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Veröffentlichungsreihe der Forschungsgruppe Gesundheitsrisiken und Präventionspolitik Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung ISSN-0935-8137 P92-201

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Academic year: 2022

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Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung ISSN-0935-8137

P92-201

Arbeitslose und ihre Gesundheit Empirische Langzeitanalysen

von

Thomas Elkeles*

Wolfgang Seifert**

Berlin, Januar 1992

* Thomas Elkeles ist Mitarbeiter der Forschungsgruppe Gesund heitsrisiken und Präventionspolitik im WZB

** Wolfgang Seifert ist Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Sozial berichterstattung (Working Group Social Reporting) im WZB

Publications series of the research group

’’Health Risks and Preventive Policy"

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung D-1000 Berlin 30, Reichpietschufer 50

Tel.: 030/25491-577

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Arbeitslosigkeit kann für von ihr betroffene Personen neben materiellen Einschränkungen auch Belastungen hervorrufen, die mit dem Verlust latenter Funktionen der Erwerbsarbeit Zusammenhängen. Aus einer Reihe von Studien ist auch eine schlechtere Gesundheit von Arbeitslosen bekannt Bisher blieb weitgehend die Frage offen, ob derartige Gesundheits- Outcomes mehr als Folgen der Arbeitslosigkeit (Kausations-Hypothese) oder mehr als Folgen vorher bestehender Gesundheitsbeeinträchtigungen bzw. entsprechender gesund­

heitlicher Selektion bei Entlassungen und Wiederbeschäftigung zu erklären sind (Selek­

tions-Hypothese).

Vorliegende Studien, die zunächst vorgestellt werden, Eeßen diese Frage aus methodischen Gründen (Sampleauswahl und -design in Fall- oder Follow-Up-Studien) nicht be­

antworten.

Hier vorgelegte Langzeitanalysen anhand der repräsentativen Daten des Sozio-Ökonomi- schen Panels der Jahre 1984-1988 (N=5516 18-64jährige Personen) zeigen, daß in der Bundesrepublik Deutschland Unterschiede bei der Gesundheit zwischen arbeitslosen und erwerbstätigen Personen bestehen. Alle in dieser Studie zur Verfügung stehenden Ge­

sundheitsindikatoren (Gesundheitszufriedenheit; durch den Gesundheitszustand bedingte Behinderung bei der Erfüllung alltäglicher Aufgaben; längeres oder chronisches Leiden an bestimmten Beschwerden oder Krankheiten; amtlich festgestellte Erwerbsminderung oder Schwerbehinderung) weisen bei Arbeitslosen im Vergleich zu Erwerbstätigen schlechtere Werte auf. Dies ist nur zu einem Teil durch gesundheitsrelevante sozio-demographische Merkmale der Arbeitslosen zu erklären.

Langzeitanalysen (Übergang in Arbeitslosigkeit, Wiederbeschäftigung, Veränderungen nach zwischenzeitlicher Erfahrung von Arbeitslosigkeit) ergeben nur wenig Anhaltspunkte für einen kausalen Einfluß, also gesundheitlich sich manifestierende Folgen der Arbeitslosigkeit. Dagegen sprechen eine konstante Gesundheitszufriedenheit bei Entlasse­

nen und Wiederbeschäftigten sowie geringe Veränderungen zwischen 1984 und 1988 bei zwischenzeitlicher mindestens 12monatiger Arbeitslosigkeit im Zusammenhang mit den jeweiligen Ausgangswerten dafür, daß Personen, die arbeitslos werden, primär gesund­

heitlich eingeschränkter sind und daß es Personen, die gesünder sind, eher gelingt, wie­

derbeschäftigt zu werden.

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0 . Einleitung

1 . Arbeitslosigkeit und Gesundheit - theoretische

Zusammenhänge und empirische Forschungssituation

2. Daten und Methoden

2.1 Der Längsschnittdatensatz des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) 2.1.1 Arbeitslosigkeit

2.1.2 Gesundheitsvariablen

3. Arbeitslosigkeit und Gesundheit - Empirische Analysen 3.1 Die Zufriedenheit mit der Gesundheit

3.2 Gesundheitsstatus

3.3 Zusammenhänge zwischen Gesundheitszufriedenheit und Gesundheitsstatus

3.4 Gesundheit und Übergänge in und aus Arbeitslosigkeit 3.4.1 Eintritt von Arbeitslosigkeit

3.4.2 Wiederbeschäftigung

3.4.3 Gesundheit vor und nach längerer Arbeitslosigkeit 3.5 Krankenhausaufenthalte

3.6 Arztbesuche

3.6.1 Multi-User-/Non-U ser-Analysen 4. Schlußfolgerungen

1

3 19 19 20 24 27 30 35 39 41 43 44 45 47 49 55 58 Literatur

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Tab. 1: Sozio-demographische Merkmale Arbeitsloser und Erwerbs­

tätiger im Basisjahr 1984 23

Tab. 2: Durchschnittliche Gesundheitszufriedenheit nach Erwerbs­

status und soziodemographischen Merkmalen 29 Tab. 3: Längeres oder chronisches Leiden an bestimmten Beschwerden

oder Krankheiten nach Erwerbsstatus und sozio­

demographischen Merkmalen 36

Tab. 4: Erhebliche Behinderung durch den Gesundheitszustand bei der Erfüllung alltäglicher Aufgaben nach Erwerbsstatus und

sozio-demographischen Merkmalen 37

Tab. 5: Anteil Erwerbsgeminderter/Schwerbehinderter nach

Erwerbsstatus und sozio-demographischen Merkmalen 38 Tab. 6 Durchschnitliche Gesundheitszufriedenheit nach Erwerbs­

und Gesundheitsstatus 40

Tab. 7: Veränderungen der Gesundheitszufriedenheit im Zeitverlauf

nach Erwerbsstatus 44

Tab. 8: Veränderung der Gesundheitszufriedenheit nach Erwerbs­

biographien zwischen 1984 und 1988 46

Tab. 9: Krankenhausaufenthalte nach Erwerbsstatus und sozio-demo­

graphischen Merkmalen 48

Tab. 10: Anteil Arztbesucher nach Erwerbsstatus und sozio-demogra­

phischen Merkmalen 52

Tab. 11: Durchschnittliche Häufigkeit von Arztbesuchen (insgesamt)

nach Erwerbsstatus und sozio-demographischen Merkmalen 53 Tab. 12: Durchschnittliche Häufigkeit von Arztbesuchen der User

nach Erwerbsstatus und sozio-demographischen Merkmalen 54

Tab. 13: Anzahl Arztbesuche nach Erwerbsstatus 56

Verzeichnis der Abbildungen

Abb. 1 a,b,c: Gesundheitszufriedenheit nach dem Erwerbsstatus 31

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0 . E in le itu n g

Spätestens seit Beginn der 80er Jahre sind die meisten westlichen Industriestaaten dauer­

haft mit hoher Arbeitslosigkeit konfrontiert. Dieser Entwicklung entspricht auch eine Reaktivierung und nachfolgende relative Konstanz wissenschaftlicher Arbeiten zu den Zusammenhängen zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit. So widmeten im internatio­

nalen Rahmen die Zeitschrift Social Science & Medicine (Heft 2/1987) und das Journal of Social Issues (Heft 4/1988) diesem Thema Schwerpunkthefte, der Europarat setzte eine Studiengruppe ein (vgl. Council of Europe 1987) und die Weltgesundheitsorganisation (European Regional Program of Social Equity and Health) koordinierte eine Reihe von Studien und richtete hierzu Meetings aus (vgl. Westcott et al. 1985, Schwefel et al.

1987b, Starrin et al. 1989).

Kennzeichnend für die Arbeitslosigkeit der 80er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland sind relativ gleichbleibend hohe Quoten und die Etablierung eines hohen Anteils von Langzeitarbeitslosen. Dennoch stehen hinter den relativ stabil erscheinenden Durch­

schnittsquoten massenhafte Bewegungen des Eintritts in und des Austritts aus Arbeitslo­

sigkeit sowie spezifische Ausleseprozesse. Es ist zu vermuten, daß diese Vielfalt von Entwicklungen auch unterschiedliche, für die Gesundheit relevante, individuelle und kol­

lektive Erlebens-, Reaktions- und Umgangsweisen begründet.

Das Phänomen der Sockelarbeitslosigkeit, die relativ unbeeinflußt auch von wirtschaftli­

chem Aufschwung schien, trug zur Entwicklung der These bei, der Gesellschaft gehe die Arbeit aus. Um diese Zeitdiagnose ist es allerdings heute ziemlich still geworden.

„Heute wissen wir, daß manches zu einfach gedacht war. Weder ist das Wirtschafts­

wachstum endgültig zum Stillstand gekommen noch hat sich die Prognose eines .Aufschwungs ohne Arbeit4 bewahrheitet. Im Gegenteil: Der Produktivitätsfortschritt ist hinter dem Wirtschaftswachstum zurückgeblieben, und die Beschäftigungsintensität des Wachstums ist gegenwärtig höher als z.B. in den sechziger Jahren.

Daß die Arbeitslosigkeit dennoch in fast allen von ihr betroffenen Ländern auf einem hohen Niveau verharrt und nur langsam zurückgeht, darf gewiß nicht übersehen werden, hat aber mehr mit der außergewöhnlichen Zunahme des Angebots als mit der Reduktion der Nachfrage nach Arbeit zu tun und verweist zudem auf strukturelle Diskrepanzen und Ungleichgewichte.“ (Noll 1991, S.279)

Aktuell erscheint Arbeitslosigkeit in der BRD als ein besonders und in zunehmendem Maße die neuen Bundesländer betreffendes Problem, während die Zahl der registrierten

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Erwerbslosen in Westdeutschland derzeit rückläufig ist (Stand Dezember 1991: Arbeits­

lose Ost 1.037.709, Arbeitslose West 1.731.218; Kurzarbeiter Ost 1.034.543, Kurz­

arbeiter West 173.382)1 .

