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Minderjährige Kinder von Eltern(-teilen) mit psychischen Störungen oder Verhaltensstörungen

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Minderjährige Kinder von Eltern(-teilen) mit psychischen Störungen oder Verhaltensstörungen

Der Erwerb förderlicher Kompetenzen trotz herausfordernder Lebensbedingungen

Minor children of one parent (or parents) with mental disorders or behavioral disorders

The acquisition of beneficial competencies in spite of stressful living conditions

Masterarbeit

Fachhochschule FH Campus Wien

Masterstudiengang: Kinder und Familienzentrierte Soziale Arbeit

Vorgelegt von: Petar Vidovic, BA c 1610811026

Betreut von: Mag. (FH) Josef Schörghofer

Eingereicht am 08.09.2021

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Erklärung:

Ich erkläre, dass die vorliegende Masterarbeit von mir selbst verfasst wurde und ich keine anderen als die angeführten Behelfe verwendet bzw. mich auch sonst keiner unerlaubter Hilfe bedient habe.

Ich versichere, dass ich dieses Masterarbeitsthema bisher weder im In- noch im Ausland (einer Beurteilerin/einem Beurteiler zur Begutachtung) in irgendeiner Form als

Prüfungsarbeit vorgelegt habe.

Weiters versichere ich, dass die von mir eingereichten Exemplare (ausgedruckt und elektronisch) identisch sind.

Wien, am 08.09.2021

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Hvala vam

što ste me čitav moj život podržavali

i za sve čega ste se odrekli samo da bih meni dali.

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Zusammenfassung

Psychische Störungen oder Verhaltensstörungen sind für Eltern(-teile) mit zahlreichen Belastungen verbunden. Diese drücken sich in verschiedenen Defiziten aus, die sich direkt oder indirekt auch auf ihre minderjährigen Kinder auswirken können. Die elterliche Erkrankung stellt damit einen erheblichen Risikofaktor für die kindliche Entwicklung dar.

Allerdings kann die erfolgreiche Bewältigung von herausfordernden Lebenssituationen zum Erwerb förderlicher Eigenschaften und Kompetenzen bei den Kindern führen, weshalb die elterliche Erkrankung gleichzeitig ein Potenzial für persönliches Wachstum darstellt. Im Sinne des Resilienzkonzeptes können Schutzfaktoren einen protektiven Einfluss auf die Lebensverhältnisse von Kindern nehmen und die Wahrscheinlichkeit für eine gesunde Entwicklung erhöhen. Können Belastungsfaktoren ausreichend kompensiert werden, besteht die Möglichkeit, Kompetenzen und kreative Handlungsstrategien für die Bewältigung von Herausforderungen zu entwickeln. Auf der individuellen Ebene können dabei persönliche Stärken und soziale Fähigkeiten erworben werden, die in der Interaktion mit der Umwelt hilfreich sein können. Darüber hinaus können verschiedene Coping- Strategien entwickelt werden, die es den Kindern ermöglichen, spezifische Belastungssituationen erfolgreich zu bewältigen. Diese können konkrete, plangeleitet- lösungsorientierte Strategien darstellen, emotionsregulierende Funktionen haben oder soziale Ressourcen aktivieren. Diese potenziell erworbenen Kompetenzen sind allerdings entscheidend von Ausmaß und Dauer der zu bewältigenden Belastungen abhängig.

Langfristige Überforderung kann zu psychischem Zusammenbruch oder der Entwicklung von negativen Coping-Strategien führen, die sich in weiterer Folge negativ auf die kindliche Entwicklung auswirken können. Hohes Kohärenzgefühl und Unterstützung aus dem Familiensystem tragen dazu bei, Belastungen als Herausforderungen zu betrachten und potenzielle Ressourcen für eine aktive Bewältigung zu aktivieren. Eine offene Kommunikation innerhalb der Familie trägt bedeutend zur psychischen Entlastung und Förderung individueller Coping-Strategien bei. Vulnerabilitätsfaktoren und Risikofaktoren behindern dagegen erfolgreiche Bewältigungsprozesse massiv. Schutzfaktoren können die negative Wirkung von Belastungen teilweise kompensieren, wobei der Familie und anderen Bezugspersonen eine entscheidende protektive Wirkung zugeschrieben wird.

Schließlich können gezielte Interventionen den Einfluss von Defiziten vermindern und zur gesunden Entwicklung von minderjährigen Kindern beitragen.

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Abstract

Mental disorders or behavioral disorders are associated with numerous stresses for a parent (-parents). These express themselves in various deficits, that can have a direct or indirect effect on their underage children. The parental illness represents a considerable risk factor for child development. However, successful coping with challenging life situations can lead to the acquisition of beneficial characteristics and competencies in children, which is why parental illness simultaneously represents a potential for personal growth. In terms of the resilience concept, protective factors can have a protective influence on children's living conditions and increase the probability of healthy development. If stress factors can be sufficiently compensated, there is the possibility of developing competencies and creative action strategies for coping with challenges. On the individual level, personal strengths and social skills can be acquired, which can be helpful in the interaction with the environment. In addition, various coping strategies can be developed that enable children to successfully cope with specific stressful situations. These can represent concrete, plan- guided, solution-oriented strategies, have emotion-regulating functions, or activate social resources. However, these potentially acquired competencies are crucially dependent on the extent and duration of the stresses to be managed. Long-term excessive demands can lead to a psychological breakdown or the development of negative coping strategies, which can subsequently have a negative impact on child development. A high sense of coherence and support from the family system contribute to viewing stresses as challenges and to activate potential resources for active coping. Open communication within the family contributes significantly to psychological relief and the promotion of individual coping strategies. Vulnerability factors and risk factors, on the other hand, massively hinder successful coping processes. Protective factors can partially compensate the negative impact of stress, with the family and other caregivers ascribed a crucial protective effect.

Finally, targeted interventions can reduce the impact of deficits and contribute to the healthy development of minor children.

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ... 8

2. ICD-10: „Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“ Kapitel V: Psychische Störungen und Verhaltensstörungen ... 10

2.1 Geschichte der ICD-Diagnostik ... 10

2.2 ICD-10-Aufbau und Funktion ... 12

3. Epidemiologie ... 15

3. 1 Exkurs: Familiäre Transmission ... 17

4. Eltern(-teile) mit psychischen Störungen oder Verhaltensstörungen ... 19

4.1 Defizite der Erziehungsfähigkeit ... 21

4.2 Defizite der familiären Struktur ... 24

5. Kinder von Eltern(-teilen) mit psychischen Störungen oder Verhaltensstörungen ... 28

5.1 Belastungen und Gefühle der Kinder ... 31

5.2 Psychische Störungen und Verhaltensstörungen im Kindes- und Jugendalter ... 36

6. Resilienz ... 38

6.1 Wirkmechanismen ... 41

6.2 Risiko- und Schutzfaktoren ... 43

7. Methodik ... 45

8. Krise als Chance ... 47

9. Erworbene Kompetenzen von minderjährigen Kindern von Eltern(-teilen) mit psychischen Störungen oder Verhaltensstörungen ... 49

9.1 Coping-Strategien ... 52

9.1.1 Plangeleitet-lösungsorientierte Coping-Strategien ... 53

9.1.2 Emotionsregulierende Coping-Strategien ... 54

9.1.3 Soziale Unterstützung suchen ... 57

10. Voraussetzungen und familiäre Rahmenbedingungen für den Erwerb förderlicher Kompetenzen von minderjährigen Kindern ... 59

10.1 Voraussetzungen für den Erwerb förderlicher Kompetenzen ... 59

10.2 Familiäre Rahmenbedingungen für den Erwerb förderlicher Kompetenzen ... 64

11. Vulnerabilitäts- und Risikofaktoren ... 69

11.1 Vulnerabilitätsfaktoren ... 70

11.2 Risikofaktoren... 71

12. Schutzfaktoren ... 74

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12.1 Persönliche Schutzfaktoren ... 74

12.2 Soziale Schutzfaktoren ... 77

12.3 Exkurs: Prävention und Intervention ... 81

13. Resümee ... 83

14. Literatur ... 87

14.1 Online-Literatur ... 91

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8 1. Einleitung

Das Zusammenleben mit Eltern(-teilen) mit psychischen Störungen oder Verhaltensstörungen kann für Kinder mit bedeutenden und teilweise schwerwiegenden Belastungssituationen verbunden sein, die sich negativ auf das gesamte Leben auswirken können. Auf verschiedenen Ebenen wirkt die elterliche Erkrankung direkt oder indirekt auf die Minderjährigen ein und kann damit zu unterschiedlichen Entwicklungsdefiziten führen (vgl. Kuhn/Lenz 2008: 736). Demgegenüber steht das Entwicklungspotenzial, das mit der erfolgreichen Bewältigung von Belastungssituationen einhergehen kann. Unter Umständen lassen sich aus zunächst offensichtlich negativen Erlebnissen förderliche Eigenschaften und Handlungsstrategien ableiten, die sich in weiterer Folge positiv auf das Leben der betroffenen Kinder auswirken können (vgl. Wustmann 2004: 51). Welche Kompetenzen dabei erworben werden können und welche Faktoren diesen Prozess beeinflussen, sollen anhand folgender Forschungsfrage behandelt werden:

Welche in der Literatur beschriebenen Kompetenzen erwerben Minderjährige im Aufwachsen mit Eltern(-teilen), mit vorliegender Diagnose nach der aktuell gültigen Fassung der „Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10)“ Kapitel V: Psychische Störungen und Verhaltensstörungen?

