448
Conjectur zu Vendidad I, 34.
Von Eduard Sachau.
Als siebentes seiner Länder schuf Ahuramazda vaekeretem
yim duzhaköshayanem. Zu dieser Stelle liegen zwei Erklärungen
vor, eine traditionelle und eine andere von Seiten der europäischen Erklärer des Avesta.
Die Verfasser des Zoroastrischen Targums (Uzväresh), die sich
gegenüber Vendidad I. in der grössten Verlegenbeit befanden, sind
in ihrer Noth auf Käbul verfallen. Indem ich nach Parsen-Manier
mir aus dem Zend einen Pazend mache, transscribire ich die be¬
treffende Glosse folgender Weise: ^i^}-^ ui)! u>oLw (jijO Job'
J (t») j' e^i) j'- mI^J^ ^ (i'o») cri'
(„Li^) ^.,L^y
„Das übelbeschattete Käbul. Die Beschattung dessel¬
ben ist die, dass der Schatten der Bäume auf seiner Spitze ist."
Dazu eine zweite Glosse: „Denjenigen der Berge meint er" (der
Commentator).
Die modernen Erklärer enthalten sich einer Deutung von
vaekeretem, glauben aber in duzhako eine Stadt Dooshak wie¬
derzuerkennen, deren Ruinen ein Reisender unweit Galäläbäd in
Segestan nahe dem Hilmend gesehen zu haben meint. Ritter, Erd¬
kunde VHI. S. 58. 59.
Indem ich diese beiden Deutungen ibrem Schicksale überlasse,
versuche ieh eine neue.
Denkt man sich die alterauische Form vaekeretem in eiue
ueueranische umgewandelt, so müsste sie loaiitard, w&card oder,
da anlauteudes v sich vielfach zu b verhärtet, baikard, bekard
lauten. Es gibt uun zwar keine Ortschaft dieses Namens, jeder
Leser wird aber sogleich mit mir an Baikand denken. Uud zu
dieser Identilication kann man die von mir in dieser Zeitschrift XXVII,
147 ausgesprochene Vermuthung über den durch geographische
Verhältnisse bedingten Wechsel der Formen kard und kand ver¬
gleicheu.
Ich halte Baikand für einen alten Namen des später als
Bukhärä bezeichneten Landes. Es ist mir immer auffällig gewesen,
dass in dem Länderverzeichniss Vendidad I. diese Landschaft nicht
besonders erwähnt sein sollte, weil ich von der (allerdings eines
ausführlichen Beweises bedürfenden) Ansicht ausgehe, dass das
vom Zerefshän genährte Culturländ von Alters her in zwei Theile
getbeilt gewesen ist, dass an dem oberen Stromlauf der Name
Sughd, Sogdiana haftete und haften blieb, während das Land am
unteren Stromlauf bis zum Oxus stets unter einem besonderen
Namen als eine Landschaft für sich existirt hat. Wenn nun aber
der Verfasser von Vendidad I. Bukhärä, Stadt und Land, bezeich¬
nen wollte, warum gebrauchte er nicht diesen Namen, sondern
denjenigen einer andern Stadt dieses Gebietes? — Woranf zu er¬
wiedern ist, dass Bukhärä jünger ist als Baikand, dass Baikand vor
Bukhärä existirte.
Was die arabischen Geographen über Baikand berichten
(Istakhri S. 314, Ibn Haukal S. 363, Yäküt I, 797), ist ziemlich
dürftig. Zu der Zeit, als die Araber über den Oxus brachen, war
Bukhärä Name der Stadt und des Landes, und Baikand existirte
neben Bukhärä. Zum ersten Male wurde Baikand unter Muäwiya
A. H. 54 erobert (Balädhuri S. 410, Ibn Al'atbir IH, 415), zum
zweiten Mal erobert, geplündert und zerstört von Kutaiba bin
Muslim A. H. 87 (Balädhuri S. 420, Ibn Al'atbir IV, 419). Es
wird ausdrücklich bemerkt, dass die bei dieser Gelegenheit ge¬
machte Beute grösser war, als sie in irgend einer Stadt Khuräsän's
den Arabern in die Hände gefallen war. Baikand muss also
damals eine bedeutende und reiche Stadt gewesen sein. Sie hat
unter Arslän Khän (A. H. 409) noch einmal wieder eine gewisse
Bedeutung gewonnen, ist aber seitdem verfallen und verlassen und
dürfte heutigen Tages höchstens noch in eiuigen Schutthaufen exi¬
stiren. Baikand war eine Tagereise in südwestlicher Richtung von
Bukhärä entfernt.
