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Nahtoderfahrung. Prolog

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Academic year: 2022

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DIE EINZIG REELLE UND WAHRE LIEBE IST:

EINANDER IMMER WIEDER FLIEGEN ZU LASSEN, UM DANN STETS ZUSAMMEN EINZUSCHLAFEN - JEDEN ABEND GEMEINSAM IN

LIEBEVOLLER UMARMUNG EINANDER ZU HALTEN.

ZUDEM MIT- UND NEBENEINANDER IM HIER UND JETZT ZU LEBEN, ALLES AUSLEBEN DÜRFEN, KÖNNEN UND WOLLEN.

JETZT UND FÜR IMMER UND ÜBER DIE GRENZEN DES LEBENS HINAUS.

(VON UNS FÜR UNS)

Nahtoderfahrung

Prolog

Dr. Raymond A. Moody, ein amerikanischer Psychiater und Philosoph untersuchte nach seinem Studium die Nahtoderfahrungen von Menschen, die mit diesem Phänomen eindrückliche und sehr persönliche Erfahrungen gemacht haben.

Obwohl ich selbst erst 36 Jahre alt bin und dieses Thema nur vom Hörensagen kenne, beschloss ich mich mit diesem Thema in meiner Dissertation zu beschäftigen.

Der Grund dafür war nicht eine persönliche Betroffenheit oder gar eine eigene Erfahrung, sondern ein Artikel in einer Zeitung über eine Frau, welche ihren Ehemann fast durch einen Autounfall verloren hätte.

Ich habe mich zuerst gründlich in die Forschung der Nahtoderfahrung eingelesen und hielt für mich fest, was Moody und andere Wissenschaftler in jahrelangen

Untersuchungen herausgefunden haben. Unzählige Betroffene wurden minutiös in verschiedenen Ländern befragt und die fünfzehn immer wieder gemeinsam betonten gleichen Faktoren besonders detailliert untersucht. Moody hielt fest:

1. Die Unbeschreibbarkeit des Erlebnisses (das Ereignis scheint kaum in Worte fassbar zu sein)

2. Das Hören der Todesnachricht (der Betroffene nimmt wahr, wie Aussenstehende seinen Tod feststellen)

3. Gefühle von Frieden und Ruhe (trotz der lebensbedrohlichen Situation empfindet der Betroffene ein Gefühl von Zufriedenheit und emotionaler Gelassenheit)

4. Das Geräusch (der Betroffene nimmt ein nicht selten unangenehmes Geräusch, ein Brummen oder Läuten wahr)

5. Der dunkle Tunnel (der Sterbende gleitet durch einen dunklen Tunnel oder düsteren Raum)

6. Das Verlassen des Leibes (der Betroffene tritt aus seinem Körper aus und beobachtet sich selber von oben)

7. Begegnung mit anderen (der Sterbende begegnet anderen, bereits

verstorbenen Menschen oder anderen Personen oder spirituellen Wesen) 8. Das Lichtwesen (antreffen auf ein äusserst helles oder heller werdendes Licht) 9. Die Rückschau (filmhaft geraffter Ablauf des bisherigen Lebens)

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10. Die Grenze oder Schranke (der Betroffene tritt an einen gewissen Punkt, an dem er aus verschiedenen Gründen nicht mehr weiter kann oder darf)

11. Die Umkehr (der Betroffene kehrt wieder zurück in seinen Körper, was häufig widerwillig geschieht)

12. Mitteilungsversuche (das Ereignis scheint derart intensiv gewesen zu sein, dass ein grosses Bedürfnis besteht, dieses mitzuteilen)

13. Folgen im Leben (Betroffene beschreiben einen spirituelleren Bezug zu ihrem Leben gewonnen zu haben und einen sinnstiftenden Zweck im Leben finden zu wollen)

14. Neue Sicht des Todes (In der Regel beschreiben Betroffene, keine Angst mehr vor dem Tod zu haben, wobei jedoch keine Todessehnsucht entstehen würde) 15. Bestätigung (Beschreibungen von Ereignissen, die die Sterbenden zum

Beispiel währen der Reanimation erlebt haben, können von den Ärzten bestätigt werden)

Mich selbst faszinierte am meisten die aus meiner Sicht widersprüchliche Aussage, dass die Betroffenen einerseits widerwillig in ihre Körper zurückkehrten, jedoch nach der Nahtoderfahrung zu ihrem Leben und auch zu ihren nächsten Menschen eine ganz tiefe, dankbare und positive Einstellung erlangten. In der Regel wünschten sich die Betroffenen später deutlich nicht in den Tod übergehen zu können, sondern schätzten das alte neu gewonnene Leben mit all seinen Freuden und Leiden sehr.

01. Annika fuhr mit dem Auto am Tod vorbei

Annika und Jeremias erwachten frühmorgens an einem Freitagmorgen mit dem Ziel Jeremias' Auto in die Garage zu fahren. Das Auto sollte kontrolliert und überholt werden. Keine grosse Sache, kein weiter Weg - nur ca. 15 km Autobahnfahrt bis zur Garage waren zu bewältigen.

Annika war stark erkältet und es fiel ihr schwer so früh am Morgen aufzustehen. Sie hatte aber Jeremias versprochen ihn hin- und zurückzubringen und hat sich selbst beruflich so organisiert, dass Jeremias' Auto heute gemeinsam hingebracht werden konnte. Danach sollte sie ihn mit ihrem eigenen Auto umgehend in seinem Büro absetzen. Am Abend würden sie dann wieder gemeinsam sein Auto abholen. Wegen der starken Kopfschmerzen und der verstopften Atmungskanäle von Annika stand sie sehr langsam und verspätet auf.

Dann fuhren sie dennoch nach sieben Uhr früh hintereinander auf der Autobahn in die Garage. Das Wetter war äusserst unfreundlich. Typisches November-Regen- Wetter, dachte Annika. Sie versuchte sich in ihrem Auto mit froher Musik aus dem Radio aufzuheitern und das Kopfweh und die schnupfende Nase zu vergessen.

Angekommen in der Garage entstiegen beide ihren Autos und meldeten sich bei der Anmeldestation der Werkstatt an. Zuerst liess man sie einige lange Minuten warten und als sie dran waren, teilte ihnen der Werkstattchef zu allem Überfluss mit, dass bei der Anmeldung offensichtlich ein Fehler passiert war. Das Auto wäre leider nicht in der Agenda der Werkstatt eingetragen. Jeremias schaute sich verwirrt, unsicher und frustriert um und vereinbarte schliesslich einen neuen Termin mit seiner Garage.

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Danach fuhren er und Annika wieder getrennt in ihren Autos heim. Annika wählte einen kleinen Umweg um eine Baustelle herum und teilte das Jeremias noch vor der Abfahrt mit. Jeremias folgte ihr eine gewisse Zeit mit seinem Auto, danach gab er auf der Autobahn Gas, da Annika wegen des Nieselregens für seinen Geschmack zu langsam fuhr. Annika selbst hatte keinen Grund um schneller zu fahren und so fuhr sie in gemässigtem Tempo hinterher. Nach einigen Minuten und einer

langgezogenen Kurve hielt sie vor Schreck den Atem an. Hitze und Kälte

erschütterten auf eine noch nie da gewesene Art und Weise ihren ganzen Körper. In ihrem Kopf hämmerte es auf einen Schlag wild. Das Bild vor ihr, welches sich ihr durch die nasse Windschutzscheibe bot, kam ihr vollkommen surreal und

schockierend vor. Sie schrie gegen das Autofenster laut und schrill. Direkt vor ihren Augen, irgendwo dort vorne, raste das Auto von der Fahrbahn in einen anderen Wagen, flog in die Luft und drehte sich in 3-4 Rollen bis es in der Wiese neben der Autobahn auf dem Dach stoppte und zur Ruhe kam. Das andere Auto blieb auf der Autobahn quer und kaputt stehen. Ein junger Mann sprang plötzlich aus diesem anderen Schrottauto auf die Bahn und rannte auf das in der Wiese auf dem Dach liegende Auto zu. Annika hatte genügend Zeit, um ca. 100 Meter vor der Unfallstelle anzuhalten, andere, sich nähernde Fahrzeuge mit Licht und Handzeichen zu stoppen und dann im tiefsten Schock zur Unfallstelle hin zu rennen. Mit ihr liefen nun viele Personen aus den übrigen nachkommenden Autos hin. Wo war Jeremias? Was ist ihm passiert? Lebte er noch? Annika zitterte am ganzen Leib und stand Todesängste um Jeremias aus. Angekommen dort auf dem Wiesenfleck, wo sich rasch alle

eingefunden haben und sich versuchten behilflich zu zeigen, bat sie zu allen

Schutzengeln, dass Jeremias bloss überleben mochte. Sie zitterte am ganzen Leib wie noch nie in ihrem Leben. Sie sah wie in Trance, wie er von den anderen

Herumstehenden aus dem Wrack gezogen und auf der Wiese auf dem Rücken platziert wurde. Jemand hat den Notruf verständigt und Jeremias richtig positioniert.

Der junge Mann aus dem anderen Wagen war wie durch ein Wunder unversehrt geblieben und versuchte mit allen Mitteln auch zu helfen. Dann vergingen unendlich lange Minuten. In dieser Zeit kniete bebend und von Tränen überströmt Annika neben dem bewusstlos da liegenden Jeremias. Sie hielt ihm die Hand und weinte, weinte, weinte. Niemand hörte in der Hektik rund herum ihr Flüstern "Bitte verlass mich nicht", welches sie Duzente Male hervor stoss. Die Zeit stand still und sie wusste nicht was mit Jeremias los war, ob er noch lebte, ob man ihr retten würde, ob er ihre Hand spüren konnte. Auf einen Schlag sah sie ihr gemeinsames Leben wie einen Trümmerhaufen vor sich liegen.

