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Probleme der Wortstruktur

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Dieter Wunderlich Probleme der Wortstruktur

Der Artikel befaßt sich mit der Abgrenzung von Wortstruk turregeln gegenüber Regeln der Syntax. Ausführlich wird auf die Möglichkeit der Legalisierung von Syntagmen und der dadurch bedingten peripheren Wortbildungsmöglichkeiten eingegangen. Es wird die The- se vertreten, daß universal nur Nomen und Adjektive als Kopf eines Kompositums auftre- ten können.

In diesem Artikel will ich Fragen behandeln, die init der Abgrenzung von Syntax und Wortstruktur zu tun haben.1 Zunächst versuche ich, die traditionelle Vor- stellung zu präzisieren, daß die Wortstruktur gegenüber der Syntax autonom sei (Autonomie-Hypothese). Dies erfordert zugleich, eine Vorstellung über die In- , teraktion von Syntax und Wortstruktur zu entwickeln. Man mochte z. B. verste- hen, inwiefern das Genitiv-s, als Teil eines Wortes, für die Syntax relevant sein i kann, andererseits, inwiefern ein Verb wie aufhören, im syntaktischen Sinne ein

Nicht-Wort, lexikalisch doch als Einheit anzusehen ist.

Soweit ein Wort als Verkettung kategorialer Einheiten betrachtet wird, läßt sich die Wortstruktur als Spezialfall der X-bar-Theorie darstellen, die sonst vor allem die syntaktische Struktur charakterisiert. (Diese Idee findet man u. a. in Höhle (1982), Selkirk (1982) und Toman (1982) ausgeführt.) Es scheint deshalb so, daß sich die Autonomie der Wortstruktur nicht allein mit strukturellen Ge- sichtspunkten begründen läßt. Den wesentlichen Unterschied sehe ich in der psychologischen Verfügbarkeit (Memorisierbarkeit) von lexikalischen versus syntaktischen Einheiten, der eine Reihe von Besonderheiten der Wortstruktur- regeln plausibel macht.

l Dem Artikel liegt ein Vortrag zugrunde, den ich am 28.5.1985 in Konstanz gehalten habe. In §1 verwende ich einige Ideen aus der Dissertation von Hans Uszkoreit (1984), komme aber z. T. zu anderen Ergebnissen. Auf Fälle der anaphorischen Beziehung und der Argumentvererb'ung, die für die in § 2 diskutierte Autonomie-Hypothese problematisch sind, hat mich Christian Dütschmann aufmerksam gemacht. Die Beispiele in § 3 aus dem Suaheli und Luiseno sind dem Buch von Langacker (1972) entnommen. Die in den §§ 4 bis 6 verwendeten portugiesischen Beispiele verdanke ich Candida Silva-Joaquim, die spani- schen Beispiele Terasa Parodi. Mit ihr habe ich auch die methodischen Kriterien zur Unterscheidung syntaktischer und lexikalischer Regeln in §4 diskutiert, wobei ich einen offenkundigen Fehler in Wunderlich (1985a) bemerkte. Die chinesischen Beispiele in §6 sind dem Buch von Li und Thompson (1981) entnommen, meine davon abweichende Einschätzung habe ich mit Richard Wiese diskutiert. Die japanischen Beispiele in den §§4

»und 6 habe ich aus Kageyama (1982), zu ihrem besseren Verständnis haben mir Florian Coulmas und Sebastian Lobner verhelfen. Bei den deutschen Beispielen greife ich auf Analysen zurück, die in Wunderlich (1985b) ausführlicher dargestellt sind.

; Zeitschrift für Sprachwissenschaft 5,2 (1986), 209-252

& Vandcnhoeck & Ruprecht, 1986 'ISSN 0721-9067

(2)

Die Wortstrukttirrcgeln einer Sprache lassen sich als einzelsprachliche Instan- tiierung universaler Prinzipien ansehen. Versucht man aber, die Wortbildungs- möglichkciten der Sprachen aufzulisten und daraus die universalen Prinzipien zu abstrahieren, so wird man schnell feststellen, daß diese Prinzipien wenig re- · striktiv sind. Ich unterscheide deshalb zwischen den universal bedingten restrik- tiven Strukturraöglichkciten und solchen, die einzelsprachlich peripher sind. Die wesentliche Idee, die ich beisteuern möchte, besteht in der Präzisierung einer an sich sehr alten Vorstellung, nämlich daß sich Wortstrukturregeln nach Maßgabe syntaktischer Regeln entwickeln können, aber nicht umgekehrt. Wie ist das, ohne Preisgabe der Autonomie-Hypothese, zu bewerkstelligen? Ich werde an- nehmen, daß lexikalisierte Syntagmen gegebenenfalls, nämlich wenn sie als : Wörter gedeutet werden, lexikalisch reanalysierbar sind; dies sei die ausschließli- che Quelle neuer Wortstrukturregeln. Im Lexikon können allerdings auch Syn- tagmen (insbesondere solche mit einem verbalen Kopf) nach einem analogischen Muster gebildet werden und dadurch eine syntaktische Struktur induzieren.

Es ist unmöglich, alle in diesem Zusammenhang interessanten Fragen auch nur annähernd zu behandeln. Insbesondere konzentriere ich mich in den beiden letzten Paragraphen auf die Wortkomposition. Obwohl ich, ganz im Sinne von Höhle (1982), denke, daß die Wortderivation (soweit sie als Verkettung zu ver- stehen ist) grundsätzlich keinen anderen Prinzipien folgt, stellt sie uns doch vor neue Probleme, die z.T. mit der sprachhistorischen Verdunkelung der Affixe zusammenhängen. Ebenso werde ich auch über Probleme der Flexion nichts Substantielles sagen; nur gelegentlich sind Annahmen über die Interaktion von Komposition, Derivation und Flexion unvermeidlich.

Im letzten Paragraphen versuche ich die Hypothese zu begründen, daß al:»

Kopf eines Kompositums universal nur [+N]-Kategorien, nämlich Nomina und Adjektive, zugelassen sind. Alle vermeintlichen verbalen Komposita beruhen entweder auf peripheren Regeln oder sind Syntagmen. l

L Zur Interaktion von Syntax und Lexikon

Syntax und Lexikon gelten als zwei voneinander unabhängige (also autonome), l aber systematisch aufeinander bezogene Komponenten der Sprachfahigkeit.}

Dies bedeutet a), daß es Prinzipien der Wohlgeformtheit von syntaktischen ver- sus lexikalischen Einheiten gibt, die von unterschiedlicher Natur sind und auch \ unterschiedlich repräsentiert sind, und b), daß es einen Informationsfluß zwi- schen den beiden Komponenten geben muß, für den man rein schematisch ein

„Interface" als aktives Filter annehmen kann (mindestens im Sinne einer lexika-1 lischen Einsetzungsregel wie bei Chomsky 1965).

Die Syntax charakterisiert die Struktur von Sätzen bis hin zu den terminalen.

Kategorien, für die Einheiten aus dem Lexikon eingesetzt werden. Eine Satz- f

(3)

Probleme der Wonstruktur 211 U)

^k Struktur kann als kategorial indizierter einwurzeliger Graph angesehen werden,

;C4 in dem sowohl Dominanz- wie auch Reihenfolgebeziehungen eindeutig sind.

••^ Der morphologische Teil des Lexikons charakterisiert die kategoriale Struktur -^ der Wortformen, die als terminale Kategorien in einer Satzstruktur vorkommen

^"c· \ können. Auch die Wortstruktur kann, sofern das Wort als Verkettung von Ein-

: :: ä , heiten analysierbar ist (wie z. B. Un-be-denk-Iich-keit-s-be-schein-ig-ung-en), als

··*·*: kategorial indizierter einwurzeliger Graph angesehen werden. Das Interface

:-i* zwischen Syntax und Lexikon muß nun einerseits Informationen aus der Syntax 'v3 1 weitergeben, die für die einzusetzenden lexikalischen Einheiten zu fordern sind;

- . '. andererseits muß es Informationen aus dem Lexikon weitergeben, um prüfen zu

! können, ob die betreffende lexikalische Einheit in einem wohlgefonnten Satz '- vorkommt. Die Kategorien, die in der Syntax und im Lexikon (einschließlich b.s . Morphologie) verwendet werden, müssen also teilweise identisch sein; Katego-

^L .1 } rien wie [Adjektiv], [Dativ] oder [Präteritum] werden z. B. in beiden Komponen- . .: 1 1 ten vorkommen.

.; .!: : Es steht nicht von vornherein fest, wie eine Grammatiktheorie die Aufgaben- :· ;> Verteilung zwischen Syntax und Lexikon konzipieren sollte. Sie kann das Lexi- rf.· kon als bloßes Inventar von Einheiten ansehen, dem eine morphologische und eine syntaktische Strukturkomponente zur Seite stehen. Auf der anderen Seite ,;,_.; kann sie dem Lexikon auch „strukturerzeugende" Aufgaben aus der Syntax v:- :· zuschreiben, z.B. indem aufgrund von Subkategorisierungsforderungen geeig- vr: : nete syntaktische Strukturen aufgebaut werden. Ich werde hier einen im ganzen : eher konservativen Standpunkt einnehmen, der beiden Komponenten einen ei-

; genständigen Status gibt. Ich möchte aber betonen, daß die Entscheidung letzt-

• lieh eine empirische Frage darstellt und nicht bloß aufgrund von Nützlichkeits- erwägungen getroffen werden kann. Ich werde im folgenden (vor allem für die- ' sen Paragraphen) als Syntaxtheorie die von Gazdar u. a. (1985) entwickelte Ge-

; neralisierte Phrasenstrukturgrammatik (= GPSG) zugrundelegen; die meisten ..^ ! Erörterungen "sind aber von dieser speziellen Wahl gänzlich unabhängig.

'r, :. i An einem beliebigen Beispiel können die Zusammenhänge veranschaulicht '".1*1 werden.