Um aber meinem Ziele näher zu kommen, muss ich mich der
von VämbSry mitgetheilten Nachricbten bedienen, welche einer
höchst werthvollen Quelle, dem Ta'rikh-i-Narshakhi entnommen
sind. Diese A. H. 332 arabisch geschriebene, A. H. 522 in das
Persische übersetzte Lokalchronik von Bukhärä ist ein spärlicher
Rest einer zu ihrer Zeit sehr umfangreichen Literatur von Städte-
und Provinzial-Chroniken Transoxanien's und Khuräsän's, welche —
naeh den geringen, mir gelegentlich bekannt gewordenen Resten zu
schliesseu — für die vor- und nachmuhammedanische Geschichte jener
Länder äusserst werthvolle Materialien enthalten haben müssen.
Die hier in Frage kommenden Nachrichten finden sich bei Vambiry,
Geschichte Bochara's I, Einleitung XXV und S. 1 ff.
Die Quintessenz der Mittheilungen Narshakhi's ist nnn Fol¬
gendes : 3 2
450 Sachau, Conjectur zu Vendidad I, 34.
1) Der erste Häuptling der Ansiedler im Lande Bukhärä
hiess Aherzi.
2) Dieser wohnte in Baikand, weil Bukhärä damals noch
nicht existirte.
3) Er war ein Tyrann, der schliesslich, ungefähr wie Re¬
gulus von den Karthagern, von seinen eigenen Unterthanen um¬
gebracht wurde.
Die Stadt Baikand — gelegen an dem Kreuzungspunkt der
Strassen, welche Sogdiana, Bukhärä mit dem Oxus (Ämul) und
Margiana, den Paropamisos, Bactriana mit Bukhärä und Khwärizm
verbanden — wird als eine reiche Handelsstadt geschildert, welche
den Verkehr zwischen China, Indien, Transoxanien und Khuräsän
vermittelte. Die Gegend, in der Baikand lag, war eine sumpfige
Niederung, oft überschwemmt vom Zerefshän, ein Land für Jäger
und Fischer. Der nicht weit davon entfernte See Karaköl war
noch für die Prinzen aus dem Hause Cinghiz und Timur ein be¬
liebtes Terrain für Schwanenjagd.
Diese Nachricht gewährt uns l) einen Commentar zu der
wahrscheinlichen Etymologie des Wortes Baikand, vaekeretem,
welches ich als Vogel sta dt erkläre, indem ich vai mit mittel-
eranischem vai, ve = aves (Spiegel, Traditionelle Literatur der
Parsen S. 448 •'Ni, Bundehesh ed. Justi 31, 10, Minoikhirad ed.
West S. 203) und mit altbaktrischem vi (Justi, Handbuch der
Zendsprache S. 275) identificire. Vgl. den Namen Murghäb
„Vogelwasser."
Zweitens ist in dieser Nachricht von höchster Bedeutung die
Namensform Aberzi. In Vämb6ry's Handschriften wird ^jj!
o—.
stehen, und dies lese ich ^^-^ jt Abriei als eine Ableitung von
dpa Wasser und y'ric giessen. Es bedeutet „der Was ser¬
gi es ser". Das Wort ist etymologisch identisch mit dem ara-
o
bischen wäj^l „Was ser kanne", aber auch — und darauf
kommt es hier hauptsächlich an — mit dem Worte j^^j! d. i.
je-iS^ Äfrigh, dem Namen desjenigen Herrscher's, mit dem die
einheimische Tradition von Khwärizm die Geschichte dieses Landes
eröffnet. Vgl. über Äfrigh meine „Beiträge zur Geschichte und
Chronologie von Khwärizm", Sitzungsberichte der Wiener Akademie
der Wissenschaften, Philos.-hist. Klasse, April 1873 S. 489.
