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Phänomene sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität

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Academic year: 2022

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Loccumer Pelikan

Religionspädagogisches Magazin für Schule und Gemeinde des Religionspädagogischen Instituts Loccum

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ISSN 1435-8387

Religionspädagogik der Vielfalt Die Segnung von Paaren in eingetragener

Lebenspartnerschaft Homophobie und Transphobie

in Schulen und Jugendeinrichtungen Phänomene sexueller

Orientierung und Geschlechtsidentität

Auf dem Weg vom Mann zur Trans-Frau

„Die Mitte der Welt“

Arbeitshilfe Gymnasium Genesis und Gender Das Hohelied in der Konfirmandenarbeit

Bildbetrachtung:

Poller & Persenning

Gender

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inhalt

Silke Leonhard editorial . . . 1

grundsätzlich Kerstin Söderblom „Darf es auch bunt sein?“ Gleichgeschlechtliche Lebensformen als Herausforderungen für eine Religionspädagogik der Vielfalt . . . 3

Arend de Vries Die Segnung von Paaren in eingetragener Lebenspartnerschaft in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers . . . 7

Ulrich Klocke Homophobie und Transphobie in Schulen und Jugendeinrichtungen . Was können pädagogische Fachkräfte tun? . . . 11

nachgefragt Theodor Adam Phänomene sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität . . . 18

Fabian Outing heute . . . 20

Beate Peters Auf dem Weg vom Mann zur Trans-Frau . Beate Peters im Gespräch mit Helen Lange . . . 20

praktisch Kirsten Rabe „Es ist ein schönes Gefühl . Es ist das Gefühl von Leben in Bewegung .“ Impulse zu Andreas Steinhöfels Roman „Die Mitte der Welt“ . . . 23

Andreas Behr Genesis und Gender . Auf der Suche nach dem individuellen Konfirmationsspruch . . . 29

Martin Wenzel Das Hohelied . Ein Projekt für die Arbeit mit Konfirmandinnen und Konfirmanden . . . 32

Lothar Teckemeyer „Jetzt ist der Tag des Heils“ . Bildbetrachtung: Poller und Persenning . . . 35

informativ Ursula Remmers und Was machen die Mädels? – Was machen die Jungs? Johanna Stukenbrook Ein lyrisch-musikalisches Spiel . . . 38

Giuseppina Lettieri Was heißt eigentlich „Trans“ und wofür steht das Sternchen? Das Projekt „Diversity Box” zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt . . . 41

Niki Trauthwein Biografische Skizzen geschlechtlicher Identität . . . 45

Ulrike Fiene Rollenbilder in der Kinder- und Jugendliteratur . Lektüreideen für die Schule . . . 48

Felix Emrich „Gender“ – Ein Blick ins Internet . . . 49

Kirsten Rabe „Gender“ – Ein Blick in die Presse . . . 51

Ausgestellt: Hermann Buß: Poller und Persenning . . . 2

Impressum . . . 26

In eigener Sache: Zwei neue Dozenten am RPI Loccum . . . 52

Buch- und Materialbesprechungen . . . 53

Veranstaltungen von März bis Mai 2017 . . . 54 Titelbild: Conchita – © Foto: Markus Morianz

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ed ito ria l

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Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Aus deutschem Blickwinkel klingt das Interesse am Bau einer Mauer ebenso absurd wie das Verschwindenlassen einer Homepage über Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergender – steht beides doch für eine Grenzziehung zum ungewollten Anderen. Aber nicht erst mit der neuen amerikanischen Regierung kommen skur- rile Dimensionen der Beziehung von Fakt und Fake in die Welt; die Äußerungen von Donald Trump, aber auch von Vertretern der AfD nötigen mehr denn je dazu, über das Verhältnis von Wirklichkeit und Wahrheit in Bezug auf die Pluralität von Lebensformen nachzudenken.

Eine Religionspädagogik der Vielfalt betrifft nicht nur un- terschiedliche Begabungen, sondern auch vielfältig mögli- che Geschlechtlichkeit. Um diese mit ihrer Produktivität, aber auch mit den Leiderfahrungen sichtbarer ins Bewusst- sein zu rücken, gibt das vorliegende Heft zu lesen und zu schauen: Die Theologin Kerstin Söderblom legt am Bei spiel gleichgeschlechtlicher Lebensformen Grund an- nahmen einer Religionspädagogik der Vielfalt dar und prüft an ihnen Kategorien wie Bibelinterpretation, Men- schen bild, Kirchenbild, Partnerschaft und Sexualität. Den langen landeskirchlichen Weg und seine Hürden bis zum gegenwärtigen Stand der Segnung von Paaren in einge- tragener Lebenspartnerschaft beleuchtet der Geistliche Vizepräsident im Landeskirchenamt Hannover, Arend de Vries. Ulrich Klocke antwickelt anhand seiner seine Berliner sozialpsychologische Studie zu Verhalten und Einstellungen gegenüber Homosexuellen und nicht- geschlechtskonformen Schülerinnen und Schülern Strategien, wie Vorurteilen begegnet werden kann, um die Akzeptanz für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt erhöhen.

Neben informativen und vertiefenden Artikeln mit Be- zügen zu Kunst, Geschichte und Literatur kommen auch

die Praxisanregungen zu Gendersensibilität nicht zu kurz. Zusammen ermutigen die Beiträge auch zur Wahr- nehmung bisher fremder Aspekte und tragen vielfältig zu Perspektivenwechseln bei. Es geht also darum, als der Mensch leben zu können, der ich nun einmal war, bin und sein werde – diese kilometertiefe Sehnsucht nach dem „und siehe, es war sehr gut“ (1. Mose 1,31) kommt in diesem Gender-Heft an einem wahrhaft sensiblen Punkt zur Sprache.

Reformation ist in diesem Jubiläumsjahr weiter auf dem Programm: Welche Themen speisen sich aus ihr, und welche Entwicklungen und Impulse ergeben sich aus der Reformation bis heute? Um sie einfach und anregend in der Schule aufgreifen zu können, haben das Niedersächsische Kultusministerium und die Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen gemeinsam Programme und Wettbewerbe entwickelt (z. B. Luther-Raps oder Poetry Slam „Meine These – meine Worte“), Projekte initi- iert (wie den interaktiven Internet-Atlas „Gesichter der Reformation in Niedersachsen“) und vielfältige hilfrei- che Informationen zusammengestellt. Schauen Sie nach (www.reformation-niedersachsen.de) oder sprechen Sie die Ansprechpartner an (Information und Anmeldung:

im RPI Felix.Emrich@evlka.de, Tel. 0 57 66 / 81 146; im Kultusministerium Jens.Aden@mk.niedersachsen.de, Tel.

05 11 / 72 55).

Aus Loccum wünschen wir Ihnen wahrlich ein schönes Frühjahr und passioniertes Wirken!

Ihre

PD Dr. Silke Leonhard Rektorin

editorial

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A

m Anfang stand die Bitte eines Freundes: ein Bild zu malen zu den 95 Thesen Martin Luthers. Am Ende sind dreizehn Bilder entstanden. Dreizehn Bilder, mit denen sich der in Ostfriesland lebende Künstler Hermann Buß den Thesen Martin Luthers nähert. Die Bilderreihe „Poller und Persenning“ ist zur Zeit im RPI ausgestellt und begleitet das vorliegende Heft.

Maritime Motive, das Meer und das Grau des Himmels sind die wesentlichen Gestaltungselemente auf den über- wiegend großformatigen Ölarbeiten. Und immer wie- der begegnen Poller und Persenning: Mal stehen sie im Vordergrund, mal erscheinen sie nur nebenbei – aber im- mer sind sie da. Zwei Wörter aus den 95 Thesen haben Hermann Buß besonders bewegt und zu seinen Arbeiten inspiriert: „Gnade“ und „Barmherzigkeit“ – für ihn Schlüsselbegriffe dieser „Urschrift“ der Reformation. So gilt es also, Gnade und Barmherzigkeit in, mit und unter Poller und Persenning zu entdecken und sich einzulassen auf Bilder, die zum Erzählen und Festmachen einladen.

Der Bilderyklus ist mit elf der 13 Arbeiten als Sam- melmappe in der Reihe Loccumer Impulse erschienen.

Diese sind außerdem in dem Bildungsbuch „95 Thesen JETZT“ abgedruckt. Beide Publikationen sind über den online-shop des RPi (https://onlineshop.rpi-loccum.de) zu beziehen.

Die Ausstellung im RPI läuft noch bis zum 12. April 2017.

Oliver Friedrich

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Von Gnade und Barmherzigkeit

Bilderzyklus „Poller und Persenning“ von Hermann Buß

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1. Ausgangssituation

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Dieses Be- kenntnis zur Menschenwürde ist der erste Satz des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Hieraus leiten sich Werte und weitere Bestimmungen der deut- schen Verfassung ab wie beispielsweise das allgemei- ne Diskriminierungsverbot. Insofern sind Lesben-, Schwulen-, Bi-, Trans-, Intersexuellen und Queer-Feind- lichkeit (LSBTIQ-Feindlichkeit) genauso wie Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit oder Antiziganismus nicht mit dem Grundgesetz der Bundes- republik Deutschland vereinbar. Sie widersprechen der freiheitlich, demokratisch und sozial verfassten Gesellschaftsordnung Deutschlands. Dennoch gibt es LSBTIQ-feindliche Straf- und Gewalttaten. Es kommt zu Übergriffen, Benachteiligungen und Anfeindungen.