" . (2) a. als du mit größerem Mut aufhörtest

"'"'.·· b. Comp N P A N V

" In (2 b) wurden die lexikalischen Kategorien verzeichnet, die wir annehmen wol- : len. Eine jede von ihnen wird innerhalb des Satzes auf eine maximale Kategorie

;' .. projiziert, wobei weitere Elemente einbezogen werden können. Die Syntax

(4)

212

könnte fur (2 a) z. B. die Struktur (3 a) liefern; mit anderen Worten, die Syntax muß Regeln enthalten, die erlauben, die Abfolge der lexikalischen Kategorien in (2 a) tatsächlich als einen wohlgeformten Satz zu verstehen. Dabei ist natürlich wesentlich, daß den Syntaxregeln geeignete Interpretationsregeln korrespondie- ren, die ich hier aber nicht betrachten will. V2 wird oft auch als S°, CorapP als S1

symbolisiert.2 X° sei eine minimale oder Wort-Kategorie, X2 sei eine maximale Kategorie. Die Linie X°, X1, X2 bildet die sogenannte Projektionslinie, alle sog, Kopf-Merkmale sind auf ihr (gemäß der Head Feature Convention) identisch, dazu gehören z.B. [-f DAT] und [+FIN]. [4-NOM], [4-DAT] stehen für ein- schlägige Kasus, [+FIN] steht für das Finitum mit den Werten Präsens oder Präteritum. SEPRÄF steht für die Kategorie der separierbaren Präfixe (bzw.

Partikeln/Verbzusätze), auf die ich gleich zu sprechen komme.

CompP

[V1, +Fin]

SEPRÄF [V°, +FIN]

auf hörtest\

po

l

mit

[N2, +DAT]

l

[N1, -h DAT]

A2

l

größerem

l

[N1, +DAT]

[N°, + DAT]l l Mut

2 Ich betrachte den Satz (S°) als maximale Projektion des Verbs, und den Komple- j mentsatz (S') als Projektion eines Komplementierers Comp. Man könnte Comp auch als l Merkmal eines Satzes auflassen; in unserem Beispiel wäre dann CompP durch [V2,

+ FIN, COMP als] zu ersetzen. Ich will hier nicht diskutieren, welche Auffassung vorzu- ! ziehen ist. ·

(5)

r~~ : "

Probleme der Wortstniktur 213

Es gibt Gründe, besonders auf Beobachtungen über die relativ freie Wortstel- lung im Deutschen basierend, anstelle von (3 a) eine „flachere" Struktur anzu- nehmen. Die flachste mögliche für (2 a) ist - etwas vereinfachend - (3 b). Für das Zustandekommen von (3a) wären u.a. Regeln wie (4a) verantwortlich, für das Zustandekommen von (3b) Regeln wie (4b).

(4) a. V1 -> SEPRÄF, V°

V1 -* P2*, V1

V2 -» N2, V1 + FIN +NOM

b. V1 -> SEPRÄF, V°

V1 -» W => V1 -> P2*, W V1 -» W => V2 -» N2 , W

+ +NOM

* ist der Kleenesche Stern und drückt aus, daß eine Folge solcher Kategorien möglich ist. Das Komma in den Regeln drückt aus, daß zunächst nur die Domi- ' nanzbeziehungen erfaßt sind, nicht die Reihenfolgebeziehungen. Die Reihenfol- . ge hängt auch von Bedingungen ab wie Finitum-Voranstellung im Hauptsatz, Topikalisierung, Fokussierung, Pronominalisierung, Definitheit der Nominal- . phrase usw.; solche Regeln will ich hier nicht erörtern. Unter (4b) sind zwei Metaregeln angeführt. Wenn es eine Regel wie links von „=>" gibt (wobei W eine

1 Variable über eine Folge von Kategorien ist), dann gibt es auch eine Regel wie rechts von-„=>". Solche Metaregeln wie hier flachen also die Struktur ab, da den Subkonstituenten einer Kategorie eine weitere nebengeordnet wird. Für eine Struktur wie (3b) erweist sich V1 (die traditionelle Verbalphrase) als Phantom-

; kategorie: sie wird benötigt in der Grammatikalitätsprüfung und Interpretation, : ohne daß sie eine Konstituente des Satzes ist. Allerdings ist bei einem infiniten Verb V1 keine Phantomkategorie mehr, sondern eine Satzkonstituente (Infini- tiv- oder Partizipialphrase).

Geeignete Wortformen, die in (3 a) oder (3b) eingesetzt werden können, sind u. a. die in (5) angeführten, zusammen mit ihrer vom Lexikon gelieferten katego- ' rialen Spezifizierung.

(6)

(5) du : [N2, +PRON, + NOM, 2.PS, Sg]

Mut: [N°, +DAT, Mask, Sg]

\l\groß\ [er, Umlaut] [em\.

[A°, + Komp, -Präd, H-stark, AGR [-hDAT, Mask, Sg]]

ffl/wrj/rj»/]: [V°, Prät, AGR [2. PS, Sg]]

du ist die Proform einer maximalen Phrase N2; es wäre allerdings kein Problem, du gleichzeitig als N° aufzuführen, wenn man damit sagen will, daß alle Wörter zu einer Kategorie X° gehören, du hat nun außerdem noch die kategorialen Merkmale [2. PS, Sg], die von der syntaktischen Struktur (3a) oder (3b) nicht verlangt werden. Allerdings verlangt die Syntax hier Kongruenz; die zugehörige Funktorkategorie (das ist das finite Verb bzw. seine Projektion in den Regeln unter (4)) muß mit dem passenden Kongruenzmerkmal AGR [2. PS, Sg] spezifi- ziert sein (AGR für Agreement). Wortformen wie größerem und hörtest haben nun selbst eine Struktur. Einige ihrer kategorialen Merkmale rühren von den Affixen her, bei größerem liefert [er, Umlaut] das Merkmal [+Komp], alle ande- ren werden von em beigesteuert. Dies bedeutet u. a., daß größerem nicht prädika- tiv verwendbar ist, die Bedingung erfüllt, daß jede Nominalphrase [-h stark] ist, und ein Nomen modifiziert, das [+DAT, Mask, Sg] ist. Ganz ähnlich erklären sich die Merkmale von hörtest.

Die eine Aufgabe, die das Interface zwischen Syntax und Lexikon leisten soll, ist damit etwas deutlicher geworden. Ein Merkmal wie Nominativ wird von der Syntax her gefordert, insbesondere von Regeln, die ein Verb als finit kennzeich- nen; dem müssen die einzusetzenden Wertformen genügen. Ein Merkmal wie ; Singular wird aber von der Syntax her nicht gefordert; das einzige, was die Syntax hier fordert, ist, daß eine Singular-Kategorie geeignet mit einer anderen , Singular-Kategorie kongruiert. Dies bedeutet, daß dann lexikalische Infonna- :

tionen in der Syntax zu verarbeiten sind. : Das Interface muß auch gewährleisten, daß u. U. lexikalische Einheiten mit ' syntagmatischem Status eingesetzt werden können. In (2 a) benötigen wir das intransitive Verb aufliörtest, eine lexikalische Einheit, deren Bedeutung sich nicht kompositionell aus den Bedeutungen von aw/und hörtest ergeben kann.

Aber im syntaktischen Sinn ist aufhörtest kein Wort, da es trennbar ist: !

(6) Wann hörtest du auf? !

In der Version (3 a) von oben ist aufhörtest immerhin noch als Konstituente des Satzes anzusprechen, in der Version (3 b) ist dies aber nicht vorgesehen, und in einem Satz wie (6) ist hörtest ... auf sicher keine Konstituente, sondern eine diskontinuierliche lexikalische Einheit.3 Allerdings kann unter den Regeln (4b) i

3 Die traditionell manchmal angenommenen sog. diskontinuierlichen Konstituenten i verletzen generelle Wohlgeformtheitsbedingungen syntaktischer Strukturen. Um der Au- j

(7)

Probleme der Wortstruktur 215 eine gefunden werden, wo SEPRÄF und V° zusammen die Phantomkategorie V1 bilden. Wir könnten annehmen, daß das Interface u.U. auch Phantomkate- gorien lexikalisch besetzen läßt.

Betrachten wir nun aber trennbare Verben, wo das Präfix eine strukturelle Argumentposition des Verbs besetzt.

(7) a. als sie das Boot auf das Ufer zogen b. als er die Uhr aufzog

Hier könnte man Regeln wie die folgenden annehmen:

(8) a. V1 -> N2 , P2 , V°

+ AKK + DIR

b. V1 ^ P2 , W => V1 -> SEPRÄF, W

+ DIR

Regel (8 b) besagt, daß ein Verb mit einer direktiven PP auch mit einem trennba- ren Präfix subkategorisiert werden kann, aufziehen ergibt sich hier an keiner Stelle der Analyse als V ^Konstituente.4 Das schließt aber nicht aus, einen pas- senden Lexikoneintrag zu finden.

SEPRÄF ist immer eine terminale Kategorie. Sie kann aber nicht unabhängig von dem Verb V° besetzt werden, mit dem zusammen sie in einer lokalen Struk- tur vorkommt. Wie auch sonst bildet diese lokale Struktur einen Subkategorisie- rungsrahmen, der durch einen Index für die betreffende V1-Regel angesprochen werden kann; Metaregeln vererben den Index auf ihr Ergebnis. Es genügt dann ein Lexikoneintrag wie (9):

tonomiediskussion eine sinnvolle Grundlage zu geben, muß der Begriff des Wortes syntak- tisch klar abgegrenzt werden; die Minimalbedingung ist, daß es sich um eine untrennbare syntaktische Konstituente handelt. In der traditionellen Diskussion hat man eher semanti- sche Kriterien herangezogen, nach denen sich aufhörlest unzweifelhaft als Wort erweist;

aber das verlangte dann auch die (hier inakzeptable!) Annahme diskontinuierlicher Wör- ter. Aufhören ist hier genauso als laxikalisches Syntagma anzusehen wie z. B. auf die Palme bringen (in* seiner idiomatischen Leseart). Als eigene lexikalische Einheit kann aufhören auch Subkategorisierungen aufweisen (z.B. [V1, zu - INF] ), die sich nicht schon aus den Bestandteilen ergeben.

