Einsatzmöglichkeiten von
Hybrid-Oberleitungsbussen
im Überlandverkehr
Professur für
Elektrische Bahnen
Planung und Betrieb elektrischer Verkehrssysteme
Energieerzeugung/ -übertragung Energieverteilung/ -zuführung Elektrisches Fahrzeug
Rückstromführung, Beeinflussung Fahrzeug- und Anlagenbetrieb
Ausgangslage und Motivation
Reduktion von Treibhausgasemissionen im ÖPNV
Mindestanforderungen an zukünftige Beschaffungen von Nutzfahrzeugen in öffentlichen Verkehrsbetrieben (Gesetz über die Beschaffung sauberer Straßenfahrzeuge)
ÖPNV durch alternative Antriebe oder synthetische Kraftstoffe dekarbonisieren
„sauber“ • Alternative Kraftstoffe: Strom, Wasserstoff, Biokraftstoffe, Erdgas, synthetische und parrafinhaltige Kraftstoffeoder Gas (CNG, LNG, LPG, Biomethan);
keine Vermischung mit fossilen Brennstoffen; Plug-In-Hybridbusse
„emissionsfrei“ • Kein Verbrennungsmotor, oder
• Verbrennungsmotor(lokaler Ausstoß < 1 g CO2/km bzw. 1 g CO2/kWh)
Kriterium Erste Periode
[2. Aug. 2021 bis 31. Dez. 2025] Zweite Periode
[1. Jan. 2026 bis 31. Dez. 2030]
„sauber“ 45 Prozent der neu zu beschaffenden oder
geleasten Fahrzeuge 65 Prozent der neu zu beschaffenden oder geleasten Fahrzeuge
„emissionsfrei“ 22,5 Prozent sind mit einem emissionsfreien
Antrieb auszurüsten 32,5 Prozent sind mit einem emissionsfreien Antrieb auszurüsten
Ausgangslage und Motivation
• Stadtbus- und Überlandbusverkehr haben sehr unterschiedliche Betriebsprofile
• Überlandverkehr muss in neue Antriebsstrategie eingeschlossen werden
• Stadtbuslinien und Überlandbusverkehr werden aktuell separat betrachtet
Verknüpfung von Stadt- und Überlandverkehr als Chance betrachten
Bussysteme gesamthaft denken
Strategie:
• Elektrifizierung der Antriebe ist immer ein Infrastruktur-Thema Gesamtsystemansatz
• Stadtverkehr mit elektrischer Infrastruktur für stark befahrenen Linien als Rückgrat für Überlandverkehr
• Mehrnutzungseffekte für Überlandlinien durch vorhandene Infrastruktur
Kann der Hybrid-Oberleitungsbus im Überlandverkehr sinnvoll eingesetzt werden?