Religiöse Fundamentalistinnen und Fundamentalisten, Rechtspopulisten und Rechtsextreme engagieren sich da- für, LSBTIQ gleiche Rechte zu verweigern und sie aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen. Sie wehren sich online und offline mit Hetze und Hassreden gegen eine Pädagogik der Vielfalt und kritisieren den angeblichen „Genderwahn“.

LSBTIQ-feindliche Einstellungen und Handlungen finden sich aber auch in der so genannten „Mitte der Gesellschaft“. Der Koalitionsplan der aktuellen Bundes- regierung hat 2013 Homo- und Transfeindlichkeit kritisiert und einen Aktionsplan dagegen versprochen. Noch ist die- ser nicht umgesetzt. Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) hat Eckdaten für einen solchen Aktionsplan vorgelegt.1

1 Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD): Eck- punkte für die Erweiterung des Nationalen Aktionsplans gegen Rassismus um die Themen Homo- und Transphobie (Juli 2016),

Ein wichtiges Handlungsfeld zur Bekämpfung von LSBTIQ-Feindlichkeit sind dabei Lernorte wie Kitas und schulische und außerschulische Bildungsstätten. Denn es gehört zum Bildungsauftrag von Schulen und außer- schulischen Einrichtungen, Kinder und Jugendliche über das Thema aufzuklären und Diskriminierungen entge- genzuwirken. Insofern hat auch die Religionspädagogik ihren Anteil daran, dieses Thema im Rahmen einer

„Religionspädagogik der Vielfalt“ zu bearbeiten.

2. Grundannahmen einer

Religionspädagogik der Vielfalt

„Religionspädagogik der Vielfalt meint ein Konzept re- ligiösen Lernens, das soziale, kulturelle, religiöse und geschlechtsbezogene Differenzen als bedeutsam für Voraussetzungen, Strukturen und Themen von religiösen Bildungsprozessen erachtet. Aus diesem Grund werden diese Differenzen und Heterogenitätsdimensionen bewusst reflektiert und in die Gestaltung von Bildungsprozessen einbezogen.“2 Die Dimensionen von Vielfalt erschließen sich aus der „Charta der Vielfalt“3, die von verschiede- nen Trägern formuliert und unterzeichnet wurde. Es geht um Geschlechtsidentität, Hautfarbe, Alter, Behinderung, kulturelle und ethnische Zugehörigkeit, Religion, sexuelle Orientierung. Zentral ist es, diese Dimensionen intersekti- onal aufeinander zu beziehen, statt sie voneinander abzu- koppeln oder gar gegeneinander auszuspielen.

www.lsvd.de/fileadmin/pics/Dokumente/Aktionsplan/NAP- Eckpunkte_final.pdf (abgerufen: 10.12.2016).

2 Comenius-Institut (Hg.): Inklusive Religionslehrer_innenbil- dung. Module und Bausteine, Münster 2014, 7f.

3 Charta der Vielfalt: www.charta-der-vielfalt.de/charta-der-viel falt/die-charta-im-wortlaut.html (abgerufen: 10.12.2016).

„Darf es auch bunt sein?“

Gleichgeschlechtliche Lebensformen als Herausforderungen für eine Religionspädagogik der Vielfalt

Von Kerstin Söderblom

grundsätzlich

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Eine Religionspädagogik der Vielfalt benennt Unter- schiede und Verschiedenheiten der Menschen in ihren Kontexten, Lebenswelten und Lebensformen und sucht Wege, diese Unterschiede konstruktiv aufzunehmen, so- dass alle Beteiligten in Schulen, Kirche und Gesellschaft respektvoll miteinander leben und voneinander lernen können.

Ein solches Konzept braucht institutionelle Rahmen- bedingungen und verantwortliches Handeln auf allen religionspädagogischen und kirchlichen Ebenen. Zudem braucht es ein Klima von Achtsamkeit und Respekt, um Unterschiede und Verschiedenheit nicht nur sichtbar zu machen, sondern um damit konstruktiv umgehen zu ler- nen.

Der erste Schritt einer Religionspädagogik der Vielfalt ist es, vorhandene Unrechtstrukturen in Kirche und Ge- sellschaft zu benennen und zu analysieren. Strukturen von Sexismus, Rassismus, Ausländer- und Behindertenfeind- lichkeit, Antisemitismus, Homo- und Transfeindlichkeit werden dabei auf ihre wechselseitigen Zusammenhänge untersucht. Sie entspringen in der Regel ähnlichen Vorur- teilen und Stigmatisierungen von Menschen und Gruppen, die in irgendeiner Weise anders sind. Diese „Anderen“

werden durch „heteronormative“4 Konstruktionen abge- wertet. Solche Mechanismen und Veränderungsmöglich- keiten werden benannt. Akteurinnen und Akteure ei- ner Religionspädagogik der Vielfalt sind pädagogische Lehrkräfte, haupt- und ehrenamtlich Aktive in Kirchen und Bildungseinrichtungen, Forschende und Lehrende an den Hochschulen, Aktive in Gemeinden und Gremien, Kirchenleitende Funktionsträgerinnen und Funktions- träger und viele mehr.

Ein Konzept für eine Religionspädagogik der Vielfalt spielt Opfergruppen nicht gegeneinander aus und schiebt die Verantwortung für Veränderung nicht auf die Betroffenen alleine ab. Stattdessen stellt es das Thema als gesamtgesellschaftliche Aufgabe und als religionspä- dagogische Herausforderung dar. Die Überwindung von Ausgrenzung geht alle an.

3. Prüfbereiche

Für eine Religionspädagogik der Vielfalt kann der Umgang mit lesbischen und schwulen Lebensformen als eine Art Lackmustest für die Wirksamkeit des Konzepts gelten.

Denn das Thema ist in Kirche und an religionspädagogi- schen Lernorten kontrovers und emotional hoch aufgela- den. Folgende fünf Prüfbereiche sollten dabei mindestens reflektiert werden: Bibelinterpretation, Menschenbild, Kirchenbild, Partnerschaft und Sexualität.

4 Vgl. Söderblom, Kerstin: Religionspädagogik der Vielfalt. Her- ausforderungen jenseits der Heteronormativität, in: Pithan, Anne- belle, u.a. (Hg.): Gender – Religion – Bildung. Beiträge zu einer Religionspädagogik der Vielfalt, Gütersloh 2009, 371-387.

Bibelinterpretation

Die wenigen Bibelstellen über Homosexualität werden von Leserinnen und Lesern unterschiedlich interpretiert.5 Die einen beziehen sich wörtlich auf diese Bibelstellen und gründen darauf ihre abwehrende und verurteilende Haltung gegenüber Lesben und Schwulen. Andere bezie- hen sich auf die Erkenntnisse der historisch-kritischen Methode. Diese lehnt bereits seit mehr als hundert Jahren eine wörtliche Bibellektüre ab. Stattdessen wird der lite- rarische, kulturelle und sozialgeschichtliche Kontext der Bibelverse herausgearbeitet. Es wird betont, dass biblische Texte nicht nur eine Übersetzung aus dem Urtext, sondern auch eine Übertragung von der Zeit der Verfassung der Texte in die heutige Zeit brauchen. Bei allen kontroversen Diskussionen sind sich die meisten Wissenschaftler und Forscherinnen darüber einig, dass die biblischen Texte zur Homosexualität nichts zum Thema von schwulen und lesbischen Lebensformen aussagen, wie sie heute bekannt sind. Kaum umstritten ist weiterhin, dass die Bibelstellen nicht von konkreten Personen handeln, die Menschen des gleichen Geschlechts lieben. Vielmehr geht es um homo- sexuelle Praktiken im Kontext von Kulthandlungen. Sie werden sowohl im Alten als auch im Neuen Testament als Beispiele von Unreinheit und Sünde von Nichtgläubigen oder Andersgläubigen der damaligen Zeit angeführt, um sich von ihnen abzugrenzen. Insofern sind die Textstellen nicht aussagekräftig für eine Diskussion über lesbische und schwule Partnerschaften im 21. Jahrhundert.

Orientierung für eine Religionspädagogik der Vielfalt gibt stattdessen die biblische Gesamtbotschaft. Gottes Doppelgebot der Liebe verpflichtet jeden Menschen zur Gottesliebe genauso wie zur Verantwortung und Respekt gegenüber Anderen – auch und gerade gegenüber den- jenigen, die als anders und fremd gelten. Jesus hat in seinen Lehren und in seinem Handeln die so genannten Außenseiter in die Mitte seiner theologischen Botschaft gestellt. Und auch die paulinische Leib-Christi-Theologie unterstreicht, dass die Menschen in den Gemeinden mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen und Gaben nur ge- meinsam den einen Leib Christi formen können. Kein Glied kann ohne Schaden für das Ganze ausgegrenzt oder herausgenommen werden.

Menschenbild

Die Bibel macht im 1. Buch Mose keine Einschränkung im Hinblick auf die Gottesebenbildlichkeit. Alle Menschen werden von Gott gesegnet und als Ebenbilder Gottes bezeichnet. In ihrer Vielfalt von Herkunft, Hautfarbe, Genderidentität, Alter, Gesundheitszustand, Sprache, Kultur und Lebensform bilden sie Gottes Ebenbild in unterschiedlicher aber gleichberechtigter Weise ab.