4 Die Metaregel (8b) ist natürlich auch dann wirksam, wenn ein Verb als V1 -» [P2, + DIR], V° zu subkategorisieren ist (in den Wagen steigen => einsteigen; in den Hof sehen

=*· hinaussehen etc.); dann bildet das Präfixverb auch eine V ^Konstituente. - Es könnte den Anschein haben, als sollte mit der Metaregel (8b) eine lexikalische Regularität erfaßt werden. Das ist aber nicht gemeint. Durch die Metaregel wird in keiner Weise festgelegt, ob es für bestimmte unter P2 mögliche Präpositionen auch geeignete trennbare Präfixe gibt;

und schon gar nicht, wie die (evtl. idiomatische!) Bedeutung solcher Präfixverben sein könnte. (Die Bedeutung von aufziehen in (7b) ergibt sich ja noch nicht einfach aus der von auf und ziehen in (7 a).)

(8)

216 (9)1

Der index 4 verweist auf die betreffende Regel unter (4), „...** ist durch weitere Affixe der betreffenden Wertform und deren kategoriale Informationen aufzu- füllen, „—'* enthält die semantische Information des Lexikoneintrags.

Die Regeln (8 a, 8b) führen zu Verbphrasenstrukturen wie (10).

(10) a.

b.

das Boot auf das

Ufer ziehen die Uhr

ziehen

Es gibt jedoch einen Unterschied bei den Topikalisierungsmöglichkeiten.

(11) a. Auf das Ufer ziehen wollten sie das Boot.

b. ?Das Boot ziehen wollten sie auf ein Ufer, das sehr steinig war.

(12) a. Aufziehen mußt du die Uhr nur selten, b. *Die Uhr ziehen mußt du nur selten auf.

(13) a. ?Neue Saiten ziehen wollten sie auf das Cello.

b. ?Den Vorhang ziehen solltest du bis in die Mitte des Zimmers.

(14) a. *Neue Saiten ziehen wollten sie auf.

b. *Den Vorhang ziehen solltest du auf.

Aus (10 a) kann ziehen zusammen mit dem einen oder dem anderen Argument topikalisiert werden, auch wenn die Topikalisierung zusammen mit dem näheren Argument (s. 11 a) deutlich präferiert ist. Aus (lOb) ist nur die Topikalisierung zusammen mit dem SEPRÄF möglich.

Vergleichbar ist dies mit folgenden Beispielen:

(15) a. In die Wüste jagen sollte man die ganze Regierung.

b. ?Die Regierung jagen sollte man dahin, wo sie kein Unheil mehr anrich- ten kann.

(16) a. Ins Bockshorn jagen kann man einen alten Fuchs nicht, b. *Einen alten Fuchs jagen kann man nicht ins Bockshorn.

(17) a. Eine Tarnkappe schenken sollte man dem Minister.

b. ?Dem Minister schenken sollte man eine Tarnkappe, unter der er un- sichtbar bleibt.

(18) a. Den Garaus / Beine machen sollte man dem Minister, b. *Dem Minister machen sollte man den Garaus / Beine.

I *

(9)

Probleme der Wortstruktur 217 In (15), (17) ist die zugrundeliegende Verbphrase mit (lOa) vergleichbar; die Topikalisierung mit dem näheren Argument ist präferiert, aber nicht die aus- schließliche. In (16), (18) ist die zugrundeliegende Verbphrase hingegen mit (lOb) vergleichbar, da [ins Bockshorn]^ [jagen]vo, [den Garaus]^ [machen]^ und [Beine]^ [macheri]vo als eigene Lexikoneinträge mit idiomatischer Bedeutung anzusehen sind. Auch hier sind die Bestandteile der idiomatischen Wendung trennbar; es ist sogar Passiv möglich, das den Kasus des nominalen Bestandteils ändert.

(19) a. Der Garaus wurde den letzten lebenden Wölfen gemacht.

b. Beine wurden dem Minister gemacht, daß er ganz schön ins Schwitzen kam.

Nicht möglich ist es, für die Topikalisierung das Idiom-Verb mit dem nichtidio- matischen Teil der V1 zusammenzufassen, vgl. (16b, 18b).

Hier ist nicht der Ort, die Topikalisierung im Deutschen zu untersuchen. Aus- gehend von Strukturen wie in (10 a) wird man vielleicht sagen, daß die Topikali- sierung eine Reanalyse zu bewirken vermag, nämlich das Verb mit einem seiner Argumente zu einer Konstituente zusammenzufassen. Das andere Argument kann um so leichter zurückbleiben, je „schwerer" es ist, z. B. modifiziert durch einen Relativsatz wie in (lib), (15b), (17b). Aber weder das trennbare Präfix noch in der Regel der Idiombestandteil ist in dieser Weise modifizierbar. Die zweite Beobachtung ist', daß das verbnähere Argument leichter mit diesem zu- sammenfaßbar ist. Bei den lexikalischen Einträgen, die syntagmatischen Status haben, ist in der Regel nur das nähere Argument betroffen, so wie in den Beispie- len. Die Tatsache, daß es sich hier lexikalisch bereits um eine Einheit handelt, könnte vielleicht erklären, weshalb kein anderes Argument mit dem Verb zusam- menfaßbar ist. Allerdings müßte dann die Topikalisierungsregel (als syntakti- sche Regel) auf eine lexikalische Information zurückgreifen können. Die Alter- native dazu wäre, nicht etwas aufziehen, sondern nur aufziehen, nicht jemanden ins Bockshorn jagen, sondern nur ins Bockshorn jagen als unterste V1-Konsti- tuente anzusehen. Statt (lOb) wäre dann (lOc) anzusetzen. Dies braucht aber nicht die von der Syntax geforderte Struktur zu sein. Wir können auch anneh- men, daß" die Syntax tatsächlich nur (lOb) bereitstellt, aber die gemeinsame lexikalische Belegung von SEPRÄF und V° darauf eine Phantom-V1 im Sinne von (lOc) induziert, und nur diese ist aus der lokalen Struktur extrahierbar. Die Trennung in einem Hauptsatz wie (6) führt dagegen nur zu einer anderen Rei- henfolge innerhalb derselben lokalen V2-Stmktur.

Zusammenfassung: die Syntax stellt Forderungen an das, was lexikalisch ein- zusetzen ist, in Form von Kategorien oder Indizes für lokale Strukturen (=

Subkategorisierungsrahmen). Umgekehrt bringen Wortformen Merkmale mit, die in der Syntax als kongruent zu prüfen sind. Einzelne terminale Kategorien werden durch Wortformen besetzt, die syntaktisch untrennbar sind. In einer

(10)

(10c) V1

N2

die Uhr SEPRAF yo

auf ziehen

lokalen Struktur benachbarte .terminate Kategorien (von denen eine der Kopf sein muß) können auch gemeinsam durch eine einzige lexikalische Einheit be- setzt werden, die dann trennbar ist. Sie vermag dann aber eine Substniktur zu induzieren, die nicht zugunsten einer anderen Substruktur revidierbar ist.

2. Autonomie der Wortstruktur

In Hinblick auf die Syntax ist das Wort als eine untrennbare lexikalische Einheit anzusehen. Aufliören, ins Bockshorn jagen sind zwar auch lexikalische Einheiten, aber in diesem Sinne keine Wörter. Allgemein ist mit der Vorstellung der Auto- nomie der Wortstruktur verbunden, daß auf die Bestandteile komplexer Wörter keine syntaktischen Regeln anwendbar sind. Wörter sind demzufolge syntakti- sche Inseln. Für Wertformen mit Flexionsaffixen dürfte das evident sein; nicht so evident ist das für Komposita, die manchmal eher als Augenblickswörter gelten könnten, deren Bedeutung geradesogut auch in einer Phrase ausdrückbar ist.

Die folgenden Beispiele zeigen einen deutlichen Unterschied zwischen der Wortkonstruktion und der phrasalen Konstruktion.5

- Keine Trennung durch Topikalisierung eines Wortbestandteils:

(20) a. Die meisten Gemälde von Monet hängen in Amerika.

b. Die meisten Monet-Gemälde hängen in Amerika.

c. Von Monet hängen die meisten Gemälde in Amerika.

d. *Monet hängen die meisten Gemälde in Amerika.

5 Christian Dütschmann hat mich allerdings auf Belege aufmerksam gemacht, in de- nen das Erstglied eines Kompositums modifiziert wird:

zu (22): Beedi-Läden, eine billige indische Zigarettensorte, ...

zu (23): Nebelbildung, der sich am Tag nur zögernd auflöst.

Besonders zahlreich sind Belege mit Adjektivattributen; (vgl. (24): nukleare Kriegsgefahr, männliche Hormonproduktion, arabisches Wirtschaftswachstum.

(11)

! Probleme der Wortstruktur 219 j - Keine Trennung durch eingeschobene Apposition:

(21) a. Wir besuchten des Fürsten, des berüchtigten Raubritters, Burg, b. *Wir besuchten die Fürsten- des berüchtigten Raubritters-bürg.

. - Keine Apposition zu einem Wortbestandteil:

| (22) a. alle nach Kiew Reisenden, der ukrainischen Hauptstadt,...

i b. *alle Kiew-Reisenden, der ukrainischen Hauptstadt,...

- Kein Relativsatz zu einem Wortbestandteil:

(23) a. alle nach Kiew Reisenden, das besonders im Frühjahr attraktiv ist.

b. *alle Kiew-Reisenden, das besonders im Frühjahr attraktiv ist...

- Kein Adjektivattribut zu einem Wortbestandteil:

(24) a. ein Lehrer klassischer Sprachen, ein Eintopf aus grünen Bohnen b. ein klassischer Sprachenlehrer, ein grüner Bohneneintopf c. ein [Klassische-Sprachen]-Lehrer, ein [Grüne-Bohnen]-Eintopf In einem Fall wie (24) ist nur möglich, daß - wie in (24c) eine N2-Phrase als Wortbestandteil auftritt, eine Option allerdings, die in der Kompositionsgram- matik markiert ist (s. §5).6

Noch zwei andere Phänomenbereiche werden oft herangezogen, um für die Autonomie der Wortstruktur zu argumentieren: anaphorische Beziehungen und eventuelle Argumentvererbungen: Allerdings sind hierbei gewisse Vorausset- zungen zu machen, die vielleicht nicht uneingeschränkt gelten.

