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Russland und der Westen

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Academic year: 2022

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von Heinrich Vogel

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neingeschränkter Beifall war dem russischen Präsidenten nur im Westen sicher, als er den USA spontan seine Unterstüt- zung im Krieg gegen den Terror zu- sagte. In Russland war diese außen- politische Wende umstritten. Hoch- rangige Militärs, patriotische Politiker und vorlaute Journalisten haben sich inzwischen in ihrer Kritik mit Rück- sicht auf die historischen Gipfeltref- fen von Moskau und Rom (und ihre Karrierechancen) zurückgenommen, aber trotz intensiver Einflussnahme des Kremls sind die skeptischen Kom- mentare nicht ganz verstummt.

Souveränitätsverlust wegen der Gefolgstreue zum Führer der Koali- tion gegen den Terror, die militärische Präsenz der Vereinigten Staaten im Kaukasus und in Zentralasien und die Gefahr weiterer rüstungspolitischer Marginalisierung werden nicht nur von notorischen Nationalisten be- klagt. Dass Russlands Großmacht- rolle angesichts der wirtschaftlichen Schwäche nicht durchzuhalten war, bestreiten mittlerweile auch die Kon- servativen nicht. Aber die schweigen- de Mehrheit der außenpolitischen Eli-

ten steht nach wie vor in der Tradition kritischer Distanz zur amerikani- schen Außenpolitik.

Wladimir Putin ist sich der Gren- zen der auf Energieexporten und Nu- klearwaffen beruhenden Restmacht Russlands bewusst, aber er kann sich nur auf eine kleine Gefolgschaft ver- lassen – bei den Gewinnern der Trans- formation. Zwar kontrolliert der Kreml den außen- und sicherheits- politischen Entscheidungsprozess nach Belieben, und die Außenpolitik dürfte auch kaum zum zentralen Thema der bevorstehenden Wahl- kämpfe um Duma-Mehrheiten und Präsidentschaft werden. Aber er muss bei Militär, Sicherheitsapparaten, Rüstungsindustrie und Diplomatie mit Funktionseliten rechnen, die einem höchst traditionellen Weltbild anhängen und eine Wende rückwärts in das traditionell konfrontative Rol- lenverständnis russischer Außenpoli- tik nur zu gerne mittragen würden – sollte der Wind drehen.

Die Dauerhaftigkeit des neuen Kurses in Moskau steht und fällt mit der Modernisierung von Wirtschaft und Staat durch Integration in die Weltwirtschaft. Dabei lässt die akute Schwäche der internationalen Märkte kurzfristig bestenfalls eine Aufwer- tung Russlands als Gegenspieler der OPEC erwarten, nicht aber die vom Präsidenten immer wieder geforderte Beschleunigung des Wirtschafts- wachstums.

Russland und der Westen

Der Preis der Partnerschaft

S T A N D P U N K T E

10/2002 I N T E R N A T I O N A L E P O L I T I K 4 7

Prof. Dr. Heinrich Vogel, Mitglied des Vorstands der Stiftung Wissenschaft und Politik/Deutsches Insti- tut für Internationale Politik und Sicherheit;

ehemaliger Direktor des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Bergisch-Gladbach.

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Wichtige Argumentationsbasis für die Öffnung zum Westen wäre die Er- weiterung des Spektrums konkreter militärischer und industrieller Zu- sammenarbeit. Ansatzpunkt könnte die Zusammenarbeit bei der Ent- schärfung der Altlasten an russischen Massenvernichtungswaffen sein, wo verstärkte Anstrengungen möglich und gefordert sind, um Unfälle und Proliferation zu verhindern. Aber auch bisher ausgesparte Felder kriti- scher militärischer Technologien soll- ten geprüft werden; hier hat Russlands Forschung und Entwicklung immer noch einiges zu bieten. Mehr als in an- deren Bereichen sind dabei freilich Vertrauen in die Fairness der Partner und die Bereitschaft zur Gegenleis- tung wichtige Voraussetzungen. Glei- ches gilt für den Austausch nachrich- tendienstlicher Erkenntnisse, ein wei- teres Feld der Bewährung für die neue Partnerschaft insbesondere im ame- rikanisch-russischen Verhältnis.

Hier, wo es jenseits diplomatischer Großereignisse ans Eingemachte wirtschaftlicher und geostrategischer Interessen geht, ist die Bilanz der ver- gangenen zehn Jahre eher negativ, denkt man nur an das Schicksal eines wirtschaftlich wie politisch so plausi- blen Projekts wie den Großraum- transporter AN-70, der am Wider- stand der europäischen Luftfahrtlob- by scheiterte. Auch die amerikanische Ablehnung russischer Kooperations- angebote für die Entwicklung von Ra- ketenabwehrsystemen kann nicht op- timistisch stimmen. Die Zielvorstel- lungen der neokonservativen Global-

strategen in den USA entziehen sich jeder ernsthaften Diskussion. Zu der Gleichgültigkeit gegenüber den In- teressen des Partners kommt auch noch Desinteresse an den politischen Grundlagen und der längerfristigen Tragfähigkeit der komplizierten Part- nerschaft mit Russland.

Das Ziel der sicherheitspolitischen

„Einbindung Russlands“ wird sich nur realisieren lassen, wenn die Er- wartungen an den Erfolg des west- orientierten Autokraten Putin auf ein realistisches Maß gebracht und lau- fend überprüft werden. Im Ergebnis wird man auch die Skeptiker im si- cherheitspolitischen Establishment Moskaus einbeziehen müssen, und zwar in konkrete Projekte. Zu hoch wäre der Preis der neuen Partner- schaft allerdings, wenn die Kritik an der Verletzung der Menschenrechte in Tschetschenien und an Mängeln im Rechtssystem Russlands auf dem Altar der Koalition gegen den Terror geopfert würde. Die in der Charta von Paris 1990 beschworenen Grund- überzeugungen wurden in den letz- ten Monaten bereits bis an die Grenzen der Unkenntlichkeit kom- promittiert.

Hier heißt es, die Spannung zwi- schen Kritik an der Nichteinhaltung verpflichtender Standards einerseits und dem Angebot intensivierter Zu- sammenarbeit andererseits auszuhal- ten. Die Erfahrung zeigt, dass Stand- festigkeit in Grundsatzfragen nicht nur moralisch angezeigt, sondern auch politisch produktiv ist, solange die Partner gesprächsbereit bleiben.

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