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und Text bei M. M. Zoščenko Untersuchung zur Entwicklung von Sprache

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(1)

Specimina Philologiae Slavicae ∙ Supplementband 25

(eBook - Digi20-Retro)

Verlag Otto Sagner München ∙ Berlin ∙ Washington D.C.

Digitalisiert im Rahmen der Kooperation mit dem DFG-Projekt „Digi20“

der Bayerischen Staatsbibliothek, München. OCR-Bearbeitung und Erstellung des eBooks durch den Verlag Otto Sagner:

http://verlag.kubon-sagner.de

© bei Verlag Otto Sagner. Eine Verwertung oder Weitergabe der Texte und Abbildungen, insbesondere durch Vervielfältigung, ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlages

Marlene Grau

Untersuchung

zur Entwicklung von Sprache und Text bei M. M. Zoščenko

Dargestellt an Kurzgeschichten der 20er Jahre

(2)

00050254

SPECIMINA PHILOLOGIAE SLAVICAE

Herausgegeben von

Olexa Horbatsch, Gerd Freidhof und Peter Kosta

Supplementband 25

Marlene Grau

Untersuchungen zur Entwicklung von Sprache und Text

bei M. M. Zoščenko

Dargestellt an Kurzgeschichten der 20er Jahre

VERLAG OTTO SAGNER • MÜNCHEN

1988

(3)

Bayerisch•

Staatsbibliothek München

Copyright by Verlag Otto Sagner, München 1988.

Abteilung der Firma Kubon und Sagner, München.

Druck: Görich & Weiershäuser, 3550 Marburg/L.

(4)

00050254

Für Greta

(5)

♦ I

I

(6)

V o rw o rt

Die vorliegende Dissertation ist gleichsam eine notwendige “Vorstudie” für

■ «

die ursprünglich geplante Arbeit “Problem e der Übersetzung von Werken Zoščenkos ins Englische und Deutsche’'. Bei der M aterialsammlung, die sich wegen der die Übersetzer vor schwierige Probleme stellenden Vielschichtig- keit der Sprache auf Zoščenkos Kurzgeschichten der 20er Ja h re konzentrierte, w urde allmählich klar, daß die sich z .T . sehr stark voneinander unterschei-

• I • ē

denden Übersetzungen nicht auf unterschiedlichen Ubersetzerkonzeptionen b eruhen konnten, sondern a u f verschiedenen Text versionen fußen m ußten.

•• ••

Im m er noch von Überlegungen eines Uberset Zungsvergleichs geleitet, wur- den 30 besonders häufig übersetzte Kurzgeschichten Zoščenkos ausgew ählt, deren Versionen

f e s t

gest ellt werden sollten, um Fehlbewert ungen der Uber-

S e t z u n g e n

zu vermeiden. Dem reichen

F u n d u s

der Leninbibliothek in Moskau

ist es zu verdanken, daß sämtliche Ausgaben der Werke Zoščenkos eingesehen werden konnten, womit die Vielzahl der Textversionen offenkundig u n d das

•«

Vorhaben eines Uberset zungsvergleichs illusionär wurde.

Analyseobjekt dieser Arbeit sind nun die m ehr als 600 Text varianten, die in

• •

den fast 50 betroffenen Ausgaben aufgefunden wurden. Ähnlich wie vor

_

einem Ubersetzungsvergleich eine übersetzungsrelevante Textanalyse u .a . klären muß, welche sprachlichen Mittel welche Funktion im Gesamt text ha- ben (und deshalb bei einer äquivalenten Übersetzung die besondere Auf-

••

m erksam keit eines Übersetzers erfordern), so muß auch einer B e trach tu n g der größtenteils sprachlich, teils inhaltlich dominierten Text varianten und dem Vergleich und der Bewert ung der aus ihnen result ierenden Text versionen eine Analyse des Wesens und der wesentlichen Elemente der Texte Zoščenkos vorangehen.

A usgangspunkt der Arbeit ist, daß die Sprache Zoščenkos das Z entrum sei- ner Kurzgeschichten bildet; sie dient nicht nur der sprachlichen V erpackung der Aussage, sondern ist ein entscheidender Teil von ihr, indem erstens die Sprachverwendung ohne direkte auktoriale Eingriffe die Aussagen des Erzählers in Zweifel zieht und zweitens sie selbst zum Objekt der K ritik wird.

In welchem Z usam m enhang die Sprache Zoščenkos, nur in einem Aufsatz von

Vinogradov aus dem J a h re 1928 zum Forschungsobjekt geworden, m it der

allgemeinen Entwicklung der russischen Sprache steht-, welche Funktion sie in

Zoščenkos Skaz erfüllt, welche Eigenschaften sie als künstlerische Brechung

des russischen Prostorečie, der “Sprache der Straße” , nach der Revolution

(7)

besitzt - und wie Veränderungen in der kulturpolitischen Situation wieder auf sie zurückwirken, das ist. die komplexe Fragestellung dieser Arbeit.

Daß das T hem a eine solch grundsätzliche Änderung erfahren konnte, ver- danke ich dem Entgegenkommen meines Betreuers, Professor Gerd Freidhof, der mir mit vielen hilfreichen Hinweisen und viel Verständnis für die Schwie*

rigkeit der Them atik zur Seite stand. Besonderer Dank gilt auch meiner sowjetischen Mentorin, d r nauk O l’ga G rigor’evna Revzina, die die Bearbei- tu n g der Textvarianten als wissenschaftlich lohnenswerte Aufgabe engagiert u n terstü tzte und meinen vielen Detailfragen geduldig ihr O hr lieh, sowie der Zoščenko-Spezialistin M arietta O m arovna Cudakova, an die ich mich mit allen Zweifelsfragen wenden konnte. Ohne den vom DAAD ermöglichten zweimaligen längeren Aufenthalt an der Moskauer S taatsu niv ersität (M GU) wäre das Vorhaben nicht zu verwirklichen gewesen. In der Zeit der Nie- derschrift der Arbeit habe ich viel moralische U nterstützung und Solidarität von den M itarbeiterinnen u n d M itarbeitern des Slavischen Seminars der Uni- versität Frankfurt und meinen Freundinnen und Freunden erfahren, denen ich an dieser Stelle auf das herzlichste danken möchte. Bei der Herstellung der Druckvorlage standen mir die M itarbeiter der Gesellschaft für wissen- schaftliche D atenverarbeitung in G öttingen, Dr. P eter Scherber und Karl (Sieverling, mit Rat und T at und Gastfreundschaft zur Seite, ihnen verdanke

ich die letzten angenehmen Stunden m it meiner Dissertation.

(8)

МихаилЗощенковибиргег яблокиууличноготорговца. Снимок БорисаИгнатовича.

Au s:

Lit era tu rn aja ga ze ta , 18.

2 .

19

87

.

(9)

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K ürzel für d ie K u r z g e s c h i c h t e n Z oščenkos

А Arist okrat ka

Ag A gitator

Ak Akter

Al Al’fons

В B anja

Ba B ab a

Be Bed n o s t’

CS Carskie sapogi

Di Diktofon

FN Fom a nevernyj

C a G aloša

1 Inostrancy

К Krizis

KP Kačestvo produkcii

LP L e tn ja ja peredyska

Ma M atrenišča

Mo M onter

NL Nervnye ljudi

NN Ne n ad o im e t’ rodstvennikov

Op O perācijā

Oš Ošibočka

P a Pacientka

PK Prelesti kul’tury

Pu Puškin

RÈ Reżim ekonomii

S Sčast ’e

SD Sčastlivoe detstvo

SK Semejnyj kuporos

SN Sobačij njuch

SpD Spešnoe deio

K ürzel für a n d e r e W e rk e M . M . Z oščen k os GK G o lu b a ja kniga. Leningrad 1935.

P K P P is ’m a к pisatelju. Leningrad 1929.

RNIGS Rasskazy N azara Il’ica gospodina Sinebrjuchova. P eterb u rg /

Berlin 1922.

(10)

K ü r z e l für die v e r w e n d e t e n A u s g a b e n v o n M. M . Z o š č e n k o s W er- keil ( c h r o n o l o g i s c h g e o r d n e t )

JU R 23 Jumorističeskie rasskazy. P e tro g ra d /M o sk v a 1923.

A24 Arisiokratka. Rasskazy. P e tro g rad /M o sk v a 1924.

VŽ24 Veselaja žizn\ Leningrad 1924.

O JA 25 O bez’janij jazyk. Jumoristiöeskie rasskazy. Moskva 1925.

R25L Rasskazy. Leningrad 1925.

R25M Rasskazy. Moskva 1925.

SN25 Sobačij njuch. Moskva 1925.

AG26 Agitator. M oskva/Leningrad 1926.