Niemand muss dafür Vorbedingungen erfüllen. Auch

5 Vgl. Janssen, Claudia: Die Ängste kommen nicht aus der Bibel.

Interview mit Ines Pohl, in: taz. die tageszeitung vom 5.02.2014, http://www.taz.de/!399349/ (abgerufen: 10.12.2016).

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im Neuen Testament werden die Menschen in gleicher Weise von Gott angesehen. Sie sind alle zugleich Sünder und Gerechtfertigte, wie es Martin Luther formuliert hat. Niemand macht da eine Ausnahme. Die jeweili- ge Lebensform ist genauso wenig wie Herkunft oder Hautfarbe ein Kriterium, das zur Ungleichbehandlung oder Ausgrenzung legitimiert.

Kirchenbild

Kirchengemeinden brauchen die Vielfalt der Menschen in ihren Kirchen, weil das Phänomen der Milieuverengung für Kirchen eine ernste Herausforderung ist.6 Es sollte nicht dadurch verstärkt werden, dass man verschiedene Gruppen von Menschen nur aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft oder ihrer Lebensform ausgrenzt oder sie als minderwertig ansieht. Es gilt, Binnenperspektiven beherzt zu öffnen, statt sich nach innen abzuschirmen.

Offene, gastfreundliche und inklusive Kirchengemeinden und religionspädagogische Orte sind interessant und at- traktiv: Die biblischen Geschichten erzählen von der Gemeinschaft der Unterschiedlichen, die den Leib Christi

6 Vgl. Schulz, Claudia / Hauschildt, Eberhard / Kohler, Eike:

Milieus praktisch. Analyse und Planungshilfen für Kirche und Gemeinde, Göttingen 2008.

bilden und gerade durch ihre verschiedenen Fähigkeiten und Begabungen die Gemeinschaft bereichern. Schließlich hat Jesus sein Leben beispielhaft mit am Rande stehenden und ausgegrenzten Menschen geteilt und sie ins Zentrum seines Wirkens gestellt. Gleichzeitig ist Jesus selbst ausge- grenzt worden. Mit seinem ganzen Leben steht Jesus für einen Perspektivwechsel im Hinblick auf Zentrum und Peripherie.

Partnerschaft

Liebesbeziehungen werden auch in lesbischen und schwu- len Partnerschaften gelebt; nicht mehr und nicht weni- ger verantwortlich als in heterosexuellen Beziehungen.

Folgende ethische Kriterien sollten für alle Paare gel- ten, ob nun hetero, homo oder queer: Liebe, Achtung, Treue, Gleichberechtigung, gegenseitige Fürsorge, Gewaltfreiheit. Es kann in diesen Fragen nur um ein ge- meinsames Ringen um gelingende Beziehungen gehen.

Jedes Individuum und jedes Paar – ob homo- oder hete- rosexuell – ist hier in die Verantwortung gerufen. Eine Garantie auf Erfolg und Glück hat keine Partnerschaft, wie die Scheidungsstatistiken jedes Jahr neu zeigen. Deshalb ist es aufgrund der Begrenztheit und Fehlbarkeit mensch- lichen Tuns und der letztendlichen Unverfügbarkeit von Beziehungsgeschehen wichtig, dass Paare – ob ho- Hermann Buß, Poller und Persenning, Bilderzyklus zum Reformationsjubiläum 2017, Nr. 5,

Öl auf Leinwand, 70 x 60 cm

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mo oder hetero – Gottes Segen für ihre Beziehung und Partnerschaft, für ihre Kinder, Familien und Freunde er- bitten können.

Sexualität

Die großen Kirchen tun sich von alters her nicht leicht mit ihrem Verhältnis zur Sexualität. In der katholischen Kirche ist sie bis heute klar ausgerichtet auf das Ziel der Fortpflanzung.

In der evangelischen Sexualethik wird Sexualität hin- gegen als eigene Sprache der Liebe anerkannt und als gute Gabe Gottes verstanden, die nicht nur auf Fortpflanzung ausgerichtet ist, sondern auch als intimer Ausdruck von Liebe, Zärtlichkeit und Vertrauen angesehen wird.

Dennoch gilt auch in den evangelischen Kirchen, dass darüber nicht gerne gesprochen wird. Umso schwieriger ist es, vor diesem Hintergrund über Homosexualität zu re- den. Unsicherheiten und Ängste sind an der Tagesordnung.

Behutsamkeit und Sorgfalt sind nötig, um darüber reden zu lernen.

Grundsätzlich gilt, dass Sexualität nur dann verant- wortlich gelebt wird, wenn die Beteiligten freiwillig zu- gestimmt haben, wenn keine Gewalt angewendet wird und sexuelle Handlungen sofort beendet werden, wenn für die eine oder den anderen körperliche oder seeli- sche Grenzen überschritten werden. Intimität braucht Absprachen, Vorsicht und Respekt. Diese sexualethi- schen Kriterien gelten für alle Sexualpartnerinnen und Sexualpartner, ob sie nun homo, hetero oder queer, schwarz oder weiß, jung oder alt, gesund oder krank sind. Sie verlangen von allen Verantwortung, Umsicht und Maß. Denn Intimität kann schnell verletzt oder sogar zerstört werden, wie die Tausenden von Missbrauchs- und Vergewaltigungsbeispiele allein in Deutschland zeigen.

4. Ausblick

Es ist eine große Chance für alle Beteiligten im Rahmen einer Religionspädagogik der Vielfalt, zu umstrittenen Themen gemeinsam auf die Reise zu gehen. Dabei ist es unumgänglich, dass auch Lesben, Schwule, Bi-, Trans-, Intersexuelle und Queers als Subjekte beteiligt sind.

„Aus Betroffenen Beteiligte machen“ ist das Motto und das Ziel einer solchen Religionspädagogik, die sich dieser Verantwortung stellt und ganz unterschiedliche Menschen in allen Lebensbereichen einbezieht. Gemeinsam können die Beteiligten voneinander lernen und religionspädago- gischen und kirchlichen Orten ein menschliches und gast- freundliches Gesicht geben.

Die Fragen zum Bibelverständnis, zum Menschen- und Kirchenbild bis hin zu Vorstellungen von Partnerschaft und Sexualität betreffen alle Menschen. Niemand hat die richtigen Antworten für sich gepachtet. Es ist ein Suchprozess, der alle herausfordert und der von allen Gelassenheit, Geduld und langen Atem fordert. Viel steht

auf dem Spiel: Es geht um nicht mehr und um nicht weni- ger als darum, wie religionspädagogische und kirchliche Orte in Zukunft aussehen sollen und wer sie zukünftig mit gestaltet. Der Suchprozess ermutigt Einzelpersonen, religionspädagogische Lehrkräfte, kirchliche Gruppen, Gemeinden, Verbände oder Organisationen, sich respekt- voll gegenüber denjenigen zu präsentieren, die anders sind als sie selbst.

Dafür braucht es sichere Orte, um sich auszutauschen.

Es braucht Informations- und Aufklärungsveranstaltungen in Schulen, Gemeinden und Akademien, um Vorurteile und Stereotypen abzubauen. Orte und Zeiten an Universitäten und in Bildungseinrichtungen sind nötig, um über die Themen vorurteilsfrei zu diskutieren und zu forschen. Es braucht dazu aber auch Zivilcourage, Mit-Leidenschaft und Solidarität, um Benachteiligte und Schwächere zur Teilhabe und Teilnahme zu ermutigen und zu ermächtigen.

Gottesdienste, Veranstaltungen und gemeinsame Feste zum Thema helfen, Vorurteile abzubauen und ein faires und gerechtes Miteinander einzuüben. Erfahrungsberichte von denen, die sich auf den Weg gemacht haben, zeigen:

Es lohnt sich!

Literatur

Charta der Vielfalt: www.charta-der-vielfalt.de/charta-der-viel- falt/die-charta-im-wortlaut.html (abgerufen: 10.12.2016) Comenius-Institut (Hg.): Inklusive Religionslehrer_innenbildung.

Module und Bausteine, Münster 2014

Janssen, Claudia: Die Ängste kommen nicht aus der Bibel. Interview mit Ines Pohl, in: taz. die tageszeitung vom 5.02.2014, http://

www.taz.de/!399349/ (abgerufen: 10.12.2016)

Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) (Hg.): Eck- punkte für die Erweiterung des Nationalen Aktionsplans gegen Rassismus um die Themen Homo- und Transphobie (Juli 2016), www.lsvd.de/fileadmin/pics/Dokumente/Aktionsplan/NAP- Eckpunkte_final.pdf (abgerufen: 10.12.2016)

Pithan, Annebelle / Arzt, Silvia / Jakobs, Monika, u.a. (Hg.): Gender – Religion – Bildung. Beiträge zu einer Religionspädagogik der Vielfalt, Gütersloh 2009

Schulz, Claudia/Hauschildt, Eberhard/Kohler, Eike: Milieus prak- tisch. Analyse und Planungshilfen für Kirche und Gemeinde, Göttingen 2008

Söderblom, Kerstin: Religionspädagogik der Vielfalt. Herausfor- derungen jenseits der Heteronormativität, in: Pithan, Annebelle, u.a. (Hg.): Gender – Religion – Bildung. Beiträge zu einer Religionspädagogik der Vielfalt, Gütersloh 2009, 371-387

Dr. Kerstin Söderblom ist Pfarrerin und Studienleiterin am Ev. Studienwerk in Villigst/Westfalen.

