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Veröffentlichungsreihe der Forschungsgruppe Gesundheitsrisiken und Präventionspolitik Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung ISSN-0935-8137

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Gesundheitsrisiken und Präventionspolitik Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

ISSN-0935-8137

P94-204

RATIONALISIERUNG U N D GESUNDHEIT

"Neue Produktionskonzepte", "systemische Rationalisierung",

"lean production" - Implikationen für Arbeitsbelastungen und betriebliche Gesundheitspolitik

von Gerd Marstedt

Berlin, Juni 1994

Publications series of the research group

"Health Risks and Preventive Policy"

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung D-10785 Berlin, Reichpietschufer 50

Tel.: 030/25491-577

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Zusammenfassung

In Aufarbeitung betriebs, arbeite- und industriessoziologischer Literatur seit 1984 (beschränkt auf den Bereich "Produktionsarbeit") geht die vorliegende Literaturstudie der Frage nach: Wie verändern sich Belastungen und Gesundheitsrisiken im Arbeits­

prozeß im Gefolge neuartiger betrieblicher Rationalisierungsstrategien?

Für die Entwicklung der Arbeitsbedingungen werden säkulare Trends nicht erkannt.

"Uneinheitlichkeit" und "Offenheit" von Rationalisierungskonzepten (wie auch ihren Arbeitsfolgen) sind vielmehr die vorherrschenden Bilanzierungen. Festgestellt werden Unterschiede nach Branchen und Fertigungs-/Prozeßstrukturen, nach Regionen wie Qualifikationsniveaus. Der jeweilige Technikeinsatz determiniert nicht eindeutig die Qualität der Arbeitsbedingungen.

Als allgemeinere Tendenz der Belastungsveränderung absehbar ist eine simultane Zunahme von Handlungsspielräumen und Leistungsverdichtungen, ein Autonomie­

gewinn und eine Verschärfung psychischer Belastung. Charakterisierbar ist dieser Trend als "Innervierung der Arbeit", als betriebliche Strategie, die den Arbeitsprozeß zunehmend mit (dispositionsrelevanten) "Nervensträngen" durchsetzt, was jedoch zugleich das Risiko psychischer Überlastung erhöht.

Deutliche Unterschiede der Belastungsentwicklung sind feststellbar in Bezug auf das Qualifikations-Niveau. Bei Facharbeitern sind die neu entstandenen Tätigkeitsprofile der "Systemregulierer" zumindest ein Hoffnungsschimmer, trotz ihrer quantitativ geringen Bedeutung. Zugleich werden allerdings auch für diesen Bereich neuartige Belastungssyndrome erkannt und eine Zunahme von Kontrolle durch BDE- und PPS- Einsatz. Konstatiert wird eine "Entkopplung von Qualifikation und Belastung". In­

wieweit dies durchgängig oder nur vereinzelt zu Belastungsintensivierungen ftihrt, ist strittig. Für Un- und Angelernte demgegenüber ist die Bilanz deprimierend, scheinen die restriktiven und belastenden Bedingungen der 80er Jahre völlig unangetastet.

Allerdings: Für die nächsten Jahren kündigen sich hier umfassende Veränderungen an durch eine umfassende Einführung von Gruppenarbeit und Aufgabenintegration mit den oben beschriebenen "Innervierungs'-Tendenzen.

Konstatierbar ist eine sich immer stärker zuspitzende Segmentierung von Arbeits­

belastungen und Beschäftigungsrisiken, deren höchst ungleiche Verteilung auf Er­

werbstätige innerhalb "pyramidaler Strukturen" des Systems gesellschaftlicher Arbeit.

Eine Differenzierung von Belastungen und Risiken ist feststellbar a) auf Branchen- Ebene (Kernsektoren vs. Krisenbranchen), b) zwischen Betrieben ("fokale Unter­

nehmen” vs. "Zulieferer-Pyramiden") und nicht zuletzt c) innerbetrieblich ("Stamm- vs.

Randbelegschaften", Facharbeiter vs. Ungelernte/Frauen/Ältere/Kranke).

Im Kontext betrieblicher Strategien zu Produktivitätssteigerung und Qualitätssiche­

rung werden zukünftig Maßnahmen zur "Untemehmenskultur" und "Gesundheits­

förderung" als flankierende Strategien zur Durchsetzung betrieblicher Leistungsan­

forderungen m.E. in den betrieblichen Alltag vermehrt Eingang finden. Die Einfüh­

rung von Gesundheitszirkeln könnte sich dann auf etablierte Infra-Strukturen der Gruppenarbeit stützen. Bei dieser Neuorganisation der Arbeit auch humanisierungs- und gesundheitsrelevante Kriterien verbindlich durchzusetzen ist derzeit allerdings nur eine Option und keine gesicherte Perspektive.

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I. ) Einleitung

1. ) Rationalisierung und Gesundheit - Probleme bei der Annähe­

rung an das Thema 1

2. ) Gliederung des Berichts und Gang der Argumentation 5 II. ) Der theoretische und begriffliche Hintergrund: Von den "Neu­

en Produktionskonzepten" zur "lean production"

1. ) "Das Ende der Arbeitsteilung?": Anfang einer noch immer un­

vollendeten Debatte 8

2. ) "Systemische Rationalisierung": Die radikale Ausweitung der

Perspektiven betrieblicher Modernisierung 12

3. ) "Lean production": Wie gesund sind betriebliche Schlankheits­

kuren für die Arbeitnehmer? 16

III. ) Arbeit im Umbruch: Ausw irkungen neuer Rationalisierungs­

konzepte für die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen 1. ) Industriesoziologische Rationalisierungsbilanz: Antithesen und

Dementis in Hülle und Fülle 24

2. ) Neue Tätigkeitsprofile: Der "Systemregulierer" als Beleg für die

"Wertschätzung lebendiger Arbeit"? 28

3. ) Neue Kontrollformen, neuartige Belastungs-Syndrome? 33 4. ) Restriktive Arbeit: Die Renaissance der Team- und Gruppenar­

beit 40

5. ) Belegschaftsfraktionierungen, "fokale Betriebe" und "Zulieferer- Pyramiden": Die hierarchische Schichtung von Beschäftigungs­

risiken und Belastungen 48

IV. ) Implikationen neuer Rationalisierungskonzepte für Arbeitsbe­

lastungen und betriebliche Gesundheitspolitik

1. ) Mehr Zeitdruck und mehr Verhaltensspielräume: Die "Inner-

vierung" der Arbeit 54

2. ) Pyramidale Strukturen: Neue Konturen des Systems gesell­

schaftlicher Arbeit 59

3. ) Untemehmenskultur und Gesundheitsförderung: Ein neuer

Boom scheint vorhersagbar 65

V. ) Literatur 69

(4)

- i -

I.) Einleitung

1.) Rationalisierung und Gesundheit - Probleme bei der Annäherung an das Thema

Steigt der Arbeitsstreß durch Technikeinsatz? Erleichtern Computer uns die Arbeit? Ist Bildschirmarbeit gesundheitsschädlich? Demoskopie und repräsen­

tative M einungsumfragen tun sich m it dem Thema "Rationalisierung und Gesundheit" meistens nicht sonderlich schwer, eine Vielzahl empirischer Be­

funde über technische Rationalisierungsprozesse und ihre Bewertung durch die betroffenen Arbeitnehmer (früher: "Ist die Technik eher ein Fluch oder ein Segen?") liegt auch in Form detaillierter Zeitreihen vor. Auch wenn die Ergeb­

nisse oft nicht sehr erhellend sind1, so stellt sich die quantitative Sozialfor­

schung dieser Thematik doch mit bemerkenswerter Unbefangenheit.

Neue Rationalisierungskonzepte und betriebliche Gesundheitspolitik - diese Fragestellung scheint auch eine Vielzahl von Überschneidungen aufzuweisen mit dem Thema "Arbeit und Gesundheit", m it der viel untersuchten Frage

"Macht Arbeit krank?"1 2 oder ihrer politischen W endung "Arbeit darf nicht krank machen’"3. Anders als in Untersuchungen der Streßforschung jedoch, in betriebs- und belastungs-epidemiologischen Studien oder auch sozialpsycholo­

gischen Projekten w ird in diesem Bericht (auch) eine gesellschaftliche und hi­

storische Perspektive aufgerollt. W ährend dort von den Ursachen und Prozes­

sen technisch-organisatorisch-sozialer Rationalisierung (und ihren Akteuren und Protagonisten) weitgehend abstrahiert w ird, nur noch das geronnene Re­

sultat und die materialen Folgen der M odernisierung (in Gestalt von Stresso- ren, Belastungen, Tätigkeitsstrukturen und Anforderungsprofilen) empirisch und konzeptuell erfaßt w erden (und ihr Risikopotential für die psycho-phy­

sische Integrität der erwerbstätigen Individuen), soll hier der analytische Rah­

men weiter gespannt w erden, von beobachteten Trends neuer Rationalisie­

rungskonzepte, vorherrschenden Strategien der Arbeits- und Organisationsge­

staltung in Industrie- und Dienstleistungsunternehmen bis hin zur Dimension individueller Erkrankungsrisiken und Wohlbefindenschancen.

