.1 Zur Person von Paul Federn...191

7.2 Federns Ichpsychologie und die Konsequenz für Freuds Narzißmustheorie...193

7.3 Entfremdung des Ichgefühls, Depersonalisation und das Entstehen von Angst ...199

7.4 Die Beiträge von Federn in Bezug zu Freuds Angstauffassungen...207

Kapitel VIII Beiträge zur Angst von Wilhelm Reich...213

8.1 Zur Person von Wilhelm Reich...213

8.2 Die funktionelle Gegensätzlichkeit von Sexualität und Angst...217

8.3 Genitale Sexualität und »Orgasmusangst«...218

8.4 Die Angst in der psychischen Repräsentanz der Persönlichkeit ...225

8.5 Reichs Sexualökonomie: Ein Plädoyer für die frühe Angsttheorie Freuds . 228 8.6 Die Beiträge von Reich in Bezug zu Freuds Angstauffassungen...231

Kapitel IX Beiträge zur Angst von Melanie Klein...237

9.1 Zur Person von Melanie Klein...237

9.2 Ängste in den »Frühstadien des Ödipuskonfliktes«...240

9.3 Kindliche Angst in Verbindung mit Aggression...247

9.4 Angst als Triebkonflikt ...250

9.5 Phantasieinhalte von Ängsten ...256

9.6 Die Charakterisierung infantiler Angstsituationen durch die Einführung spezifischer Entwicklungspositionen...260

9.7 Die Fähigkeit zur Objektrepräsentation in Verbindung mit der Angst ..265

9.8 Die Beiträge von Klein in Bezug zu Freuds Angstauffassungen ...267

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BLA

TEIL II: DISKUSSION

Kapitel X

Zusammenfassung der behandelten Angstkonzepte im

Bezug zum Werk Freuds... 279

10.1 Die theoretische Matrix... 279

10.2 Gemeinsamkeiten zu den Freudschen Auffassungen ... 281

10.3 Unterschiede zu den Freudschen Auffassungen... 283

Kapitel XI Zuordnung der einzelnen Angstkonzepte hinsichtlich ihrer Schwerpunktsetzung in der Trieb-Umwelt-Kontroverse... 287

11.1 Biologische Faktoren versus soziale Faktoren in der Angstgenese... 287

11.2 Versuch einer Zuordnung... 290

11.3 »Dreh- und Angelpunkte« der psychoanalytischen Theorien zur Angst... 298

Kapitel XII Abschließende Bemerkungen... 301

12.1 Resümee ... 301

12.2 Ausblick auf die gegenwärtige Auseinandersetzung mit der Angst in der Psychoanalyse... 307

12.3 Über den zweiten Band der Konzepte der Angst in der Psychoanalyse (1950-1999) ... 314

Anmerkungen... 317

Literaturverzeichnis... 353

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DANKSAGUNG

Danksagung

»Aber allem bloß Wahrhaften ist unvermeidlich ein Senfkorn Bitternis und Skepsis beigemengt, über allem bloß vernunft- haft Aufklärenden und Analysierenden schattet eine gewisse tragische Düsternis. Etwas Entgötterndes haftet unleugbar an der Psychoanalyse (...).«

Stefan Zweig, 1931, S. 108

Dem vorliegenden Text liegt die vollständig überarbeitete und leicht erwei- terte Version der Diplomarbeit mit dem Titel »Konzepte der Angst in der frühen Psychoanalyse« zugrunde, die ich im Juni 1998 am Psychologischen Institut der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn zum Ab- schluß meines Studiums in Psychologie vorgelegt hatte. Den beiden damali- gen Gutachterinnen, Frau Prof. Dr. Annette Boeger und Frau Prof. Dr. Inge Seiffge-Krenke, möchte ich hiermit noch einmal meinen herzlichsten Dank aussprechen für ihre Kooperationsbereitschaft und das Interesse, das sie der Arbeit entgegengebracht haben. Auch Herrn Prof. Dr. Jürgen Bredenkamp, dem damaligen Vorsitzenden des Prüfungsausschusses, möchte ich meinen Dank aussprechen. Herr Bredenkamp beschäftigt sich seit Jahren u. a. inten- siv mit der empirischen Überprüfbarkeit psychoanalytischer Hypothesen, einem Forschungsfeld, dem leider immer noch viele andere im akademischen und wissenschaftlichen Bereich tätige Diplom-Psychologen/Psychologinnen die Fruchtbarkeit weitestgehend absprechen. Wenngleich auch das vorlie- gende Buch keiner experimentell-empirischen Untersuchung eines psycho- analytischen Hypothesenkomplexes gewidmet ist, so hoffe ich dennoch, daß es auch für diesen Kontext einige Inspirationen liefern kann.

Weiterhin möchte ich Frau Dr. Marina Leitner aus Salzburg und Herrn Dr.

Ludwig Janus aus Heidelberg danken, die das Skript dieser Arbeit für die geplante Veröffentlichung schon vor längerer Zeit gelesen hatten und mir fruchtbare Rückmeldungen gegeben haben. Besonderen Dank schulde ich Herrn Dr. Raymond Borens aus Basel, der wesentlich zur Ermöglichung der Veröffentlichung beigetragen hat. Ich denke oft an die Zeit zurück, wo ich

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DANKSAGUNG

über mehrere Semester bei ihm in Basel ein Seminar über Jacques Lacan be- suchen konnte.

Abschließend möchte ich der SIGMUND-FREUD-STIFTUNG ZUR FÖR- DERUNG DER PSYCHOANALYSE e. V. in Frankfurt am Main, und ganz besonders Frau Dipl.-Psych. Sibylle Drews ganz herzlich danken für das Inte- resse an meiner Arbeit und für die finanzielle Unterstützung.

Bad Münstereifel, im Dezember 2004, Guido Meyer

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VORWORT

Raymond Borens Vorwort

Angst ist ein immer häufiger auftretendes Phänomen in unserer Zeit. Angst- und Panikstörungen nehmen exponentiell zu. Gleichzeitig findet eine Refle- xion sowie eine fundierte Auseinandersetzung mit diesem Leiden immer weniger statt; der Zugang zu ihm wird zunehmend reduziert auf eine instru- mentell-technische Angelegenheit. Mit den somato-psycho-sozialen Kontext kaum einbeziehenden Verfahren wie Verhaltenstherapie, kognitive Verfahren oder Psychopharmakologie wird versucht, Angst und Panik in den Griff zu bekommen; dabei wird übersehen, daß sie es ist, die uns nicht nur im Griff hat, und daß es gilt, dieses Ausgeliefertsein mit zu berücksichtigen. Sondern dieses Ausgeliefertsein ist immer auch ein Symptom, d. h. ein Gebilde, wel- ches das Subjekt zusammenhält und ihm Zugang zu seinem (neurotischen) Geniessen ermöglicht – man denke nur an den Aspekt der Angstlust. Aller- dings zeigt es sich immer deutlicher, daß diese Verfahren, abgesehen von einer gewissen, leider oft nicht ungefährlichen Oberflächenkosmetik, keine bleibenden Besserungen erzielen können. Immer mehr Leute, die diesen Prozeduren unterzogen wurden, kommen in die psychotherapeutische (psy- choanalytische) Praxis und berichten darüber, daß ihre Ängste sich zwar unter der Behandlung modifiziert haben, daß aber gerade dadurch umso drängendere Fragen und Probleme aufgetaucht sind, denen ihre Therapeuten ratlos oder gar abweisend gegenüber stehen. Damit wird eine der letzten Befunde der lebenslangen Beschäftigung Freuds mit der Angst bestätigt, daß sie nämlich ein Signal ist, das auf eine Gefahrenquelle für das Ich hinweist, und daß es folglich nicht darum geht, Angst einfach beseitigen zu wollen. Im Gegenteil, sie soll zu Wort kommen, um ihre komplexe Struktur als ein Ge- schehen an der Schnittstelle zwischen Soma, Psyche und Gesellschaft zu entfalten und Hinweise auf die psychische Struktur und ihre Schwachstellen beim ängstlichen Subjekt zu geben.

Freud hat Jahrzehnte mit der »Angst« gerungen und in immer neuen Anläu- fen in seiner Praxis versucht, das Leiden praktisch und theoretisch (beide Ansätze sind dabei nicht voneinander zu trennen) zu erfassen. Ebenso beug- ten sich seine Mitstreiter in der »wilden Horde« sowie seine Nachfolger über

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VORWORT

die Angst, und sie ist in der Auffassung der Psychoanalytiker weit davon entfernt, zufriedenstellend beantwortet zu sein. Die reiche Ernte dieser An- strengungen – die nicht abgeschlossen sind – erweiterte unsere Kenntnisse erheblich und erlaubt uns in unserer klinischen Arbeit ein zunehmend diffe- renzierteres Verständnis, das sich seinerseits in einem konsequenteren Um- gang mit der Angst niederschlägt.