Das System O-Bus
Fahrleitungsnennspannung 600 V / 750 V DC mit zwei Fahrdrähten, strukturiert in einzelne Speiseabschnitte Energieversorgung der Speiseabschnitte durch
Gleichrichterunterwerk (GUW):
• Transformator
• Gleichrichter
• Sammelschiene und Streckenabgänge
• Kabel zum Einspeisepunkt Abschaltbar durch
• Leistungstrennschalter im GUW
• Abschalteinrichtung am Mast Besondere Elemente:
• Stangenstromabnehmer
• Schleifschuhe
• Eindrahteinrichtungen (Trichter)
• Fahrleitungsweichen
Richard Kayser Richard Kayser
Ursprung: Elektromote Werner von Siemens Heute: Moderne Fahrzeuge mit 250 … 320 kW Traktionsleistung durch Asynchronmotor
Elektrischer Gesamtwirkungsgrad des Systems: 70 … 90%
© Professur für Elektrische Bahnen
Vom O-Bus zum HO-Bus
1901: Erster O-Busbetrieb in Königsstein (Sächsische Schweiz) ab 1930: Aufbau von O-Busnetzen in Deutschland in vielen Städten
1957: 68 gleichzeitig betriebene Systeme in Deutschland, stellt den Höhepunkt des O-Busses dar ab 1961: Rückgang von O-Busbetrieben
O-Busbetrieb nach 15 bis 25 Jahren in den meisten Städten wieder eingestellt
Hauptgründe für die Einführung: Geringere (Re-)Investitionskosten als bei Straßenbahnen, höhere Leistungsfähigkeit als Dieselbus
Hauptgründe für den Rückbau: Verbesserte Dieseltechnik,
billiger und unkomplizierter als Re-Investition in O-Busnetze Heute:
• nur noch 3 deutsche Netze in Betrieb: Eberswalde (BB), Esslingen (BW), Solingen (NRW)
• 90 Betriebe in Europa, ca. 4.850 O-Busse im Einsatz
• 185 Betriebe außerhalb Europas, ca. 20.000 O-Busse
Vom O-Bus zum HO-Bus
Ab Mitte der 2000-er Jahre verbesserte Batterietechnik durch Li-Ionen Technologie, Nutzung als Hilfsantrieb Oberleitung ermöglicht die Nachladung während des Betriebs
2012: erster Hybrid Oberleitungsbus in Eberswalde durch Umbau
2019: Umstellung der Linie 695 auf BOB Betrieb in Solingen
bis 2024: Umrüstung des Esslinger Netzes auf HO- Busbetrieb
bb 2024: HO-Busbetrieb in Marburg (in Planung)
frühestens ab 2025: HO-Busbetrieb in Berlin-Spandau (in Planung)
© BBG
Einsatzgebiete für den HO-Busverkehr
Vorteile:
• Betrieb kann ohne Nachladepausen durchgeführt werden, dadurch weniger Reservefahrzeuge notwendig
• Fahrzeug- und Ladeleistung kann während des Fahrbetriebs bereitgestellt werden
• Verbesserte Ausnutzung der Infrastruktur
• Kleinere Batteriekapazitäten (Wirtschaftlichkeit)
• Einsatz auf energieintensiven Linien
• Reduzierung des Oberleitungsanteils auf 40 … 50 % (In Grenzfällen auf 25 … 30 %)
Herausforderungen:
• Hohe Anfangsinvestitionen für Infrastruktur und Fahrzeuge
• Benötigt stark ausgelastete Linien (Konkurrenz zur Straßenbahn)
• Höherer Planungsaufwand als bei anderen E-Bussystemen
Anzahl der Fahrzeug-km und Fahrzeugkosten als maßgebliche Faktoren
© UITP
Schlüsselindikatoren für die Wirtschaftlichkeit eines HO-Bussystems
1,50 1,60 1,70 1,80 1,90 2,00 2,10 2,20
0,2 0,4 0,6 0,8 1 1,2 1,4 1,6 1,8 2
Kosten (€/ Fzg-km)
Veränderungsfaktor (Basis = 1)
Frequency Speed under catenary Cost of Vehicle Length of Line
Share of infrastructure Energy demand electric bus Number of Turns and km per year Price of Batteries
Größter Einfluss: Fahrzeug-km auf der Linie
Großer Einfluss Fahrzeugkosten
Hohe Geschwindigkeit führt zu geringen Nachladezeiten und großen Batterien
Geringer Infrastrukturanteil führt zu großen Batterien
Überlandverkehr: Zielkonflikte zwischen Technologie und Einsatzgebiet
HO-Bus im Überlandverkehr:
• Hohe Fahrzeugkosten durch aufwändige Fahrzeugkonstruktion und geringe Stückzahl
• Mehr Infrastruktur durch lange Umlauflängen
• Hohe Batteriekosten durch große Batterien
Hohe Anfangsinvestition können im Betrieb nicht amortisiert werden.
Kein Einsatzgebiet für den HO-Busverkehr!