DR26 D esjat’ rasskazov. Leningrad 1926.

К 26 Krízis. Leningrad 1926.

M26 Matrenišča. M oskva/Leningrad 1926.

RS26 R y b ’ja samka. M oskva/Leningrad 1926.

T M R 2 6 Tetka M a r'ja rasskazala. Moskva 1926.

UG26 Uvazaemye graždane. M oskva/L eningrad 1926.

B27 Baretki. M oskva/Leningrad 1927.

BB27 Blednolicye b r a t ’ja. Jum oristiceskie rasskazy. Moskva 1927.

MU27 Mešcanskij uklon. Leningrad 1927.

MŽ27 Melaci žizni. Leningrad 1927.

NL27 Nervnye ljudi. C h a r’kov 1927.

DNŽ28 Dni našej žizni. Leningrad 1928.

IR IP28 lzbrannye rasskazy i povesti. C har'kov 1928.

LP28 Ljal'ka p jat'd esjat. M oskva/L eningrad 1928.

NKS28 Nad kem smeetes'?! M oskva/L eningrad 1928.

SS29-32 Sobranie socinenij. L eningrad/M oskva 1929-1932.

LL30 Lišnie ljudi. Moskva 1930.

IR31 lzbrannye rasskazy. Leningrad 1931.

133 Izbrannoe. Rasskazy. Povesti. Feretony. Leningrad 1933.

134 Izbrannoe. Leningrad 1934.

R34 Rasskazy. Leningrad 1934.

R34a Rasskazy. Leningrad 1934.

GK35 G olubaja kniga. Leningrad 1935.

IR35 lzbrannye rasskazy. Leningrad 1935.

IR36 lzbrannye rasskazy. 1923-1934. Leningrad 1936.

T37 1935-1937. Rasskazy, povesti, fel’etony, te a tr, kritika. Lenin- grad 1937.

139 Izbrannoe. Leningrad 1939.

R39 Rasskazy. M oskva/Leningrad 1939.

(11)

UG40 Uvazaemye graždane. lzbrannye rasskazy. 1923-1938. Lenin- grad 1940.

IP46 lzbran n ye proizvedenija. 1923-1945. Leningrad 1946.

IRIP56 lzb ran n ye rasskazy i povesti. 1923-1956. Leningrad 1956.

R FP58 Rasskazy, fel’etony, povesti. Moskva 1958

IP68 lzbrannye proizvedenija v dvuch tom ach. Leningrad 1968.

R74 Rasskazy. Moskva 1974.

LZ77 L ičnaja žizn \ Rasskazy. Moskva 1977.

RSKF77 Rasskazy. S enti ment al łnye povesti. Komedii. FelVtony. Mos- kva 1977.

178 Izbrannoe. V dvuch tomach. L eningrad 1978.

181L Izbrannoe. Leningrad 1981.

I81M Izbrannoe. Moskva 1981.

SS86-87 Sobranie socinenij v trech tom ach. Leningrad 1986-1987.

ZI Die erste Veröffentlichung einer Kurzgeschichte Zoščenkos in einer Zeitschrift.

Zur N o t a t i o n :

In den ersten drei K apiteln wird nach der A usgabe SS29-32 zitiert. Ein mit

“+ ” versehenes Kürzel einer Kurzgeschichte, z. B. (N L + ), bedeutet, daß nach

einer anderen A usgabe zitiert wird (vgl. Fußnote 146). Ein kursives Kürzel,

z. B. (

N L

), signalisiert , daß die zitierte variante Textstelle noch weitere Text-

varianz aufweist.

(12)

Inhaltsverzeichnis

00050254

0. Einleitende B em erkungen zur Sprache Z o š č e n k o s ... 1

1. Die Sprache Zoščenkos - Voraussetzungen ... 11

1.1. Die Entwicklung der russischen Sprache

111

den 20er J a h re n ... 11

1.1.1. Forschungsstand ... 11

1.1.1.1. Die marxistisch-soziologische P e r i o d e ... 12

1.1.1.2. Die marristische Periode ...16

1.1.1.3. Die stalinistische P e r i o d e ...17

1.1.1.4. Die nachstalinistische Periode ...18

1.1.2. Faktoren und M anifestationen der V eränderungen der russischen Sprache nach der R e v o lu tio n ... 22

1.1.2.1. Die Sprache der Zeitungen ... 27

1.1.2.2. Die oratorische Rede ... 31

1.1.2.3. Die Sprache der Unterschicht ...34

1.1.2.4. Manifestationen des Sprachzustands in der Belletristik ... 38

1.2. Skaz ...41

1.2.1. Forschungsentwicklung ... 41

1.2.2. Die Skaz-M erkmale ... 51

1.2.2.1. G ram m atische M e r k m a l e ...52

1.2.2.2. Situative Merkmale ... 53

1.2.2.3. Semantische M erkm ale ... 53

1.2.2.4. Expressive M e r k m a l e ... 55

1.2.2.5. Allokutionale M erkm ale ... 58

1.2.2.6. Dialektale M erkmale ... 59

1.2.3. Funktionen, Funktionieren und W irkung des Skaz bei Zoščenko .65 2. Die Sprache Zoščenkos - die Sprache von Zoščenkos Erzähler . . . 74

2.1. Theoretische V o r b e m e r k u n g e n ...74

2.1.1. Der Begriff “Prostorečie" ... 74

2.1.2. Das Prostorečie in der Belletristik ... 79

2.1.3. Die Merkmale des Prostorečie ...82

2.2. Die Herkunft von Zoščenkos Erzähler, seine Prostorečie-V e r w e n d u n g ... 88

2.2.1. Phonetische Besonderheiten des Prostorečie ... 88

(13)

2.2.2. M orphologische B esonderheiten des Prostorečie ... 89

2.2.2.1. S ub stan tiv e ... 91

2.2.2.2. P r o n o m i n a ... 92

2.2.2.3. V e r b e n ...93

2.2.3. Syntaktische B esonderheiten des P r o s t o r e č i e ... 95

2.2.4. Lexikalische B esonderheiten des Prostorečie ... 97

2.2.4.1. Nicht-expressive P ro sto re č ie-E l e m e n t e ... 103

2.2.4.2. Expressive P rostorečie-E lem ente ... 106

2.2.5. Lexikalische Elem ente aus dem Prostorečie verw andten S p r a c h s c h ic h te n ... 110

2.2.5.1. Elem ente der B a u e rn sp ra c h e ... 110

2.2.5.2. Elem ente aus dem U nterw eltm ilieu ... 111

2.2.6. Lexikalische S e m a n t i k ... 113

2.2.6.1. T ypen der Verknüpfungsregeln ... 114

2.2.6.2. Der Bau der Verstöße gegen die Verknüpfungsregeln in den Kurzgeschichten Zoščenkos ... 115

2.2.6.3. Die Verstöße gegen die Verknüpfungsregeln in den Kurzgeschichten Zoščenkos ... 117

2.2.6.3.1. Verstöße gegen lexikalische V e r k n ü p fu n g s re g e ln ... 117

2.2.6.3.2. Verstöße gegen sem an tisch e Verknüpfungsregeln ... 118

2.2.6.4. Die Funktionen der Verstöße gegen lexikalische und sem antische V e r k n ü p f u n g s r e g e ln ... 121

2.3. Die Zukunft von Zoščenkos E rzähler, seine A neignung von Elem enten der H ochsprache ... 123

2.3.1. Elem ente der Buch- u n d K a n z l e i s p r a c h e ... 127

2.3.1.1. Lexik ...127

2.3.1.2. S y n t a x ... 129

2.3.2. Sowjetismen ...131

2.3.3. F r e m d w ö r t e r ...135

2.4. Z usam m enfassung ... 138

3. Exkurs zur kulturellen E ntw icklung in der Sowjetunion in den 20er u n d 30er J a h r e n ...140

Ф

3.1. L iteratu rp o litik ... 143

3.1.1. S a t i r e ... י ... 153

3.1.2. Skaz ... 157

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(14)

3.2. Sprachpolitik 159

4. Die textuellen Veränderungen in Zoščenkos Kurzgeschichten . . . 173 4.1. Textologische V o r b e m e r k u n g e n 177

4.2. Das K o r p u s 179 4.2.1. Die A u s g a b e n 179

4.2.2. Publikationsgeschichte der K u rz g esc h ic h te n 181 4.2.3. Die T e x t v a r i a n t e n 184

4.2.4. Die Kategorisierung der Textvarianten 189 4.3. Die Beschreibung der Textvarianten 194

4.3.1. Sprachlich dom inierte T e x t v a r i a n te n 196 4.3.1.1. Textvarianten, die die sprachliche Herkunft von

Zoščenkos Erzähler betreffen 196 4.3.1.1.1. Orthographisch-stilistische Transformationen