Zusätzlich sollen die Voraussetzungen für den Erwerb förderlicher Kompetenzen herausgearbeitet werden. Darüber hinaus sollen die Faktoren, die diesen Prozess positiv sowie negativ beeinflussen, dargestellt werden. Diesbezüglich wird zu Beginn Bezug auf die ICD-10 genommen, da diese Arbeit auf psychische Störungen und Verhaltensstörungen eingeht, die im Kapitel V des internationalen Klassifikationssystems beschrieben werden. Neben der geschichtlichen Entwicklung werden Aufbau und Funktion der ICD-10 erläutert. Im darauf folgenden Kapitel wird die epidemiologische Verteilung einzelner psychischer Störungen in Österreich und der Europäischen Union dargestellt.

Dabei werden sowohl kindliche Auffälligkeiten als auch Erkrankungen im Erwachsenenalter verglichen und anschließend die familiäre Transmission von psychischen Erkrankungen zwischen den Generationen erläutert. Danach wird explizit auf Eltern(teile) mit psychischen Störungen oder Verhaltensstörungen eingegangen.

Diesbezüglich werden die für diese Arbeit relevantesten psychischen Störungen und die damit in Verbindung stehenden typischen Symptome beschrieben. Darüber hinaus werden

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9 krankheitsbedingte Defizite der Erziehungskompetenz und Defizite der familiären Struktur dargestellt. Das anschließende Kapitel beschäftigt sich schließlich mit typischen Belastungen von Kindern mit Eltern(-teilen) mit psychischen Störungen. Dabei werden zunächst allgemeine kindliche Bedürfnisse und die Bindungstheorie verschiedenen Formen der Kindesmisshandlung und Kindeswohlgefährdung gegenübergestellt. Danach wird Bezug auf typische Belastungen und Gefühle betroffener Kinder genommen, sowie auf psychische Störungen, die sich bereits im Kindes- und Jugendalter entwickeln. Im Anschluss wird das Resilienzkonzept in seiner theoretischen Struktur erläutert, da es fundamental mit dem Erwerb förderlicher Kompetenzen trotz belastender Lebensumstände in Verbindung steht. Das darauf folgende Kapitel beschreibt die Methodik und Logik der anschließenden Kapitel.

Der Ergebnisteil dieser Arbeit beschreibt zunächst den Zusammenhang zwischen der Bewältigung von Herausforderungen und dem Erwerb förderlicher Kompetenzen. Danach werden die in der Literatur beschriebenen Eigenschaften und Coping-Strategien dargestellt, die von Kindern im Zuge des Aufwachsens mit Eltern(-teilen) mit psychischen Störungen oder Verhaltensstörungen erworben werden konnten. Die Bewältigungsstrategien werden dabei hinsichtlich ihres Wirkungsbereichs differenziert.

Anschließend werden die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für den Erwerb förderlicher Kompetenzen dargestellt. Schließlich werden Faktoren erläutert, die einen positiven beziehungsweise negativen Einfluss auf die kindliche Entwicklung im Allgemeinen und damit auf die erfolgreiche Bewältigung von Belastungssituationen haben.

Im Schlussteil werden die Ergebnisse zusammengefasst, wobei die auch Grenzen und Lücken der getroffenen Aussagen thematisiert werden.

(10)

10 2. ICD-10: „Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“ Kapitel V: Psychische Störungen und Verhaltensstörungen

Psychische Störungen, Verhaltensstörungen und die Definition von „psychisch gesund“

lassen sich nicht immer eindeutig trennen. Beispielsweise erlebt ein Großteil aller Menschen phasenweise depressive Symptome wie Traurigkeit oder Antriebslosigkeit, oft im Zusammenhang mit belastenden Lebensereignissen. Von einer depressiven Störung spricht man allerdings erst, wenn diese Symptome eine bestimmte Zeitspanne, Intensität, Kontinuität und persönlichen Leidensdruck erreichen (vgl. Hoyer/Wittchen Hoyer 2011:

880). Menschen werden daher immer individuell betrachtet, wobei verschiedene Facetten der Persönlichkeit und belastende Lebensbedingungen miteinbezogen werden müssen.

Dennoch gibt es in der persönlichen Individualität jedes betroffenen Menschen Eigenschaften, die mit anderen Betroffenen geteilt werden und sich zu bestimmten Krankheitsbildern zusammenfassen lassen. Die Einordnung beziehungsweise Klassifikation von Verhaltensmustern ermöglicht es, Aussagen über Ursache und Verlauf aufzustellen und bildet damit die Legitimationsgrundlage für Interventionen wie Psychotherapie oder medikamentöser Einstellung (vgl. Paulitsch 2009: 16). Merkmale einzelner psychischer Störungen beziehungsweise Verhaltensstörungen sind dabei wissenschaftlich nicht eindeutig abgeschlossene Definitionen. Vielmehr stellen sie ein für Forschung und Praxis nützliches Konstrukt dar, in denen aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zu momentan bestmöglichen Lösungen zusammengefasst sind. Demnach können Definitionen durch neue Erkenntnisse adaptiert und verändert werden (vgl.

Hoyer/Wittchen 2011: 7-8).

2.1 Geschichte der ICD-Diagnostik

Erklärungen zu psychischen Erkrankungen unterlagen auch in der Vergangenheit einem ständigen Wandel. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden psychische Störungen und Verhaltensauffälligkeiten als Krankheiten des Gehirns und der Psyche erkannt und dementsprechend behandelt. Bis dahin wurden Betroffene als von Dämonen besessene oder Verbrecher betrachtet, weshalb mit religiösen Ritualen und der Verwahrung in Gefängnissen reagiert wurde. Mit zunehmender Bedeutung der Naturwissenschaften änderte sich die Betrachtungsweise. Betroffene Menschen wurden immer mehr als Erkrankte wahrgenommen, die, wie körperlich geschwächte, auf Hilfe angewiesen waren.

In weiterer Folge entwickelte sich ein immer differenzierterer Blick auf Ausprägungsformen und mögliche Ursachen von psychischen Verhaltensauffälligkeiten. Als Gemeinsamkeit

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11 klassischer Klassifikationen lässt sich das „triadische System“ von Ursachen psychischer Störungen definieren. Darin wurden drei Bereiche unterschieden. Exogene Störungen waren Zustandsbilder, denen äußere Ursachen zugeschrieben werden können, etwa Viruserkrankungen, die das Gehirn schädigten und auffällige Verhaltensmuster auslösen konnten. Endogene Erkrankungen hatten ihren Ursprung im Inneren der Betroffenen, womit biologische und genetische Belastungen gemeint waren. Psychische Störungen hingegen wurden psychodynamischen Ursachen zugeschrieben. Belastende Ereignisse im Leben der Betroffenen lösten als entsprechende Reaktion kurz- und langfristig bestimmte Verhaltensauffälligkeiten aus. Allerdings ließ sich die klare Trennung der Auslöser psychischer Störungen wissenschaftlich nicht halten. Heute geht man von einer multifaktoriellen Krankheitsverursachung aus, worin operationalisierte Diagnosekriterien in Bezug auf Symptome und deren Verlauf angewendet werden. Das Operationalisierungsprinzip wird heute als Trennlinie zwischen klassischen Klassifikationssystemen und moderner Diagnostik betrachtet (vgl. Paulitsch 2009: 23-26).

Seit den 1970er-Jahren wuchs der Druck auf psychotherapeutische Verfahren, ihre Wirksamkeit nachzuweisen. Psychologische Diagnosemethoden wurden aufgrund ihrer mangelnden wissenschaftlichen Validität und Reliabilität kritisiert. Dies löste eine Legitimationskrise der Diagnostik und Klassifikation aus, was unter anderem zur Entwicklung des „Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen“

(heute DSM-5) und in weiterer Folge dessen Implementierung in der „Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“ (heute ICD-10) führte. Aus diesen Gründen wurde 1992 in einer ersten Tagung der „Society for Psychotherapy Research“ in Berkeley (Kalifornien) beschlossen, relevante diagnostische Methoden zusammenzufassen und die darin teils vieldeutigen Begriffe und konkurrierenden Konzepte zu operationalisieren. In weiterer Folge wurde ab 1993 in regelmäßigen Arbeitskreisen von deutschsprachigen Expert/innen die operationalisierte psychodynamische Diagnostik (OPD) entwickelt und 1996 erstmals veröffentlicht. 2006 erschien eine überarbeitete Version, die OPD 2 (vgl. Benecke et al. 2018: 374-377).

Die OPD ist ein diagnostisches Instrument mit dem Ziel, die Vielschichtigkeit von Patient/innen zu erfassen, um eine individuelle Behandlung zu ermöglichen. In einem bis zu zweistündigen Erstgespräch werden Personen anhand von standardisierten Fragen auf fünf voneinander unabhängigen Achsen eingeschätzt, um ein komplexes Gesamtbild zu schaffen. Die erste Achse bezieht sich auf das Krankheitserleben und die Behandlungsvoraussetzungen, wobei vorhandene Ressourcen und der persönliche Leidensdruck thematisiert werden. Die zweite Achse beinhaltet Fragen zu Beziehungen des Analysanden/der Analysandin. Neben persönlichen Beziehungen wird auch die

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12 Beziehung zwischen Klinker/in und Patient/in thematisiert, wobei Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomene berücksichtigt werden. In der dritten Achse werden die inneren Konflikte analysiert. Die vierte Achse thematisiert das Strukturniveau. Dieses beschreibt die Fähigkeit, die inneren und äußeren Reize zu differenzieren, einzuordnen und zu integrieren. Die fünfte Achse verknüpft die persönliche Symptomatik mit den Klassifikationen der ICD-10 und definiert die klinisch im Vordergrund stehenden psychischen Störungen (vgl. Dettmer/Wolf 2018: 380-381).