Ob in westlichen Industriestaaten gefundene Zusammenhänge zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit ohne weiteres auf die im Rahmen des Transformationsprozesses in Ost­

deutschland und Ost-Europa entstandene bzw. noch zu erwartende Massenarbeitslosigkeit übertragbar sind, erscheint allerdings fraglich. Wenn bereits auf der individuellen Ebene von Einflüssen erwerbsbiographischer Statuspassagen auf die Reaktionsmuster von Arbeitslosen auszugehen ist, gilt dies vermutlich mindestens ebenso, wenn nicht umso mehr für die Kontextbedingungen, die durch eine 'Gesellschaftsbiographie' gegeben sind, in der Erwerbslosigkeit zunächst jahrzehntelang nicht existierte und nun ad hoc größere Teile der Bevölkerung oder ganzer Regionen betrifft. Hinzu kommt, daß in der ehemaligen DDR gleichzeitig eine Vielzahl anderer, die soziale und psychische Identität verunsichernde Momente der Gesellschaftstransformation wirksam ist, welche nicht nur aus dem Bereich des Erwerbslebens stammt. Aus diesen Gründen wären für die Untersu­

chung von Zusammenhängen zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit in Gesellschaf­

ten, die sich wie die ehemalige DDR transformieren, spezifische Ansätze zu entwickeln.

Als zentrales Ergebnis der umfangreichen Literatur zum Thema Arbeitslosigkeit und Gesundheit in westlichen Industriestaaten kann gelten, daß Arbeitslosigkeit mit Gesund­

heitsbeeinträchtigungen verbunden ist. Forschungsbedarf besteht, außer zu einer Reihe von Einzelaspekten, vor allem hinsichtlich

einer Überprüfung mittels größerer, repräsentativer Datensätze und Studien mit Längsschnittdesign.

Die wichtigste und nach wie vor weitgehend offene Frage ist die nach den Ursache- Wir­

kungsbeziehungen bei Erwerbslosigkeit und Gesundheit, also die Frage nach Kausalität oder Selektion. Es gibt sowohl plausible Gründe für die Annahme einer Kausation von gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Eintritt, Persistenz oder auch bereits Antizipa­

tion von Arbeitslosigkeit als auch plausible Gründe, die für Selektionsmechanismen spre­

chen. Denn es ist auch von Effekten auszugehen, nach denen das Entlassungsrisiko ge­

sundheitlich beeinträchtigter Erwerbspersonen erhöht und die Wiederbeschäftigungs­

chancen von Erwerbslosen, die gesundheitliche Einschränkungen aufweisen, vermindert sind.

l Quelle: Frankfurter Rundschau vom 10.1.1991

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Wie groß diese gegenläufigen Einflüsse im Vergleich zueinander sind, d.h. welches der Nettoeffekt ist, erscheint weitgehend offen. Diese Frage ist weder’mit Querschnittserhe­

bungen noch mit Regionalstudien noch mit Follow-Up-Studien, z.B. nach Werks­

schließungen, beantwortbar, sondern erfordert Repräsentativstudien mit Längsschnitt­

charakter, bei der anderweitige Einflüsse überprüfbar sind.

In dieser Arbeit wurden die Daten des Sozio-Ökonomischen Panels der Jahre 1984-1988 ausgewertet, um folgende Fragen zu klären:

Sind Differenzen bei der Gesundheit nach dem Erwerbsstatus feststellbar? Welches Ausmaß haben die Unterschiede?

Sind diese durch den Arbeitslosen-Status als solchen oder durch andere sozio-demo- graphische Merkmale bedingt?

- Wie lassen sich Differenzen erklären? Eher durch die Kausations- oder eher durch die Selektions- Hypothese?

1 . A rbeitslosigkeit und G esundheit - theoretische

Zusam m enhänge und em pirische F orschungssituation

Die Annahme subjektiver Folgen von Arbeitslosigkeit für die psychische und/oder kör­

perliche Gesundheit setzt voraus, daß der Erwerbsarbeit nicht nur materielle, sondern auch latente Funktionen zugeschrieben werden, aus deren Fortfall - vorausgesetzt, sie können nicht anderweitig substituiert werden - Belastungen resultieren.

Jahoda (1983, S.44 ff.) stellt diese Belastungen in folgenden Dimensionen dar, die sie

"Erfahrungskategorien" nennt:

Status - sowie Identitätsverlust

- Verlust einer Zeitstruktur (Fehlen einer regelmäßigen Tätigkeit, der Zeiterfahrung, des Zeitgefühls)

- Fehlen einer Zweckbestimmung (Fehlen der Beteiligung an kollektiven Zielen)

- relative soziale Isolation (Ausschluß von größerer Gemeinschaft, Reduktion der sozia­

len Kontakte).

Im Vergleich zur Weltwirtschaftskrise, aus der die bekannten Fallstudien der 30er Jahre (Jahoda et al. 1975, Bakke 1933) stammen, hat sich die materialle Situation Erwerbsloser in westlichen Industriestaaten der 80er Jahre deutlich verbessert. Materielle Einschrän­

kungen sind zwar auch unter gegenwärtigen Bedingungen - je nach Höhe und Dauer der

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in einem jeweiligen Land gewährten Arbeitslosenunterstützung - gegeben. Sie können zu Verarmungs- und Abstiegsprozessen führen (vgl. Klein 1987). Eine solche relative Deprivation kann durchaus gesundheitsrelevante Belastungen generieren und daher für Zusammenhänge zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit auch in den 80er Jahren von großer Bedeutung sein. Die Situation unterscheidet sich jedoch deutlich von der der 30er Jahre, in der Erwerbslosigkeit zu absoluter Verarmung führte, es in vielen Ländern noch keine allgemeine Arbeitslosenversicherung und keine Absicherung gegen Krankheit, z.B.

durch ein nationales Gesundheitssystem, gab. Von daher ist die Frage angebracht, ob unter den Bedingungen der 80er Jahre von ähnlichen Effekten auf die Gesundheit auszu­

gehen ist, wie sie in der Literatur der 30er Jahre beschrieben sind.

Jahoda (1983) diskutiert diese Frage und kommt zu dem Schluß, daß die mit dem Verlust der latenten Funktionen von Arbeit verbundenen "Erfahrungskategorien" trotz einiger ein­

getretener Veränderungen (z.B. gesamtgesellschaftliche "Ausweitung sozialer Erfahrun­

gen in weniger emotional besetzte Bereiche als das Familienleben") weiterhin Gültigkeit haben. Daraus folgert sie vor dem Hintergrund neueren empirischen Materials, daß die

"heutigen psychischen Reaktionen auf Erwerbslosigkeit mit etwas größerer Gewißheit als früher auf das Fehlen eines Arbeitsplatzes und nicht allein auf eingeschränkte Finanzen zurückzuführen" seien. Wacker (1985) vermutet, daß "eine umfassende Aufarbeitung des gesamten Materials ... keine pauschale Bestätigung oder Widerlegung der historischen Konstanzannahme erbringen, sondern sowohl Kontinuitäts- als auch Diskontinuitätslinien aufzeigen" würde (ebda. S. 28). Als Diskontinuität wertet Wacker Hinweise aus neueren Studien, welche die ältere These der sozialen Isolierung Arbeitsloser nicht pauschal bestä­

tigen, als Kontinuität die nach wie vor bestehende Wahrscheinlichkeit "einer Vielzahl psy­

chischer und sozialer Desintegrationserscheinungen" (ebda. S. 29).

Das Kontinuitätsargument kann sich auf die Kennzeichnung der Erwerbsarbeit als wich­

tigstem Element gesellschaftlicher Anerkennung des Individuums in modernen Gesell­

schaften, insbesondere im kulturellen Kontext protestantischer Arbeitsethik stützen. Nach dem Abebben der Diskussion um die "Krise der Arbeitsgesellschaft" (vgl. Matthes 1983), in der "der Zusammenbruch der identitätsstiftenden Kraft der Arbeit" (vgl. Gorz 1988) postuliert wurde, kann davon ausgegangen werden, daß Tendenzen eines Wertewandels (Ausdifferenzierung von familiären und Freizeitinteressen, Abwertung klassischer Arbeitstugenden, Aufwertung von Elementen intrinsischer Leistungsmotivation) weniger einer Abkehr von Arbeitswerten als solchen, sondern mehr einer Adaption an veränderte Anforderungen in der Arbeitsgesellschaft entsprechen.

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"Denjenigen, die über Arbeitszeitverkürzungen oder Arbeitslosigkeit aus der konventio­

nellen, wenig qualifizierten oder nicht schnell genug qualifizierbaren Arbeit heraus­

drängen oder gedrängt werden und diese Art von Arbeit auch abwerten, müssen diejeni­

gen gegenübergestellt werden, die in die Berufsarbeit hineinwollen, wie z.B. die Haus­

frauen; ferner diejenigen, die ihre Arbeit funktionsreicher gestalten können und deshalb mehr und qualifizierter arbeiten; und schließlich diejenigen, die oft identisch mit denen aus der verrechtlichten Arbeit Verdrängten sind, die der Arbeit neue, wenn auch nicht immer institutionalisierte Nebenschauplätze eröffnen - man denke an Bürgerinitiativen, Hausauf­

gabenhilfe und die ganze Arbeit in der Grauzone und in der alternativen Kultur. So gese­

hen kann man zwar annehmen, daß Arbeit einen Sinn-Wandel durchmacht, indem sie, zumindest an den Rändern, ihren Notwendigkeitscharakter verliert und in ihrer rechtlichen Starrheit unterlaufen wird. Auf der anderen Seite wird aber ihr durch Selbstbestim­

mungselemente gestützter Leistungscharakter eher gestärkt und ausgedehnt. Kein Ende der Arbeitsge Seilschaft - im Gegenteil eine weitere Durchdringung der Gesellschaft mit jedoch veränderter, vielfältiger und ungleich verteilter Arbeit ist zu diagnostizieren"

(Hondrich 1983, S. 16).