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Im Herbst 2014 wurde in der Landeskirche eine Hand- reichung mit Materialien für einen Gottesdienst zur

„Segnung von Paaren in eingetragener Lebenspartner- schaft“ veröffentlicht. Mit dieser Veröffentlichung, die vom Bischofsrat in Abstimmung mit dem Landeskirchen- amt herausgegeben wurde, war implizit die Einführung solcher Segnungsgottesdienste in der Landeskirche ver- bunden. Dieser Schritt wurde von der Landessynode be- grüßt.

Der Weg hin zu dieser Form eines Segnungsgottes- dienstes war ein langer Weg. Und dieser Weg ist eng verbunden mit der gesamtge-

sellschaftlichen Bewertung von gleichgeschlechtlicher Liebe einerseits und dem kirchlichen Umgang mit die- ser Lebensform andererseits.

Dabei muss man sich vor Augen halten, dass sich zwar in der zweiten Hälfte des letz- ten Jahrhunderts gesellschaft- lich ein zunehmend liberalerer Umgang mit Homosexualität entwickelte, die staatliche Ge- setzgebung dem aber deutlich hinterher hinkte. Erst 1994

wurde der berüchtigte § 175 des Strafgesetzbuches ab- geschafft, der gleichgeschlechtliche Beziehungen von Männern unter Strafe stellte. Dieser Paragraph ging zu- rück auf das Reichstrafgesetzbuch von 1872, wurde zur Zeit der Nazidiktatur noch einmal verschärft und fand sich dann im Strafrecht der Bundesrepublik wieder. Dem entsprach in vielen gesellschaftlichen Bereichen eine latent homophobe Grundeinstellung, die auch noch die Achtundsechziger-Zeit überdauerte.

Diese Grundeinstellung war bis in die 1990er Jahre auch in beiden großen Kirchen vorherrschend. Dazu kam, dass in der Theologie das Thema der gleichgeschlechtli- chen Liebe kaum Beachtung fand. Und wenn doch, dann eher im Duktus einer restaurativen Moralvorstellung. Noch 1970 wurde das Thema Homosexualität in einer grund- legenden theologischen Ethik unter der Überschrift „Die Entartungen der Geschlechtsbeziehungen“ verhandelt (Wolfgang Trillhaas, Ethik). Erstaunlich bei dem ganzen Thema, ob gesellschaftlich oder kirchlich-theologisch, ist, dass es eigentlich immer um männliche Homosexualität ging, gleichgeschlechtliche Frauenliebe war nur ganz selten im Fokus.

Aber neben der „kirchen- offiziellen Linie“ gab es schon seit den 1970er Jahren Gruppen in der Kirche, die sich mit dem Thema ausein- andersetzten und sich dafür einsetzten, dass Schwule und Lesben unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung als Mitglieder und auch als Mitarbeitende in der Kirche ihren Platz erhielten. Auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag 1977 wurde die

„Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexualität und Kirche (HuK) e.V.“ gegründet, eine der ältesten schwul-lesbischen Vereinigungen. Damit bekam die Bewegung eine Stimme, die wesentlich mitverantwortlich war für einen langsamen Wandel der Einstellung und Haltung der Kirchenleitungen in den evangelischen Kirchen. Allerdings – auch das muss man deutlich sagen – waren die ersten beiden Jahrzehnte dieser Bewegung eher „Arbeit im Untergrund“. Ältere

Die Segnung von Paaren in eingetragener Lebenspartnerschaft in der Evangelisch- lutherischen Landeskirche Hannovers

Von Arend de Vries

AUS PREDIGER SALOMO 4 Zwei sind besser dran als nur einer.

Sie haben guten Lohn für ihre Mühe.

Denn fallen sie, so hilft der eine dem andern auf.

Was tut einer, wenn er fällt, und keiner ist da, ihm aufzuhelfen?

Liegen zwei beieinander, so haben sie es warm.

Wie aber könnte ein einzelner warm werden.

Mag einer einen einzelnen überwältigen.

Zwei mögen widerstehn.

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Mitglieder der HuK berichten, dass sie sich anfangs nur telefonisch zu Treffen verabredet hätten und sich möglichst erst nach Einbruch der Dunkelheit trafen.

Ein Phänomen der damaligen Zeit war, dass häufig die Erwartung gerade an die evangelische Kirche herangetra- gen wurd, dass neben der kirchlichen Trauung doch auch eine vergleichbare kirchliche Feier für gleichgeschlechtli- che Paare möglich sein sollte. Vermutlich steckte dahinter der Wunsch, wenigstens von der Kirche den Segen für die eigene Lebensform zu erhalten, der von der staatlichen Gesetzgebung nicht gewährt wurde.

Eine besondere Fragestellung neben der allge meinen Beurteilung der Homosexualität durch Kirche und Theo- logie war die Frage der kirchlichen Anstellungs fähigkeit von Homosexuellen. Anfang der 1980er Jahre wurden zwei Pastoren der Landeskirche, die sich offen zu ihrer Homosexualität bekannt hatten, in den Wartestand ver- setzt. Die Landeskirche berief sich dabei auf das geltende Pfarrdienstrecht, nach dem Pastorinnen und Pastoren in ihrer Lebensführung auf das Leitbild Ehe und Familie verpflichtet seien – offen gelebte Homosexualität würde gegen dieses Leitbild verstoßen.

Kampfabstimmung in der Landessynode 1993

Für das Selbstverständnis vieler kirchenleitender Personen war es daher fast ein Paukenschlag, als 1993 die Landes- synode in einer Kampfabstimmung mit einer Stimme Mehrheit beschloss, dass Pastorinnen und Pastoren so- wie andere Mitarbeitende, die in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft lebten, Anstellungsmöglichkeiten in der Lan deskirche eröffnet werden sollten. Dieser Be schluss wurde vom damaligen Landesbischof aber

nicht akzeptiert, weil hier Grund fragen des Glaubens berührt seien, über die man nicht per Mehrheitsbeschluss entscheiden könne.

Vielmehr bedürfe es eines so genannten mag­

nus consensus in der Landes kirche und in der EKD zu dieser Frage – und der sei nicht gegeben.

In der Tat gab es auch in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) keine Mehrheit für eine generelle Zulassung von Homosexuellen zum Pfarramt. Die Orientierungshilfe der EKD von 1996 „In Spannungen leben“ stellte fest, dass es keine einheitliche Position innerhalb der evan- gelischen Kirche gäbe. Der in der Landeskirche eingesetzte „Arbeitskreis Lebensführung“ kam 1998 nach fünf Jahren zu der Feststellung, dass

die Kirche sich zwar gegen die Diskriminierung homo- sexuell lebender Menschen einsetzen solle – im Blick auf ihre Anstellung in der Kirche die Spannung zwischen seelsorglicher Abwägung und theologisch-kirchenrecht- licher Argumentation aber zu groß sei. Es blieb nur ein vorläufiges Moratorium in der Frage, was viele engagierte Schwule und Lesben in den Gemeinden sehr verbittert hat.

Kern der Auseinandersetzung:

Das Schriftverständnis

Im Kern der Auseinandersetzung ging es dabei stets um das Schriftverständnis, mit dem die Bibel gelesen und aus- gelegt wurde. Homosexualität ist, wie übrigens auch die Ehe, nie ein eigenständiges Thema in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments. Aber sie wird mehrfach er- wähnt. Nimmt man die biblischen Aussagen je für sich, wird Homosexualität bzw. gleichgeschlechtliche Sexualität unter Männern stets abgelehnt. Liest man die biblischen Aussagen in ihrem jeweils zeitgeschichtlichen und kultu- rellen Kontext, wird deutlich, dass es schon bei den alt- und neutestamentlichen Aussagen um die Ablehnung von sexueller Gewalt und den Missbrauch junger Menschen ging. Nirgends ist aber bei den ablehnenden biblischen Aussagen zur Homosexualität eine Liebesbeziehung zwei- er Menschen im Blick, die auf gegenseitige Verantwortung und Dauerhaftigkeit angelegt ist.

Konkurrierendes Bibelverständnis war lange Zeit in der Landeskirche das entscheidende Hindernis für ein gleichberechtigtes Verständnis von hetero- und homo- sexueller Lebensform. Auch eine zweite Arbeitsgruppe, die 2001 als so genannter „Runder Tisch“ eingesetzt wurde, kam nicht über die Feststellung hinaus, dass das Schriftverständnis entscheidend sei für die Beurteilung der biblischen Aussagen über Homosexualität – und über das Schriftverständnis wurde keine Einigung erzielt.

Dennoch brachte die Arbeit dieses Runden Tisches ei- nen Fortschritt: als hermeneutischer Schlüssel konnte der alte lutherische Ansatz Be deutung gewinnen, dass das,

„was Christum treibet“, der Maß stab sein sollte für eine Differen zierung biblischer Aus sagen. Nur über die Frage, was den Geist der Freiheit und der Liebe abbildet und dar- um Vorrang haben muss vor biblischen Aussagen, die zeit- geschichtlich zu verstehen sind – darüber waren sich die Teilnehmenden nach wie vor nicht einig. Aber ein weiterer Fortschritt im Ergebnis des Runden Tisches war, dass die un- terschiedlichen Haltungen und Einstellungen zu die- sen Fragen nicht kirchen- trennend sein sollten. Da- mit war wenigstens Raum dafür geschaffen, dass an- ders Denkenden nicht ihr Christ-Sein abgesprochen wurde. Für manche in der Kirche war das schon zu weitgehend – für andere blieb dieses Ergebnis, das vor 15 Jahren vorgelegt wurde, weit hinter den Erwartungen zurück.

