Tag der Bayerischen Wirtschaft – Festliches Abendessen
Dienstag, 09.09.2014
Vertretung des Freistaats Bayern bei der Europäischen Union Rue Wiertz 77, 1000 Brüssel
Begrüßung
Alfred Gaffal
Präsident
vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V.
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrte Frau Staatministerin Merk, sehr geehrte Damen und Herren,
herzlich willkommen zum Tag der
Bayerischen Wirtschaft, den wir dieses Jahr zum dritten Mal veranstalten.
Liebe Frau Staatsministerin, ich danke Ihnen und der gesamten Bayerischen Staatsregierung für das gute und
vertrauensvolle Miteinander
nicht nur beim Tag der Bayerischen Wirtschaft,
sondern auch in Sachen Europa insgesamt.
Gemeinsam für ein starkes Bayern in einem starken und wettbewerbsfähigen Europa:
Das soll auch weiterhin unser gemeinsamer Kompass sein!
Wichtige Weichenstellung in der EU
Meine Damen und Herren,
2014 ist das Jahr großer europäischer Weichenstellungen:
Europa hat gewählt. Das Parlament hat seine Arbeit aufgenommen.
Der Kommissionspräsident ist nach einigem Hin und Her bestimmt. Wir freuen uns, dass mit Jean-Claude Juncker ein engagierter Europäer dieses Amt übernommen hat.
Die übrige Kommission ist noch dabei, sich zu konstituieren.
Das alles ist auch für die bayerische Wirtschaft von höchster Bedeutung.
Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache:
Im Jahr 2013 gingen 53 Prozent der bayerischen Exporte in EU-Länder.
Nicht zuletzt durch den Europäischen Binnenmarkt haben sich die
bayerischen Exporte in den
vergangenen 20 Jahren mehr als
verdreifacht – auf heute 165 Milliarden Euro pro Jahr.
Knapp die Hälfte der bayerischen Unternehmen haben ihre wichtigsten Kunden in der EU.
Jeder vierte Arbeitsplatz bei uns hängt von den Erfolgen der Exportwirtschaft ab.
Darum bringen wir uns ein.
Der bayerische Löwe muss auch in Brüssel deutlich vernehmbar sein.
Es ist ein starkes Signal, dass mit Manfred Weber ein Bayer an der Spitze der größten Fraktion im Europaparlament steht – noch
dazu ein Niederbayer. So viel
landsmannschaftliche Solidarität muss sein.
Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas braucht starke Persönlichkeiten in Brüssel.
Dazu zählt für uns auch ganz besonders der Festredner des heutigen Abends: Günter Oettinger.
In seinem bisherigen Amt als Kommissar für Energie war er ein wichtiger Impulsgeber für die Energiewende.
Seine bisweilen kritischen, aber stets konstruktiven Vorschläge haben der
energiepolitischen Debatte in Deutschland gut getan.
Denn wir alle wissen: Die Energiewende ist in einer sehr kritischen Phase.
Durch die hohen Strompreise und die immer unsicherer werdende Stromversorgung
steht ein wichtiger Standortfaktor für unsere Industrie auf dem Spiel!
Welches Ressort Günter Oettinger in dieser Legislaturperiode erhalten wird, wird
morgen bekanntgegeben.
Genannt wurde ja unter anderem Handel.
Das würden wir natürlich sehr begrüßen.
Denn für eine exportorientierte Wirtschaft wie Bayern ist das natürlich ein
Schlüsselressort.
Günter Oettinger weiß, was die Industrie braucht, sein Herz schlägt für eine
wettbewerbsfähige Wirtschaft und insbesondere für die Soziale
Marktwirtschaft.
Besonders wichtig ist, dass in seinen neuen Aufgabenbereich auch die TTIP-
Verhandlungen fallen werden.
Hier erwarten wir uns neuen Schwung und neue Impulse.
Wir zählen weiterhin auf eine
vertrauensvolle Zusammenarbeit!
Was Europa jetzt anpacken muss
Meine Damen und Herren,
mehr Markt und mehr Wettbewerb für mehr Wohlstand in Europa: Das ist das Credo der vbw. Wir sind und bleiben bekennende
Europäer.