( T s i orth

) 196

4.3.1.1.2. O rthographische D ubletten (D ublor#A) 198

4.3.1.1.3. Phonetisch-stilistische Transformationen

( T s t pkon)

198 4.3.1.1.4. Morphologisch-stilistische Transformationen ( T s t morpÄ) 199 4.3.1.1.5. Denotative morphologische Transformationen ( T d e n morpA) 203 4.3.1.1.6. Morphologische D ubletten (D ublmor7>/l) 205

4.3.1.1.7. Syntaktisch-stilistische Transformationen ( T s t 5yn) 206 4.3.1.1.8. Syntaktische D ubletten (D u b lsyn) 214

4.3.1.1.9. Lexikalisch-stilistische Transformationen ( T s t icx) 216 4.3.1.1.10. Denotative lexikalische Transformationen ( T d e n /ex) 226 4.3.1.1.11. Lexikalische D ubletten (Dubl*e r ) 227

• • ♦

4.3.1.1.12. Stilistische Transform ationen der lexikalischen

Semantik ( T s t le15em) 229 4.3.1.2. Textvarianten, die die sprachliche Zukunft von Zoščenkos

Erzähler b e t r e f f e n 236 4.3.1.2.1. Syntaktisch-stilistische Transformationen ( T s t 5ynii>) 236

4.3.1.2.2. Lexikalisch-stilistische Transformationen (Tst*tfI* ( (־ 236 4.3.1.3. Zusammenfassung 238

4.3.2. Inhaltlich dom inierte Textvarianten (E T S) 240 4.3.2.1. Ideologische ET S (ETSideo) 240

4.3.2.2. Kompositorische ETS ( E T S k o m p ) 257 4.3.2.3. Andere ET S 258

4.3.2.3.1. ETS der 20er J a h re 258

4.3.2.3.2. ETS der 3 0 5 0 ־er Ja h re 262

(15)

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4.3.2.4. Zusamm enfassung ...267

4.4. Textvarianten und Textversionen: Analyse und Interpretation . 268 4.4.1. Die Entwicklung der Textvarianten in den Ausgaben der 20-80er Ja h re ... 268

4.4.1.1. Die Text variant en in den 20er J a h re n ...273

4.4.1.2. Die Textvarianten in den 30/40er Ja h re n ...279

4.4.1.3. Die Textvarianten in den 50er J a h r e n ...286

4.4.1.4. Die Textvarianten in den 60-80er J a h re n ...290

4.4.1.5. Zusammenfassung ...291

4.4.2. Die Entwicklung der Textversionen in den Ausgaben der 20-80er Jahre ...297

4.4.2.1. Die Versionen von ,*Monter” ...301

4.4.2.2. Die Versionen von "Nervnye ljudi” ...311

4.4.3. Text varianten und Text versionen im Spiegel der sowjetischen Kulturpolitik. Eine Z u s a m m e n fa s s u n g ...319

5. L ite ra tu rv e rz e ic h n is...325

5.1. P rim ä rlite ra tu r ...325

5.1.1. Werkausgaben M. M. Zoščenkos ...325

5.1.2. Erstveröffentlichungen von M. M. Zoščenkos Kurzgeschichten in Zeitschriften ...329

5.2. S e k u n d ä r l i t e r a t u r ...330

6. A n h a n g ... 349

«

/

(16)

0. E in le ite n d e B e m e r k u n g e n z u r S p rach e Zoščenkos

In den literaturwissenschaftlichen Arbeiten über Zoščenko ist eines üb erau s auffällig: Der Sprache des Schriftstellers wird im Zustandekom m en der “Aus- sage” eine ungewöhnlich hohe B edeutung beigemessen. Dabei spielt es keine Rolle, von welchem Blickwinkel aus Zoščenkos Werk besehen wird. In Arbei- ten, die das Werk Zoščenkos1 vornehmlich von seiner Genrezugehörigkeit zur Satire (Arnold 1964, Chapple 1971, Eršov 1973) bzw. Parodie (T itunik 1963, C ukierm an 1978, Cudakova 1979) her betrachten, wird im m er wieder die Rolle seiner Sprache im Hervorbringen komischer Effekte hervorgehoben. So stellt C ukierm an fest: “Zoščenko’s expertise lay in his transform ation of the raw linguistic m aterial into inim itable verbal hum or.” 2 Sčeglov interp retiert die Erzählungen Zoščenkos als Varianten eines allgemeinen T hem as, die “ne- k u r t u r n o s t ’” , u n d findet diese repräsentiert in der “neobrazovannost’” und

“n e lite ra tu rn o st’” der Sprache von Zoščenkos Erzähler und der handelnden Personen.3 T itu n ik , für den Zoščenko die

auctoritas et exem plum

der Skaz- Technik d a rstellt4, erkennt seine Sprache als H auptm ittel zur Erzeugung des Skaz, des Erzählverfahrens, das Zoščenko aus einer vorübergehenden Modeer- scheinung der frühen 20er J a h r e 5 in eine “stro jn a ja lite ra tu rn a ja sistem a”6 verwandelte.

Die folgende C harakterisierung m ag einen Eindruck von der allgemein üb- liehen E inschätzung der Sprache Zoščenkos vermitteln. Laut Reißner war Zoščenko in der russischen L iteratu r

“der erste Autor, der mit feinstem Gespür für Nuancen die neue Sprache des Alltags, wie sie auf Bahnhöfen und M ärkten, in öf- fentlichen Bädern und in der Straßenbahn, beim Bier und in der Schlange vor den Lebensmittelläden zu hören war, aufzuneh- men und zu reproduzieren vermochte. Was als unverwechselba- rer Soschtschenko-Slang erscheint, ist die Ausdrucksweise einer neuen Schicht, die nach der Revolution den Ton anzugeben be- gann und jene neue Sprachmischung aus Soldaten-, Bauern- und G aunerjargon produzierte, von der zum Beispiel das satirische

‘Krokodil’ unserer Tage eine Fülle von Belegen bietet.” 7

1Ich beziehe mich hier v a. auf die Kurzgeschichten (rasskazy) und Erzählungen (poves/1) der 20er Jahre.

2Cukierman 1978, 99.

3C f Ščeglov 1981, 128ff.

4Cf. Titunik 1971, 84.

5C f Zurbina 1930, 2: “Skaz byl stilem vsej literatury 1920-23 gg.”

6Op cit., 3.

7Reißner 1982, 205. Ähnlich auch Čukovskij 1981, 32 (1965).

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Die Vermischung von Stilen (b e rü h m t geworden ist G o r’kijs Begeisterung für den “pestryj biser vašego leksikona” in einem Brief an Zoščenko8), Le- bensechtheit und enge Verbindung m it den Sprachveränderungen nach der Revolution werden üblicherweise als H auptm erkm ale der Sprache Zoščenkos genannt . Kornej Cukovskij, ein Zeitgenosse Zoščenkos, der nach dessen Aus- Schluß aus dem Schriftstellerverband (1946)9 im Jahre 1965 als erster wieder das Werk des nunm ehr verstorbenen Schriftstellers würdigte, stellte zu Recht die Ungewöhnlichkeit der Tatsache heraus, daß

“edva to l’ko v pečati pojavilis’ pervye rasskazy i povesti Michaiła Michajloviča, ego jazyk v ètich pervych veščach pokazalsja takim svoeobraznynì i cennym, čto professor (vposledstvii akademik) V.

V. Vinogradov sčel nuznyni n a p is a t’ о nem celyj tr a k ta t, kotoryj ta k i ozaglavil: ‘Jazyk Zoščenko’/s ic ! /.10

Voobšče v to dalekoe vremja vse stat ,i i recenzii o ego sočinenijach sosredotoči valis’ poeti isključitel’no na ich jazyke.” 11

Zoščenko w ählte als sprachliche Basis für seine Kurzgeschichten die Rede- weise, das Prostorečie (P R ) des halbgebildeten städtischen K leinbürgers12, dessen dörfliche Herkunft bisweilen noch sp ürb ar ist, der sich, auch sprach- lieh, den gesellschaftlichen Veränderungen soweit zuwendet, wie er sie sich zu n utze machen kann, ansonsten aber deutlich seine V erbundenheit mit dem

“S t a d t r a n d ” , j a sogar mit dem Gaunermilieu verrät. Vol’pe charakterisiert die Sprache Kuročkins, des fiktiven Erzählers in dem S am m elband “Veselaja zizn’ ” ( 1924)13 folgendermaßen:

“R eč’ Kuročkina imeet geografičeskoe prikreplenie - eto G a v a n ’, on govorit na jazyke žitelej okrainnogo Leningrada. 011 obyvatel*, gorožanin, sochranivšij, odnako, svoju privjazannost’ к sel’skomu chozjajstvu. Kuročkin putešestvoval, on čelovek ‘byvalyj’. Vse ego rasskazy pokazyvajut, čto on ‘samoopredelilsja’ v pervye go- dy népa. On nachvatalsja gazetnych slovosraščenij - štam pov, počerpnul koe-čto iz voennogo žargona épochi graždanskoj vojny, iz kanceljarskich oborotov, iz pisarskich slovoizvitij. V ego reci

* G o r ’kij i sovetskie pisateli 1963, 163.