Inzwischen war 2002 staatlicherseits das „Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft“ verabschiedet wor- den. Damit war von „weltlicher“ Seite eine gesetzliche Regelung über das Zusammenleben gleichgeschlechtli- VERSPRECHEN

N.N. (1):

Ich will dich, N.N., aus Gottes Hand nehmen.

Ich will unsere Liebe schützen und bewahren und dir mit Achtung begegnen.

Ich will zu dir stehen in guter und in schwerer Zeit bis ans Lebensende.

Ja – dazu helfe mir Gott.

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cher Partnerinnen und Partner geschaffen, die an einigen Punkten aber hinter den gesetzlichen Regelungen für die Ehe zurückblieb. Einerseits waren die Erwartungen an die Kirche im Blick auf eine Segenshandlung nicht mehr so aktuell, da nun staatlicherseits eine verbindliche Regelung gefunden war. Andererseits musste die Kirche sich aber damit auseinandersetzen, dass es eine rechtliche Regelung gab, der keine kirchliche Handlung entsprach.

Der Weg zur Handreichung zur Segnung eingetragener Lebenspartnerschaften

Es war ein Zwischen-Schritt, den die Landeskirche Han- novers ging, als Bischofsrat und Landeskirchenamt 2002 mit dem „Modell der Fürbittandacht“ reagierten. Die Feier hieß nicht Segnung, die äußere Form unterschied sich deutlich von einer Trauung – aber das Handeln war weitestgehend in die Hände und in die seelsorgliche Verantwortung von Pastorinnen und Pastoren gelegt.

Dieser Schritt erntete viel Kritik und wurde vielfach als zu ängstlich eingestuft. Auf der anderen Seite gab es in- nerkirchlich kaum Widerstände für diese – im Nachhinein als Übergangslösung zu beschreibende – Form.

Nachdem langjährige Beratungen auf der Ebene der Vereinigten Evangelisch-lutherischen Kirche in Deutschland (VELKD) und der EKD 2010 zu einem Abschluss gekommen waren, gab es dienstrechtlich für Pastorinnen und Pastoren keine Einschränkungen mehr im Blick auf ihre gleichgeschlechtliche Partnerschaft. Damit waren auch die Einzelfallentscheidungen, die es schon viele Jahre gab, überflüssig geworden. So sind gleichge- schlechtlich liebende Paare inzwischen in den meisten landeskirchlichen Gemeinden weitestgehend akzeptiert und wohnen auch gemeinsam im Pfarrhaus.

Trotzdem hat es noch geraume Zeit gebraucht, bis mit der Vorlage einer Handreichung die Segnung von Menschen, die in eingetragener Lebenspartnerschaft le- ben, auch eine öffentliche gottesdienstliche Form fand. Das Vorwort der Handreichung macht aber den Sinneswandel gegenüber früheren Zeiten deutlich, indem ausdrücklich begrüßt wird, wenn Menschen in Verlässlichkeit, Ver- bindlichkeit und gegenseitiger Verantwortung eine Be - ziehung eingehen und diese auch mit der (staatlichen) Ein tragung nach außen dokumentieren. Wenn sie dann den Wunsch äußern, diese Gemeinschaft auch unter den Segen Gottes zu stellen, dann sind sie herzlich eingeladen, dieses in einem öffentlichen Gottesdienst zu feiern und sich segnen zu lassen.

Hermann Buß, Poller und Persenning, Bilderzyklus zum Reformationsjubiläum 2017, li.: Nr. 4, Öl auf Leinwand, 70 x 30 cm | re.: Nr. 2, Öl auf Leinwand, 50 x 100 cm.

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Die Form, die dafür gewählt wurde, die Liturgie für eine solche Segensfeier, entspricht weitestgehend der Form einer kirchlichen Trauung, die ja auch als Gottesdienst gefeiert wird. Dazu gehören Lieder und Gebete, Lesungen und Predigt, aber auch die Fragen an die Partnerinnen bzw. Partner und das gegenseitige Versprechen der Liebe und Treue, ein Ringtausch und natürlich der Zuspruch des Segens. Der Trauung heterosexueller Paare und der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ist gemeinsam die

„vertrauensvolle Erwartung, dass Gott Menschen segnet, wo sie in Liebe und Verantwortung verlässlich miteinander leben wollen“ (Vorwort der Handreichung).

Ohne große Überraschung einerseits, aber auch ohne große Widerstände andererseits ist diese Ordnung nun seit mehr als zwei Jahren in Geltung. Einen Überblick, wie häufig solche Segnungs-Gottesdienste gefeiert werden, gibt es noch nicht. Die Zeit ist auch noch zu kurz, um Erfahrungen auszuwerten.

Auf eine Differenz ist allerdings noch hinzuweisen:

In der Praxis der Landeskirche wird unterschieden zwi- schen der Trauung hetero sexueller Paare und der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, so wie dies auch die staat- liche Gesetzgebung mit Ehe und eingetragener Lebens- partnerschaft tut. Einige andere Landeskirchen sind noch einen Schritt weitergegangen, wenn Sie die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare als Trauung beschreiben und damit zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft nicht mehr unterscheiden.

Diesen Schritt ist die Evangelisch-lutherische Landes- kirche bislang nicht gegangen. Das liegt auf der Linie der letzten knapp zwanzig Jahre, in denen der beschriebene Weg sehr behutsam gegangen worden ist, um möglichst viele Kirchenmitglieder und Kirchengemeinden mitzu-

nehmen und größere Verwerfungen innerhalb der Kirche zu vermeiden. Damit hat die Landeskirche den schwulen und lesbischen Kirchenmitgliedern viel Geduld abgefor- dert, sie wurde häufig als zu zögerlich beschrieben, von manchen auch abgeschrieben. Aber vielleicht erweist sich das langsame Vorangehen doch als guter Weg im Blick auf das Einvernehmen in und die Einheit der Landeskirche.

Zur aktuellen Situation

Wo stehen wir also heute? Als evangelische Kirche seg- nen wir Menschen, ob in der traditionellen Form der he- terosexuellen Ehe oder in einer eingetragenen Lebens- partnerschaft. Wir vertrauen darauf, dass dieser Segen, der in einem Gottesdienst zugesprochen wird, Menschen, die sich lieben, auf ihrem Lebensweg stärkt und ihre Liebe bewahren hilft. In der evangelischen Kirche arbei- ten Menschen, ehrenamtlich und hauptamtlich, die ihrer Prägung gemäß Partnerschaft und Beziehung leben, un- abhängig davon, ob sie dieses heterosexuell oder homo- sexuell tun. Gleichgeschlechtlich liebende Pastorinnen und Pastoren leben in Pfarrhäusern und arbeiten in den Einrichtungen der Kirche, in den Ämtern und in den Kindergärten, in der Diakonie und in der Gemeindearbeit.

Und das ist auch gut so!

Es gibt aber auch noch Vorbe halte: In unseren Gemein- den gibt es Menschen, die sich dieser Sicht nicht anschlie- ßen wollen oder meinen, es aus Gewissensgründen nicht zu können. Wir können theologische Einsichten nicht er- zwingen, sie nicht durchsetzen. Denn es ist ja gerade refor- matorische Einsicht und auch evangelische Freiheit, dass jede Christin, jeder Christ nur seinem eigenen Gewissen in seiner Gottesbeziehung verpflichtet ist. Und deshalb gibt es auch einige Pastorinnen und Pastoren, die sich aus Gewissen gründen und ihrer theologischen Über zeugung entsprechend nicht in der Lage sehen, einen Gottes dienst mit Segnung von Menschen in eingetragener Lebens- partnerschaft durchzuführen. Dazu werden wir sie als Kirche auch nicht zwingen. Aber sie haben auch nicht das Recht, die Entscheidungen, die wir als Kirche getroffen haben, in Frage zu stellen.

Es war ein langer Weg, den wir als Kirche gegangen sind. Und er ist nicht zu Ende.

Solange homophobe Strömungen in unserer Gesell- schaft, aber auch in unserer Kirche auftreten, wollen wir dem entgegentreten. Solange Menschen darunter leiden müssen, dass sie anders leben und lieben wollen als die Mehrheit es tut, dürfen wir dazu nicht schweigen.

Arend de Vries ist Geistlicher Vizepräsident im Landes­

kirchenamt Hannover.

Ev.-luth. Landeskirche Hannovers (Hg.): Segnung von Paaren in ein- getragener Lebenspartnerschaft. Materialien für den Gottesdienst, Hannover 2014. Die Handreichung steht als pdf-Datei unter www.

rpi-loccum.de/pelikan als Download zur Verfügung.

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ollen sich Schulen und Jugendeinrichtungen wirk- lich mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt2 befassen? Sind Homophobie und Transphobie denn noch ein Problem? Bei uns gibt es doch gar kei- ne betroffenen Jugendlichen. Und wenn sich die Kids mit „Schwuchtel“ beschimpfen oder von „schwulen Hausaufgaben“ sprechen, dann ist das doch nicht diskri- minierend gemeint und daher harmlos, oder?