Die lasche Hand, die sie selbst an ihren Mund legte und nun hielt hat sie gestern - wie immer - in den Schlaf gestreichelt, der Mann, der da leblos im kalten Gras lag liebte sie doch mehr als ihr Leben.

Verzweifelte und seltsame Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Sie planten an diesem Abend zusammen in ihr Lieblingsrestaurant zu gehen, sie planten einen Tag später zusammen ihr Lieblingstheater zu besuchen, wo sie seit Jahren ein

Abonnement besassen. Sie planten zwei Tage später einen Nachmittag lang am Sonntag zusammen in ihrer riesigen Badewanne unter der Lichtsternchendecke einen Prosecco zu trinken und sich zu lieben. Sie planten nebst vielen solchen anderen Sonntags- und Abendanlässen im Dezember wieder ihre langen schönen Ferien an ihrem Lieblingsort zu verbringen. Und vor allem planten sie zusammen alt

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zu werden und das Leben noch lange glücklich gemeinsam zu teilen. Sie planten so unendlich viel für ihr restliches Leben - so wunderbar viel.

Sollte Jeremias dies nun alles verwehrt sein? Sollte ihr gemeinsames Leben wie eine Seifenblase zerplatzen? Wie viel war denn ihr restliches Leben ohne ihn noch Wert?

Warum hat das Schicksal jetzt so hart zugeschlagen und nahm ihr Jeremias weg, warum? Warum Jeremias?

Die Polizei, Feuerwehr und der Rettungswagen rollten an und zudem landete

zugleich ein Helikopter in der Wiese. Annika sah schier ohnmächtig zu, wie Jeremias von professionellen Helfern in den Hubschrauber getragen wurde und schrie plötzlich jemanden an, dass sie seine Frau sei und mit wolle. Welch ein Zynismus - unter diesen Umständen durfte sie mit einem Helikopter fliegen, etwas das Jeremias und sie früher schon mehrmals aus Freude zusammen erleben durften, sich immer wieder gerne leisteten. Sie wünschte sich, es wäre heute nicht nötig gewesen, sie wünschte sich, dass sich Jeremias - wie üblich und jeden einzelnen Abend ihres Lebens - glücklich beim Einschafen an sie schmiegen würde. Sie wünschte sich, er wäre wohl auf und gesund und der schlimme Unfall wäre nie passiert.

Der Hubschrauber ladete mit der Trage und dem darauf liegenden Jeremias und mit ihr daneben sitzend in wenigen Minuten auf einem Spitaldach und Jeremias wurde auf einer bereits vorbreiteten Trage umgehend in den Operationssaal transportiert.

Annika wurde nun von ihm getrennt und bekam einen Warteraum und eine Decke zugewiesen. Nun war das Warten angesagt, denn man sagte ihr, Jeremias sei sehr schwer verletzt, schwebe an der Grenze zum Tod, würde aber zur Zeit noch leben.

Die Chancen stünden leider eher schlecht - vielleicht 10 zu 90% dass er es

überleben könnte. Man bot Annika an, mit einem Auto heimgefahren zu werden - sie jedoch wollte hier bleiben. Als sie dann alleine in dem kleinen finsteren Raum sass und vor den Fenstern eine dunkle Wolken-Stimmung auffing, fiel sie erschöpft und unglücklich in einen tiefen Schlaf während Jeremias einer sehr langen, komplexen Operation unterzogen wurde. Irgendwann viel später erwachte Annika kurz, denn sie hörte und sah plötzlich die Türe leicht und leise aufgehen und Jeremias - ganz ohne Verletzungen und nur mit einem Spitalhemd bekleidet - schwebte süss lächelnd und lautlos hinein. Annika starrte ihn an, wollte etwas sagen, konnte aber nicht. Jeremias schien plötzlich über ihr zu schweben. Da wurde sein Gesicht ganz traurig, tief

stirnrunzelnd und unergründlich, als er sie eindringlich ansah. Mit einer fremden Stimme fragte er sie: "Soll ich bei dir bleiben, oder kannst du mich loslassen meine grösste Liebe meines Lebens?"

Annika wollte antworten, war aber so ausser sich, dass sie nur dachte "Ja, ja, du sollst bei mir bleiben und mich nicht verlassen. Ich liebe, brauche und begehre dich!

Wenn wir gehen, dann gehen wir als zwei Schutzengel zusammen. Das hast du mir doch immer versprochen! Weisst du noch? Genau so und genau das!" Und die fremde Stimme von Jeremias antwortete auf ihre Gedanken: "Ja, das weiss ich. Ja ich sollte bei dir bleiben. Aber es ist schwer. Drüben ist meine Grossmutter, die auf mich wartet, die mich ruft. Drüben ist Licht, so hell und klar, so weich und warm und drüben tut mir nichts weh."

Annika setzte sich auf, nun alleine im Raum und in die Decke gehüllt. Sie weinte wieder verzweifelt und getraute sich die Erscheinung über ihr nicht zu berühren, um sie nicht zu verlieren. Doch im nächsten Augenblick schwebte Jeremias aus dem

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Raum und sah sich traurig nach ihr um. Sie hörte ein leises "...ich sollte...ich sollte...ich sollte..." und dann war er definitiv weg.

Elf Monate später sassen Jeremias und Annika in ihrem tropischen Paradies beim Sonnenuntergang und tranken zur Apérozeit auf der Terasse ihres

Lieblingsrestaurants ihren Lieblingsweisswein. Jeremias war seit kurzer Zeit wieder ganz gesund und glücklich und erzählte Annika immer wieder die selbe Geschichte, wie er damals aus dem OP-Raum zu ihr kam und sich mit ihr im Geiste unterhielt, sie um Rat fragte, denn der lichtdurchflutete Todestunnel sei in seiner Verfassung

unglaublich verführerisch gewesen. Wären sie und ihre Liebe nicht da gewesen, die er in dem Augenblick so rein und unendlich tief gespürt hatte, wäre er dem Lichtstrahl durch den Tunnel gefolgt. Seit er wieder zu Hause bei ihr in ihrem gemeinsamen Bett einschlief, hielten sie sich vor dem Einschafen nach wie vor bei der Hand. Jeremias sagte oft vor dem Einschlafen: "Ich habe keinen Angst mehr vor dem Tod." Er hat das Tun und Handeln seines Alltags überdacht und wurde reifer. Annika war hingegen einfach über alle erdenklichen Massen dankbar, dass er - wie durch ein Wunder - überleben durfte.

02. Jasmins Geliebter flog in den Tod und an ihr vorbei

Jasmin übte auf ihrer Querflöte ein russisches Zigeunerlied von Popp als das Telefon bei ihr klingelte. Sie überlegte beim zweiten Läuten, ob sie tatsächlich annehmen, oder sich nicht stören lassen wollte. Schliesslich entschied sie sich fürs Zweitere, denn falls es wichtig war, würde man wohl später wieder anrufen, oder auf den Telefonbeantworter sprechen. So gab sie sich ihrem Spiel hin und vergass dabei - wie üblich - um sich die ganze Welt. Irgendwann nach einer guten Stunde - die wunderbaren Klänge immer noch im Ohr - bekam sie etwas Hunger und entschied sich den Kühlschrank durchzustöbern. Sie fand einige Reste von gestern, eine gute Suppe, Reis und Fleisch in der Sauce. Dabei schmunzelte sie selig vor sich hin, denn die Reste erinnerten sie an den wunderschönen Abend mit Heiner, welcher gestern abends bei ihr war. Sie verbrachten einen perfekten Abend mit romantisch

gedecktem Tisch und ihrem Menu, welches sie für ihn kochte. Da er auch gestern wieder schon früh abends wegging wie üblich, schob sie die Reste nur rasch in Plastikgefässe, um möglichst viel Zeit mit ihm verbringen zu können. Sie pflegte zu ihm nun schon fast seit einem Jahr kaum mehr als eine sms-Beziehung mit wenigen Ausnahmen, wenn sie sich kurz sahen.

Heiner war Berufspilot einer grossen Airline und konnte ihr jeweils nicht lange im voraus sagen, wann er für sie Zeit haben würde. Verliebt wie sie war, hielt sie sich aber möglichst viele Termine frei, um die Zeit, welche sie zusammen verbrachten, nicht zu schmälern. Und Heiner war zudem verheiratet. Zwar versprach er ihr sich demnächst scheiden zu lassen und mit ihr zusammen zu leben. Da er sich aber auf keinen Fall drängeln lassen wollte, durfte sie dieses Thema nicht ansprechen, wenn sie die raren Nachmittage, oder sehr seltenen Abende nicht verderben wollte. Seine Frau würde so sehr an ihm hängen und ihn dadurch einengen - das wollte er bei Jasmin sicher nicht nochmals erleben, sagte er ihr deutlich. Er meinte zu ihr liebevoll, sie sei seine grosse Liebe und falls sie schön brav geduldig sei, würde er eines Tages ganz alleine ihr gehören. Und mit ihr wolle er schliesslich alt werden,

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wiederholte er unzählige Male, wenn sie unter ihren so langen - und leider immer länger werdenden - Trennungszeiten litt. Sie aber wusste genau, dass er jedes Mal zu seiner Frau heimkehrte, wenn er nie zu spät am Abend von ihr weg musste.