Grundlage der heutigen ICD-10 war das internationale Todesursachenverzeichnis aus dem Jahr 1893. 1948 erweiterte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) diese mit Klassifikationen zu Krankheiten und Verletzungen und veröffentlichte die sechste Revision, die ICD-6, welche in weiterer Folge alle 10 Jahre überarbeitet wurde (vgl. Hoyer/Wittchen 2011: 41). Im Mai 2019 wurde die letzte Revision, die ICD-11 von der WHO verabschiedet.

Diese tritt Anfang 2022 in Kraft, wobei sie erst nach einer Übergangszeit von fünf Jahren zum verpflichtenden Klassifikationsinstrument im deutschsprachigen Raum wird (vgl.

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte). Damit ist die ICD-10 (in Österreich die ICD-10 BMASGK 2020) die aktuelle und gültige Fassung. Bis dahin orientierten sich vorherige Versionen der ICD an traditionellen Klassifikationen, die erst mit der Veröffentlichung des DSM-3 im Jahr 1980 abgelegt wurden. Das amerikanische DSM-3 stellte einen Paradigmenwechsel in der psychologischen Diagnostik dar, da es alle empirisch unzureichend gestützten Annahmen ablehnte und sie durch methodisch standardisierte Befunderhebungen ersetzte. Dabei orientierten sich Erhebungen ähnlich wie die OPD an fünf voneinander getrennten Achsen, wobei diese nicht ident sind.

Außerdem wurde die Ableitung von Diagnosen expliziter, sodass sich der Interpretationsspielraum von Symptomen verkleinerte. Die heute gültige Fassung der ICD- 10 übernimmt diese Prinzipien zum großen Teil. Allerdings wird darin im Gegensatz zum DSM-6 der Verlauf einer Erkrankung kaum thematisiert, weshalb die WHO Erweiterungen für die ICD-10 erarbeitet hat, etwa die „Classification of Functioning, Disability and Health“- (ICF). Darüber hinaus gibt es Handbücher der WHO, um die beiden Klassifikationssysteme gegenkodieren zu können (vgl. Hoyer/Wittchen 2011: 39-41).

2.2 ICD-10-Aufbau und Funktion

Die ICD-10 ist das weltweit wichtigste Klassifikationssystem von Krankheiten. Jede bekannte Erkrankung wird mittels Buchstaben (A-U) einer Hauptkategorie zugeordnet. Die einzelnen Kategorien werden durch eine bis zu fünfstellige Zahl weiter in Subkategorien unterteilt. Dadurch ergeben sich Codes, die vorliegende Erkrankungen diagnostisch immer

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13 weiter einschränken. Kliniker/innen können beziehungsweise müssen Symptome damit diagnostisch standardisierten Störungen beziehungsweise Syndromen zuschreiben (vgl.

Hoyer/Wittchen 2011: 39-44). Als Symptome werden Anzeichen von Erkrankungen bezeichnet, die sich in Form von körperlichen oder psychischen Auffälligkeiten ausdrücken können. Symptome können vielfältige Ausprägungen haben und sind für sich alleine nicht pathologisch, sondern müssen immer in Bezug zum allgemeinen Gesundheitszustand gebracht werden. Syndrome bezeichnen einen Komplex von Symptomen, die gemeinsam auftreten (vgl. Paulitsch 2009: 31-32).

Die ICD-10 differenziert zwischen 22 Hauptkategorien von Erkrankungen. Der Großteil davon wird in Subkategorien und weiter mit Zusatzspezifikationen unterteilt. Dadurch ergibt sich eine lange Aufzählung von spezifischen Diagnosen, die jeweils einem genau definierten Code zugeschrieben werden. Im Kapitel V „Psychische Störungen und Verhaltensstörungen“ werden Erkrankungen mit den Codes F00-F99 klassifiziert. Die darin beschriebenen Krankheiten sind in ihren Ursachen und Symptomen dennoch sehr heterogen. Das Kapitel beinhaltet unter anderem neuronale Schäden wie etwa Demenz, aber auch substanzbedingte psychische Auffälligkeiten und affektive Störungen, worunter beispielsweise Depressionen fallen. Daher werden verwandte Störungen zu Untergruppen zusammenfasst, etwa „Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen“ mit den Klassifikationen F60-F69. Die darauf folgenden Subkategorien (F70-F79 und F80-F89) beziehen sich speziell auf psychische Störungen, die sich bereits im Kindes- und Jugendalter entwickeln und zeigen. Dazu zählen etwa Entwicklungsstörungen. Den Abschluss stellen nicht näher bezeichnete psychische Störungen dar, die mit F99 klassifiziert werden (vgl. BMSGPK 2020: 201-247).

Im Gegensatz zu früheren Ausgaben, in denen vermehrt von „psychischen Krankheiten“

gesprochen wurde, wird in der ICD-10 der Begriff „Störung“ verwendet. Dieser drückt die Komplexität von Symptomen und Verhaltensauffälligkeiten aus und verbindet individuelle Belastungen mit psychosozialen Auswirkungen. Krankheit als Konzept wird mit relativ genauer Ätiologie, Verlauf und Therapie in Verbindung gebracht. „Störungen“ weisen hingegen darauf hin, dass viele psychische Phänomene noch zu wenig erforscht sind, um sie als eindeutig abgrenzbare Krankheiten zu definieren (vgl. Paulitsch 2009: 74). Dennoch bilden die Klassifikation und demnach die Zuschreibung von Verhaltensauffälligkeiten zu einem bestimmten Krankheitsbild die Grundlage für die Beschreibung von Zusammenhängen und damit für Diagnose und Therapie. Die Festlegung auf eine bestimmte Diagnose erfüllt eine Reihe von Funktionen:

o Deskriptive Funktion: Identifikation und Zuordnung von psychischen Störungen.

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14 o Klassifikatorische Funktion: Einteilung in ein gegliedertes System, wodurch in

weiterer Folge Merkmale und Diagnosen abgeleitet werden können.

o Indikation: Auswahl einer bestimmten Behandlung, Methode und Strategie.

o Ätiologische und Erklärungsfunktion: Erklärung von Ursachen und Auslösern von psychischen Störungen.

o Prognostische Funktion: Aufstellung einer Prognose über Krankheitsverlauf und Therapieerfolg.

o Kontroll- und Steuerungsfunktion: Therapie ist nicht nur der Beginn, sondern gleichzeitig ein Prozess, der im Laufe der Behandlung evaluiert wird.

o Dokumentation: Erfassung von Ausgangspunkt und Verlauf, um rechtliche und ethische Legitimation nachzuweisen.

o Therapeutische Funktion: Erkenntnisse und Wissen über die psychische Störung ermöglichen Reflexionsprozesse und das Erwerben von Bewältigungsstrategien für Patient/innen

(vgl. ebd.: 17-19).

Komorbidität bezeichnet das gleichzeitige Auftreten mehrerer psychischer Störungen beziehungsweise Verhaltensstörungen. Diese Betrachtungsweise ermöglicht eine differenzierte Diagnostik und Behandlung von komplexen Syndromen und wurde erst mit der letzten Revision, der ICD-10, eingeführt. Klinker/innen differenzieren dabei, abhängig von Intensität und Präsenz von Symptomen, zwischen Haupt- und Nebendiagnosen. Die Unterteilung von Krankheitsbildern führte zu einem quantitativen Anstieg von Diagnosen (vgl. ebd.: 69). Die Häufigkeit und Verteilung von psychischen Störungen wird im folgenden Kapitel behandelt.

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15 3. Epidemiologie

Epidemiologie beschreibt die räumliche und zeitliche Verteilung von Gesundheit und Krankheit in einer definieren und abgegrenzten Population. Sie beschäftigt sich neben der Häufigkeit auch mit dem Verlauf und der Mortalität von Erkrankungen. Dabei erstreckt sich ihr Aufgabenbereich über die Deskription hinaus, um den Versorgungsbedarf zu evaluieren und in weiterer Folge Konsequenzen für Gesundheits- und Sozialsysteme ableiten zu können (vgl. Hoyer/Wittchen 2011: 58-59).

Die epidemiologische Erfassung von Kindern mit psychischen Störungen oder Verhaltensstörungen gestaltet sich schwierig. Grund dafür ist der Zusammenhang zwischen elterlichen Erkrankungen und deren Einfluss auf ihre Kinder. Psychische Störungen und Verhaltensstörungen von Eltern(-teilen) implizieren grundsätzlich eine Auswirkung auf das gesamte Familiensystem und damit auf alle beteiligten Minderjährigen.

Die elterliche Erkrankung wird als bedeutendster Risikofaktor für die Entwicklung von psychischer Symptomatik bei Kindern angesehen (vgl. Lenz/Wiegand-Grefe 2017: 1). In Anbetracht dessen beschäftigt sich die Epidemiologie mit verschiedenen Perspektiven.