Viele Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte wissen nicht, dass auch einige ihrer Jugendlichen lesbisch, schwul, bisexuell, trans3- oder intergeschlechtlich4 (LSBTI) sind.

Liegt das daran, dass diese Jugendlichen sich ihrer se- xuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität erst nach der Schulzeit bewusst werden? Eine Befragung von über 5.000 Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch das Deutsche Jugendinstitut beantwortet diese Frage klar mit

„nein“. Die Mehrheit lesbischer, schwuler und bisexueller Befragter war sich im Alter von 14 Jahren ihrer nicht- heterosexuellen Orientierung bewusst (Krell & Oldemeier, 2015). Die meisten transgeschlechtlichen Befragten wuss-

1 Der vorliegende Beitrag ist leicht gekürzt. Den ungekürzten Beitrag finden Sie unter www.vielfalt-mediathek.de/content/64/

homo-trans-und-inter-feindlichkeit.html. Die zu diesem Beitrag gehörende Literaturliste finden Sie im Downloadbereich auf der Website des RPI unter www.rpi-loccum/pelikan.

2 Sexuelle Vielfalt bezeichnet die Vielfalt sexueller Orientierungen (z. B. Hetero-, Bi- und Homosexualität). Geschlechtliche Vielfalt bezeichnet die Vielfalt des biologischen/anatomischen Geschlechts (z. B. Intergeschlechtlichkeit), des psychischen Geschlechts (z. B. Cis- und Transgeschlechtlichkeit) sowie des sozialen Geschlechts (z. B. geschlechtsrollenkonformes oder -nonkonformes Verhalten).

3 Als transgeschlechtlich (oder transgender) bezeichnen sich Personen, deren psychisches Geschlecht nicht dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht entspricht. Wenn Trans geschlecht- lichkeit mit dem Wunsch nach angleichenden hormonellen und operativen Eingriffen einher geht, spricht man von Trans­

sexualität.

4 Als intergeschlechtlich (oder intersexuell) bezeichnen sich Personen, die aufgrund mehrdeutiger körperlicher Geschlechts- merkmale nicht eindeutig dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden können.

ten bereits als Kinder, dass ihnen das zugeordnete Ge- schlecht nicht entspricht. Bis diese Kinder und Jugend- lichen zum ersten Mal mit jemandem über ihre Empfin- dungen sprechen, vergeht meist eine lange Zeit, bei den trans geschlechtlichen Jugendlichen im Durchschnitt sie- ben Jahre. Insbesondere an der Schule verheimlichen die meisten ihre Identität (FRA – European Union Agency for Fundamental Rights, 2013). Gleichzeit erleben sie, dass ihre heterosexuellen Mitschüler_innen erste Erfahrungen mit Liebe und Sexualität machen und im Gegensatz zu ihnen offen damit umgehen. Sexuelle und geschlechtli- che Vielfalt wird hingegen entweder ignoriert oder dient als Anlass für Beschimpfungen und Mobbing. Studien zeigen, dass die häufigere Erfahrung von Mobbing und Diskriminierung bei LSBT5-Jugendlichen dazu beiträgt, dass sie ein etwa fünf mal höheres Suizidrisiko haben als heterosexuell-cisgeschlechtliche6 Jugendliche (Burton u. a., 2013; Plöderl u. a., 2014).

Zur Belastung intergeschlechtlicher Personen gibt es noch zu wenig Forschungsergebnisse. Bekannt ist al- lerdings, dass Säuglinge und Kinder oft früh an ihren Genitalien operiert werden (z. B. werden die Hoden ent- fernt oder die Klitoris reduziert), und das obwohl keine Einwilligungsfähigkeit vorliegt, die Operationen überwie- gend medizinisch nicht indiziert und zudem schmerzhaft und risikoreich sind (Woweries, 2014). Begründet wer- den die Eingriffe mit der Angst vor Stigmatisierung z. B.

in Kindergarten und Schule. Dabei ist zweifelhaft, ob diese Stigmatisierung zwangsläufig erfolgt oder ob es nicht vor allem die Erwachsenen selbst sind, denen die Mehrdeutigkeit des Geschlechts Angst macht.

5 Wenn im Text nicht die Abkürzung „LSBTI“, sondern nur

„LSBT“ oder „LSB“ verwendet wird, dann weil sich der jewei- lige Inhalt nur auf die entsprechenden Gruppen bezieht, z. B.

weil in der zitierten Studie oder Analyse nicht alle fünf Gruppen betrachtet wurden.

6 Als cisgeschlechtlich werden Personen bezeichnet deren gefühl- tes Geschlecht dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht entspricht (also das Gegenteil von transgeschlechtlich).

Homophobie und Transphobie

in Schulen und Jugendeinrichtungen

Was können pädagogische Fachkräfte tun?

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Von Ulrich Klocke

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Doch wie ist die Situation für LSBT an den Schulen tatsächlich? Werden sie von ihren Mitschüler_innen ak- zeptiert oder abgelehnt? Und wie ist die Haltung der Lehrkräfte zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt?

Können Lehrkräfte, (Sozial-)Pädagog_innen und Er- zieher_innen die Situation von LSBTI verbessern und die Akzeptanz für Vielfalt erhöhen?

1. Wie ist die Situation an den Schulen?

In diesem Kapitel wird die Situation an den Schulen ge- nauer beschrieben. Die Ergebnisse basieren vor allem auf einer Befragung an Berliner Schulen in den Jahren 2011 und 2012 (Klocke, 2012), die von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft in Auftrag gegeben wurde. Darin wurde untersucht, wie sich Schüler_innen und Lehrkräfte gegenüber Lesben, Schwulen und nicht- geschlechtskonformen Schüler_innen verhalten sowie wel- che Einstellungen und welches Wissen sie zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt haben.7

7 Einzelheiten zur Anlage der repräsentativen Studie finden Sie im Downloadbereich auf der Website des RPI unter www.rpi- loccum/pelikan.

Wie verhalten sich die Schüler_innen und welche Einstellungen haben sie?

Das Verhalten der Schüler_innen wurde nicht über Selbstbeschreibungen, sondern über Fremdbeschreibungen von jeweils zwei Mitschüler_innen erfasst. Die Schüler_

innen haben dabei jeweils angegeben, wie oft sie verschie- dene Verhaltensweisen bei zwei zufällig ausgewählten Mitschüler_innen in den vergangenen zwölf Monaten wahrgenommen haben. Ihre Antworten zeigen, dass drei von fünf Sechstklässler_innen und mehr als die Hälfte der Neunt- und Zehntklässler_innen „schwul“ oder

„Schwuchtel“ als Schimpfwort verwenden. Und auch

„Lesbe“ hat sich als Schimpfwort eingebürgert (bei zwei von fünf Sechstklässler_innen und einem von fünf Neunt- und Zehntklässler_innen). Nicht nur die Schüler_innen der neunten und zehnten Klassen sondern auch fast alle aus den sechsten Klassen wissen, was die Begriffe „lesbisch“

oder „schwul“ bedeuten, verwenden sie aber dennoch gern zur Beschimpfung. Etwa die Hälfte der Schüler_innen macht sich über Mitschüler_innen lustig, wenn diese sich nicht geschlechtskonform verhalten.

Egal ob dieses Verhalten diskriminierend gemeint ist oder nicht, es trägt zu einem Klima bei, in dem sich LSBTI-Jugendliche nicht trauen, zu ihrer Identität zu stehen. Allein die Wahrnehmung von „schwul“ oder Hermann Buß, Poller und Persenning, Bilderzyklus zum Reformationsjubiläum 2017, Nr. 8,

Öl auf Leinwand, 130 x 100 cm

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„lesbisch“ als Schimpfwort führt zu homophoberen Einstellungen (Nicolas & Skinner, 2012) und kann da- durch die Akzeptanz für Vielfalt und Anderssein beein- trächtigen. Dementsprechend geben mehr als die Hälfte der Jungen (und eines von fünf Mädchen) der neunten und zehnten Klasse an, dass es ihnen unangenehm wäre, wenn ein Freund von ihnen schwul oder bisexuell wäre.

Die Vorstellung einer lesbischen Freundin ist einem von fünf Jungen und zwei von fünf Mädchen unangenehm.

Auf die höchste Ablehnung stößt die Vorstellung eines Freundes, der lieber ein Mädchen oder einer Freundin die lieber ein Junge sein möchte. Sieben von zehn Jungen und zwei von fünf Mädchen der neunten und zehnten Klasse wäre diese Situation unangenehm.

Wie reagieren und agieren die Lehrkräfte?

Wie reagieren die Klassenlehrer_innen, wenn sie diskrimi- nierendes Verhalten oder Vorurteile mitbekommen? Was tun sie, um die Akzeptanz für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zu verbessern? Nach Angaben ihrer Schüler_innen haben in den vergangenen zwölf Monaten nur vier Prozent jedes Mal, wenn homophobe Schimpfwörter verwendet wurden, gezeigt, dass sie das nicht dulden. Die meisten Lehrkräfte reagieren unregelmäßig, 13 Prozent reagieren nie auf homophobe Schimpfwörter. Die Reaktionen auf

Mobbing wegen nicht geschlechtskonformem Verhalten sind ähnlich unregelmäßig. Etwa ein Drittel der Lehrkräfte macht sich gelegentlich sogar selbst lustig, wenn sich Schüler_innen nicht geschlechtskonform verhalten. Wenn Lehrkräfte über Homosexualität sprechen, dann meist in der Negation, indem sie sagen, das sei doch „nichts Schlimmes“. Mit Unterrichtsmaterialien, in denen auch Lesben und Schwule vorkommen, arbeitet jedoch nur jede fünfte Lehrkraft.