1 "Die Einführung m oderner Technologien ist aber offensichtlich nicht m it einer durchgän­

gigen Erleicherung oder Verbesserung der beruflichen Arbeit verbunden (Jansen/ Hen-

NINGES 1987, S. 423)." - "Nur 15% der M änner (Frauen: 18%) sehen keine gesundheitsge­

fährdenden Aspekte bei d er Bildschirmarbeit." Zitate aus jAUFMANN/KlSTLER 1992, die re­

präsentative Umfragen zu diesem Thema bilanziert haben 2 von Ferber 1972

3 Funke 1983

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Dies ist ein recht ehrgeiziges Unterfangen. Denn trotz oberflächlich vieler Be­

rührungspunkte ist die Kategorie der "Belastungen" und noch weniger die der

"Gesundheit" eine vorrangige U ntersuchungsdim ension der Arbeits- und Indu­

striesoziologie, so wie auch um gekehrt die Arbeits- und Sozialmedizin, die Ar­

beitswissenschaften oder die psychologische Streßforschung kaum einmal die fertigungstechnischen oder sozio-ökonomischen Voraussetzungen ihrers Un­

tersuchungsgegenstands empirisch kontrolliert und systematisch diskutiert ha­

ben.4 Zweifelsohne finden sich auch in vielen arbeits- und betriebssoziologi­

schen Studien Ausführungen und Hinweise zu Belastungsveränderungen im Gefolge von Rationalisierungsprozessen. Ohne sie hätte der vorliegende Bericht nicht geschrieben w erden können. Allein: Diese empirischen Befunde und ihre interpretative Bewertung sind nicht analytischer Fokus und vorrangiges Erkenntnisinteresse. Die differenzierte (quantitativ oftmals übergewichtige) Analyse von ökonomischen, technischen und beschäftigungsstrukturellen Rah­

m enbedingungen (zumeist im kategorialen Raster unterschiedlicher Branchen und Prozeß- bzw. Fertigungsstrukturen) ist in der Regel auf Erkenntnisse aus­

gerichtet, die Veränderungen von Arbeitsbedingungen hinsichtlich der Di­

mensionen "Qualifikation" und "Autonomie" betreffen.5

Hierfür gibt es zweifellos gute Gründe. Zu nennen sind hier nicht nur die U n­

bestimmtheiten und Probleme, die sich sogleich einstellen, wenn eine Bewer­

tung von Arbeitsbedingungen hinsichtlich ihrer gesundheitlicher Risiken zu leisten ist.6 Aspekte wie: inter individuell abweichende Verhaltensmuster und Bewältigungsressourcen, die unzulängliche Beobachtbarkeit psychischer Be­

lastungen, W echselwirkungen einzelner Belastungsfaktoren und ihre zeitlich langfristigen Folgen, komplexe W irkungszusammenhänge mit biografischen Erfahrungen und außerberuflichen Belastungen sind hier in Rechnung zu stel­

len (und in der Belastungsforschung noch imm er weitgehend ungelöst). Zu nennen w ären aber auch die Schwierigkeiten zur Konzeptualisierung und Ope­

rationalisierung eines adäquaten Gesundheitsbegriffs, der sich aus m edizini­

schen und versicherungsrechtlichen Verengungen löst, ohne in jene definitori- sche Beliebigkeit zu m ünden, die dem WHO-Begriff vorgeworfen w urde oder die das kategoriale Raster der psychologischen Streß-Forschung kennzeichne­

ten, als auch noch Dimensionen der sozialen und intellektuellen Kompetenz

4 vgl. ausführlicher zu dieser Kritik MARSTEDT/MERGNER1986

5 Dies w ird etw a deutlich, wenn Kern/Schumann den Gehalt der neuen Produktions­

konzepte, ihre Implikationen für Arbeitnehm er prim är un ter Aspekten wie "Qualifika­

tions-Ausweitung", "Reprofessionalisierung", "Abbau von Heteronomie" "Selbstbestim­

m ung im Arbeitsprozeß", "Voraussetzung für autonom es Tun außerhalb d er Arbeit", usw erörtern Zw ar w ird der Aspekt d er "Leistungsregulation" auch m iterörtert, aber eben sehr stark in der Perspektive der Autonomie über die Leistungsdisposition und -Verausgabung.

6 A usdruck dieser Probleme ist wohl auch, w enn BaETHGE/Oberbeck in der Bewertung der Belastungsfolgen systemischer Rationalisierung im Angestelltenbereich wesentlich auf In­

terview-Aussagen der Betroffenen zurückgreifen u nd m it sozialwissenschaftlichen Urtei­

len eher zurückhaltend sind, vgl. BAETHGE/OBERBECK 1986, S. 249ff

(6)

- 3 - und des politischen und betrieblichen Interessenhandelns zu Leitkriterien indi­

vidueller (psychischer) G esundheit gerieten.7

H inzu trat sicherlich auch die über lange Zeit berechtigte Gewißheit der Indu­

striesoziologie, m it der Dimension "Qualifikation" (und ihren Korrelaten "Auto­

nomie" und "Kontrolle") eine Schlüsselkategorie zum Verständnis der subjekti­

ven Implikationen von Arbeit, ihrer sozialisatorischen Auswirkungen wie in­

teressenpolitischen Bezüge in den M ittelpunkt eigener Forschungsaktivitäten und Diskussionsbeiträge gestellt zu haben. Daß dieses Axiom - noch vor 10 Jah­

ren als wesentlich neue Erkenntnis der Arbeits- und Industriesoziologie apo­

strophiert8 - sich heute zunehm end als brüchig herausstellt und eine "Ent­

kopplung von Qualifikation und Belastung" (vgl. Kap. III.3) sich abzeichnet, ist in der Perspektive von Beschäftigteninteressen zweifellos problematisch.

Wissenschaftlich hingegen scheint dies Chancen zu eröffnen, Chancen eines erweiterten Blickwinkels und der W iederbelebung einer interdisziplinären Dis­

kussion, die das Thema "Betrieb und Gesundheit" herauslösen könnte aus der­

zeit zu beobachtenden inhaltlichen Verengungen und pragmatischen Anw en­

dungsbezügen individueller Verhaltensprävention (mit den Leitkategorien

"Rückenschule" und "Gesundheitszirkel"), Chancen aber auch zu einer Evalua­

tion und Kritik betrieblicher M odernisierungsprozesse unter Rekurs auf einen erweiterten Kriterien-Katalog mit Einbezug der "Gesundheit".9

Das Thema "Rationalisierung und Gesundheit" ist jedoch sperrig nicht nur in Anbetracht der bislang skizzierten Berührungsdefizite und fehlenden em piri­

schen "Durchschnittsmengen" der Arbeits- und Industriesoziologie einerseits und der mit "Gesundheit" enger befaßten wissenschaftlichen Disziplinen (Ar­

beits- und Sozialmedizin, soziologische und sozialpsychologische Belastungs­

forschung, Epidemiologie) andererseits. H inzu tritt, wie sich in Aufarbeitung der Literatur recht bald zeigt, ein auffälliges "abstract-Defizit" einschlägiger Studien zu neuen Rationalisierungskonzepten. Die Identifikation w enn schon nicht säkularer, so doch für spezifische Realitätsausschnitte (Branchen, Ferti­

gungsbereiche, Qualifikationsniveaus) typischer Entwicklungstrends und Rati­

onalisierungsstrategien fällt auffällig schwer (vgl. ausführlicher dazu unten Kap. III.l).