Im Falle der Anaphernbeziehung läßt sich etwa so argumentieren: Wenn Syn- tax und Lexikon autonom sind und die Anaphernregel primär syntaktisch be- dingt ist, dann sind Bestandteile von Wörtern für die Anaphernregel nicht zu- gänglich: Wörter sind als anaphorische Inseln zu betrachten. Sollte sich aber herausstellen, daß Wörter nicht strikte anaphorische Inseln sind, gilt entweder das Autonomieprinzip nicht strikt oder die Anaphernregel ist nicht ausschließ- lich syntaktisch (sondern evtl. semantisch oder pragmatisch) bedingt.

6 Dies ist möglicherweise der Grund dafür, daß Komposita die Autonomiebeschrän- kung z.T. unterlaufen können, auch wenn dies eher eine pragmatisch mögliche Lizenz ist.

Angenommen, es gelte die Regel:

Wenn [X Y]Ko ein mögliches Kompositum ist, dann ist auch [[—X]Y]No ein mögliches, aber markiertes Kompositum, eingeschränkt auf , e N°. Dadurch entsteht ein Kon- flikt. In (i) [[A° X] Y]No muß das Adjektiv mit X, in (ü) A°]X Y]^ muß das Adjektiv mit im Genus kongruieren, (i) ist aber die kompositioneil markierte Struktur und kann daher zugunsten von (ü) wieder aufgegeben werden, (ii) ist nur semantisch abweichend, dies kann aber pragmatisch leicht korrigiert werden. Mit anderen Worten: weil ein Grüne-

£0Awen-£/nro/>/kompositionsstmkturell markiert ist, ein grüner Bohnenein topf aber nicht, kann die letztere Formulierung vorgezogen werden; sie ist zwar semantisch abweichend, aber dies läßt sich pragmatisch korrigieren.

(12)

Wir haben zwischen referentiellen Anaphern wie in (25a) und gebundenen Anaphern wie in (25 b) zu unterscheiden. Außerdem gibt es die sog. sloppy- Anaphern wie in (25c).

(25) a. Maria führt ihren Hund täglich aus.

b. Alle meine Nachbarinnen fuhren ihren Hund täglich aus.

c. Maria führt ihren Hund täglich aus, und Käthe tut das auch.

Das Possessivpronomen ihren kann einen referentiellen Wert aus dem Äuße- rungskontext erhalten (z.B. in allen drei Fällen 'ihren Hund' = 'Agathes Hund'). In (25a) kann dieser referentielle Wert auch mit dem von Maria iden- tisch sein, es liegt also Koreferenz vor, die man allgemein als ein pragmatisches Phänomen ansieht. Pragmatische Koreferenz ist lediglich unter gewissen syntak- tischen Bedingungen verhindert, sonst ist sie frei. (So können z.B. in (25d) sie und Maria nicht koreferent sein.)

(25) d. Marias Hund führt sie [NOM] täglich aus.

Unter pragmatischer Koreferenz kann (25c) nur die Interpretation erhalten, daß Käthe täglich denselben Hund wie Maria ausführt. Die gebundene Anapher ist hingegen als eine Variable zu verstehen; so ist jede Variablenbelegung für ihren in (25 b) abhängig von der Belegung für 'Nachbarin (x)'. Eine solche Interpretation für (25 c) ergibt die s/op/ry-Identität: „Maria führt Marias Hund, und Käthe führt Käthes Hund aus". Die Interpretation eines Pronomens als gebundener Anapher ist nur unter eingeschränkten syntaktischen Bedingungen möglich, nämlich wenn syntaktische Bindung vorliegt (z. B. im Sinne von Reinhart 1983).

Betrachten wir jetzt komplexe Wörter, so ist deutlich, daß referentielle Ana- phern u. U. als Wortbestandteil vorkommen können (z. B. dortzulande, dorthin- ein, seinerzeit, ihretwegen), niemals aber gebundene Anaphern. Eine typische gebundene Anapher ist das Reflexivpronomen sich. Es gibt keine Komposita mit sich. Statt *Sich-Liebe, *Sich-Achtung müssen Eigenliebe, Selbstachtung verwen- det werden, die das zugrundeliegende Konzept semantisch ausdrücken, ohne eine Anapher zu enthalten.

Soll der Bestandteil eines komplexen Wortes als Antezedens einer referentiel- len Anapher vorkommen, so muß es sich um einen Eigennamen handeln, denn andere nominale Bestandteile sind in der Regel als N°, also nichtreferentiell, anzusehen. Hier ist eine Anaphernbeziehung nun offenbar möglich:

(26) a. A/osfazw-Reisende haben viel zu erzählen, wenn sie von dort zurückkom- men,

b. Was Picasso-Fans so alles veranstalten, wenn sie ihn verehren.

Wenn wir die Koreferenz als pragmatisches Phänomen ansehen, so ist damit aber das Autonomieprinzip in keiner Weise betroffen.

(13)

Probleme der Wonstruktur 221 Anders ist die Situation bei gebundenen Anaphern.

(27) a. Jeder, der einen Hundj hält, führt ihnj täglich aus.

b. "Jeder Hundehalter fuhrt ihn| täglich aus.

c. * Jeder Parkwächter schließt ihn,· abends pünktlich ab.

d. *Was ein Hundehalter mit ihnij tun soll, wenn er, tollwütig wird.

e. ?Was Hundehalter mit ihnenj tun sollen, wenn siej tollwütig werden.

f. ?Was ein ParkiWächter tun soll, wenn Feuer in ihmj ausbricht.

g. ?Was Blumenifans so alles erleben können, wenn sie siej in den Ferien in Pflege geben.

Die Beispiele (27 b, c) zeigen zunächst, daß die gebundene Anapher nicht mög- lich ist, und zwar unabhängig davon, ob ein Pluralstamm wie in (27 b) oder ein Singularstamm wie in (27 c) das Antezedens sein soll. Daneben gibt es aber Beispiele (und auch tatsächliche Belege), wo die Anaphernbeziehung denkbar ist; sie wird allerdings nur dann toleriert, wenn der Numerus des Wortbestand- teils übereinstimmt (27e-g, nicht 27d). In einem Kompositum ist der Numerus des Erstglieds aber semantisch unerheblich (vgl. Kalbsleber, Schweineleber, Gansbraten, Gänsebraten). Die Numeruskongruenz bei der Anaphernbeziehung sollte also ein Hinweis daraufsein, daß hier entweder die Kompositumstruktur ignoriert wird oder eine sekundäre pragmatische Erklärung nötig ist. Der Ein- fluß pragmatischer Faktoren zeigt sich auch an Beispielen wie

(28) a. Jeder Hundehalter führt das täglich aus.

b. Was ein Parkwächter tun soll, wenn Feuer auf dem GeländCj ausbricht, die eindeutig besser sind als (27 b, f)· Die Koreferenz von Hund und Tier bzw.

Park und Gelände ist hier nur pragmatisch über die Wortbedeutungen vermit- telt. Wegen der insgesamt aber nur begrenzten Akzeptabilität einer an einen Wortbestandteil gebundenen Anapher gibt es keinen wesentlichen Anlaß, an der Autonomie-Hypothese zu zweifeln.

Bei der Argumentvererbung geht es um die Frage, ob die Bestandteile eines Wortes ihre Rektionseigenschaften verlieren oder gegebenenfalls an das Ge- samtwort vererben können. Betrachten wir Beispiele wie diese:

(29) a. Overaths Bürgermeister, Peters Eltern, Kohls Freundin

b. Overaths CDU-Bürgermeister, Peters Pflegeeltern, Kohls Nachmittags- freundin

c. Dorfbürgermeister, Säuglingseltern, Kanzlerfreundin d. ^Overaths Dorfbürgermeister, ^Peters Säuglingseltern,

^Kohls Kanzlerfreundin

Relationale Nomina wie Bürgermeister, Eltern, Freundin haben ein Argument, das als Pränomen (PräN; Possessivpronomen oder Genitiv-N2), als nachgestell-

(14)

tc Gcnitiv-N2 oder von-?2 realisierbar ist. Diese Eigenschaft behalten sie, wenn sie als Zweitglicd eines Kompositums auftreten, sofern dessen Erstglied nicht als das betreffende Argument anzusehen ist (Beispiele in 29 b); das Zweitglied ver- erbt ja allgemein seine kategorialen Eigenschaften an das Gesamtwort. Wenn aber das Erstglied als Argument des Zweitglieds zu interpretieren ist (Beispiele in 29 c), entstehen nicht-relationale Nomina, die kein weiteres Argument zulassen.

Beispiele wie in (29 d) sind allenfalls interpretierbar, wenn das Erstglied nicht als Argument verstanden wird, z. B. Dorfbürgermeisler nicht als 'Bürgermeister ei- nes Dorfes*, sondern etwa als 'Bürgermeister, der sich verhält wie jemand, der auf dem Dorf lebt*. Solche Interpretationen sind, wenn auch nicht die nahelie- genden, prinzipiell möglich.

Der Umstand, daß das Argument eines relationalen Nomens entweder auf der Wortebene (innerhalb von N°) oder syntaktisch (innerhalb von N2) realisierbar ist, könnte nun gegen die Autonomie-Hypothese verwendet werden, da in die- sem Punkt ja offenbar kein Unterschied zwischen Wortstruktur und Satzstruk- tur gemacht wird. Aber dieser Schluß ist unberechtigt. Relationale vs. nicht rela- tionale Nomina sind nicht syntaktisch subkategorisiert, so wie es die Verben als transitive vs. intransitive sind. Das erkennt man z.B. daran, daß in solchen Rahmen wie in (30) im Prinzip jedes N° eingefügt werden kann.

(30) a. [[N2, +GEN]_]N2

b. [N°_]NO

Parallel zu den Ausdrücken in (29) gibt es die in (31), nur mit dem Unterschied, daß sich hier die Frage gar nicht stellt, welches das Argument von Buchen, Tasse oder Akten sein könnte:

(31) Overaths Blutbuchen, Peters Porzellantasse, Kohls Kanzlerakten Relationale Nomina sind also nur semantisch als relational gekennzeichnet.