Es ist das Verdienst des vorliegenden Buches, daß in ihm Guido Meyer äusserst detailliert und kenntnisreich aufgrund seines genauen Quellenstudiums den komplexen Zugängen und Ausarbeitungen Freuds, seiner psychoanalytischen Weggefährten und seiner Schüler zum Thema der Angst bis ins Jahr 1950 etwa nachgeht. Es entstand damit sowohl ein Nachschlagewerk als auch eine gut lesbare Darstellung der Entfaltung eines Denkens in seiner Auseinander- setzung mit der zwar primär gegebenen, aber sich immer wieder dem Zugriff entziehenden Angst. Annäherungen an das Phänomen, Entwicklungen, aber auch nicht seltene Fehlentwicklungen bei einzelnen Autoren, etwa durch einseitige Hervorhebung von einzelnen Aspekten der Angst, werden in ihrer gegenseitigen Befruchtung und Präzisierung herausgearbeitet.

Es bleibt zu wünschen, daß Guido Meyer seine Arbeitskraft und seine schöpfe- rische Neugier weiterhin in die Erforschung der Wege des Denkens um die Angst einbringt und daß er zusammen mit dem Verlag uns bald ein weiteres Buch zur Verfügung stellen wird, in dem die psychoanalytisch-psychothera- peutischen Denkansätze seit den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts bis heute wiederum so überzeugend dargestellt werden.

Basel, im Dezember 2004

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ZUM UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND

Zum Untersuchungsgegenstand

»Angst gehört unvermeidlich zu unserem Leben. In immer neuen Abwandlungen begleitet sie uns von der Geburt bis zum Tode. Die Geschichte der Menschheit lässt immer neue Ver- suche erkennen, Angst zu bewältigen, zu vermindern, zu überwinden oder zu binden.«

Fritz Riemann, 1989, S. 7

Gegenstand der Untersuchung des vorliegenden Buches sind Konzepte der Angst in der frühen Psychoanalyse. Mit der Bezeichnung »frühe« Psycho- analyse soll der Zeitraum vom Beginn der Psychoanalyse (ca. ab 1895) bis zum Tode Freuds im Jahre 1939 gemeint sein. Das Jahr 1939 bietet sich als grober Eckpunkt nicht nur aus dem Grunde an, weil in diesem Jahr am 23.

September Freud im Alter von 83 Jahren verstorben ist, sondern auch weil mit dem Zeitpunkt des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges die Weiterent- wicklung der psychoanalytischen Forschung und deren Etablierung sowohl in Europa als auch in den USA weitestgehend stagnierte. Durch die Wahl dieses zeitlichen Eckpunktes werden auch die Konzepte, welche nach 1939 weitere Ausarbeitungen und Fortentwicklungen erfahren haben, bis auf einige Aus- nahmen im wesentlichen nicht weiter berücksichtigt, auch wenn sie bis zu diesem Datum Gegenstand der zentralen Untersuchung sein werden (so wird z. B. schwerpunktmäßig nur der »frühe« Wilhelm Reich mit seinen Arbeiten bis ca. 1950 oder die »frühe« Melanie Klein mit ihren Ausführungen bis ca.

1950 behandelt). Aus diesem Grunde ist der gesamte zeitliche Rahmen für diesen Band von 1895 bis 1950 definiert worden.

Alle Konzepte, die einer Untersuchung unterzogen werden, basieren auf den geistigen Grundlagen der Freudschen Psychoanalyse. Von daher werden solche Autoren nicht behandelt, die sich bereits sehr früh von Freud getrennt haben und außerhalb seiner »Lehre« eigene Paradigmen begründeten, welche mit den Freudschen Auffassungen zunehmend nicht mehr in Einklang ge- bracht werden konnten. Zu nennen sind hier vor allem die Namen Alfred Adler (1870-1937), Wilhelm Stekel (1868-1940) und Carl Gustav Jung (1875-1961), die nach der Trennung aus dem Kreis um Sigmund Freud nach dem ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts eigenständige Schulen innerhalb der tiefenpsychologischen Bewegung etabliert haben (vgl. über die

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ZUM UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND

Spaltungsbewegungen in der Geschichte der Psychoanalyse etwa den Ta- gungsband von Hermanns, 1995, und über die Hauptströmungen der tiefen- psychologischen Schulen z. B. Eicke, 1982c; Pongratz, 1983; Rattner, 1990).

Gerade Wilhelm Stekel, der ursprünglich aufgrund immer wiederkehrender neurotischer Beschwerden Freuds Patient gewesen ist (vgl. Roazen, 1976, S.

217), hat sich noch zur Zeit seiner Zugehörigkeit zum Kreis um Freud inten- siv mit dem Problem der Angst auf der Grundlage von Freuds früher, klinisch ausgerichteter Angsttheorie auseinandergesetzt. In der Wiener Psychoanalyti- schen Vereinigung, die 1908 aus den 1902 begonnenden Psychologischen Mittwoch-Abend-Sitzungen entstanden ist, hat Stekel alleine insgesamt fünf Vorträge über das Thema der Angst in ihrer psychologischen wie auch klini- schen Bedeutung gehalten (das sind die Vortragsabende vom 24.04.1907 über die »Psychologie und Pathologie der Angstneurose«, in Nunberg/Fe- dern, 1976, S. 165-171, dann über »Die somatischen Äquivalente der Angst und ihre Differentialdiagnose« vom 09.10.1907, in ebda., S. 191-198, weiter- hin über die »Analyse eines Falles von Angsthysterie« vom 20.11.1907, in ebda., S. 228-232, ferner über »Zwei Fälle von Angsthysterie« vom 27.11.1907, in ebda., S. 233-238 und schließlich über »Ein Fall von traumati- scher Neurose« vom 15.12.1909, in Nunberg/Federn, 1977, S. 320-330). Die bis auf den zuletzt genannten Vortrag gehaltenen Referate beinhalteten Un- tersuchungen und Überlegungen, welche Stekel daraufhin in seinem Buch mit dem Titel »Nervöse Angstzustände und ihre Behandlung« (Stekel, 1908) einfliessen ließ. Zu diesem Buch hatte Freud seinerzeit selber ein Vorwort verfasst (Freud, 1908f). 1911 kam es dann aufgrund von verschiedenen wis- senschaftlichen und paradigmatischen Streitereien zum Bruch mit Freud und seinem Kreis, dem sich Stekel später wieder gerne angeschlossen hätte, was ihm aber durch die ablehnende Haltung der meisten Teilnehmer (einschließ- lich der von Freud) verwehrt blieb. Seine Beiträge sind aus diesem Grunde in den nachfolgenden Untersuchungen und Diskussionen nicht weiter berück-

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ZUM UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND schaftsordnung. Alleine aus diesem Beitrag liessen sich weitere psychoana- lytische Hypothesen zu einer Angstkonzeptbildung der frühen analytischen Epoche generieren.

Da die in der vorliegenden Untersuchung enthaltenen Theorien auf den grund- legenden frühen und späteren Auffassungen Freuds über die Angst basieren, sollen die Ausführungen des Begründers der Psychoanalyse die umfangreich- ste Darstellung und Ausarbeitung erfahren. Die Beiträge zur Angst anderer analytischer Autoren können nur dann erst hinreichend verstanden werden, wenn die wesentlichen Freudschen Ausführungen zu diesem Thema vertraut gemacht worden sind.

Die Auswahl der behandelten Autoren/innen mit ihren Beiträgen zur Angst ist nach dem Kriterium ihrer Bedeutsamkeit getroffen worden. Alle wichti- gen Analytiker/innen, die grundlegende Beiträge zum Phänomen der Angst geliefert haben und die heute noch die Diskussionen in der theoretischen wie in der angewandten Psychoanalyse beherrschen, werden behandelt. Dabei werden nicht nur ihre Ausarbeitungen zusammengefaßt dargestellt und dis- kutiert, sondern es wird auch auf biographische und historische Hintergründe der jeweiligen Analytiker/innen und ihren Theorien etwas eingegangen, da ein Vergleich der einzelnen Angsttheorien untereinander ohne diese Berück- sichtigungen nicht tiefschürfend genug erfolgen kann. Eine komplette Aufli- stung aller Arbeiten, die in der gesamten psychoanalytischen Bewegung von ca. 1905 bis ca. 1950 über das Thema verfasst worden sind, soll und kann hier jedoch nicht erfolgen, da eine solche Zusammenstellung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde und nicht ihrer Intention entsprechen dürfte.

