• Keine Ergebnisse gefunden

Veröffentlichungsreihe der Forschungsgruppe Gesundheitsrisiken und Präventionspolitik Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung ISSN-0935-8137

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Veröffentlichungsreihe der Forschungsgruppe Gesundheitsrisiken und Präventionspolitik Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung ISSN-0935-8137"

Copied!
51
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung ISSN-0935-8137

P93-209

Soziale Notlagen bei Menschen mit HIV und Aids von

Ulrich Heide*

unter Mitarbeit von

Martin Kopischke und Anja Trögner

Berlin, Oktober 1993

* Ulrich Heide ist Geschäftsführer der Deutschen Aids-Stiftung "Positiv leben", Köln.

. Publications series of the research group

"Health Risks and Preventive Policy"

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung D-10785 Berlin, Reichpietschufer 50

Tel.: 030/25491-577

(2)

- 2 -

Abstract

Die DEUTSCHE AIDS-STIFTUNG "Positiv leben" wurde auf private Initiative 1987 gegründet und ist neben der Nationalen Aids-Stiftung die einzige deutsche Einrich­

tung dieser Art. Ihr Zweck ist, Menschen mit HIV und Aids in sozialen Notlagen

schnell und unbürokratisch zu helfen - und bei Aids kann in vielen Fällen nur schnelle Hilfe ihr Ziel erreichen, da die Lebenszeit mit Aids trotz medizinischer Erfolge immer noch sehr begrenzt ist.

Das Wissen über Art und Ausmaß der sozialen Notlagen bei Aids ist unzureichend, da bislang keinerlei Gesundheitsberichterstattung über die Verbindung von Erkran­

kungen und sozialen Notlagen existiert. Das Datenmaterial der Deutschen Aids-Stif­

tung ist die derzeit beste Quelle, die für diese Fragestellung zur Verfügung steht. Bei

"Positiv Leben" wurden allein von 1987-1993 mehr als 5 000 Anträge auf Einzelfall­

hilfe gestellt und das zeigt, daß das Ausmaß der sozialen Notlagen, die nicht durch klassische sozialstaatliche Leistungen aufgefangen werden, erheblich ist.

Im vorliegenden Papier werden zunächst die ergänzenden Hilfeleistungen der Stif­

tung dargestellt und Bereiche von Notlagen analysiert (Haushaltsführung, Gesund­

heitsversorgung, Teilhabe am sozialen Leben). Dabei werden auch die unterschiedli­

chen Lebenslagen der Betroffenengruppen beleuchtet. In einem zweiten Teil wird anhand von Fallbeispielen der Alltag der doppelt belastenden Herausforderung des Lebens mit Aids und an der Armutsgrenze illustriert. Es wird gezeigt, daß soziale Notlagen beeinträchtigend auf den Verlauf von Aids einwirken, wobei insbesondere die Trennung von sozialer und gesundheitlicher Versorgung negative Folgen zeitigt.

Die vorliegende Analyse legt nahe, über Schritte zur Überwindung dieser Trennung nachzudenken.

Diese Studie entstand im Rahmen des Projekts "Versorgung und Betreuung von Patienten m it HlV-Symptomen im Berliner Gesundheitswesen. Präventive Potentiale kurativer Institutionen". Bearbeitung: Doris Schaeffer und Martin Moers; gefördert durch das Bundesministerium für Forschung und Technologie und die Senatsver­

waltung für Wissenschaft und Forschung, Berlin; Projektträger: Bundesgesund­

heitsamt; Förderkennzeichen: V-018-90.

(3)

Inhaltsverzeichnis

0. Einführung

Teil 1

1. Ursachen sozialer Notlagen und materieller Hilfsbe­

dürftigkeit bei Menschen mit HIV und Aids

1.1 Zur Altersstruktur der Menschen mit HIV und Aids

1.2 Vielen an Aids erkrankten Menschen fehlen zusätzliche soziale Netze

$.

S.

7 7 10 2. Soziale Situation und Anliegen der Antragstellerinnen S. 11 2.1 Zur Quantität und Qualität der ausgewertete Daten S. 11

2.2 Allgemeine Angaben S. 12

2.3 Antragsgegenstände (Bedarf) S. 14

2.4 Soziale Unterschiede zwischen den

Hauptbetroffenengruppen S. 16

2.5 Gesundheits-Status der Antragstellerinnen S. 19 2.6 Zur Bedarfssituation der Hauptbetroffenengruppen S. 20

4.

4.1

4.2

Institutionelle Anbindung der Antragstellerinnen und regionale Verteilung der Hilfeleistungen

Zusammenfassung und Wertung

Der Bedarf an ergänzenden materiellen Hilfen zugunsten von Menschen mit HIV und Aids ist unabweisbar und er wächst

Es gibt ein Recht auf Hilfe

24 26

S S.

26 27

Teil 2

5. Verlaufsprotokolle 5.1 HolgerQ .

5.2 Gregor A.

S.

S.

S.

28 28 30

(4)

- 4 -

5.3 Viktor X S. 32

5.4 Carl

B.

S. 32

5.5 Hella G. und Tochter Deborah

s.

35

5.6 Christoph M.

s.

37

5.7 Michelle

R. s.

39

5.8 Sebastian W.

s.

41

5.9 Jean-Pascal V.

s.

43

Anhang:

6. Die DEUTSCHE AIDS-STIFTUNG »Positiv leben«,

ein Modell unbürokratischer Hilfe S. 45

6.1 Gründung und Ziele der Stiftung S. 45

6.2 Die materielle Einzelfallhilfe der Stiftung

s.

45

6.3 Die Projektförderung der Stiftung

s.

49

6.4 Die Öffentlichkeitsarbeit der Stiftung

s.

50

6.5 Zur Finanzierung der Stiftungsarbeit

s.

51

Anmerkungen

s.

52

(5)

0. Einführung

"Der Patient war bis 1992 wohnungslos und hat dann vom Sozialamt lediglich Geld für die notwendigste Ausstattung der Wohnung erhalten. Davon konnte er sich die beantragten Einrichtungsgegenstände: Bett, Schrank und Teppichboden nicht kaufen.

Z u rZ e it liegt seine Matratze auf dem Fußboden, ebenso ein Teil seiner Garderobe.

Das Sozialamt übernimmt keine weiteren Kosten dafür.

Der sehr zurückgezogene Patient hält sich oft in seiner Wohnung auf, und es ist uns erst jetzt bekannt geworden, daß die beantragten Sachen fehlen.

Ein Stiftungsantrag ist für ihn noch nie gestellt worden.

Im Falle einer positiven Entscheidung hätte H e rr... die Möglichkeit, sich nach den benötigten Gegenständen umzusehen und müßte so aus seiner Isolation

herauskommen. Dieses wird von uns für besonders wichtig gehalten, da er momentan recht depressiv wirkt, denn die ihm in Aussicht gestellte ABM- Maßnahme, aüf die er sich sehr freute, wurde abgelehnt."

(Aus dem Antrag einer AIDS-Hilfe auf Kostenübernahme von Einrichtungsgegenständen für einen HlV-positiven Mann ).

"Sicherlich können Sie sich nicht mehr daran erinnern, als ich mich mit Ihnen (vor einem Jahr) telefonisch in Kontakt setzte. Doch damals versuchten mein Mann und ich dann doch mit einem unverzinsten Arbeitgeber-Darlehen

weiterzukommen. Doch nun benötige ich tatsächlich dringend Ihre Unterstützung, da mein Mann seit dem März verstorben ist und ich nun alleinstehende Mutter von 3 Kindern bin. Zusätzlich bin ich positiv. Die Kinder allerdings nicht. Mein

Gesundheitszustand ist durch diese psychische Belastung (Tod meines Mannes, Sorgen um die Kinder, finanzielle Sorgen, nötigste Anschaffungen im

Wohnbereich, Schuldentilgung für meinen Mann, offene Rechnungen,

Beerdigungskosten etc.) sehr drastisch zurückgeworfen. Ich weiß wirklich nicht mehr weiter. Ich drehe mich nur noch im KREISE.

Da ich keine Sozialhilfe-Empfängerin bin (liege an der Sozialgrenze) brauche ich mit keiner Unterstützung vom Sozialamt zu rechnen. Außerdem bin ich nicht bereit von meiner Erkrankung zu reden mit Leuten, die ich nicht kenne, noch dazu, wenn unter dem Strich nichts herauskommt.

Darf ich nun meine Dringlichkeiten aufführen? ..."

(Aus einem privat gestellten Antrag auf Übernahme von Mietschulden und Kosten für Einrichtungsgegenstände einer HlV-positiven Frau mit drei Kindern).

"Sie sehen, ich lebe immer noch, wenn auch mit immer mehr unlösbaren Problemen. Ich bin stolz darauf, mich momentan so zu fühlen, daß ich sogar wieder einen Brief schreiben kann. Ich lebe nun seit 10 Jahren mit Aids, aber ich le b e ...

Nach und nach sind nun auch meine letzten Zahnkronen defekt, weil alt und durch die vielen Medikamente ruiniert. Gerade hatte ich einen Herpes im Mund, dadurch ist dieses alles zu Tage getreten.

4 Kronen sind von selbst abgefallen und drei Zähne beim Begutachten...

Laut Schreiben vom Zahnarzt beträgt mein Eigenanteil 3.000 Mark, ohne Kredit weiß ich nicht, was ich machen soll.. Meine Sparkasse lehnt einen Kredit ab, weil

(6)

- 6 -

ich ja noch an meinem alten Kredit abzahle, immer pünktlich. W er gibt mir nach 10 Jahren Aids noch einen Kredit, meine einzigste Hoffnung ist die Aids-Stiftung."

(Aus dem privat gestellten Antrag auf Kreditgewährung zur Finanzierung des Eigenanteils bei der Zahnbehandlung eines seit vielen Jahren erkrankten Mannes).

Diese Anträge, die bei der DEUTSCHEN AIDS-STIFTUNG »Positiv leben«

gestellt wurden, führen in die Problematik sozialer Notlagen bei Menschen mit HIV und Aids ein.