Antithesen, Dementis, Modifikationen zu andernorts (unvorsichtigerweise, möchte m an sagen) lauthals verkündeten M odernisierungspfaden beherrschen

7 vgl. etw a Greif u.a. 1983

8 v g l . D Ö R R /N A S C H O L D 1982, G Ö RRES u .a . 1983

9 Abzuzeichnen scheint sich dies bereits in den Arbeiten des ISF München, in denen die Kategorie der Belastung eine zentrale, auch empirisch bedeutsame Rolle spielt; vgl. dazu unten Kap. III.3

(7)

die Debatte. "Offenheit" der Gestaltungskonzepte, "Nicht-Linearität" der Verän­

derungstrends, "Experimentier-Phase" des M anagement sind jene Interpretati­

onsformeln, die die wissenschaftlich derzeit weitgehend ungelöste Aufgabe der Abstraktion von Einzelphänomenen und der interpretativen theoretischen Ver­

dichtung beobachteter Elemente technisch-organisatorisch-sozialer Rationali­

sierung gleichwohl "auf den Begriff' bringen sollen.

Diese - schon wieder! - "Unübersichtlichkeit” hat zweifellos viele H intergründe.

Einer von ihnen ist wohl, daß betriebliche Gestaltungsprozesse im Gefolge von Massenarbeitslosigkeit und weltweiter ökonomischer Krise (auch in vordem prosperierenden Zukunftsbranchen) abrupt gebremst und in ganz andere Fahrwasser geleitet w urden. Sozialforscher fielen gewissermaßen in ein "Beo­

bachtungsloch", und es ist noch recht unklar, inwieweit das Faktum der ökonomischen Strukturkrise nun als ephemere "Störvariable" zu exhaurieren oder aber als fortan systematisch zu berücksichtigende Rahmenbedingung in­

dustrieller M odernisierung konzeptuell m itaufzufangen ist. Unbehagen und Unzufriedenheit auch in den eigenen industriesoziologischen Reihen10 11 ver­

weisen jedoch auf die W irksamkeit auch noch anderer Erkenntnisbarrieren.

Zwar gilt die "Technikzentrierung" von Industriesoziologie für die aktuelle Phase ihrer Empirie und Theoriebildung inzwischen als überw unden. Ein De­

terminismus oder auch nur korrelationsstatistisch signifikanter Zusammenhang zwischen technischen Gestaltungskonzepten und Arbeitsbedingungen wird heute nirgends formuliert. Zu fragen ist jedoch, w arum Ursachen für die kon­

statierte Unterschiedlichkeit und Uneinheitlichkeit von Rationalisierungskon­

zepten und -folgen w iederum nur gesucht w erden in spezifischen technischen und ökonomischen Rahmenbedingungen von Branchen, Betrieben, Fertigungs­

strukturen,11 in Kategorien also, deren Erklärungskraft häufig eher bescheiden ausfiel. Die Erfassung der sozialen Dimensionen des Betriebs, wie sie im Kon­

zept der "Sozialordnung" oder "Sozialverfassung" im V ordergrund steht, wäre aus meiner Sicht nicht nur eine sinnvolle Bereicherung des analytischen Rasters zur Beschreibung betrieblicher Veränderungsprozesse.12 Sie könnte darüber

10 vgl. z.B: Bergmann 1991, Schmidt 1989

11 Einen ähnlichen Vorbehalt form uliert SCHMIDT: "Offensichtlich ist für die Darstellung der komplexen technischen Bedingungen m oderner Industriearbeit ein hinreichend großer Raum unerläßlich; gleichwohl kann sich darin aber auch noch eine gewisse Technikzen- triertheit d er Industriesoziologie ausdrücken, obwohl sie theoretisch längst relativiert

w o r d e n ist." SCHMIDT 1989, S. 19

1 vgl. unten Kap. IV.3; dabei übersehe ich nicht die theoretisch-konzeptuellen Probleme der Verknüpfung von industrie- u n d organisationssoziologischen Ansätzen, es kann sicherlich nicht darum gehen, auf Branchen- u n d Rationalisierungsanalysen noch einen unterneh­

menskulturellen Exkurs "draufzupappen"; die grundsätzliche Möglichkeit einer Verknüp­

fung industriesoziologischer Analysekategorien m it Dimensionen der betrieblichen Sozial­

verfassung haben jedoch z.B. Dabrowski/GörreS/ROSENBAUM/VOSWINKEL 1984 auch empirisch aufgezeigt

(8)

- 5 -

hinaus - auch zur Identifizierung jener noch unbekannten Parameter führen, die (möglicherweise) die beobachtete Vielgestaltigkeit betrieblicher Verände­

rungskonzepte mitverursachen - dies wäre allemal eine empirische Probe aufs Exempel wert.

Und noch auf einen letzten Aspekt ist hier hinzuweisen, bevor die Ergebnisse der Literaturaufarbeitung und ihre Interpretation hinsichtlich der Frage "Wel­

che belastungs- und gesundheitsrelevanten Effekte lassen sich im Gefolge neu­

er Rationalisierungskonzepte feststellen?" dargelegt werden. So wenig in den 80er Jahren die Aufmerksamkeit der arbeits- und industriesoziologischen For­

schung den Arbeitsbedingungen der "An- und Ungelernten" galt, sondern (in Aufnahme betrieblicher Automationseuphorien und Hoffnungen einer umfas­

senden Re- und Höherqualifizierung gesellschaftlicher Arbeit) den Facharbeiter unter die Lupe nahm, so gering ist derzeit die Aufmerksamkeit, die jenen Bran­

chen zuteil w ird, die nicht als "Kernsektoren" eingestuft und mit dem Weih­

wasser zukunftsweisender, für den Prozeß gesellschaftlicher M odernisierung prototypischer Bereiche bedacht w urden. Maschinenbau, Chemie, Automobil­

industrie - in diesen Branchen geben sich am Werkstor ein- und auskehrende Sozialforscher die H and, zu Rationalisierungsstrategien in diesen Bereichen schwillt die Literatur unabsehbar an. Für die anderen Sektoren hingegen, in denen knapp 90 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aufzu­

finden sind, wird die Bestandsaufnahme ungleich selektiver und verschwom­

mener.

2.) Gliederung des Berichts und Gang der Argumentation

Alles zusammen genommen mag die Fallstricke und Stolpersteine deutlich m a­

chen, die einer Bewertung von Belastungsauswirkungen und Gesundheitsrisi­

ken im Gefolge "neuer Produktionskonzepte" und "systemischer Rationalisie­

rung" im Wege stehen,13 die Probleme einer Urteilsfindung und -begründung, die Dementis und Reklamationen nicht sofort Tür und Tor öffnet.

Der folgende Bericht ist in drei Teile aufgegliedert. Zunächst (Kap. II) w ird der industriesoziologische Diskussionszusammenhang kurz skizziert, sollen zur Einführung auch für Leser, die m it der industriesoziologischen Debatte nur

13 Ein gravierendes Problem ist dabei auch, daß selbst dort, wo Arbeitsbelastungen erfaßt und beschrieben werden, dies häufig differenziert und unterteilt w ird bis hin zur Ebene von Tätigkeitsstrukturen u n d Arbeitsplätzen. So beschreibt z.B. GENSIOR für die Elektroindustrie Dispositionsspielräume, Qualifikationsanforderungen und Belastungen jeweils nur bezogen auf einzelne Tätigkeilsprofile (wie: Bestücken, Prüfen/W arten, Nacharbeiten, Reparatur/K undendienst) und innerhalb dieser G ruppen w iederum noch differenziert nach den jeweiligen technisch-organisatorischen Gestaltungskonzepten (z.B.

Bestücken, ob H andbestückung oder teilautomatisiert); vgl. GENSIOR 1989, S.120ff

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oberflächlich vertraut sind, die wesentlichen Thesen und Konzepte überblicks­

artig referiert w erden ("Neue Produktionskonzepte", "systemische" bzw. "inte­

grative" Rationalisierung, "lean production"). Dieser Teil rekurriert im wesent­

lichen auf jene Autoren und Studien, die die imm er noch anhaltende Debatte zur Zukunft der Arbeit ausgelöst bzw. zwischenzeitlich neu belebt haben.

Darauf folgt (Kap. III) unter Einbezug auch w eiterer Literatur (und vor allem empirischer Forschungsberichte) ein erstes Resümee des Forschungsstandes unter der Fragestellung "Wie verändern neue Rationalisierungskonzepte die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen?". Es ist dies der Versuch, in den Branchenberichten zumeist nicht vorrangig behandelte Aspekte der Folgen­

abschätzung von Rationalisierung über unterschiedliche theoretische Ansätze und empirische Zugriffsbereiche hinweg zu bündeln, darüber hinaus aber auch die teils unentschiedene, teils strittige Diskussion hierüber (vgl. oben) in jenen Punkten "an die W and zu nageln", in denen sich, w enn schon kein Konsens, so doch zum indest eine mehrheitliche Auffassung herausgebildet hat.