Eine solche Auflistung könnte nur einer eigenständigen Arbeit gerecht wer- den, die eigens dafür geschrieben werden müsste.

Die Darstellung der Angstkonzepte soll nicht primär auf dem Hintergrund einer speziellen Psychopathologie bzw. einer spezifischen psychodynami- schen Krankheitslehre erfolgen, so wie sie von vielen Autoren explizit für einzelne Störungsbilder (wie z. B. für »hysterische« Erkrankungen, Zwangs- störungen, Angststörungen, Perversionen, Psychosen usw.) weiter ausgear- beitet und diskutiert worden sind. Der Fokus der Untersuchung liegt vielmehr auf den grundlegenden Auffassungen, die zum Syndromkomplex bzw. zum Phänomen der Angst formuliert worden sind und die sich in solche Kon- strukte wie »Kastrationsangst«, »Angst vor Objektverlust«, »Über-Ich-Angst«,

»Angst vor Triebüberflutung oder -verlust«, »geburtstraumatische Angst«,

»Angst vor der eigenen, triebbedingten Destruktion« oder etwa »Orgasmus- angst« und dgl. mehr niedergeschlagen haben.

Das vielgestaltige und komplexe Phänomen der Angst kann in seiner Dar-

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ZUM UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND

stellung der einzelnen theoretischen Konzeptionen nicht losgelöst von ande- ren, mit ihm zusammengehörigen Themenkomplexen verständlich genug ab- gehandelt werden. So können etwa die Ausführungen zur Angst von Melanie Klein nicht losgelöst von ihren entwicklungspsychologischen Betrachtungen diskutiert werden oder die Auffassungen zur Angst von Paul Federn nicht unabhängig von seiner Ich-Psychologie und der damit verbundenen Modifi- kation der Freudschen Narzißmustheorie. Andererseits jedoch können diese übergeordneten Themenbereiche auch keine eingehendere Behandlung erfah- ren. Von daher ist ein Kompromiß getroffen worden, indem in den entspre- chenden Beiträgen zur Angst nur soweit auf die mit ihnen verbundenen mo- difizierten oder erweiterten analytischen Annahmen eingegangen wird, wie es zum unmittelbaren Verständnis erforderlich ist.

Da das vorliegende Buch ein Werk der psychoanalytischen Literatur darstellt, werden grundlegende psychoanalytische Termini nicht eigens erläutert, zu- mal das allgemeine intellektuelle Gedankengut die wesentliche Terminologie der Psychoanalyse assimiliert hat. Alle spezifischeren Begriffe jedoch, die nicht unbedingt zum »Grundvokabular« der Psychoanalyse gehören (Glossa- re der elementaren psychoanalytischen Terminologie bieten z. B. die Werke von Auchter/Strauss, 2003; Laplanche/Pontalis, 1992; Mertens, 1997; Mer- tens/Waldvogel, 2002; Nagera, 1989 oder Roudinesco/Plon, 2004), wie bei- spielsweise »Verschiebungsprozesse in der phobischen Ausbildung«, »Libi- doregression« oder »Periode der magisch-halluzinatorischen Allmacht« wer- den im Text eingehend erläutert.

Die Darstellung der einzelnen Angstkonzepte einschließlich der Ausführung einiger biographischer Informationen zu den jeweiligen Autoren erfolgt in den Kapiteln I bis IX und nimmt somit den größten Raum dieses Buches ein.

Die letzten drei Kapitel (Kapitel X bis XII) beinhalten eine Zusammenfas- sung über die jeweiligen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den einzelnen behandelten Theorien (Kapitel X), eine Untersuchung über die

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ZUM UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND welche sich die vorliegenden Ausarbeitungen stützen, fast ausschließlich aus der Primärliteratur zusammensetzt. Gerade die Angsttheorien von Freud sind in der Sekundärliteratur vielfach beschrieben und zusammengefasst worden (so z. B. von Compton, 1972a, 1972b, 1992a, 1992b; Eicke, 1982b, S. 509- 520; Eickhoff, 1992, S. 7-30; Köhler, 1993, S. 253-260; Kuiper, 1988, S.

116-120; Laplanche/Pontalis, 1992, S. 64-69; Mertens, 1990, S. 101-112;

Nunberg, 1959, S. 219-242; Thomä/Kächele, 1992, S. 423-428; Tress, Schei- be/Reister, 1995, S. 366-369), dennoch stützen sich die hier ausgeführten Ausarbeitungen auf das Gesamtwerk von Sigmund Freud selbst. Nur stellen- weise sollen – und ganz ausnahmsweise, sofern dazu eine Notwendigkeit be- steht – Werke der Sekundärliteratur Erwähnung finden.

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ZUM UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND

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EINLEITUNG

Einleitung

»... es steht fest, daß das Angstproblem ein Knotenpunkt ist, an welchem die verschiedensten und wichtigsten Fragen zu- sammentreffen, ein Rätsel, dessen Lösung eine Fülle von Licht über unser ganzes Seelenleben ergießen müßte. Ich wer- de nicht behaupten, daß ich Ihnen diese volle Lösung geben kann, aber Sie werden gewiß erwarten, daß die Psychoanalyse auch dieses Thema ganz anders angreifen wird als die Medizin der Schulen.«

Sigmund Freud, 1916-17, S. 408

In ihrem Buch über »Panik – Angstanfälle und ihre Behandlung« (Margraf/

Schneider, 1990) betonen die Autoren Jürgen Margraf und Silvia Schneider in der Einleitung, daß das Phänomen der Angst (aus dem lat.: angustiae = Enge) und die damit verbundenen Störungen ein großes Interesse bei Prakti- kern und Wissenschaftlern genießen, was »die langjährige Vernachlässigung dieses Phänomens umso erstaunlicher erscheinen« (ebda., S. 5) läßt. Den beiden Autoren dieses Buches kommt es nicht nur darauf an, kognitive und behaviorale Theorien zur Entstehung und zur Aufrechterhaltung von Angst- störungen zusammenzutragen und zu diskutieren, sondern vorwiegend auch effektive Interventionsstrategien zu entwickeln, die im Rahmen psychothera- peutischer Behandlungen eingesetzt werden können. Ihre Ausführungen über die aktuelle Epidemiologie von Angststörungen machen deutlich, daß sowohl in theoretischer wie auch in praktischer Hinsicht ein großer Bedarf an For- schung und Erkenntnisgewinn existiert.

Eine vergleichbare Aktualität des Themas der Angst gerade in Bezug zu den Störungsbildern, in denen der Symptomenkomplex der Angst zum integralen Bestandteil gehört, läßt sich auch um die Jahrhundertwende (vom 19. zum 20. Jahrhundert) in der westlichen Welt aufzeigen. Der französische Histori- ker Jean Delumeau geht in seinen umfangreichen Untersuchungen über die

»Angst im Abendland« (siehe Delumeau 1985a, 1985b) noch weiter zurück und erläutert das Entstehen und die Verbreitung kollektiver Ängste vom 18.

bis zurück in das 14. Jahrhundert vorwiegend durch die Einflüsse kultureller, soziologischer und historischer Ereignisse. In seinen großangelegten Studien beschreibt er die multiplen, epidemisch auftretenden Ängste der Bevölkerun- gen vor der Pest, vor Kriegen, Hungersnöten, destruktiven Massenaufstän-

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EINLEITUNG

den, ethnischen Konflikten und Naturgewalten. Besondere Berücksichtigung erfahren auch die von der Kirche und durch das Schisma genährten eschato- logischen Ängste vor der Apokalypse, dem Jüngsten Gericht, der Macht Sa- tans und seinen angedichteten Epigonen (insbesondere Frauen, Hexen und Juden) und daraus resultierenden Verfolgungen mit Hexen- und Ketzereipro- zessen, denen Hunderttausende zum tragischen Opfer fielen. Delumeau zeigt somit minutiös auf, daß der »Glanz« der sogenannten heroischen Epoche, be- ginnend mit der Zeit vor der Renaissance bis hin zu den bürgerlichen Befrei- ungsbewegungen im Zeitalter der Aufklärung überschattet wurde von einer – individuellen wie kollektiven – Angst, die in das Leben des Menschen bis in seine tiefste Grundsubstanz gewaltsam eindrang. Seine Studien beinhalten zwar direkt keine psychologischen Analysen, doch sind sie auch für eine psychologische Auseinandersetzung mit dem Phänomen der individuellen wie der kollektiven Angsterscheinungen von einem außerordentlichen und auch nach wie vor aktuellen Interesse.