Wenngleich die Adaptation des Wertesystems an veränderte Anforderungen in sozial differenzierten Formen verläuft, die für die Untersuchung möglicher gesundheitlicher Folgen der Arbeitslosigkeit konzeptionell und methodisch kaum ohne Konsequenzen bleiben können, ist im Kern eher von einer Aufwertung latenter Funktionen der Arbeit auszugehen, deren Verlust belastungsrelevant sein kann.

Belastungen durch den Verlust von Erwerbsarbeit stehen allerdings auch gesundheitsrele­

vante Belastungen aus der Erwerbsarbeit gegenüber. Der populärwissenschaftlichen These "Arbeitslosigkeit macht krank" müssen die vielfältigen Erkenntnisse über risiko­

generierende oder -erhöhende Belastungen und Faktoren stofflicher, physischer und psychosozialer Art entgegengehalten weiden, welche in der Arbeitswelt bestehen und sich auf die ebenso griffige Formel "Arbeit macht krank" bringen ließen. Geht man, und dies entspricht in der Regel ja auch der tatsächlichen biographischen Chronologie, von der Existenz arbeitsbezogener Gesundheitsrisiken aus, müßten sich risikovermindernde, wenn nicht protektive Einflüsse aus dem Fortfall derartiger Bedingungen ergeben und es wäre bei Arbeitslosigkeit eher eine Verbesserung des Gesundheitsstatus zu erwarten.

Um eine Bilanz zu erhalten, sind negative Einflüsse auf die Gesundheit sowohl aus der Erwerbsarbeit wie aus der Erwerbslosigkeit zu berücksichtigen. Dies erfordert eine methodisch schwierig einzulösende Differenzierung, die jedoch zumindest bei der Inter­

pretation entsprechender Daten anzubringen ist, will man sich nicht in den Widerspruch verwickeln, daß dieselben Umstände, die bei Erwerbstätigen zur Beeinträchtigung ihrer Gesundheit führen, bei Arbeitslosen zur Förderung ihrer Gesundheit beitragen sollen.

Nachdem wir uns einleitend mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beschäftigt haben, die das Verhältnis von Arbeitslosigkeit und Gesundheit bestimmen, sollen im fol­

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genden einige Untersuchungsansätze und Ergebnisse charakterisiert werden. Für umfas­

sende Bestandsaufnahmen sei hier auf die Überblicke von Land/Viefhues (1984), Dooley/Catalano (1988), Kieselbach (1988), Häfner (1990) und Kurelia (1992) verwie­

sen. Wir beschränken uns auf eine kurze Darstellung der hauptsächlichen methodischen Ansätze, der verwendeten Gesundheitsindikatoren sowie bekannter Subgruppen und Moderatorvariablen, deren Kenntnis für unseren Untersuchungsansatz und die Interpreta­

tion der Ergebnisse wichtig erscheinen.

Der Ansatz der in der Tradition der Soziographie stehenden, überwiegend qualitativen Fallstudien der 30er Jahre über die Wirkungen von Arbeitslosigkeit in Familien und Gemeinden wurde in jüngerer Zeit zwar wieder aufgegriffen (vgl. Zilian/Fleck 1990), beim Thema , Arbeitslosigkeit und Gesundheit4 spielt dieser Ansatz jedoch keine größere Rolle.

Aggregatdatenanalysen über Zusammenhänge zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit, auch als makroanalytische Ansätze bezeichnet, benutzen in der Regel der amtlichen Sta­

tistik entnommene Aggregatdaten über ökonomische Charakteristika als Indikatoren für wirtschaftlichen Wandel bzw. wirtschaftliche Instabilität eines Landes (z.B. Arbeitslosen­

quoten) sowie Aggregatdaten über Indikatoren des Gesundheitsstatus der jeweiligen Population (vor allem Mortalitätsziffem). Dabei werden, in der Regel mit Zeitreihenanaly­

sen, die Daten in ökonometrischen Modellen auf statistische Beziehungen getestet.

Der Aggregatdatenansatz ist vor allem mit dem Namen M.Harvey Brenner verbunden, der in einer Vielzahl von Studien der These nachging, in industrialisierten Ländern führe eine Zunahme der Arbeitslosigkeit mit time-lags zu einem Ansteigen (bzw. verlangsamten Rückgang) der Mortalität. Brenner wendete diesen Ansatz auch auf die Hospitalisie­

rungrate bei psychiatrischen Diagnosen an (Brenner 1979a, 1986), also einem in der Regel nicht verfügbaren Morbiditätsindikator. Der hauptsächlich verwendete Indikator ist jedoch die Mortalität, bei der statistisch signifikante positive Beziehungen mit der Arbeits­

losigkeit festgestellt werden, und zwar sowohl für die allgemeine Mortalität (z.B. Brenner 1979b, 1983, 1987a,b) wie für die Mortalität an Herzkrankheiten (z.B. 1987a,c), Suizid (Brenner 1977), die Säuglingssterblichkeit (Brenner 1973, 1983) oder die Mortalität infolge Verkehrsunfällen (Brenner 1983). Der auch von anderen Autoren benutzte Aggre­

gatdatenansatz (zur Übersicht vgl.: John 1987, 1988) macht für sich u.a. das Argument geltend, die Selektionsprobleme umgehen zu können, die bei Samples mit individuenbe­

zogenen Daten auftreten. Dagegen sind von Kritikern eine Reihe von Einwänden erhoben worden, die den "black-box-Charakter" der zugrundeliegenden theoretischen Annahmen (Brenner 1983, 1984; kritisch: John 1987, S. 62), die Indikatorprobleme (z.B. John

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1988, S. 260 ff.), methodische Probleme der Modellierung (z.B. John 1987, S. 63 ff.) sowie generell das Problem des “ökologischen Trugschlusses“ (vgl. Robinson 1950) betreffen, also die Frage, inwiefern die Assoziation auf Aggregatebene etwas über die Gesundheit der arbeitslosen Personen aussagt. Zudem kam eine Reihe anderer Makro­

studien zu Resultaten, die die Hypothese eines Zusammenhangs von Arbeitslosigkeit und Mortalität nicht oder nur schwach stützen (vgl. Übersicht bei: John 1988, S. 258 f.; von Brenner (1983) abweichende Ergebnisse für die Bundesrepublik Deutschland vgl. John

1983; für Dänemark: vgl. Sogaard 1983)2.

Unabhängig davon, wie man die Aussagefähigkeit der Forschung mit Aggregatdaten zum Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und Gesundheit einschätzt, haben die bisherigen Studien viel zur Thematisierung des Problems beigetragen und damit auch Studien heu­

ristisch inspiriert, welche Hypothesen und quantitative Effekte mit anderen Ansätzen zu prüfen bzw. messen versuchen.

Studien mit individuenbezogenen Daten analysieren mittels Querschnitts- oder Längs­

schnittsvergleichen Gesundheits-Outcomes konkreter Individuen in Abhängigkeit von deren Erwerbsstatus. Sie unterscheiden sich im Studiendesign (z.B. Fallstudien, Follow- up-Studien); Interventionsstudien (vgl. Fineman 1983), der Sample-Auswahl und den benutzten Gesundheitsindikatoren (z.B. "objektive" oder subjektive Angaben).

Insgesamt scheinen nach diesen Studien die Unterschiede zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen weniger morbiditätsspezifischer Art zu sein und sie manifestieren sich eher im Bereich psychischer oder psychosomatischer Gesundheitseffekte.

Aus der Bundesrepublik liegen vor allem zwei größere Studien mit individuenbezogenen D aten vor: die Infratest- und die IA B-Studie. Die Infratest-S tudie (Büchtemann/Rosenbladt 1981, Büchtemann/Infratest Sozialforschung 1983) ist eine Längsschnittstudie dreier repräsentativer Stichproben von Arbeitslosen, Abgängern aus Arbeitslosigkeit und beschäftigten Arbeitnehmern, die zu mehreren Zeitpunkten zu aus­

gewählten Aspekten ihrer beruflichen und sozialen Lebenssituation befragt wurden. Einer zunächst gezeigten höheren psychosomatischen Belastung bei Personen, die zu TI erwerbstätig, zu T2 aber arbeitslos waren, standen nicht signifikante Unterschiede in den Gesundheitsproblemen der zu den beiden entsprechenden Zeitpunkten arbeitslosen Perso­

nen gegenüber. Die Auswertung nach vier ErhebungsZeitpunkten ergab, daß Veränderun-

Vgl. zur erhöhten Mortalität Arbeitsloser in Finnland anhand individuenbezogener Daten: Martikainen (1990).

2

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gen im subjektiven Gesundheitsstatus sich nicht sicher als Folge der Veränderungen im Erwerbsstatus feststellen ließen.

Eine Kausalerklärung war nicht ableitbar. Büchtemann verweist auf die Rolle, die der hohen subjektiven Arbeitsplatzunsicherheit, also der Antizipation von Arbeitslosigkeit und dem mehrjährigen Prozeß zukommt, nach Abgang aus Arbeitslosigkeit und der Aufnahme einer neuen Beschäftigung die Arbeitslosigkeit im psychosozialen Erlebnisbereich zu bewältigen.