Neben der Häufigkeit von psychischen Störungen im Erwachsenenalter muss erfasst werden, wie viele Kinder betroffene Personen haben und welcher Anteil der Minderjährigen bereits eigene Erkrankungen entwickelt hat (vgl. Lenz/Wiegand-Grefe 2017: 1).

Die medizinische Universität Wien veröffentlichte Ende 2017 eine groß angelegte repräsentative Studie, in der die Ein-Jahres-Prävalenz von Erwachsenen mit psychischen Erkrankungen in Österreich erfasst wurde. Darin wurden 1.008 Person im Alter zwischen 18 und 65 Jahren statistisch analysiert. 22,7 % der befragten Personen berichteten von zumindest einer, nicht näher konkretisierten, psychischen Erkrankung. Männer waren mit 20,3 % im Vergleich zu Frauen (25,1 %) etwas seltener betroffen (vgl. Wancata 2017: 159).

Werden einzelne psychische Störungen differenzierter betrachtet, sind neurotische Störungen, Belastungsstörungen- und somatoforme Störungen (F4) mit 13,9 % am häufigsten vertreten. Affektive Störungen (F3) bilden mit 11,6 % die zweitgrößte Gruppe, gefolgt von Substanzmissbrauch beziehungsweise Abhängigkeit (F1) mit 5,0 %. Einzelne psychische Störungen wurden dabei ganz explizit erfasst. 5,7 % der Befragten erlebten in der beobachteten Zeit eine depressive Episode, 4,4 % litten unter mehreren Episoden.

Alkoholmissbrauch (4,0 %) und Abhängigkeit (3,5 %) wurden ebenfalls genau analysiert (vgl. ebd.: 17). Frank Jacobi und Hans-Ulrich Wittchen (2005) analysierten in einer Metastudie verschiedene nationale Befunde, um sie für eine europäische Prävalenz von psychischen Störungen zusammenzufassen. Die Rahmenbedingungen waren mit denen der Wiener Studie gleichgesetzt. (18-65 Jahre alt; Ermittlung der Ein-Jahres-Prävalenz).

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16 Allerdings unterscheiden sich die Studien in der Zahl der analysierten Personen deutlich.

Die europäische Studie erfasste 70.000 Menschen und stellte fest, dass etwa ein Drittel aller Erwachsenen im vergangenen Jahr von psychischen Störungen betroffen waren. Die Häufigkeiten waren ähnlich aufgestellt, wobei diese nach dem DSM-4 klassifiziert wurden.

12 % litten an Angststörungen, 7 % an depressiven, 6 % an somatoformen Störungen.

Substanzabhängigkeiten wurden mit 3 % erfasst, wobei die Nikotinsucht ausgenommen war (vgl. Jacobi/Wittchen z.n. Hoyer/Wittchen 2011: 70).

Mit der „Mental Health in Austrian Teenagers“ Studie wurden das erste Mal verlässliche und umfangreiche Daten zu psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen in Österreich präsentiert. Die Studie wurde 2017 von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Medizinischen Universität Wien und dem Ludwig Boltzmann Institut Health Promotion Research durchgeführt (vgl. Zeiler 2018: 4). Darin wurden 3.615 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 10 und 18 Jahren befragt, wobei das DSM-5 als Klassifikationssystem für psychische Störungen herangezogen wurde. 37,95 % der männlichen Kinder und Jugendlichen gaben an, bereits unter einer psychischen Symptomatik gelitten zu haben. Entwicklungsstörungen waren dabei mit 15,41 % am häufigsten vertreten, gefolgt von Angststörungen (9,52 %) und Störungen des Sozialverhaltens (7,44 %). Bei weiblichen Kindern und Jugendlichen zeigten sich psychische Störungen anderes gewichtet. Am häufigsten wurden Angststörungen (19,53

%) und depressive Störungen (5,84 %) genannt. Insgesamt lagen sie mit 34,41 % signifikant unter den männlichen Gleichaltrigen. Die Studie erfasste ebenfalls, dass ein Großteil der Patient/innen mit Entwicklungsstörungen (63,4 %) bereits in Behandlung war, hingegen nur 41,7 % der depressiv erkrankten Kinder und Jugendlichen und lediglich 16,7

% der suizidalen Patent/innen bis dato Hilfe in Anspruch genommen hatten. Gleichzeitig würde sich etwa die Hälfte der Befragten mehr Hilfsangebote wünschen, was allerdings unter anderem auch an ökonomischen Gründen scheiterte, da die Kosten einer Therapie für viele Familien zu hoch waren (vgl. Kienbacher 2017: 496).

Abschließend sollen hier die letzten Ergebnisse der „Befragung zum seelischen Wohlbefinden und Verhalten- BELLA“ erläutert werden. Sie stellt mit 2.863 teilnehmenden Familien, welche in insgesamt fünf Erhebungen analysiert wurden, die umfangreichste Studie zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen im deutschsprachigen Raum dar. Darin wurden Familien in Deutschland befragt, die zu Beginn der Erhebung Kinder im Alter zwischen 7 und 17 Jahren hatten. Die Ergebnisse lassen sich mit den Zahlen der bereits genannten Studien vergleichen. Insgesamt zeigten 21,9 % aller Kinder und Jugendlichen psychische Auffälligkeiten. Differenzierter betrachtet waren Angststörungen mit 10,0 % am häufigsten vertreten, gefolgt von Störungen des

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17 Sozialverhaltens (7,6 %) und depressiven Störungen (5,4 %). Neben der Häufigkeit wurden ebenfalls Risikofaktoren für die Entwicklung einer psychischen Auffälligkeit erhoben, wobei ein ungünstiges Familienklima und ein niedriger sozioökonomischer Status als bedeutendste Faktoren genannt wurden. Um gegenwirkende Schutzfaktoren zu erfassen, werden im Rahmen der „BELLA-Studie“ wiederholt Nachbefragungen mit den teilnehmenden Familien durchgeführt (vgl. Bettge et al. 2007: 872-873).

3. 1 Exkurs: Familiäre Transmission

In vielen Studien konnte nachgewiesen werden, dass Kinder von Eltern(-teilen) mit psychischen Störungen oder Verhaltensstörungen ein deutlich erhöhtes Risiko haben, die elterliche Erkrankung im Laufe ihres Lebens selbst zu entwickeln. Die Lebenszeitprävalenz der Allgemeinbevölkerung in Deutschland, eine Schizophrenie auszuprägen, beträgt etwa 1 %. Bei Kindern von schizophren erkrankten Eltern beträgt sie hingegen 13 %. Ähnlich verhält es sich mit anderen psychischen Störungen. Das Risiko von Kindern mit depressiv erkrankten Eltern, selbst eine Depression zu entwickeln, ist im Vergleich zur Gesamtbevölkerung mehr als verdoppelt (vgl. Mattejat 2008: 76). Angst- und Zwangserkrankungen verhalten sich ähnlich wie Depressionen. Die Lebenszeitprävalenz von betroffenen Kindern eine entsprechende Erkrankung zu entwickeln, ist hier ebenfalls doppelt so hoch wie die der restlichen Bevölkerung (vgl. Lenz/Wiegand-Grefe 2017: 31).

Allerdings erhöht sich durch eine psychische Störung der Eltern(-teile) nicht ausschließlich das Risiko, dieselbe Erkrankung zu entwickeln. Die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung von psychischen Störungen und Verhaltensstörungen ist allgemein erhöht. Kinder von depressiv erkrankten Eltern(-teilen) haben ein vierfach höheres Risiko, im Laufe ihres Lebens psychische Auffälligkeiten zu entwickeln, als Kinder von psychisch gesunden Eltern (vgl. Mattejat 2008: 78). Lenz/Wiegand-Grefe (2017) geben die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung bei Kindern von Eltern(-teilen) mit einer Angststörung mit fünf- bis sechsmal höher als in der Gesamtbevölkerung an (vgl. Lenz/Wiegand-Grefe 2017: 31-32).

Fritz Mattejat (2008) beziffert das Risiko der Kinder von Eltern mit nicht näher differenzierten psychischen Störungen, im Laufe ihres Lebens selbst psychische Auffälligkeiten zu entwickeln, mit 60 % (vgl. Mattejat 2008: 79).

Die Gründe für familiäre Transmission können dabei vielseitig sein. Grundsätzlich lassen sich genetische Faktoren und Umweltfaktoren unterscheiden. Avshalom Caspi (2003) konnte einen signifikanten Zusammenhang zwischen einer Depressionsentwicklung nach belastenden Lebensereignissen und der individuellen Ausprägung des Serotonin Transporter-Gens feststellen (vgl. Caspi 2003, zit.n. Lenz/Wiegand-Grefe 2017: 9-10). Die

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18 Gene eines Menschen können verschiedene Formen annehmen. Deren unterschiedliche Ausprägungen werden in der Humangenetik als Allele bezeichnet und können sich etwa auf die Länge einzelner Genstränge beziehen (vgl. Buselmeier/Tariverdian 2006: 90). In der Studie konnte festgestellt werden, dass Personen mit kurz ausgeprägten Gensträngen des Serotonin Transporter-Gens deutlich häufiger Depressionen nach belastenden Lebensereignissen entwickelten als Menschen mit langen Gensträngen. Gleichzeitig wird allerdings betont, dass lediglich die Vulnerabilität vererbt wird und damit die Empfindlichkeit auf positive sowie negative Umwelteinflüsse. Genetik kann daher nicht isoliert betrachtet, sondern muss in Zusammenhang mit sozialen Faktoren gesetzt werden (vgl.