Davon ist die Autonomie-Hypothese gar nicht betroffen. Semantische Interpre- · tationsprinzipien sind nicht auf eine bestimmte grammatische Strukturebene : beschränkt. So wie zwischen dem Erst- und Zweitglied eines Kompositums im- mer irgendeine Beziehung zu finden ist, gilt dies auch für die Genitiv-N2 und das zugehörige N°; Vorzug hat dabei die Sättigung einer semantischen Argument- stelle.

Die syntaktisch subkategorisierten Verben können nun als Zweitglied eines | Kompositums im allgemeinen gar nicht auftreten (s. § 5, 6). Insofern stellt sich nicht die Frage, ob *buchgeben noch einen Dativ oder *sommerwerfen noch j Akkusativ und Richtungsangabe regieren. Verben wie honigschlecken, achtge- ben, hinauswerfen sind aber trennbar, also im syntaktischen Sinne keine Wörter, j Die Autonomie-Hypothese ist hier gar nicht betroffen.

Als Erstglied eines Kompositums kommen Verben und auch Präpositionen, · die eine syntaktische Subkategorisierung haben, jedoch vor. ;

(15)

Probleme der Wortstrukiw 223 (32) a. Trinkglas, Eßtisch, Nachdenkpause

b. Nebenhaus, Mitveranstalter, Unterhemd

Nehmen wir Argumente wie in (33 a, b) an, müßten, wenn sich die Rektionsei- genschaft vererben sollte, auch Konstruktionen wie in (34 a, b) möglich sein;

(33). a. einen Wein trinken, Nudeln essen, über Anaphern nachdenken b. neben dem Fluß, mit dem Kollegen, unter dem Pullover

(34) a. ^Trinkglas des Weins, ^Eßtisch der Nudeln, ??Nachdenkpause über Anaphern

b. ^Nebenhaus des Flusses, ^Mitveranstalter des Kollegen, ^Unterhemd des Pullovers

Ich habe hier vorausgesetzt, daß Argumente innerhalb der Nominalphrase nur im Genitiv oder präpositional möglich sind. Alle Beispiele unter (34) sind schwer zu interpretieren, und wenn, dann nicht in dem Sinne von (33). Das zeigt hinrei- chend, daß Verben und Präpositionen als Erstglied eines Kpmpositums nicht nur ihre Rektionseigenschaften verlieren, sondern auch ihre semantischen Argu- mente. Genauer: solche Argumente sind existentiell gebunden (möglicherweise unter irgendeinem Modalitätsoperator) und für eine syntaktische Realisierung blockiert. (Denn natürlich ist ein Trinkglas ein Glas, aus dem man etwas trinken kann, ein Nebenhaus ein Haus, das neben etwas liegt, usw.)

Leider sind die Verhältnisse bei Nominalisierungen, die ohnehin noch höchst unzureichend verstanden sind, etwas komplizierter. Vorgangsnominalisierun- gen intransitiver Verben haben im allg. ein freies Argument, diejenigen transiti- ver Verben zwei freie Argumente, und weitere Argumente werden meistens mit derselben Präposition wie beim Verb angeschlossen. Wie bei anderen relationa- len Nomina ist eines der Argumente auch als Erstglied eines Kompositums reali- sierbar.

(35) a. Der Agent flieht nach Berlin b. die Flucht des Agenten nach Berlin,

des Agenten Flucht nach Berlin, die Berlinflucht des Agenten, die Agentenflucht nach Berlin (36) a. Amundsen überfliegt den Nordpol

b. die Überfliegung des Nordpols durch Amundsen, Amundsens Überfliegung des Nordpols, die Amundsen-Überfliegung des Nordpols, die Nordpolüberfliegung Amundsens (37) die Hoffnung auf..., die Begeisterung über...

Deverbale Nomina nach einem unproduktiven Muster (das wortsyntaktisch u. U. gar nicht mehr transparent ist wie bei fliehen > Flucht) wird man einfach

(16)

als relationale Nomina betrachten können. Aber die produktiven w«£-Nomina- lisicrungcn verhalten sich nicht anders, obwohl strukturell ungdas Zweitglied ist und z. B. die kategoriale Information [Feminin] liefert. Mithin scheint hier das verbale Erstglied seinesemantischen Rektionseigenschaften, nämlich die Zuwei- sung thematischer Rollen, zu bewahren.

Bei Nominalisierungen (möglicherweise noch in anderen Fällen) können so- gar auch die Erstglieder eines Kompositums ihre Argumente bewahren, ganz im Unterschied zu dem, was unter (34) zu konstatieren war. Wie die Beispiele zei- gen, ist das Deutsche hier flexibler als das Englische.

(38) a. Abrißgenehmigung des schnellen Brüters, Elternverein behinderter Kinder

b. "^pulling down permission of the fast breeter

(39) a. Parkgenehmigung im Hof, Verhandlungszimmer mit dem amerikani- schen Außenminister, Ernennungsurkunde zum Professor, Umzugsplä- ne nach Dettingen, Fluchthilfe nach Westberlin, Fahndungsfilm nach den Terroristen

b. ^parking permission in the yard,

^negotiation room with the German chancellor

Ganz offensichtlich ist 'die Genehmigung zum Abriß des schnellen Brüters', 4die Genehmigung zum Parken im Hof usw. gemeint. Wenn ein Kompositum wie Sprechzimmer lexikalisiert ist, ist die intendierte Argumentzuordnung (spre- chen mit...') viel weniger akzeptabel als in einem nichtlexikalisierten Komposi- tum wie Verhandlungszimmer, siehe (40a, b).

(40) a. "^Sprechzimmer mit dem amerikanischen Außenminister b. ?Verhandlungszimmer mit dem amerikanischen Außenminister Festzustellen ist allerdings, daß alle unter (38) und (39) aufgeführten Beispiele (wenngleich z.T. Belege) eher zu einer pragmatisch lizensierten Peripherie des Sprachgebrauchs gehören. Der Parameter, der von den Sprechern beansprucht wird, ist, daß Erst- und Zweitglied eines Kompositums ihre thematischen Rollen an das Gesamtwort vererben können.

Unterstellen wir die konzeptuelle Struktur

(41) Der Minister (= a) genehmigt (= daß die Baufirma (= y) den Reaktor (= ) abreißt).

Dann sind u.a. Konstruktionen wie in (42) möglich, die in (43) aber ausgeschlos- sen.

(42) a. die Genehmigung des Ministers zum Abriß des Reaktors durch die Bau- firma

(17)

• Probleme der Wortstruktur 225 b. die Ministergenehmigung des Reaktorabrisses durch die Baufirma c. die Abrißgenehmigung des Ministers l

! | des Reaktors \

[der Baufirma J

d. die Abrißgenehmigung des Reaktors durch die Baufirma i \ (43) a. ?die Abrißgenehmigung des Reaktors durch den Minister ,: b. ^die Abrißgenehmigung des Ministers durch die Baufirma

! c. ^die Reaktorgenehmigung zum Abriß

| d. —die Baufirmengenehmigung zum Abriß

j Im Kompositum Abrißgenehmigung ist das Erstglied ein Argument zum Zweit-

| glied. Das Erstglied vererbt seine Argumente (nämlich und 0) und das Zweit- } glied sein noch freies Argument (nämlich a) an das Gesamtwort: dies erklärt, warum alle drei Varianten unter (42c) im Prinzip möglich sind. (43 a) ist proble- . matischer als (42d), weil hier Argumente des Erst- und Zweitgliedes gemischt :. auftreten (nämlich und a). In (43 b) kommt hinzu, daß zwejLagentive Phrasen auftreten. (43 c, d) sind schon vom Kompositum her sehr fernliegend, weil das l Erstglied ein Argument des Arguments des Zweitglieds wäre. Ausgeschlossen ist

! es, das fehlende Zwischenargument dann syntaktisch anzuschließen - dies wür- de heißen, daß Syntax und Wortstruktur geradezu beliebig für die Interpretation interagieren könnten.

Zusammenfassung: Die Autonomie-Hypothese besagt, daß die Bestandteile ei- nes Wortes syntaktischen Regeln nicht zugänglich sind. Für Bewegungsregeln , und syntaktische Modifikation gilt dies fast uneingeschränkt. Bis auf einige, vielleicht pragmatisch zu erklärende Freiheiten gilt dies auch für die anaphori- schen Beziehungen, soweit es sich nicht um referentielle Anaphern handelt, die .keinen syntaktischen Regeln folgen (nur vielleicht syntaktisch beschränkt sind).

Wörter mit syntaktischer Rektion treten als Zweitglied eines Kompositums , nicht auf, und als Erstglied verlieren sie ihre Rektionseigenschaften; insoweit ... wird die Autonomie-Hypothese bestätigt. Semantische Rektion kann innerhalb .. oder außerhalb eines Wortes gesättigt werden, aber fallt nicht unter die Idee der strukturellen Autonomie. Probleme bereiten Nominalisierungen, die die Präpo- sitionsforderung des Verbs bewahren können. Ein speziell im Deutschen gelten- der einzelsprachlicher Parameter scheint zuzulassen, daß unter gewissen, noch unklaren Bedingungen auch das Erstglied eines Kompositums seine semanti- ,. sehen, vielleicht sogar syntaktischen Rektionseigenschaften (Präpositionsforde- rung) an das Gesamtwort vererben kann. Dies würde eine syntaktische Relation zwischen der Umgebung eines Wortes und einem seiner Bestandteile zulassen, -: was der Autonomie-Hypothese widerspräche. Vielleicht läßt sich diese Relation als bloß semantische verstehen, oder es handelt sich um Grenzfalle stilistischer, aber nicht eigentlich grammatisch zugelassener Freiheiten. Die problematischen . Fälle bei der Anaphernbeziehung und der Argumentvererbung reichen aber

nicht aus, um grundsätzlich an der Autonomie-Hypothese zu zweifeln.