In der folgenden Darstellung werden wir versuchen, Quantität und Qualität dieser Notlagen zu beschrieben. Dazu werden wir das umfangreiche Datenmaterial der Stiftung »Positiv leben« zur sozialen Lage HlV-positiver und an Aids erkrankter Menschen vorstellen, zumindest teilweise interpretieren und schließlich von einigen "Mehrfach-Antragstellerlnnen" eine Art Verlaufs-Protokoll zur

Beschreibung ihrer sozial-materiellen Lage vorlegen. Die hier beschriebenen Lebenssituationen stehen für die sozial-materiellen Probleme eines erheblichen Anteils der in der Bundesrepublik an Aids erkrankten Menschen.

Im Anhang skizzieren wir darüber hinaus die Geschichte und Arbeitsweise der DEUTSCHEN AIDS-STIFTUNG »Positiv leben« als ein Modell schneller und unbürokratischer Hilfe im Einzelfall. Dabei wird auch die spezifische Qualität deutlich werden, die schnelle und unbürokratische Hilfe gerade unter der Prämisse einer Aids-Erkrankung darstellt.

Insgesamt sind seit 1987 bei der DEUTSCHEN AIDS-STIFTUNG »Positiv leben«

und bei der Nationalen AIDS-Stiftung mehr als 7.000 Anträge auf Einzelfallhilfe gestellt worden (Stand Sommer 1993). Da in vielen Anträgen Hilfen für 2 oder mehr Betroffene erbeten wurden, liegt die Zahl der Hilfesuchenden bei über 9.000. Allein im Jahr 1992 wurden für mehr als 2.000 Betroffene Anträge auf Unterstützung gestellt. Da über 70 Prozent der Antragstellerinnen bereits erkrankt sind, läßt sich unter Berücksichtigung der Erkranktenstatistik des

Bundesgesundheitsamtes (BGA)1 schlußfolgern, daß jeder dritte Aids-Kranke in der Bundesrepublik um Hilfe bei einer der beiden Aids-Stiftungen nachsuchen mußte.

Warum sind Menschen mit HIV und Aids in einem solchem Ausmaß auf materielle Unterstützung angewiesen?

(7)

1. Ursachen sozialer Notlagen und materieller Hilfsbe­

dürftigkeit bei Menschen mit HIV und Aids

Viele Millionen Menschen sind in der Bundesrepublik direkt oder indirekt von chronischen Erkrankungen betroffen. Ohne die Probleme der an anderen Krankheiten leidenden Menschen relativieren oder gar verharmlosen zu wollen - individuelles Leiden ist weder objektivierbar, noch kann es an anderem

individuellem Leiden gemessen werden -, bleibt anzumerken, daß Aids ein besonderes gesundheitliches Problem darstellt. Denn HlV-positive und an Aids erkrankte Menschen haben nicht nur gegen die Angst vor Erkrankung und Tod zu kämpfen, bei ihnen kommt die Angst vor sozialer Ausgrenzung hinzu. Die

Verbindung von Sexualität, Sucht, Krankheit und Tod in einem Thema konstituiert eine brisante Mischung aus Ängsten, Projektionen und einer zumindest latenten Bereitschaft zur Ausgrenzung. Zu den Faktoren, die ein Klima der Angst

erzeugen, zählt auch die Tatsache, daß in der Öffentlichkeit immer wieder und immer noch zwischen "schuldigen" und "unschuldigen" Opfern der Krankheit unterschieden wird. Somit wird eine Unterscheidung eingeführt, die es ermöglicht, Kranke als verantwortliche Täter zu sehen. Typisch für diese Haltung ist die Beschreibung von Kindern als "unschuldig" Leidende, bedeutet dies doch, daß andere "schuldig" leiden.

Neben der Angst vor Diskriminierung und Ausgrenzung treten, teilweise hierdurch bedingt oder zumindest verstärkt, bei vielen Erkrankten aber auch materielle Notlagen auf, für die es eine Reihe von krankheitsspezifischen Gründen gibt.

1.1 Zur Altersstruktur der Menschen mit HIV und Aids

Im Gegensatz zu anderen chronisch Erkrankten sind die von Aids betroffenen Menschen in aller Regel sehr jung. Erschreckend deutlich wird diese Tatsache durch den Vergleich der Altersgruppen der beim Bundesgesundheitsamt (BGA) registrierten Aids-Erkrankten mit der Sterbefall-Statistik für Krebs.2

Die Gesamtproblematik zeigt sich am eindrucksvollsten im Vergleich der

Altersgruppe der unter 45-jährigen mit der der über 65-jährigen. W ährend mehr als 70 Prozent der an Krebs verstorbenen Menschen zum Zeitpunkt ihres Todes bereits das 65. Lebensjahr überschritten hatten, sind über 70 Prozent der an Aids erkrankten Menschen beim Ausbruch der Krankheit noch keine 45 Jahre alt.

In diesem Vergleich wird aber nicht nur eine besondere individuelle Tragik deutlich, dieser Vergleich verweist auch auf ein besonderes sozialpolitisches Problem. Denn das Versorgungssystem in der Bundesrepublik ist weitgehend von

(8)

- 8 -

der Notwendigkeit zur Sicherung im Alter bestimmt. Menschen, die jung erwerbsunfähig werden, sind letztlich nicht vorgesehen.

Altersstruktur Krebs/Aids

GE Krebs Aids

Alter der Erkrankten / Antragstellenden

Vergleich der Angaben BGA / Stiftung

»Positiv leben«

(9)

So ist es auch nicht verwunderlich, daß das Durchschnittsalter der

Antragstellerinnen und Antragsteller bei der Stiftung, also der materiell besonders schlecht gestellten Betroffenen, nochmals deutlich unter dem ohnehin sehr

niedrigen Durchschnittsalter der an Aids erkrankten Menschen liegt.

Dabei liegt das Durchschnittsalter der Antragstellerinnen nochmals unter dem der Antragsteller.

So waren von der Gesamtheit der Antragstellerinnen aus dem ersten Halbjahr 1993 2,9 Prozent jünger als 2Ö3. Von den antragstellenden Frauen waren aber immerhin 6,7 Prozent noch keine 20, demgegenüber waren von den schwulen Antragstellern nur 1,2 Prozent jünger als 20 Jahre.

Alter schwuler Z weiblicher Antragst.

Nicht einmal 5 Prozent der Antragstellerinnen waren 40 und älter, wohingegen fast 22 Prozent der schwulen Antragsteller über 40 waren.

Von allen Antragstellerinnen hatten nur 12 Prozent diese "Altersgrenze"

überschritten. Damit erklärt sich, daß viele der an Aids erkrankten Menschen keine Rente erhalten.

Und selbst wenn ein Rentenanspruch entstanden ist, sind die

Versorgungsansprüche so gering, daß ergänzende Sozialhilfe gezahlt werden muß.

Mit anderen Worten: Eine große Zahl der an Aids erkrankten Menschen ist auf

(10)

- 1 0 -

1.2. Vielen an Aids erkrankten Menschen fehlen zusätzliche soziale Netze

Nach wie vor kommt die große Mehrzahl der an Aids erkrankten Menschen aus einer der gesellschaftlichen "Randgruppen" der Drogennutzer oder der Schwulen.

Die je individuelle Lebensgeschichte hat zahlreiche Betroffene die Bindungen zu Eltern und Familie häufig schon viele Jahre vor der Erkrankung verlieren oder abbrechen lassen. Damit fällt für viele an Aids erkrankte Menschen das

traditionell erste soziale Netz, die Familie, aus.

Nur 2,4 Prozent der Antragstellerinnen bei »Positiv leben« geben an, daß sie eine finanzielle Unterstützung der Eltern erhalten.

Dieser Verlust kann keineswegs in allen Fällen durch andere soziale Netze ausgeglichen werden, bei Drogennutzerinnen noch weit seltener als bei Schwulen.

das absolute Mindest-Versorgungsniveau, das der Sozialhilfe, herabgedrückt.

(11)

2. Soziale Situation und Anliegen der Antragstelierlnnen

Im Jahre 1989 wurden bei der DEUTSCHEN AIDS-STIFTUNG »Positiv leben«

666 Anträge auf Einzelfallhilfe gestellt, im Jahre 1991 waren es 978 und im ersten Halbjahr 1993 bereits 719 Anträge. Die folgenden Angaben beruhen auf der Auswertung von Anträgen aus den genannten Jahren 1989, 1991 und 1993.

Somit ist es möglich, zu einigen Fragestellungen Entwicklungen im zeitlichen Verlauf zu erkennen und gegebenenfalls zu interpretieren.

2.1 Zur Quantität und Qualität der ausgewerteten Daten

Aus dem Jahr 1989 gingen die 500 Anträge in die Untersuchung ein, die in den letzten drei Quartalen des Jahres gestellt wurden. Aus dem Jahr 1991 wurden alle 978 Anträge berücksichtigt und aus dem Jahr 1993 alle 719 Anträge, die im ersten Halbjahr gestellt wurden. Die Qualität des vorliegenden Datenmaterials ist für die genannten Zeitspannen allerdings höchst unterschiedlich.

Hierfür sind im wesentlichen zwei Faktoren ursächlich. Einerseits arbeitet die Stiftung erst seit 1990 mit einem Antragsformular, das bestimmte Daten (Geschlecht, Alter, Erkrankungsgrad, Einkommensquelle, Betroffenengruppe usw.) abfragt und damit für Antragstellerinnen deutlich Fragen formuliert.

Andererseits hat durch die mehrjährige vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Beratungsstellen und Stiftung die Bereitschaft der Antragstellerinnen deutlich zugenommen, der Stiftung zusätzliche Informationen zur Verfügung zu stellen.

Diese Freiwilligkeit ist angesichts weit verbreiteter Ängste der Betroffenen eine notwendige Voraussetzung für Erhalt und Festigung des bestehenden

Vertrauensverhältnisses.

Unverzichtbare Angaben für die Bearbeitung eines Antrages sind daher lediglich Informationen zum HlV-Status (also positives Testergebnis), Informationen zur Einkommenshöhe und zur Bedarfslage.