9Zum Hergang von Zoščenkos Ausschluß aus dem Schriftstellerverband cf. z В D om ar 1953, 202ff

10Die Rede ist von V. V Vinogradov 1928: Jazyk Zoščenkt.

11Cukovskij 1981, 32.

12Cf. V. V. Vinogradov 1928, 69.

13In den späteren Ausgaben wird Kuročkin als namentlich genannter Erzähler, der “Ve- s e la ja žizn1" als Zyklus motivierte, wieder aufgegeben

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p o p a d a ju ts ja i ‘vysprennie’ kniżnye slova vtorosortnoj belletristi- ki. Ves’ étot jazykovoj splav, otražajuščij social’nuju biogrāfiju Kuročkina, imeet osnovoj meščanskoe prostorečie.” 14

W iren-Garczynski analysiert in ihrer Dissertation “T he Russian Language in the Im m ediate Post Revolutionary Period (1919-1928) and its Literary Sty- lization in th e Fiction of Mixail Zoščenko” (1965) die in Bewegung geratene russische Sprache nach der Revolution und findet alle Elemente der sich inein- ander verschiebenden niederen und höheren Ebenen der russischen Sprache (v. a. in der Lexik) in Zoščenkos Werk wieder. Cudakova, die wohl derzeit beste Kennerin von Zoščenkos Werk, stellt in bezug auf “G olubaja kniga”

(G K ) fest, dort fänden sich genau die Merkmale, die Seliščev in seiner A rbeit

“Jazyk revoljucionnoj epochi” (1928), dem “prevoschodnyj kom m entarij к recevym javlenijam revoljucionnoj èpochi” 15, aufführt:

“ ‘G o lu b aja kniga’ s ne m e n ’šej, esli ne s bol’šej tonkost'ju (als die Arbeit Seliščevs, M. G.) registriruet novye jazykovye certy, ukorenivšiesja v poślednie gody.” 16

Wie ist es nun um die Kompetenz Zoščenkos v. a. hinsichtlich der “niederen”

Bereiche der russischen Sprache bestellt? Evgenij Zam jatin, der “priznannyj m e tr *serapionov’” 17 - er besuchte häufig die Treffen der Serapionsbrüder und las ihnen über das Schriftstellerhandwerk - , sagt von seinem erfolg- reichsten Schüler schon 1923: “Iz vsej peterburgskoj literaturnoj molodeži - Zoščenko odin vladeet bezošibočno narodnym govorom i formoj skaza” .18

Und Zoščenko selbst stellt in seinem dokumentarischen Werk “P i s ’m a к pi- satelju” ( P K P ) 1929 fest:

“J a počti ničego ne iskažaju. J a pišu na tom jazyke, na kotorom sejčas govorit i dum áét u lic a ... А как govorit i dumáét ulica, ja, pożałuj, ne ošibsja. Eto vidno iz ètoj moej knigi, iz étich pisem, kotorye ja ežednevno polučaju.” 19

14ѴоГре 1941, 133. Kunoserweise dienten Seliščev als Beispiele für mündliche Rede - unzulässigerweise! (cf. Uspenskij 1931, 279) - Auszüge aus Werken der Belletristik, darunter auch von Zoščenko. cf. z . B . Seliščev 1928, 118, 158.

15Meščerskij 1967, 6.

16Čudakova 1979, 85.

17O p .c it., 58. Den Serapionsbrüdern gehörten neben Zoščenko an: E. Polonskaja, N.

Tichonov, L. Lune, N. Nikitin, V. Kaverin, Vs. Ivanov, K. Fedin, I. Gruzdev und M.

Slonimskij, cf. Oulanoff 1966, 9ff.

18Zam jatin 1923, 60

19Zoščenko: P K P 1929, 58.

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Zoščenko, dessen sprachliche Talente gleich zu Anfang seiner schriftstelle־

rischen L aufbahn auch in seinen parodistischen Fähigkeiten zum Vorschein kam en 20, war vom Leben selbst , in den J a h re n des Krieges und Bürgerkrieges, sprachlich qualifiziert worden. In einer autobiographischen Notiz schreibt er 1922:

“A posle revoljucii skitalsja j a po m nogim m estam Rossii. Byl plotnikom , n a zverinyj promysel ezdil к Novoj Zemle, byl sa- późnym p o d m a s te r ’em, služil telefonistom, milicionerom služil na stancii ‘Ligovo’, byl agentom ugolovnogo rozyska, kartocnym ig- rokom, kontorščikom, akterom , byl snova n a fronte dobrovol’cem v K rasno j a rm ii.” 21

Die Bekanntschaft m it verschiedenen Milieus und den “niederen” Varian- ten der russischen Sprache fiel bei ihm a u f fruchtbaren Boden und fand schon in seinen früh esten Werken A nw endung22. Seine “Rasskazy Nazara ІГіса gosp od ina Sinebrjuchova” (RN IG S), die gemeinhin als formales Ex- perim ent bei Zoščenkos Suche nach neuen Form en und einer neuen Spra- che der L ite r a tu r 23 gelten, weisen eine extrem e Vermischung verschiedener Sprachstile au f24, die hier n urm ehr der C harak terisieru n g der Helden bzw.

des “exotischen” Erzählers dienen. Diese q u a n tita tiv zwar extreme, qualita- tiv ab er traditionelle (u n d in den ersten J a h r e n nach der Revolution durch die W ied erg eb u rt des Skaz weitverbreitete) Verwendung nichthochsprachli- eher S prachvarianten m achte von nun an eine wesentliche Funktionsverschie- bung durch, die m it einer stärkeren V erkettung des Werkes Zoščenkos mit der ihn um gebenden gesellschaftlichen und sprachlichen Wirklichkeit und der Verkomplizierung des Skaz z u sa m m e n h ä n g t25.

Zoščenko, der sich literaturtheoretisch und insbesondere bezüglich Theorie u n d Funktionen des Skaz wenig h e rv o rta t26, zeigte ein außerordentliches

20Cf. C ukierm an 1978, 44ff. und Cukovskij 1981, 19.

21Zoščenko: О sebe, ob ideologii 1 ešče кое о čem 1922, 28.

22Zum Beispiel verwendete Zoščenko in “C e rn a ja m a g ija ” 1922 schon dialektale Lexik und Effekte der mündlichen Rede, c f Murphy 1981, 28.

23Cf. z В Starkov 1964, 68, Cukierman 1978, 58. Thun 1984 entwickelt die These, daß das Problem einer neuen Sprachfindung für die L iteratur bei Zoščenko im Vordergrund gestanden habe. Ein ähnlicher Gedanke zieht sich auch durch Čudakova 1979.

24C f dazu v a die Arbeit von V. V Vinogradov 1928

25Z am jatin drangt Zoščenko dazu, nach den “Rasskazy Nazara ІГіса gospodina Sine- brjuchova", in denen er “prostejšuju raznovidnost' skaza: ot pervogo lica” angewandt habe (Z a m ja tin 1922, 7), seinen Stil weiterzuentwickeln

26Cf. dazu T itu n ik 1971, 85 Anschaulich 1st auch eine selbstkritische Vorbemerkung Zoščenkos zu seinem Aufsatz “O sebe, о kntikach 1 о svoej rabote” 1 9 2 8 ,7 : “Sta t 1ja polučilas’

spornaja. J a i sam sejčas nesovsem soglasen s nej. No v tot den’ mne kazałoś* imenno tak. J a

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Interesse sowohl an der Sprache, die ihn um gab, als auch an der Sprache der Literatur; ihre Verknüpfung war sein literarisches

credo.

Schon in dem Material zu seiner - nicht fertiggestellten - literaturkritischen A rbeit “Na perelome” 27 findet sich seine kritische Einstellung zur überkom m enen Spra- che der L iteratur, von der bisweilen ein “zapach tle n a ” 28 ausgehe. Am An- fang von Zoščenkos Suche nach einer neuen Sprache, neuen W ö rtern sta n d noch der G laube an das “g u te” E p ith e to n 29, aber seine frühen N otizbücher30 (1917-1919) verzeichnen auch schon W örter, die sich Zoščenko vom “Maul des Volkes” abgeschaut h a tte (vgl.