(18)

3. Strukturprinzipien in Syntax und Wortstruktur

Die Sprecher-Hörer einer Sprache sind sowohl satzgrammatisch wie auch wort- grammatisch kreativ: sie können beliebig viele neue und komplexe Sätze bilden und verstehen, und sie können beliebig viele neue und komplexe Wörter bilden und verstehen. Sie vermögen dies dank gewisser struktureller Prinzipien, die ihnen - unabhängig und vor jeder einzelsprachlichen Ausprägung - universal- grammatisch vorgegeben sind. Der Aspekt der Kreativität läßt sich z. ß. durch das Prinzip der Rekursion erfassen, bei dem eine Einheit im Ausgang einer Regel wieder den Eingang der Regel bilden kann, z. B. (44 a) für die Satzstruktur und (44 b) für die Wortstruktur.

(44) a. S -» ... S ...

b. W -> ... W ...

Beispiele, die diese unbeschränkte Rekursion belegen, lassen sich leicht finden.

(45) a. Da kam der Mann, der die Frau sah, die das Kind trug, das den Onkel ärgerte...

b. ... federballnetzreparaturannahmestelle

Zwischen Satz- und Wortstruktur besteht in dieser Hinsicht kein grundsätzlicher Unterschied. Allerdings ist Rekursion vor allem in der Komposition, weniger in der Derivation möglich.7

Die terminalen Einheiten der Satzstruktur sind Wörter, die terminalen Ein- heiten der Wortstruktur Morpheme. So wie Wörter hinsichtlich ihrer syntakti- schen Umgebung subkategorisierbar sind, sind auch Morpheme hinsichtlich ihrer, morphologischen Umgebung subkategorisierbar.

Nicht jede Sprache muß die universalgrammatisch gegebenen Möglichkeiten der Satz- und Wortstrukturierung in gleicher Weise ausschöpfen. Die Aufgaben- Verteilung zwischen Syntax und Lexikon unterliegt eindeutig einer gewissen Parametrisierung. Besonders sichtbar ist das für Bereiche des Verbs wie Argu- ment-, Aspekt- und Tempuskennzeichnung und die verbale Unterordnung. Die sog. synthetischen Sprachen leisten hier morphologisch, was die analytischen Sprachen syntaktisch leisten. Dazu seien zwei beliebig herausgegriffene Beispiele aus dem Suaheli (46) bzw. Luiseno (47) betrachtet.

Die Suaheli-Sätze sind identisch mit einer Verbform, deren Struktur etwa wie in (46 c) angenommen werden kann. Ersetzen wir hier die oberste V°-Kategorie

7 Die Beschränkung der Rekursionsmöglichkeiten in der Derivation ergibt sich im- ; ! manent aufgrund zweier Umstände: a) Die Anzahl der zur Verfügung stehenden Affixe ist i beschränkt, b) Bei wiederholter Affigierung entstehen Wörter (wie z. B. Frei-heit-lich-keit- l lich-keit . . .), die der Synonymenblockierurjg unterliegen (vgl. §4). :

(19)

>

Probleme der Wortstruktur 227

I.Sg, Obj

-uliza] Vo frag (46) a. [m -ta -ni

2. PI, Fut Sbj

'ihr werdet micht fragen' b. [ni -ta -wa -Jiba]vo

• - I.Sg, Fut 2. PI, antwort Sbj Obj

'ich werde euch antworten' c.

(47) a. noo poy [nee -viSu*

I.Sg, Sbj 3.Sg,Obj verlass woll

'ich ihn gehen wollen machen wollte' S

-m mach

-viSu

woll -q]vo FIN

FIN vicu

vicu gee

.! durch eine V2-Kategorie, erhalten wir eine syntaktische Struktur, die derjenigen t der deutschen satzförmigen Äquivalente ziemlich gut entspricht. Eine ähnliche

! Beobachtung läßt sich in bezug auf den Luiseno-Satz machen. Die strukturelle ' l Unterordnung innerhalb des Verbs (V°) entspricht hier ziemlich genau der struk-

· l turellen Unterordnung in einer V1 des Deutschen bei Nebensatzstellung. In

! einer im Prinzip universalgrammatisch geforderten V-Struktur (abgesehen von

(20)

Reihenfolgebeziehungen) wählen Suaheli und Luiscno den Parameter *barO' (=

Strukturebeoe des Lexikons), wo das Deutsche einmal 'bar 2', das andere Mal 'bar wählt (= Strukturebenen der Syntax).

Die Beispiele legen die Auffassung nahe, daß es ein Grammatik-Modul der kategorialen Strukturierung geben sollte, das als solches weder zur Syntax noch zum Lexikon gehört. Erst dadurch, daß die Sprachen einen bar-Parameter fest- legen, wird eine solche Einordnung möglich. Dieses Grammatik-Modul wird im allgemeinen als X-bar-Theorie angesprochen. Alle strukturellen Expansionen folgen dem Schema in (48).

(48) Xn -> ... Xr a. . . m i t n ^ m ^ 0

Xn, Xm sind sog. Projektionen einer lexikalischen Kategorie X°. Xm fungiert als Kopf (= H, 'head') von Xn; der Kopf einer Struktur vermittelt deren kategoriale Eigenschaften; bis auf die bar-Stufe sind alle Kopfmerkmale identisch (gemäß der Head Feature Convention).

Nach dem Schema in (4&) gibt es im Lexikon nur noch X° -» ... X° ...

Expansionen. Dies bedeutet (wie es auch von der Autonomie-Hypothese ver- langt wird), daß Einheiten mit n > 0 nicht mehr auftreten können. Die Tatsache, daß einige dieser Einheiten freie Morpheme, andere aber gebundene Morpheme sind, wird durch die Wortstrukturregeln bzw. die Subkategorisierung der Mor- pheme deutlich. Daß wir das Suaheli-Verb in (46a) als Projektion von uliza zu verstehen haben und das Luiseno-Verb in (47 a) als Projektion von gee, wird durch die jeweilige Kopf-Forderung deutlich. Ob man darüber hinaus auch noch kategoriale Stufen im Lexikon anzusetzen hat (z. B. als 'bar — , 'bar —2' usw.), ist unklar; ich nehme dies hier nicht an.

Anzumerken ist, daß die Unterscheidung von Kopf vs. Nicht-Kopf einer Struktur rein kategorial ist, nicht semantisch. Deshalb kann der Kopf nicht ohne weiteres mit dem Funktor und derNicht-Kopf nicht mit dem Argument identifi- ziert werden. Dies sei kurz für die Nominalphrase und das nominale Komposi- tum im Deutschen gezeigt.

(49) a. N2 -» PräN H1

N1 -» A2 H1

N1 -» H° N2 P2*

b. Newtons berühmte Theorie der Gravitation, Heinrich Harrers aben- teuerliche Flucht über den Himalaya nach Tibet

(49 a) gibt die Struktur einer N2 in vereinfachter Form wieder und erfaßt auch die Reihenfolgebeziehungen. Der jeweilige Kopf (H1 bzw. H°) ist stets nominal.

Die Funktorkategorien sind aber PräN, A2 und N°. Man könnte denken, daß in dem 2. Beispiel unter (49 b) Heinrich Harrer ein Argument zu Flucht sei. Dies mag auch richtig sein, insofern 'Heinrich Harrer' als das Agens von 'fliehen' zu

(21)

—g^T· · ^^^-^^x^^^R:. ·:·- ·.·* •r^-^w.· · ^·;:: ·./. ·· · *. -.1 %.;* ra * .^^^*3^

• Probleme der Wonstruktur 229 betrachten ist; es kennzeichnet aber nicht die Funktion, die ein PräN in einer N2

hat: das PräN macht aus einem Ausdruck, der eine Eigenschaft denotiert, einen referentiellen Term.

(50) a. N° -* X° H°

.b. Kanzlerfreundin, Abfallbeseitigung

c. Freundin eines Kanzlers, Beseitigung von Abfall d. Altbier, Holztür, Nachmittagsfreundin

e. altes Bier, hölzerne Tür, nachmittägliche Freundin

Der Kopf eines Kompositums im Deutschen steht immer rechts (als Zweitglied).

Ist er ein relationales Nomen wie in (50 b), gibt es oft Interpretationen analog zu (50 c), wo offenbar der Kopf als Funktor aufzufassen ist. Ist er aber ein nicht- relationales Nomen oder wenn das Erstglied nicht als Argument verstanden wird wie in (50 d), gibt es Interpretationen, die analog sind zu (50 e); hier ist dann das Erstglied der Funktor. Man kann auch sagen, daß die Konipositumstruktur in (50 a) zu „arm" ist, um die semantischen Beziehungen zwischen Funktor und Argument geeignet differenzieren zu können, während die Struktur einer Nomi- nalphrase dies durch Unterscheidung der Stufen N1 -> ... N1 ... und N1 -> ... N° ...erlaubt.

Zusammenfassung: Rekursivität als wesentlicher Ausdruck grammatischer Kreativität kommt sowohl der Syntax wie auch der wortstrukturellen Komposi- tion zu. Satzstruktur und Wortstruktur folgen dem generellen Schema (48) der X-bar-Theorie; Wortstrukturen bilden den Spezialfall mit n = m = 0 und sind daher in ihrer strukturellen Differenzierungsmöglichkeit grundsätzlich „ärmer"

als Satzstrukturen. Für die Realisierung gewisser Kategorien wie Argument- kennzeichnung, Tempus, Aspekt, verbale Unterordnung können die Sprachen einen geeigneten bar-Parameter frei wählen (d.h. diese Kategorien entweder syntaktisch oder wortstrukturell realisieren). Der Kopf als Träger der kategoria- len Information einer Struktur und der semantische Funktor in der Struktur können, aber müssen nicht identisch sein.

4. Über den Unterschied von Syntaxregeln und Wortstrukturregeln Ich habe einerseits betont, daß die Wortstruktur gegenüber der Syntax autonom ist, andererseits, daß die wichtigsten Strukturprinzipien dieselben sind. Um so dringender stellt sich die Frage, worin denn der wesentliche Unterschied der beiden Komponenten besteht.

Der strukturelle Unterschied, der aber nicht der wesentliche zu sein scheint, ist in §3 schon deutlich geworden. Ich fasse ihn in (51) zusammen.