Denn wir wissen: Unser Erfolg hängt von Faktoren ab, die im 21. Jahrhundert kein Staat mehr allein garantieren kann:
sichere Handelswege und freien Welthandel;
Rohstoffsicherung und Energiesicherheit;
Wettbewerb und Innovationsschutz.
Gerade in einer globalisieren Welt werden wir nur bestehen können, wenn wir das
gesamte wirtschaftliche und politische
Gewicht Europas in die Waagschale werfen.
Dieses Gewicht ist nach wie vor stark, aber es schrumpft:
Seit 1993, dem Jahr, in dem der Binnenmarkt gegründet wurde,
ist der Anteil der EU am Welt-
Bruttoinlandsprodukt von 30 auf 23 Prozent zurückgegangen – das ist fast ein Viertel –
und ihr Anteil am Welthandel von 37 auf 23 Prozent.
Im Jahr 2000 hat Europa noch 40 Prozent aller ausländischen Direktinvestitionen angezogen – mittlerweile sind es nur noch 24 Prozent.
Ein wichtiger Grund für diese Entwicklung ist die De-Industrialisierung in
verschiedenen europäischen Ländern.
Wir brauchen deshalb in Europa eine neue Wirtschaftspolitik, wenn wir wieder wachsen wollen.
Wir müssen heute anpacken, damit wir auch morgen in Wohlstand leben!
Gerade Deutschland und Bayern können auf Erfahrungswerte zurückgreifen, die auch für andere Staaten hilfreich sein können:
Etwas über zehn Jahre ist es her, da wurde Deutschland als der „kranke Mann Europas“
betitelt.
Die Reformen der Agenda 2010 haben uns innerhalb eines Jahrzehnts vom kranken Mann Europas zur europäischen
Wachstumslokomotive gemacht:
Wir haben die höchste Zahl an
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten in ganz Europa!
Statt die Reformen jetzt scheibchenweise zurückzunehmen, müssen wir sie
fortsetzen.
Aber viele europäische Länder müssen ihre erforderlichen Reformen erst noch
umsetzen!
Ich denke da zum Beispiel an Frankreich oder Italien.
Für die anlaufende Legislaturperiode des Europaparlaments und die Amtszeit der
künftigen Kommission sehe ich sechs große Handlungsfelder, die für eine an Wachstum und Beschäftigung ausgerichtete Politik jetzt angepackt werden müssen:
Erstens. Re-Industrialisierung.
Die Industrie bildet das Fundament der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einer Volkwirtschaft.
Deutschland ist gerade deswegen so gut durch die Krise gekommen, weil wir einen starken industriellen Kern haben.
Deshalb unterstützen wir das Ziel der Kommission, den industriellen
Wertschöpfungsanteil in Europa bis 2020 wieder auf 20 Prozent zu erhöhen.
Zweitens. Vollendung des europäischen Binnenmarkts.
Während es seit 1993 einen einheitlichen Binnenmarkt für Waren und
Dienstleistungen gibt, ist der Energie- Binnenmarkt bis heute nicht vollendet.
Es ist höchste Zeit, unsere
Energieversorgung auf mehr Standbeine zu stellen. Denkverbote darf es nicht geben.
Wir brauchen vor allem einen
Strategiewechsel in der Energiepolitik.
Europäische Unternehmen zahlen dreimal so viel für Gas wie die amerikanischen
Wettbewerber und doppelt so viel für Strom.
Verglichen mit China zahlen wir in Europa 30 Prozent mehr.
Und wir in Deutschland liegen bei den Strompreisen in der weltweiten
Spitzengruppe!
Das macht es unserer Unternehmen schwer, international Schritt zu halten.
Hier gibt es noch viel zu tun.
Das gilt auch in Sachen Energieeffizienz, bei der wir noch viel Nachholbedarf haben.
Für einen funktionierenden Binnenmarkt brauchen wir eine leistungsfähige
Infrastruktur, nicht nur im Energiebereich.
Insbesondere geht es um die Vollendung der transeuropäischen Verkehrsnetze und
eine zukunftsfähige
Kommunikationsinfrastruktur.