$amat\ $pa7)a1 golodovat'

aus dem Die- besjargon31 ). In RNIGS, veröffentlicht 1922, ist Zoščenkos Interesse an dem Sprachgebrauch der breiten Massen, an jeglichem sprachlichen W irrw arr, be- reits manifest.32 Und 1923 n o tie rt Vera Zoščenko in ihr Tagebuch: “Govorit, čto za èto vrem ja prodelal ogrom nuju, nezam etnuju ešče d ija drugich ra b o tu , sozdal soveršenno novyj, stra šn o szatyj, korotkij ja zy k .” 33 Die Notwendig- keit für eine neue Sprache der L ite ratu r hat laut Zoščenko als erster Viktor Sklovskij erkannt, über den er 1928 schreibt:

“On pervyj porval sta ru ju formu literaturnogo jazyka. On uko- rot il frazu. On ‘vvel vozduch’ v svoi s t a t ’i. Stalo u d o b n o i legko č i t a t \

J a sdelal to że samoe.

J a pišu ocen* szato. Fraza u m enja korotkaja. D o stu p n a ja bed- п у т . ” 34

In Abkehr von der zeitgenössischen L iteratur, deren Sprache unbeholfen und dem Publikum unzugänglich sei35, wollte Zoščenko eine Brücke schlagen zwi-

belletnst I èto kačestvo, к sožaleniju, nikogda ne ostavljaet menj a ” E rst in den 30er Ja h ren wandte sich Zoščenko verstärkt Fragen der Literatur (insbesondere über ihre Aufgaben und ihre Sprache) zu. Cf. auch Fußnote 646.

2‘ Wahrscheinlich im Sommer 1919 begann Zoščenko eine literaturkritische Studie über die Literatur der zweiten Dekade des 20. Jahrhunderts, cf. Cudakova 1979, 9 und V. Zoščenko 1981. 79.

2*Archiv M. Zoščenko, zitiert nach Cudakova 1979, 49.

2*Cf. op cit., 50

30Zoščenko notierte sich häufig W ö rter und Wendungen in ein Notizbuch, die er später in seinen Erzählungen verwendete: 1‘J a zapisyvaju te slova, kotorye mne pokazalis’ interesnymi.

Możet b y t1, èto novye slova, možet byt* - oni interesny po svoej neobyõajnosti, możet b y t 1, eto żargonnye slova, ili slova, kotorye• upotrebljajut rabočie v razgovore, ili v derevne” . Zoščenko Kak j a rab o taju 1930, 109.

31Zu den Beispielen cf. V. Zoščenko 1981, 89.

32C f Cudakova 1979, 57f 33Zitiert nach op. cit., 62.

34Zoščenko: 0 sebe, о kritikach i о svoej rabote 1928, 11.

35C f ibid.

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sehen der L iteratur und dem Volk. Seine aus dem Leben gegriffene Sprache verwendete er in den Kurzgeschichten

“ne radi k u r ’ezov i ne dlja togo, ctoby toenee kopirovat’ našu zizn\ J a sdelal èto, ctoby zapolnit* chotja by vrem enno tot ko- lossal’nyj razryv, kotoryj proizošel meždu literaturoj i ulicej.”36

Und wie schon in seinen frühen Reportagen und Feuilletons, die u .a. inkor*

rekten Sprachgebrauch dokum entierten und a n p ra n g e rte n 37, verfolgte Zo- ščenko auch in seinen Kurzgeschichten sozialdidaktische Ziele. Der Leser sollte sich selbst oder seinen Nachbarn in den Kurzgeschichten wiederfinden und zu einer kritischen Einstellung über sein (auch sprachliches) Verhalten kommen:

“A vot pri pomošči smecha perestroit’ čitatelja, z a s ta v it’ čitatelja o tk azat’sja ot tech ili inych meščanskich i poślych navykov - vot eto budet pravil’noe deio dlja pisatelj a.”36

Seiner Sprache kam dabei eine doppelte Rolle zu: Sie sollte zum einen die Literatur, ihre “Aussage” , dem Massenleser zugänglich m achen, und gleich- zeitig stellte sie selbst ein Objekt satirischer Kritik dar: “J a posmejalsja nad iskazennym jazykom, n a kotorom mnogie govorjat.”39 W ar auch Zoščenkos Popularität in den 20er Jah ren unübertroffen40, so w urde doch der gesell- schaftliche Effekt seines Schaffens wegen seiner Sprache und der Form des

י•

Skaz vielfach angezweifelt. Zurbina schreibt in ihrem Vorwort zu der Ge- sam tausgabe Zoščenkos:

“Literat urnoe m asterstvo ego vo vsem ob”eme i vo vsej složnosti zvučit t-оГко dlja čitatelja vysokoj kvalifikacii. Dlja čitatelja že, na kotorogo Zoščenko rasscityvaet, koe-čto propadaet. Napri- mer, ne tak vpečatljaet jazyk, kotoryj ne *èkzoticen’ dlja étogo čitatelja. (Sam širokij massovyj citatel’ v bol’šej ili m e n ’šej stepeni na étom jazyke govorit)” .41

36Zoščenko: P K P 1929, 58.

37C f Wiren-Garczynski 1965, 72ff.

38Zoščenko: Iz perepiski s čitateljam i 1941, 127.

39Zoščenko: Literatura dolżna b y t’ narodnoj 1940, 339.

40Eine Umfrage in “K ra sn a ja večernaja gazeta” 1929 ergab, daß Zoščenko die beliebteste und bekannteste literarische Persönlichkeit dieses Jah res in Leningrad war, cf. Poljakov 1981, 151. Allein in den 20er Jah ren (bis einschließlich 1930) erschienen Zoščenkos Werke in einer Gesamtauflage von über 1.868.000 Exemplaren (nach meiner Auswertung von “K n ižn aja letopis* ” 1922-1930.)

41Zurbina 1930, 14f.

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Muščenko bezweifelt die Zugänglichkeit des Skaz für die Massen:

“Fetisizirovat’ ètu d o s tu p n o s t’, neodnokratno, kstati, deklarirue- m uju pisatelem, vrjad li sleduet. Delo v tom, čto d o stu p n o st’

skazovoj frazy - s podvochom. Vnešne skaz - èto živoe razgovor- noe slovo, tjagotejuščee к prostorečiju, a sledovatel’no - геаГпо ponjatnoe každomu, kto ego vosprinim aet. No za vnešnej do- s tu p n o s t’ju frazy skryvaetsja ее potaennyj vnutrennij ironičeskij smysl.”42

Wie wenig aber Zoščenko die K om plexität und Kompliziertheit seines Stils auch bewußt gewesen sein mag, so hat er doch eines erreicht:

“IspoPzuja tendencii obichodnogo famil'jarnogo jazyka i stano- vjas’ v poziciju an tag o nista povest vovatel’nomu ideālu, Zoščenko délai ‘jazyk ulicy’ jazykom iskusst va, rasširjaja tem samym krug poèticeskich vozmožnostej russkoj literatury.”43

Zoščenko hielt seiner Zeit mit ihren gesellschaftlichen Veränderungen, denen die Veränderungen im Bewußtsein des Volkes - sprachlich manifest - hin- terherhinkten, den “(Zerr)Spiegel” der Satire vor. In einem ähnlichen Sinne m uß m an die unterschiedliche In terp retatio n von Zoščenkos Sprache als Re- produktion bzw. Ü bertreibung44 des damaligen Sprachzustands begreifen.

Und wie seiner Sprache der instabile Sprachzustand der 20er Ja h re zugrunde lag, so kann auch die bedeutungsverschleiernde Skaz-Form als typischer Re- flex einer Zeit gelten, deren Sinngebäude vorübergehend aus den Fugen ge-

v

raten war. Diese Gesamtsicht von Zoščenkos Werk eignet M. O. Cudakova, die dem Problem des auktorialen Wortes die Schlüsselfunktion in der Poe- tik Zoščenkos zuweist4b. Zoščenko habe, quasi durch die Ausweitung des Dialogs auf die ganze E rzählung40, Erzähler und Autor einander angegli- chen (und damit den Skaz als traditionell charakterisierende, hauptsächlich mündliche und dem Autor fremde Rede47 revolutioniert). Damit stellt er, so

v

Cudakova, das ganze verbale (ü b e r die Funktion des auktorialen Wortes als letzte Sinninstanz48 vermittelte) Autoritätsgefüge in Frage:

42Muščenko et al. 1978, 235.

43Salagaev 1975a, 80

44Cf. z. В Cukierman 1978, 98; Dymśic 1974, 5 gebraucht das Bild vom “zvukousiliter” , den Zoščenko an die Stimmen seiner Helden angeschlossen habe.