(22)

(51) a. Syntaxrcgcln: Xn -* ... Xm ...

mit n ^ m, n ^ 1;

die Komplemente „..." sind in der Regel maximale Phrasen Y"13*.

b. Wortstrukturregeln: X° -> ... X° ..., also n = m = 0;

die Komplemente „...** sind in der Regel wieder lexikalische (freie oder gebundene) Kategorien Y°.

Daß die Komplemente in einer Wortstruktur-Regel wieder lexikalisch sein müs- sen, ergibt sich aus der Autonomie-Hypothese; denn anderenfalls müßten syn- taktische Regeln in der morphologischen Komponente wirksam werden kön- nen.

Aus der Charakterisierung in (51) ergibt sich, daß die Wortstruktur in zweier- lei Hinsicht „ärmer" oder undifferenzierter ist als die Syntax: (i) Es gibt keine kategoriale Stufung wie die in X°, X1, X2. (ii) Es gibt keine von X° verschiedenen Komplemente. Ausdruck für diese „Armut" war z. B. die Kompositumstruktur in (50a) gegenüber der Nominalphrasenstruktur in (49 a), die zur Folge hat, daß sich in einem Kompositum nur rein semantisch zwischen Funktor und Argu- ment unterscheiden läßt.

Den wesentlichen Unterschied zwischen Syntax und Wortstruktur sehe ich als einen nicht-strukturellen. Phrasen bzw. Syntagmen werden in der Regel nicht memorisiert (im Gedächtnis gespeichert); komplexe Wörter werden aber oft, wenn nicht in der Regel, memorisiert. Bei Sachlage der Dinge kann dies nur ein relativer Unterschied sein. Denn niemand wird bestreiten, daß man ganze Sätze memorisieren kann (und es auch häufig tut, z. B. Sprichwörter, Sentenzen, Ent- schuldigungsformeln), und daß man andererseits neue Wörter kreieren kann (darin liegt ja gerade die wortgrammatische Kreativität). Und doch trifft unsere Feststellung einen fundamentalen Unterschied, der in der Merkwürdigkeit von (52 a) gegenüber (52 b) offenbar wird:

(52) a. Ich habe heute einen neuen Satz gelernt, b.- Ich habe heute ein neues Wort gelernt.

Einen neuen Satz versieht man, wenn man die Sprache kennt, ein neues Wort (mit einer vielleicht idiosynkratischen oder wissensabhängigen Bedeutung) muß oft erst über die Satzparaphrase erklärt werden; es ist nichts Ungewöhnliches, der Menge der memorisierten Einheiten ein weiteres Element hinzuzufügen.

Semantisch gesehen haben Sätze Wahrheitswerte und informieren so über die Welt. Wörter haben Objekte oder Eigenschaften (oder andere komplexere De- notationen) als semantische Werte; sie informieren nicht, aber erlauben, neue Objekte, Eigenschaften usw. in die Aufmerksamkeit zu rücken. Genauso wenig wie der strukturelle Unterschied kann dieser semantische Unterschied deutlich machen, weshalb Syntax und Lexikon zwei verschiedene Komponenten der Sprachfahigkeit sind.

(23)

- Probleme der Wort Struktur 231 Sieht man den wesentlichen Unterschied in der Memorisierung, so ist dies eine psychologische Dimension. Man kann, jedenfalls solange man nicht mehr dar- über weiß, aus dieser Idee nicht folgern, daß der erwähnte strukturelle Unter- schied zwischen den Regeln der Syntax und der Wortstruktur bestehen muß.

Man kann allenfalls glaubhaft machen, daß ein Unterschied in der psychologi- schen Verfügbarkeit sich in einer universalgrammatischen Unterscheidung ma- nifestieren kann, und man mag wohl auch einsehen, daß zu memorisierende Einheiten mit weniger Struktur auskommen können oder sogar sollten. Wenn nun eine Sprache im Rahmen der universalgrammatischen Unterscheidung den oben erwähnten bar-Parameter so oder so festlegt, so folgt daraus nicht schon unmittelbar etwas über unterschiedliche Memorisierbarkeit. Man wird ja nicht ernstlich behaupten wollen, daß ein SuahehVSprecher Verbformen wie unter (46 a, b) zu memorisieren habe, während ein Deutsch-Sprecher dies für die ent- sprechenden satzförmigen Äquivalente nicht zu tun habe.

Es sind die einzelnen Sprecher-Hörer-Personen, die Wörter memorisieren. Da sie aber in einer Sprachgemeinschaft leben, in der sie diese Wörter auch verwen- den, und Kinder ihr Lexikon u.a. über die memorisierten Einheiten ihrer Eltern aufbauen, kann Memorisierung auch immer zu Lexikalisierung führen, in dem Sinne, daß die betreffenden Wörter in das feste Inventar der Sprache aufgenom- men werden.

Aus dem Memorisierungsunterschied zwischen syntaktischen versus lexikali- schen Einheiten folgt nun eine Reihe weiterer Unterschiede. Syntaktische Ein- heiten weisen wenige Idiosynkrasien und nur geringe Analogiebildung auf, syn- taktische Regeln sind weitgehend unbeschränkt produktiv. Wortbildungsregeln sind oft nur beschränkt produktiv, vor allem, wenn man sie daran bemißt, wel- che möglichen Wörter tatsächlich in das Lexikon (qua Inventar) aufgenommen werden. Ein Wort kann unter spezifischen Umständen memorisiert werden und kann so von Anfang an eine idiosynkratisch spezifizierte Bedeutung haben. Die Bedingungen der Lexikalisierung können der Sprachgemeinschaft verloren ge- hen, obwohl das Wort weiter tradierbar ist, aber in den Verwendungskontexten auch neue Bedeutungen erhalten kann. Relativ zur Wortstruktur kann die Be- deutung nicht-transparent werden. Analogiebildung ist möglich. Dabei ist Ana- logie (d.h. Subsumption unter ein gemeinsames kontextabhängiges Muster) nicht so sehr eine Quelle neuer Wörter, sondern vor allem eine lexikonspezifische Organisationsweise, um ein Wort innerhalb einer Gruppe von Wörtern sowohl besser erwerben als auch behalten zu können.

Ein weiterer deutlicher Unterschied zwischen Syntax und Lexikon ist das Phänomen der Blockierung. Man wird neue mögliche Wörter nicht memorisie- ren, wenn sie überflüssig sind, nämlich ein synonymes Wort schon existiert. So erklären sich zahlreiche Lücken vor allem in den Derivationsparadigmen, die somit auch die Produktivität beschränken. Für die Syntax ist ein solches Phäno- men völlig unbekannt. Im Gegenteil, syntaktische Paraphrasen werden häufig produziert, um einen Gedanken besser klären oder ihm mehr Nachdruck ver-

(24)

schaffen zu können. Die Erzeugung syntaktischer Paraphrasen ist ein wichtiges Instrument der Kommunikation, die Erzeugung lexikalischer Synonyme wurde : das Gedächtnis unnötig belasten. Einige typische lexikalische Blockierungen · sind in (53) aufgeführt.

(53) a. ""Listigkeit = List, "Hastigkeit = Hast, aber:

Witzigkcit Witz, Lustigkeit Lust b. *sicherheitslos = unsicher, aber:

hoffnunglos, kopflos

Die Derivation eines N aus einem A, das seinerseits aus einem N entstanden ist, ist natürlich ganz unangebracht, wenn das neue N nichts anderes zu bedeuten hätte als das ursprüngliche N; sie ist angebracht, wenn eine Bedeutungsdifferen- zierung erreichbar ist. So ist z. B. Lustigkeit als nicht synonym zu Lust verwend- bar, weil sich das lexikalisierte lustig von Lust abgesetzt hat. Auch der Umstand, daß A-N-Komposita häufig nicht möglich sind, ist vielleicht als Blockierungsef- fekt anzusehen. So gibt es Buntfilm (A-N), aber nicht *Farbigfilm (A-N), weil in diesem Fall Farbfilm (N-N) als Synonym, aber kürzer, zur Verfügung steht.

Die Tatsache der Memorisierung hilft uns auch zu verstehen, wie neue Wort- bildungsregeln in einer Sprache entstehen können. Memorisierbar sind ja auch Syntagmen, insbesondere feste Kombinationen eines lexikalischen Kopfes mit ' einem passenden Argument. Solche Syntagmen sind auch lexikalisierbar und insofern häufig idiomatisch (vgl. § l übersyntagmatische lexikalische Einheiten).

In bezug auf lexikalisierte Syntagmen können syntaktische Regeln ihren Zugriff verlieren, was zunächst immer graduell geschieht, da diese Syntagmen syntakti- sche und lexikalische Einheiten zugleich sind. In einem gewissen Stadium des Verlustes an syntaktischer Transparenz kann lexikalische Analogiebildung und damit einhergehend lexikalische Reanalyse des Syntagmas erfolgen; es wird j nunmehr als wortstrukturelle Einheit aufgefaßt. Im Anschluß an ein solches i syntaktisch-lexikalisches „diffuses" Stadium kann eine wortstrukturelle Regel ' entwickelt werden, entweder durch Setzung eines universalen Parameters (vgl. , .

§ 5) oder als für die betreffende Sprache periphere Regel. Ein solcher Prozeß ist ·.

immer asymmetrisch: Wortbildungsregeln können nach Maßgabe syntaktischer Regeln entstehen, aber niemals das Umgekehrte.

Im Deutschen ist das s-Flexiv zunächst das Kennzeichen für den Genitiv der Maskulina und Neutra. Genitiv-N2 können als PräN vorkommen, idiomatisier- \ te Syntagmen mit dieser Position können zweifellos lexikalisiert werden (z. B. , · Friedrichs Ruh, Satans Braten). Wie bei allen Komposita ist hier der Kopf das | :

Zweitglied, daher ist eine Reanalyse als Kompositum möglich. Dann kann das j - Erstglied aber nicht mehr als Genitiv aufgefaßt werden, da dies eine syntaktisch j induzierte Kategorie ist und Syntaxregeln gemäß der Autonomie-Hypothese ! . keinen Zugriff auf Wortbestandteile haben können. Das in den Lexemen enthal- tene j-Flexiv kann nur noch als Kompositionsfuge aufgefaßt werden. Als solche j -

(25)

Probleme der Wortstruktur 233 kann das 5 dann auch an feminine Erstglieder treten (z. B. Liebeskummer, Uni- versitätsbibliothek).