Anträge können über Beratungsstellen anonym bzw. teilanonym gestellt werden;

so wird die Nennung des Namens zwar zur Vereinfachung der Bearbeitung erbeten, letztlich aber nicht verbindlich verlangt. Auf die Nennung der Anschrift wird völlig verzichtet, wenn eine Beratungsstelle als "Bürgin" fungiert. Und nahezu 90 Prozent der Anträge erreichen die Stiftung über Beratungsstellen, wobei aber nur ein kleiner Teil der Antragstellerinnen von der Möglichkeit zur "anonymen"

Antragsteliung Gebrauch macht.

(12)

- 1 2 -

Neben den genannten Gründen für die schlechtere Datenlage des Jahres 1989 mag noch von Bedeutung sein, daß zum damaligen Zeitpunkt bei vielen

Antragstellern mehr oder minder als selbstverständlich unterstellt wurde, daß es sich um Schwule handele. Dies kann eine weitere Erklärung dafür sein, daß für 1989 z.B. kaum Angaben über die Zugehörigkeit der Antragstellerinnen zu Betroffenengruppen vorliegen.

Allgemein gilt, daß die Quantität und die Qualität der Daten von Jahr zu Jahr wächst. Daher beziehen sich die in den folgenden Auswertungen genannten

Daten immer auf das Jahr 1993 sofern nichts anderes vermerkt wird.

Zu einigen Fakten, wie der Einkommenssituation der Antragstellerinnen und der zu behebenden Notlage, liegen für alle Jahre vollständige Angaben vor. Bei anderen Fragen, wie der Zugehörigkeit zur Hauptbetroffenengruppe, liegen für 1989 eher dürftige Angaben vor, so daß hier mit Plausibilitäten gearbeitet werden mußte. Im Jahre 1991 enthalten aber bereits ca. 70 Prozent der Anträge Angaben zu dieser Frage und 1993 liegen diese Angaben für 96 Prozent der

Antragstellerinnen vor.

Allgemein gilt, daß Nichtnennungen bei der Auswertung nicht berücksichtigt wurden.

2.2 Allgemeine Angaben

Die Menschen, die bei »Positiv leben« Hilfen beantragen, stellen innerhalb der Gruppe der von Aids betroffenen Menschen nochmals eine Benachteiligten- Gruppe dar.

Hinsichtlich der Altersstruktur haben wir dies bereits ausgeführt.

Das entscheidende Indiz für diese Aussage sehen wir aber in der Analyse der Einkommensquellen der Antragstellerinnen, die allerdings eine direkte Beziehung zu Altersstruktur deutlich werden läßt.

Für das erste Halbjahr 1993 stellt sich die Einkommenssituation, wie sie in den 719 Anträgen beschrieben wird, folgendermaßen dar:

Einkommensquelle Nennungen prozentualer Anteil

01. Arbeitslosengeld/-hilfe 78 10,85 %

02. Ausbildung/Bafög 15 2,09 %

03. Eltern 17 2,36 %

04. Gehalt 70 9,74 %

05. Justizvollzugsanstalt 95 13,21 %

(13)

06. Krankengeld 52 7,23 %

07. Rente 99 13,77%

08. Sozialhilfe 346 48,12 %

09. Sonstiges 24 3,34 %

10. ohne Einnahmen 6 0,83 %

Die meisten Menschen mit HIV und Aids, die sich an die Stiftung wenden, leben also von Einkommen, die ihrer Natur nach gering und teils ungesichert sind;

darüberhinaus werden diese Einkommensquellen zur Zeit politisch (zumindest in ihrer Höhe) zur Disposition gestellt. Sollten die im Sommer 1993 diskutierten Kürzungen sozialer Leistungen beschlossen und umgesetzt werden, sind weit mehr als zwei Drittel der Antragstellerinnen hiervon unmittelbar betroffen.

W eitere Belege für die Feststellung, daß es sich bei den Antragstellerinnen um eine Benachteiligten-Gruppe innerhalb der Benachteiligten-Gruppe handelt, sind im hohen Anteil der Drogennutzer und der weiblichen Hilfesuchenden unter den Antragstellerinnen zu sehen.

W ährend bei den beim BGA registrierten Aids-Kranken 1989 13,3 Prozent zur Gruppe der Drogennutzenden zählten, waren es bei den Antragstellerinnen der Stiftung »Positiv leben« damals bereits 34 Prozent. Der Anteil der

Drogennutzenden an den Erkrankten erhöhte sich bis 1993 lediglich auf 13,9 Prozent, bei den Antragstellerinnen der Stiftung stieg er aber auf 50 Prozent.

(14)

- 1 4 -

Während bei den beim BGA registrierten Aids-Kranken 1989 7,0 Prozent weiblich waren, wurden im Jahre 1989 bereits 20,9 Prozent der Anträge bei »Positiv

leben« von Frauen gestellt. Der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Erkrankten stieg bis Mitte 1993 auf 9,0 Prozent, der der weiblichen

Antragstellerinnen aber auf knapp 28 Prozent.

2.3 Antragsgegenstände (Bedarf)

Korrespondierend zu den unterschiedlichen sozialen Situationen der

Antragstellerinnen variieren auch die Antragsgegenstände; Schwerpunkte (auch allgemeine Schwerpunkte) sind allerdings erkennbar.

Zur Analyse wurden die Antragsgegenstände aus den Anträgen von 1991 und denen aus dem ersten Halbjahr 1993 insgesamt 10 Bedarfsbereichen zugeordnet.

Es wird nicht verwundern, daß vor allem Hilfen in bezug auf die Wohnung, die Erhaltung eines minimalen Lebensstandards und notwendige psychosoziale

(15)

Beratung und Betreuung sowie auf dringend benötigte Erholungs- und Kurmaßnahmen beantragt wurden und werden.

Um den realen Bedarf deutlicher werden zu lassen, listen w ir hier zu drei Bedarfbereichen beispielhaft beantragte Hilfeleistungen auf.

Zum Bereich "Wohnung" wurden unter anderem Hilfen bei den folgenden Antragsgegenständen beantragt:

- Mietrückstände

- Betriebs- und Heizungskosten

- Vermittlungskosten, Kautionen, Abstandszahlungen - Renovierungen, Reparaturen

- Teppichböden - Möbel

- Waschmaschinen, Kühlschränke, Staubsauger - Gardinen, Rollos.

Im "Psychosozialen" Bereich ging es unter anderem um:

- die Erreichbarkeit vorhandener Beratungsangebote (Fahrtkosten) - Mal- und Sprachkurse

- die Teilnahme an Tagungen und Kongressen.

Und "Rechtsbeistand" wurde zum Beispiel angefordert bei:

- Wohnungskündigungen - Kindesunterhaltsfragen - Versicherungsansprüchen - Führerscheinentzug - Strafverteidigungen

- drohenden Bewährungswiderrufen - Vermeidungen des Strafantritts

- vorzeitigen Entlassungen aus der Strafhaft.

W ählt man nun den Weg vom Konkreten zurück zum Allgemeinen, führt dies zu der Erkenntnis, daß ergänzende Hilfeleistungen in mehrerer zentralen

Lebensbereichen notwendig sind.

Die überwiegende Zahl der einzelnen Antragsgegenstände zählt zu den:

- Hilfen bei der Bewältigung gesundheitlicher Probleme,_________________ _ - Hilfen zur Verbesserung der häuslichen Situation und ______________

- Hilfen, die der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (incl. Arbeitswelt) dienen.

(16)

- 16 -

Hinsichtlich der Bereiche, in denen eine ergänzende Unterstützung notwendig ist, unterscheiden sich die einzelnen Hauptbetroffenengruppen nur geringfügig (siehe 2.6). Allerdings muß berücksichtigt werden, daß bei vielen Antragstellerinnen aus der Gruppe der (ehemaligen) Drogengebraucher oft alle Probleme gebündelt und intensiviert auftreten. Eine Problematik, die durch den hohen Anteil Betroffener mit

"Haft-Erfahrung" nochmals verstärkt wird.4

Im zeitlichen Vergleich zwischen 1991 und 1993 sind nur geringe Änderungen hinsichtlich des Bedarfs feststellbar. Eine Ausnahme bildet der Antragsgegenstand 'Nahrung', dessen Steigerung um fast 100 Prozent auf den Anstieg der Anträge aus dem Justizvollzug zurückzuführen ist. Gleichwohl muß es erschrecken, daß sich immerhin 10,2 Prozent der Antragstellerinnen wegen Nahrungsbeihilfen an die Stiftung wenden.

2.4 Soziale Unterschiede zwischen den Hauptbetroffenengruppen

Bereits mehrfach konnten wir deutlich aufzeigen, daß es sich bei den Antragstellerinnen um eine materiell besonders schlecht abgesicherte und dadurch massiv benachteiligte Gruppe handelt. Gleichwohl Sind auch innerhalb der Gesamtheit der Antragstellerinnen nochmals gravierende Unterschiede zwischen den Teilgruppen feststellbar.

Vorab der Hinweis, daß sich die Zusammensetzung der Antragstellerinnen nach Hauptbetroffenen-Gruppen bei »Positiv leben« in den Jahren von 1989 bis 1991 erheblich verändert hat, nun aber seit zwei Jahren verhältnismäßig stabil ist. Bis 1989 entsprachen die Antragstellerinnen hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zu den Hauptbetroffenengruppen im wesentlichen den BGA-Angaben, das heißt, daß,der Anteil schwuler Antragsteller mit weit über 60 Prozent deutlich überwog. Daneben traten natürlich Drogennutzer, aber auch Bluter-kranke Menschen mit HIV und Aids als Antragstellerinnen auf. Seit 1990, also nach den vorläufigen

Entschädigungsverfahren für Bluter, traten bis 1993 kaum noch Bluter-kranke Menschen als Antragsteller in Erscheinung; dies ändert sich zur Zeit aber wieder.

Auch die Zahl der schwulen Antragsteller nimmt seit 1990 relativ (allerdings nicht absolut) ab.