45Cf. Cudakova 1979, 3.

46Cf. op. cit., 53.

47“Tem samym tradicionnaja roi* skaza как charakternoj (glavnym obrazom ustnoj) i čužoj dlja avtora reci podvergnuta s il’nejšemu somneniju." Op. cit., 61.

48Cf. Bachtin 1963,215.

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“Jazyk, na kotorom vyrazaetsja avtor, svidetel’stvuet о raspade k u l’turnogo, avt-oritetnogo slova, о nevozmožnosti dlja pišuščego v y ra zit’sja uverenno, jasno, ser’ezno - i ne p o p a s t’ pri êtom v komprometirujuščij stilističeskij r ja d .”49

Damit spricht sie den Prestige- und A utoritätsverlust der Sprache der 111- telligenz und den Mangel eines sofortigen Ersatzes für diese an. F ü r die L iteratur und besonders für Zoščenko bedeutet dies den Mangel an einer Sprache, die geeignet wäre, den auktorialen Gedanken des Schriftstellers

di•

reki

auszudrücken. Zoščenko, dem sprachlichen “Zeitgeist” ehrlich verpflich- tet, ging den Umweg des indirekten Ausdrucks: Er instrum entalisierte die sich erst entwickelnde neue Sprache, versteckte seinen auktorialen G edanken hinter ihrer H andhabung und fand sich so m it ihrer noch nicht ausreichenden

“kommunikativen Kompetenz” ab:

“P isatel’ ne možet ne učest’ novye jazykovye javlenija, izmene- nija jazykovogo soznanija, i pritom u čest’ v polnuju silu, ne как èkzotiku, ne как ornam ent, i v to že vrem ja ne možet u verit’sja v polnoj avtoritetnosti kakoj-libo rečevoj sredy pereživaemogo vremeni.” 50

So war Zoščenkos subjektive Suche nach einem neuen Stil der L ite ra tu r in einer stillosen Zeit51 - eines der Motive für seine Sprachmischung aus Elemen- ten der “Sprache der Straße” und der Hochsprache (HS) mit ihren schrift- sprachlichen Stilen - objektiv zum Scheitern verurteilt:

“V proze Zoščenko čužoe slovo gospodstvuet ; v nej zapečatlelis’ i naprjažennejšie poiski tech sloev, ‘ot kotorych’ možet zagovorit’

sovremennyj pisatel', i beznadeżnost’ étich poiskov.” 52

Im folgenden soll nun die Verbindung zwischen der “Sprache der St raße” und der L iteratu r, d. h. konkret zwischen dem Sprac.hzustand des Russischen nach der Revolution und seiner literarischen V erarbeitung in den Kurzgeschichten Zoščenkos nachvollzogen werden.

Im ersten Kapitel werden die “V oraussetzungen” für Zoščenkos Sprachver- Wendung beschrieben. Erste Voraussetzung ist der Zoščenko um gebende

49Cudakova 1979, 88.

60Op. cit., 113 51Cf. op. cit., 97.

52Op. cit., 113

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Sprachzustand. Die Entwicklung der russischen Sprache in dem ersten Jahr- zehnt nach der Revolution wird nicht so sehr unter dem Aspekt der sprach- liehen Neuerungen (in Lexik und Wortbildung) betrachtet, sondern v.a. als sprachstilistisches Problem: Es wird versucht, den durch das Ineinanderschie- ben von ursprünglich inkompatiblen Sprachschichten entstandenen Unstim- migkeiten, Bedeutungsverwischungen, dem ganzen sprachlichen

laisscz-faire

der Zeit, seinen Faktoren und Tendenzen, nachzugehen, um so quasi ein, wenn auch nicht ganz scharfes, “Genrebild der Sprache" jener Ja h re erstehen zu lassen (1.1.). Zweite Voraussetzung ist die von Zoščenko gewählte litera- rische Form, der Skaz, der, zu einem Teil definiert über m arkierte Sprachver- Wendung, den G ebrauch “niederer1' (und “auffälliger” ) Sprachebenen fördert.

Die allgemeine C h arakterisierung des Skaz m ündet in die Darstellung von Funktion, Funktionieren und W irkung des Skaz bei Zoščenko (1.2.).

Im zweiten Kapitel wird die unter solchen Voraussetzungen möglich gewor- dene Sprache Zoščenkos als Sprache eines Erzählers beschrieben, eines “Sam- meltyps” , der in sich verschiedene gesellschaftliche und sprachliche Bewußt- seinsformen vereinigt. Als Basis seiner sprachlichen Verfassung wird das PR angesehen, das des Erzählers gesellschaftliche Herkunft offenbart und ihn gleichzeitig - typisch, sichtbar auf die gesellschaftlichen Veränderungen rea- gierend - durch die Gegenwart zur Zukunft begleitet.

In einem Exkurs zur kulturellen Entwicklung der Sowjetunion in den 20er- 30er Jahren (3.) werden verschiedene Aspekte des kulturellen Lebens be- leuchtet. Von allgemeinen kulturpolitischen Entwicklungslinien ausgehend, werden Tendenzen in der Literat urpolitik (3.1.) nachvollziehbar gemacht und ihre Auswirkungen auf für Zoščenko relevante literarische Bereiche skizziert (das Genre der Satire und das Erzählverfahren des Skaz). Im gleichen kul- turpolitischen Z u sam m enhang steht die sprachpolitische Entwicklung jener Ja h re (3.2. ), deren Auswirkungen auf die Sprache der L iteratur der 30er-50er Ja h re gravierend waren und bei einem Schriftsteller wie Zoščenko besonders deutlich werden. W ie eng das Schaffen Zoščenkos mit sprach-(und kultur-) politischen Ström ungen zusammenhing, kann z. B. an den erstaunlichen Par- allelen in den Einschätzungen von Zoščenkos Werk und der Beurteilung der Entwicklung der russischen Sprache gezeigt werden. So charakterisiert Sa- lagaev die unterschiedlichen Auffassungen der zeitgenössischen Kritik über die Sprache Zoščenkos:

“Odnim ètot jazyk kazalsja porčej ‘prekrasnogo russkogo jazyka’,

‘jazykom ra jo n n o j sp a n y ’. Drugie videli v nem revoljucionnuju lomku omertvelych form st aro j belletristiki.” 53

53Salagaev 1975a, 2.

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Zwischen den gleichen Polen “porca jazy ka” und “revoljucija jazyka” verlief auch die Diskussion um die russische Sprache in den 20er Jahren .

Die Veränderungen, die sich im Schaffen Zoščenkos seit den 30er J a h re n beob-

achten lassen (Wechsel von der “kleinen” Form zu größeren Formen (z. B. des

R o m ans), Begrenzung der satirischen T hem atik, Didaktisierung des Skaz),

m üssen zu der im Exkurs skizzierten kulturpolitischen Entwicklung in Bezie-

hung gesetzt werden. Dasselbe gilt auch für die textuellen Veränderungen in

Zoščenkos Kurzgeschichten aus den 20er Jahren. Damit steht der Exkurs an

der Nahtstelle zwischen dem ersten Teil der Arbeit, in dem die Sprache dieser

Kurzgeschichten in ihrer sprachlichen und literarischen E in b ettun g , wie sie in

den 20er Jahren gegeben war, gezeigt wird, und dem zweiten Teil, dem (vier-

ten ) Kapitel über die textuellen Veränderungen in Zoščenkos Kurzgeschich-

ten, für den es die außerliterarische E rklärung liefert. Nach textologischen

Vorbemerkungen (4.1.) und der Beschreibung des Korpus (4.2.) werden

im A bschnitt 4.3. die sprachlich und inhaltlich dominierten Textvarianten

ausführlich beschrieben; 4.4. schließt die Arbeit mit. einer Analyse und Inter-

p re ta tio n der Textvarianten und der aus ihnen resultierenden Textversionen

ab.

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1. D ie S p ra c h e Z oščen k os - V o ra u sse tz u n g e n

1.1. D ie E n tw ic k lu n g d e r ru ssisch en S p rach e in d e n 2 0 er J a h r e n

1.1.1. F o rsc h u n g s sta n d

Die Erforschung der Entwicklung der russischen Sprache nach der Révolu- tion fällt in das Aufgabengebiet einer Sprachwissenschaft, die sprachliche Fakten nicht isoliert beschreibt, sondern mit gesellschaftlichen Gegebenhei- teil in Verbindung bringt . Es ist kein Zufall, daß sich eine in diesem weiten Sinne soziolinguistisch ausgerichtete Sprachwissenschaft in den nachrevolu- tionäreii Ja h re n in der Sowjetunion entfaltete54, sollte doch die “m arxistische Sprachwissenschaft” die sprachlichen Funktionen und den Sprachwandel in ihrer Abhängigkeit von sozioökonomischen Fakten erforschen.55

Der soziolinguistische Schw erpunkt der sowjetischen Sprachwissenschaft bis zur M itte der 30er Ja h re leitet sich direkt ab aus der zunächst stürm ischen Entwicklung ihres Forschungsobjekts, die man als von den gesellschaftlichen Umwälzungen ausgelöst u n d beeinflußt zu beschreiben und erklären suchte.