Jasmin legte sich nach dem Essen kurz hin, um sich auszuruhen und schloss ihre Augen. So lag sie einige wenige Minuten da und sinnierte tagträumerisch dem gestrigen Abend nach. Der Tagtraum schien plötzlich seltsam zu werden, als würde er in eine verschwommene Realität kippen. Alles darin fühlte sich auf einmal sehr konkret und nah an. Sie selbst sah sich auf einmal auf einer grossen tiefgrünen Wiese. Von überall her erklang die Querflötenmusik von Popp und sie lag mitten in dieser Sommertraumlandschaft auf einer weichen Decke. Auf einmal erblickte sie eine wunderschöne Blumenkohlwolke am Himmel, welche direkt auf sie zusteuerte.

Die Wolke sah oben so flauschig und weiss aus als wäre sie aus Schlagsahne und im unteren Drittel leuchtete sie sanft im undefinierbarem Grau. Sie wurde bestrahlt von goldenen Sonnenstrahlen, welche sie umflossen und Jasmin ein wohliges Wärmegefühl vermittelten. Plötzlich kam die Wolke, welche jetzt rasch ihre Form veränderte, auf die liegende Jasmin zu wies einen Spalt in der Mitte auf. Unerwartet schwebte Heiner aus der Wolke hinaus, umwickelt bloss mit einem weissen Tuch, befleckt mit roten Flecken und Spritzern. Es sah wie Blut aus. Das passte farblich jedoch so wunderbar ins Jasmins sanfte Bild, dass sie es seltsamerweise überhaupt nicht beunruhigte. Heiner indessen sagte - immer noch über ihr schwebend - zur Jasmin:

"Hallo mein liebster Schatz, darf ich zu dir kommen? Ich bin mit meinem Flugzeug beim Start abgestürzt und liege im Sterben. Ich würde eigentlich gerne leben und für immer bei dir bleiben, aber mich ruft mein ungeborenes Kind, welches mich in der Ewigkeit bei sich haben will, mich rüber ins Licht holen möchte. Was soll ich tun?

Drüben ist es wunderschön, leicht, entspannt und schmerzfrei. Und hier habe ich dich. Was soll ich bloss tun?"

Jasmin hörte im Traum fasziniert zu, roch Heiner, spürte ihn ihr ins Ohr zu hauchen, machte ihm neben sich unbewusst Platz und lud ihn bittend und flehend zu sich ein - jetzt und für immer.

Dann schrak sie aus dem unglaublichen Tagtraum auf und hörte noch in der Ferne Heiners Frage weit-weit leise nachklingen. Sie schüttelte sich, rieb sich die Augen, eilte unter die Dusche und sandte Heiner ein sms. Nichts kam zurück - keine Antwort.

Nun das war sie sich gewohnt. Er hatte viele Gründe, um sich oft nicht umgehend zu melden und schon gar nicht telefonieren zu können. Vor allem beruflich, wie er ihr versicherte. Dennoch - sie war jetzt so beunruhigt, dass sie den Nachrichtensender einschaltete. Und da war es: Tatsächlich ist vor kurzer Zeit am nächst gelegenen Flughafen eine Maschine beim Start verunglückt und brannte vollständig aus. Man konnten sowohl Passagiere wie auch die Besatzung zum Teil retten - zum Teil waren aber viele Tote zu beklagen. Man hatte noch keine Übersicht und viele Personen im kritischen Zustand befanden sich bereits in diversen nah gelegenen Spitälern.

Jasmin beschloss dort anzurufen, wie es um den Captain stand.

Sie wurde umgehend verbunden und behauptete eine nahe Verwandte des Captains zu sein. Man gab ihr nur die Auskunft, dass er im Spital schwer verletzt liegen würde und man noch keine Neuigkeiten hätte. Seine Frau sei bei ihm und diese sei sicher gut erreichbar. Sie solle sich an sie wenden.

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Jasmin wusste, dass sie wegen Heiners Frau nicht hingehen oder auch telefonieren durfte. Falls Heiner wieder gesund würde, würde er ihr das sehr übel nehmen. Seine Frau zu schonen war zur Zeit für Heiner noch wichtiger als mit ihr klaren Tisch zu machen, rief sie sich einmal mehr schmerzlich in Erinnerung. So blieb ihr nichts anderes übrig als hoffen, warten, warten und warten.

03. Marcello lernte einen toten Menschen kennen

Sabrina und Marcello liebten ihre Freizeit draussen in der Natur zu verbringen.

Entweder Ski fahrend, Schneeschuh laufend, wandernd, kletternd oder auf ihren Mountainbikes. Sie besassen eine kleine, aber optimal gelegene Wohnung in den Bergen und reisten so oft wie nur möglich hin. Optimalerweise mussten sie kaum Zeit fürs Packen verwenden, denn sie haben dort ihre entsprechenden Schränke so eingerichtet und dank der eigenen Trockner- und Waschmaschine alles Nötige immer bereit gestellt. Oft mussten sie kaum kochen, denn am liebsten gingen sie in eines ihrer beliebten Restaurants. Der Bäcker, kaum 10 Meter von ihrer Wohnung entfernt, versorgte sie mit frisch duftendem Brot und weiteren nötigen Kleinigkeiten, so dass das Frühstück im Nu gezaubert war. So lohnte es sich jeweils auch ganz spontan, wenn das Wetter es zuliess und sie keine Arbeiten aus den Büros unerwartet nach Hause nehmen mussten, auch spontan ins Auto zu steigen und hinauf zu fahren.

An jenem Samstagmorgen, bevor gegen Abend Sabrina verunfallte, fuhren sie schon um halb sechs Uhr früh von zu Hause gemeinsam weg. Sie reisten wieder rasch, vergnügt und begeistert, um sich so schnell als möglich noch auf die Skier stellen zu können und einige Fahrten zu erleben. Beide freuten sich, dass sie sich bis und mit Montag eine Auszeit von den Arbeitsbergen gönnen konnten. Wunderbarerweise konnten sie - dank wenigem Verkehr so früh am Morgen - schon bald ihre Wohnung aufschliessen, bei strahlendem Wetter die frische Luft und glitzernde Sonnenstrahlen hineinlassen und rasch etwas kleines Mitgenommenes essen und trinken. Gemütlich zogen sie sich um und nahmen die Skischuhe, Skier und Stöcke aus dem Stauraum hervor.

Es kam Marcello so vor als seien sie erst gestern da gewesen. Alles war sehr

vertraut, nah und erinnerte an wunderbare befriedigende Stunden und Tage. Als die mittlerweile erwachsenen Kinder noch bei ihnen lebten und sogar mit ihnen hierher in die Berge kamen war 'viel mehr Leben in der Bude', wie sich Sabrina auszudrücken pflegte, dafür haben sie jetzt so richtig viel Zeit für sich gehabt und alle kleinen Entscheidungen fielen rascher und einfacher. Früher - so erinnerte sich Marcello schmunzelnd - musste stets zu viert ausgehandelt werden, wohin man essen gehen wollte, ob man das, oder etwas anderes einkaufen würde, um welche Zeit man losfahren gedachte, was alles ins Auto gepackt werden müsste und so weiter und so fort. Sabrina war das alles meistens gar nicht so wichtig und sie behielt alles sehr gut im Griff. Marcello bewunderte sie oft, wie viel sie im Kopf behielt und wie flexibel sie war, vor allem, als die Mädchen in der Pubertät waren und sich ab und zu eine Zickenschlacht lieferten. Das zog sich dann meistens noch während der Autofahrt weiter und Marcello dachte manchmal sehnsüchtig daran, wie ruhig ihr Leben war, als die Mädchen noch nicht auf der Welt waren. Das hiess aber nicht, dass er die beiden nicht abgöttisch geliebt hätte. Im Gegenteil. Die zweieiigen Zwillinge wussten

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jede eine andere kleine List und Methode, um ihn um den Finger zu wickeln und ihm ihren Schmus so lange zu bringen, bis sie alles erreichten, was sie sich wünschten.

Nun, da sie seit zwei Jahren in München und Fribourg studierten, sah er sie meistens per Internet an ein bis zwei Abenden pro Woche und natürlich während der

Semesterferien, wenn sie nicht ihr eigenes Programm mit ihnen Freunden den Eltern vorzogen. Jetzt - stellte Marcello wehmütig fest - fehlten ihm die Mädchen hier in der Wohnung ab und zu so sehr, dass er das Sabrina immer wieder seufzend gestand. In solchen Augenblicken legte sie ihre Arme um seinen Hals und sagte scherzend, dass er nun mit ihr vorlieb nehmen müsse. Marcello und Sabrina waren nun wieder ein Zweierteam. Sie sagten sich oft: Ein Team gegen den Rest der Welt! sagte vergnügt zu ihm Sabrina oft. In ihrer Immobilienfirma als Unternehmer, in welcher sie immer wieder im strengen Alltagskampf zusammen bestehen mussten und privat als sehr gut organisiertes Paar.

So packten sie also ihre Rucksäcke mit allem nötigen auf die Schultern und Marcello verkündete: "Auf in den Vergnügungskampf mein Schatz!" Sabrina schloss die Wohnungstüre neben ihnen ab, packte den Schlüssel ein und los ging's auf die Piste mit Helm, Handschuhen, Skiern, Stöcken und Brillen.

Eine kleine Fahrt vom Haus bis zur Skilift-Station und schon konnten sie die Skier wieder abziehen und mit der Gondelbahn nach oben fahren. Da sie sich nicht in einem riesigen Skigebiet befanden, war es kein Problem rasch in eine Gondel einzusteigen, denn mittlerweile gab es unweit von hier überall so viele gut

ausgebaute Skigebiete, dass sich die vielen Touristen gut verteilten. Sie versuchten sich jeweils antizyklisch zu verhalten und assen ihre Mittagssuppe oben auf dem Berg erst nach zwei Uhr, wenn die meisten Gäste schon wieder die Restaurantbuden verliessen. Der Himmel war einmal mehr strahlend blau, es war absolut nicht kalt und der Wald stand wunderschön mit frischem Schnee bepudert zwischen den grossen Felsen ganz und gar majestätisch anmutend im Hintergrund. Marcello und Sabrina strahlten einander begeistert an und konnten es kaum erwarten oben anzukommen und loszufahren.