Die IAB-Studie (Brinkmann/Potthoff 1983; Brinkmann 1984a,b, 1985) ist eine seit 1981 laufende Follow-Up-Studie, bei der Arbeitslose fünf bis sechs Wochen nach Eintritt in die Arbeitslosigkeit zur Einschätzung ihres Gesundheitszustands während der letzten zwei Wochen, nach chronischen Gesundheitseinschränkungen sowie zu psychophysischen Beschwerden und emotionaler Befindlichkeit befragt wurden. Als Kontrollgruppe dient eine allgemeine Bevölkerungsstichprobe. In der frühen Phase der Arbeitslosigkeit zeigten sich beim Durchschnitt keine Verschlechterungen bei psychophysischen Beschwerden, jedoch bei emotionalen Belastungen. Zum Zeitpunkt des Zweitinterviews, 1 1/2 Jahre später, waren 40% der teilnehmenden Personen noch oder erneut arbeitslos. Diese

"Langzeitarbeitslosen" wiesen im Durchschnitt bei allen Gesundheitsindikatoren ungün­

stigere Werte auf als die Wiederbeschäftigten. Dies kann die Annahme insgesamt ungün­

stiger Veränderungen des Gesundheitsstatus durch Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik stützen.

Eine dritte Art repräsentativer Informationen zur Gesundheit von Arbeitslosen mittels per­

sonenbezogener Daten liegt durch den Gesundheitssurvey der Deutschen Herz-Kreislauf- PräventionsStudie (DHP) vor, da dieser Merkmale des Erwerbsstatus enthält. Der Studie liegt eine repräsentative Stichprobe der deutschen Wohnbevölkerung im Alter von 25 - 69 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin zugrunde (vgl. von Troschke et al. 1991). Publiziert sind Auswertungen der ersten Erhebungswelle 1984 - 1986 (TO), bestehend aus den beiden kombiniert ausgewerteten Querschnitts-Erhebungsteilen des Nationalen Befragungssurveys (N=10945) und des Nationalen Untersuchungssurveys (N=4790). Die Autoren (Hoeltz et al. 1990) fassen die die Arbeitslosen betreffenden Ergebnisse nach dem Erwerbsstatus wie folgt zusammen:

"Im Vergleich zu den anderen Gruppen schätzen Arbeitslose ihren Gesundheitszustand häufiger als schlecht ein, geben häufiger Behinderungen, Beschwerden und Krankheiten an und leiden stärker unter riskanten Lebensbedingungen und Verhaltensweisen. Das führt zu einer häufigeren Nutzung von medizinischen Leistungen und zu einem stärkeren Medikamentenkonsum." (Hoeltz et al. 1990, Bd. 1, S.247)

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Das von den Autoren als "auffallend... schlechte Abschneiden der Arbeitslosen" bezeich­

nete, sich auch bei Berücksichtigung von alters- und geschlechtsspezifischen Differenzie­

rungen zeigende Ergebnis war allerdings infolge einer rein deskriptiven Auswertung und wegen des Charakters einer Querschnittserhebung nicht kausal wertbar, sondern verwies erneut auf die grundsätzliche Frage der Richtung möglicher Wirkungen.

"Hier könnte sich ein Hinweis auf die bereits häufiger in anglo-amerikanischen Studien geäußerte These der starken gesundheitlichen Beeinträchtigung durch eine Arbeitslosigkeit auch für bundesdeutsche Verhältnisse finden lassen, wobei unklar bleibt, ob der schlech­

tere Gesundheitszustand Ursache oder Folge der Arbeitslosigkeit ist." (ebenda. S.32) Nicht zuletzt weil bei Querschnittsvergleichen in der Regel keine kausale Interpretation möglich ist, da eine mögliche Selektion beim Arbeitsplatzverlust oder Selektionsprozesse bei der Wiederbeschäftigung in Abhängigkeit vom Gesundheitszustand oder anderen Faktoren mittels Querschnittsuntersuchungen nicht analysiert werden können, wird dafür plädiert, vermehrt Längsschnittstudien mit individuenbezogenen Daten durchzuführen.

Aus dem (überwiegend europäischen) Ausland liegen hierzu einerseits neuere Follow-Up- Studien nach Werksschließungen vor, welche an die klassische Termination-Studie anschließen (z.B. Brenner/Levi 1987a,b, Brenner/Stamn 1988, Brenner et al. 1989, Iversen/Sabroe 1988a,b, Sabroe/Iversen 1989, Westin 1989,1990a,b) sowie andererseits Langzeitstudien mit repräsentativen Samples (vgl. Warr et al. 1988, Starrin et al. 1989)3.

Die Elsinore-Werft-Studie (Iversen/Sabroe 1988a,b, Sabroe/Iversen 1989) verglich zwei Betriebe über einen Zeitraum von zwei Jahren mittels dreier schriftlicher Befragungen (N=1601) zu (psycho)somatischen Symptomen, der psychischen Befindlichkeit (General Health Questionnaire), Charakteristika des sozialen Netzwerks u.a. Ehemals bei der im Jahre 1983 geschlossenen Elsinore-Werft mit einer Mindestbetriebszugehörigkeit von sechs Monaten beschäftigte Männer mit dänischer Staatsangehörigkeit bildeten die eine, entsprechende Beschäftigte der Dannebrog-Werft in Aarhus, die im Studienzeitraum nicht geschlossen wurde, die andere Gruppe. Arbeitslose wiesen zu allen drei Erhebungszeit­

punkten signifikant schlechtere psychische Befindlichkeit auf. Hierbei führte der Wechsel in oder aus Beschäftigung zu signifikanten Veränderungen, nicht jedoch der Verbleib im

3 Bei der hier vorgenommenen Konzentration der Literaturdarstellung auf Langzeitstudien reproduziert sich die im Rahmen der methodologisch bedingten Zuspitzung der Fragestellung auf die Wirkungs­

richtung kausaler Einflüsse bei 'Arbeitslosigkeit und Gesundheit' zu beobachtende Tendenz, den

"anomischen Selbstmord" bei wirtschaftlichen Krisen (Dürkheim 1983) unberücksichtigt zu lassen.

Vgl. zu unterschiedlichen Entwicklungstrends der Zusammenhänge zwischen Arbeitslosen- und Selbstmordraten in verschiedenen Ländern Europas: Pritchard (1988), Hafner (1990).

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Beschäftigten- bzw. Arbeitslosen-Status. Arbeitslose hatten deutlich geringere soziale Unterstützung in sozialen Netzwerken. In multivariaten Analysen war Arbeitslosigkeit in allen Jahren stark mit einem hohen Score für psychologische Symptome assoziiert; ein inkomplettes soziales Netzwerk hatte keinen signifikanten Einfluß als solches, jedoch das indirekte Netzwerk-Maß "Einsamkeitsgefühl". Bei den psychosomatischen Symptomen waren die Beziehungen weniger stark ausgeprägt. Die Autoren verweisen darauf, nicht alle Probleme der Interpretation, welche Ursache maßgeblich war, gelöst zu haben.

In der schwedischen Blue-Collar-Worker-Studie (Brenner et al. 1989) wurden Effekte der Antizipation des und des tatsächlichen Verlustes des Arbeitsplatzes für Kurz- und Lang­

zeitarbeitslose hinsichtlich ökonomischer, sozialer, psychologischer, physiologischer und biochemischer Effekte untersucht. Die Untersuchungsgruppe bestand aus 150 infolge einer Fabrikschließung Arbeitsloser (zu 89% Frauen); Kontrollgruppen wurden aus ent­

sprechenden Beschäftigten mit sicheren und unsicheren Arbeitsverhältnisssen gebildet.

Über einen Zeitraum von zwei Jahren wurden bis zu 7 Messungen der verschiedenen V ariablen durchgeführt. Besonders bedeutsam erscheinen die Ergebnisse, die die Arbeits­

losigkeit bzw. korrespondierende psychologische und biochemische Reaktionen als Pro- zeß kennzeichnen. Besonders niedrige Werte psychischer Befindlichkeit und besonders 4

hohe im Blut gemessene Kortison-Werte^ zeigten sich in der Antizipationsphase, einen Monat vor Eintritt der Arbeitslosigkeit, was die Autoren als Life-Event-Effekt interpretie­

ren. Im Anschluß an den tatsächlichen Eintritt der Arbeitslosigkeit bildeten sich die Peaks zurück. Die Autoren halten dies im Sinne eines "kurzen Honeymoon" für plausibel; sie hätten jedoch streßtheoretisch im weiteren Verlauf eine erneute Verschlechterung erwartet.

Dagegen zeigte sich, daß sich beim größten Teil der Arbeitslosen die betrachteten Indika­

toren im weiteren Langzeitverlauf auf mittlerem Niveau stabilisierten. Die Autoren schließen daraus, bei den Streßreaktionen müsse deutlich zwischen Arbeitsplatzverlust, Kurz- und Langzeitarbeitslosigkeit unterschieden werden. Für die Adaptation seien Coping-Prozesse entscheidend. Inwieweit letztere durch ein Interventionsprogramm, das sich an einen Teil der Untersuchungsgruppe richtete, beeinflußt wurden, war mit dem Studiendesign nicht sicher beantwortbar.

Bezüglich einer möglichen Übertragbarkeit dieser Ergebnisse sind länderspezifische Bedingungen zu berücksichtigen. So wird im schwedischen Sozialsystem eine Arbeitslo-

4 Gemessen mit dem General Health Questionnaire (GHQ); in der von den Autoren benutzten Version bedeuten hohe Werte Wohlbefinden und niedrige Werte Streß.