Dieses verbreitete Auftreten von Angststörungen, welches sich auch am Ende des vorletzten Jahrhunderts deutlich konstatieren ließ, hat viele Forscher angeregt, sich diesem Phänomen zu widmen. Einer dieser Forscher war Sig- mund Freud, der in seiner 1886 eröffneten Praxis in Wien sich bevorzugt mit den »Nervenkrankheiten« auseinandersetzte und dort auch das Phänomen der Angst bei seinen Patienten näher untersuchte. Zu welchen Resultaten er dort bereits gelangte, ca. zehn Jahre vor Begründung der eigentlichen Psychoana- lyse, wird in Kapitel I (unter den Punkten 1.1 und 1.2) näher dargelegt wer- den. Mit der Entwicklung der Psychoanalyse, die zu Beginn erst eine Be- handlungsmethode für psychisch Kranke darstellte und sich ab 1900 (mit dem Erscheinen der »Traumdeutung«; siehe Freud, 1900a) zunehmend zu einer eigenständigen Psychologie weiterentwickelte, zur sogenannten Psychologie des Unbewußten (vgl. Freud, 1925d, S. 73), ist auch ein Schritt unternommen worden, das Phänomen der Angst mit ihren unterschiedlichsten Erscheinungs-

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EINLEITUNG dieselbe über die Natur des Menschen als einem selbstbewußten, denkenden und fühlenden Wesen zu beschreiben. Ein Weg dazu bestand in der phäno- menologischen Betrachtung der Angst. Die andere Strömung griff das Phä- nomen der Angst von ihrer pathologischen Seite her auf. Dies war Aufgabe der Mediziner und »Irrenärzte«, sich mit den Angsterscheinungen ihrer Pati- enten auseinanderzusetzen und hypothetische Erklärungsmodelle zu liefern.

Diese Erklärungsansätze basierten im wesentlichen auf dem Versuch, Angst- affekte und ihre Konditionen auf organische Grundlagen zurückzuführen.

Man sagte, »die Medulla oblongata sei gereizt, und der Kranke erfährt, daß er an einer Neurose des Nervus vagus leidet« (Freud, 1916-17, S. 408). Patien- ten, die unter Angstzuständen litten, sei es in Form von Phobien, Panikattak- ken oder generalisierten Angststörungen, galten als »nervös«, hereditär bela- stet oder konstitutionell geschwächt. Da man nach organischen, physiologi- schen und neurologischen Substraten forschte, blieb die Auseinandersetzung mit den klinischen Formen der Angst den Medizinern überlassen, die ihrer- seits durch ihre schulisch bedingte, vorwiegend mechanistisch geprägte Denk- weise an das Phänomen herangegangen sind.

Neben den philosophischen und medizinisch-psychiatrischen Auseinander- setzungen beschäftigte sich auch die Evolutionsbiologie schon früh mit der Angst. Charles Darwin (1809-1882) verglich in seinen Beobachtungen die Symptome der Angst bei Tieren verschiedener Spezies mit denen beim Men- schen und kam zu der Auffassung, daß der Angst eine evolutionäre Bedeu- tung für den Erhalt des eigenen Organismus wie auch den der ganzen Art zukomme. Da die Angst, die er als eine universal vorkommende Emotion be- trachtete, den Organismus auf eine Gefahr vorbereite, mit welchem dieser dann mittels bestimmter Defensivstrategien seine Existenz zu verteidigen suche, erhalte die Angst eine lebenswichtige Funktion.

Angeregt durch diese Betrachtungen entstanden um die Jahrhundertwende eine ganze Reihe von Theorien, die sich mit der Emotion der Angst und ihren Funktionen auseinandergesetzt haben. Erwähnt seien nur die Theorien von William James und von Carl Lange, die wiederum in den zwanziger Jahren von Walter Cannon kritisiert worden sind, der selber Untersuchungen zur

»Kampf-Flucht-Reaktion« durchführte und eigene theoretische Konzepte entwarf (siehe darüber z. B. Meyer, Schützwohl & Reisenzein, 1993).

Eine andere Zugangsweise zur Erklärung der Angst und der mit ihr verbun- denen Störungen, die nach der Jahrhundertwende sich etablierte und mit der Psychoanalyse in schärfste Konkurrenz treten sollte, bildete der Behavioris- mus, der in seiner ursprünglichen Form von John Broadus Watson (1878- 1958) vertreten worden ist. Watson, der übrigens selber unter einer phobi-

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EINLEITUNG

schen Furcht vor Dunkelheit gelitten haben soll (siehe Meyer, Schützwohl &

Reisenzein, 1993, S. 46), veröffentlichte 1913 sein behavioristisches Mani- fest mit dem Titel »Psychology as the Behaviorist views it«. Psychologie stellt für ihn einen vollkommen objektiven, experimentellen Zweig der Na- turwissenschaft dar. Um diesen naturwissenschaftlichen Status zu erhalten, müsse auf sämtliche Formen der Introspektion und der Verwertung subjek- tivverbaler Daten verzichtet werden, wie sie etwa in den Untersuchungen von Wilhelm Wundt in Leipzig zur Erforschung spezifischer Phänomene (vorwie- gend der Wahrnehmung) verwendet wurden. Theoretisches Ziel seiner Auf- fassungen ist die Vorhersage und Kontrolle von beobachtbaren Verhalten.

Watsons Ansatz basiert auf den Untersuchungen zur »klassischen Konditio- nierung« des russischen Physiologen Iwan P. Pawlow (über Watsons Nähe, aber jedoch auch Abgrenzung zu Pawlow siehe etwa Amsel & Rashotte, 1984, S. 92ff.). Auch Watson ging von angeborenen (ungelernten) emotiona- len Reaktionsmustern aus, die er in drei elementare Gruppen der Furcht, der Wut und der Liebe klassifizierte. Die Auslösung solcher emotionaler Re- aktionen erfolge durch die Darbietung verschiedener Reize (laute Geräusche, Behinderung der Motilität usw.), die sich mit neutralen (d. h. nicht ursprüng- lich reaktionsauslösenden) Stimuli koppeln lassen, so daß nach einer hinrei- chenden Konditionierungsphase der ursprüngliche neutrale Reiz alleine (jetzt CS = conditioned stimulus) das angeborene Reaktionsmuster auslösen kann.

Nachdem sich Watson mit experimentellen Untersuchungen, die an Tieren durchgeführt worden waren, lange Zeit beschäftigt hatte, veröffentlichte er zusammen mit der damaligen Psychologie-Studentin Rosalie Rayner 1920 eine Studie, in der er über konditionierte Auslöser von Furchtreaktionen be- richtet, die an einem neun Monate alten Kind, dem »kleinen Albert«, experi- mentell hervorgerufen werden konnten (siehe Watson & Rayner, 1920). Der Fall des kleinen Albert ist so bekannt, daß er hier nicht weiter beschrieben werden braucht.

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EINLEITUNG den »kleinen Hans« (in Freud, 1909b) dargestellt hat, auf polemischste Weise kritisiert worden sind. Als Beispiel diene nur Watsons Spekulationen dar- über, wie die sogenannten »Freudianer« die Entstehung der Phobie seines kleinen Albert interpretieren würden, wenn sie die Gelegenheit gehabt hätten, ihn in analytische Behandlung zu nehmen (siehe das Zitat von Watson &

Rayner in Meyer, Schützwohl & Reisenzein, 1993, S. 64).1

So wie der kleine Albert zum Prototyp der ätiologischen Erklärung phobi- scher Erkrankungen von den Behavioristen hochstilisiert worden ist, so kann Freuds Analyse der Phobie des kleinen Hans und der daraus gewonnenen Erkenntnisse als prototypisch für die Auffassungen der frühen Psychoanalyse zur Entstehung phobischer Ängste angesehen werden. In Kapitel I (unter Punkt 1.3) wird dieser Fall näher beschrieben.

Mit dieser gedrängten Skizzierung der damaligen Auseinandersetzungen mit dem Phänomen der Angst um die Jahrhundertwende (vom 19. zum 20. Jahr- hundert) und den darauf folgenden Jahrzehnten sollte sozusagen das wissen- schaftliche Klima veranschaulicht werden, in welchem Freud seine Auffas- sungen zur Angst begründete und sie später modifizierte. Das Begründen von Theorien kann nicht nur auf dem Hintergrund einer wissenschaftlichen Be- wegung, wie sie mit der zunehmenden Anerkennung der Psychoanalyse ab ca. 1910 in Gang gekommen war, verstanden werden, sondern es muß dar- über hinaus das Gesamtkolorit der damaligen Wissenschaft in Betracht gezo- gen werden, um zu einem umfassenderen Urteil zu gelangen.