Dabei erwies es sich als notwendig, den Bericht zu beschränken auf den Be­

reich "Produktionsarbeit". Dies resultiert keinesfalls aus einer konzeptuellen Blindheit gegenüber der Bedeutung anderer Sektoren, sondern hat allein prak­

tische (und zeitökonomische) Gründe. Zw ar finden sich auch einige neuere Überblicks-Studien, die Dienstleistungsarbeit unter Rationalisierungsaspekten bilanzieren,14 15 ebenso Forschungsberichte über einzelne Branchen oder Tätig­

keitsprofile, A rbeitsplatzveränderungen bei Verkäuferinnen ebenso wie bei Fertigungsplanern und Konstrukteuren. Der empirische Forschungsstand für Angestelltentätigkeiten ist insgesamt jedoch weitaus lückenhafter, theoretische Ansätze sind sehr viel weniger pointiert und konzeptuell zugespitzt. Vor die­

sem H intergrund wären Urteile über Belastungsveränderungen bei Angestell­

tentätigkeiten durch Rationalisierung mit hoher Wahrscheinlichkeit arbiträr ausgefallen, allein den Zufälligkeiten der Literaturauswahl und -Zugäng­

lichkeit geschuldet. Gleichwohl hielte ich es für sinnvoll und ertragreich, die Fragestellung dieses Berichts perspektivisch weiterzufolgen bei Tätigkeiten in Banken, im Handel, in Industrie- und Kommunalverwaltungen. Auch d ort hat bereits eine Debatte eingesetzt über Möglichkeiten und Grenzen einer "schlan­

ken" Verwaltung.1^

Im letzten Teil schließlich (Kap. IV) w ird der Versuch unternommen, in drei allgemeineren Thesen eine zusammenfassende Einschätzung der belastungs- und gesundheitsrelevanten Folgen neuer Rationalisierungskonzepte zu for­

mulieren. Dabei geht es um Veränderungen

14 z.B. Oberbecr/ Neijbert 1992, Litter u.a. 1991, Litter u.a. 1992 15 vgi. Kühnlein/Wohlfahrt 1994

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- 7 -

® der gegenständlichen Tätigkeitsanforderungen und Belastungen im Ar­

beitsprozeß, die als "Innervierung der Arbeit" charakterisiert w ird, als simultane Zunahm e von H andlungsspielräum en und LeistungsVerdich­

tung, als Autonomiegewinn und Verschärfung psychischer Belastung,

® um eine Segmentierung von Arbeitsbelastungen (und Beschäftigungsri­

siken), deren höchst ungleiche Verteilung auf Erwerbstätige im Rahmen

"pyramidaler Strukturen" innerhalb des Systems gesellschaftlicher Arbeit (auf Branchen-, Betriebs-, Belegschaftsebene, sowie auch in Bezug auf un­

terschiedliche Gesundheits- und Leistungsvoraussetzungen von Arbeit­

nehmern), und

® um Veränderungen im Kontext von "Unternehmenskultur" und "Gesund­

heitsförderung", die m.E. als flankierende Strategien zur Durchsetzung betrieblicher Leistungsanforderungen und Arbeits-Neustrukturierungen (Aufgabenintegration, Gruppenarbeit, Intensivierung der Qualitätssi­

cherung) in den betrieblichen Alltag zukünftig vermehrt Eingang finden werden.

Inwieweit diese im wesentlich aus der Literatur abgeleiteten und nur begrenzt auf eigenen Erfahrungen beruhenden Urteile* 14 * 16 in den Strudel industriesozio­

logischer Dementis geraten, bleibt abzuw arten, schaden kann es nicht. Auch wenn die von KERN/SCHUMANN 1984 formulierten Thesen und der darin ent­

haltene Optimismus heute auf mehr W iderspruch als Zustimmung stoßen, bleibt ihnen m.E. dennoch das Verdienst, hier eine breite Diskussion in Gang gesetzt und sozialwissenschaftliche Forschung auch zu einem W erturteil ge­

nötigt zu haben über betriebliche M odernisierungprozesse, ihre individuellen Kosten und ihren gesellschaftlichen Ertrag in Termini ökonomischer wie sozia­

ler Wohlfahrt.

16 Diese eigenen Erfahrungen basieren auf Kurzrecherchen, die im Jahre 1990 in insgesamt 14 (zumeist high-tech-) Betrieben im Rahmen eines DFG-Projekts "Betrieb und Gesund­

heit" durchgeführt w u rd en u n d Strategien betrieblicher Gesundheitspolitik auch im Lichte unternehm enskultureller Erklärungsansätze erfassen sollten, vgl. MARSTEDT1990

(11)

II.) Der theoretische und begriffliche Hinter­

grund: Von den ’’Neuen Produktionskonzep­

ten” zur ’’lean production"

1.) ’’Das Ende der Arbeitsteilung?’’: Anfang einer noch immer unvollendeten Debatte

"Neoindustrialisierung" hieß der ursprünglich von Horst Kern und Michael Schumann als Bilanz ihrer Follow-up-Studie (zu "Industriearbeit und Arbeiter­

bewußtsein") konzipierte Titel und Leitbegriff, der auch in ihrer Publikation

"Das Ende der Arbeitsteilung?" noch in vielen Textpassagen w iederzufinden ist. Mit der sehr viel unscheinbareren und wenig spektakulären Formel der

"Neuen Produktionskonzepte" lösten sie dann jedoch eine bis heute anhaltende, breite politik- und sozialwissenschaftliche Debatte um die Zukunft der Arbeit und der Arbeitsgesellschaft aus - deren Virulenz und politisierender Gehalt für manchen als eigentlicher Verdienst ihrer Veröffentlichung gilt, auch w enn er den Realitätsgehalt ihrer empirischen Analyse in Frage stellt und ihre eher modernisierungsoptimistische Position nicht teilt. Die zum neuen Paradigma deklarierte zentrale These, die seither für Heerscharen von Gewerkschaftern wie Sozialwissenschaftlern auch Stein des Anstoßes war, lautet:

"Nach Abschluß unserer Erhebungen lautet heute unsere arbeitspolitische Hypo­

these (...): In den industriellen Kernsektoren vollzieht sich vor unseren Augen ein grundlegender W andel d er Produktionskonzepte, in dem das betriebliche Inter­

esse an Ersetzung lebendiger Arbeit u n d das an Ökonomisierung der Rest-Arbeit auf neue Weise m iteinander verschränkt sind. (...) in eben dieser Zeit steigt auch das Bewußtsein für die qualitative Bedeutung menschlicher Arbeitsleistung und die W ertschätzung d er besonderen Qualitäten lebendiger Arbeit. Das Credo der neuen Produktionskonzepte lautet: a) Autonom isierung des Produktionsprozesses gegenüber lebendiger Arbeit durch Technisierung ist kein W ert an sich. (...) b) Der restringierende Zugriff auf Arbeitskraft verschenkt wichtige Produktivitätspoten­

tiale. Im ganzheitlicheren Aufgabenzuschnitt liegen keine Gefahren, sondern Chancen; Qualifikationen u n d fachliche Souveränität auch der Arbeiter sind Pro­

duktivkräfte, die es verstärkt zu nutzen gilt."17

W iederholt verwiesen w urde von den Autoren auf den optionalen Charakter der neuen Produktionskonzepte, den es aus ihrer Sicht auch von gewerkschaft­

licher und wissenschaftlicher Seite zu stärken und zu unterstützen gilt, auf

"Linienauseinandersetzungen im Management"18 und "unterschiedliche Sicht­

17 Kern/Schumann 1984, S. 19 18 Kern/Schumann 1984, S. 325

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weisen, die im M anagement d azu bestehen"19 20. Auch w ird ganz zum Ende der Buchveröffentlichung eine vager Irrtum svorbehalt artikuliert, w ird konzidiert, daß ihre Prognose hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen von Produktionsar­

beit womöglich zu entschieden und eindeutig ausgefallen ist, w enn es dort heißt:

- 9 -

"In unserer Zurückhaltung an dieser Stelle spiegelt sich die Ratlosigkeit des politi­

schen Zeitgenossen, d er sich d e r Erfahrung nicht verschließt, daß die Bindekräfte des kapitalistischen Industriesystem s größer als gedacht sind und daß d e r Weg von der Idee einer neuen Gesellschaft zum konkreten Alternativmodell ein sehr weiter ist."^0

In der Entwicklung ihrer Analyse und Interpretation empirischer Befunde zu neuen Management-Konzepten und arbeitspolitischen Leitkriterien ist ihr Ur­

teil jedoch sehr viel weniger unentschieden, w erden die neuen Produktions­

konzepte definiert als "wahrscheinlicher Entwicklungspfad in den Kernsekto­

ren"21, wird argum entiert m it sachimmanenten N otwendigkeiten und mit Ana­

lyseresultaten, deren Interpretation nur eindeutig ausfallen kann: "Höhere Pro­

duktivität ist unter den gegenwärtigen Um ständen ohne pfleglicheren, 'aufge­

klärteren' Umgang mit der lebendigen Arbeit nicht zu bekommen." 22

Auch wenn bisweilen die Kritik einer zu euphorischen oder zu blauäugigen Bestandsaufnahme form uliert w urde (oder der Vorwurf auftauchte, Unterneh­

mens-Philosophien und Manager-Parolen für die Realität zu nehmen), w urde doch bereits im "Ende der Arbeitsteilung" auf Imponderabilien und Risiken verwiesen: Risiken, die einerseits in inner- wie überbertrieblichen Fraktionie­

rungen manifest w erden könnten, in Segmentationen von Belegschaften, die einige zu "Rationalisierungsgewinnern" macht, viele andere Erwerbstätige je­

doch zu "Rationalisierungsduldern" oder gar -Verlierern. Risiken w urden je­

doch auch schon gesehen in einer zu halbherzig-bornierten betrieblichen Um­

setzung der neuen Produktionskonzepte: durch Bündelung der Qualifikations­

effekte, also ihre Beschränkung auf nur wenige Beschäftigtengruppen, durch eine enge (nicht transferierbare) betriebsspezifische Qualifizierung, durch eine sim ultan eingeführte Politik d er Leistungsverdichtung.

Dessen ungeachtet erscheint jedoch ihre These (und Hoffnung) einer Reprofes- sionalisierung von Arbeit, eines weitgehenden Abbaus von Heteronomie nicht nur bedeutsam im Hinblick auf Entwicklungstendenzen fachlich-beruflicher Qualifizierung, auf die Breite arbeits- und berufsbezogener Fähigkeiten und Kenntnisse. Weit darüber hinaus w ird die in den neuen Produktionskonzepten

19 Kern/Schumann 1984, S. 27 20 Kern/Schumann 1984, S. 331 21 Kern/Schumann 1984, S. 21 22 Kern/Schumann 1984, S. 323

(13)

angelegte "Wertschätzung lebendiger Arbeit" auch unter dem Aspekt von So­

zialisation und Persönlichkeitsentwicklung interpretiert: Mit den neuen Pro­

duktionskonzepten "...wird es möglich, Voraussetzungen für kompetentes, selbstbewußtes Verhalten im Arbeitsprozeß entscheidend zu verbessern", stel­

len sich günstigere "Ansatzpunkte für Persönlichkeitsentwicklung" ein, w erden

"Voraussetzungen für autonomes Tun außerhalb der Arbeitswelt e rh ö h t." 23 Empirisch konkretisiert w ird ihre These anhand einer Vielzahl von Beispielen neuer Arbeitsplätze im Maschinenbau, in der Chemischen Industrie, in der Au­

tomobilindustrie, die allesamt den Charakter einer Abkehr vom Prinzip taylo- ristisch-fordistischer Arbeitgestaltung erkennen lassen, so wie dies z.B. an den Aspekten einer weitreichenden Aufgabenintegration, eines Verzichts auf Kon­

trolle, eines Aufgabenzuschnitts m it weitreichenden Kompetenzen beim Stra­

ßenführer im Rohbau der Autom obilindustrie deutlich wird. Hinsichtlich der Arbeitsbedingungen w ird dabei andeutungsw eise vorweggenommen, was 10 Jahre später als unzweifelhaftes Ergebnis der Implikationen neuer Produkti­

onskonzepte festzustehen scheint: eine Entkoppelung von Qualifikation und Belastungen, von Autonomie und Leistungsintensität.24 25 Noch mit ein wenig Ratlosigkeit wird 1984 für den neuen Arbeitstypus "Straßenführer in der Auto­

mobilindustrie" festgestellt:

"Die Arbeit, die w ir vor Augen haben, ist qualifiziert und bietet Regulationschan­

cen, gleichwohl sind die Streßbelastungen offenbar hoch; sie hat wenig passive Be­

standteile u n d besitzt einen hohen Verdichtungsgrad, gleichwohl ist sie für Regula­

tion seiten des Arbeiters offen. Die Tätigkeit entzieht sich also einer klaren Zuord­

nung im Gegensatz von 'qualifiziert/autonom /locker/kom fortabel' versus ‘frag- m en tiert/frem dbestim m t/verdichtet/belastend' - scheint qualifiziert und bela­

stend, autonom und verdichtet. Diese kom plizierten Zusam m enhänge müssen noch genauer durchleuchtet werden."23

Die Thesen vom "Ende der Arbeitsteilung", der "Reprofessionalisierung" von Industriearbeit, der "neuen W ertschätzung lebendiger Arbeit" und "ganzheitli­

cheren N utzung des Arbeitsvermögens" sind schon sehr bald nach ihrer Veröf­

fentlichung auf teils moderate, teil vehemente Kritik gestoßen. Da weiter unten detailliert auf kritische Positionen eingegangen w ird, die sich nicht allein - wie

23 Kern/Schumann 1984, S. 327

24 Noch zwei Jahre zuvor hatten Dörr/ NaSCHOLD einen empirisch aufzeigbaren (und ar­

beitspolitisch interpretierbaren) sehr engen Zusam m enhang von Qualifikation und Bela­

stung als neues Ergebnis industriesoziologischer Forschung herausgestellt: "Die hier po­

stulierte Beziehung zwischen Qualifikation u n d Belastung bei industrieller Arbeit ist in verschiedenen, methodisch unterschiedlich angelegten Studien belegt worden." vgl.

Dörr/ NaSCHOLD 1982, S. 440; ähnlich gehen GÖRRES u.a. 1983 bei ihrer theoretischen Kon­

zeption "restriktiver Arbeit" von einem solchen Zusam m enhang der Qualifikationsanfor­

derungen m it anderen Restriktivitätsdimensionen aus, u n d auch Lutz 1988 vertritt m it seiner These "kumulativer Ungleichheit" eine ähnliche Position

25 Kern/Schumann 1984, S. 99

(14)

- 1 1 - seinerzeit - auf methodische Einwände und eher gesellschaftstheoretisch un­

termauerte Argum ente beziehen, sondern auch auf seither systematisch durch­

geführte empirische Studien, kann auf die Darstellung dieser grundlegenden Einwände und Gegenpositionen, wie auch seinerzeit vorgetragener theoreti­

scher und empirischer Differenzierungen hier verzichtet werden.26

In recht weitgehendem arbeitspolitischem Konsens m it KERN/SCHUM ANN, was persönlich favorisierte Entwicklungspfade von Industriearbeit betrifft, hat

BRÖDNER (1985) zwei Modelle einander gegenübergestellt: das "anthropozen­

trische" und das "technozentrische" Konzept. Konkretisiert w erden die beiden Modelle im Rahmen einer Darstellung von (und eines Plädoyers für) "Grup­

penfertigung" als (Re-)Integration bearbeitender, planender und steuernder Tä­

tigkeiten und mit Rotation der Gruppenm itglieder für die Fertigung bestimm­

ter Teilefamilien etwa in Konstruktions- und Fertigungsinseln.

Zwar form uliert BRÖDNER sehr deutlich Antipathien für das technozentrische Modell ("Menschen mit Maschinen statt Maschinen gegen Menschen") und entwickelt auch Argumente für soziale und ökonomische Vorteile ("..im Hinblick auf Flexibilität, Qualität und Lieferbereitschaft")27 des anthropo­

zentrischen Konzepts. Sehr viel weniger dezidiert als bei Kern/SCHUMANN ist jedoch die Prognose säkularer Veränderungstrends, es w ird eingeräumt: Die Entwicklung ist unklar, erkennbar ist der "Kampf zweier Linien im Manage­

ment", sind "Kräfte der Beharrung", die tayloristische Pfade im Konnex mit umfassenden Konzepten fortschreitender Mechanisierung und Automation zementieren möchten bis hin zur Vision der "mannleeren Fabrik".