Unter welchen Umständen kann er trotzdem realisiert werden?
Ansatz: Kernnetz aufbauen und daraus weitere Linien elektrifizieren
Indikator Anforderung
Überlandverkehr Anforderung HO-Bus
Taktfrequenz - ++
Fahrleistung -- ++
Umlauflängen
und Fahrzeiten ++ +
Investitionskost-
en -- ++
Betriebskosten -- +
Der Überlandverkehr erfordert günstige Fahrzeuge, nahezu keine Infrastruktur und preiswerte Kraftstoffe mit hoher Energiedichte
O-Busnetz Eberswalde
Landkreis Barnim: 190 Tsd. Einwohner (127 P/km2), positive Bevölkerungsentwicklung,
Eberswalde: nordöstliche Lage von Berlin, ca. 41.000 Einwohner, profitiert von Nähe und guter Verkehrsanbindung nach Berlin.
Betreiber: Barnimer Busgesellschaft mbH Länge des Netzes: 37,2 km
Energieversorgung: 3 GUWs (West, Mitte Ost) mit je 3 MVA Leistung und 56 km Kabeln
Anzahl der Linien: 2 (+1)
• 861: Nordend-Kleiner Stern
• 862: Ostend-Kleiner Stern
• Prospektiv 910: Südend-Finowfurt
Fahrzeugtakt unter der Oberleitung: 7,5 Minuten
Von 116 Bussen der BBG erzielen 12 Trolleybusse 43% der Gesamteinnahmen
Ausbau des Netzes in Eberswalde Linie 910 Südend- Finowfurt
Linie verkehrt im 30 Minuten Takt
Umlauflänge 29,6 km, ca. 44% unter vorhandener OL-Anlage Nutzen und Umbau von vorhandenen O-Bussen in HO-Busse Wissenschaftliches Vorgehen:
• Erstellung einer Betriebssimulation
• Ermittlung des Energiebedarfs und Auslegung der Batterie unter Worst- Case Bedingungen
• Erstellung eines Netzsimulationsmodells für das vorhandene Netz und Validierung
• Erstellung eines Mengengerüsts der benötigten Fahrzeuge und Infrastruktur
• Vergleich mit Diesel und E-Busbetrieb
Ergebnisse der Untersuchung
• Batteriekapazität von 118 kWh
• Durchschnittliche Ladeleistung von 147 kW
• Keine Überlastung der vorhandenen EV-Anlagen
• Bei Umbau günstiger als Dieselbetrieb (1,17 €/Fzg-km)
• Bei Neukauf günstiger als andere E-Busse (1,37 €/Fzg-km)
Sowohl technisch machbar und wirtschaftlich sinnvoll!
2000 400600 1.000800 1.200 1.400 1.600 1.800 2.000
11:29:59 11:59:59 12:29:59 12:59:59 13:29:59
Current [A]
Time
Busbar and Feeder Current, Eberswalde Stadtverkehr, U_L = 700 V
Substation GUW Mitte, Busbar OL_H_BB, 11:29:59 - 13:30:00
|I_OL_H_BB| |I_Device| |I_GUW_Mitte_MSS 2| |I_GUW_Mitte_MSS 3|
HO-Busbetrieb auf der Linie 916
• Linienlänge von 24 km
• Führt durch Biosphärenreservat dort keine Elektrifizierung
• Nutzen von 3 km vorhandener Oberleitung und GUWs
• Neubau von ca. 7 km Oberleitung an das Eberswalder Netz, Elektrifizierung von Endhaltestellen (sonst nicht möglich)
• Neubau 3 GUW mit 500 kVA Leistung
• Machbarkeit
• Technisch mit Elektrifizierung von Endhaltestellen machbar
• 40,9 % Oberleitungsanteil
• Keine Überlastung von bestehenden EV- Anlagen
• 180 kWh Batterie
• Weitaus teurer als Diesel
• Günstiger als anderer elektrischer Betrieb
Technisch machbar, wirtschaftlicher als andere Elektrifizierungsvarianten
Fazit zum Überlandverkehr mit HO-Bussen