Es ergeben sich also zwei merkwürdige Uebereinstimmungen
in der ältesten Tradition von Bukhärä und Khwärizm. Am Anfange
ihrer Geschichte stehen zwei Herrscher, welche
1) beide den Namen „Wassergiesser" führen (Äbrizi bukhäri-
sche Form, Äfrigh khwärizmische Form), und welche
3 2
2) beide als Tyrannen bezeichnet werden. Von Äfrigh
sagt Älbirüni a. a. o. S. 481: „Sein Name galt ais ein böses
Omen, wie der des Yazdagird des Frevelhaften bei den Persern".
Sein Namensvetter Äbrizi war ein solcher Bösewicht, dass seine
Unterthanen vor ihm flohen, mit fremder Hülfe zurückkehrten und
sich dann mit Gewalt seiner entledigten.
Denjenigen, welche eine Vorliebe für Wassermythologie haben,
werde ^ ich es nicht verargen, weim sie in den Gestalten Äfrigh
und Äbrizi Personificationen des Oxus und Zerefshän erkennen
wollen, welche durch ihre Ueberscbwemmungen die Hütten und
Felder der ältesten eränischen Ansiedler schädigten, bis es ihnen
gelang, sich ihre Wässer durch Ableitung iu Canäle dienstbar zu
machen.
Wenn ich hier behaupte, dass Äfrigh und Äbrizi den- Anfang
der ältesten Geschichtstradition Centralasien's bezeichnen, so würde
dies zu seiner Begründung eine weitläufige Auseinandersetzung
über die Kritik der gesammten historischen Tradition erfordern, die
ich mir jedoch für eine spätere Zeit aufsparen muss. Die Sache
ist in Kürze folgende: _
Der Periode des Äfrigh und Äbrizi soll eine andere Periode
vorhergegangen sein, in der die persischen Kayanier Transoxanien
beherrschten, und in der Siyäwush die Hauptfigur spielt. Alle sich
hierauf beziehenden Nachrichten halte ich für späte Erfindung.
Die einheimischen Chronisten benutzten den Zug der alteränischen
Sage von der Flucht des Siyäwush nach Turan, um ihrem Lande
eine möglichst alte Geschichte, ihren Fürstengeschlechtern eine
möglichst alte Abstammung anzudichten — genau so, wie die
ältesten arabischen Geschichtsmacher die biblische Erzählung von
der Flucht der Hagar mit ihrem Sohne Ismael in die Wüste be¬
nutzten, um die Geschlechter der Araber mit den Erzvätern der
Bibel in Zusammenhang zu bringen. Wo die transoxanischen
Nachrichten von den Kayaniern aufhören, fängt die einheimische,
unverfälschte Landestradition an, in diesem Fall mit Äfrigh und
Äbrizi. Aus diesem Grunde halte ich auch die Nachricht von
Baikand als ältester Residenz des Landes, als älter denn Bukhärä,
für besser beglaubigt, als die andere Nachricht, welche Bukhärä
von Afräsiäb oder Siyäwush erbaut sein lässt. Vdmbiry a. a. 0.
S. 3 Anm. l.
Um nun zur Ausbeutung der Nachricht Narshakhi's zurück¬
zukehren, so ist zu bemerken, dass dieselbe
3) auch für die Erklärung des zweiten Theiles von Vendidad I,
34, für duzhaköshayanem eine Handhabe bietet. Nach Analogie
von Vendidad I, 14 und 42 übersetze ich hier „den Sitz des
D uzh aka". Äber wer ist Duzhaka?
Spiegel, Grammatik der Altbaktrischen Sprache S. 89, 38 er¬
klärt duzhaka als schlecht von dush -\- ka. In Vendidad 13,3
wird es gebraucht als der Schimpfname einer Hundeart, mittel-
452 Sachau, Conjectur zu Vendidad 1, 34.
eranisch ^^3^3, neupersisch a^yj. Oh Yagna 45, 4 duzhaJeobdo
oder duzhazobdo (Neriosengh: dushto balätkäri) die richtige Lesart
ist, weiss ich nicht zu entscheiden.