Lenz/Wiegand-Grefe 2017: 9-10). Mattejat (2008) schrieb Genetik und Umwelteinflüssen eine etwa gleich große Bedeutung zu. Das bedeutet, dass die psychische Erkrankung eines Eltern(-teils) keine Zwangsläufigkeit für die Entwicklung eigener Störungen impliziert.

Den Umweltfaktoren kommt damit eine besonders große Bedeutung für die kindliche Entwicklung zu (Mattejat 2008: 83-84).

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19 4. Eltern(-teile) mit psychischen Störungen oder Verhaltensstörungen

Alle Menschen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, Konflikte und Belastungen im Leben zu bewältigen. Dabei schwanken diese Kompetenzen jeder einzelnen Person über ihre Lebensspanne hinweg und sind von der jeweiligen Entwicklungsphase beziehungsweise der individuellen Gesamtsituation abhängig. Sind Menschen in der Lage, sich den wechselnden Anforderungen anzupassen und ihre elementaren Funktionsaufgaben im Alltag zu erfüllen, können sie als psychisch gesund bezeichnet werden. Von einer psychischen Störung spricht man dagegen, wenn klinisch bedeutsame Symptome oder Verhaltensmuster auftreten, die mit Beeinträchtigungen in einem oder mehreren wichtigen Lebensbereichen verbunden sind. Diese müssen sich allerdings von natürlichen Reaktionen auf spezifische Auslöser, beispielsweise dem Tod einer nahen Bezugsperson, sowie generell normabweichendem Verhalten, etwa in politischer oder religiöser Hinsicht, trennen lassen (vgl. Hoyer/Wittchen 2011: 8-9). Eltern(-teile) mit psychischen Störungen oder Verhaltensstörungen sind häufig mit einer Reihe dieser Beeinträchtigungen konfrontiert. Obwohl die unterschiedlichen Störungen der ICD-10:

Kapitel V ein breites Spektrum von Symptomen aufweisen, lassen sich einige allgemeine Aussagen in Bezug auf charakteristische elterliche Verhaltensweisen treffen. Diese sind gekennzeichnet durch:

 emotionale Instabilität und wechselnde Affekte,

 inkonsistenten Erziehungsstil,

 Beeinträchtigung der Empathie und Aufmerksamkeit gegenüber sich oder den Kindern sowie

 Desorganisation in verschiedenen Bereichen des alltäglichen Lebens (vgl. Jungbauer/Klein 2016: 181).

Trotz dieser Überschneidungen sollen einige psychische Störungen expliziter dargestellt werden. Angststörungen und neurotische Störungen sind bei Erwachsenen in Österreich am häufigsten vertreten (vgl. Hoyer/Wittchen 2011: 70). Angststörungen gehören zur Gruppe der „Neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen“. Sie werden mit F40-F48 gekennzeichnet und beziehen sich auf verschiedene Formen von Phobien vor objektiv gesehen ungefährlichen Dingen oder Situationen. Dabei können Ängste auf spezifische Reize beschränken sein oder generalisiert für unbestimmte Umgebungsbedingungen auftreten (vgl. BMSGPK 2020: 218-219). In experimentellen Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass Mütter mit Angststörungen sehr häufig ihre ambivalenten oder unsicheren Gefühle auf die Kinder übertragen (vgl. Lenz

(20)

20 2017: 31). Aus diesem Grund steigt die Wahrscheinlich für betroffene Kinder, internalisierende Störungen zu entwickeln. Neben gesundheitlichen Problemen zeigen sie gehäuft eigene Ängste oder depressive Verstimmungen, weshalb Angststörungen und Depressionen in vielen Fällen gemeinsam auftreten (vgl. Hahlweg et al. 2008: 93).

Verschiedene Formen der Depression werden mit F32-F33.9 klassifiziert und gehören zu den „Affektiven Störungen“ F30-F39. Dabei werden depressive Symptome zunächst hinsichtlich Schweregrad, Verlauf und Dauer differenziert und in weiterer Folge anhand ihrer Ausprägungsformen spezifischen Diagnosen zugeordnet (vgl. BMSGPK 2020: 213- 216). Die einzelnen Formen können sich teilweise gravierend voneinander unterscheiden.

Dennoch lassen sich einige grundlegende Eigenschaften definieren, die für den überwiegenden Teil gültig sind. Das zentrale Merkmal der Störung ist eine depressive Verstimmung der Betroffenen. Die pessimistische oder gedrückte Gefühlslage beziehungsweise die Gefühlslosigkeit werden dabei häufig als kaum aufhellbar und scheinbar ausweglos erlebt. Anfangs normale Traurigkeit als Reaktion auf belastende Reize verliert mit der Zeit ihren Bezug, wobei lediglich das negative Gefühl präsent bleibt und zunehmend auf alle Lebensbereiche Einfluss nimmt. Weitere typische Symptome sind gehemmter Antrieb und Energielosigkeit, die mit schneller Erschöpfung einhergehen.

Diese können sich auf die Vokalisierung und Motorik auswirken, weshalb das leise und monotone Sprechen sowie langsame und zeitlich verzögerte Bewegungen charakteristisch sind. Kennzeichnend sind auch wiederkehrende Denkstörungen. Schwarz-Weiß-Denken, Einfallsarmut und Grübeln, wobei Gedanken sich im Kreis drehen, sind dabei typische Ausprägungen. Diese können zu Konzentrationsstörungen oder Schwierigkeiten bei der Entscheidungsfindung führen. Daher schwanken betroffene Eltern(-teile) häufig zwischen scheinbarer Interessenlosigkeit und überfürsorglichem Verhalten gegenüber ihren Kindern.

Depressive Störungen werden in vielen Fällen von einer Reihe negativer Emotionen begleitet, etwa innerer Unruhe, Hilfs- und Hoffnungslosigkeit, unbestimmten Ängsten oder hoher Irritierbarkeit. Darüber hinaus treten im Zusammenhang mit Depressionen ebenfalls vegetativ-somatische Symptome wie Schlaflosigkeit oder Appetitverlust auf (vgl. Hahlweg et al. 2008: 120-121, Heitmann 2013: 100-103). Schließlich müssen der Suizidversuch beziehungsweise der vollendete Suizid als schwerwiegendste Folgen depressiver Störungen betrachtet werden, da sich diesbezüglich ein signifikanter Zusammenhang herstellen lässt (vgl. Hoyer/Wittchen 2011: 889).

Schizophrenie wird der Klassifikation F20 zugeschrieben und stellt das wichtigste Krankheitsbild der Gruppe F20-F29 „Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen“

dar. Sie wird durch Störungen des Denkens und der Wahrnehmung charakterisiert, wobei auch Affektstörungen auftreten können. Betroffene erleben ihre Gedanken dabei häufig als

(21)

21 unorganisiert und unverständlich. Das rationale Denken ist in vielen Fällen nur schwer möglich. Darüber hinaus kommt es typischerweise zu Veränderungen der Wahrnehmung, etwa Halluzinationen von nicht existenten Personen oder Stimmen (vgl. BMSGPK 2020:

209). Dabei können Wahnvorstellungen auftreten, wobei feste Überzeugungen trotz gegenteiliger Beweise aufrechterhalten werden (vgl. Hoyer/Wittchen 2011: 800). Aufgrund dieser Problematiken wirken Betroffene auf ihr Umfeld unkontrollierbar und unberechenbar. Außerdem kann es im Zuge von Verzerrungen der inneren und äußeren Wahrnehmung zu Wesensveränderungen kommen. Die ambivalente Persönlichkeitsstruktur führt häufig zu Brüchen mit Sozialkontakten, was in weiterer Folge mit vermehrten Trennungen, Jobwechseln oder Umzügen verbunden sein kann (vgl.

Kuhn/Lenz 2008: 742-743).

Schließlich beschreiben „Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen (F10-F19) typische Verhaltensmuster, die mit abhängigkeitserzeugenden Substanzen wie Drogen oder Alkohol in Verbindung stehen. Dabei beziehen sie sich einerseits auf Zustandsbilder während oder nach akutem Rausch, sowie andererseits auf allgemeine Abhängigkeits- oder Entzugserscheinungen (vgl. BMSGPK 2020: 206-207).

Schrappe (2008) verweist in diesem Zusammenhang auf die Vergleichbarkeit von Belastungen und Hilfsbedarf bei Alkoholerkrankungen und psychischen Störungen (vgl.

Schrappe 2008: 163). Eine Alkoholabhängigkeit ist häufig das bestimmende Element in Suchtfamilien. Der Konsum und die damit verbundenen Belastungen wirken sich auf das alltägliche Leben aller Familienmitglieder aus. Aufgrund des zum Teil sehr ambivalenten Konsumverhaltens und der wechselnden Alkoholisierungsgrade, können Kinder ihre Eltern(-teile) mit zwei gravierend voneinander abweichenden Gesichtern erleben.

Abhängig davon, ob ein Elternteil aktuell „trocken“ ist oder nicht, wird dieser als positiv beziehungsweise negativ erlebt. Dies kann unter anderem zu inkonsistentem Erziehungsverhalten führen, welches sich etwa durch Sprünge zwischen übermäßiger Strenge einerseits und die plötzliche Rücknahme bereits gesetzter Grenzen andererseits auszeichnet (vgl. Zobel 2017: 22-44).