Einige Minuten später war es dann so weit. Eine grössere Gruppe von Jugendlichen machte sich oben ebenfalls bereit und die Jungs schrien den wenigen Mädchen aus der Gruppe Scherze zu, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Mädchen fuhren vorsichtig los, die Jungs machten sich daran, sie zu überholen. Marcello und Sabrina beschossen die Jugendlichen zuerst wegfahren zu lassen, damit die

Snowboardgruppe sie nicht überholen musste. Kaum waren alle weggesaust hatten sie die Piste für sich ganz alleine und fuhren freudig los. Wie gewohnt zuerst

Marcello und nach ihm Sabrina. Da es windstill war, hörte Marcello Sabrinas

Schwünge rhythmisch rauschen und auch dass der frische Pulverschnee hinter ihnen beiden auseinander zischte. Noch nicht lange nach der Wegfahrt gab Marcello voll Bewegungslust etwas Gas und beschloss bei der ersten Hütte hinter dem Wäldchen auf Sabrina zu warten. Dies haben sie schon oft so gemacht, denn Sabrina fuhr dieses enge S-Stück lieber gemütlich hinunter und er selbst genoss hier die Fahrt in vollem Tempo.

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Bei der Hütte unten stellte er sich gegen die Wand, stach die Stöcke in den

Schneeboden und legte die Stirn auf seine Handschuhe mit welchen er die Stöcke umklammerte. Er wartete eine gefühlte Minute - Sabina kam noch nicht. Dann

weitere fünf Minuten - nichts. Nun, das war nicht normal. Wo ist sie denn geblieben?

Marcello schaute das schmale steile S-Stück an und beschloss nochmals fünf

Minuten zu warten, bevor er die Skier abziehen und den Berg hinauflaufen würde, um Sabrina zu suchen.

Niemand kam - kein Geräusch war zu hören. So stach er seine Skier seitwärts der Piste in den hohen Schnee, liess sie da stecken und machte sich auf den Weg hinauf. Er durchquerte die Enge, liess die erste Kurve hinter sich, machte sich daran die zweite Kurve hinaufzustampfen und da hörte er plötzlich von oben eine erste Stimme, dann eine zweite und eine dritte. Mitten auf dem Hügel ein gutes Stück über ihm stand eine Gruppe von Menschen. Alle bewegten sich hektisch und schienen einander etwas zuzurufen. Von unten erkannte Marcello nicht, ob jemand am Boden lag, er nahm es aber intuitiv an. Was wenn da Sabrina am Boden lag!? Der Schreck aus welchem dieser fürchterliche Gedanke geboren wurde schoss ihm durch den ganzen Körper und traf ihn so heftig, dass er unglaubliche Kräfte mobilisieren konnte, um den Berg heraufzurennen. Als er schon fast bei den schreienden

herumstehenden Skifahrern und Snowboardern ankam, erblickte er einen Pistenarbeiter, welcher mit einem Rettungsschlitten von oben auf die

Menschenansammlung zuraste. Und dann erschien nochmals einer, der ebenso bekleidet war wie der erste Arbeiter und ebenso einen Schlitten hinter sich herzog.

Angekommen an der Unfallstelle konnte Marcello sofort erkennen, dass es zwei am Boden bewegungslos liegende Personen zu retten gab - die eine davon war Sabrina, die andere war ein etwa gleichaltriger Mann ohne Helm und mit leichter, nicht

unbedingt skitauglicher Bekleidung. Beide bluteten stark an den Köpfen, Sabrinas Helm war weggerutscht, vermutlich sass er während ihrer Abfahrt nicht richtig. Sie sind offensichtlich in einem zu hohen Tempo ineinander gerast. Ein Skifahrer

kümmerte sich besonders um beide und wies die Rettungshelfer mit den Schlitten an.

Er teilte allen Anwesenden mit, er sei Arzt. Marcello drückte sich durch die Menge hindurch zu ihm und fragte mit rauer Stimme, ob Sabrina, seine Frau, schwer verletzt sei, was dieser bejahte. Beide Personen müssten umgehend ins Spital gebracht werden, die Krankenwagen, Helikopter und alle für die Piste Verantwortlichen waren informiert. Beide Verletzten würden leben, es könnte aber sein, dass sie sehr

schwere innere Verletzungen erlitten hatten. Marcello sah nochmals von der

blutenden da liegenden Sabrina zu dem skifahrenden Arzt und zurück, dann wurde es ihm schwarz vor den Augen und er fiel in Ohnmacht. Als er erwachte lag er an der unteren Station der Gondelbahn in einem kleinen Vorratsraum auf zwei zusammen geschobenen Bänkchen mit warmen Decken unter ihm und über ihm verteilt. Es herrschte absolute Stille, Marcello lag mit geschlossenen Augen da und vernahm ein seltsam-sanftes Geräusch, das er nicht einordnen konnte. Da schwebte plötzlich über ihm ein Mann bloss mit einer weissen Decke abgedeckt. Er sprach Marcello an.

"Sie sind der Mann der Dame, die ich angefahren habe? Sie ist korrekt gefahren, ich alleine bin Schuld, denn ich habe sie mit vollem Tempo fahrend übersehen. Wir sind Kopf an Kopf ineinander geprallt, ihr Helm sass nicht richtig und wir trafen direkt aufeinander. Ich weiss nicht, wie schwer sie verletzt ist. Ich will ihre Meinung wissen, zu meiner Situation. Ich habe eben ein Licht aus einem Tunnel gesehen, da könnte

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ich durch. Meine Eltern, die schon einige Jahre lang verstorben sind, haben mich gerufen und ich hatte keine Schmerzen und fühlte nur pures Glück. Ich liege jetzt aber auf der Intensivstation und könnte überleben. Erlauben Sie mir hier zu bleiben und weiter zu leben? Ich mache meinen Entscheid von Ihrer Meinung abhängig. Ich weiss nicht, ob Ihre Frau überleben wird. Soll ich gehen oder bleiben? Sagen Sie es mir bitte!"

Marcello schoss die Augenlider auf und setzte sich blitzartig auf. Die Figur des Mannes schwebte ganz kurz noch über ihm, schien nochmals die Lippen zu formen zu den Worten "Soll ich..." und verschwand danach plötzlich. Da betrat ein Mann den Schopf und strahlte ihn an: "Aaah, sie sind ja wieder wach! Sie wurden ohnmächtig, man musste Sie hertransportieren! Da war ein Arzt unter den Skifahrenden, der hat das angeordnet, wissen Sie?"

Marcello schaute ihn verstört an und schrie: "Wo ist Sabrina, meine Frau? Ich muss unbedingt sofort zu ihr!" Der Mann antwortete in aller Ruhe. "Ich habe ein Auto und habe jetzt Dienstschluss." Ich fahre Sie ins Spital. Die Verletzten wurden dorthin gebracht. Als Marcello auf der Intensivstation ankam, teilte man ihm mit, dass es seiner Frau schon viel besser gehe und sie viel Glück gehabt hatte. Sie werde kaum schwere Verletzungen davontragen, der Kopf wurde beim Zusammenprall doch noch vom eher locker sitzenden Helm geschützt. Die Wunde sieht schlimmer aus als sie ist. Die Frau sei ganz kurz bewusstlos gewesen und müsste zur Beobachtung noch sicher eine Nacht lang hier bleiben, meinte die Krankenschwester.

Marcello setzte sich völlig erschöpft und dankbar auf den erst besten Stuhl im Raum.

Die Krankenschwester sah sich ihn kritisch an und fragte, ob er etwas trinken wolle.

Sie bleib einige Augenblicke bei ihm. Nach einer kleinen Weile fragte er sie: "Was ist mit dem Skifahrer, der meine Frau angefahren hat, lebt er noch?" Die

Krankenschwester sah ihm direkt in die Augen und meinte: "Nein, der hatte nicht so viel Glück. Er ist vor einigen wenigen Minuten verstorben.

04. Julia verliebte sich sterblich in Unbekannt

Er lag seit drei Tagen auf der Intensivstation des Inselspitals und niemand wusste wer er war. Er wurde am Flussufer komplett durchnässt und nur noch knapp atmend von jemandem entdeckt, der von der Brücke zufälligerweise hinunter schaute. Alle fragten sich, ob er sich das Leben nehmen wollte, ob er einem Verbrechen zum Opfer gefallen, oder ob er beim Spazieren verunglückt und in den Fluss gefallen war.

Er schwebte permanent in Lebensgefahr. Die Ärzte kooperierten mit der Polizei und gaben alles was er auf und bei sich in seinen Hosentaschen und in seiner

Regenjacke trug ab. Die Untersuchungen liefen auf vollen Touren. Personen wurden vernommen, der Uferweg wurde abgesperrt und man suchte intensiv nach

irgendwelchen Spuren. Seltsam war, dass sich niemand nach diesem Mann erkundigte, keine Vermisstmeldung, die auf ihn hätte zutreffen können vorlag und dass er überhaupt gar nichts bei sich trug. Seine Kleider waren allesamt in einem grossen Einkaufsgeschäft gekauft worden. Er sah durchaus wie ein Einheimischer aus. Sein Alter wurde auf 52 Jahre festgesetzt - ganz genau liess sich das jedoch nicht sagen.