"Am Ende des Weges stünden das alle Funktionsbereiche der Produktion zu­

samm enführende, integrierte Rechnersystem u n d sein notwendiges Gegenstück, die über diese Funktionen zerstreute A rbeitsstruktur zusam m enhangloser Resttä­

tigkeiten. Als Subjekte w ären die Menschen aus d er aktiven Gestaltung dieses Teils ihrer Lebensumstände ausgeschieden. Soweit überhaupt noch involviert, w ä­

ren sie Arbeitsbedingungen unterworfen, die ihre Qualifikation mangels Ge­

brauch verküm m ern, ihre kreativen Potenzen schw inden u n d sie selbst maschi- nenhaftes Verhalten annehm en ließen." 28

26 vgl. dazu z.B.: WSI-Mitteilungen, Heft 3, 1983, m it den Beiträgen von DÜLL 1985, SCHMIDT

1985; ferner: Referate u n d Diskussionsbeiträge auf dem Deutschen Soziologentag 1986 in Hamburg, in: Lutz 1987; sowie als Überblick über Thesen u n d Diskussionsergebnisse:

Helfert 1991, Oehlke 1993, Dabrowski u.a. 1989

2 7 BRÖDNER 1985, S. 186

28 BRÖDNER 1985, S. 114

(15)

2.) "Systemische Rationalisierung": Die radikale Auswei­

tung der Perspektiven betrieblicher Modernisierung

"Neue Produktionskonzepte’' und "anthropozentrische" Arbeitsgestaltung im­

plizieren (zum indest theoretisch, denn die Faktizität solcher V eränderungen in der betrieblichen Praxis w urde und w ird vielerorts bestritten oder zumindest relativiert) einen nachhaltigen Bruch m it tayloristischen Prinzipien, einen radi­

kalen Wandel m it jahrzehntelang tradierten Leitvorstellungen von Rationalisie­

rung und Produktivitätssteigerung. Gleichwohl sind sie in ihrer inhaltlichen Perspektive, in der Reichweite jeweils beobachteter und systematisch themati­

sierter Dimensionen von Unternehm ensgestaltung sehr eingeschränkt. Be­

schrieben w erden arbeitspolitische Veränderungskonzepte, Ansatzpunkte und Leitmotive der Arbeitsgestaltung sam t der dam it assoziierten Aspekte der Leistungspolitik, der Entlohnung, der Qualifizierung, des Arbeitseinsatzes usw. - theoretisch interpretiert auch unter der Thematik veränderter Beziehun­

gen von Arbeit und Kapital, von (alten und neuen) Erscheinungsformen be­

trieblicher Herrschaft und Kontrolle.

Radikale Veränderungen in den Prinzipien betrieblicher M odernisierung w er­

den auch mit dem Begriff "systemischer" oder "integrativer" Rationalisierung Umrissen - allerdings in einem noch sehr viel weitreichenderen analytischen Raster, das die grundlegenden inner- und Zwischenbetrieben O rganisations­

strukturen als Einsatzfeld unternehmerischer Innovation erkennt.29 Ein forcier­

ter Technik- und insbesondere EDV-Einsatz ist zw ar grundlegende Voraus­

setzung dieses Rationalisierungstyps, die vorrangige Zielsetzung ist jedoch nicht "Automation", sondern eine Flexibilisierung und Ökonomisierung von Produktionsabläufen durch eine grundlegende Neugestaltung inner- und zw i­

schenbetrieblicher Formen der Arbeitsorganisation und Arbeitsteilung, die sich in der Industrie wie im Dienstleistungssektor zunehm end durchsetzt.

Der bisweilen in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit akzentuierte, vermeint­

lich erkannte W iderspruch zwischen den Thesen zur "systemischen Rationali­

sierung" und zu den "neuen Produktionskonzepten" w ird heute von den ange­

sprochenen Autoren nicht als Dissens, sondern als wissenschaftliche Arbeits­

teilung erläutert. Gemeinsame Basis ist: Die neuen Rationalisierungs-Strategien sind betriebliche Gesamtkonzepte, die die Produktion ebenso wie Forschung und Entwicklung, Produktionsplanung und Vertrieb berühren und nicht nur innerbetrieblich intervenieren, sondern auch zwischenbetriebliche Reorganisa­

tionsprozesse in Gang setzen. In diesem w eitreichenden Feld betrieblicher Mo­

29 Die Konzepte sind offenbar zeitgleich vom SOFI Göttingen und dem ISF M ünchen ent­

wickelt u nd veröffentlicht worden; vgl. zum folgenden insbesondere: Baethge/ Oberbeck

1986 und LUTZ u.a. 1986

(16)

- 1 3 - dernisierung thematisieren "Neue Produktionskonzepte" die Rationalisierungs­

prozesse im Umfeld der unm ittelbaren Produktion, "systemische Rationalisie­

rung" setzt als analytisches Konzept seinen Schwerpunkt auf konkrete Formen der bereichsübergreifenden Integration der Produktionssysteme und ihrer Ver­

netzung auf der Basis der DV-Technik.30 31

BAETHGE/OBERBECK sehen systemische Rationalisierungsprozesse dadurch ge­

kennzeichnet,

"daß unter N utzung neuer, mikroelektronisch basierter Datenverarbeitungs- u nd Kommunikationstechnik der betriebliche und überbetriebliche Informationsfluß, die Kommunikation über u n d die Kombination von Daten, die Organisation der Betriebsabläufe und die Steuerung der unterschiedlichen Funktionsbereiche in einer Verwaltung bzw. in einem Unternehm en in einem Zug neu gestaltet werden.

(...) Rationalisierung in den hier behandelten Dienstleistungsbereichen heißt in er­

ster Linie verbesserte Antizipation von M arktentwicklungen und - wo möglich - Erhöhung der Kapazität zur M arktsteuerung, nicht vorrangig W eiterentwicklung von Technik zur Kompensation menschlicher Arbeit."3^

Der Hintergrund des neuen Rationalisierungstyps sei ganz kurz Umrissen: Eine Verschärfung der nationalen und internationalen Konkurrenz, zunehm ende Sättigung auf Absatzmärkten, steigender interner Kostendruck, Veränderungen in der Produktnachfragestruktur (mit deutlich ansteigender Tendenz zu qualitativ hochwertigen Gütern mit imm er kürzeren Innovationszyklen) sind einige der Bedingungen, die zur Ausformung dieses neuen Typus systemischer Rationalisierung geführt haben. In mehrfacher Hinsicht bricht diese Strategie, die nicht nur auf Kostensenkung, sondern (dies ist das wesentlich Neue) auch auf schnellere Anpassung der W aren- und Dienstleistungsproduktion an wechselnde M arktbedürfnisse abzielt, m it eingefahrenen Traditionen und Modellen. War Rationalisierung bislang eher punktuell orientiert auf Ein­

zelfunktionen, auf jeweils isoliert betrachtete Bearbeitungsvorgänge und Ar­

beitsmittel, so geraten nun gesamtbetriebliche Prozesse unter Einschluß von Planung, Verwaltung, Distribution ins Visier, wird die systematische Integra­

tion bislang funktional oder räumlich getrennter Teilarbeiten erklärtes Ratio­

nalisierungsziel. Diese Reorganisation will W artezeiten im Produktionsablauf ebenso minimieren, wie sie mit reduzierten Produktdurchlaufzeiten, der Auf­

lösung von Puffern und Lagerbeständen, mit erhöhten A usnutzungsgraden von Anlagen und Maschinen und bedarfsoptimiertem Personaleinsatz die Ka­

pitalbindung senken und eine flexiblere Reaktion auf M arktveränderungen er­

reichen will.