Folgerichtig wird denn auch in hiesigen Arbeiten zur Geschichte der sowje- tischen Sprachwissenschaft, u n d insbesondere der Soziolinguistik, deren er- ste P hase “marxistisch-soziologisch” genannt. Die von Girke und Jachnów 1974 gewählte Periodisierung in die marxistisch-soziologische ( 1917-Mitte der 30er Ja h re), die marristische (M itte der 30er Ja h re bis 1950), die stalinisti- sehe (1950-1956) und die nächstalinistische Periode50 wird, trotz möglicher K ritikpunkte, zunächst als Beschreibungsrahmen für den Forschungsstand ü berno m m en .57

54Die Verknüpfung linguistischer und soziologischer Daten findet sich z. B. bei Larin, der die soziologische Zusammensetzung der Städ te mit dem “jazykovoj byt” (L a n n 1928, 64) korrelierte; Brang 1973, 3, Fn 1 nim m t als “nahezu sicher” an, daß der Begriff “Soziolin- guistik” in der Sowjetunion geprägt wurde. So fordert Larin schon 1928 die Ausarbeitung einer “sociologiceskaja lingvistika” (oder “lingvističeskaja socioloģija” ), cf. Larin 1977, 189.

55Cf. Jachnów 1984a, 748.

56Nach G irke/Jachnow 1974, 16ff. Cf. identische Periodisierungen z. В bei B ran g 1973, 4ff., T im roth 1983, 15ff und Jachnów 1984a, 746ff.

57Eine ähnliche Periodisierung findet sich sowjetischerseits z .B . bei Agafonova 1971, die bezüglich der Erforschung der Entwicklung der russischen Sprache nach der Revolution drei Etappen unterscheidet (20er-30er Ja h r e , 40er-50er Jah re, 60er-70er Ja h re ), wobei sie die marristische und die “dogmatische” (S . 25) (Stalinsche) zusammenfaßt. Eine unzulässige Vereinfachung findet sich dagegen bei Berezin: “ ‘Novoe učenie (von Магг, M G .) о jazyke*

gospodstvovalo v n a ca fn y j period razvitija sovetskogo jazykoznanija” , Berezin 1984, 269.

Einen ähnlichen Standpunkt vertritt auch Čemodanov 1975, 16ff., der zwar ebenso wie Agafonova den Marrismus von der frühen soziolinguistischen Richtung trennt, letzterer aber bescheinigt: “Odnako konkretnye raboty ètogo napravlenija okazalis* nesvobodny ot

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1 . 1 . 1 . 1 . D i e m a r x is t is c h - s o z io lo g i s c h e P e r i o d e

Die O ktoberrevolution 1917 installierte ein neues Gesellschaftssystem, hob überkom m ene soziale Strukturen auf und löste eine große soziale und - in*

folge von Bürgerkrieg und Hungersnöten - regionale Mobilität aus. Dies fand seinen direkten Niederschlag in der russischen Sprache, die sich v.a.

in ihrem lexikalischen Bestand veränderte (neue Benennungen, Bedeutungs-

V e r ä n d e r u n g e n ,

Veralten zaristischer und weite Verbreitung sozialistischer

Begrifflichkeiten) und deren stilistisches System für eine Weile aus den Fu- gen geriet. Die sehr heftig vor sich gehenden Veränderungen betrafen alle Funktionsbereiche der Sprache, ergriffen sowohl die mündliche als auch die schriftliche Rede - und stießen auf ein ungewöhnlich reges Interesse seitens

+•

der sowjetischen Öffentlichkeit.

In der Presse der 20er Jah re entspannen sich heftige D eb atten ü b er das Schicksal der russischen Sprache, an denen sich Literaten, L iteraturkritiker und -Wissenschaftler, Pädagogen, Journalisten und die politischen A kteure58 bis h in a u f zu Lenin59 beteiligten.60 W ährend sich v.a. die L iteraturkritiker und -Wissenschaftler besorgt über die unkontrollierbare Entwicklung einer Sprache äußerten, die zuvor in ihrer “reinen Form” nur ihnen u n d ihren “Ob- je k te n ” , den Literaten, zur Verfügung gestanden h atte, die ihrerseits reichli- chen G ebrauch von dem neuen lexikalischen Material und den verschiedenen Erscheinungen stilistischer Verschiebungen m achten ( u .a . B abel’, Zoščenko, Kaverin, Majakovskij), stand für die Pädagogen, Journalisten und politi- sehen A kteure die Bewältigung einer gestörten K om m unikationssituation61 an: K äm pften die Pädagogen mit Verständnisschwierigkeiten gegenüber ih- ren Zöglingen, stellte sich Journalisten und politischen A kteuren die Frage, ob die Sprache der Presse, d.i. die Sprache der politischen Aufklärung, sich aus G rü n d e n der Volksnahe und Verständlichkeit auf das Niveau des Volkes begeben sollte oder ob die Sprache der politischen P ro p a g a n d a ihren Beitrag

vul’garno-sociologiceskogo podehoda к analizu svjazi meždu lingvističeskimi i so cial,nymi processami” (S . 19). Indern er so die frühen Arbeiten in die Nähe des Marrismus rückt, setzt er sie in ihrem Wert herab.

Be» Mešcerskij 1981 wird der die Beschreibung der sprachlichen Entwicklung nach der Revolution hemmenden und die soziolinguistische Forschung abtötenden marristischen und stalinistischen Perioden kaum Erwähnung getan Dies zeugt davon, daß die Epoche des Stalinismus in der Sowjetunion auch in der Sprachwissenschaft noch nicht verarbeitet ist

58Dies 1st meine Übersetzung von ‘4politiceskij d eja tel1” .

55*Vielzitiert ist z . B . Lenins Notiz “Ob očistke russkogo jazyka” 1924. Einen informati- ven Überblick über Lenins Sorgen bezüglich der Sprache der politischen Akteure und der Zeitungen bietet Mitrofanov 1968.

60CT Uspenskij 1931, 2 5 2 f.t Vetvickij 1967, 137 und Kunert 1984, 387.

61Zu Untersuchungen zur Kommunikationssituation nach 1917 cf G irk e/Jach n ow 1974, 37ff

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zur “A k k u ltu ra tio n ” , zur A nhebung des kulturellen Niveaus des Volkes, zu leisten h ä tte .62

Selbstverständlich konnten sich die Linguisten diesen Diskussionen um “ih r”

Forschungsobjekt nicht verschließen; viele der damaligen Arbeiten h a tte n an- wendungsorientierten C h arak ter63, sofern sie hinsichtlich der Problem atik der A kkulturation der Bevölkerung und der Verbreitung des Russischen die Frage der P lan b ark eit von Sprache im monoethnischen und multiethnischen Be- reich disk u tierten.64 Bezüglich der russischen Sprache wurden Überlegungen zu einer Sprachpolitik (der Begriff “jazykovaja politika” wurde 1923 von Vi- nokur g e p räg t65) angestellt, die in den Entwicklungsgang regulativ eingreifen sollte. Die Sprachwissenschaftler w andten sich einerseits gegen die Verunrei- nigung der Sprache durch Elemente “niederer” Sprachschichten66 und tr a te n andererseits puristischen Tendenzen, die die Neuerungen der Sprache mit dem E tikett “porca jazy ka”67 versahen und eine Rückkehr zur alten klassi- sehen “L iteratursprache” forderten, ebenso entgegen wie allzu revolutionären Tendenzen, die eine Revolution der Sprache postulierten. So wiesen z.B .

62Cf. op. eit.,* 38. Interessant ist ihr Vergleich mit der in der westlichen Soziolinguistik viel später stattfindenden Diskussion über Differenzkonzeption und Defizithypothese, ibid.

Eme zeitgenössische Darstellung dieses Konflikts bietet Vinokur in seinem Aufsatz “Jazy k naśej gazety” 1924.

63Cf. Jachnów 1984a, 746.

64Cf. Uspenskij 1931, 272f., Jachnów 1984b, 801.

65Cf. Vinokur 1923c.

66Mit den ״niederen” Sprachschichten bzw Gebrauchssphären der Sprache ist der Sprach- gebrauch unterhalb der HS (sowohl ihrer schriftlichen als auch ihrer mündlichen Variante, der razgovornaja ree ') gemeint: Prostorečie und Jargon als soziale und Dialekt als territoriale Erscheinung.