Statt dessen steigt die Zahl der drogennutzenden Antragstellerinnen beständig an. Sie liegt mittlerweile bei 50 Prozent. Diese Gruppe stellt auch innerhalb der Gesamtheit der Antragstellerinnen eine noch schlechter gestellte Teilgruppe dar.

Viele Betroffene sind aufgrund ihrer "Drogen-Karriere" extrem verschuldet, häufig

(17)

ist ihre allgemeine gesundheitliche Verfassung katastrophal, viele sind vorbestraft und ihre Einkommenssituation ist in der Regel desolat.

Die Sondersituation dieser Gruppe wird schon durch zwei Fakten illustriert:

Erstens: Von den 236 männlichen (ehemaligen) Drogennutzern, die im ersten Halbjahr 1993 einen Antrag stellten, mußten sich 71 (also 30,1 Prozent) aus dem Strafvollzug an die Stiftung wenden.

Zweitens: Von den 132 weiblichen (ehemaligen) Drogennutzern, die im selben Zeitraum einen Antrag stellten, haben 34 (also 25,8 Prozent) Kinder. Gerade die Mütter unter den Antragstellerinnen sind natürlich nicht nur mit einer Vielzahl besonderer psychischer Belastungen konfrontiert; hier sind auch oft die materiellen Sorgen besonders drückend.

Die soziale "Randständigkeit" dieser Betroffenengruppe wird im Vergleich der Einkommensquellen antragstellender Drogennutzer und antragstellender Schwuler besonders deutlich. Da signifikante Unterschiede zwischen der Einkommenssituation männlicher und weiblicher (ehemaliger) Drögennutzer bestehen und der Anteil der weiblichen Drogennutzer an den Antragstellerinnen bei gut drei Viertel liegt, haben wir hier nicht nach Drogennutzern, Frauen und • Schwulen, sondern nach männlichen Drogennutzern, weiblichen Drogennutzern und Schwulen unterschieden.

(18)

- 1 8 -

Am auffälligsten sind dabei die Unterschiede bei den Einkommensquellen

"Krankengeld" und "Rente", also bei Einkommensquellen, die erst aus einem längeren und gesicherten Arbeitsverhältnis erwachsen. Die Unterschiede bei der 'Einkommensquelle' "JVA" waren zu erwarten und erklären - zumindest zum Teil - die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen (ehemaligen)

Drogennutzern hinsichtlich der Einkommensquelle "Sozialhilfe".

An dieser Stelle scheint es sinnvoll, eine Verknüpfung zwischen der Zugehörigkeit zu Hauptbetroffenengruppen, Einkommensquellen und Altersstruktur

vorzunehmen. Die relative Jugend der Mehrzahl der Betroffenen war als zentrales Argument für ihre unzureichende Sicherung benannt worden. Die Verknüpfung der genannten Faktoren illustriert dieses Problem eindrucksvoll.

So bezog kein einziger Antragsteller aus der Gruppe der 20-29-jährigen Drogennutzer eine Rente, bei den gleichaltrigen Schwulen waren es immerhin schon 13,6 Prozent. Aus der Gruppe der 40-49-jährigen Drogennutzer bezogen gerade 8,3 Prozent eine Rente, aus der Gruppe der gleichaltrigen schwulen Antragsteller 47,9 Prozent.

Die "älteren" Schwulen sind somit die einzige Gruppe unter den Antragsteller­

innen, bei der der Rentenbezug auf Platz eins der Einkommensquellen liegt. Aber auch hier handelt es sich um relativ geringe Renten; ein Drittel der

Rentenempfänger aus dieser Gruppe erhält ergänzende Sozialhilfe.

(19)

2.5 Gesundheits-Status der Antragstellerinnen

In der Vergangenheit gab es ein weiteres Unterscheidungs-Merkmal zwischen den Hauptbetroffenen-Gruppen. In den zurückliegenden Jahren wandten sich (ehemalige) Drogennutzer in aller Regel zeitlich eher an die Stiftung, als dies schwule Betroffene taten. So zeigte die Auswertung der Anträge des Jahres 1991 hinsichtlich der Frage "symptomlos HlV-positiv oder ARC/Aids-erkrankt"

bemerkenswerte Unterschiede zwischen der Gruppe der Drogennutzer und der der Schwulen.

Für 1991 liegen hinsichtlich dieser Fragen vollständige Angaben für 712 Antragstellerinnen vor, für 418 Drogengebraucherinnen und 294 Schwule.

Damals (1991) waren von den 418 antragstellenden Drogengebraucherinnen 269

"nur positiv" und 149 erkrankt. Diese Relation war bei den schwulen

Antragstellern annähernd umgekehrt. Von den 294 Antragstellern waren 112 "nur positiv" und 182 erkrankt.

Dies heißt zweierlei: 1991 waren 53,5 Prozent aller Antragstellenden "nur positiv"

und 46,5 Prozent bereits erkrankt. Die - wenn auch geringfügige - Mehrzahl der Antragstellerinnen war also nicht erkrankt. Und die Antragstellerinnen aus der Gruppe der Drogennutzer waren auch schon als "Nur-Positive" auf die Hilfe der Stiftung angewiesen, die Schwulen in ihrer Mehrheit erst nach Ausbruch der Erkrankung.

Gesundheits-Status der Antragstellenden

nach Hauptbetroffenengruppen

(20)

- 2 0 -

Mittlerweile ist der Anteil der bereits erkrankten Antragstellerinnen in allen Betroffenengruppen erheblich angestiegen. So waren im ersten Halbjahr 1993 von 749 Antragstellerinnen, bei denen wir über diese Angaben verfügen, nur 209

"nur positiv" und 540 bereits erkrankt. Dabei ergaben sich zwar immer noch signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Hauptbetroffengruppen, diese sind aber längst nicht mehr so extrem wie 1991.

Bemerkenswert ist vor allem die Tatsache, daß nun 72,1 Prozent aller

Antragstellerinnen bereits erkrankt sind und nur noch 27,9 Prozent lediglich HIV- positiv.

Warum der Anteil der bereits erkrankten Antragstellerinnen im Vergleich zu den

"nur positiven" Antragstellerinnen so stark angewachsen ist, kann zur Zeit nicht eindeutig beantwortet werden. Zwar ist die Zahl der Erkrankten von 6.604 (davon 3.162 als verstorben gemeldet) in 1991 auf 9.997 (davon 5.468 als verstorben gemeldet) in 1993 gestiegen, doch hat sich die Zahl der HlV-positiven Menschen ja nicht verringert.

Der deutliche absolute und relative Anstieg der Zahl der erkrankten

Antragstellerinnen kann sicherlich als Indiz für eine weitergehende sozial­

materielle Verelendung Aids-kranker Menschen angesehen werden. Die relative Abnahme der "nur positiven" Antragstellerinnen kann aber kaum als Indiz für eine verbesserte Situation dieser Gruppe dienen.

Außer der Vermutung, daß die Hilfe der Stiftung erst dann in Anspruch

genommen wird, wenn tatsächlich keine andere Alternative bleibt, scheint kein Erklärungsansatz für diese Entwicklung plausibel. Zum Teil deuten auph

Schreiben der Antragstellerinnen dies an, so einer der in der Einführung zitierten Briefe.

2.6 Zur Bedarfssituation der Hauptbetroffenengruppen

Signifikante Unterschiede werden ebenfalls sichtbar, wenn verglichen wird, welche Antragsgegenstände von welcher Hauptbetroffenen-Gruppe nachgefragt werden. Zur Verdeutlichung wurden die Anträge der Antragstellerinnen in Haft gesondert ausgewertet. Somit wurde zwischen Schwulen, Drogennutzerinnen und Häftlingen unterschieden.

Am auffälligsten ist hier der Tatbestand, daß zahlreiche Insassen im Vollzug offensichtlich nur unzureichend mit frischen und vitaminreichen Nahrungsmitteln, also vor allem Frischkost, versorgt werden. Fast 70 Prozent der Häftlinge

beantragen Hilfen für den Zusatzeinkauf.

(21)

Signifikante Unterschiede ergaben sich aber auch bei der Unterstützung in

rechtlichen Auseinandersetzungen. So beantragten nur 1,6 Prozent der schwulen Antragsteller Hilfen in diesem Bereich, aber 8,8 Prozent der Drogennutzerinnen.

Dabei ging es bei den Schwulen fast immer um zivil-, sozial- oder

verwaltungsrechtliche Fragen, bei den Drogennutzerinnen fast immer um strafrechtliche Probleme.

Auf der anderen Seite ist es erstaunlich, das bei einer ganzen Reihe anderer Antragsgegenstände keine signifikanten Nachfrageunterschiede zwischen den einzelnen Hauptbetroffenengruppen feststellbar sind. Und selbst scheinbare Unterschiede sind nicht immer tatsächliche. So erklärt sich der Unterschied in der Nachfrage nach Erholungsreisen zwischen Drogennutzerinnen und Schwulen vor allem daraus, daß 22 Prozent der antragstellenden Drogennutzerinnen in Haft sind und somit diesen Antragsgegenstand überhaupt nicht nachfragen können.

Signifikante Unterschiede ergeben sich allerdings bei einer Verknüpfung der Antragsgegenstände mit der Zugehörigkeit zur Betröffenengruppe und der

Bewilligungssumme. So liegt die durchschnittliche Bewilligungssumme bei den von schwulen Antragstellern eingereichten Anträgen mit DM 609,50 genau bei der durchschnittlichen Bewilligungsumme aller Anträge. Die durchschnittliche

Bewilligungssumme bei Antragstellerinnen liegt demgegenüber mit DM 722,90

(22)

- 2 2 -

deutlich über dem Schnitt, die durchschnittliche Bewilligungssumme bei von Häftlingen gestellten Anträgen liegt mit DM 255,50 erheblich darunter. Die niedrige Bewilligungssumme im letztgenannten Bereich ist unmittelbar auf Vorgaben des Strafvollzugs zurückzuführen. Gefangene dürfen in der Regel maximal einmal pro Monat einen Betrag von ca. DM 50,00 für den sogenannten Zusatzeinkauf entgegennehmen. Selbst wenn eine diesbezügliche Unterstützung - was die Regel ist - sofort für 6 Monate gewährt wird, ergibt sich nur ein

Bewilligungsbetrag von DM 300,00.