Gestützt auf einen breiten und integrierten Einsatz neuer mikroelektronischer Datenverarbeitungs- und Kommunikationstechniken ermöglicht dies auch

30 Schumann u.a. 1994a, S. 13 31 Baethge/ Oberbeck 1986, S. 22

(17)

eine N eudefinition zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung, etwa in Form einer Auslagerung eigener Forschungs- und Entwicklungsleistungen. Ebenso kann die Fertigung von V orprodukten in breitem Umfang an Fremdfirmen vergeben werden, so daß aufgrund der kommunikationstechnischen Einbindung und Steuerung auch außerbetrieblicher Produktions- und Zulieferprozesse nun­

mehr Gestaltungsziele wie die einer "lagerlosen Fertigung" oder "bestandslosen Distribution" realistisch erscheinen. Mit dieser Reorganisation aufs engste verbunden sind Beschäftigungsumschichtungen, die einerseits innerbetrieblich wirksam w erden als Aufgliederungen und Fraktionierungen in Stamm- und Randbelegschaften,32 andererseits Veränderungen, die unterschiedliche Re­

striktionen und Gratifikationen in Abhängigkeit von der jeweiligen Betriebs­

zugehörigkeit betreffen. Deregulierungstendenzen, prekäre Beschäftigungsver­

hältnisse, Qualität des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, betriebliche Ein­

kommensregelungen und Sozialleistungen, Qualifizierungschancen und Mitbe­

stimmungsrechte - all dies sind Momente, die für Erwerbstätige in "fokalen"

(marktbeherrschenden) Unternehmen" in der Regel sehr viel günstiger ausfal- len als in Betrieben der "Zulieferer-Pyramiden", (vgl. dazu unten Kap. III.3) Hinsichtlich der Ausw irkungen systemischer Rationalisierung auf die Arbeits­

bedingungen w erden keine völlig eindeutigen und klar vorgezeichneten Ent­

wicklungslinien gesehen. Deutlich ist jedoch: Es kommt im Gefolge der massi­

ven Computerisierung nicht zu einer Taylorisierung geistiger Arbeit. Was je­

doch zu beobachten ist, w ird als "Entmythologisierung eines emphatischen Be­

griffs geistiger Arbeit" charakterisiert, dadurch, daß hoch-routinisierte, stan­

dardisierte (und entsprechend monotone) Anforderungen, die auch im Rahmen qualifizierter Sachbearbeitung anfallen, vom EDV-System übernom m en w er­

den.

Generalisierbar erscheint den Sozialforschern auch ihre Beobachtung einer

"Refeudalisierung von Arbeits Verhältnissen". Betriebliche Personalpolitik zielt auf eine enge Betriebsbindung der Angestellten, um hohe Aus- und Weiterbil­

dungskosten nicht der Konkurrenz zu gute kommen zu lassen. Personalselek­

tion gewinnt an Gewicht, nicht allein im Rahmen von Neueinstellungen, son­

dern auch im Kontext von W eiterbildungskonzepten und innerbetrieblichen Aufstiegs- und Laufbahnmodellen. Die neuen Möglichkeiten von EDV begrün­

den einen "epochalen" W andel der Voraussetzungen von Kontrolle - ohne daß dies freilich nach dem Urteil von BAETHGE/OBERBECK von Unternehm en über­

mäßig und unangemessen ausgeschöpft w ird. Resultat dieser auf Loyalität,

32 Hier bestehen sehr enge inhaltliche Verknüpfungen zu den von Kekn/Schumann aus­

führlich dargestellten Zugewinnen un d Verlusten in d er Qualität von Arbeit und Beschäf­

tigung, d er H erausbildung von Rationalisierungsgewinnem u nd -Verlierern, Probleme, die in interessenpolitischer Perspektive sehr ausführlich erörtert w erden, vgl.

KERN/SCHUMANN 1984, S. 300ff

(18)

- 1 5 - Engagement und Betriebsverbundenheit zielenden M aßnahmen ist eine Schwä­

chung der Verhandlungsm acht der Angestellten, oder, in anderer kategorialer Fassung und aus Sicht der Betroffenen: eine "erhöhte Leistungskonkurrenz und -anpassung", eine "Zuspitzung individueller Leistungsmoral und individuellen Nutzenkalküls."33

Die Belastungsfolgen des neuen Rationalisierungstyps sind nicht einheitlich zu kennzeichnen, zu verschieden sind nicht nur die Tätigkeitsprofile und fachli­

chen Anforderungen (von Abteilungsleitern über Kundenberater und Einkäu­

fer bis hin zu routinisierten Sachbearbeitungstätigkeiten), sondern auch die je­

weils gewählten betrieblichen Veränderungskonzepte. Gleichwohl w erden drei Problem-Brennpunkte benannt, die sich in der Perspektive der Beschäftigten (vgl. Tabelle) als zum Teil massive Befürchtung einer Belastungsintensivierung im Gefolge technisch-organisatorischer Veränderungsprozesse herauskristalli­

sieren.

Veränderungen der Arbeitsbedingungen im Angestelltenbereich im Gefolge technisch-organisatorisch Rationalisierung (Antworthäufigkeiten in Prozent)

Beurteilung der Kontrolle durch EDV: ("Man hört häufiger, daß die Weiterentwicklung der EDV zu einer stärkeren Kontrolle des einzelnen Angestellten führt. Würden Sie aus Ihrer Erfahrung diese Meinung teilen?“)

Industrie Kreditinstitut Versicherung Handel Kommunal­

verwaltung

ja. EDV führt zu stärkerer Kontrolle 40 59 63 47 18

teils-teils 5 12 9 10 4

nein 41 23 16 28 63

weiß nicht/keine Angabe 14 6 11 15 16

Veränderungen der Arbeitsbelastung: (“Bearbeiten Sie heute mehr Fälle als früher oder weniger?", Nachfrage: "Bedeutet das für Sie auch eine stärkere Belastung?")

Industrie Kreditinstitut Versicherung Handel Kommunal­

verwaltung

mehr Fälle (mit stärkerer Belastung) 56 31 35 52 44

mehr Fälle (ohne stärkere Belastung)) 13 27 25 20 18

Zahl der Fälle ist gleichgeblieben 15 23 . 18 10 17

Zahl der Fälle ist weniger geworden 13 10 16 5 19

weiß nicht/keine Antwort 3 9 6 13 3

Veränderung der/Cooperations- und Kontaktchancen: ("Hat die Möglichkeit zur Zusammenarbeit mit Kollegen und zum Kontakt mit ihnen durch die Veränderungen eher zugenommen oder eher abgenommen?“)

Industrie Kreditinstitut Versicherung Handel Kommunal- verwaltunq

eher zugenommen 39 32 33 33 43

teils-teils 2 3 2 4 4

eher abgenommen 19 23 39 16 8

weder - noch 35 40 26 31 44

weiß nicht/keine Antwort 5 2 0 16 1

Quelle: Baethge/Oberbeck 1986, S. 2 5 6 ,2 6 8 ,2 7 4 ; N = 527 Befragte

33 Baethge/ Oberbeck 1986, S. 37, 43

(19)

Zusammenfassend heißt es:

"In den Befürchtungen vieler Angestellter erscheint d er künftige Büroalltag vor al­

lem als durch vielfältige und perm anente Kontrolle, durch erhöhte Hektik und durch eine Verarm ung in der Kommunikation geprägt. "34

Dabei handelt es sich nicht um subjektive Ängste und Befürchtungen im Kon­

text der Computerisierung, die einer rationalen Grundlage entbehren und die m it der Zeitdauer der Gewöhnung deutlich und absehbar an Gewicht verlie­

ren. BAETHGE/OBERBECK räum en ein, daß das Arbeitsklima im Büro "zuneh­

m end 'männlicher' w ird, in jenem schlechten Sinne des Wortes, daß es stärker konkurrenzhaft und zunehm end nur zweckgerichtet wird" und skizzieren zu­

gleich Entwicklungstendenzen im Bereich von Angestellten-Tätigkeiten, die auf eine deutliche Erhöhung insbesondere psychischer Belastungen verweisen:

"Dieses Klima und der Zw ang zu konzentrierter Arbeit stellt neue A nsprüche an das Leistungsvermögen der Angestellten, erfordert m ehr u nd m ehr den hochfle­

xiblen, stark belastbaren, Streß- und Konkurrenzdruck ertragen könnenden Ver­

haltenstyp. W enn unter d en von uns befragten Angestellten bereits die Hälfte der jüngeren A ltersgruppe (27 bis 35 Jahre) den Anstieg der Belastungen hervorhebt u nd besonders Frauen die Angst vor frühzeitigem Verschleiß ihres Arbeitsvermö­

gens äußern, w ird sichtbar, welche individuellen Kosten m it der W eiterführung der Bürorationalisierung verbunden sein werden. "33

3.) "Lean production": Wie gesund sind betriebliche Schlankheitskuren für die Arbeitnehmer ?