4.1 Defizite der Erziehungsfähigkeit

Krankheitsbedingte Veränderungen von elterlichem Verhalten und elterlichen Wahrnehmungen können sich vielseitig belastend auf die betroffenen Kinder auswirken.

Wechselnde Gesundheitszustände, bedingt durch psychische Symptome oder die Einnahme von Medikamenten, sorgen für ambivalente Fähigkeiten hinsichtlich der

(22)

22 Erziehungskompetenz (vgl. Heitmann 2013: 83). Positive Erziehungskompetenz umfasst in erster Linie die Fähigkeiten:

 physiologische Bedürfnisse der Kinder zu erfüllen und allgemein Schutz vor Gefahren zu bieten,

 für Kinder eine stabile und vertrauensvolle Bezugsperson darzustellen,

 ein Mindestmaß an Regeln und gesellschaftlichen Werten zu vermitteln und

 altersangemessene Lernchancen zu bieten sowie die Persönlichkeitsentwicklung zu fördern

(vgl. Weber 2012: 72-73).

Krankheitsbedingt können Eltern(-teile) mit psychischen Störungen oder Verhaltensstörungen diese elementaren Bedürfnisse häufig nicht ausreichend befriedigen.

Beispielsweise ist der Erziehungsstil in vielen Fällen inkonsequent, da Grenzen in gesundheitlich stabileren Phasen gesetzt werden und in Zeiten höherer psychischer Belastung nicht oder nur diffus eingefordert werden. Erzieherische Maßnahmen geben daher keinen ausreichenden Halt und wirken für Kinder willkürlich, weshalb sie die Konsequenzen für ihr Verhalten nicht abschätzen können (vgl. Brockmann/Lenz 2016: 43).

Dieter Heitmann (2013) konnte feststellen, dass es in Familien mit geringem Krankheitsbewusstsein der Eltern(-teile) zu überhöhter Leistungserwartung an die Kinder kommt, wenn die schulische Leistung als Folge von besonders belastenden Phasen abfällt.

Altersunangemessene Leistungserwartungen und überhöhter Druck stellen allerdings Merkmale für potenzielle Kindeswohlgefährdung im Zuge von Überforderung dar (vgl.

Brockmann/Lenz 2016: 47, Heitmann 2013: 170-171). Außerdem konnte in vielen Studien eine gestörte Interaktion zwischen Kindern und ihren Mütter mit psychischen Störungen beziehungsweise Verhaltensstörungen nachgewiesen werden. Demzufolge zeigen Mütter mit Depressionen verschiedene Einschränkungen in ihrem Interaktionsverhalten, welches sich etwa durch mangelnde Empathie und Feinfühligkeit auszeichnet. Kindliche Signale können häufig nicht angemessen wahrgenommen werden. Das führt dazu, dass die Bedürfnisse der Kinder nicht befriedigt werden oder dies nur zeitversetzt möglich ist (vgl.

Heitmann 2013: 84). Lenz (2017) merkt in diesem Zusammenhang an, dass Eltern(-teile) mit psychischen Störungen häufig Probleme mit der individuellen Emotionswahrnehmung haben und daher kindliche Signale nur unzureichend einschätzen können (vgl. Lenz 2017:

33). Aufgrund der fehlenden Responsivität ihrer Mütter reagieren Säuglinge zunächst mit Intensivierung ihrer Impulse, um die Aufmerksamkeit ihrer Mütter auf sich zu ziehen. Aus der Hospitalisierungsforschung ist bekannt, dass dieses Verhalten nach drei bis vier Tagen nachlässt, was als ein Aufgeben der Kinder interpretiert werden kann. Defizitäre Interaktion

(23)

23 in dieser frühkindlichen Phase wirkt sich gravierend auf das Bindungsverhalten der Kinder aus. Davon abgesehen kann es abhängig vom Alter der Kinder, zu unterschiedlichen Mangelerfahrungen durch die Betreuung depressiv erkrankter Mütter kommen. Säuglinge und Kleinkinder sind auf die elterliche Interaktion in Form von positiv-emotionalen Ausdrücken wie Lächeln, Sprechen und Interaktionsspiele angewiesen, um ihre individuelle Ausdrucks- und Regulationsfähigkeit zu entwickeln. Krankheitsbedingte Gefühlslosigkeit beziehungsweise die gedrückte Gefühlslage behindern diese Erziehungskompetenz im hohen Maß. Depressive Mütter zeigen massive Defizite im sprachlichen Austausch mit ihren Kindergarten- und Volkschulkindern. Darüber hinaus reduzieren ängstliche Gefühle und der Mangel an positiver Verstärkung das Explorationsverhalten der Kinder. In der mittleren Kindheit und im Jugendalter bieten betroffene Mütter nur wenig Unterstützung in der Bewältigung von entscheidenden altersspezifischen Entwicklungsherausforderungen an. Emotional zurückgezogene Mütter können ihre Kinder etwa kaum bei der aktiven Kontaktaufnahme zu anderen Personen anleiten. Ein weiterer Grund ist die krankheitsbedingt reduzierte Leistungsfähigkeit. Auch wenn Müttern die Notwendigkeit entsprechender Unterstützungsleistungen bewusst ist, können sie aufgrund von Erschöpfungszuständen häufig nicht umgesetzt werden.

Gleichzeitig können sie häufig nicht als angemessenes Vorbild für ihre Kinder fungieren, was für die gesunde Entwicklung der eigenen Identität von großer Bedeutung ist. Mütter mit einer schizophrenen psychischen Störung sind für ihre Kinder in vielen Fällen emotional nur begrenzt verfügbar und zeigen sich in ihrem elterlichen Verhalten unberechenbar.

Aufgrund der wechselhaften Wahrnehmung sind Kinder häufig das Ziel von feindseligem Verhalten (vgl. Heitmann 2013: 84-85, Dimova/Pretis 2019: 121-129). Lenz (2017) spricht dabei von „bizarrem Elternverhalten“. Betroffene Kinder werden in das krankheitsbedingte Wahnsystem miteinbezogen und verzerrt wahrgenommen. Beispielsweise können schizophren erkrankte Mütter der Überzeugung sein, ihr minderjähriges Kind sei besessen, was zu Ablehnung und Vermeidung führen kann (vgl. Lenz 2017: 25). Beide Krankheitsbilder zeichnen sich durch Unaufmerksamkeit und desorganisiertes Verhalten aus, weshalb es vermehrt zur emotionalen Überforderung sowie einer unangemessenen Haushaltsführung kommen kann. Depressive Eltern(-teile) sind allerdings besonders häufig von vermindertem Antrieb und wiederholten Erschöpfungszuständen betroffen. In vielen Fällen bleiben daher elementare Aufgaben im Haushalt unerfüllt. Etwa wird die Wohnung nicht aufgeräumt, die Kleidung nicht gewaschen oder es wird nichts zu essen für die Kinder gemacht (vgl. Dimova/Pretis 2019: 121-129, ebd.: 149, Heitmann 2013: 85-86).

Die niedrige psychische Belastungsfähigkeit und Frustrationstoleranz der Eltern(-teile) im Zusammenhang mit alltäglichen Aufgaben führen in vielen Fällen zu Gefühlen der

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24 Hilflosigkeit in der Erziehung. Je stärker sich Bezugspersonen von ihren individuellen Krankheitssymptomen beeinträchtigt fühlen, desto intensiver nehmen sie die Betreuung von Kindern als Belastung war. Da der erhöhte Stress wiederum zur Verstärkung der psychischen Symptomatik beitragen kann, beeinflussen sich beide Faktoren gegenseitig (vgl. Böse-Ronnau/Fröhlich-Gildhoff 2019: 47, ebd.: 54-55). Aus diesen Gründer leiden viele betroffene Mütter unter Unsicherheiten und Schuldgefühlen in Bezug auf ihrer Elternrolle. Sie haben Angst, die krankheitsbezogenen Belastungen einerseits und die Herausforderungen in der Erziehung andererseits nicht ausreichend bewältigen zu können (vgl. Heitmann 2013: 83). Abschließend kann mangelnde Informationsvermittlung krankheitsrelevanter Sachverhalte an die Kinder als weiteres Defizit der Erziehungskompetenz betrachtet werden. Eltern(-teile) mit psychischen Störungen sind häufig nicht in der Lage, sich in die Erlebniswelt und die Bedürfnisse ihrer Kinder hineinzuversetzen. Daher sind sie oft mit der kindgerechten Erklärung von Symptomen und ihren Auswirkungen überfordert. Ein weiterer Grund kann darin bestehen, dass den Bezugspersonen selbst relevante Information fehlen. In beiden Fällen können Eltern(-teile) spüren, dass sie auf eventuelle Fragen der Kinder keine Antworten haben und vermeiden es daher, über die Erkrankung zu sprechen (vgl. Dimova/Pretis 2019: 32).

4.2 Defizite der familiären Struktur

Auch wenn die psychische Störung eines Elternteils primär mit individuellen Belastungen verbunden ist, wirkt es sich im Großteil der Fälle direkt oder indirekt auf das ganze Familiensystem aus (vgl. Kuhn et al. 2011: 174). Erschwerend kommt hinzu, dass psychische Erkrankungen häufig mit anderen belastenden Umweltbedingungen kumulieren, etwa chronischer Armut, Arbeitslosigkeit der Eltern(-teile) oder prekären Wohnverhältnissen. Darüber hinaus sind die sozialen Beziehungen der Betroffenen häufig instabil, weshalb es vermehrt zu Kontaktabbrüchen oder Trennungen kommt. Kinder von Eltern(-teilen) mit psychischen Störungen oder Verhaltensstörungen sind daher in vielen Fällen mit zersplitterten Familienstrukturen konfrontiert. Aufgrund fragiler Paarbeziehungen der Eltern ist Wahrscheinlichkeit für Trennungen besonders hoch.