Auf eine Unterscheidung zwischen Jarg o n und Argot wird verzichtet. Abgesehen davon, daß diese Termini in der wissenschaftlichen Literatur häufig einander widersprechend oder aber synonym gebraucht werden (cf. Brang 1973, 7, Fn. 23), ist eine denkbare Trennung von Jarg on , etwa verstanden als gruppenspezifische Redeweise, und Argot, als Geheimsprache der Unterwelt bzw von Gruppen “vne obščestva" (Horbatsch 1982, 63) quasi eine A bart des Jarg on s, nur sinnvoll, solange die Redeweise dieser Gruppen jeweils noch untrennbar mit diesen verbunden ist. Dies ist aber in den 20er Jahren schon nicht mehr der Fall« Skvorcov, der die allmähliche Auflösung der Gruppenbezogenheit von Jargons und ihrer daraus resultierenden Ausbreitung zu einem Interjargon, j a zu einem “zargonnyj stil* reči”

(Skvorcov 1977, 32) beschreibt, weist auf die 20er Jah re hin als eine Periode “aktivnogo i neposredstvennogo vzaimodejstvija argoticeskich êlementov (bei Skvorcov synonym mit Jargonelementen, M G .) s razgovomoj i literaturnoj rec’j u ” (o p .c it., 30). Damals wurde z B. die Redeweise der Diebe zu einem großen Teil von den besp rizom y e übernommen, die wiederum als Identifikationsfiguren ihren Jargon an die Schüler und die Fabrikjugend wei- tergaben Nicht nur Elemente des Diebesjargons fanden damals weite Verbreitung, sondern v . a auch des Jargons der Soldaten und Matrosen, cf. 1.1 2.3. Für diese Zeit ist also eine Unterscheidung von Argot und Jargon wenig sinnvoll.

6 'Cf. G ornfel’d 1922 und die Antwort darauf von Fomin 1925; dagegen argumentierten z. B. Vinokur 1923b, Cernych 1923, Polivanov 1968d, Sor 1928, Trunev 1928.

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Karcevskij und Seliščev Barannikovs, Kiselevs un d R e m p e l’s Idee von einer Revolution der Sprache zurück. Karcevskij schrieb schon 1923: “Vse pro- cessy, nabljudajuščiesja v russkom jazyke, ja v lja ju ts ja obycnymi jazykovymi processami, no s uskorennym tem pom .”68 Diese Auffassung von der Ent- wicklung nach den üblichen Gesetzmäßigkeiten m it gesteigertem Tem po hat sich in der sowjetischen Linguistik gehalten, sie läßt aber die - wenn auch vorübergehende - Erscheinung der stilistischen Verschiebungen außer acht.

Die Beschreibung der sprachlichen V eränderungen setzte unm ittelbar nach der Revolution ein. Der Aufsatz von Barannikov “Iz nabljudenij nad razvi- tiem russkogo jazyka v poślednie gody” (1919) stellt den sozialen C harakter der Sprache ( “sociarnost■’ prirody jazyka”69) - u n d dam it den Bezug zwischen Sprachwissenschaft und Soziologie - im allgemeinen und die Einwirkung der Revolution auf die Sprache im besonderen h erau s, eine Einsicht, die für die m eisten Forscher in der Folgezeit ein Axiom d a rste llte .70 Diesen Aufzeich- nungen der Kriegs- und Revolutionslexik folgten die (französische) Arbeit von Mazon 1920, die auf noch spärlicher M aterialg ru n d lag e die Neologismen erstm alig klassifiziert, und, mit wichtigen K o rrek tu re n u n d Ergänzungen zu M azon, der Aufsatz Jakobsons ״Vliv revoluce n a rusky jazyk” (1921). Die m aterialreichste Arbeit zum damaligen S p ra c h z u sta n d ist Seliščevs “Jazyk re- voljucionnoj épochi” (1928), eine Darstellung, die tr o tz großer methodischer Mängel einen ausgezeichneten Eindruck von den sprachlichen Veränderungen der Zeit vermittelt.

Selbstverständlich wird in all diesen A rbeiten auch a u f die Frage nach den kausalen Verbindungen zwischen der Sprache u n d den gesellschaftlichen Ver- hältnissen eingegangen. Polivanov, herau sragen der Theoretiker der marxi- stisch-soziologischen Richtung, teilte die sozioökonomischen Faktoren, die die Sprachveränderungen bewirkten, in u n m itte lb a re (Notwendigkeit der Be- n ennung neuer Begrifflichkeiten) und m ittelb are (V eränderung des “sozialen S u b s tr a ts ” , d.i. der sozialen Zusam m ensetzung der Sprecher der HS, was zu einem Aufeinandertreffen der HS mit “n ied eren ” Sprachschichten führte)

••

ein71, w arnte aber vor einer Überbewertung des Einflusses sozialer Faktoren a u f die Sprachentwicklung, da die Sprache, u m K om m unikationsm ittel zu bleiben, stabiler sein müsse als die sozialen Z u stä n d e 72. Dem widerspricht die Arbeit Seliščevs, der die Auffassung von einer stark en , wenn auch nicht revolutionären Veränderung der HS vertrat. Vom heutigen S ta n d p u n k t aus

68Karcevskij 1923, 69f.

69C f Barannikov 1919, 67.

70C f Uspenskij 1931, 262.

71Cf. Polivanov 1968d (1927), 191.

72C f G irke/Jachnow 1974, 20.

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m uß m an wohl Polivanov Recht geben, der ein Gespür für die Kurzlebig- keit vieler Erscheinungen h a t t e 73. Dennoch traf es zu, daß die sprachlichen Veränderungen in den 20er Ja h re n zunächst so turbulent vor sich gingen u n d einen solchen W irrw arr zur Folge h a tte n , daß Jakubinskij von einer “sm ut- noe vrem ja” der Sprache redete74. Deshalb nimmt es auch nicht w under, daß Uspenskij in seinem bibliographischen Bericht “Russkij jazyk posle re- voljucii” (1931) konstatiert, es sei eigentlich zum gegebenen Zeitpunkt noch gar nicht möglich, gesicherte Aussagen über den Sprachzustand zu m achen, d a es an soziolinguistisch fundierten Materialsammlungen fehle.75 (Hier wird eine Parallele sichtbar zwischen dem sich einer Beschreibung (noch) entzie- henden Status quo der russischen Sprache und Zoščenkos Unvermögen, das au to ritativ e Wort für die L ite ra tu r (wieder) zu finden.)

Allgemein werden die A rbeiten aus dieser Zeit folgendermaßen kritisiert:

Die verständlicherweise überwiegend empirischen, faktographischen Arbei- ten (von Larin, Polivanov, Seliščev, Karinskij, Danilov u .a .) weisen, v .a . was Systematik und R e p rä se n ta tiv itä t angeht, z. T. erhebliche Mängel in der Datenauswahl, -erfassung un d -b e w e rtu n g a u f 76 (insbesondere wegen einer noch fehlenden soziolinguistischen Konzeption)77, so daß das A usm aß der damaligen sprachlichen Veränderungen weder in bezug auf die lexikalischen und W ortbildungsneuheiten noch auf die systemhaften Veränderungen der Sprache quantifizierbar ist, zumal auch keine Arbeiten über den Sprach- zustand vor der Revolution (z.B . über die vorrevolutionäre Sprache des P ro le ta ria ts78) zum Vergleich herangezogen werden konnten. Durch die ein- seitige Benennung sozialer (äußerer) Faktoren des Sprachwandels (vs. sprach- inhärenter, innerer79) bei gleichzeitig schwacher Integration der soziologi- sehen Komponente80 e rk lärt sich, was in bezug auf die soziolinguistischen Arbeiten Uspenskij schon 1931 feststellt : “Obščej schemy jazykovoj èvoljucii ne polučalos’”81.

Daß ich trotz der gen an n ten Mängel (und wegen des Fehlens besserer Be- Schreibungen des nachrevolutionären Status quo in der neueren sowjetischen Soziolinguistik) in diesem Kapitel dennoch v. a. die Arbeiten der marxistisch-

73Cf. Polivanov 1968d, 191; zu derselben Problematik cf. auch A lta jsk a ja 1960 und G ranovskaja 1983, 48ff.

74Cf. Uspenskij 1931, 258.

75Cf. op. cit., 261 und 274.

76Cf. Jachnów 1984b, 801.

77Cf. Girke/Jachnow 1974, 42.

78Cf. Uspenskij 1931, 274.

7*Cf. Russkij jazyk i sovetskoe obščestvo 1968. T . 1, 17.

80Cf. Girke/Jachnow 1974, 42.

81Uspenskij 1 9 3 1 ,2 6 1 .

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