War "CIM" nach Auffassung von Rationalisierungs-Experten in den Jahren 1991 und 92 vorherrschendes Schlagwort vieler Diskussionen zur Arbeitswelt,34 35 36 so ist mittlerweile ist ein anderer Begriff in den Brennpunkt des öffentlichen In­

teresses getreten: "lean production". Auch w enn es an Kritik von Arbeitneh­

merseite nicht mangelte37, die Rezeption der "lean production"-Botschaft war häufig von Faszination, bisweilen sogar von schwärmerischer Emphase getra­

gen, und dies auch bei gewerkschaftsnahen Wissenschaftlern:

"Schlanke Produktion w ird die Welt verändern. Das entschleierte Geheimnis des japanischen Erfolges ist die Entdeckung eines revolutionären Produktionssystems, eines völlig neuen Weges d er Herstellung von Gütern, dessen Grundsätze in jeder Industriebranche der Welt anw endbar sind. (...) Damit begründet die schlanke Produktion ein neues Industriezeitalter, A n d e r Schwelle eines neuen

34 BAETHGE/OBERBECK 1986, S. 279 35 Baethge/ Oberbeck 1986, S. 282 36 Klitzke 1993, S. 11

37 vgl. z.B. die Interviews m it Betriebsräten in LAT u.a. 1992, S. 121ff, in denen das Schlag­

w ort von den "olympiareifen Belegschaften" w ieder gehäuft auftritt

(20)

- 1 7 -

Jahrhunderts läuft Europa Gefahr, m ehr zersplittert als vereint, von der W eltbühne abzutreten, zu r technologischen Kolonie abzusinken, w enn es nicht zur schlanken Produktion übergeht."38

So wenig neu die "Sprachregelungskampagnen und Schlagwortjagden"39 im Gefolge der wissenschaftlichen Verm arktung von Forschungsergebnissen sind, so überraschend ist andererseits doch, in welchem Ausmaß ein schlichtes Ad­

jektiv auch ganz andere gesellschaftliche Diskussionszusammenhänge infil­

triert hat und inzwischen als Zauberformel für innovative, politisch und öko­

nomisch erfolgreiche Lösungen zu gelten scheint. Die "schlanke Produktion"

und ihre für Japan vermeldeten spektakuläre Erfolge schienen vielerorts um ­ standslos dazu prädestiniert, auch in die BRD importiert und für die Therapie ganz anderer gesellschaftlicher Sorgenkinder angewendet zu werden. Vom schlanken Management und der schlanken öffentliche Verwaltung w ar seither ebenso in den Medien zu lesen wie von schlanken Hospitälern oder schlanken Gewerkschaften. "Abspecken" gilt derzeit nicht nur im Kontext von Prävention und Gesundheitsförderung als Erfolgsstrategie, sondern auch als Motto be­

trieblicher Rationalisierungsstrategien - auch wenn dam it M aßnahmen zum Personalabbau und zur Arbeitsintensivierung bisweilen nur ein freundlicheres Etikett erhalten.40

H intergrund der öffentlichen Faszination w ar (und ist) die vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) im Jahre 1990 herausgegebene Studie "The Machine that Changed the World", deutsch: die zweite Revolution in der A u­

tomobilindustrie.41 Auf der Basis einer weltweiten Analyse von 90 Betrieben der Kfz-Herstellung in 15 Ländern hatten die Autoren eine massive Überlegen­

heit japanischer Produzenten herausgefunden und dies auch mit einer Vielzahl statistischer Kenntziffern und Indikatoren zu belegen versucht, (vgl. Tabelle).

Danach w ar die Produktivität japanischer Hersteller im Fahrzeugbau doppelt so hoch wie die in Europa, die Fehlerquote um 50 Prozent niedriger, die Ab­

senz von Arbeitnehmern um m ehr als die Hälfte niedriger, die Anzahl der in Gruppenarbeit tätigen Beschäftigten in Japan gut einhundert Mal so hoch wie in Europa.42 Diese Daten der MIT-Forscher sind seither mehrfach in Frage ge­

38 Müller 1992, S. 7 39 Hack 1988, S. 16

40 So befürchtet z.B. der Gesam tbetriebsratsvorsitzender von OPEL Richard Heller eine massive Anforderungserhöhung un d ein Kaschieren geplanten Personalabbaus durch lean production, vgl. Frankfurter Rundschau 1992, S. 6

41 WOMACK, J.P., JONES, D.T., ROOS, D.: The Machine that Changed the W orld, New York 1990., deutsch: Die zweite Revolution in d e r Automobilindustrie, Frankfurt/N ew York 1991

42 In der Tabelle ist nur eine Auswahl solcher Kennziffern und Indikatoren wiedergegeben.

Erwähnung finden darüber hinaus viele personal- u nd arbeitspolitische Aspekte (Ausmaß von job rotation, Anzahl d er Verbesserungsvorschläge je M itarbeiter usw.), die Organisation zwischenbetrieblicher Kooperation (Zulieferer), Zeitdauer für die Rückkehr

(21)

stellt worden. Die Vergleichbarkeit der Datenbasis w urde - ähnlich wie im Zu­

sammenhang des internationalen Krankenstandsvergleichs43 - erheblich ange­

zweifelt. Im Forschungsbericht selbst ist über ihre Berechnungsgrundlage und empirische Ermittlung nur wenig zu erfahren.44

Kennziffern der Automobilproduktion in Japan, USA, Europa Quelle: Womack u.a. 1991 (MIT-Studie)

Fertigungsdaten und Personalkennziffern

Jap an er in Jap an

Jap aner in Amerika

Amerikaner in Amerika

Europäische Hersteller Produktivität

(Stunden ja Fahrzeug) 16,8 21,2 25,1 36,2

Fehlerrate

(ie 100 Fahrzeuge) 60 65 82 97

Reparaturfläche

(in Prozent der Werkfläche) 4,1 4,9 12,9 14,4

Lagerzeit

(in Tagen) 0,2 1,6 2,9 2,0

Verteilung der G ruppenarbeit auf

die G esam tbelegschaft (Prozent) 69,3 71,3 17,3 0,6

Anzahl

der Lohngruppen 12 9 67 15

Anlernzeit neuer Arbeiter

(in Stunden) 380 370 46 173

Abwesenheitsrate

(in Prozent) 5,0 4,8 11.7 12,1

Weniger diese Konstatierung der Produktivitäts- und W ettbewerbsvorsprünge japanischer Hersteller haben jedoch das weltweite Interesse von Wissenschaft­

lern wie Unternehm ern begründet, als vielmehr deren kausale Begründung durch ein (vorgeblich) ubiqitär, ohne Ansehen nationaler und kultureller Be­

sonderheiten anwendbares System industrieller Produktion, eben die schlanke Produktion. Eine Vielzahl von Autoren hat in Rezeption der MIT-Studie ver­

sucht, eben diese Strukturen und strategischen Elemente noch einmal zu kenn­

zeichnen, sicherlich auch ein Hinweis darauf, daß "die Beschreibung dessen,

zur normalen Produktivität nach Typenwechsel, A utom ationsgrad u n d Fertigungstiefe usw.

43 immer w ieder zitiert (und kritisiert) w urd e in diesem Zusam m enhang die Studie von Salowsky 1980, die betriebliche Absenzquoten in Japan und den USA direkt mit deutschen u n d anderen westeuropäischen D aten verglich; vgl. zur Kritik etwa: SCHARF o.J.

44 Kritik galt der Studie nicht n u r hinsichtlich dieser wenig überprüfbaren Datenbasis.

JÜRGENS 1992 hat z.B. hervorgehoben, daß die Ursachenattribuierung (lean production als alleinige oder zentrale Ursache des japanischen Erfolgs) so lange fragw ürdig bleibt, als völlig unterschiedliche ökonomische Rahm enbedingungen in Japan un d USA bzw. Europa in d er MIT-Studie völlig unerw ähnt u nd unberücksichtigt bleiben, Unterschiede z.B.

hinsichtlich der Kapitalkosten, Lohnkosten, des Zuliefersystems, Steuern, tarifpolitische Regelungen, Kosten industrieller Beziehungen usw. Von daher bleibt nicht nu r die Übertragbarkeit des Konzepts offen, sondern auch seine Erklärungskraft: Ist tatsächlich Lean Production wesentliche Ursache des japanischen Erfolgs oder ist anderes maßgeblicher? vgl. JÜRGENS 1992, S. 25f; vgl. zu r Kritik ferner: ALTMANN u.a. 1993, S. 221 ff

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