Das Hormon Kortison wurde von den Autoren als physiologischer Indikator für Streß bzw. Wohlbe­

finden verwendet

(15)

senunterstützung von 90% der zuvor bezogenen Einkünfte gewährt. Ferner war zum Zeitpunkt der Studie die nationale Arbeitslosenquote nicht hoch und damit die Wahr­

scheinlichkeit groß, daß in vielen Fällen Ehepartner vorhanden waren, die über Einkünfte aus Erwerbstätigkeit verfügten. Schließlich könnte die beobachtete Adaptation nicht nur auf Prozesse individuellen Lernens zurückführbar sein, sondern im sozio-kulturellen Kontext Schwedens zu verstehen sein, wo bei ausgeprägter Arbeitsorientierung und nach längeren Perioden mit Arbeitslosenquoten von lediglich 1 - 2% zunächst kaum Erfahrun­

gen mit Arbeitslosigkeit bestanden.

Der Ansatz, die betriebliche Belegschafts-Kohorte einer stillgelegten und einer weiter pro­

duzierenden Fabrik hinsichtlich gesundheitlicher und sozialer Auswirkungen in einer Follow-Up-Studie vergleichend zu untersuchen, wurde auch von einer Gruppe von All- gemeinmedizinem eines Gesundheitszentrums einer westnorwegischen Kleinstadt, nach der diese Studie benannt ist (Askpy-Studie) aufgegriffen (Westin 1989). Es handelte sich um zwei Fischfabriken mit 95 resp. 87 Beschäftigten, deren eine im Jahr 1975 geschlos­

sen hatte. Das Motiv der Ärzte zur Planung einer solchen Studie war, sich über die besonderen Gesundheitsbedingungen der Bevölkerung ihres Distrikts zu informieren.

Hierzu konnten sie auf die Informationen in ihren Patientenakten zurückgreifen. Daneben entwickelten sie ein Studiendesign mit wiederholten medizinischen Untersuchungen und standardisierten schriftlichen Befragungen. Der Beobachtungszeitraum, zunächst auf ein Jahr angelegt, wurde später auf elf Jahre ausgedehnt. Die Entlassenen (Untersuchungsgruppe Hetlevik) waren zu nur 28% nach einem Jahr wiederbeschäftigt.

Der Prozentsatz stieg bis zum 6. Jahr auf 44% an, sank dann jedoch wieder auf 35% 10 Jahre nach der Fabrikschließung. Die Untersuchungsgruppe (Arbeitslose) wies nach dem ersten Jahr eine um das doppelte erhöhte durchschnittliche Anzahl an Arbeitsunfähigkeits- Wochen auf (5,8 gegenüber 2,6). Verglichen mit dem Zeitpunkt vor der Werkschließung bedeutete dies eine Steigerung um 41%. Die Rate an Beziehern von Erwerbsunfähig­

keitsrente war in der Untersuchungsgruppe vom 2. - 4. Folgejahr um das Dreifache erhöht (26,6 gegenüber 7,5%). Nach zehn Jahren betrug der Unterschied 37,9 gegenüber 20,5% in der Kontrollgruppe. Die Analyse medizinischer Diagnosen aus den Kranken­

akten ergab, daß die medizinischen Gründe für die Berentung meist schon vor Arbeits­

platzverlust Vorgelegen hatten, wo jedoch ein Coping möglich gewesen sei (Westin 1990a,b). Der Autor wertet dies wie die beiden o. g. Indikatoren im Sinne einer Unter­

stützung der Hypothese gesundheitsbeeinträchtigender Effekte der Arbeitslosigkeit und unterstreicht, ein derartig lang anhaltender Einfluß sei bisher nicht bekannt gewesen.

(16)

Gegenüber Fallstudien haben Ansätze, die größere, repräsentative Datensätze verwenden, den Vorteil, daß ein Selektions-Bias vermieden wird. Insbesondere durch den Umstand, daß Follow-Up Studien meist in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit und nach Betriebs­

schließungen durchgeführt wurden, läßt eine gewisse Problemkumulation erwarten.

Bevor auf repräsentative Studien eingegangen wird, an die unsere eigene Untersuchung anschließt, soll zunächst noch eine Studie genannt weiden, die die Zeitperspektive mittels Gewinnung retrospektiver Informationen über den Zeitverlauf zu berücksichtigen suchte.

Es handelt sich um eine Studie der Gruppe um P.Warr, die anhand verschiedener engli­

scher Stichproben überwiegend psychische Auswirkungen anhaltender Arbeitslosigkeit untersuchte.

In dieser Studie über wahrgenommene Veränderungen der Gesundheit seit dem Beginn der Arbeitslosigkeit (Warr/Jackson 1984) gaben zwischen 20 und 30% der befragten arbeitslosen Männer Verschlechterungen an. Typischerweise betraf dies Beschwerden wie Ängsüichkeit, Depressivität, Schlaflosigkeit, Irritierbarkeit, fehlendes Selbstvertrauen, Gleichgültigkeit und allgemeine Nervosität, ferner auch Verschlechterungen bestehender submanifester psychosomatischer Beschwerden. Ca. 10% der Männer gaben jedoch Ver­

besserungen ihrer Gesundheit seit dem Beginn der Arbeitslosigkeit an. In einigen Fällen bezog sich dies auf physische Erkrankungen, die durch die Arbeitsbedingungen ver­

schlechtert worden waren (z.B. Bronchitis, Rückenprobleme). Eine kleine Anzahl gab verbesserte psychische Gesundheit an, in der Regel wegen der Entlastung von bestimm­

ten Arbeitsbedingungen.

Der Frage, ob das psychische Wohlbefinden vor Eintritt in den Arbeitsmarkt den Erfolg einer jungen Person bei der Arbeitssuche beeinflußt oder ob es die Arbeitslosigkeit selber ist, welche die - aus Querschnitts- und Fallstudien bekannte - ungleiche Verteilung von Wohlbefinden verursacht, ging eine weitere englische Studie mit Kohorten weiblicher und männlicher gering qualifizierter Schulabgänger (N=647 resp. 1096) nach. Die Ergebnisse zeigten, daß die zur Schulzeit gemessenen GHQ-Scores (s.o.) unabhängig vom nachfol­

genden Beschäftigungsstatus waren. Daraus wurde gefolgert, die Arbeitslosigkeit selber habe die beobachtete Zunahme von Symptomen verursacht (Banks/Jackson 1982). Die Annahme einer "kausalen Pathologie" wurde durch die Analyse der Veränderungen im Beschäftigungsstatus während der Periode nach dem Schulabgang gestützt. Der Über­

gang vom Erwerbs- zum Arbeitslosenstatus war vom Rückgang des Wohlbefindens be­

gleitet, während einem Übergang von Arbeitslosigkeit in Erwerbstätigkeit ein entspre­

chender Anstieg folgte (Jackson et al. 1983).

(17)

Nach diesen englischen Studien variieren die Langzeitwirkungen von Arbeitslosigkeit nach dem Alter der betroffenen Personen. Während bei Jugendlichen (vgl. Banks/Ullah 1988) jedenfalls bis zum Alter von 18 Jahren, sich nach anfänglicher Abnahme des Wohlbefindens keine weitere Verschlechterung zeigt, ist dies bei Männern zwischen 20 und 59 Jahren anders: Analysen der Verläufe in verschiedenen, nach Länge der Arbeits­

losigkeit gebildeten Samples (als Kontrollgruppe dienten Querschnitte beschäftigter Per­

sonen) zeigten eine deutliche Zunahme der allgemeinen Streßwerte zum Zeitpunkt des Arbeitsplatzverlustes, eine weitere, statistisch signifikante Verschlechterung während der ersten sechs Monate und eine anschließende Streß-Reduktion von 6 Monaten an aufwärts.

Diese Adaptation setzte sich aus zwei verschiedenen Typen zusammen: Einer konstrukti­

ven Adaptation, bei der Arbeitslose verstärkt Interessen und Aktivitäten verstärken oder entwickeln, die auf den Nicht-Arbeits-Bereich gerichtet sind, und einer resignativen Adaptation, bei der die Verbesserungen sich durch Reduktionen des Anspruchsniveaus erklären, was allerdings gerade nicht als gesund gilt (Warr et al. 1988). Hinsichtlich einer möglichen Übertragbarkeit dieser Ergebnisse zum adaptativen Phasenverlauf der Gesund­

heitsveränderungen ist zu bedenken, daß das englische Unterstützungssystem eine zeitlich unbegrenzte Basisversorgung gewährt, deren Höhe sich im Verlauf anhaltender Arbeits­

losigkeit nicht ändert. Der anfänglichen Adaptation an ein niedriges Niveau folgt kein Zeitpunkt, zu dem eine Reduktion des Einkommens mit neuartigen Anforderungen an Anpassungsleistungen seitens der betroffenen Individuen stattfindet.

In Finnland führte Lahelma (1989) eine Wiederholungsbefragung einer Stichprobe 25 bis 49jähriger durch, die im Februar 1983 als Arbeitsuchende für den industriellen Bereich gemeldet waren (vgl. Lahelma/Kangas 1989). Es wurde je eine schriftliche standardisierte Befragung im Mai 1983 und im August 1984 durchgeführt. Nach Ausschluß zweier Gruppen (Personen mit fluktuierendem Beschäftigungsstatus sowie einer heterogenen Gruppe) bestand das untersuchbare Sample aus N=703 Personen (51% weiblich), bei denen eine Gruppe in TI und in T2 Arbeitsloser, eine Gruppe in TI und T2 Erwerbstätiger sowie eine Gruppe in TI arbeitsloser und in T2 wiederbeschäftiger Perso­

nen unterscheidbar waren. Gefragt wurde nach dem psychischen Wohlbefinden (GHQ- Messung), dem Vorhandensein von Krankheiten (Liste von 31 Krankheitsgruppen nach ICD6) und der Einschätzung des subjektiven Gesundheitsstatus. Beim letzteren zeigten sich wenig Varianzen. Die psychische Befindlichkeit (GHQ) war bei Arbeitslosen, und zwar bei Männern mehr als bei Frauen, in beiden Jahren deutlich gegenüber den

6 International Classification of Diseases

(18)

Erwerbstätigen herabgesetzt (im zweiten Jahr geringer als im ersten, worauf die Autoren leider nicht näher eingehen), Mit einer Wiederbeschäftigung in T2 ging eine deutliche Verbesserung der Befindlichkeit einher. Weitergehende Analysen hinsichtlich bestehender Interaktionen, darunter die Kontrolle der Krankheitsvariablen, verbesserten das Modell, führten jedoch nur zu Informationen von geringerer Erklärungskraft für das niedrige psychische Wohlbefinden. Die positive Auswirkung der Wiederbeschäftigung auf die psychische Gesundheit ist, wie auch die Autoren folgern, ein Argument für die kausale Wirkung des Arbeitslosen-Status. Hinsichtlich der Ergebnisse aus England, die eine Stabilisierung des psychischen Zustands nach sechs Monaten zeigten, merken die Autoren an, das Ergebnis des von ihnen vorgenommenen Ein-Jahres-Vergleichs deute darauf hin, daß eine Stabilisierung wohl einen längeren Zeitraum benötige.