Die Annahme der Bedeutung „b ö s e" für duzhaka scheint mir
immerhin möglich zu sein. Ich übersetze demnach vaekeretem yim
duzhaköshayanem „Baikand, den Sitz des Bösen", „des
Tyrannen", nämlich des Äbrizi, und meine, dass der Verfasser
von Vendidad I. hiermit das jetzige Land Bukhärä bezeichnen
wollte.
Nachtrag.
Zur Vervollständigung meiner im XXVII. Bande S. 147. 148
dieser Zeitschrift abgedruckten Notiz über Khnefita = Xagivdag
bemerke ich, dass dieser alte Grenzfluss zwischeu Hyrcanien und
Medien heutigen Tages noch denselben Namen führt, nämlich
Kurend Jüy', Maseuderanisch Karend oSß . Diese Mittbeilung
verdanke ich der Güte Sr. Excellenz des Herrn Geh. Staatsrathes
V. Dom.
Im Interesse der Vollständigkeit füge ich noch hinzu, dass der
XaQivbaq auch bei Plinius, Hist. Nat. VI, 16 erwähnt wird, wo
aber sämmtliche Handschriften verderbt zu sein scheinen. Die
überlieferten Formen sind : Chindrum, Chridinnm, Chidinum, aus denen
vermuthlich ein Chriudum oder Chirindum zu reconstruiren ist.
Occidentalische Uebersetzungen aus dem Arabi¬
schen im Mittelalter.
Von M. Stelusehnelüer.
Hr. Prof. Sprenger hat in diesem Bande d. Zeitschr. S. 154 eine
Aufgabe der Orientalistik empfohlen , für welche ich seit 30 Jahren
Materialien sammle und in verschiedenen Schriften, u. A. auch in
dieser Zeitschrift bekannt gemacht habe. Es sei mir daher
gestattet, in aller Kürze seine sehr angemessene Auflforderung zu
unterstützen, aber auch zu erweitern, wie das schon in der
Ueberschrift geschehen ist.
1. Vor Allem möchte ich darauf hinweisen, dass die Ueber¬
setzungen neben dem „Einfluss der moslimiscben Wissenschaft auf
das Abendland" noch eine directe Bedentung für die Orientalistik haben, insofern sie nnsere Kenntniss der Originalliteratur erweitern
und ergänzen. Manches ist nur in Uebersetzuugen erhalten oder
bekannt, oder zugänglich, wie z. B. die weitaus meisten Schriften
der ältesten arabischen Astrologen: Mascballah (VIII. Jahrb.), Sahl
b. Bischr (dessen Schriften von Indern benutzt scheinen) *),
Kindi u. a. , die astronomischen und matbematischeu des Thabit
b. Korra (zusammengestellt in der Zeitschr. für Mathematik XVIII,
331, vgl. XIX, 95) u. s. w. Dass unter den abstrusen Theorien
der Astrologen sich aucb manches Körnlein für Biographie und Ge¬
schichte tinde, ist an einigen Stelleu des Ibn Abi'r-Rigal (XI.
Jahrh.) nachgewiesen in meinen Anmerkungen zu Baldi's Artikeln über
arabische Mathematiker, deren bald beendeter Abdruck nach meiner
ursprünglichen Fassung (eine formell geänderte mit unbezeichneten
Zusätzen versehene Bearbeitung erschien in Boncompagni's Bul-
lettino di Bibliographia e di Storia delle seience matematiche e
1) Bd. VIII, XVII, xxvm, XXIV, XXV. Dem ersten Artikel „Ueber¬
setzer aus dem Arabiscben, ein Beitrag zur Bücherkunde des MittelaUers" im Serapeum 1870 n. 19 u. 20, sollte eine Reihe anderer folgen; aber diese werthvolle Zeitschrift ging leider ein , und ich wusste keine andere dafür geeignete.
2) Catal. Budl. 2258; über ihn zuletzt in Zeitschr. f. Mathematik XVI, 388.