Durchschnittliche Bewilligungssummen

nach Gruppen und Antragsgegenständen

Noch deutlicher treten die Unterschiede hervor, wenn einzelne

Antragsgegenstände in diese Auswertung mit einbezogen werden. Die höchste durchschnittliche Bewilligungssumme von DM 1.227,30 ergibt sich im Bereich der von (ehemaligen) Drogengebrauchern beantragten Erholungsreisen. Sie liegt noch höher als die durchschnittliche Bewilligungssumme von DM 1.159,10 für Erholungsreisen von Antragstellerinnen.

Dieser Sachverhalt erklärt sich daraus, daß in beiden Fällen unterschiedlich viele Begleitpersonen mit bezuschußt wurden. Die 23 Bewilligungen für (ehemalige) Drogennutzerinnen betrafen 12 Männer und 11 Frauen. Von den 12 Männer reisten 6, also die Hälfte, mit Partnerin und insgesamt kamen über diese Bewilligungen auch 22 Kinder in den Genuß einer Erholungsreise. Tatsächlich wurden mit diesen 23 Bewilligungen also nicht 23 sondern 51 Personen gefördert.

(23)

Ähnlich verhielt es sich bei den bewilligten Anträgen auf Erholungsreisen von Antragstellerinnen. Durch die 16 Bewilligungen kamen auch 14 Kinder infizierter oder erkrankter Frauen/Mütter in den Genuß einer Erholungsreise.

In diesem Zusammenhang muß allerdings noch ein weiterer Aspekt zumindest angesprochen werden: die Begrenztheit der Hilfsmöglichkeiten.

Der durchschnittliche Bewilligungsbetrag liegt mit DM 610,00 zwar über dem Betrag, der Sozialhilfeempfängerinnen monatlich zusteht und damit weit über deren tatsächlich verfügbarem Einkommen, aber deutlich unter dem Betrag, den viele Menschen in diesem Lande doch ohne Probleme auch einmal "so nebenbei ausgeben können.

Neben dieser quantitativen Relativierung ist auch eine qualitative zu benennen.

Beispielhaft sei hier festgehalten: wenn fast 70 Prozent der antragstellenden Häftlinge für den notwendigen Zusatzeinkauf von Lebensmitteln auf die Hilfe der Stiftung angewiesen sind und wenn 9 Prozent der antragstellenden

Drogennutzerinnen die Finanzierung juristischen Beistandes in strafrechtlichen Auseinandersetzungen erbitten, dann ist offensichtlich, daß nur eine Änderung der augenblicklichen Drogenpolitik die strukturellen Voraussetzungen für eine mittelfristige Verbesserung der Situation dieser Menschen schaffen kann.

(24)

-2 4 -

3. Institutionelle Anbindung und regionale Verteilung der Hilfen

Die meisten Anträge, die die DEUTSCHE AIDS-STIFTUNG »Positiv leben«

erreichen, werden von Beratungsstellen für einzelne Menschen mit HIV und Aids gestellt. Dieser Weg entspricht durchaus der Intention der Stiftung, wird doch so garantiert, daß fast alle Antragstellerinnen Ansprechpartner "vor Ort" haben.

Die Auswertung der im ersten Halbjahr 1993 gestellten Anträge nach antragstellenden Institutionen erbrachte zum Teil die Bestätigung unserer Vermutungen, zum Teil aber auch recht überraschende Ergebnisse.

Die 719 Anträge des ersten Halbjahres 1993 erreichten »Positiv leben« auf den folgenden Wegen:

Wege der Antragstellerinnen Zahl der Anträge prozentualer Anteil

01. AIDS-Hilfen 424 58,97 %

02. Ambulante./stat. Pflege 15 2,09 %

03. Drogenberatungsstellen 18 2,50 %

04. Evangelische Beratungsstellen 10 1,39 %

05. Frauen/Lesben-Beratungsst. 10 1,39 %

06. Gesundheitsämter 69 9,60 %

07. Katholische Beratungsstellen 14 1,95 %

08. Kinder/Jugend-Beratungsst. 18 2,50 %

09. Krankenhaus/Klinik 11 1,53 %

10. privat gestellte Anträge 85 11,82 %

11. Sonstige Wege 45 6,26 %

Insbesondere muß es erstaunen, daß zwar 50 Prozent aller Anträge von Drogennutzerinnen gestellt wurden, aber nur 2,5 Prozent aller Anträge über Drogenberatungsstellen eingingen. Hier scheinen sich Parallel-Strukturen in der Beratungs- und Betreuungsarbeit entwickelt zu haben, die nur eine geringe Durchlässigkeit aufweisen. Selbst von den antragstellenden Drogennutzerinnen wählen nur 5,1 Prozent den Weg über eine Drogenberatungstelle, aber 59,6 den über eine AIDS-Hilfe und immerhin noch 10,2 den über ein staatliches

Gesundheitsamt.

Allerdings sind auch hier zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen (ehemaligen) Drogennutzern zu beobachten.

(25)

Es war zu vermuten, daß die regionale Verteilung der Inanspruchnahme der Stiftung ebenfalls von Interesse sei. Die diesbezügliche Auswertung der Anträge ergab allerdings keine signifikanten Abweichungen zur regionalen Verteilung der Erkrankten.

Daher erübrigt sich im Rahmen unserer Darstellung eine weitergehende ' Befassung mit dieser Frage.

(26)

- 2 6 -

4. Zusammenfassung und Wertung sowie Überlegungen zu den sozialpolitischen Konsequenzen

4.1 Der Bedarf an ergänzenden materiellen Hilfen zugunsten von Menschen mit HIV und Aids ist unabweisbar und er wächst

Der Bedarf an den materiellen Hilfeleistungen der Aids-Stiftungen wird zur Zeit nicht nur größer, da die Zahl der Erkrankten steigt. Die Steigerung der

Antragszahlen bei der DEUTSCHEN AIDS-STIFTUNG »Positiv leben« resultiert nach unserer Auffassung zwar auch aus dem Anstieg der Erkrankten-Zahl, daneben aber auch aus der verlängerten Lebenserwartung der bereits Erkrankten, die, dank der. Fortschritte bei der Therapie opportunistischer

Erkrankungen, zu immer mehr "Folgeanträgen" bei »Positiv leben« führen. Und die wachsende Zahl der betroffenen Frauen mit Kindern, deren Finanzbedarf naturgemäß über dem Alleinstehender liegt, trägt erheblich zum deutlich erhöhten Finanzbedarf bei.

Bei »Positiv leben« führte dies in den Jahren seit 1990 zu einem von Jahr zu Jahr deutlichen Anstieg der Antragszahlen.

Entwicklung der Antragszahlen

"Positiv leben"

(27)

Falls die Sozialleistungen, wie im Sommer 1993 diskutiert, gekürzt werden sollten, wird dies mehr als drei Viertel der Antragstellerinnen unmittelbar treffen, noch drastischer als bislang steigende Antragszahlen wären dann wohl

unvermeidlich.

4.2 Recht auf Hilfe

Die Notwendigkeit der materiellen Einzelfallhilfe zugunsten von Menschen mit HIV und Aids begründet sich aus den individuellen Notlagen der Betroffenen und aus der unzureichenden sozialen Sicherung einer großen Zahl von Erkrankten, die struktureller Natur ist; die Ursachen sind in der Altersstruktur der Menschen mit HIV und Aids und in der häufig geringen Familienunterstützung zu sehen.

Im Gegensatz zu vielen an anderen chronischen Krankheiten leidenden

Menschen bleibt den an Aids Erkrankten wenig Hoffnung auf Heilung oder eine längere Lebensspanne ohne nennenswerte Verschlechterung der

gesundheitlichen Situation.

Dies verpflichtet eine Gesellschaft, die sich auf humane und christliche Werte beruft, zu besonderer Hilfeleistung. Neben der Sicherung eines minimalen

Lebensstandards sollte dies auch die Bereitschaft einschließen, in der einen oder anderen Situation auch einmal den vielleicht letzten "kleinen Luxus" zu

ermöglichen. Dabei sollte nicht übersehen werden, daß diese Form der Unterstützung, die sich ja vor allem materiell konkretisiert, deutlich über rein Materielles hinausreicht.

In der Gesellschaft der Bundesrepublik ist - wie in anderen hochindustrialisierten Staaten - Kommunikation, sozialer Austausch fast immer mit Konsum, zumindest mit Kosten, verbunden. Das "Ohne Moos nichts los" ist für erkrankte Menschen, die oft plötzlich viel "freie" Zeit haben, eine äußerst schmerzliche Erfahrung. Hier können bereits kleine Beträge die Voraussetzung für die Teilnahme am sozialen Leben deutlich verbessern. Und das soziale Unterstützung, die ja nicht in der Isolation erreicht werden kann, die Gesundheit fördert und bei der Bewältigung von Krankheit hilft, zählt ja mittlerweile zum Alltagswissen.

Schließlich muß noch ein Aspekt angesprochen werden, der eng mit der zeitlich sehr begrenzten (Lebens-)Perspektive vieler-Erkrankter verbunden ist. Die Erfüllung bestimmter Wünsche oder Bedürfnisse ist oft eng mit der Biographie eines Menschen verbunden. Sei es in dem Sinne, daß Etwas als gewünschte Fortsetzung des eigenen Lebensweges - im Gegensatz zum abrupten Bruch, zum

"Absturz" - empfunden wird. Sei es, daß Etwas zur Rundung, zum Abschluß der eigenen Biographie dient.

(28)

- 2 8 -

Teil 2

5. Verlaufsprotokolle

Mit den folgenden Protokollen der Kontakte zwischen Mehrfach-

Antragstellerinnen und der DEUTSCHEN AIDS-STIFTUNG »Positiv leben«

werden wir versuchen, die Darstellungen und Interpretation der Daten zur sozialen Situation HlV-positiver und an Aids erkrankter Menschen, die aus den bei »Positiv leben« gestellten Anträgen abzuleiten sind, durch eine

Betrachtungsweise zu ergänzen, die eher der Sicht der Betroffenen entspricht.