Verkleij (1989) führte in den Niederlanden über einen Zeitraum von zwei Jahren eine Studie über die Vulnerabilität Langzeitarbeitsloser durch. Die Stichprobe der Arbeitslosen (N=750) stammte aus zwei örtlichen Arbeitsämtern des westlichen, städtisch geprägten Teils der Niederlande. Als Kontrollgruppe wurde eine gleich große Gruppe im Jahre 1983 Erwerbstätiger herangezogen. Im ersten Jahr fanden mündliche, 1984 und 1985 postali­

sche Befragungen statt. Die Fragen betrafen die Bewertung der Arbeitslosigkeit, physi­

sche sowie depressive Gesundheitsbeschwerden, psychisches Wohlbefinden (daily unpleasant feelings; Index nach Affekt-Balance-Skala von Bradbum), Einsamkeitsgefühle (nach einer entsprechenden holländischen Skala) u.a. Die Wiederbeschäftigungsrate betrug 1984 24%, 1985 28%. 214 Personen waren vom Beginn bis zum Abschluß der Studie kontinuierlich arbeitslos, darunter 30% bereits mehr als vier Jahre.

Eindeutig waren die Resultate zum Zusammenhang Gesundheit und Wiederbeschäfti­

gung. Wiederbeschäftigte hatten die besten Gesundheits-Scores, und zwar noch deutli­

cher die früher als die später Wiederbeschäftigten. Die Abnahme depressiver Beschwer­

den bei Wiederbeschäftigten gegenüber Beschäftigten und weiterhin Arbeitslosen war signifikant. Effekte eingeschränkter Gesundheit bei anhaltender Arbeitslosigkeit waren sichtbar, jedoch weniger deutlich als der verbessernde Effekt der Wiederbeschäftigung.

Per se galt dies nur für die Zunahme physischer Beschwerden. Signifikant war zwar auch eine Zunahme depressiver Beschwerden und unpleasant daily feeling, dies galt jedoch auch für die Beschäftigten, woraus der Autor folgert, das generelle Klima ökonomischer Unsicherheit im Studienzeitraum habe sowohl Arbeitslose als auch Beschäftigte betroffen.

Zu weiteren Experimenten gehörte die Bildung einer Modellkohorte. Die Überlegung war, wie sich die Streß-Scores einer Kohorte kontinuierlich Arbeitsloser zwischen dem Zeit­

punkt des Arbeitsplatzverlustes und fünf Jahre danach ändern müßten, wenn von Selek-

(19)

tionseffekten abstrahiert wird . Als Ergebnismuster einer solchen imaginären Kohorte 7 ergab sich: Negative Gefühle über die Arbeitslosigkeit wachsen bis zu einem Maximum bei drei Jahren schrittweise an, danach kommt es zu einer unvollständigen Adaptation und nach 4 1/2 Jahren zu einem erneuten Anstieg. Unpleasant daily feelings sowie Einsam­

keitsgefühle steigen ebenfalls, und zwar bis zu einem Maximum bei etwa 2 1/2 Jahren an, danach kommt es zu einem Rückgang um die Hälfte und bei 3 1/2 bis 5 Jahren stabilisie­

ren sich die Werte auf diesem Niveau. Physische und depressive Beschwerden steigen ebenfalls zunächst auf ein Maximum bei ca. 3 Jahren - mit dem wichtigen Unterschied, daß physische Beschwerden im ersten Jahr zunächst zurückgehen. Der Verlauf beim

"Medizinkonsum" (Arztbesuche, Medikamente u.a.) ähnelt etwas demjenigen bei den physischen Beschwerden. Eine regelmäßige Streßakkumulation bestand demnach also nicht.

Verkleij resümiert, es gäbe nach seinen Daten einige zusätzliche Vulnerabilitätseffekte anhaltender Arbeitslosigkeit auf die subjektive Gesundheit und das Wohlbefinden, diese Effekte scheinen jedoch geringer zu sein als der durch den Arbeitsplatzverlust als solchen.

Zeichen für eine permanente Wiederverbesserung der subjektiven Gesundheit und des Wohlbefindens nach lang anhaltender Arbeitslosigkeit seien auf dem Gruppenniveau nicht deutlich.

Kessler et al. (1989) haben eine Studie vorgelegt, die Quer- und Längsschnittdesigns vereinigt. Zur Begründung führen sie aus:

a) Querschnittstudien zeigen: Personen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, weisen schlechtere Gesundheit auf als stabil Beschäftigte.

b) Längsschnittstudien zeigen: Die Gesundheit Wiederbeschäftigter verbessert sich sig­

nifikant nach der Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit.

Dies könne so interpretiert werden, daß Arbeitslosigkeit gesundheitliche Beeinträchtigun­

gen verursache und Wiederbeschäftigung den Effekt umkehre; allerdings sei dies nicht die einzig plausible Interpretation. Denn sowohl Quer- als auch Längsschnittdesigns unterlie­

gen bei gesonderter Benutzung einem Selektions-Bias, der zur Überschätzung sowohl des

Hierzu wurde folgendermaßen vorgegangen: Zunächst wurden sechs Kohorten mit unterschiedlicher Länge kontinuierlicher Arbeitslosigkeit in Halbjahresintervallen gebüdet, dann die Score-Veränderun­

gen zwischen zwei aufeinanderfolgenden Meßpunkten berechnet, dann diese Scores durch den Faktor zwei dividiert, um zwei gleiche Halbjahresveränderungswerte zu produzieren, dann Durchschnitte ge­

bildet für die Score-Veränderungen aller Kohorten, die eine bestimmte Länge der Arbeitslosigkeit überschritten. Zum Schluß wurden die Scores akkumuliert, als ob es eine prospektive Studie einer Kohorte mit einer Länge von 4 1/2 bis 5 Jahren Arbeitslosigkeit wäre. Der Basis-Score dieser kon­

struierten Kohorte zu Beginn der Arbeitslosigkeit wurde gleich Null gesetzt.

(20)

Arbeitslosigkeits- als auch des Wiederbeschäftigungseffekts führen kann. Der einzige Weg, diesen Bias zu vermeiden, sei die Kombination von Quer- und Längsschnittdesigns in ein und derselben Studie, eine bisher nicht benutzte Strategie.

Ihrer eigenen Gemeindestudie lag eine im Jahr 1984 gezogene, geschichtete Stichprobe aus der Grundgesamtheit von 14 Volkszählungs-Bezirken Südost-Michigans zugrunde, Bezirke mit hoher Arbeitslosigkeit Das so gewonnene Sample (N=492) bestand zu etwa gleichen Teilen aus derzeit Arbeitslosen, ehemals Arbeitslosen und stabil Beschäftigten, die schriftlich befragt wurden. Ein Jahr danach wurden die gleichen Personen erneut, und zwar überwiegend telefonisch befragt (Ausschöpfungsrate 84%). 40% der in TI Arbeits­

losen waren in T2 wieder beschäftigt. Von den 294 in TI Beschäftigten waren nur 12 in T2 arbeitslos geworden. Hierin drückt sich die deutliche Verbesserung der lokalen Wirt­

schaftslage aus, die Ende 1984 einsetzte.

Im Querschnittsvergleich waren alle Streß-Maße der derzeit Arbeitslosen gegenüber den stabil Beschäftigten signifikant erhöht. Die Untersuchung der Wiederbeschäftigung und ihr nachfolgender Veränderungen zeigte Verbesserungen bei den Streß-Maßen Depression (signifikant) und Somatization. Das relative Risiko für hohen Streß im Vergleich von Wiederbeschäftigung zu "in T2 weiterhin arbeitslos" war deutlich reduziert. Ob es sich bei den Wiederbeschäftigten um eine komplette Streßreversion handelte oder ob Residual­

effekte verblieben, war nicht direkt meßbar. Bei indirekter Messung durch Vergleich mit den T2-Werten der Beschäftigten fanden sich keine Unterschiede.

Die Autoren folgern, ihre Studie zeige, die in diesem Sample gemessenen Effekte seien gänzlich Effekte der Arbeitslosigkeit.

Ob der gesundheitswirksame Effekt der Wiederbeschäftigung abhängig von bestimmten Q Bedingungen des neuen Beschäftigungsverhältnisses (z.B. Entlohnung, Arbeitsinhalte) sei, wurde mit weiteren Analysen untersucht. Es zeigte sich, daß keiner dieser Faktoren signifikant mit der emotionalen Genesung assoziiert war, d.h. entscheidend war, daß die Wiederbeschäftigten überhaupt einen Arbeitsplatz hatten. Nur eine der erfragten Arbeits­

bedingungen hatte einen signifikanten Zusammenhang: Die Befürchtung, diesen Arbeits­

platz im Laufe des nächsten Jahres wieder zu verlieren.