In dem Lehrbuch mit dem Titel »Angst- und Panikerkrankungen« (herausge- geben von S. Kasper und H.-J. Möller, 1995) schreiben W. Tress, G. Scheibe und G. Reister zu Beginn ihrer Ausführungen über psychoanalytische Mo- dellvorstellungen zur Ätiologie von Angstkrankheiten im historischen Rück- blick zusammenfassend: »Die psychologische Angstforschung beginnt mit S.

Freud, dem Begründer der Psychoanalyse. Aber nicht nur historisch kommt ihm die Priorität zu, sondern die von Freud gelegten methodischen und theo- retischen Fundamente erweisen sich bis heute als fruchtbar.« (Tress, Schei- be/Reister, 1995, S. 366) Der Aussage dieser Autoren kann wohl uneinge- schränkt zugestimmt werden, wie die folgenden Untersuchungen detailliert auf- zeigen werden.

Es gibt wohl kaum eine zweite wissenschaftliche Bewegung, die das Men- schenbild des 20. Jahrhunderts so nachhaltig beeinflußt hat, wie die Psycho- analyse von Sigmund Freud (vgl. z. B. Kornbichler, 1989). Hinzu kommt, daß die »Freudsche Richtung der Psychoanalyse (...) anerkanntermaßen die umfangreichste Theorienbildung hervorgebracht (hat)« (Eicke, 1982a, S.

XIII). Diese umfangreiche Theorienbildung in der Psychoanalyse zeichnet

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EINLEITUNG

sich auch in ihren vielfältigen Betrachtungen zum Phänomen der Angst ab.

Das vorliegende Buch möchte dem Leser einen vertieften Einblick in diese psychoanalytischen Auseinandersetzungen über die Ängste des Menschen verschaffen.

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Teil I:

KONZEPTE DER ANGST

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DIE FRÜHE ANGSTTHEORIE VON SIGMUND FREUD

KAPITEL I

Die frühe Angsttheorie von Sigmund Freud

»Daß die Angst meiner Neurotischen viel mit der Sexualität zu tun hat, ist mir rasch klar geworden (...). Ich bin nun zuerst verschiedene Irrwege gegangen.«

Sigmund Freud an Wilhelm Fließ in einem Brief vom 06.06.1894; in: Freud, 1985c, S. 71

1.1 Darstellung der frühen Angsttheorie auf der Grundlage klinischer Phänomene

In seiner Arbeit mit dem Titel »Über die Berechtigung, von der Neurasthenie einen bestimmten Symptomenkomplex als ›Angstneurose‹ abzutrennen«

(Freud, 1895b) veröffentlichte Sigmund Freud2 zum ersten Mal seine Auffas- sungen zur Genese von Angststörungen, die seinerzeit unter dem Begriff der

»Angstneurosen« bezeichnet worden waren. Ein Jahr vorher, in seiner Arbeit über »Die Abwehr-Neuropsychosen« (Freud, 1894a), entwarf Freud schon einen Versuch, eine psychologische Theorie über bestimmte hysterische Er- krankungsformen, Phobien, Zwangserscheinungen und halluzinatorischen Psychosen zu erstellen, wobei er dort die Erfahrungen über dissoziierte Zu- stände, »falschen Verknüpfungen« (Freud, ebda., S. 66) von Vorstellungen und Affekten, Formen der Konversion und die Bedeutung nicht bewältigter Erlebnisse für die spezielle Psychopathologie anzuwenden versuchte, die er bereits mit Josef Breuer in ihrer gemeinsamen Arbeit »Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene« (1893a) beschrieben hatte. Die ei- gentlichen Auffassungen zur Entstehung von Angststörungen, die später unter der Bezeichnung seiner ersten Angsttheorie zusammengefaßt worden sind, finden sich jedoch erst in der oben genannten Arbeit (in Freud, 1895b) wieder.

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KAPITEL I

Die Neurasthenie ist ein Störungsbild, welches gerade am Ende des vorletzten Jahrhunderts häufig diagnostiziert worden ist. Sie war u. a. gekennzeichnet durch Störungen der Vitalfunktionen, Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Dys- pepsie, einer erhöhten Reizbarkeit, einer herabgesetzten Frustrationstoleranz und einer chronischen Ermüdung. Medizinische Untersuchungen ergaben keinen Hinweis für eine organische Verursachung dieser Erkrankung. Viele der mit Neurasthenie behafteten Patienten wiesen darüber hinaus Angststö- rungen auf, die sich entweder durch chronische ängstliche Erwartungshaltun- gen ausdrückten, oder durch das Auftreten von Angstanfällen, die verbunden waren mit Tachykardien, Atemnot, Schweißausbrüchen, Parästhesien, Schwin- delgefühlen und körperlichem Zittern. Bei näherer Exploration dieser Patien- ten kam Freud zu der Auffassung, daß von der großen Gruppe neurastheni- scher Erkrankungsformen sich spezifische Symptomenkomplexe herauspar- tialisieren lassen können, die unter der nosologischen Bezeichnung der »Angst- neurose« eine eigenständige Diagnostizierung erhalten sollten.

Diese differentialdiagnostische Abgrenzung der Angstneurose von der Neuras- thenie begründete Freud nicht nur dadurch, daß sich auf der symptomatologi- schen Ebene bedeutsame Unterschiede zwischen diesen Krankheitsgruppen konstatieren ließen, sondern darüber hinaus bemerkte er, daß sich auch Un- terschiede im Sexualverhalten der Patienten fanden, die mit der jeweiligen Erkrankungsform im Zusammenhang zu stehen schienen. Auf dieser Grund- lage entwarf Freud eine pathogenetische Erklärung zur Ätiologie dieser »ner- vösen« Störungen.

Neben der Berücksichtigung möglicher hereditärer Belastungen und akzi- denteller Faktoren nicht sexueller Natur, wie »das Moment der Überarbei- tung, erschöpfender Anstrengung, z. B. nach Nachtwachen, Krankenpflegen und selbst nach schweren Krankheiten« (Freud, 1895b, S. 328), die als dis- ponierend für die Entstehung einer Neurasthenie oder einer Angstneurose von Freud betrachtet wurden, entscheide vor allem das aktuelle Sexualver-

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DIE FRÜHE ANGSTTHEORIE VON SIGMUND FREUD sich aus durch »das Moment der Zurückhaltung oder der unvollkommenen Befriedigung«, zu denen Freud »Coitus Interruptus, Abstinenz bei lebhafter Libido, sogenannte frustrane Erregung u. dgl.« (Freud, ebda., S. 497f.) zählt.

Diese Beeinträchtigungen des sexuellen Verkehres, die denselben in seinem Lustgewinn stören, fand Freud als Bedingung für die Bildung einer Angst- neurose bei beiden Geschlechtern.

Faßt man nun die Faktoren zusammen, die zur Entstehung einer Neurasthenie oder einer Angstneurose beitragen (sieht man von den oben erwähnten un- spezifischen dispositionellen und akzidentellen Kriterien ab), so liegt die Ätiologie dieser Störungen im aktuellen Sexualverhalten der Patienten be- gründet. Im dritten Kapitel seiner Arbeit »Über die Berechtigung, von der Neurasthenie einen bestimmten Symptomenkomplex als ›Angstneurose‹ ab- zutrennen« (Freud, 1895b, S. 333-339)4 entwirft Freud eine Theorie über die Entstehung der Angstneurose, die von da ab auch die wesentliche Grundlage zu seinen Auffassungen zur Frage der Entstehung von Angst insgesamt für die nächsten dreißig Jahre abgeben sollte.

