NESTORIANISCHE KOMMENTARE ZU DEN PAULUSBRIEFEN
AN DER WENDE VOM 8. ZUM 9. JAHRHUNDERT*
von Lutz Brade, Hagen
Z.Z.wird von drei nestorianischen Theologen gesprochen, die an der Wende vom
8. zum 9. Jahrhundert die Bibel, dJi. speziell die Paulusbriefe auslegten*.
Nach Assemani' verfaßte ThbK ein Scholienbuch, eine Kirchengeschichte, In¬
struktionen für Asketen und Grabreden. Nach einem Eintrag in zwei von z.Z. sechs
zugänglichen Handschriften* wurde das Scholienbuch im Jahre 791 jl n.Chr. verfaßt.
In einer Handschrift ist vermerkt, daß sie im Jahre 802 n.Chr. entstanden ist'. Diese
Angabe wurde von mir bei einer Arbeit über ThbK gefunden. Auf sie wie die gen.
Explizite stützt sich die Datierung des ThbK. Mit diesen Ausführungen und dem
Zusatz, daß ThbK im Lande Kaschkar gewirkt hat, sind gegenwärtig die Kenntnisse über das Leben und Werk des ThbK erschöpft.
Über das Leben und Werk des IbN kann bei E. G. Clarke nachgelesen werden. In
diesem Zusammenhang interessiert, daß IbN im Jahre 828 n.Chr. im achtzigsten
Lebensjahr starb , „Fragen zum gesamten Text der Bibel in zwei Teilen"* formulier¬
te, die in einer Handschrift in Cambridge vorliegen. Über die Abfassungszeit dieses Werkes wie auch der übrigen literarischen Zeugnisse des IbN können keine konkre¬
ten Angaben gemacht werden.
Vergleichbar spärlich wie zu ThbK fallen die Arüialtspunkte zur Datierung von
IvM aus. E. G. Clarke führt aus: „We know next to nothing about his hfe. Mari ibn
Matta record the fact that after the death of the Catholicus Abraham II. who died
on September 16, 850 A.D., Ishodad was one of the candidates for the patriarchal
throne. His election was successfully obstmcted by the powerful physician Bokhi-
sho"'.
1 Die Veröffentlichung des vollständigen Aufsatzes einschließlich des zetematischen Kom¬
mentars des Isho bar Nun zu den Paulinen ist im Verlag O. Hanassowitz vorgesehen.
2 Vgl. E. G. Clarke, The selected questions of Isho bar Nun on the Pentateuch. Studia Post Bibhca V, Leiden 1962; zitiert Clarke mit Seitenangabe. Ich nenne Theodoros bar Konai (ThbK), Isho bar Nun (IbN) und Ishodad von Merv (IvM).
3 J. S. Assemani, Bibliotheca Orientalis Qementino-Vaticana, Bd. 111,1, Rom 1728, S. 198f.;
vgl. L. Brade, Untersuchungen zum SchoUenbuch des Theodoros bar Konai, GOF 1,8, Wies¬
baden 1975; zitiert Brade mit Seitenangabe.
4 J. Assfalg, Syrische Handschriften. Verzeichnis der orientalischen Handschriften in Deutschland V, Wiesbaden 1963.
5 Vgl. Brade, a.a.O. S. 20 f.
6 Clarke, a.a.O. S. 3.
7 Clarke, a.a.O. S. 13.
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen
146 Lutz Brade
Nach dem bisher Vorgetragenen ist zu resümieren:
1. Alle drei Bibelerklärer lebten in der Zeit „der größten äußeren Ausbreitung des nestorianischen Christentums"* und in einer Epoche hterarischer Prosperität.
2. Die drei Nestorianer lebten und wirkten an der Wende vom 8. zum 9. Jahrhun¬
dert. Von ihnen muß nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung IvM als der
jüngste angesehen werden.
3. Unser Wissen um die Lebensumstände der drei Nestorianer konnte verbessert werden.
4. Unsere Kenntnisse von dem literarischen Schaffen der drei Nestorianer müssen als unzureichend beschrieben werden. Die Lücken könnten durch die Publiziemng der literarischen Hinterlassenschaft aufgearbeitet werden.
Ich behaupte, daß die drei Nestorianer erst dann theologisch gewürdigt werden können, wenn die Beziehungen der drei Exegeten untereinander schärfer als bisher
konturiert sind, ihr Verhältnis zu Theodoros von Mopsuestia und Vertretern der
kappadokischen wie nestorianischen Tradition spezifiziert ist.