Dies macht noch einmal deutlich, wie sehr diese Studie im Rahmen der Kontextbedingun­

gen einer temporär dramatisch schlechten örtlichen Wirtschaftslage und nachfolgender

Kessler et al. sprechen von health-damaging-effects of job-loss und healing effects of reemployment.

8

(21)

Erholung zu sehen ist und von daher ihre Ergebnisse nicht ohne weiteres auf andere Situationen, andere Zeitpunkte und andere örtliche oder nationale Gegebenheiten übertra­

gen und generalisiert werden können.

Um einer solchen Generalisierung zu entgehen bzw. um von generalistischen Perspekti- ven der Arbeitslosenforschung fortzukommen, ist der Begriff "differenzielle Arbeitslosen­

forschung" eingeführt worden (Wacker 1983). Es scheint inzwischen genügend Auf­

merksamkeit gefunden zu haben, daß Arbeitslose keine homogene Gruppe bilden und es daher für die Arbeitslosenforschung kein Leitbild des typischen Arbeitslosen, der unter der Arbeitslosigkeit historisch und sozio-kulturell in invarianter Form leidet oder gar erkrankt, geben sollte. Arbeitslosigkeit und ihre verschiedenen Formen haben für ver­

schiedene soziale Gruppen unterschiedliche Bedeutung. Auch sind die Auswirkungen auf der individuellen Ebene nicht mit einfachen, mechanistischen Belastungsmodellen zu beschreiben, die darüberhinaus die Bewältigungsseite nicht konzeptualisieren .9

Resümierend sollen daher zum Abschluß dieses Kapitels nochmals Moderatorvariablen hervorgehoben werden, welche nach einer Übersicht von Kieselbach (1988) die indivi­

duelle Bewältigung von Arbeitslosigkeit mitbestimmen:

Finanzielle Einschränkungen

Sie erklären in einer Vielzahl von Untersuchungen am besten die negativen psycho­

sozialen Konnotationen der Arbeitslosigkeit, was jedoch nicht bedeutet, daß es die finanziellen Einschränkungen allein sind, die dafür verantwortlich sind.

Arbeits- und Berufsorientierung

Je stärker die Arbeits- und Berufsorientierung ist, um so stärker finden sich negative psychosoziale Veränderungen.

Alter

Es scheint einen u-förmigen Verlauf des Zusammenhangs von Alter und Belastung zu geben. Im mittleren Alter (wo in der Regel stärkere familiäre Rollenerwartungen wirksam und andere Rollen weniger verfügbar bzw. akzeptiert sind) finden sich die höchsten Werte, bei Jüngeren mittlere und bei Älteren die niedrigsten.

Geschlecht

Frauen scheinen sich weniger als Männer belastet zu fühlen. Als Grund wird ange­

nommen, daß für viele Frauen die Übernahme einer alternativen Rolle (Abwendung vom Arbeitsmarkt) eine Möglichkeit darstellt, in der soziale Anerkennung erworben werden kann.

Bonß et al. (1984) werfen einem solchen Belastungsbegriff die "Logik eines physikalischen Diskur­

ses" vor, welcher mit der Konjunktur des Begriffs auf psychosoziale Probleme ausgeweitet werde. Ein solches Pathologiemodell entspräche einer "linken Medikalisierung", die aus gesellschaftlichen Bedin­

gungen und Widersprüchen Ursachen für Krankheiten und damit die Subjekte zu reinen Opfern mache, ohne sie als handelnde Individuen wahmehmen zu können.

(22)

Dauer der Arbeitslosigkeit

Wie bereits dargelegt, wird die These einer langsamen, kontinuierlich zunehmenden

V erschlim m eru n g der psychosozialen bzw. gesundheitlichen Situation mit Fortdauer der Arbeitslosigkeit in Studien aus verschiedenen Ländern nicht durchgängig

gestützt; dies könnte auf länderspezifische Bedingungen der sozialen Sicherung und der Arbeitsmarktperspektiven zurückzuführen sein.

Qualifikationsniveau

Entgegen der früher vertretenen Auffassung, die Belastungen seien für diejenigen am größten, die am tiefsten fallen, gilt heute als belegt, daß Berufe mit niedrigem Qualifikationsniveau mit den stärkeren Belastungen verbunden sind.

Ursachenattribution und Kontrollerwartung

Bei internaler Ursachenattribution ("Arbeitslosigkeit ist individuell selbst verschul­

det") sind die Belastungen deutlich höher als bei extemaler Ursachenattribution ("Arbeitslosigkeit ist gesellschaftlich bedingt").

Hier bestehen allerdings Interaktionen; eine davon ist, daß bei längerer Erfahrung mit Massenarbeitslosigkeit die internale Ursachenattribution Umfrageergebnissen zufolge abnimmt und damit mehr externale Erklärungen greifen.

Persönliches Aktivitätsniveau

Wer z.B. schon vor dem Arbeitsplatzverlust Probleme mit der Zeitstrukturierung hatte, weist in der Arbeitlosigkeit höhere Belastungswerte auf.

- Soziale Unterstützung

Die Bewältigung kritischer Lebensereignisse wird durch ein soziales Netz, das Unterstützungsleistungen vermittelt, erleichtert Allerdings können vorhandene soziale Netzwerke wiederum selber tangiert werden und ihre Unterstützungsfähig­

keit verlieren.

Hilfesuch-Verhalten und Verfügbarkeit von Hilfsangeboten

Sofern Angebote vorhanden sind, die für Arbeitslose erreichbar, annehmbar und wirksam sind, kann das Hilfesuch-Verhalten der Arbeitslosen durch ihre spezifische Situation verändert sein. Es gibt Hinweise darauf, daß Arbeitslose professionelle Hilfe zu vermeiden suchen, um das eigene Selbstwertgefühl durch die Annahme von Hilfe nicht noch weiter zu gefährden, um ihre Probleme vor anderen zu verbergen oder weil sie befürchten, lediglich besänftigt zu werden.

Inwieweit diese Hinweise auch für Hilfsangebote im Rahmen medizinischer Versor­

gung (z.B. Inanspruchnahme ambulanter ärztlicher Behandlung) gelten, ist nicht ganz klar.

Höhe der Arbeitslosenquote

Das nationale, regionale oder lokale Ausmaß von Arbeitslosigkeit hat Einfluß auf die Wahrnehmung ihrer Problemhaftigkeit. Hohe lokale Arbeitslosigkeit kann zu gerin­

gerem individuellen Streßerleben führen, gleichzeitig aber auch den gegenteiligen Ef­

fekt haben.

Frühere Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit und Streßbelastbarkeit

Biographische Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit können erneute Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit möglicherweise relati vieren, gleichzeitig aber auch aggravieren.

Eine Überprüfung dieser Faktoren und die Abschätzung des jeweiligen Gewichts bedarf repräsentativer Längsschnittdaten mit großem Stichprobenumfang, die Arbeitslose reprä­

(23)

sentativ abbilden, denn die Darstellung der Literatur zum Thema Arbeitslosigkeit und Gesundheit hat gezeit, daß durch Konzentration auf Problemregionen und -gruppen die Dimensionen der Folgen von Arbeitslosigkeit überschätzt werden können.

2. Daten und M ethoden

Wir werteten den Längsschnittdatensatz des Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP) der Jahre 1984 bis 1988 hinsichtlich der dort zur Verfügung stehenden Gesundheitsvariablen in Abhängigkeit vom Erwerbsstatus und unter Bildung entsprechender altersstandardisier­

ter Kontrollgruppen aus.

Unseres Wissens ist die hier vorliegende Arbeit die erste Auswertung des SOEP zum Thema Arbeitslosigkeit und Gesundheit auf der Basis mehrerer Wellen.

Frühere Auswertungen des Jahres 1984 bzw. der Übergänge 1984/1985 (Möhlmann/

Zollmann 1987,1988, o.J.) hatten für die Arbeitslosen verringerte Gesundheitszufrieden­

heit, eine schlechtere Einschätzung der Gesundheit, einen höheren Anteil von Personen mit Krankenhausaufenthalt(en), eine höhere durchschnittliche Verweildauer im Kranken­

haus sowie eine höhere Arztinanspruchnahme gezeigt. Kausalitätsfragen waren auf der Basis zweier Wellen jedoch nicht beantwortbar.

2 .1 Der L ängsschnittdatensatz des Sozio-Ö konom ischen Panels (SO E P )

Das SOEPiO ist eine bevölkerungsrepräsentative Längsschnittuntersuchung. Die erste Erhebung wurde 1984 durchgeführt und in der Folge jährlich wiederholt. Damit ist die Möglichkeit gegeben, mittels Längsschnittanalysen Gesundheitsindikatioren im Zeitver­

lauf zu beobachten und mit sozio-demographischen Merkmalen zu kombinieren. Insbe-

10 Das Sozio-Ökonomische Panel wird vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) durchge­

führt. Eine ausführliche Dokumentation über Konzeption und Anlage sowie Methodik und Durchfüh­

rung des Sozio-Ökonomischen Panels findet sich bei Hanefeld (1987).

(24)

sondere die hohen Fallzahlen, es wurde von 12.000 Individuen in 6.000 Haushalten aus­

gegangen, erlauben Analysen kleiner sozialer Gruppen wie den Arbeitslosen11.

Die folgenden Analysen stützen sich auf den Längsschnittdatensatz der Wellen 1 bis 5 (1984-1988). Um eine bessere Vergleichbarkeit mit anderen Studien herzustellen, wurde nur die deutsche Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (18-64) in die Analyse einbezo­

gen. Der so gebildete Längsschnittdatensatz enthält 5516 Individuen, darunter pro Jahr ca. 170 Arbeitslose12. Letztere wurden in den jeweiligen Jahren Erwerbstätigen bzw.

nicht Erwerbstätigen gegenübergestellt.