Grundlage dieser Neurosen sei eine Anhäufung von Erregung, die keine adäquate Abfuhr erfährt. Die Angst, die mit diesen Störungen verbunden ist, lasse »keine psychische Ableitung« (Freud, ebda., S. 333) zu, d. h. Freud konnte im Erheben der Anamnese und in der Durchführung der Exploration keine Anhaltspunkte dafür finden, daß sich die Angstzustände auf psychische Ereignisse zurückführen lassen können (etwa durch traumatische Ereignisse in der Vergangenheit oder durch aktuelle bedrohliche Situationen). Von da- her postulierte Freud, daß die Angst das Produkt einer somatischen Ursache im Organismus sei, und faßt seine Ausführungen mit folgenden Worten zu- sammen: »Aus all diesen Andeutungen, daß es sich um Anhäufung von Erre- gung handle, daß die Angst, welche solcher angehäuften Erregung wahr- scheinlich entspricht, somatischer Herkunft sei, so daß also somatische Erre- gung angehäuft werde, ferner daß diese somatische Erregung sexueller Natur sei und daß eine Abnahme der psychischen Beteiligung an den Sexualvor- gängen nebenher gehe, alle diese Andeutungen, sage ich, begünstigen die Er- wartung, der Mechanismus der Angstneurose sei in der Ablenkung der soma- tischen Sexualerregung vom Psychischen und einer dadurch verursachten abnormen Verwendung dieser Erregung zu suchen.« (ebda., S. 334; Hervor- hebung von Freud)

Aufgrund dieser Annahmen zur Angstgenese, vor allem durch die zwei Po- stulate, daß der Anstieg einer Erregung keine adäquate Abfuhr finde und sich somit in Angst äußere und daß die Beschaffenheit dieser Erregung regelmä- ßig sexueller Natur sei, führt Freud hier ein explizit quantitatives Kriterium

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KAPITEL I

in seine Betrachtungen ein, die sich bis zur Begründung seiner dritten Trieb- theorie (in Freud, 1920g) durch seine Schriften ziehen wird. Auch nach 1920 behält die quantitative Betrachtungsweise noch ihre Bedeutung, wird jedoch durch bestimmte qualitative Kriterien ihrer Bedeutsamkeit in der Erklärung psychischer (oder besser formuliert, psychophysiologischer) Phänomene be- raubt, was jedoch erst in Kapitel II (unter Punkt 2.3) ausgeführt werden soll.

Fernerhin wird in diesen Aussagen schon deutlich, daß Freud nicht nur ver- sucht, Erklärungen zur Ätiopathogenese der neurotischen Erkrankungen (Neu- rasthenie und Angstneurose; über seine Auffassungen zu anderen Neurosen- formen s. u.) zu liefern, sondern er hält bereits diese Erklärungsansätze auch für relevant für die Entstehung von bestimmten Angstaffekten insgesamt.

Nachdem Freud in seinen weiteren Ausführungen die von ihm vertretenen Ansichten in Bezug zur geschlechtsspezifischen Neurosenverursachung dis- kutiert (siehe Freud, 1895b, S. 335ff.), was hier nicht besprochen werden soll, kommt er am Ende des theoretischen Teiles dieser Arbeit zu der Frage, warum »das Nervensystem unter solchen Umständen, bei psychischer Unzu- länglichkeit zur Bewältigung der Sexualerregung, in den eigentümlichen Af- fektzustand der Angst (gerät)?« (ebda., S. 338; Hervorhebung von Freud) Zur Beantwortung dieser Frage nimmt Freud eine Differenzierung vor, indem er einerseits von einer Angst spricht, die durch eine von außen drohende Gefahr entsteht, weil sie den Organismus bedroht und derselbe sich unfähig fühlt, eine bestimmte Reaktion zu entwickeln (Flucht, Abwehr), und andererseits von einer Angst, die einsetzt, wenn der Organismus sich unfähig fühlt, eine

»endogen entstandene (Sexual-) Erregung auszugleichen« (Freud, ebda.).

Letztere Angstentstehung ist die neurotische, die eine Neigung zur Chro- nifizierung aufweise, während die erstere einen Affektzustand darstellt, der in der Regel rasch vorübergehe.

Durch diese Ausführungen stellt die Angst einen Affektzustand dar, der ent- weder durch »exogene Erregung wie ein einmaliger Stoß« entstehen kann,

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DIE FRÜHE ANGSTTHEORIE VON SIGMUND FREUD zählte er vorwiegend die oben beschriebene Neurasthenie und die Angstneu- rose. Später fügte er noch die Hypochondrie als dritte Form der Aktualneuro- se hinzu (in Freud, 1912f, S. 338; 1914c, S. 150f.). Neben den Aktualneuro- sen unterschied er noch »andere Neurosen« (Freud, 1895b, S. 339; vgl. auch Freud, 1895c), die er später die Gruppe der »Psychoneurosen« (erstmals in 1898a, S. 496f.) nannte. Zu diesen Psychoneurosen zählte er die hysterischen Erkrankungen, die Zwangsstörungen und die Angsthysterien (ein Synonym Freuds für die Phobien).

Die wesentlichen Unterschiede zwischen den Psychoneurosen und den Ak- tualneurosen liegen in der Ätiologie der Erkrankung. Die Ätiologie der Ak- tualneurosen ist oben bereits skizziert worden; aufgrund der aktuellen beson- deren Bedingungen im Sexualverhalten der Patienten sind dieselben neben einer hereditären Disposition an einer Aktualneurose erkrankt. Der Oberbe- griff der Psychoneurose steht für eine Klasse von Störungsbildern, deren Ätiologie in der Vergangenheit der Patienten zu suchen ist und durch früher erlebte Konflikte, Traumata u. dgl. begründet wurde, die den Patienten ohne weiteres bewußt nicht zugänglich sind, weil sie Opfer der Verdrängung oder anderer Formen von Abwehr geworden waren.

Was die klinisch relevante Angst anbetrifft, so stellt sie ein Phänomen der allgemeinen Psychopathologie dar, die erst nach einer näheren Untersuchung nosologisch zugeordnet werden kann. Da sie sowohl Hauptsymptom der Pho- bie (einer Psychoneurose), als auch der Angstneurose (einer Aktualneurose) ist, bedarf es einer differentialdiagnostischen Abgrenzung. Diese beschrieb Freud schon in der mehrfach erwähnten Schrift von 1895, in dem er dort ausführt: »Bei den Phobien der Angstneurose ist aber 1) dieser Affekt ein monotoner, stets der der Angst; 2) stammt er nicht von einer verdrängten Vorstellung her, sondern erweist sich bei psychologischer Analyse als nicht weiter reduzierbar, wie er auch durch Psychotherapie nicht anfechtbar ist.«

(Freud, 1895b, S. 322; Hervorhebung von Freud) Aufgrund dieser psychothe- rapeutischen Unanfechtbarkeit aktualneurotischer Erkrankungen hat sich Freud auch mit zunehmender Weiterentwicklung der Psychoanalyse (ab ca. 1898) immer weniger, theoretisch wie praktisch, diesen Störungsformen gewidmet.

Freud formulierte bereits Annahmen zur Ätiologie psychoneurotischer Er- krankungen (vorwiegend der Hysterien) in seinen zusammen mit Josef Breu- er veröffentlichten »Studien über Hysterie« (1895d). Dort betont Freud vor allem die Bedeutung traumatischer Erlebnisse, die von ihrem Affektgehalt nicht hinreichend abreagiert worden sind, für die Entstehung der Hysterie.

Die Verdrängung (der Begriff der Verdrängung ist von Freud zu dieser Zeit bis Mitte der zwanziger Jahre noch synonym mit dem Begriff der Abwehr

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KAPITEL I

verwendet worden) betrifft vor allem das erlebte Ereignis der traumatischen Situation, so daß der Patient sich nicht mehr bewußt an die signifikante, stö- rungsevozierende Begebenheit erinnern kann. Seine Erinnerungsfähigkeit kann nur schrittweise über das Verfolgen assoziativer Bahnen, die mit dem verdrängten »Komplex« in mehr oder weniger entstellter Form in Verbin- dung stehen, wieder hergestellt werden. Durch die Verdrängung des signifi- kanten Ereignisses kommt es zugleich zu einer Loslösung der mit ihm ver- bundenen Affektqualitäten. Die Affekte werden in das Körperliche konver- tiert bzw. innerviert und stellen somit die Verursachung der hysterischen Konversionssymptomatik, wie Kontrakturen, Paresen, Anästhesien, Abasien usw. dar. Während also das erlebte Ereignis eine Verdrängung erfährt, folgt dem nicht abreagierten Affekt ein anderes Schicksal: er wird in das Körperli- che innerviert. Die erste Patientin, die Freud in den »Studien über Hysterie«

beschreibt, war eine vierzigjährige Frau, die er »Emmy v. N.« nannte. Unter ihrer vielseitigen hysterischen Symptomatik fanden sich u. a. auch immer wieder spontan auftretende Angstanfälle, die zu den jeweiligen aktuellen Be- gebenheiten nie zu passen schienen und die mit einer Schutzformel abge- wehrt wurden, indem sie mit einem Gesicht des Grausens und verkrampften Händen schrie: »Seien Sie still – reden Sie nichts – rühren Sie mich nicht an!«

(1895d, S. 68) Neben der Tatsache, daß sich hinter diesen Symptomen ver- drängte, traumatische Reminiszenzen verbargen, äußerte Freud zu den Angst- anfällen, daß man für ihre Erklärung »ein neurotisches Moment heranziehen (muß), den Umstand nämlich, daß die Patientin sich seit Jahren in sexueller Abstinenz befand, womit einer der häufigsten Anlässe zur Angstneigung gegeben ist« (ebda., S. 107; Hervorhebungen von Freud).