Welches Wissen und Unwissen haben Lehrkräfte und Schüler_innen?

Wie die Untersuchung zeigt, verbessert Wissen über se- xuelle Vielfalt (auch längsschnittlich) die Einstellungen und geht bei Schüler_innen und Lehrkräften mit solida- rischerem Verhalten einher. Doch welches Wissen und welche Fehlannahmen über LSBT herrschen vor? Alle befragten Klassenlehrer_innen und die Mehrheit der Schüler_innen ist sich bewusst, dass Homosexualität nicht mehr als Krankheit definiert wird und dass sie nicht durch Verführung entsteht. Allerdings weiß die große Mehrheit der Schüler_innen nicht, dass man sich seine sexuelle Orientierung nicht selbst aussucht und dass Lesben und Schwule häufiger als andere versuchen, sich das Leben zu nehmen. Die erhöhte Suizidalität ist auch neun von zehn Hermann Buß, Poller und Persenning, Bilderzyklus zum Reformationsjubiläum 2017, Nr. 10,

Öl auf Leinwand, 60 x 40 cm

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Klassenlehrer_innen nicht bewusst. Naheliegend ist daher, dass der Leidensdruck von LSBTI-Schüler_innen von den Lehrkräften deutlich unterschätzt wird.

Ein weiterer Aspekt des Wissens ist das Wissen um LSBTI an der eigenen Schule. Fragt man die Schüler_in- nen, so wissen zwei von drei nichts von einer lesbischen, schwulen oder bisexuellen Lehrkraft an der eigenen Schule. Das zeigt, wie wenige LSB-Lehrkräfte sich trauen, gegenüber den Schüler_innen genau so zu ihrer sexuel- len Identität zu stehen, wie das heterosexuelle Lehrkräfte selbstverständlich tun, wenn sie ihren Mann, ihre Frau oder ihre Familie erwähnen. Man könnte nun denken, innerhalb der Kollegien sei das anders. Jedoch wissen auch drei von fünf Klassenlehrer_innen nichts von lesbi- schen, schwulen oder bisexuellen Kolleg_innen, und das in Berlin, einer der „homofreundlichsten“ Städte der Welt.

Nur eine der befragten 14 Klassenlehrer_innen der neun- ten und zehnten Klassen wusste von einem nicht-hetero- sexuellen Schüler in der eigenen Klasse. Demgegenüber berichtete eine von zehn Schüler_innen, sich vom gleichen Geschlecht sexuell angezogen zu fühlen; in drei von vier Klassen war mindestens eine_r Schüler_in nicht hetero- sexuell.

2. Was können pädagogische

Fachkräfte tun, um die Akzeptanz für Vielfalt zu verbessern?

Erfreulicherweise gibt es inzwischen umfangreiche so- zialpsychologische Forschung dazu, wie man Vorurteile abbauen und Akzeptanz für Vielfalt schaffen kann. Auch speziell zur Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt gibt es immer mehr Studien. Unter anderem hat sich auch die Berliner Schulbefragung dieser Fragestellung gewidmet, speziell den Einflussmöglichkeiten durch die Lehrkräfte. Im folgenden werde ich sechs Strategien zum Vorurteilsabbau darstellen, mit denen sich die Akzeptanz für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt verbessern lässt.

Kontakt und Sichtbarkeit schaffen

Vorurteile basieren zu einem erheblichen Teil auf dem Unbehagen gegenüber dem Fremden, dem Unbekannten.

Sie sind also Konsequenz einer generellen menschlichen Eigenschaft, die sich im Laufe der Evolution entwickelt hat, da sie uns vor möglichen Gefahren schützt. Diese Ursache von Vorurteilen bietet damit auch ein Potenzial für ihren Abbau: Kontakt zwischen Gruppen. Unbekanntes wird bekannt; vorher Fremde werden uns vertraut. Mittlerweile belegen viele hundert Studien, dass persönlicher Kontakt zu einzelnen Mitgliedern einer Fremdgruppe8 die Einstellungen gegenüber der ganzen Gruppe verbessert

8 Fremdgruppe (bzw. Outgroup) bezeichnet in der Sozialpsycholo- gie lediglich eine Gruppe, der man selbst nicht angehört, egal ob einem diese Gruppe fremd oder vertraut ist.

(Pettigrew & Tropp, 2006) und das gilt auch für Kontakt zu Lesben und Schwulen (Smith u a., 2009) und trans- geschlechtlichen Personen (Walch u a., 2012). In der Berliner Schulbefragung hatten Schüler_innen, die von lesbischen, schwulen oder bisexuellen Lehrkräften an ih- rer Schule wussten, bei der wiederholten Befragung neun Monate später positivere Einstellungen zu Lesben und Schwulen. Besonders gut wirkt Kontakt, wenn er durch Autoritäten, z. B. staatliche Institutionen legitimiert und unterstützt wird (Pettigrew & Tropp, 2006). Hilfreich für Schulen und Jugendeinrichtungen ist, dass auch indirekter Kontakt Vorurteile reduziert, also das bloße Wissen, dass eine Person, mit der man selbst Kontakt hat, wiederum Kontakt zu einem Mitglied der Fremdgruppe hat (Lemmer

& Wagner, 2015). Indirekter Kontakt kann auch durch Medien, z. B. Schulmaterialien herbeigeführt werden.

In der Schulbefragung hatten Schüler_innen positivere Einstellungen und mehr Wissen zu LSBT, je häufiger in verschiedenen Fächern und Jahrgängen Lesbischsein und Schwulsein thematisiert wurde.

Doch wie sollen Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte das leisten? Sind die Lehrpläne nicht bereits viel zu voll? Gibt es nicht zu viele andere Probleme, die behandelt werden müssen? Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt muss nicht als separates Thema umfangreich behandelt werden. Idealerweise wird sie ganz selbstver- ständlich und ohne zeitlichen Zusatzaufwand berücksich- tigt. Beispielsweise können in Texten, Fotos, Filmen oder mündlich vorgetragenen Beispielen neben Heterosexuellen auch Personen vorkommen, die in einer gleichgeschlechtli- chen Beziehung oder einer Regenbogenfamilie9 leben oder früher ein anderes Geschlecht hatten. Sehr hilfreich ist, bei der Anschaffung von Schulbüchern solche auszuwählen, die die Vielfalt unserer Gesellschaft abbilden, in denen al- so Menschen verschiedener Geschlechter, Altersgruppen, Herkunft, Religion und Weltanschauung, Begabung und sexueller Orientierungen vorkommen, die in unterschiedli- chen Familienformen leben.10 Bereits Bilderbücher können die Vielfalt von Familien und Lebensweisen berücksich- tigen und das Thema Anderssein behandeln.11 Darüber hinaus kann eine Einrichtung LSBTI-Jugendlichen signa-

9 Regenbogenfamilien sind Familien, in denen mindestens ein Elternteil nicht heterosexuell ist, z. B. eine Beziehung aus zwei Frauen mit einem Kind oder eine Beziehung zwischen zwei Männern mit einem Kind und der Mutter des Kindes.

10 Das Thema geschlechtliche und sexuelle Vielfalt wird beispiels- weise in unterschiedlichen Büchern des Klett-Verlags (siehe http://www.klett.de/thema/vielfalt?campaign=startseite/emp- fehlung/vielfalt) und des Westermann-Verlags (z. B. http://files.

schulbuchzentrum-online.de/flashbooks/978-3-507-49492-3/ S.

54, http://files.schulbuchzentrum-online.de/flashbooks/978-3 -425-14001-8/ S. 30, wortstark 9 Titel-Nr. 48005 S. 33-35, prolo- go AH 9, Titel-Nr. 124149, S. 6) berücksichtigt.

11 Gutes Material für Kindertageseinrichtungen und Grundschulen bieten zwei Medienkoffer Vielfältige Familienformen und Lebensweisen, die unter anderem über das Berliner Medienforum ausgeliehen werden können (www.berlin.de/sen/bildung/medien forum/unterrichtswerkstatt.html) Für einen Überblick siehe auch www.queerformat.de/kinder-und-jugend-hilfe/publikationen- und-materialien/.

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lisieren, dass sie willkommen sind und mit Unterstützung rechnen können, indem sie Material (z. B. Poster und Bro- schüren) präsentieren und ggf. schützen, das sexuelle und geschlechtliche Vielfalt positiv darstellt.

Die positive Wirkung direkten Kontakts kann genutzt werden, indem LSBTI-Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte mit ihrer Identität genau so selbstverständlich umgehen, wie ihre heterosexuellen Kolleg_innen das tun, wenn sie ihre Partnerschaft oder Familie erwähnen.