Für einen Vergleich nach sozio-demographischen Merkmalen wurde eine Kontrollgruppe der erwerbstätigen Bevölkerung gebildet (N=4178). Hierfür wurden Personen, die wäh­

rend des gesamten Untersuchungszeitraumes weder erwerbstätig waren noch arbeitslos gemeldet waren, also in allen Jahren nicht erwerbstätig waren (überwiegend Hausfrauen), ausgeschlossen. In dieser Kontrollgruppe der erwebstätigen Bevölkerung sind jedoch Personen mit Erwerbsunterbrechungen enthalten.

2 .1 .1 A r b e itslo s ig k e it

Das SOEP bietet drei Quellen zur Erfassung von Arbeitslosigkeit. Zu den Beff agungszeit- punkten (jeweils Mai) wird erfragt, ob die Person derzeit arbeitslos gemeldet ist. Dieses Stichtagsprinzip13 gibt jedoch keine Auskunft über Dauer und Verlauf der Arbeitslosig­

keit. Auch ist zu erwarten, daß Kurzzeitarbeitslose durch das Stichtagsprinzip unterreprä­

sentiert sind. Da die Feldphase des SOEP jeweils im Mai liegt, ist auch die saisonale Arbeitslosigkeit nicht erfaßt. Trotz dieser Einschränkungen hat ein von Landua und Zapf (1989) durchgeführter Vergleich der Arbeitslosenzahlen des Panels mit den in der amtli­

chen Statistik ausgewiesenen Zahlen der Jahre 1984 bis 1986 gezeigt, daß das Panel ein repräsentatives Abbild der Arbeitslosen liefert.

11 Wie Wagner in seiner Studie zur Panelstabilität gezeigt hat, lassen sich auch bei kleinen Gruppen mit geringen Fallzahlen noch signifikante Ergebnisse erzielen (Wagner 1991).

12 Alle Fallzahlen sind gewichtete Fallzahlen (vgl. Hanefeld 1987)

13 Da sich die Feldphase des SOEP über jeweils mindestens einen Monat erstreckt und nach der derzeiti­

gen Arbeitslosigkeit gefragt wird, kann im eigentlichen Sinne nicht von “Stichtagsarbeitslosigkeit“

gesprochen werden, dennoch geschieht dies im folgenden aus Vereinfachungsgründen.

(25)

Über Verlauf und Dauer von Arbeitslosigkeitsperioden kann mittels der Kalendariensda- ten des SOEP Aufschluß erlangt werden. Die Befragten wurden jeweils gebeten, für jeden Monat des vorangegangenen Jahres Auskunft über ihren beruflichen Status zu geben.

Damit können Erwerbsbiographien lückenlos, in diesem Fall über fünf Jahre, rekon­

struiert werden. Retrospektivbefragungen über kurze Erinnerungszeiträume gelten allge­

mein als zuverlässig. Mehr Erinnerungsfehler treten jedoch auf, je länger die erfragten Ereignisse zurückliegen (Tölke 1980). Deswegen muß davon ausgegangen werden, daß in der 1984 einmalig durchgeführten Retrospektivbefragung, bezogen auf die letzten zehn Jahre, Erinnerungsfehler auftreten und insbesondere kürzere Arbeitslosigkeitsperioden

"vergessen" werden.

Mittels der Kalendariendaten wurden zwei Gruppen von Arbeitslosen gebildet. Da in der Literatur allgemein davon ausgegangen wird, daß Auswirkungen der Arbeitslosigkeit auf die Gesundheit von der Länge der Arbeitslosigkeit abhängig sind, wurden Arbeitslose ausgewählt, die vor den jeweiligen Befragungszeitpunkten mindestens sechs Monate arbeitslos waren und auch zum Befragungszeitpunkt noch arbeitslos sind. Dies trifft jeweils auf die Hälfte bzw. etwas mehr der Stichtags arbeitslosen zu. Zur Untersuchung von Effekten, die durch den Eintritt in die Arbeitslosigkeit bei vorheriger Erwerbstätigkeit Zustandekommen, mußte als zusätzliche Bedingung eingefügt werden, daß die entspre­

chende Person zum letzten BefragungsZeitpunkt erwerbstätig war. Da diese Bedingung nur noch auf ca. 40 Fälle jährlich zutraf, wurden diese über drei Befragungsperioden

"gepoolt". Das bedeutet, daß beim Vergleich der Gesundheitszufriedenheit vor und wäh­

rend einer Arbeitslosigkeitsperiode von mindestens sechs Monaten das Gesamtresultat des Vergleichs jeweils aus ca. einem Drittel des Vergleiches der Jahre 1985 mit 1984, 1986 mit 1985 und 1987 mit 1986 besteht. Trifft die genannte Bedingung für eine Person mehrmals zu, wurde die erste Arbeitslosigkeitsperiode gewählt.

Als eine weitere Möglichkeit zur Erfaßung von Personen, die von Arbeitslosigkeit beson­

ders betroffen sind, wurden diejenigen ausgewählt, die während fünf Jahren insgesamt mindestens 12 Monate oder länger arbeitslos waren. Der Nachteil hierbei besteht darin, daß der Zeitpunkt und die Häufigkeit der Arbeitslosigkeit nicht ausgemacht werden kön­

nen. Bei diesem Längsschnittvergleich steht also die Auswirkung von langer bzw. häufi­

ger Arbeitslosigkeit während des Untersuchungszeitraumes im Vordergrund. Um einen Vorher-Nachher-Vergleich durchführen zu können, wurde die Bedingung gesetzt, daß eine Person in den letzten zehn Jahren nicht arbeitslos war (Retrospektivfrage), wobei lei­

der keine Angaben vorliegen, ob diese Person während dieses Zeitraums überhaupt erwerbstätig war, und der Bedingung, daß die Befragungsperson in den folgenden vier

(26)

Jahren mindestens 12 Monate arbeitslos war. Die Beschränkung auf vier Jahre war erfor­

derlich, weil eine Überschneidung von einem Jahr zwischen Kalendariensdaten und Retrospektivfrage vorliegt.

Zur besseren Einschätzung der Auswertungen zu den Gesundheitsindikatoren nach dem Erwerbsstatus werden die drei Arbeitslosengruppen hier zunächst bezüglich ihrer sozio- demographischen Merkmale anhand der Verteilung von 1984, die über die Folgejahre hinweg stabil bleibt, dargestellt (Tabelle 1).

Arbeitslose sind zu mehr als der Hälfte Arbeiter und entstammen überwiegend dem pro­

duzierenden Gewerbe. Kaum 30% der Arbeitslosen haben einen höheren als den Haupt­

schulabschluß. Allgemein spiegelt sich im SOEP das bekannte Bild wider, wonach Arbeitslose über relativ geringe Qualifikationen verfügen.

Auch jüngere Personen, die noch über wenig Berufserfahrung verfügen, sind öfter von Arbeitslosigkeit betroffen, allerdings sind "Langzeitarbeitslose" öfter in den Altersgrup­

pen der über 45-jährigen zu finden. Das Durchschnittsalter aller Arbeitslosen liegt bei 35 Jahren und damit noch unter dem Schnitt der Erwerbstätigen mit 40 Jahren.

Obwohl nur 41 % der Frauen zwischen 18 und 64 Jahren gegenüber 75% der Männer erwerbstätig sind, sind doch fast die Hälfte der Stichtagsarbeitslosen Frauen, und auch unter den Langzeitarbeitslosen sind sie überrepräsentiert.

Jeweils ca 50% der Stichtagsarbeitslosen eines Jahres sind im Folgejahr auch noch arbeitslos, ungefähr jeweils ein Drittel ist wieder erwerbstätig, der Rest ist nicht erwerbstätig.Von den zwischen 1983 und 1987 überhaupt erwerbstätigen waren 21%

zumindest einmal von Arbeitslosigkeit betroffen (Kalendarien). Bei 40% der überhaupt Arbeitslosen lag die Dauer der Arbeitslosigkeit zwischen einem und 6 Monaten, bei weiteren 25% zwischen 7 Monaten und einem Jahr, bei 20% zwischen 1 und 2 Jahren und 15% waren länger als zwei jahren arbeitslos.

(27)

Tab. 1: Sozio-demographische Merkmale Arbeitsloser und Erwerbstätiger im Basisjahr 1984

Stichtags­

arbeits­

lose N=179

Seit min­

destens 6 Monaten arbeitslos

N=88

Kumulierte Arbeits- losigkeits passagen N=113

Erwerbs­

tätige

N=3144 in %

Berufliche Stellung1

Ungelernte Arbeiter 0 0 2 4

Angelernte Arbeiter 26 32 26 12

Facharbeiter/Meister 29 24 26 17

Angestellte 34 29 38 43

Beamte 1 0 1 12

Selbständige 10 15 7 12

Branche1

Landwirtschaft 2 3 1 4

Industrie 40 56 38 33

Bau 17 9 20 8

Handel/Verkehr 14 15 13 16

Andere Dienstleistungen 27 17 27 39

Schulabschluß

kein Abschluß 2 2 2 0

Hauptschule 68 79 70 58

Realschule 18 11 18 23

Fachoberschule 3 5 3 5

Abitur 9 1 6 13

A lter

18-24 Jahre2 29 23 28 12

25-34 Jahre 21 21 19 24

35-44 Jahre 27 32 21 24

45-54 Jahre 11 16 18 27

55-64 Jahre 11 8 13 13

G eschlecht

Männer 52 55 48 63

Frauen 48 45 52 37

1 Bei Arbeitslosen jeweils letzte Stellung im Beruf bzw. Branche

Datenbasis: Das Sozio-Ökonomische Panel Welle 1 -5 .

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