Andererseits tragen die instabilen Beziehungsmuster dazu bei, dass betroffene Mütter nicht selten mehrere Kinder aus unterschiedlichen Beziehungen haben (vgl. Jungbauer 2016: 11). Die häufigen Trennungen sind für Kinder mit wiederholten Verlusten von Bezugspersonen und Veränderungen des sozialen Umfelds verbunden. Findet anschließend keine adäquate Aufklärung statt, verbleiben Kinder mit unklaren Familienverhältnissen (vgl. Kuhn/Lenz 2008: 743). Aufgrund der multiplen

(25)

25 Belastungssituationen betroffener Familien kommt es vermehrt zu Einschränkungen oder dem Entzug elterlicher Sorgerechte. Wenn diese nicht an andere Familienmitglieder übertragen werden können, kommt es zur Fremdunterbringung der Minderjährigen (vgl.

Jungbauer 2016: 11).

Das familiäre Klima wird von Kindern oft als negativ erlebt, da es von langandauernden Konflikten zwischen den Eltern geprägt wird. Psychische Symptome können dabei Auslöser sein oder eine verstärkende Wirkung auf bereits bestehende Konflikte haben.

Dabei kommt es vergleichsweise häufig zu eskalierenden Auseinandersetzungen der Eltern, die im Beisein der Kinder ausgetragen werden. Aufgrund der hohen Belastung durch defizitäre Lebensbedingungen und gleichzeitig niedriger Belastbarkeit, erleben sich betroffene Eltern(-teile) überdurchschnittlich schnell als überfordert. Diese Überforderung drückt sich in Konfliktinteraktionen in Form von verbal hoher Aggressivität aus, die sich zum Teil auch gegen die Kinder richtet (vgl. Heitmann 2013: 152-160). Dies kann das Risiko für emotionale Misshandlung erheblich erhöhen (vgl. Klein/Jungbauer 2016: 178).

Der familiäre Alltag in betroffenen Familien ist geprägt von fehlenden Alltagsstrukturen und mangelnder Routine (Kuhn/Lenz 2008: 753). Die Eltern(-teile) sind häufig nicht in der Lage, Tagesabläufe angemessen zu organisieren, weshalb es keine regelmäßigen Mahlzeiten oder Schlafzeiten gibt (vgl. Brockmann/Lenz 2016: 40-43). Außerdem weichen die Familienverhältnisse in verschiedenen Bereichen von der gesellschaftlichen Normalität ab, was sich etwa durch das Fehlen von gemeinsamen Essen oder das Vorhandensein täglicher Bedrohungserlebnisse ausdrückt (vgl. Kuhn/Lenz 2008: 744). Darüber hinaus zeigen betroffene Eltern(-teile) ein geringes Interesse an sozialen Aktivitäten, weshalb nur selten Familienausflüge organisiert werden (Hahlweg et al. 2008: 92). Diese stellen allerdings wichtige Ruhezeiten dar und tragen zur Regeneration und der Erholung von Alltagsstress bei (vgl. Jungbauer et al. 2011: 183). Neben diesen alltäglichen Belastungen kommt es zusätzlich vermehrt zu kritischen Lebensereignissen, die zu unkontrollierbaren Situationen führen (vgl. Kuhn/Lenz 2008: 744). Psychotische Schübe oder plötzliche Klinikeinweisungen unterbrechen die familiären Alltagsroutinen und sind mit massiven Veränderungen für das Familiensystem verbunden (Jungbauer 2016: 11). Unerwartete Krankenhausaufenthalte sind für Kinder mit besonders weitreichenden Einschnitten verbunden. Wenn die Betreuung nicht von anderen Familienmitgliedern der Kernfamilie übernommen werden kann, muss diese von ungewohnten Kontaktpersonen an eventuell unbekannten Aufenthaltsorten erfolgen. Dies geht mit neuen Verhaltensregeln und Gewohnheiten einher, was zur Überforderung führen kann. Gleichzeitig herrscht in vielen Fällen Unklarheit über die Dauer des Aufenthalts im Krankenhaus, was zur weiteren Verunsicherung der Minderjährigen beiträgt (vgl. Brockmann/Lenz 2016: 33, Kuhn/Lenz

(26)

26 2008: 743). Kinder versuchen in dieser Zeit, den fehlenden Elternteil zu kompensieren und den familiären Rahmen aufrechtzuerhalten (Heitmann 2013: 164). Parentifizierung kann als eines der bedeutendsten Belastungsphänomene von Kinder Eltern(-teilen) mit psychischen Störungen oder Verhaltensstörungen angesehen werden und wird anschließend im Abschnitt 5.1 explizit dargestellt.

Die schlechte ökonomische Situation und begrenzte finanzielle Mittel betroffener Familien verhindern eine Teilnahme an externen Aktivitäten beziehungsweise Veranstaltungen, was mit negativen Peer-Erfahrungen verbunden ist. (vgl. Brockmann/Lenz 2016: 28). Zwei Faktoren tragen wesentlich zur sozialen Isolierung der Familien bei. Zum einen sind Personen mit psychischen Störungen oder Verhaltensstörungen häufig Opfer von alltäglichen Diskriminierungen durch die Allgemeinbevölkerung. Betroffene werden als unberechenbar und potenziell gefährlich betrachtet, weshalb der Kontakt zu ihnen vermieden wird (vgl. Heitmann 2013: 80). Dies kann sich auch auf Freunde und externe Familienmitglieder beziehen, weshalb das ganze Familiensystem betroffen sein kann (vgl.

Dimova/Pretis 2019: 65). Zum anderen vermeiden es die Familienmitglieder aufgrund der Tabuisierung selbst, mit externen Personen in Kontakt zu treten, da es sich dabei um eine Gefahr für das Familiengeheimnis handeln kann. Tabuisierung beschreibt das Kommunikationsverbot über elterliche Erkrankungen innerhalb sowie außerhalb der Familie. Dieses Verbot kann entweder explizit von Eltern(-teilen) erteilt werden oder wird von Kindern durch Beobachtungen des elterlichen Kommunikationsverhaltens erkannt. Sie spüren, dass das Thema angst- und schambesetzt ist. Kommt es dennoch zur Sprache, wird schnell davon abgelenkt. Daher bekommt die psychische Störung den Charakter eines Familiengeheimnisses und wird nicht nach außen getragen. Tabuisierung und die Angst vor Stigmatisierung tragen zusätzlich zur sozialen Isolation bei, da sie die Inanspruchnahme von professionellen Unterstützungsangeboten massiv behindern. In vielen Fällen haben betroffene Eltern(-teile) Angst vor negativen Konsequenzen einer Kontaktaufnahme zu Hilfsangeboten, etwa einer Kindesabnahme durch die Kinder- und Jugendhilfe. Darüber hinaus sind sie teilweise nicht ausreichend dazu in der Lage, sich im differenzierten System von Angeboten zu orientieren und lehnen es daher grundsätzlich ab (vgl. Brockmann/Lenz 2016: 29-39).

Damit sind Eltern(-teile) mit psychischen Störungen oder Verhaltensstörungen in ihrer Elternrolle massiv beeinträchtigt. Ihre emotionale Instabilität führt häufig zu defizitärem Interaktionsverhalten mit ihren Kindern. Der unangemessene Erziehungsstil kann sich schädlich auf die kindliche Entwicklung auswirken. Des Weiteren kann krankheitsbedingte Desorganisation die Struktur des Familiensystems negativ beeinflussen. Schließlich können die Bedürfnisse der Kinder aufgrund der fehlenden emotionalen und kognitiven

(27)

27 Präsenz auf unterschiedlichen Ebenen schwerwiegend vernachlässigt werden.

Entscheidend für den Grad von Belastungsempfindungen der Minderjährigen ist allerdings das Maß an familiärer Organisation. Diese steht in engen Zusammenhang mit der Art der Kommunikation und Informationsvermittlung innerhalb des Familiensystems. Eine offene Einstellung gegenüber psychischen Störungen und möglichen Herausforderungen ermöglicht es, alltägliche Aufgaben zwischen den Familienmitgliedern angemessen aufzuteilen und damit die Belastung für betroffene Minderjährige zu reduzieren (vgl.

Lazarus 2003: 23).

(28)

28 5. Kinder von Eltern(-teilen) mit psychischen Störungen oder

Verhaltensstörungen

Die Erziehung von Kindern kann für Eltern eine große Herausforderung darstellen.