Man erkennt, daß Freud hier die Erklärung für die Angstanfälle seiner Pati- entin »Emmy v. N.« eher mit der Theorie der Aktualneurose versucht, wenn- gleich er auch nicht vergißt, daß sie unter einer Hysterie (d. h. einer Psycho- neurose) leidet und ihre Angstanfälle somit auch durch andere Verursachun-

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DIE FRÜHE ANGSTTHEORIE VON SIGMUND FREUD gen gilt, wenn sie in Situationen auftritt, die ihr aktuelles Entstehen nicht hinreichend erklären können (siehe z. B. oben die erwähnte »Schutzformel«

von Frau »Emmy v. N.«). Zu den Affekten, die bei der Verdrängung trauma- tischer Erlebnisse von den Erinnerungsrepräsentanzen abgespalten und ins Körperliche konvertiert werden, zählen vorwiegend solche wie Schreck, Ekel oder massive Enttäuschung; die Angst wird von Breuer und Freud in diesem Zusammenhang nicht explizit erwähnt. Dies mag einerseits überraschen, ist aber andererseits – betrachtet auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt vertretenen Angsttheorie – auch durchaus plausibel. Zum einen ist die Angst bei diesen Patientinnen ein Phänomen, welches zu verschiedenen Zeitpunk- ten (ohne reale, äußere Gefahrensituation) auftritt und von den Kranken be- wußt empfunden wird. Alle anderen Affekte fehlen weitestgehend, weil sie in körperliche Innervationsbahnen abgeführt worden sind und sie sich somit dem psychischen Erleben nicht mehr bemerkbar machen können. Freud und Breuer führen auf diesen Mechanismus auch die sogenannte »belle indiffe- rence« (ebda., S. 154) zurück, die sogenannte »wunderbare Gleichgültigkeit«

der Hysterischen, wie sie bereits von Pierre Janet (1859-1947), Jean-Martin Charcot (1825-1893) u. a. beobachtet und in ihren klinischen Werken be- schrieben worden ist. Die Angst jedoch ist ein Affektzustand, von denen die hysterisch Erkrankten oft befallen werden, weil sie nicht diese Abfuhr in körperliche Bahnen erfährt und somit durch die Mechanismen der Konversi- on nicht abgewehrt werden kann.

Wenn man zum anderen die innige Verknüpfung zwischen Angst und Sexu- alität betrachtet, die von Freud in seiner im gleichen Jahr publizierten Arbeit wie die »Studien über Hysterie« (»Über die Berechtigung, von der Neu- rasthenie einen bestimmten Symptomenkomplex als ›Angstneurose‹ abzutren- nen«, 1895b; s. o.), postuliert worden ist, so ergibt sich eine Herausforderung für diese frühe Theorie der neurotischen Angst: Wäre das Sexualleben dieser Patientinnen ungestört, und hätten sie darüber hinaus auch ein konfliktfreies Verhältnis zur Sexualität in ihrer psychischen Akzeptanz, dürften sie keine neurotischen – denn und um diese handelt es sich bei den Hysterien aus- nahmslos – Ängste aufweisen. Nun weisen die Patientinnen auch explizit Kon- flikte in ihrer Sexualität auf, jedoch ergibt deren aktuelles Sexualverhalten nicht immer ausreichende Hinweise für die Erklärung ihrer Angstsymptomatik.

Diese Determinierungen ihrer Ängste lassen sich somit nur auf vergangene Ereignisse zurückführen, die der Verdrängung unterzogen worden sind. Es ist bereits erwähnt worden, daß nach Freud hierin das Hauptkriterium der Psycho- neurosen in ihrer Abgrenzung zu den Aktualneurosen begründet liegt. Folgt man diesen Gedankengängen einen Schritt weiter, kommt man nicht umhin,

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KAPITEL I

eine innige Beziehung zwischen der Verdrängung und der Angst zu sehen.

Diese innige Beziehung in ihrer Relevanz zu den Psychoneurosen ist von Freud jedoch erst in den darauf folgenden Jahren stärker betont und herausgearbeitet worden, die am Ende dieses Unterkapitels noch Erwähnung finden wird.5 Lag die Ätiopathogenese psychoneurotischer Erkrankungen, vorwiegend bei den Konversionshysterien in den »Studien über Hysterie« (1895d) noch in dem Erleben zahlreicher vergangener Traumata unterschiedlichsten Inhaltes, die nie »abreagiert« und somit nicht bewältigt worden sind, so geht Freud in seinen beiden 1896 veröffentlichten Arbeiten »Weitere Bemerkungen über die Abwehr-Neuropsychosen« (1896b) und »Zur Ätiologie der Hysterie«

(1896c) dazu über, eine einheitliche Theorie zur Ätiologie zu begründen. Da vergangene Traumata, die nie verarbeitet worden sind, sich bei jeder Analyse einer Psychoneurose aufdecken ließen und diese Traumata regelmäßig einen Bezug zum Sexualleben aufwiesen, gelangte Freud zu der Auffassung, daß die an einer solchen Neurose Erkrankten in ihrer Kindheit regelmäßig Opfer einer sexuellen Verführung gewesen sein müssen. Dies war der Grundstein seiner »Verführungstheorie«, die er jedoch nur für die nächsten Jahre auf- rechterhielt. Diese Verführungstheorie schien die Ätiologie neurotischer Er- krankungen gut zu erklären, vor allem dadurch, weil die Patienten regelmä- ßig Freud in ihrer Behandlung früher oder später davon berichteten, sie seien in ihrer Kindheit von ihrer Mutter, ihrem Vater, Bruder o. dgl. sexuell miß- braucht worden. Psychoneurotische Erkrankungen und die mit ihr verbunde- nen Ängste seien also das Produkt eines frühen sexuellen Traumas.

In seinem berühmt gewordenen Brief vom 21.09.1897 an Wilhelm Fließ findet sich nun die erste Abwendung seiner sogenannten »Verführungstheo- rie« in dem Satze: »Und nun will ich Dir sofort das große Geheimnis anver- trauen, das mir in den letzten Monaten gedämmert hat. Ich glaube an meine Neurotica nicht mehr.« (Freud, 1985c, S. 283)

Freud mußte nun feststellen, daß das Phantasieleben seiner neurotischen Pa-

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DIE FRÜHE ANGSTTHEORIE VON SIGMUND FREUD 1900a, vor allem S. 254-273 beschrieb; und dann in systematischer Ausar- beitung in Freud, 1905d), war er enttäuscht über die »Unzuverlässigkeit« hin- sichtlich des Wahrheitsgehaltes der Aussagen seiner Patienten/innen und rat- los darüber, wie er sich die Ätiologie nun erklären sollte.

In seiner Schrift »Die Sexualität in der Ätiologie der Neurosen« (Freud, 1898a) betont Freud noch einmal nachdrücklich die zentrale Bedeutung der Sexuali- tät für die Entstehung der Neurosen und gibt dort noch einmal seine Auffas- sungen über die Formen der Aktualneurosen und die Formen der Psychoneu- rosen wieder: »Sexuelle Ätiologie also in allen Fällen von Neurose; aber bei den Neurasthenien solche von aktueller Natur, bei den Psychoneurosen Mo- mente infantiler Natur.« (1898a, S. 497) Die eigentliche Verführungstheorie zur Erklärung der Entstehung von Psychoneurosen findet hier keine direkte Erwähnung mehr, wenngleich Freud auch auf sexuelle Erlebnisse des Kin- desalters zu sprechen kommt und deren pathogene Bedeutung betont. Jedoch relativiert er den unmittelbar traumatischen Charakter zum Zeitpunkt des Erlebens, wenn er schreibt: »Sie (die sexuellen Erlebnisse des Kindes; G. M.) entfalten ihre Wirkung aber nur zum geringsten Maße zur Zeit, da sie vorfal- len; weit bedeutsamer ist ihre nachträgliche Wirkung, die erst in späteren Perioden der Reifung eintreten kann.« (ebda., S. 511)

Um die Ätiologie der Psychoneurosen erklären zu können, »brauchte es brei- terer Ausführungen« (Freud, ebda., S. 512), wobei Freud in diesem Kontext auf seine »Traumdeutung« verweist, die er zum Zeitpunkt des Erscheinens seiner Arbeit über »Die Sexualität in der Ätiologie der Neurosen« noch am schreiben war (die »Traumdeutung« wurde erstmals im November 1899 veröffentlicht, wenngleich das Jahr der Veröffentlichung mit 1900 angegeben wird). Somit bleibt in dieser Schrift (1898a) noch die genaue Ätiologie offen, die Freud in den darauffolgenden Jahren nach und nach entwerfen sollte.