Zu Recht wird bei der Digitalisierung viel investiert.
Drittens. Arbeit und Soziales.
Was uns allen große Sorgen macht, ist die hohe Arbeitslosigkeit in einigen
europäischen Ländern.
Arbeitslosigkeit bremst das
Wirtschaftswachstum, auch in der Industrie.
Nur ein flexibler Arbeitsmarkt kann hier langfristig Abhilfe schaffen.
Diese Flexibilität muss erhalten bleiben!
Um der horrenden Jugendarbeitslosigkeit Herr zu werden, beginnen einige Länder jetzt, sich an unserem Erfolgsmodell der dualen Ausbildung zu orientieren. Das
Wir müssen gemeinsam alles unternehmen, um mehr Jugendlichen eine Chance zu
geben, in den Arbeitsmarkt einzusteigen.
Mehr Eigenverantwortung statt mehr Umverteilung: dieser Prämisse sollte die Politik folgen – bei uns zu Hause wie in Europa.
Die EU hat
7 Prozent der Weltbevölkerung,
aber schon heute 40 Prozent der weltweiten Sozialausgaben.
Das sollte der Politik zu denken geben.
Die Kompetenzausweitung der EU in
Sachen Sozialpolitik schadet mehr als sie nützt: Der Wettbewerb wird ausgehebelt.
Falsche Anreize werden gesetzt. Man macht die Schwachen nicht stark, indem man die Starken schwächt.
Die geplante europäische
Arbeitslosenversicherung ist ein Irrweg.
Sozialpolitik muss Sache der einzelnen Mitgliedsländer bleiben.
Statt ständig zu versuchen, Aufgaben nach Europa zu ziehen, die dort nicht hingehören, sollte die EU mehr dafür tun,
die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Mitglieder zu stärken,
Wirtschaftswachstum zu ermöglichen
und durch starke strukturelle Reformen in den Krisenländern die
Arbeitslosigkeit zu reduzieren.
Vielen Politikern scheint die Dringlichkeit nicht bewusst, mit der wir jetzt die Probleme der Wettbewerbsfähigkeit angehen müssen.
Klar ist: Wir brauchen mehr
Wirtschaftspolitik und weniger Sozialpolitik in Europa!
Das gilt auch für Deutschland.
Viertens. Bürokratieabbau.
Die EU-Gesetzgebung schlägt bei der deutschen Wirtschaft jährlich mit über 25 Milliarden Euro zu Buche. So die letzte Erhebung der High-Level Group zum Bürokratieabbau.
Könnte man zumindest einen Teil dieser Kosten pro Jahr einsparen: Was wäre das für ein Konjunkturprogramm!
In den letzten Jahren ist – auch dank der Tatkraft von Edmund Stoiber – viel
Bewegung in die Sache gekommen.
Das muss jetzt in der neuen
Legislaturperiode entschieden fortgesetzt werden!
Fünftens. Keine Vergemeinschaftung von Schulden und Haftung.
Die EU ist einen großen Schritt
vorangekommen, was die Überwindung der Schuldenkrise und die Regulierung der
Finanzmärkte angeht.
Die Richtung stimmt. Entwarnung gibt es freilich noch nicht.
Für die Bayerische Wirtschaft ist klar:
Europa muss weiterhin Solidargemeinschaft bleiben, Transfergemeinschaft darf sie auf keinen Fall werden.
Deshalb erteilen wir Eurobonds, Eurobills usw. eine klare Absage.
Das Agieren der EZB in diesem
Zusammenhang ist für uns gegenwärtig nicht nachvollziehbar.
Gemeinschaftliche Haftung darf solide Haushaltsführung nicht ersetzen.
Sechstens. Soziale Marktwirtschaft stärken.
Europa braucht global wettbewerbsfähige Unternehmen, die profitabel wirtschaften und innovativ sind.
Nur so können nachhaltig Arbeitsplätze geschaffen und gesichert werden.
Dazu braucht es einen Fahrplan.
Deshalb haben wir als vbw eine Agenda 2020 vorgelegt.
Sie bündelt unsere Vorschläge für das, was jetzt zu tun ist, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.