Kindliche Bedürfnisse sind sehr heterogen und wechselhaft, weshalb ein hohes Maß an Aufmerksamkeit sowie zahlreiche Kompetenzen notwendig sind, um eine gesunde Entwicklung gewährleisten zu können. In Anlehnung an das Modell der Bedürfnispyramide nach Abraham H. Maslow (1943) können allgemein gültige Bedürfnisse von Kindern definiert werden, die hierarchisch angeordnet werden. Fundamental sind demnach physiologische Grundbedürfnisse. Darauf aufbauend sind Kinder auf den Schutz vor Gefahren angewiesen. Anschließend benötigen sie Gefühle der Zugehörigkeit sowie seelischer und körperlicher Wertschätzung. Sind diese Bedürfnisse ausreichend befriedigt, entwickelt sich der Wunsch nach Anregung, Leistung und Wissen. Schließlich bildet der Drang nach Selbstverwirklichung die Spitze des Modelles (vgl. Hofer 2014: 46). Es wird ersichtlich, wie vielseitig die Bedürfnisse von Kindern sind. Aufgrund der Individualität von Menschen und deren Lebensverhältnissen kann sich Erziehungsverhalten verschiedener Elternpaare zum Teil gravierend unterscheiden. Um dennoch Mindeststandards zu definieren und diese in weiterer Folge messbar machen zu können, wurden zwölf grundlegende Kriterien für das Kindeswohl in §138-ABGB rechtlich festgelegt. Diese beziehen sich zum einen auf physische Grundbedürfnisse wie Nahrungsversorgung, Schutz und angemessene Umgebungsverhältnisse. Zum anderen wird darin Bezug auf psychische Faktoren genommen, etwa emotionaler Fürsorge, der Vermeidung von negativen Gefühlen und der Gewährleistung verlässlicher Kontakte zu Bezugspersonen.

In diesem Zusammenhang wird eine sichere Bindung explizit genannt. Die Bindungstheorie nach John C. Bowlby (1958) geht davon aus, dass jeder Mensch mit einem spezifischen Verhaltenssystem ausgestattet ist, welches als Bindungsverhalten bezeichnet wird.

Bindung im Sinn eines Bedürfnisses nach engen und gefühlvollen Beziehungen wird darin als ein unabhängiges menschliches Grundbedürfnis betrachtet. Dieses Verhaltenssystem wird im Zuge von frühkindlichen Erfahrungen durch die Interaktion mit Bezugspersonen aufgebaut und bleibt im Laufe des Lebens weitgehend stabil. Das erworbene Bindungssystem prägt das Verhalten in zukünftigen Interaktionen und stellt damit die Basis für jede weitere soziale Beziehung dar (vgl. Hofer 2014: 25). Abhängig von frühkindlichen Bindungserfahrungen wird eines von vier Bindungsmustern ausgebildet. Das jeweilige Muster kann in einem Versuch ermittelt werden, indem die Mutter von ihrem Kind getrennt wird und es für einen Moment allein lässt. Sicher gebundene Kinder signalisieren ihre Trauer wenn sie die Mutter verlässt, lassen sich allerdings wieder trösten, wenn sie

(29)

29 zurückkommt. Häufig ist kurzer Körperkontakt ausreichend, um das Kind zu beruhigen.

Unsicher-vermeidende Bindungstypen zeigen wenig bis keine Reaktion beim Verlassen.

Bei der Wiedervereinigung ignorieren sie die Mutter und zeigen kein Bedürfnis nach Nähe.

Die Interaktion ist dabei von Asynchronizität geprägt. Unsicher-ambivalentes Bindungsverhalten drückt sich in Trauer beim Verlassen und der Suche nach Nähe aus, wobei die Kinder gleichzeitig versuchen, sich abzuwenden und sich durch Tritte und andere Bewegungen zu wehren. Schließlich zeigt das desorganisierte Bindungsmuster eine Reihe von verwirrenden Verhaltensweisen, etwa stereotypen Bewegungen oder völligem Erstarren. Dabei wird angenommen, dass Kinder in einen Konflikt zwischen Bedürfnis nach Nähe und Angst geraten und ihnen passende Verhaltensstrategien fehlen. In verschiedenen Studien konnte die erhöhte Wahrscheinlichkeit für unsichere Bindungsmuster bei Kindern von Eltern(-teilen) mit psychischen Störungen oder Verhaltensstörungen nachgewiesen werden. Eine depressive elterliche Erkrankung konnte häufig mit unsicher-vermeidenden Verhaltenssystemen in Verbindung gebracht werden (vgl. Dimova/Pretis 2019: 52-59). Kinder von schizophrenen Eltern(-teilen) zeigen vermehrt unsicher-vermeidende oder unsicher-ambivalente Bindungsmuster. Neben der erhöhten Wahrscheinlichkeit für unsichere Bindungsmuster stellt die elterliche psychische Erkrankung ebenfalls einen schwerwiegenden Risikofaktor für Misshandlung von Kindern dar. In einer Studie von Lenz (2017) wurden 1.575 schwangere Frauen mit hohen Risikofaktoren für die kindliche Entwicklung, etwa Sucht oder psychischen Erkrankungen, über acht Jahre wissenschaftlich begleitet. Am Ende des Untersuchungszeitraums wurde festgestellt, dass in 30 Prozent der Familien ein Verdacht auf Missbrauch, Misshandlung oder Vernachlässigung bestand. In einer anderen Studie konnte retrospektiv festgestellt werden, dass Personen, die zumindest einem Elternteil eindeutig psychisch gestörte Symptome zugeschrieben hatten, zwei- bis dreimal häufiger von Formen der Kindeswohlgefährdung berichteten, als Vergleichsteilnehmer/innen mit psychisch gesunden Eltern (vgl. Lenz 2017, 19-25). Stefan Klein und Johannes Jungbauer (2016) konnten Verbindungen zwischen spezifischen psychischen Störungen und kindlicher Misshandlung herstellen. Demnach geht von schizophren erkrankten Eltern(-teilen) ein erhöhtes Gewaltpotenzial aus. Misshandelnde Mütter waren überwiegend an einer Angststörung erkrankt, während misshandelnde Väter vermehrt eine antisoziale Persönlichkeitsstörung entwickelt haben. Schließlich war ein Drittel der Mütter, die eines ihrer Kinder töteten, psychisch schwer krank gewesen (vgl. Klein/Jungbauer 2016: 177).

Bei Kindesmisshandlung lassen sich verschiedene Formen unterscheiden. Körperliche Misshandlung umfasst alle Arten von gewaltsamen Handlungen, die beim Kind zu Verletzungen führen könnten. Sie können schwerwiegende Folgen haben und begünstigen

(30)

30 die Entwicklung aller Formen psychischer Störungen, die sich im Kindes- und Jugendalter manifestieren. Neben Beeinträchtigungen der schulischen Leistungsfähigkeit kommt es vermehrt zu Störungen des Sozialverhaltens und der emotionalen Regulationsfähigkeit.

Dabei ist anzumerken, dass sich die Folgen einerseits durch wiederholte körperliche Misshandlung erhöhen. Andererseits umso gravierender sind, je jünger ein Kind ist. In Familien mit Eltern(-teilen) mit psychischen Störungen oder Verhaltensstörungen lassen sich einige Faktoren feststellen, die die Wahrscheinlichkeit für körperliche Gewalt gegenüber Kindern erhöhen. Dazu zählen etwa herausfordernde Erziehungsbedingungen oder Überforderungsgefühle der Eltern bei der Betreuung von Minderjährigen oder der Bewältigung des Alltags. Emotionaler Missbrauch bezeichnet die Schädigung kindlicher Entwicklung durch verbale Formen der Gewalt wie Beschimpfung, Bedrohung oder Erniedrigung. Gleichzeitig stellt Überbehütung eine weitere Form emotionalen Missbrauchs dar. In beiden Fällen können Kinder Gefühle der Unsicherheit, Wertlosigkeit und Abhängigkeit entwickeln, wodurch die Persönlichkeitsentwicklung und die Entwicklung der Autonomie behindert werden. Des Weiteren werden bewusste Handlungen hinsichtlich sozialer Isolierung, Verweigerung von emotionaler Responsivität und Überforderung durch altersinadäquate Verantwortungen ebenfalls als emotionale Misshandlung bewertet. Auch wenn ähnliches Verhalten von psychisch erkrankten Eltern(-teilen) nicht immer bewusst gesetzt wird, kann es potenziell vergleichbare Folgen für die Kinder haben. Als weitere Form kindlicher Misshandlung ist die sexuelle Misshandlung zu nennen. Darunter werden alle sexuellen Handlungen zusammengefasst, die an oder vor einem Kind zur Erregung von Täter/innen vorgenommen werden. Neben physischem Missbrauch stellt etwa der Konsum pornographischen Materials im Beisein des Kindes ebenfalls eine Form von Missbrauch dar. In vielen Fällen entwickeln betroffene Kinder emotionale Störungen, die sich in internalisierendem oder externalisierendem Verhalten ausdrücken. Abschließend ist die andauernde oder wiederholte Vernachlässigung fürsorglicher Handlungen ebenfalls als Form der Misshandlung von Kindern zu betrachten. Diesbezüglich kann eine weitere Differenzierung getroffen werden, worin sich vier Arten unterscheiden lassen. Körperliche Vernachlässigung bezieht sich auf physiologische Bedürfnisse wie Nahrung oder Hygiene.

Das Ausbleiben elterlicher Konversation, Anregungen oder Förderung der kindlichen Entwicklung wird als kognitive Vernachlässigung bezeichnet. Auf der emotionalen Ebene stellen fehlende Wärme in Interaktionen und fehlende Reaktionen auf kindliche Signale Formen von Misshandlung dar. Schließlich ist die unzureichende Beaufsichtigung durch Bezugspersonen als vierte Variante zu nennen (vgl. Hofer 2014: 46-65).

In Bezug auf die Misshandlung von Kindern lassen sich einige Parallelen zu den krankheitsbedingten Einschränkungen von Eltern(-teilen) mit psychischen Störungen oder

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