Gleichzeitig erlauben diese Protokolle einen - zumindest partiellen - Einblick in die konkrete Lebenssituation sozial benachteiligter Betroffener. Die einzelnen Protokolle sollen nicht "Typisieren", die typische Antragstellerin, den typischen Antragsteller gibt es genau so wenig, wie die typischen Jugendlichen.

Gleichwohl stehen die ausgewählten Verlaufsprotokolle natürlich für mehr als nur für einen "Einzelfall".

Falls es so etwas wie "Das Typische im Individuellen" und/oder "Das Individuelle im Typischen" geben sollte, dann war es unser Ziel, genau dies zu treffen und darzustellen.

Zu den antragstellenden Menschen mit HIV und Aids zählen bereits seit vielen Jahren erkrankte schwule Männer, im Strafvollzug einsitzende HlV-positive Drogennutzerinnen und erkrankte alleinerziehende Mütter ebenso wie ein zusammenlebendes schwules Paar.

Natürlich sind alle Namen im folgenden Text geändert worden.

5.1 HolgerQ.

Holger Q. ist schwul, alleinstehend und wohnt in einer Großstadt. Er wurde 1958 geboren. Er ist an Aids erkrankt.

Herr Q. hat eine abgeschlossene Bäckerlehre, ist jedoch aufgrund einer asthmatischen Erkrankung berufsunfähig. Seit 1983 ist er als schwerbehindert anerkannt.

Im Oktober 1985 wurde Herrn Q. seine HlV-lnfektion mitgeteilt. Er wird seit Juli 1988 von der AIDS-Beratungsstelle des Gesundheitsamtes betreut.

Im Herbst 1988 wendet sich ein Gesundheitsamtsmitarbeiter erstmalig an »Positiv leben«, um finanzielle Hilfe für Herrn Q. zu beantragen. Holger Q. wird als

(29)

depressiv, suizidgefährdet, zurückgezogen, kontaktscheu und ängstlich beschrieben.

"In Reaktion auf die Ergebnismitteilung entwickelte sich bei ihm eine starke Depression. Er zog sich immer mehr aus seinen gesamten sozialen Bezügen zurück, wehrte alle Hilfsangebote ab, in der Vorstellung, daß nun sein Leben keinen Sinn mehr habe ... Holger schottete ... sein Leben nach außen hin völlig ab. Ausdruck hierfür ist z.B., daß er die Fenster seiner W ohnung verdunkelte."

(Zitate aus Schreiben des Gesundheitsamtes)

Da sein Allgemeinzustand als sehr schlecht eingestuft wurde, wies das Gesundheitsamt ihn zur stationären Aufnahme in ein Krankenhaus ein. Dort sprach er seine verwahrlosten Wohnverhältnisse erstmalig an. Herr Q. umgab sich in seiner W ohnung mit Unrat und suchte erst Hilfe, als die Situation unerträglich wurde. Das Gesundheitsamt veranlaßte eine Säuberung und Entrümpelung.

Herr Q. bezieht Krankengeld. Mit seinem Einkommen liegt er knapp über dem Sozialhilfebedarf, sodaß er keine ergänzenden Leistungen erhält.

Für die Entrümpelung entstanden Kosten in Höhe von 1 .1 5 0 ,- DM, wovon

»Positiv leben« 9 0 0 ,- DM trägt.

Seit Ende 1988 wird Holger Q. auch von einer Hauskrankenpflege-Institution betreut.

Im Oktober 1989 wendet sich das Gesundheitsamt erneut an »Positiv leben« mit der Bitte um Finanzierung von Renovierungsmaterialien. Die soziale und

psychische Situation im Vergleich zum Vorjahr ist unverändert instabil. Durch Verwahrlosung und trotz der Säuberung und Entrümpelung ist die Wohnung immer noch in einem desolaten Zustand und muß dringend renoviert werden.

Sollte in einer bestimmten Frist nicht renoviert werden, droht der Verlust der Wohnung. Der Vermieter hat eine Wohnungsbesichtigung angekündigt. Das Sozialamt lehnte die Kostenübernahme ab.

»Positiv leben« bewilligt 3 0 0 ,- DM für Material.

Im Mai 1990 stellt das Gesundheitsamt erneut einen Antrag für Herrn Q. Er beginnt Kontakt zu seiner Umwelt aufzunehmen. Sein Gesundheitszustand hat sich stabilisiert. Nun möchte er an einer dreiwöchigen Urlaubsreise teilnehmen.

Seinen Eigenanteil in Höhe von 5 0 0 ,- DM übernimmt die Stiftung.

Über Weihnachten und Neujahr 1991 möchte Holger Q. an einer Gruppenreise teilnehmen, um nicht alleine die Feiertage verbringen zu müssen. Das vorgelegte Gruppenangebot setzt sich mit HIV/Aids auseinander und thematisiert

Problematiken schwuler Lebensbezüge: "10 Tage Ferien für schwule M ä n n e r... - eine spannende Mischung aus Workshops, interessanten Kontakten, explosiver Kreativität und Relaxen." (Zitat aus beigefügten Faltblatt.)

(30)

- 3 0 -

Da Herrn Q.'s Einkünfte nur um 13,-- DM den Sozialhilfebedarf übersteigen, ist eine finanzielle Unterstützung notwendig.

»Positiv leben« stellt DM 500,-- zur Verfügung.

Dem Schreiben des Gesundheitsamtes ist zu entnehmen, daß die psychische Verfassung durch Urlaube und Austausch mit anderen Schwulen und HIV- positiven Menschen stabilisiert wurde.

W ie in den vergangenen zwei Jahren möchte Herr Q. auch 1992 wieder an einem Sommercamp teilnehmen. Begleitet wird er von seinem Einzelfallhelfer, der

insbesondere wegen der psychischen Labilität bestellt wurde.

"Nachdem Herr Q. sich für längere Zeit weitgehend von seiner Umwelt zurückgezogen hatte, ist er langsam wieder am 'Auftauchen'." (Zitat aus Schreiben des Gesundheitsamtes.)

Folgende Angebot kann Herr Q. im Sommercamp wahrnehmen:

Musizieren, Theater spielen, Tanzen, Videofilmen, Foto-Arbeiten, Selbstverteidigung, Massagen, Morgen-Meditation, Buchbesprechung.

»Positiv leben« übernimmt erneut einen Kostenanteil von DM 500,00.

Im Juni 1993 stellt Herr Q. seinen vorläufig letzten Antrag auf Einzelfallhilfe.

Finanziell konnte keine Änderung seiner Situation festgestellt werden. Seine Einkünfte sind stabil (Rente), reichen jedoch nicht aus, um die Erfüllung einiger W ünsche zu ermöglichen.

So finanziert »Positiv leben« erneut die Teilnahme an einer Gruppenreise.

Psychosozial sind diese Reisen äußerst wichtig für Herrn Q. Er baut Kontakte zu anderen Infizierten auf und hat durch den Abstand zum Alltag eine wichtige Erhohlungsquelle. Außerdem wird er in seiner Kreativität gefördert, da

unterschiedliche Workshops angeboten werden und einladen, auch Zuhause kreativ zu sein.

Nachdem er mehrfach lediglich Teilnehmer war, bietet er in diesem Sommer zum ersten Mal ein Freizeitangebot für seine Miturlauber an! Zum Thema

Männerphantasien wird er einen Workshop mit Collagen-Herstellung leiten.

5.2 Gregor A.

Gregor A. hat illegale Drogen konsumiert. Zum Zeitpunkt seines ersten Kontaktes mit der Stiftung saß er im Strafvollzug ein, später in einer Psychiatrischen Anstalt.

Er wurde 1955 geboren. Er ist HlV-positiv.

Herr A. wendet sich im März 1989 erstmalig an »Positiv leben«. Seine Anträge stellt er immer persönlich. Im Dezember 1988 war er inhaftiert worden. Er hat eine sechsjährige Haftstrafe zu verbüßen. Seit ca. 8 Monaten ist ihm sein positives

(31)

Testergebnis bekannt. Von einem positiven Mitgefangenen hat er von der Stiftung und möglichen Zuschüssen zum Einkauf gehört.

A uf seinen Antrag hin wird ihm für sechs Monate ein Ernährungszuschuß in Höhe von monatlich 50,-- DM bewilligt.

Das zweite Mal wendet er sich Ende 1990 an »Positiv leben«. Gern. § 35 BtmG ("Therapie statt Strafe") wurde Herr A. zwischenzeitlich in ein Bezirkskrankenhaus verlegt. Bis Februar 1991 wird er auf der geschlossenen Station untergebracht sein und anschließend auf die offene verlegt werden. Sobald er im offenen Vollzug ist, will er sich eine Arbeitsstelle suchen. Er ist ausgebildeter Radio- und Fernsehtechniker.

Für die Restzeit auf der geschlossenen Station beantragt er weitergehende

Unterstützung für den Zusatzeinkauf, der wiederum in Höhe von 50,-- DM gewährt wird.

Herr A. bot an, die weitere Hilfe zurückzuzahlen, sobald er Arbeit gefunden hat.

Herr A. teilte uns Ende Februar 1991 mit, daß er sich geweigert habe, in die offene Station zu wechseln. Dort würde er in einem 10-Personen-Zimmer untergebracht werden. Aufgrund seiner HlV-lnfektion meint er, Anrecht auf ein Ein- oder Zweibettzimmer zu haben. Unter Hinweis auf seinen HlV-Status schaltet Herr A. einen Rechtsanwalt ein, der seine Beschwerde an die Justizbehörde weiterleiten soll. Gregor A. hatte sich an die örtliche AIDS-Hilfe gewandt, da er gerne regelmäßig betreut und beraten werden möchte. Aus personellen Gründen lehnt die AIDS-Hilfe eine Betreuung ab.

Mit dem Schreiben vom Februar 1991 beantragt er Bekleidungsbeihilfe. Zwar wird ihm Kleidung durch die Anstalt zur Verfügung gestellt, aber nicht im

ausreichenden Maße. So fehle es ihm vor allem an einer Winterjacke und warmen Pullovern. Außerdem wünscht er sich "nette" Kleidung, die von der "Psychiatrie- Tracht" abweiche.