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Julia, die Krankenschwester, welche diese Woche nachts Dienst hatte, schaute sehr besorgt nach ihm. Der bewusstlose Mann gefiel ihr trotz seines Zustands, seiner Wunde im Gesicht und der medizinischen Versorgung. Wie friedlich er doch in seinem Koma auf der Intensivstation da lag. Einmal, mitten in der Nacht, als sie annahm, sie sei allein mit ihm, sprach sie ihn an und erzählte ihm, wie alleine sie sich fühlte, seit sie Thierry, ihr Liebhaber, verlassen habe. Seit sie Thierry kurz nach ihrem fünfzigsten Geburtstag verliess, sprach sie ab und zu mit bewusstlosen Patienten, da sie sich einbildete, dass die Gespräche sowohl ihr, wie auch den regungslos Daliegenden von Nutzen waren. Sie meinte während ihrer Arbeit eine gute Gelegenheit ergreiffen zu können, um einerseits ihren eigenen Schmerz verbal verarbeiten zu können. Anderseits sollten die Bewusstlosen ihre liebevolle

Zuwendung spüren. Vielleicht - irgendwie unbewusst - nahmen sie ihre Erzählungen wahr - dachte sie sich. Bei ihr ging das nun schon bald drei Jahre so. Es ist ihr

aufgefallen, dass sie bei ihren liebsten Freundinnen nicht mehr frei über ihr Schicksal spreche konnte, da diese sie ständig kopfschüttelnd darauf hinwiesen, sie solle sich lösen von Thierry und seinem Andenken. Sie würde nur sich selbst schaden und es versäumen, sich einen guten und zuverlässigen Partner zu suchen, wenn sie sich nicht endlich öffnen würde. Sie aber wollte das nicht hören, denn sie liebte nach wie vor nur Thierry abgöttisch und hoffte, hoffte und hoffte. Und Thierry meldete sich zudem immer wieder noch ab und zu bei ihr. Er betörte sie mit seiner charmanten Stimme und seiner tollen starken männlichen Art, die sie so sehr anhimmelte.

Thierry hatte damals Julia kennen gelernt, sich heftig in sie verliebt, ihr sehr bald gebeichtet, dass er in einer festen Beziehung leben würde und sie dann als

Liebhaberin nebst seiner Frau behalten. Dass er mindestens eine weitere Affäre mit einer jüngeren Frau hatte, fand Julia absolut zufällig heraus, als sie mit ihrer älteren Schwester ein Konzert besucht hatte und dort Thierry mit dieser jungen Frau Arm in Arm stehen sah. Sie beobachtete, wie sich das Pärchen immer wieder heiss küsste.

Und das war nicht etwa seine Frau. Damals brach eine ganze Welt für sie zusammen. Sie hat sich jahrelang darauf verlassen, dass Thierry endlich für sie seine Lebenspartnerin verlassen und nur noch mit ihr zusammen leben würde. Sie hat ihr ganzes Leben darauf ausgerichtet, hat nur noch an ihn gedacht, hat alles mitgemacht was er sich nur wünschte, hat sich ihm fast devot untergeordnet. Er selbst wurde in diesen drei Jahren nebst seiner zwischendurch gezielt eingesetzten charmanten Art immer egoistischer und unnachgiebiger. Er versprach ihr alles Mögliche, eine ewige, grosse und heisse Liebe, später mal viel, viel Zeit mit ihr zu verbringen, sich nur noch um sie zu kümmern. Doch die Jahre gingen ins Land, ohne dass sich überhaupt etwas in die Richtung, die sie sich wünschte, verändert hätte.

Thierry verlangte Geduld weil er Druck hasste und lebte sein vergnügtes Leben weiter wie es ihm grad gefiel. Offiziell vor allem auf der Seite seiner Lebenspartnerin und inoffiziell - wie sich eben gezeigt hatte - nebst ihr mit weiteren Liebhaberinnen.

Als er sie nicht mehr so oft wie am Anfang kontaktiert hatte und sie vor allem mit rasch geschriebenen sms oft beruhigte, hatte sie schon den Verdacht geschöpft, dass er sich anders auszurichten begann. Thierry war der typische Jägertyp und versuchte sich immer wieder am Erobern von Frauen. Da ihm vor Jahren seine Exfrau erklärt hatte, dass Frauen in der Regel vor allem geliebt sein wollen und sich eine Zukunftsperspektive wünschen würden und nicht kurze schnelle und heftige Affairen, begann er seine nächsten Abenteuer so, dass er jeweils seinem nächsten

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Opfer der Begierde vor allem die grosse Liebe und eine tolle Zukunft zu zweit versprach. Und siehe da, die Frauen lagen ihm zu Füssen! Er konnte immer wieder andere in sich verliebt machen, was ihm gut tat und ihm gefiel.

Nach einer gründlichen psychologischen Beratung, welcher sich Julia irgendwann doch noch unterzog wurde ihr klar, dass Thierry sich offensichtlich von seiner Frau nie würde trennen wollen, denn diese Liebe war in Tat und Wahrheit stärker als alle anderen Nebengeschichten, die wohl bei Thierry an der Tagesordnung standen, damit er seinen Selbstwert und seine Männlichkeit auf Kosten von Zusatzfrauen stärken konnte. Seine Frau war offensichtlich jemand, der sehr gut damit umgehen konnte. Sie hatte sich bestens arrangiert. Julia verstand endlich nach Jahren, dass Thierry und seine Lebenspartnerin einen intensiven und spannenden Alltag

nebeneinander her lebten auf welchen beide nicht verzichten wollten. Eine echte Partnerschaft in vielerlei Hinsicht war beiden wichtig, denn er und sie waren sich äusserst ähnlich und passten mit all ihren Eskapaden, Freude an Spiel und

Spannung in der Beziehung perfekt zusammen. Insofern hat Julia zumindest im Kopf begriffen, dass sie immer das dritte, oder gar das siebte, ja neunte Rad am Wagen darstellen würde und Thierry sie höchstens für ein paar Stunden pro Woche als Abwechslung sehen wollte. Der Rest der Kontakte von seiner Seite her ihr diente ihm zur Aufrechterhaltung des Nestes, das sie ihm bot. Im Wissen, dass er sich sehr wohl mehrere Liebesnester installiert hatte, um sich toll zu fühlen, schaffte sie das Ganze nicht mehr und unternahm einen Versuch, sich von ihm zu trennen. Er selbst nahm das einerseits viel gelassener hin, als sie es sich vorgestellt hatte, anderseits kreuzte er dann doch immer wieder bei ihr auf und sie schaffte es nie ihn definitiv abzuweisen, wenn er dann wieder leibhaftig vor ihr stand.

Julia ging es auch nach vier Monaten Psychotherapie nicht besser, sie war

verhangen in ihren Schwächen und ihren Gefühlen zu Thierry und gab schliesslich die Behandlungen auf. Sie fand den besseren Weg für sich um damit umzugehen, nämlich sich einerseits voll in ihren Beruf reinzustürzen und sich im Spital

aufzuopfern, anderseits begann sie in Einweggesprächen mit Schwertsverletzten und -kranken zu sprechen, wenn sie auf ihrer Intensivstation nachts Schicht hatte, was sie sehr gerne übernahm.

So auch jetzt bei diesem recht hübschen Mann mit einem ansehnlichen Körper der hier wort- und ausdruckslos da lag und an die Maschinen angeschossen war.

Spannend und rührend fand sie, dass er offensichtlich vollkommen alleine war. Nach und nach umsorgte sie ihn ganz liebevoll und begann sich zu erträumen, dass er eines Tages aufwachen würde und sich ihr zuwenden könnte. Endlich würde sie Thierry beiseite schieben können und ihr Leben so führen, wie sie es sich immer erträumt hatte. Mit einem tollen und ansehnlichen Mann an ihrer Seite als Freund, Liebster, Lebenspartner und Mann.

In der Silvesternacht meldete sie sich freiwillig zur Schicht und begab sich umgehend auf die Intensivstation, wo immer noch dieser friedliche und liebevoll schlafende, hübsche Mann im Koma lag. Sie setzte sich zu ihm und sprach ganz innig zu ihm, murmelte liebevolle Worte zu ihm bis sie müde und erschöpft neben ihm einschlief.

Einige Zeit später beobachtete sie unter Schock, dass sich der Mann von seinem Bett erhob und - so unglaublich es ihr schien - langsam im Raum zu fliegen, ja eher

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zu schweben begann. Und dann sprach er zu ihr, in dem er ihr sein schönstes Lächeln schenkte: "Julia, meine Liebste, mein Engel und mein Lebenssinn! Wie wunderbar war diese Zeit hier mit dir und wie schön, dass ich dich kennen lernen durfte. Danke für deine Fürsorglichkeit, für all deine Liebe und sorgsame Zuwendung.

Es ist Zeit, ich muss jetzt gehen und werde drüben am Ende es Tunnels im Licht auf dich warten. Drüben ist es wundervoll und schön, es ist schmerzfrei und friedlich. Las mich los und gehen und wenn es dann an der Zeit ist, kommst du nach, nach, nach, nach..." Julia riss die Augen auf. Die Maschine zeigte, dass der Herzschlag des Patienten neben ihr aufgehört hat ich zu bewegen. Jasmin allarmierte umgehend den Arzt, welcher sich vorhin kurz hingelegt hatte. Alles Nötige wurde innert Sekunden zur Wiederbelebung bereitgestellt. Der Mann aber war und blieb tot.

05. Camille liess Eduard in den Tod fliegen

Eduard war der fröhlichste, liebevollste und loyalste Mensch, den ich gekannt habe.

Als er mit sechzig Jahren bei einem Unfall mit seinem Segelflugzeug starb weinte der Himmel an seinem Begräbnis in Strömen und niemand der rund zweihundert

Anwesenden verstand weshalb so ein wundervoller Mann so früh aus dem Leben scheiden musste. Niemand ausser seiner engsten Familie. Diese hat zeitgleich mit Eduard erfahren, dass er an einem unheilbaren, äusserst aggressiven

Bauchspeicheldrüsenkrebs litt und ihm nur noch wenige Lebensmonate gegönnt waren.