Versuchen wir, bei den Erklämngen zu den Paulusbriefen durch die Nestorianer zuerst das Verhältnis zu Theodoros von Mopsuestia zu bestimmen.
Für IvM ist durch M. Dunlop-Gibson' unzweifelhaft richtig erkannt worden, daß
er bei der Exegese der Paulusbriefe Ausführungen des Theodoros von Mopsuestia
zur Sache herangezogen hat. Die Abhängigkeit zu Theodoros von Mopsuestia reicht
allerdings weiter als Frau Gibson in der Übersetzung ausgewiesen hat. Ich nenne als ein Beispiel den Prolog zum Hebräerbrief von IvM*" und das Fragment von Theo¬
doros von Mopsuestia bei K. Staab" .
Zum AT haben für den Pentateuch v. d. Eynde und E. G. Clarke inzwischen
nachgewiesen, daß IvM auf Theodoros von Mopsuestia zurückgegriffen hat'*.
Der Scholienkommentar des ThbK zum AT und NT, wie er zuerst von A. Scher"
in den Jahren 1910/12 vorgelegt wurde, bedarf einer Neubearbeitung'*. A. Scher
machte für seine Edition eine Handschrift zur Basishandschrift, die nur fragmenta¬
risch überliefert worden ist. Er konnte nicht wissen - evtl. ahnte er durch die An¬
gabe weiterer Zeugnisse von ThbK im Anhang zu Band 2 -, daß der Scholienkom¬
mentar des ThbK in zwei Handschriftenklassen überliefert worden ist. So kann an
der Ausgabe A. Schers zu den Paulinen die nachweisbare Verbundeiüieit des ThbK
mit Theodoros von Mopsuestia nur schwer verdeutlicht werden. Die Vermutung
einer Beziehung zwischen ThbK und Theodoros von Mopsuestia äußerte A. Baum¬
stark im Jahre 1901 so: ,JDie Quellen seiner Schrifterklärung macht Theodoros bar
Konai leider nur in den seltensten Fällen namhaft ... Häufig sind Zitate aus der
8 A. Baumstark, Geschichte der syrischen Literatur mit Ausschluß der christlich-palästinen¬
sischen Texte, Bonn 1922, S. 216.
9 M. Dunlop-Gibson (Hg.), The Commentaries of Ishodad of^Merv, Horae Semiticäe XI,5,1 (zi¬
tiert Gibson I) und XI,5,2 (zitiert Gibson II), Cambridge 1916.
10 Gibson I, a.a.O. S. 148f.; Gibson II, a.a.O. S. 101 f.
11 K. Staab (Hg.), Pauluskommentare aus der griechischen Kirche, aus Katenenhandschriften gesammelt, NTA 15, S. 200f., Münster 1933.
12 Clarke, a.a.O. S. 8ff. 165-182.
13 A. Scher (Hg.), Theodorus bar Koni, Liber Schohorum, CSCO 55 und 69, Paris 1954.
14 Qarke, a.a.O. S. 184-187.
Nestorianische Kommentare zu den Paulusbriefen 147
christlichen Literatur in griechischer Sprache. Obenan steht bei dem nestorianischen Exegeten natürlich der „selige Erklärer", d.h. Theodoros von Mopsuestia, dessen Benützung sich übrigens gewiß viel weiter erstreckt als die ausdrücklichen Citate
ahnen lassen ... Eine eingehende quellenkritische Untersuchung würde wohl noch
manches klarer stellen und insbesondere für die Kenntnis der Schriften des Theo¬
doros von Mopsuestia gewiß nicht verächtliche Früchte zeitigen"*'.
Bei der Untersuchung der Handschriften, eingeteilt in die Handschriften der
Seert- und Urmia-Klasse, wurde die Annahme A. Baumstarks bestätigt**.
Für IvM gilt, daß E. G. Clarke mit der Edition der Fragen und Antworten zum
Pentateuch erstmals Auszüge aus dem exegetischen Werk des IbN zugänglich ge¬
macht hat. Als einen Gewährsmann für seine Auslegungen nennt IbN Theodoros
von Mopsuestia*'.
Wie zum Pentateuch handelt es sich der Form nach bei den Erläuterungen des
IbN zu den Paulinen um Fragen und Antworten. Sie sind in der Handschrift Cam¬
bridge Add. 2017 auf fol. 96r-109r zusammengestellt. Die Handschrift wurde von
E.G. Clarke*' ausführlich beschrieben. Neun Fragen entfallen auf den Römer-, zwei
auf den 1. Korinther-, zwei auf den 2. Korinther-, eine auf den Galater-, eine auf
den 2. Timotheus-, eine auf den Titus-, vier auf den Hebräerbrief. Häufiger als
ThbK und IvM bemft sich IbN bei seinen Darlegungen ausdrücklich auf ThvM durch
das Beiwort der ,selige Erklärer' oder der ,Erklärer'. Bei der Auslegung von sieben der insgesamt zwanzig Bibelstellen bezieht sich IbN auf Theodoros von Mapsuestia.