Nach der Entdeckung und systematischen Beschreibung der infantilen Se- xualität mit ihrer schrittweisen, phasenförmig verlaufenden Entwicklung in seinen revolutionären »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie« (Freud, 1905d) erfolgte erst die Grundlage, die Freud für die Darstellung der kindlichen Ent- wicklung und ihren ätiologischen Möglichkeiten für die Entstehung psychi- scher Störungen benötigte. Nun konnte er auch eine präzisere Theorie für die Ätiologie der Psychoneurosen liefern.

Ein Jahr später schließlich widerrief er in aller Deutlichkeit seine früher ver- tretene Verführungstheorie in seiner Schrift »Meine Ansichten über die Rolle der Sexualität in der Ätiologie der Neurosen« (Freud, 1906a).6 Die endgültige Grundlage für das psychoanalytische/psychodynamische Verständnis der Entstehung neurotischer Erkrankungen war nun gelegt.

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KAPITEL I

Nach diesem Exkurs über die Entwicklung der Freudschen Konzepte über die Ätiopathogenese neurotischer Erkrankungen soll nun auf seine Auffassungen zur Angst zurückgekommen werden. Die knappe Schilderung seiner Theo- rieentwicklungen zur Neurosenlehre war notwendig, weil diese auch einen Einfluß auf die Auffassungen zum Angstverständnis mit sich brachten (vgl.

auch Freud, 1916-17, S. 426). Es ist bereits erläutert worden, daß Freud die Angst als ein Produkt ansah von nicht adäquat abgeführten sexuellen Trieb- regungen. Diese Triebregungen sollen in der Folge gemäß der psychoanalyti- schen Terminologie als Libido bezeichnet werden. Mit Libido meint Freud die Energie der sexuellen Triebregungen, wobei zu berücksichtigen ist, daß die Psychoanalyse unter Sexualität weit mehr verstanden hat (und heute noch versteht), als es damals in der Wissenschaft üblich war, wo Sexualität noch mit Genitalität gleichgesetzt worden ist.

Die Entstehung von Angst durch nicht abgeführte libidinöse Triebregungen ist in Freuds Untersuchungen anhand der Aktualneurosen gewonnen worden, wie oben verdeutlicht worden ist. Bei der Gruppe der Psychoneurosen, die ebenfalls Symptome der (neurotischen) Angst aufweisen, mußten, wollte er seine Angsttheorie auch für diese gelten lassen, ähnliche Verhältnisse zur Angstgenese sich auffinden lassen, wenngleich im aktuellen Sexualverhalten keine gravierenden Veränderungen zu konstatieren waren.

Psychoneurosen entstehen nach Freud durch einen Konflikt zwischen einem Triebbegehren und einer Abwehr dieses Begehrens. Im einfachsten Falle kann sich die abwehrende Instanz der abzuwehrenden Triebregung als über- legen erweisen, und das Begehren wird verdrängt. Es ist von da ab unbewußt und bleibt es auch, wenn die Verdrängung sich über die Dauer als resistent erweist. Solche verdrängten Triebregungen konnte Freud jedoch durch seine analytischen Arbeiten nicht nur an neurotisch Erkrankten ausfindig machen, sondern auch an nicht neurotisch Erkrankten. Das Deuten von Fehlleistungen (in Freud, 1904) und von Träumen (in Freud, 1900a, 1901a) wies ihm den

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DIE FRÜHE ANGSTTHEORIE VON SIGMUND FREUD So wie das Vorhandensein (missglückter, gescheiterter) Verdrängungen die conditio sine qua non für die Entstehung neurotischer Erkrankungen darstellt, umso inniger gerät in den Betrachtungen Freuds die Verdrängung in ihren Bezug zur Angst.

In der 25. Vorlesung seiner »Vorlesungen zur Einführung in die Psychoana- lyse« mit dem Titel »Die Angst« (Freud, 1916-17, S. 407-426) kommt Freud auf die Verbindungen zwischen der Libido und der Verdrängung mit den Formen der neurotischen Angst und der Realangst intensiv zu sprechen. Zu- sammengefaßt ausgedrückt führt Freud dort aus, daß die Angst das Produkt verdrängter libidinöser Triebregungen ist, deren Bestreben nach Befriedi- gung verwehrt wird. Es ergibt sich durch diese Aussage folgende Sequenz in der postulierten Angstgenese: Erst wird vom Individuum ein libidinöses Be- gehren entwickelt, welches das Ziel hat, befriedigt zu werden. Die Befriedi- gung dieses Triebbegehrens wird aber verwehrt (aus äußeren Gründen und/

oder inneren Ansprüchen der Gewissensinstanz). Da der Trieb sein Bestreben durch solche inneren oder äußeren Gründe jedoch nicht aufgibt, kommt es zur Verdrängung desselben in das Unbewußte. Die Absicht des Triebes, welche sich in einer psychischen (vor)bewußten Vorstellungsrepräsentanz des Be- friedigungszieles abbildet, wird durch die Verdrängung dem Bewußtsein ent- zogen und bleibt unbewußt, solange sich die Verdrängung als resistent genug gegen das zu Verdrängende erweist, während der Affekt eine andere Umset- zung erfährt. Dieser Affekt der verdrängten, libidinösen Triebregung verwan- delt sich nun in einem zweiten Schritt in Angst. Diese Angst nun ist es, die in das Bewußtsein dringt und die aufgrund ihrer Herkunft aus dem Verdrängten dem Betroffenen so unerklärlich erscheint. Somit geht der Entstehung von (neurotischer) Angst immer eine Verdrängung voraus; erstere ist das Produkt der letzteren.

Diese Auffassungen zur Angstgenese vertrat Freud nicht nur in Bezug zur Entstehung der neurotischen Angst insgesamt, sondern auch – jedoch mit be- stimmten Einschränkungen – für die Realangst. Die Angst des Kindes, wie zum Beispiel die vor Dunkelheit, Einsamkeit oder vor fremden Personen, stellt zwar eine berechtigte Realangst dar, weil solche Situationen für das noch unselbständige und hilflose Kind tatsächliche Gefahren mit sich bringen können, dennoch basieren diese kindlichen Ängste auf dem Mechanismus der oben beschriebenen Art der Entstehung. Das Kind selber ist durch seine psy- chische Entwicklung noch nicht fortgeschritten genug, die Abwesenheit sei- ner Mutter (oder einer anderen Pflegeperson) als nur eine vorübergehende anzusehen. Wenn das Kind alleine gelassen wird, fürchtet es, daß es dauernd verlassen bleibt. Die Mutter stellt für das Kind alleine aus diesem Grunde

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KAPITEL I

eine wichtige Person dar, weil sie für die Befriedigung seiner Bedürfnisse sorgt. Entfernt sie sich von ihm, so steht es seinen Bedürfnissen verhältnis- mäßig hilflos gegenüber. Wenn es nun zur Entwicklung von Triebbedürfnis- sen kommt und dieselben mit Hilfe eines Objektes nicht ihre Befriedigung er- halten, versucht sie das Kind mittels der Verdrängung abzuwehren, wodurch der Mechanismus der Angstentwicklung in Gang gesetzt wird: »Es ist seine (des Kindes; G. M.) Enttäuschung und Sehnsucht, welche sich in Angst um- setzt, also unverwendbar gewordene Libido, die derzeit nicht in Schwebe ge- halten werden kann, sondern als Angst abgeführt wird.« (Freud, 1916-17, S.

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Aufgrund dieser Auffassungen stellt sich die vermeintliche Realangst des Kindes bei näherer Betrachtung als eine (neurotische) Triebangst dar: »Weit entfernt, daß die neurotische Angst nur sekundär und ein Spezialfall der Real- angst wäre, sehen wir vielmehr beim kleinen Kinde, daß sich etwas als Real- angst gebärdet, was mit der neurotischen Angst den wesentlichen Zug der Entstehung aus unverwendeter Libido gemein hat. Von richtiger Realangst scheint das Kind wenig mitzubringen.« (Freud, ebda., S. 423)

Mit diesen Betrachtungen über die Entstehung neurotischer Angst der Er- wachsenen im Bezug zur infantilen Angst zeigt sich, daß Freud seine frühe Angsttheorie im wesentlichen als grundlegend für alle Formen der Angstent- stehung postuliert hat. Bereits die erste Form der Angstentwicklung im frühe- sten Kindesalter geht auf die gleichen Mechanismen zurück, die Freud erst- mals im Zusammenhang mit der Genese neurotischer Erkrankungen be- schrieben hatte.

1.2 Hintergründe der frühen Auffassungen

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