Eduard erklärte seiner Familie, dass er sich auf keinen Fall einer Chemotherapie oder Bestrahlung unterziehen würde, denn die Prognose war absolut eindeutig, von drei Ärzten bestätigt worden und er wollte würdig sterben und zwar dort, wo er am liebsten war - in seinem Segelflugzeug in den Bergen. Seine Frau Camille war mit ihm seit fünfundzwanzig Jahren verheiratet und liebte ihn nach wie vor wie am ersten Tag. Sie waren all die wundervollen Jahre ein Traumpaar für alle aussen Stehenden.

Jeder beneidete Camille um Eduard und umgekehrt. Ihre beiden Kinder Marika und Arni waren in einer glücklichen Familie aufgewachsen und unterdessen ausgezogen.

Lagerferien mit Segelflugzeugen des Vereins gehörten für Camille und Eduard zu ihrem reichhaltigen Leben.

Eduard kaufte sich mit grosser Unterstützung Camilles vor drei Jahren einen eigenen Eigenstarter. Es war zwar ein Occassionflieger in einem ausgezeichneten Zustand.

Camille nahm rege Anteil am Hobby ihres Mannes, welcher von klein auf Arni, seinen Sohn, für dieses Hobby begeistern konnte.

Wenn das Paar nun zusammen in den Segelfugferien war, radelte Camille mit ihrem Bike mit einer Freundin tagsüber kilometerweise bis die beiden Jungs des Vereins einer nach dem andern landeten. Dann war es klar, dass Camille und Eduard gemeinsam den Flieger von Insekten rein säuberten, polierten und mit Überzügen bekleideten. Sie waren darin ein vollkommen eingespieltes Team. Einige Kollegen, welche alleine im Lager waren, schielten rüber und dachten, wie toll die beiden das zusammen hinkriegten. Wenn das Wetter nicht fliegbar war, unternahmen Camille und Eduard viele spannende Ausflüge mit ihrem Auto, oder auch mit ihren Bikes.

Zudem teilten sie noch sehr viele andere Freuden zusammen wie das Degustieren

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guter Weine vor Ort, gemeinsames Kochen und Grillen zu Hause, das Ausprobieren von spannenden neuen Restaurants und das Verbringen von viel Zeit mit ihren guten Freunden, welche auch im Segelflug-Lager ihre Ferien verbrachten. Immer um ca. 18 Uhr setzte man sich auf eine Terrasse der gemieteten Chalets und es wurde rasch von den Frauen zusammen ein Apéro mit Prosecco, Bier, Wurst und Käse

hingezaubert. Das zog natürlich die übrigen Kollegen aus den anderen Chalets immer wieder auch an. Es gab nur begeisterte und gute Stimmung und viele Erzählungen über die Tageserlebnisse aller Beteiligten.

Mit einem Pärchen waren Camille und Eduard besonders befreundet. Mit diesem Paar unternahmen sie auch unterm Jahr und ausserhalb der Segelflugferien spannende Ausflüge. Um die Himmelfahrt herum oder an Pfingsten war man

zusammen mit einem Motorkleinflieger, welcher dem Freund gehörte, unterwegs und traf dort andere Paare mit Motorfliegern. Die Zeit verflog wie im Traum und Camille und Eduard begannen ihre gemeinsame Zukunft ohne Arbeitsverpflichtungen zu planen. Sie liebten es sich in warmen Gegenden aufzuhalten und so lag es nahe, dass sie reisen über Winter in Australien, Neu Seeland, Südamerika und Afrika in Betracht zogen. Da sie beide selbständig erwerbend und dadurch äusserst hart immer am Arbeiten waren, war es ihr deklariertes Ziel früher aufzuhören und das Leben so lange voll zu geniessen, bis es sich von selbst ergeben würde, dass man sich irgendwo ruhiger niederliess. Camille begleitete jetzt schon ihren Mann sehr gerne auf Reisen, er sehnte sich innigst danach, sie immer bei sich zu haben. Da sie sehr sportlich und kreativ war und viele lieben Menschen, wie auch ihre Kinder gerne kontaktierte war sie neben ihrer Arbeit äusserst engagiert. Das wichtigste aber für sie war das Teilen der gemeinsamen Hobbies und guten Gespräche mit Eduard, was insbesondere im Rahmen der Reisen und Ausflüge möglich war. Camille liebste ihr Leben und sie liebste Eduard samt seinem Freiheitsdrang, denn er war ein Vogel, ein Adler den man beim Fliegen immer aus allen Kräften unterstützen musste.

Umgekehrt ging es Eduard auch. Neben Camille hatte er ein traumhaftes Privatleben mit Freunden, Familie und spannenden kulturellen Erlebnissen. Camille war

diejenige, die ihm den Rücken frei hielt und alles perfekt organisierte, damit ihr so vielseitiges Leben für beide optimal gestaltet werden konnte. Dieses Geschick schätzte Eduard ganz besonders an Camille. Das wollte er sich für immer behalten.

Und dann kam alles ganz schnell anders.

Die Krebsdiagnose kam zu früh in seinem Leben und traf Camille und seine Kinder ohne Vorwarnung und wie ein unerbittlicher Blitzschlag von oben aus dem

nirgendwo. Die ersten Wochen funktionierten sie irgendwie weiter. Die Kinder

bezogen ihre alten Zimmer und wohnten jetzt wieder bei den Eltern. Die WG-Zimmer behielten sie zwar, zeigen sich dort aber kaum einmal. Camille hörte nach zwei Wochen auf zu arbeiten, Eduard eine Woche später nach ihr. Sie beschlossen zu viert zu für drei Wochen zu verreisen und buchten ein Bungallow in einer

Wellnessanlage. So lange gab ihm der Arzt Zeit, um sich zu entscheiden, ob er nicht doch eine Chemotherapie machen wolle. Nachdem Eduard aber die Zweit- und Drittmeinung eingeholt hatte, entschied er sich gegen alle Therapien, da es keine Chancen gab das nächste Jahr zu erleben. Sie unternahmen viele Spaziergänge.

Eduard war noch voll bei seinen Kräften, spürte aber mit jedem Tag, dass er keinen richtigen Appetit mehr hatte. In unendlich langen Gesprächen - ob am Tag oder auch mitten in der Nacht regelte er mit Camille alles Nötige, wies sie in tausend

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praktischen Dingen an und diskutierte am liebsten mit ihr alles was ihn beschäftigte.

Nachdem Camille keine Tränen mehr hatte und sich in kleinsten Schritten daran gewöhnt hatte, dass die fürchterliche Situation nicht veränderbar ist, schenkte sie Eduard das was sie am besten konnte und was sie als Menschen ausmachte: Ihre volle Aufmerksamkeit. Sie verstand, dass sie ihrem Mann, Geliebten, Freund und Partner nicht mit Erwartungshaltung sondern nur noch mit Akzeptanz begegnen konnte. Und so hörte sie ihm lange, präzise und geduldig zu, so oft er sich dies wünschte. Bei diesen Gesprächen gingen sie mehrmals ihr gemeinsames, so intensives Leben zusammen durch, sahen sich unendlich viele Fotos an von Orten an welchen sie glücklich zusammen waren, erinnerten sich an Tausende von Details welche sie als Paar ausmachten und zusammen erlebten. Eduard schenkte Camille Kleinigkeiten, die schon unterdessen in Vergessenheit gerieten, die einen

gemeinsamen Tanz zur Musik von Chris de Burgh oder eine Liebesnacht zu den Klängen von Celine Dion. Sie hörten sich Opern an, welche sie in früheren glücklichen Tagen zusammen besuchten, schauten sich Theaterstücke, die sie erleben durften - es waren so unendlich viele, so dass sie sich nicht an alle erinnern konnten. Auch mit Hilfe der Agendas und des Internets nicht. Sie sahen sich Bilder der Städte, wo sie mindestens jedes Jahr einmal einen Stadtbesuch unternahmen.

Und sie liessen ihre vielen anderen Unternehmungen sportlicher und kultureller Art Revue passieren. Wenn ihre Kinder dazu kamen wurden die Erzählungen noch ausgeweitet und man erfuhr voneinander Kleinigkeiten, die man früher gar nicht wahrgenommen hatte.

Schliesslich nach zwei Wochen wollte Eduard, welcher schon früh sehr müde war, im Bett mit Camille das Thema angehen, welches im Raume stand. Er sagte schlicht:

"Ich möchte in den Bergen sterben. Wenn es das Wetter zulässt, würde ich dann am liebsten meinen letzten Segelflug unternehmen."

Camille schossen Bäche von Tränen aus den Augen. Sie zitterte am ganzen Leib und hielt Eduard eng umschlossen. In den letzten zwei Wochen gelang es ihr alles je länger je mehr zu verdrängen und sie redete sich ein, dass alles vielleicht ein Irrtum war. Nun verstand sie aber, dass das Schicksal sie eingeholt hatte und die

Grausamkeit des Augenblicks sie mit aller Wucht mit der unerbittlichen Wahrheit konfrontierte. Sie rannte aus dem kleinen Haus in den nah gelegenen Wald und schrie sich die Lunge aus dem Leib. Dann dachte sie darüber nach, ob sie selbst mit in den Tod gehen wollte und plötzlich kam ihr dieser Gedanke ganz sanft versöhnlich vor. Noch eine Stunde blieb sie für sich fort bevor sie Eduard gegenüber trat.