Zweifellos ist das Fugen-s eine für das Deutsche periphere Erscheinung, für die Syntax oder Semantik der Komposition ist es funktionslos. Phonologische Bedingungen für seine Verwendung sind nicht erkennbar, in einigen Fällen mag es allerdings durch Silbenstruktur oder Rhythmus präferiert sein; und für die Verbreitung des Fugen-5 hat es zweifellos eine Rolle gespielt, daß im Deutschen s als extrasilbischer Konsonant möglich ist. Die einzige deutliche Regel für die Verwendung des Fugen-.? ist eine morphologische: es tritt nach Erstgliedern mit bestimmten Ableitungssuffixen auf (wie heit, schaß, ung usw.).

[N2, +GEN]

[N2, + GEN] P°-^\

[N2, +GEN]

Ebenso peripher für das Deutsche, aber noch in einem etwas anderen Sinne, ist die Bildung zusammengesetzter Präpositionen wie zugunsten, mithilfe, auf-

\ grund. Die Struktur von Syntagmen wie zu Gunsten behinderter Kinder ist in (54 a) aufgeführt. Die Lexikalisierung von zu Gunsten gibt dann Anlaß zu einer , lexikalischen Reanalyse wie in (54 b). Offen bleibt, ob dabei eine Struktur wie in (54 c) eine Rolle als Zwischenstadium gespielt hat. Bemerkenswert ist dabei zweierlei: (i) Alle in dieser Weise entstandenen Präpositionen regieren den Geni- tiv; dies erklärt sich daraus, daß der Genitiv der in einer N2 geforderte Argu- mentkasus ist. (ii) Durch die Reanalyse entsteht eine Kompositumstruktur [P- N]P, in der der Kopf als Erstglied, also links, auftritt, im Gegensatz zu sonstigen Komposita im Deutschen. [P-N]P-Komposita im Deutschen sind also nicht durch die generelle Kompositionsregel des Deutschen erklärbar, sie sind auch nur deshalb akzeptierbar, weil diese Regel Komposita mit einem P-Kopf gar nicht vorsieht (zumindest nicht produktiv ist). Solche Komposita müssen also durch einen rein einzelsprachlichen Prozeß der Reanalyse lexikalisierter Syntag- men erklärt werden.

Etwas anders ist der Prozeß der Kompositaentstehung in den romanischen Sprachen zu bewerten. Aus dem Latein haben sie eine reiche Suffixderivation übernommen (wo das Suffix als der kategoriale Kopf also rechts steht), aber zunächst haben sie gar keine Komposition. Die Modifizierung eines N erfolgt in

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der Regel syntaktisch durch nachgestelltes A oder N2 mit de. Solche Syntagmen mit idiomatischer Bedeutung werden lexikalisiert. Eine Reanalyse vermag die N-A-Syntagmen als N-A-Komposita und die N-N-Syntagmen unter Wegfall des rcktionsanzeigenden de als N-N-Komposita zu identifizieren. Diese Sprachen sind nun frei, einen Parameter der universalen Kompositionsregel zu instantiie- ren, nämlich den Kopf nach dem Vorbild der Reanalysen als Erstglied, also links, anzunehmen. Mit dieser Struktur können sie z. B. auch A-N-Komposita erzeugen, für die es ein syntagmatisches Vorbild gar nicht gibt. Die Komposi- tionsregel bleibt weitgehend auf einfache N und A beschränkt und ist nicht iterativ; so wird vermieden, daß innerhalb eines Wortes sowohl links- wie auch rechtsköpfige Bestandteile vorkommen können.

Das Gesagte sei an einigen Beispielen aus dem Portugiesischen belegt:

(55) a. pe-de-galo (Sg); pej-de-galo (Pl) CFuß-vom-Hahn' = 'Dreifuß') b. batata-doce (Sg); batatas-doces (Pl)

('Kartoffel-süß' = 'Süßkartoffel') (56) a. jardim-escola (Sg); jardios-escolas (Pl)

('Garten-Schule' = 'Kindergarten') b. couve-flor (Sg); couve^-florej (Pl)

('Kohl-Blume' = 'Blumenkohl')

c. mesa-[pe-de-galo] (Sg); mesas-[pe-de-galo] (Pl) (Tisch-Dreifuß' = 'dreifüßiger Tisch') (57) rosa-cha ('rosa-Tee' = 'teerosa')

verde-mar ('grün-Meer' = 'meeresgrün')

(55) führt lexikalisierte Nl-Syntagmen an. In den N-A-Syntagmen (55 b) besteht Numeruskongruenz: [N°, Pl], [A°, AGR[P1]]. Sie bilden offenbar den Ausgangs- punkt der Reanalyse, bei der (genau wie in den Beispielen zum Deutschen) die Flexionsmerkmale als formale Kennzeichen weiterbestehen. Zumindest ist so erklärbar, warum die N-N-Komposita in (56 a, b) eine Numeruskongruenz auf- weisen.8 (56 c) gibt eine der wenigen Möglichkeiten wieder, wo das Kompositum 8 Das Phänomen der Numeruskongruenz könnte auch als Ausweg aus einer Konflikt- situation betrachtet werden. In einem linksköpfigen Kompositum müßte das Erstglied flektiert werden, wenn das Gesamtwort flektiert wird; andererseits müßte in einer suffixori- entierten Sprache das Zweitglied flektiert werden, damit die Flexionssuffbce am Wortende erscheinen. Wie Beispiel (56c) zeigt, kann der Plural allerdings auch rein intern gekenn- zeichnet werden. - Es ist allerdings auch denkbar, daß die romanischen Sprachen gar keine Kompositionsregel entwickelt haben, sondern von einer lexikalischen Umkategorisierung N° -* A°. Gebrauch machen. Das Zweitglied in den Beispielen (56a, b) und (57) wäre dann als Adjektiv zu kategorisieren, das der normalen Numeruskongruenz in einem N-A-Syn- tagma unterliegt. Beleg dafür wären Fälle wie span, caso muy limite ('Fall sehr Grenze'

= 'sehr deutlicher Grenzfall'), wo muy als Adjektiv-Spezifikator verwendet wird. (Dane- ben: caso-limite (Sg); casos-limites (Pl))

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Probleme der Wort Struktur 235 einen komplexen Bestandteil hat, nämlich ein N1, das von der Numeruskon- gruenz nicht erfaßt wird. (57) führt einige A-N-Koropositä an.

In der Syntax unterscheidet man (insbesondere im Rahmen der Chomsky- Tradition) zwischen Grammatik-Kern und Grammatik-Peripherie. Der Kern besteht in einer einzelsprachlichen Instantiierung („Parametrisierung") eines von den universalen Prinzipien offen gelassenen Parameters. Man kann z.B.

annehmen, daß die Zusammenfassung eines V° mit seinen internen Argumenten (also ohne das Subjekt) zu einer V1 einem universalen Prinzip folgt, zumindest in dem Sinne, daß V1, evtl. auch als Phantomkategorie, in jeder Sprache eine syn- taktische Rolle spielt. Dieses Prinzip beläßt aber als offenen Parameter, ob die Argumente links oder rechts von V° stehen. Die universalen Prinzipien lassen u. U. auch markierte Fälle zu, die in einer Einzelsprache instantiierbar sind oder nicht. Die Peripherie besteht dagegen in Struktureigenschaften, die nur einzel- sprachlich erklärbar sind, also der betreffenden Sprache oder Sprachgruppe ganz eigentümlich sind. Dazu würde in den germanischen Sprachen die systema- tische Variation zwischen Endstellung und Zweitstellung des finiten Verbs gehö- ren. Dieselbe Unterscheidung zwischen Grammatik-Kern und Grammatik-Pe- ripherie läßt sich nun auch für die Wortstruktur treffen. Die Herausbildung von linksköpfigen Komposita in den romanischen Sprachen kann z. B. als Instantiie- rung eines universalen Parameters angesehen werden, auch wenn dazu erst die Reanalyse lexikalisierter Syntagmen einen geeigneten Anlaß gegeben hat. Die Herausbildung von linksköpfigen P-Komposita im Deutschen kann aber nur der Peripherie der Kompositionsgrammatik des Deutschen zugerechnet werden.

Weitere Beispiele, die auf der Unterscheidung von Kern und Peripherie einer Kompositionsgrammatik beruhen, diskutierte ich in den §§ 5 und 6.

Ich muß noch einen weiteren wesentlichen Unterschied zwischen Syntaxre- geln und Wortstmkturregeln anführen, den ich bisher ganz übergangen habe.

Innerhalb der Syntax werden letztlich nur Wortformen, so wie sie aus dem Lexi- kon übernommen sind, verkettet; sie werden in Dominanz- und Reihenfolgebe- ziehungen gestellt (u. U. auch über größere Distanzen), und evtl. werden katego- riale Kongruenzen gefordert. Phänomene wie Liaison und Klitisierung finden zwar in Syntagmen statt, aber gehören nicht zur Syntax, sondern zur Realisa- tionsphonologie (postlexikalischen Phonologic), sie lassen sich klar abtrennen und werden in der Schrift in der Regel gar nicht repräsentiert.

In der Wortstruktur werden aber nicht nur im Sinne der X-bar-Theorie freie oder gebundene, aber doch phonologisch unveränderliche Morpheme verkettet, sondern oft auch Morpheme phonologisch modifiziert. Man hat dies oft durch sog. Grenzen beschrieben, wobei Grenzen innerhalb des Wortes phonologisch mehr oder weniger durchsichtig sind, während Grenzen zwischen den Wörtern phonologisch undurchsichtig sind. Neuere Einsichten haben dazu geführt, da,ß man für das Wort auch noch andere, von der X-bar-Theorie gar nicht erfaßte Strukturprinzipien annimmt. Morphem-Kategorien brauchen nicht notwendi- gerweise als zu verkettende (aber möglicherweise phonologisch durchlässige)

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