• Durch das Gesetz über die Beschaffung sauberer Straßenfahrzeuge besteht die Notwendigkeit für Verkehrsbetriebe saubere und emissionsfreie Fahrzeuge zu beschaffen
• Unter normalen Umständen ist der Betrieb von Überlandbuslinien durch HO-Busse entweder technisch nicht möglich oder wirtschaftlich nicht sinnvoll
• Die Umstellung auf elektrische und alternative Antriebe erfordert ein Umdenken in Planung und Betrieb
• Durch den Aufbau eines städtischen Kernnetzes ist es möglich weitere Linien mit einzubeziehen
• Freie Kapazitäten von Oberleitungs- und Energieversorgungsinfrastruktur nutzen
• Bei Neuaufbau ist eine genaue Analyse des Netzes erforderlich, um vor der Errichtung des Netzes die möglichen Linien zu ermitteln, den Betrieb anzupassen und Infrastruktur richtig zu dimensionieren Unter den richtigen Umständen ist auch Überlandverkehr mit HO-Bussen möglich
Netzdenken fördern Stadt und Überlandverkehr gemeinsam denken!
Exkurs: Weitere Verbesserungsmöglichkeiten der Wirtschaftlichkeit
• Förderprogramme für HO-Busse
• Nutzen von freien Fahrzeugkapazitäten am Wochenende Die Fahrzeuge müssen fahren
• Automatisches An- und Abdrahten während der Fahrt Weiterer Untersuchungsbedarf
• Kombinierter Nutzen von Oberleitungs- und Energieversorgungsanlagen für verschiedene Verkehrsträger
© Dialogika, 2013
Prof. Dr.-Ing. Arnd Stephan
Tel: +49 (0) 351 463-36730 Fax: +49 (0) 351 463-36825
E-Mail: EBahnen@mailbox.tu-dresden.de
Richard Kayser, M.Sc.
Tel:+49 (0) 351 463-36737
E-Mail: richard.kayser@tu-dresden.de Technische Universität Dresden
Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“
Institut für Bahnfahrzeuge und Bahntechnik Professur für Elektrische Bahnen
Hettnerstr. 1-3 01062 Dresden www.EBahnen.de
Weiterführende Links
Clean Vehicle Directive (2019)
Abrufbar unter: https://ec.europa.eu/transport/themes/urban/clean-vehicles-directive_en Gesetz über die Beschaffung sauberer Straßenfahrzeuge (2021)
Abrufbar unter: https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/G/clean-vehicles-directive.html Machbarkeitsstudie Berlin Spandau (2019)
Abrufbar unter: https://media.frag-den-staat.de/files/foi/461468/SchlussberichtBatterie-OberleitungsbusBerlin-Spandau230120.pdf?download UITP Knowledge Brief IMC (2021)
Abrufbar unter: https://cms.uitp.org/wp/wp-content/uploads/2021/07/Knowledge-Brief-IMC.pdf
MKS Studie Potenziale des Hybrid-Oberleitungsbusses als effiziente Möglichkeit für die Nutzung erneuerbarer Energien im ÖPNV (2015) Abrufbar unter: https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/G/MKS/hybrid-oberleitungsbus.html
Allgemeine Informationen
Homepage EU Projekt „Trolley 2.0“: https://www.trolleymotion.eu/trolley2-0/
Informationen O-Bus Eberswalde: http://www.obus-ew.de/
Informationen BOB Solingen: https://www.bob-solingen.de/
Richard Kayser Richard Kayser
Richard Kayser
Richard Kayser Giantaras (YouTube)
Fahrleitungskomponenten
Richard Kayser
Arnd Bätzner
© Kummler & Matter