"Ich möchte mit dir gehen!", sagte sie zu ihm schlicht und halb flüsternd, jedoch sehr verständlich. Eduard sah ihr tief, tief in ihre Augen - wie damals als sie in Südafrika zusammen waren und in Stellenbosch in einem ausgezeichneten Gourmet-

Restaurant wunderbares Essen und den südafrikanischen Angeltears-Wein genossen.

"Das kannst du nicht tun Camille! Du sollst hier bleiben und den Kindern eine gute Mutter bleiben. Gerade weil ich nicht mehr da sein werde. Es wird der Zeitpunkt kommen, wenn du zu mir kommen wirst und wir zusammen Schutzengel unseren Kindern und Kindeskindern sein werden. Jetzt aber ist für dich der Zeitpunkt noch nicht gekommen."

Camille hielt Eduard in der Nacht - wie immer beim Einschlafen - ganz eng

umschlungen und schlief keine Sekunde. Sie wollte nochmals jede Minute, die ihr

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zustand Eduard fühlen, spüren, wahrnehmen. Sie wusste, er hatte recht und sie musste diese Prüfung ihres Lebens bestehen.

Am nächsten Tag kam sein Sohn Arni zu ihm und Eduard wünschte sich, dass Arni bei ihm bleiben sollte. Obwohl er ihm nichts angetönt hatte spürte Arni, dass dieses Gespräch der Abschied von seinem Vater darstellte. Sie spazierten ein wenig, doch Eduard wurde rasch müde. Die Sonne schien angenehm warm und so beschlossen sie sich auf ein Bier in ein Gartenrestaurant in der Nähe zu setzen. Eduard sagte zu seinem neuzehnjährigen Sohn, dass er fortan die Verantwortung für diese Familie haben würde und er solle sie tragen stark wie ein Mann. Arni antwortete ihm, dass er sich nie hätte einen besseren Vater vorstellen können und stolz auf seinen Namen sei, den er irgendwann gerne weiter geben würde. Er beichtete seinem Vater, dass er ihn einmal mit vierzehn Jahren angelogen hätte, als er statt mit seinem

Schulfreund und seinen Eltern auf die Costa Dorada mit einem älteren Mädchen nach Holland gereist sei und dort Haschisch ausprobiert habe. Er wusste jahrelang nicht, ob er diese Geschichte den Eltern hätte beichten sollen, da aber nichts Schlimmes passiert sei, habe er sich bis heute verschwiegen. Eduard lachte ein wenig schwach darüber und wollte wissen, weshalb er sich nicht getraut hatte, es ihm zu erzählen. Arni meinte, er hätte sie beide nicht enttäuschen wollen. Dann lachten sie beide darüber zusammen und tranken noch ein Bier.

Einen Tag später verbrachte Eduard einen Tag mit seiner Tochter Marika. Er erzählte ihr, dass sie sein ganzer stolz sei und er sie immer für ihren Durchhaltewillen

bewundert habe. Marika erfuhr, dass sie ihren Namen darum erhalten habe, weil man sie so zu sagen in Budapest hergestellt habe während einer Stadtreise nach Budapest. Ihre Mutter wollte vor zweiundzwanzig Jahren endlich liebend gerne schwanger werden und teilte dem überraschten Eduard mit, dass wenn es in Ungarn passieren sollte das Kind einen ungarischen Namen bekommen sollte. Und

tatsächlich geschah das Unglaubliche wie auf Bestellung in Ungarn nach einem wunderschönen Musical namens Marika. Zwar hielt Eduard nicht so viel von Sing- und Tanzdarbietungen, aber Camille war so begeistert ob der ungarischen Tänze, dass er sich ihr zu Liebe dazu überreden liess. Spasseshalber hat er damals Camille gesagt, dass sie dafür das Kind - falls es ein Mädchen werden sollte - Marika taufen würden. So kam es, dass Marika ihren Namen erhielt und zudem auch noch sechs Jahre Ballettunterricht erhielt, der ihr unwahrscheinlich gut gefiel. Marika lauschte mit grossen Tränen im Gesicht dieser Geschichte und als Eduard mit übermüdeter Stimme aufhörte, fragte sie ihn kleinlaut: "Soll ich dir etwas vortanzen?"

Eduard sah erstaunt seine Tochter an und flüsterte: "Ja bitte, wenn das hier möglich ist.

"Marika schob ein wenig die Möbel zur Seite, zog sich ihren Rock aus, so dass sie nur mit ihrem langen T'shirt und den Seidenstumpfhosen da stand und tanzte für ihren Vaten ohne Musik die Szene des sterbenden Schwanes am Schwanensee, bis ihr Vater friedlich im Sessel einschlief.

Am nächsten Tag brach die Familie früh morgens nach Hause auf. Wunderschöne Blumenkohlwolken zierten den Himmel und die Vögel liessen die grossen Flügel weit offen die Thermik arbeiten, damit sie sich hoch oben vergnügen konnten. Es war der Tag, als Camille und Eduard vor siebenundzwanzig Jahren einander das erste Mal begegnet sind. Sie setzten die Kinder zu Hause ab, nahmen Eduards Tasche mit

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allem Nötigen zum Segelfliegen aus dem Keller hervor und fuhren zum

Segelflugplatz, wo Eduards Selbststarter stand. Zusammen zogen sie den Flieger aus dem Anhänger hinaus und bauten das Flugzeug gemeinsam auf. Alles war bereit, so dass Eduard nur noch einsteigen und abfliegen konnte. Er nahm Camille ein letztes Mal in die Arme und fragte sie: "Ist es gut so für dich, wenn ich jetzt

möglichst rasch gehe?". Sie stoppte ihn ab, umarmte ihn mit all ihrer Kraft und fragte ihn, ob er ihr die Geschichte als sie einander das erste Mal trafen aus seiner Sicht erzählen könnte. Er erfüllte ihr diesen Wunsch. Dann sah er ihr tief und voller Liebe in die Augen und schloss mit der Frage: "und weisst du wann ich mich für immer und ewig in dich verliebt habe und begriff, dass es nie mehr eine grössere und stärkere Liebe für mich geben wird als dich?" Sie sah ihn fragend und erstaunt an, konnte aber kein Wort hervorbringen. So sagte er schlicht: "Als du mir dein kleines liebes Fluggedicht geschickt hast. Du bist die erste und Einzige, die für mich ein Gedicht geschrieben hat und deine Worte trafen mich so tief ins Herz - ich wusste in dem Moment, du bist eine ganz besondere Frau. Meine Frau für immer."

Camille stand regungslos da, Tränen hatte sie keine mehr. Er sah auf seine Uhr - es war bald drei Uhr nachmittags, zeigte noch wortlos auf ihr Handy und sie wusste was dies bedeutete. Jedes mal nach einem Segelflugtag schickte er ihr ihre gemeinsame Lieblingsbotschaft: "Bin gut gelandet. Ich liebe, brauche und begehre dich - nur dich und für immer. Nicht vergessen Liebstes." Eduard schwang sich in seinen Flieger und Camille blieb am Ort wie angewurzelt stehen. Sie sah zum Himmel hinauf und dachte verzweifelt: "Eigentlich wollten wir zusammen Schutzengel werden, warum habe ich Eduard versprochen, jetzt noch nicht zu gehen? Warum?"

Dann wurde es ihr schwarz vor den Augen und sie fiel überwältigt und ohnmächtig ins Gras. Eduard startete und sah sich nicht mehr um. Camiles Handy piepste.

Camille war plötzlich an einem anderen Ort. Es fühlte sich unter ihr wie ein Blumenwolkenteppich an. Wo war sie? War sie wach? Schlief sie? Träumte sie?

Lebte sie oder war sie tot? In diesem Moment vernahm sie die Stimme von Eduard:

"Mein Liebstes, mein Schatz, gib mir die Hand ich bin hier unter der Wolke noch eine Weile - bis ich zum Licht darf. Halt mich fest - nur noch ein Weilchen. Ich liebe, begehre und brauche dich - für immer nur dich!"

Camille schreckte auf und lag auf der Wiese. Weit oben am Himmel den Bergen zugewendet flog ein Segelflugzeug davon. Vielleicht war das schon längst nicht mehr Eduard sondern einer der andern Jungs aus dem Segelflugverein.

05. Meine experimentelle Erforschung der Nahtoderfahrung

Nach fünf Jahren Forschungsarbeit um die Nahtoderfahrung beschloss ich mich diesem Phänomen anders zu nähern und statt zum unzählig wiederholten Male die Betroffenen zu befragen ihre unmittelbar am nächsten stehenden Personen zu

interviewen. Hierbei machte ich eine für mich selbst absolut erstaunliche Entdeckung.

Einige Personen, welche die Nahtoderfahrung kennen gelernt haben erlebten die letzte Begegnung mit den Angehörigen, Geliebten oder tief Befreundeten auf eine telephatische Art und Weise. Diese anderen Personen hat noch nie jemand befragt,

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ernst genommen und wissenschaftlich untersucht. Oft haben diese Angehörigen Informationen fast aus dem Jenseits erhalten, weshalb die direkt Betroffenen

manchmal aus dem Leben nicht schieden, obschon sie das Nahtoderlebnis als eine solch positive Erfahrung erfuhren.

Ich führte in den Forschungsjahren über hundert Interviews, war mir sicher, dass ich etwas ganz Neues entdecken und dafür mindestens mit dem Nobelpreis honoriert werden würde. Ich wollte der Menschheit definitiv die Angst vor dem Sterben und dem Tod nehmen!

Im Rahmen meiner Studien kristallisierte sich heraus, dass ich mit all den Informationen, welche ich erhalten habe nicht weiter käme und ein Experiment durchführen musste, bei dem die Menschen, welche die eine Nahtoderfahrung erlebt hatten mit diesem Phänomen nochmals konfrontiert werden müssten, da sie

offensichtlich eine ganz spezifische Sensibilität aufwiesen, über welche die anderen Menschen nicht verfügten. Es handelte sich ausschiesslich um Menschen, welche sehr emotional dachten und sich verhielten.