Heterosexuelle Lehrkräfte können indirekten Kontakt herstellen, beispielsweise indem sie erwähnen, dass eine Freundin mit einer Frau zusammenlebt, der Neffe bisexu- ell ist oder die Schwester früher als Mann lebte. In vielen Orten gibt es zudem Aufklärungsprojekte, in denen junge LSBT (größtenteils ehrenamtlich) die Schulen besuchen und sich dort den Fragen der Schüler_innen stellen.12 Bisherige Evaluationen deuten darauf hin, dass selbst kur- ze Workshops Vorurteile abbauen können (Timmermanns, 2003).

Mobbing und Diskriminierung ächten

Die Berliner Schulbefragung zeigt, dass die Schüler_innen umso häufiger diskriminierendes Verhalten zeigen, je

12 Einen Überblick über sämtliche deutschen LSBT-Aufklärungs- projekte finden Sie unter www.bksl.de/schulaufklaerung.

häufiger ihr_e Klassenlehrer_in sich selbst über Lesben, Schwule oder nicht-geschlechtskonforme Personen lus- tig gemacht hat. Schreiten die Klassenlehrer_innen hin- gegen bei Diskriminierung ein, geht das tendenziell mit positiveren Einstellungen ihrer Schüler_innen zu LSBT einher. Darüber hinaus haben Schüler_innen positivere Einstellungen, wenn sie wissen, dass Mobbing im Leitbild ihrer Schule geächtet wird. Die Wirksamkeit eines inklu- siven Antimobbing-Leitbildes, bei dem auch sexuelle Orientierung explizit mit benannt wird, wird zudem in einer US-amerikanischen Studie belegt (Hatzenbuehler

& Keyes, 2013). Je mehr Schulen in einem Bezirk ein sol- ches inklusives Antimobbing-Leitbild hatten, desto weni- ger Suizidversuche wurden von lesbischen und schwulen Jugendlichen unternommen.

Lehrkräfe, pädagogische Fachkäfte oder Eltern soll- ten also diskriminierende Beschimpfungen, wie „Spast“,

„Schwuchtel“ oder „Jude“ nicht ignorieren, sondern kritisch hinterfragen. Sie können beispielsweise fragen

„Warum ist das für dich ein Schimpfwort?“, „Was ist so schlimm daran?“ oder „Würdest du dich trauen, zu dei- ner Liebe zu stehen, wenn du lesbisch wärst und ‚Lesbe’

dauernd als Schimpfwort hörst?“. Wenn Reflektieren al- leine nichts hilft, kann auch eine klare Grenze aufgezeigt werden, etwa: „Diese Begriffe wollen wir hier nicht als Beschimpfungen hören“. Die Auseinandersetzung sollte von einer Konfrontation zwischen zwei Personen hin zu Hermann Buß, Poller und Persenning, Bilderzyklus zum Reformationsjubiläum 2017, Nr. 11,

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einem Hinweis auf die Regeln und die Kultur der gesamten Einrichtung verschoben werden. Und genau dazu ist ein explizit formuliertes Leitbild wichtig, in dem Mobbing und Diskriminierung geächtet werden. Dieses Schul- oder Einrichtungsleitbild sollte regelmäßig thematisiert werden, beispielsweise indem gemeinsam mit den Jugendlichen Beispiele für Mobbing und Diskriminierung gesammelt und Gegenstrategien erarbeitet werden.

Geschlechternormen reflektieren und hinterfragen

Während persönlicher Kontakt und der Umgang mit Diskriminierung für ganz unterschiedliche Vorurteile relevant sind, sind Geschlechternormen speziell für Vorurteile gegen LSBTI relevant. Geschlechternormen sind gesellschaftlich geteilte Vorstellungen darüber, wie Frauen und Männer sein sollen, also wie ihre Körper be- schaffen sein sollen, wie sie sich inszenieren (z. B. kleiden oder frisieren) sollen, wie sie denken und fühlen sollen und wie sie sich verhalten sollen (d. h. ihre Geschlechter- rolle). LSBTI verletzen diese Geschlechter normen.

Intergeschlechtliche Personen verletzen die Vorstellung, dass es nur zwei Geschlechter gibt, die körperlich ein- deutig als solche erkennbar sind. Transgeschlechtliche Personen verletzen die Vorstellung, dass in einem weib- lichen Körper geborene Personen sich später als Frauen fühlen und inszenieren und in einem männlichen Körper geborene Personen sich später als Männer fühlen und in- szenieren. Lesben und Schwule verletzen die Vorstellung, dass Frauen Männer und Männer Frauen begehren. Es ist daher nicht erstaunlich, dass die Befürwortung traditio- neller Geschlechterrollen mit negativeren Einstellungen und diskrimierenderem Verhalten gegenüber LSBT ein- hergeht (Klocke, 2012; Whitley, 2001).

Hilfreich ist daher, wenn pädagogische Fachkräfte über ihre eigenen Geschlechternormen reflektieren. Wie oben dargestellt, machen sich nicht nur Schüler_innen, sondern auch Lehrkräfte über nicht geschlechtskonfor- mes Verhalten lustig. Dieses Verhalten hing in der Schul- befragung nicht mit den Einstellungen der Lehrkräfte zusammen, scheint also oft gedankenlos zu geschehen.

Ein „Stell dich nicht so mädchenhaft an“ rutscht unbe- absichtigt auch denen heraus, die offen und tolerant sein wollen. Pädagogische Fachkräfte sollten sich also bewusst machen, welches Verhalten sie bei Jungen mehr irritiert als bei Mädchen oder welche Art, sich zu kleiden, sie bei Mädchen anstößiger finden als bei Jungen. Sie sollten überlegen, wie sich ihre Empfindungen in ihrem Verhalten zeigen und was sie den Kindern und Jugendlichen da- mit signalisieren. Nach der Reflexion über ihre eigenen Geschlechternormen können sie auch die Jugendlichen dazu anregen. Eine dazu geeignete Übung ist, Zettel mit folgenden Satzanfängen zu verteilen (Sielert & Keil, 1993, S. 139): „Wenn ich ein Junge [Mädchen] wäre, müsste ich … / dürfte ich …“ bzw. „Weil ich ein Mädchen [Junge]

bin, muss ich … / darf ich …“. Nachdem die Jugendlichen die Sätze in Einzelarbeit ergänzt haben, können diese (neu

verteilt) vorgelesen und diskutiert werden13. Neben be- wusster Reflexion können pädagogische Fachkräfte (be- reits mit Kindern) Bücher oder andere Medien verwenden, in denen Geschlechternormen anhand von Beispielen er- weitert werden, da darin beispielsweise auch Jungen vor- kommen, die Schwächen zeigen oder mit Puppen spielen, und Mädchen, die auf Bäume klettern oder Fußball spie- len (Quellen siehe oben Kapitel „Kontakt und Sichtbarkeit schaffen“ auf Seite 14).

Perspektivenübernahme und Empathie ermöglichen

Aktivitäten, die zu Perspektivenübernahme mit Mitglie- dern einer Fremdgruppe anregen und dadurch Empathie (Einfühlung) ermöglichen, verbessern die Einstellungen gegenüber der ganzen Gruppe. Das gilt gegenüber ganz unterschiedlichen Gruppen (Beelmann & Heinemann, 2014) und wurde mittlerweile auch gegenüber Lesben, Schwulen und Bisexuellen (Bartoş u a., 2014) sowie trans- geschlechtlichen Personen nachgewiesen (Tompkins u a., 2015).

Auf welche Weise kann Empathie angeregt wer- den? Wenn viel Zeit ist, können die Jugendlichen dazu gebracht werden, im Rollenspiel die Perspektive eines LSBTI-Jugendlichen einzunehmen. Darin könnte bei- spielsweise ein Junge einem Freund oder seinen Eltern mitteilen, dass er sich in einen Jungen verliebt hat. Es gibt allerdings auch niedrigschwelligere Methoden wie das Schreiben eines Coming-Out-Briefes.Zudem kann Empathie auch angeregt werden, wenn LSBTI selbst zu Wort kommen und beispielsweise von ihrem Coming- Out, ihren Befürchtungen und Hoffnungen davor, den Reaktionen anderer und ihrem Umgang damit berichten.

Diese Erzählungen aus der eigenen Biografie können durch die Einladung eines LSBTI-Aufklärungsteams in die Klasse oder Einrichtung ermöglicht werden (siehe oben Kapitel „Kontakt und Sichtbarkeit schaffen“ auf Seite 14) oder durch Medien14 wie Filme, Romane oder Geschichten.

Identitätsbedrohung vermeiden

Existierende Forschung zeigt, dass Vorurteile zunehmen, wenn wir unsere Identität bedroht sehen (Riek u a., 2006).

In unserer Identität als Mitglied einer Gruppe fühlen wir uns bedroht, wenn wir selbst diskriminiert werden, so dass der Wert dieser Gruppe und damit auch unser Selbstwert in Frage gestellt wird. Beispielsweise werten Jugendliche mit einem Migrationshintergrund aus Ländern der ehe-

13 Eine weitere Übung zur Reflexion über Geschlechternormen mit Jugendlichen finden Sie hier: www.vielfaltmachtschule.de/filead min/VMS/redakteure/Collagen_zu_Geschlechterbildern.pdf

14 Einen Überblick über geeignete Unterrichtsmaterialien und anderer Medien finden Sie auf den Webseiten des Antidiskri- minierungsprojekts Schule der Vielfalt – Schule ohne Homo­

phobie: www.schule-der-vielfalt.de/projekte_material.php und www.schule-der-vielfalt.de/projekte_medien.php

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