Handeln müssen wir vor allem in den Bereichen
Infrastruktur,
Arbeit und Soziale Sicherung,
Steuern,
Bildung
und Innovationen.
Diese Ziele können auch Leitlinien für Europa sein.
Denn nur mit einen starken Sozialen
Marktwirtschaft sind wir stark genug, um die anstehenden Probleme zu lösen. Und das sind nicht wenige.
Krise in Russland
Meine Damen und Herren,
die Russland-Krise und die Konflikte im Nahen und Mittleren Osten führen zu einer Verschlechterung der wirtschaftlichen
Stimmungslage auch bei uns.
Russland steht auf Rang zwölf unserer bayerischen Exportmärkte, das
Exportvolumen lag im letzten Jahr bei rund 4,5 Milliarden Euro.
Schon von Januar bis Mai sind die
bayerischen Exporte nach Russland um 6,2 Prozent gesunken.
Und im Mai sind die Exporte um 18,3 Prozent eingebrochen.
Ich befürchte, dass wir noch deutlichere Rückgänge erleben werden – nicht nur in Bayern.
Denn betroffen sind ja nicht nur die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland, sondern auch der Warenaustausch mit
mittel- und osteuropäischen Staaten, die mit Russland wirtschaftlich eng verbunden sind.
Sanktionen und eine schwächere
konjunkturelle Lage Russlands bekommen diese Länder ebenfalls zu spüren.
Ich sage deutlich: Jetzt kommt es auf besonnenes Handeln an – bei allen Beteiligten. Der politische
Verhandlungsprozess muss jetzt zügig zur Entspannung führen.
Wichtig ist, dass die EU geschlossen handelt.
Genauso wichtig aber ist, bestehende
Wirtschaftsbeziehungen aufrechtzuerhalten und aktiv zu pflegen.
Das wirkt stabilisierend.
Es nützt niemandem und löst keine Krise, wenn sich Russland andere Handelspartner suchen muss.
Stattdessen sollte vielmehr gelten: Wandel durch Handel!
Schluss
Ich bin davon überzeugt:
Die global vernetzte Wirtschaft ist der
Schlüssel für eine globale Zusammenarbeit,
ausklammert, aber das Verbindende in den Vordergrund stellt.
Europa, Russland und die USA sollten zusammenarbeiten, um die wirklichen
Hemmnisse für den weltweiten Wohlstand zu beseitigen.
Das bedeutet einerseits, gemeinsam Konflikte zu lösen:
Ich denke hier an den Kampf gegen
Terrorismus und Extremismus, wie wir ihn derzeit zum Beispiel in Teilen des Mittleren Ostens erleben.
Das ist die größte Herausforderung der Zukunft.
Ich denke auch an den gemeinsamen Einsatz gegen Cyber-Kriminalität.
Und das bedeutet andererseits, dass wir enger zusammenarbeiten müssen, um mehr Wohlstand und Arbeitsplätze zu schaffen.
Darum setzen wir zum Beispiel auch große Hoffnungen in die Europäische Kommission, was die weiteren Schritte auf dem Weg zum Transatlantischen Freihandelsabkommen angeht.
Wir sehen hier keinen echten Fortschritt in den Verhandlungen. Das bereitet uns
Sorge.
In der öffentlichen Debatte wird viel über Ängste geredet und wenig über Inhalt.
Man darf nicht vergessen: Es ist vor allem der Mittelstand, der vom
Freihandelsabkommen profitiert.
Meine Damen und Herren,
nur so können wir die vor uns liegenden großen Herausforderungen bewältigen:
miteinander und nicht gegeneinander,
indem wir die internationale
und indem wir unsere
Wettbewerbsfähigkeit stärken und nicht schwächen.
Das Motto lautet: Gemeinsam erfolgreich!
In diesem Sinne wird sich die Bayerische Wirtschaft auch weiterhin in die europäische Debatte einbringen:
Kritisch, wenn nötig, aber immer konstruktiv – so wie Sie es von uns gewohnt sind.
Auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit.
Ich wünsche uns einen angenehmen Abend und gute Gespräche.