So schrieb ich um die siebenundzwanzig besonders sensible Persönlichkeiten an, welche mir ihre Geschichte geschildert hatten und die Dank Personen aus ihrem Umfeld mit einer Nahtoderfahrung als Angesprochene konfrontiert wurden. Fünf Personen sagten mir schliesslich zu an einer erhellenden Gruppendiskussion teilnehmen zu wollen, weil sie mir gerne helfen wollten, der Menschheit das Leben nach dem Tod plausibel zu machen.

Ein halbes Jahr später war alles organisiert und Annika C., Jasmin E., Marcello H., Julia M. und Camille R. sassen in meinem gemietenen Kleinbus, um in die

französischen Berge zu fahren. Von meinem Vorhaben, ein Experiment mit ihnen durchführen zu wollen, wussten allerdings weder sie noch jemand anderes etwas.

Die Fahrt in die Alpes Haute für vier Tage und drei Nächte abseits von Hektik, Internetverbindungen, Telefonlinien und anderen Ablenkungsmöglichkeiten verlief äusserst ruhig. Sie kochten selbst, erzählten einander Geschichten und vertrauten einander alles an auf der Basis von den gemeinsamen Nahtoderfahrungen mit den Liebsten, oder den Menschen, welche ihnen damals äusserst viel bedeuteten. Ich befand mich als einziger Aussenstehender unter ihnen, aber dennoch fühlte ich mit und war sehr erpicht darauf die Faktoren zu erfahren, welche meine Vermutungen stützen würden. Meine Aufgabe war es herauszufiltrieren, was bei allen gleich war und wie sich das mit der von mir jahrelang erarbeiteten Theorie decken liess. Ich stellte fragen, nahm auf, filmte und schrieb. Ich stellte eine Haupthypothese auf, welche ich beweisen wollte - dies um jeden Preis, denn für mich stand viel, ja alles was mir erstrebenswert erschien, auf dem Spiel. Wenn es mir gelingen würde meine Hypothese stützen zu können, wäre ich in meinem jungen Alter auf einen Schlag weltberühmt.

Meine zentrale Hypothese lautete:

Ein Mensch, welcher aus zweiter Hand Informationen zum Leben nach dem Tod erhält als direkt Angesprochener von einer Person mit einer Nahtoderfahrung, wird dank guten Informationen keine Angst mehr vor dem Tod haben.

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Somit musste ich mit meinen Freiwilligen testen können, ob und in wie weit sie Angst vor dem Sterben selbst hatten, oder ob sie sich auf das Wiedersehen mit ihren nächsten Verstorbenen sogar freuten. Für die psychologische Forschung eine hoch interessante Frage, denn die Angst vor dem Sterben und dem Tod war und ist in unserer Gesellschaft ausserordentlich gross und bereitet den meisten Menschen unendlich viele Probleme. Meine Probanden machten einerseits aus reiner Neugier mit und anderseits auch wegen des Geldes, welches mir nach etlichen Bemühungen und Versprechungen eine Stiftung zur Verfügung gestellt hat, um das Phänomen zu erforschen.

Die Hütte auf dem Pass habe ich wochenlang vorher gründlich vorbereitet und alles dafür getan, dass sich meine Probanden wohl fühlen konnten. Ich war im Vorfeld des Experiments hier dreimal mit drei verschiedenen Partnerinnen gewesen und habe für mich alles simulativ durchgespielt. Meine Partnerinnen waren alle begeistert und entzückt von der Gemütlichkeit der Unterkunft und den Bike- und

Wandermöglichkeiten. Das Essen haben wir selbst hinauf gebracht und ich habe gesehen, dass es wichtig sein würde, alles so weit vorzubereiten, dass man vier Tage lang mit bloss einer Feuerstelle gut zurecht kam und genügend Mittel bei sich hatte. Nach zwei Tagen würde von mir dann plötzlich eine Person aus meiner Probandengruppe - so mein Plan - simulativ in den Tod geschickt werden und ich sollte Zeuge von einigen Nahtoderfahrungsscenarien werden. Die Personen, welche hier in den drei vorherigen Tagen so einen guten Rapport zueinander hergestellt hatten, könnten erleben und zeigen, dass jemand, oder einige, sicher mit dem Sterbenden ins Gespräch kommen und die Nahtoderfahrung evozieren würden.

Diesen Teil spielte ich natürlich nicht mit den Partnerinnen durch, welche die Unterkunft mit mir erprobten.

Aus unzähligen Interviews schien es mir, als die wenigen Menschen, welche eine Nahtoderfahrung bewusst erlebten, oder mit jemanden teilen konnten, über viele deckungsgleiche Eigenschaften verfügten würden.

Sie

1. liebten äusserst emotional, sensibel, intensiv, bedingungslos und

2. waren trotzdem bereit loszulassen, wenn sie dazu von der geliebten Person aufgefordert wurden

3. glaubten alles ihren innig Geliebten alles bedingungslos

4. waren bereit selbst mit den geliebten Menschen in den Tod zu gehen

5. hörten auf die Geliebten, wenn diese sie anwiesen, sich anders als vereinbart zu benehmen und benahmen sich entsprechend

6. konnten sich nicht einer neuen Person zuwenden, wenn die geliebte Person verstarb

Aus meinen unzähligen Interviews entnahm ich, dass die wenigen Menschen, welche eine Nahtoderfahrung mit jemanden Betroffenen teilen konnten, selbst generell

äusserst emotionale Personen waren, welche über viele deckungsgleiche Eigenschaften verfügten.

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Am vierten Morgen des echten Experiments und nachdem sich die kleine Gruppe sehr nahe kam und die Anwesenden einander intime Details anvertrauten, trafen sich, wie üblich, alle im mittleren Raum, wo das Frühstück gemacht und

eingenommen wurde. Annika war dran mit Frühstück zubereiten und die anderen kamen langsam aus ihren Zimmern hervor. Sie setzten sich auf die Stühle um den grossen Tisch herum.

Selbst gemachtes französisches Brot, Eier, Käse, Honig und Wurst aus der Gegend wurden auf den Tisch gelegt. Man wollte schon beginnen, doch Marcello fehlte noch - so wartete man geduldig. Als weitere zwanzig Minuten verstrichen sind und niemand mit dem Essen wagte zu beginnen, sagte Camille, sie wolle mal nach Marcello sehen, denn er sei ihr bislang so gar nicht als Langschläfer aufgefallen.

Als Camille den mittleren Speiseraum wieder betrat und die sich unterhaltenden Anderen unterbrach, zitterte sie am ganzen Leib. Mit bebender Stimme berichtete sie, dass Marcello leblos und nicht ansprechbar in ihrem Bett lag. Alle sprangen auf und begaben sich in Marcellos Zimmer - alle ausser mir. Ich suchte hastig mein Smartphon und begann zu filmen, bevor ich den anderen in Marcellos Zimmer folgte.

Nun kam mein Augenblick. Ich rechnete damit, dass alle - oder mindestens einige der Anwesenden - in Ohnmacht, oder in einen bewusstlosen Zustand fallen und mit Marcello Kontakt aufnehmen würden. Dann würde ich direkt bei einer

Nahtoderfahrung bei sein können und das Geheimnis dieser Pforte zum Tod

miterleben. Natürlich würde ich dann Marcello helfen können, falls er nicht von selbst wieder ins Leben zurückkommen sollte. Meine Ausrüstung diesbezüglich trug ich um meine Taille unter meinem langen Pulli versorgt und umgebunden in einem

Taschengürtel.

Nun galt es geduldig abzuwarten, auf die Uhr zu sehen und zu beobachten wann, wer, wie reagieren würde. Was geschah war so enttäuschend, dass ich nicht einmal daran gedacht hätte meine Mittel zur Wiederbelebung für Marcello hervorzunehmen.

Ich konnte es nicht fassen und hielt das Smartphon einfach auf das Bett mit dem darin liegenden Marcello gerichtet. Fassungslos und hilflos.

Die französische Polizei traf neunzig Minuten später ein und ich wurde mit

Handschellen festgenommen. Mein Smartphon wurde beschlagnahmt. Ich wurde nach Gap gefahren und dort verwahrt. Der Brigadier-chef-de police sah sich mit zwei anderen Polizisten meine Aufnahmen an. Man sah darauf Julia, die Fachkraft für Intensivpflege und Anästhesie, wie sie sehr professionell, rasch und erfolgreich an Marcello wiederbelebende Massnahmen anwendete, sie im Bett auf den Bauch drehte und erreichte, dass sich Marcello ergab und nach einer nachhaltigen,

professionell durchgeführten künstlichen Beatmung wieder langsam zu sich kam. Alle anderen ausser mir standen oder knieten neben ihm, hielten ihm den Kopf,

streichelten ihm über den Rücken oder stützten ihn.

Ich erinnerte mich, dass ich vollkommen ungläubig davor in der Ecke stand und nicht glauben konnte, dass so absolut gar nichts Aussergewöhnliches geschah.

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Epilog

Niemand ausser Marcello der hier Anwesenden hatte auch nur einen Hauch von der Nahtoderfahrung direkt oder indirekt erlebt.

Nach zwei Monaten erhielt ich ins Gefängnis eine Karte von Marcello. Drauf stand:

"Es ist schrecklich, was du mir und den anderen angetan hast und dennoch: Du hast recht gehabt. Ich habe nach meinem Erlebnis in den Alpes Haute keine Angst mehr vor dem Sterben und dem Tod, aber ich bin froh, dass ich leben darf. Den Rest darfst du eines Tages selbst erfahren."

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