Hierfür wird ihm 250,-- DM zur Verfügung gestellt.

Seine nächsten Antrag stellt Herr A. im August 1991.

Er hat sehr günstig einen Computer kaufen können. Hierfür wurde ihm sein

"Überbrückungsgeld", das normalerweise erst bei der Entlassung ausgezahlt wird, ausgehändigt.

"... wie Sie ja vielleicht wissen, bin ich gelernter Radio- und Fernsehtechniker und die EDV gewinnt gerade in dieser Berufssparte immer mehr an Bedeutung, so daß es für mich unumgänglich ist, mich in dieser Richtung fortzubilden, wenn ich in meinem Beruf noch Fuß fassen will. Leider fehlen mir nun die M itte l... mir dementsprechende berufsspezifische Software zu kaufen." (Zitat aus seinem Schreiben.) 1 4 8 ,- DM übernimmt »Positiv leben« für ein PC-Fachbuch und ein Programm für Elektroniker.

(32)

- 3 2 -

Ende 1991 wendet Herr A. sich erneut mit dem Wunsch nach einem

fachspezifischen Programm an die Stiftung. Nun werden ihm 2 0 0 ,- DM zur Verfügung gestellt.

In dem Antragsschreiben heißt es unter anderem: "Ansonsten bin ich fleißig am Computer-Lernen und mache natürlich große Fortschritte ... es macht mir viel Spaß, ich möchte nun endlich anfangen richtig zu programmieren, doch die Software ist sehr te u e r... Und wie gesagt, ich bin sehr lernbegierig und es ist mir wirklich wichtig etwas aus der Zeit hier zu machen."

W eiter schreibt er über seine Situation im BKH folgendes: "Ansonsten gibt's nichts Neues, ein Tag wie der andere, ich darf nicht mal an Positiven-Treffen teilnehmen, ist wirklich unglaublich. Momentan bin ich der einzige Positive auf der Station, aber es geht schon, ich habe auch mittlerweile gelernt wirklich gut mit dem HIV umzugehen, und kann jetzt ohne Angst sagen, daß ich positiv bin."

Daneben schreibt Herr A. - nicht ohne Erfolg - Computer-Firmen an und bittet um Spenden zur Aufrüstung seines PC's.

5.3 Viktor X.

und 5.4 Carl B.

Viktor X. ist schwul, er lebt gemeinsam mit seinem Partner Carl B. in einer mittelgroßen Stadt. Er wurde 1967 geboren. Er ist HlV-positiv.

Herr X. ist Student. Er steht mit der örtlichen AIDS-Hilfe in Kontakt, die auch die Anträge für ihn stellt.

Carl B., Viktors Partner ist Krankenpfleger. Er wurde 1960 geboren. Er ist an Aids erkrankt und stirbt Ende 1991.

Viktor X.

Im Oktober stellte Viktor X. erstmals über die örtliche AIDS-Hilfe einen Antrag bei

»Positiv leben«.

Seit März des Jahres weiß er von seiner Infektion. Ende März zog er von Zuhause aus und lebt seitdem bei seinem Freund. Viktor ist Kunststudent. Er erhält weder BAFöG noch elterlichen Unterhalt. Er und sein Freund leben allein von dessen geringem Gehalt von 1 .2 5 0 ,- DM (Miete 2 2 0 ,- DM).

"Im März 1988 habe ich rechtzeitig einen BAFöG-Antrag gestellt. Nachdem meine Eltern einen Einkommensnachweis erbracht hatten, lehnte das BAFöG-Amt eine Zahlung ab. Auch ein Prozeß konnte vom BAFöG-Amt nicht geführt werden, weil sich meine Eltern nicht, jedenfalls nicht offiziell, weigerten, mir Wohnraum zur Verfügung zu stellen und für meinen Unterhalt in Naturalien aufzukommen.

(33)

Tatsächlich jedoch wurde mir weder Taschengeld, Materialgeld, noch Geld für Kleidung gegeben. Auch die Nahrungsversorgung war nur teilweise gewährleistet ... Ich beschloß ... über einen Rechtsanwalt... zu klagen. Die erste In sta n z...

entschied für meine Eltern ... (Dann) beschloß ich, meine HlV-lnfektion nicht länger zu verheimlichen und meine Eltern ... davon in Kenntnis zu setzten.

Außerdem kündigte ich an, ab sofort wieder zu Hause wohnen zu wollen und den Naturalunterhalt in Anspruch nehmen zu wollen. Dies lehnten meine Eltern jedoch ab und machten mir das A n g e b o t... mir 575,-- DM monatlich zu zahlen. Das war damals BAFöG-Höchstsatz für Studenten ohne eigene Wohnung ..."

(Zitat aus persönlichem Schreiben.)

In seinem ersten Antrag erbittet Viktor X. für den Kauf eines Regals 139,-- DM, die er erhält.

Mitte Dezember wendet sich Viktor erneut an »Positiv leben«. Für sein Kunststudium benötigt er Materialien für insgesamt 250,-- DM, die ebenfalls bewilligt werden.

Im Wintersemester 1989/90 wird Herr X. erneut mit einem Betrag von 300,-- DM für Arbeitsmaterial unterstützt.

Im Sommer 1991 wendet sich die AIDS-Hilfe erneut an »Positiv leben«. Viktor, der seinem bereits an Aids erkrankten Freund pflegt, benötigt dringend Erholung und Abstand. Aus diesem Grund möchte er für 10 Tage in einer ruhigen Pension in der Eifel Urlaub machen. Die Gesamtkosten (Vollpension und Fahrkosten) belaufen sich auf 850,-- DM. »Positiv leben« unterstützt ihn mit 500,-- DM.

Ende 1991 verstirbt Carl, Viktor ist in einer schweren Krise. Die AIDS-Hilfe beantragt die Kostenübernahme für eine kurzfristige psychosoziale Betreuung.

Außerdem werden die Kosten für die Traueranzeige (67,~ DM) in der

Tageszeitung beantragt. »Positiv leben« übernimmt die Gesamtkosten in Höhe von 355,-- DM.

Viktor und Carl hatten geplant, zusammen beerdigt zu werden und sich daher bereits um ein Doppelgrab gekümmert. Doch Carls Mutter wollte dies verhindern, so daß zur Organisation der Beerdigung, an der sich Carls Angehörige nicht beteiligten, noch die Sicherung des Doppelgrabes hinzukam.

Im Frühjahr 1992 möchte Viktor zwei Wochen Urlaub in der Pension machen, die er früher mit Carl besucht hat. Für Viktor eine Möglichkeit zur Erholung, aber auch Gelegenheit, an einem Ort, den beide sehr geliebt haben, nochmals in Ruhe Abschied von Carl nehmen zu können. Die AIDS-Hilfe beteiligt sich an den Kosten und »Positiv leben« stellt die fehlenden 700,-- DM zur Verfügung.

(34)

- 3 4 - Carl B.

Carl B. wandte sich im August 1988 erstmalig an »Positiv leben«, auch er stellte seinen Antrag über die örtliche AIDS-Hilfe. Carl bezog gerade Krankengeld. Da er sich in stationäre Behandlung begeben mußte, äußerte er den Wunsch, die

Kosten für ein Telefon im Krankenzimmer übernommen zu bekommen. Carl lag 11 Tage im Krankenhaus. Die Stiftung übernimmt seine Telefonrechnung in Höhe von 76,-- DM, wovon allein 65,-- DM auf Miet- und Anschlußgebühr entfielen.

Im Oktober stellt die AIDS-Hilfe einen zweiten Antrag für Carl. Er ließ sich

ambulant in der Universitätsklinik behandeln und benötigte Kostenersatz für eine Taxifahrt am folgenden Tag zur Nachuntersuchung. Da er trotz Anratens seines Arztes nicht stationär in der Klinik aufgenommen werden wollte, besteht für die

Krankenversicherung keine Pflicht zur Kostenübernahme. 63,20 DM werden von

»Positiv leben« übernommen.

Im Januar 1991 wird Carl erneut für 7 Tage ins Krankenhaus eingewiesen.

Telefonkosten von 3 8 ,- DM werden von der Stiftung übernommen. Im Juli 1991 dito. Bei einem 6-tägigen Klinikaufenthalt entstehen Telefonkosten von 4 3 ,- DM.

Im September 1991 beantragt die AIDS-Hilfe Unterstützung für eine Urlaubsfahrt von einer Woche in eine Pension in der Eifel.

"Carl B. ist seit mehreren Jahren an AIDS erkrankt und leidet inzwischen sehr stark unter den körperlichen Symptomen, aber auch unter den seelischen Belastungen, die diese Krankheit mit sich b rin g t... Durch die Unterstützung der Stiftung ... ist es bereits in der Vergangenheit möglich gewesen, zwar nicht alle W ünsche für die beiden in Erfüllung gehen zu lassen, aber doch eine

weitreichendeStabilisierung... ihrer Lebensumstände zu erreichen." (Zitat aus Schreiben der AIDS-Hilfe.)

»Positiv leben« bewilligt den Antrag, doch kann Herr B. seinen Urlaub nicht mehr antreten. Er verstarb im Alter von 31 Jahren.

Viktor und Carl

Im Mai 1990 stellte die AIDS-Hilfe erstmalig einen Antrag für Viktor und Carl zusammen. In diesem Schreiben wird die finanzielle Situation des Paares detailliert dargestellt:

Sie verfügen über ein gemeinsames Einkommen von 1 .5 0 0 ,- DM und haben monatliche Fixkosten in Höhe von 1 .0 0 0 ,- DM. Aufgrund der angespannten finanziellen Lage sind beide verschuldet. Beantragt wird die Anschaffung einer W aschmaschine und der Ausgleich von Mietrückständen. Insgesamt werden 600,— DM zur Verfügung gestellt.

(35)

Viktor und Carl planen im Sommer 1990 einen gemeinsamen Urlaub in der Eifel.

900,-- DM werden bewilligt.