Zu nennen sind die folgenden Stellen: Röm 3,12; 4,3; 7,13; 9,22; IKor 2,9; 3,15;
Hebr 1,6. Die Fragmente bei K. Staab zur Bibelexegese des Theodoros von Mop¬
suestia zu Röm 3,12; 7,13; 9,22 und 1 Kor 3,15 schließen nicht aus, daß IbN einen
Kommentar oder Teile aus dem Kommentarwerk des Theodoros von Mopsuestia
zu den Paulinen gekannt hat. In jedem Fall kann über IbN ausgesagt werden, daß er
wie ThbK und IvM Theodoros von Mopsuestia als Lehrautorität an der Wende vom
8. zum 9. Jahrhundert anerkannte. Ferner steht mit dem Ergebnis zu IbN fest, daß
alle uns gegenwärtig bekannten nestorianischen Exegeten der Paulusbriefe an der
Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert das exegetische Erbe des Theodoros von Mop¬
suestia tradierten. So erhalten wir über die gen. Autoren Einblicke in die antioche- nisch-nestorianischen Methoden der Schriftauslegung.
15 A. Baumstark, Die Bücher I-IX des ,Ketaba Deskoljon' des Theodorus bar Koni, in: OrChr 1, 1901, S. 178.
16 Vgl. Brade, a.a.O. S. 26 ff.
17 Claike, a.a.O. S. 7-16.
18 Clarke, a.a.O. S. 4 f
LES ANNALES ORIGINALES D'EUTYCHES D'ALEXANDRIE*
UNE COMPILATION HISTORIQUE ARABOCHRETIENNE A LA FAfON DES
TRADITIONNISTES MUSULMANS
par Michel Breydy , Köln
La copie Smait. Arab. 580 (582) que nous avons identifiö et döchiffrö depuis
plusieurs annees', represente le texte des Annales d'EutychSs le plus ancien parmi
tous ceux qui sont cormus actuellement. Aprös de longues recherches autour de
l'ecriture employee, des caracteristiques du texte ici reproduit et des principales sourees qu'Eutyehes a mis ä profit, je n'hdsite plus ä considerer ce codex Sinait.
comme un autographe de la main d'Eutychös lui-m6me.
Le manuscrit se prösente dans des dimensions de poche, ayant 163 folios puisque
le Nr. 140 est annotö deux fois. Vers 1894 il en avait encore 169 comme en t6-
moignait M. D. Gibson dans son Catalogue resume des Mss. arabes du Sinai (p. 124
sub Nr. 582).
Les cahiers originaux ötant num6rot6s, on en compte 18 dont les deux du döbut
manquent, restant un seul folio du second cahier, comme il reste un autre du 18.
II s'agit de sixtions mölangös avec des qumions. Le folio 162 (actuel = 163) appar¬
tient ä l'un des six cahiers manquant ä la fm, l'original ayant pu avoir un total de 242 folios (correspondant aux deux tiers des Annales dans les editions connues mais interposes).
La forme d'ecriture appartient au genre du coufi-cursif, d6nu6 en principe de
points diaeritiques. Ce genre est si libre et vari6 qu'on ne peut aueunement Ie con¬
former ä un autre modäle provenant des Scriptoria de cette öpoque ou d'une autre posterieure: il s'agit en fait d'un coufi du debut du X. siScle, contemporain d'Eu- tychäs.
Cette forme speciale, mieux adaptee aux usages courants que le coufi angulaire,
peut bien servir comme prototype important pour jalonner historiquement revolu¬
tion de l'ecriture arabe avant le Naskhi. ainsi que pour expliquer les nombreuses
meiectures et defigurations de mots arabes, de noms propres et de toponymes que
l'on observe dans les transcriptions en Naskhi d'ouvrages rediges avant la pamtion de cette forme d'öcriture.
* Kurzfassung des I. Referates.
1 J'en fis une premiSre eommunication dans O. C. (Wiesbaden) 59 (1975) 165-168. Une ana¬
lyse plus detaillee paraitra prochainement dans Le Museon (Louvain) dans un art. corrigeant MAMILA en MAQELLA. Actuellement je prepare une edition integrale du texte pour Ie CSCO.
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 In Erlangen