Ein Antrag auf Übernahme der Heizkostennachzahlung folgt im Februar 1991.

Das Sozialamt übernimmt Carls Anteil zu 30 Prozent, nicht jedoch Viktors, da er Student ist und keinen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen hat.

Dieser Antrag wird von »Positiv leben« abgelehnt, da das Sozialamt verpflichtet ist, den Anteil Carls komplett zu übernehmen und die Hälfte von Viktor über Ratenvereinbarungen abgetragen werden kann.

Im Juli 1991 wird ein weiterer Antrag bei »Positiv leben« gestellt. Viktor und Carl benötigen dringend ein neues, platzsparendes Bett, da die gemeinsame

W ohnung sehr klein ist. "Viktor und Carl wohnen seit zwei Jahren zusammen. Als gemeinsame Schlafstätte dient ihnen bis heute ein dreiteiliger ausklappbarer S e s s e l... Zum einen ist dieser viel zu klein, zum anderen gibt es keine

Möglichkeit, das Bettzeug zu verstauen. Da sich Carls Zustand verschlechtert, ist damit zu rechnen, daß er in Kürze bettlägrig wird, was die zur Zeit bestehenden Schlafverhältnisse unzumutbar werden läßt." (Zitat aus Schreiben der AIDS-Hilfe.) Das Sozialamt bewilligt 475,-- DM und »Positiv leben« übernimmt die Restkosten in Höhe von 2 0 4 ,- DM.

5.5 Hella G. und Tochter

Helga G. ist heterosexuell, lebt mit einem langjährigen Lebensgefährten, der ebenfalls erkrankt ist, zusammen. Sie hat ehemals illegale Drogen gebraucht, wird aber mittlerweile substituiert und wohnt in einer Kleinstadt. Sie hat

gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten eine Tochter. Frau G. wurde 1955 geworden. Sie ist an Aids erkrankt.

Frau G.s Tochter Deborah lebt bei einer Tante. Deborah wurde 1984 geboren.

Sie ist nicht infiziert.

Im Juni 1989 wandte sich Frau G. erstmals an »Positiv leben«.

"(Herr X von der Drogenberatungsstelle) hat mir heute davon erzählt, daß mit etwas Glück vielleicht die Möglichkeit bestehen könnte, mit Hilfe Eurer

Einrichtung .... einmal für ein paar Tage aus diesem ganzen Trott ' - herauszukommen und einfach mal nur Urlaub zu machen!

So recht glauben kann ich das zwar nicht, denn für mich hört sich das an wie ein Traum! Außerdem habe ich ... die Erfahrung gemacht, daß einem nichts

geschenkt wird und es auch nichts umsonst g ib t... Es wäre ein schöner Traum,

(36)

- 3 6 -

W iederholung des wunderschönen Urlaubs ... durch Eure Einrichtung ermöglicht wird." (Zitat aus ihrem Schreiben.)

»Positiv leben« stellt erneut einen Betrag von 800,-- DM zur Verfügung.

Im Sommer 1992 finanzierte die Stiftung Frau G. mit ihrer Tochter erneut einen gemeinsamen Urlaub an der Nordsee. Nachdem Hella G. lange Zeit mit einer Lungenentzündung bettlägrig war, tat ihr die Erholung an der See sehr gut. Einige Immunschwächeerkrankungen zwangen sie jedoch im Laufe des Jahres immer wieder zur Schonung und zu Krankenhausaufenthalten.

Als sich Hella G. im Juni 1993 wieder an die Stiftung wendet, hat sie gerade vier Monate Krankenhaus hinter sich und fieberte schon seit vielen Wochen.

"W ie auch immer, da ich ja vor kurzem erst vier Monate Krankenhausaufenthalt hinter mich gebracht habe, möchte ich einen neuen Krankenhausaufenthalt so lange es geht vor mir herschieben", schreibt sie.

Durch erhöhte Kosten in der Klinik konnte sie ihre Strompauschale von 58,-- DM nicht aufbringen. "Aber wie mir das Sozialamt erklärte, seien sie nur dazu

verpflichtet, die Kosten für meine Miete zu übernehmen. Ich habe zwar während der Krankenhauszeit keinen Strom verbraucht, doch ... (müssen) die Pauschalen trotzdem pünktlich gezahlt werden, da sich das Sozialamt aber querstellt, seid Ihr jetzt echt meine letzte Hoffnung."

Die Stiftung übernahm drei Monatspauschalen und außerdem auch eine Telefonrechnung über 168,-- DM.

Im August 1993 wurde Frau G. und ihrer Tochter erneut ein zweiwöchiger Erholungsurlaub an der Nordsee finanziert. Zu ihrer Situation schreibt Frau G.

"Da ich ziemlich oft zur Uniklinik ... muß, geht von den 531,-- DM, die ich zum Leben im Monat habe, außer Strom, Telefon und Essen noch mehr Geld für Fahrtkosten zu den verschiedenen Arzt- und Krankenhausterminen, sowie die damit verbundenen Telefonate ab. Mit anderen Worten, meine finanzielle Situation ist katastrophal ... Lange Rede, kurzer Sinn - ich hoffe wirklich von ganzem Herzen, daß Ihr meinen Antrag wie auch in der Vergangenheit positiv entscheiden werdet - ich glaube, es war mir nie wichtiger gerade jetzt zwei W ochen mal den ganzen M is t... zu vergessen - das wird mir helfen, ein paar neue Kraftreserven anzulegen, die ich bitter brauche."

5.6 Christoph M.

Christoph M. ist schwul, er lebt in einer festen Partnerschaft und wohnt in einer Großstadt. Er wurde 1952 geboren. Er ist an Aids erkrankt.

(37)

Herr M. hat lange genug gearbeitet, um eine Erwerbsunfähigkeits-Rente zu erhalten.

Christoph M. wandte sich im Juli 1990 erstmalig an die DEUTSCHE AIDS- STIFTUNG »Positiv leben«. Bisher stellte er seine Anträge immer persönlich.

Seit Mitte 1985 ist ihm seine HlV-lnfektion bekannt. Es liegt ein Attest des behandelnden Arztes vor, in dem Herrn M. bereits für 1989 eine fortgeschrittene HIV-Erkrankung im ARC-Stadium bescheinigt wird.

"Zur Zeit ist im Vordergrund der Beschwerden die für die fortgeschrittene HlV- lnfektion typische Abgeschlagenheit, sowie weiterhin eine Konzentrations- und Gedächtnisschwäche, so daß aus ärztlicher Sicht eine Berentung sinnvoll erscheint." (Zitat aus Attest aus 1989.)

Christoph M. bezieht Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.398,-- DM. Seine monatlichen Ausgaben für Miete, Telefon, Versicherungen und

Kreditabzahlungen belaufen sich auf 958,-- DM, so daß ihm nur ein monatlicher Betrag von 440,-- DM zum Bestreiten seines Lebensunterhaltes verbleibt.

In seinem ersten Antrag bittet Herr M. um finanzielle Unterstützung für einen Kuraufenthalt. Seine Krankenkasse hat bereits eine tägliche Pauschale von 1 5 ,- DM bewilligt. An Kosten fallen 2 5 ,- DM täglich für Übernachtung mit Frühstück und 2 4 0 ,- DM Fahrtkosten mit der Bundesbahn an.

»Positiv leben« beteiligt sich mit 700,-- DM an den Kosten. Die Kur dient auch der Nachbehandlung einer Lungenerkrankung.

Seinen zweiten Antrag stellt Christoph M. im Frühjahr 1991. W iederum beantragt er einen Zuschuß für eine dreiwöchige Kur an der Nordsee. »Positiv leben«

beteiligt sich mit 7 5 0 ,- DM an den Kosten. Die Krankenkasse bewilligte erneut einen täglichen Zuschuß von 1 5 ,- DM.

Im August 1991 stellt Herr M. zusammen mit seinem Lebensgefährten einen weiteren Antrag auf finanzielle Unterstützung. Christoph und Hans haben die Möglichkeit, in eine behindertengerechte Wohnung im Erdgeschoß umzuziehen.

Für den Umzug benötigen beide finanzielle Unterstützung. Da auch Christoph M.s Lebensgefährte HlV-positiv ist, ist es ihnen nicht möglich, ohne professionelle Hilfe umzuziehen. Weiterhin muß das Paar die alte Wohnung im renovierten Zustand verlassen. Auch hierfür wird finanzielle Hilfe beantragt. Insgesamt fördert

»Positiv leben« den Umzug mit 500,-- DM.

Seinen bislang letzten Antrag stellt Christoph M. Mitte 1992. Zum dritten Mal bittet er um Unterstützung für seinen geplanten Kuraufenthalt an der See. »Positiv leben« bewilligt 8 0 0 ,- DM von insgesamt 1 .7 7 0 ,- DM.

Christoph M. bezieht nach der 92er-Rentenanpassung 1 .4 5 0 ,- DM EU-Rente bei 1 .0 4 0 ,- DM monatlicher Festkosten. Sein verfügbares Einkommen verringert sich,

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

The risk factors not to be intervened upon may be controlled for when choosing the population under study and/or by matching risk factors in reference

Against this background of changing and only rarely realistic perceptions about and communication of the dangers of AIDS, and in view as well of the complexity of health

Versu- chen die einen, eigenen Zielvorstellungen von pflegerischer Machbarkeit nacheifernd, sie länger zu ignorieren und intensiver zu erproben, wie dehnungsfähig solche Grenzen

Section 1 sketches the challenges caused by the external (spatial) as well as internal (social) extension of the cooperative framework; section 2 recalls strategies of

Der Umstand jedoch, daß diese Initiative erstens gegen den Widerstand des Bundesministeriums für Arbeit aus dem Bundeskanzleramt heraus erfolgte, und zweitens

The hazard rate in low-tech in- dustries is reduced in the presence of scale economies, whereas the exposure to risk tends to be higher in high-tech industries.. The influence

Chocolate, candy,

Die der Säuglingssterblichkeit zugeschriebene Bedeutung als Indikator für die gesundheitliche Lage einer Bevölkerung und der Effektivität von Gesundheitssystemen