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Sollte Europa sich mehr an Russland annähern?

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Academic year: 2022

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112 |IP • Januar/Februar 2020

Positionen Pro und Contra

Pro

Stefan Liebich ist außenpolitischer Sprecher der Frak- tion DIE LINKE im Bundestag.

Doppelte Standards machen Außenpolitik unglaubwürdig

Von Stefan Liebich

D

ie Empörung war nachvollzieh- bar und berechtigt, als Russland gegenüber seinem Nachbarland, der Ukraine, gegen das Verbot der An- drohung oder Anwendung von Gewalt verstieß, wie es die Charta der Vereinten Nationen vorsieht. Dass es damit weder der Erste noch danach der Letzte war, macht es nicht besser. Die Integration der Krim in das Territorium der Russi- schen Föderation ist ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht.

Allerdings muss die Frage erlaubt sein, was der Abbruch von Gesprächs- kanälen, wie die Stutzung des G8- zum G7-Format oder die damalige Suspen- dierung des NATO-Russland-Rates ver- bessert hat. Ebenso, ob die Verhängung von Sanktionen zu einer Verhaltensän- derung geführt hat oder je führen wird.

Derzeit öffnet sich ein Fenster der Möglichkeiten. Die eindeutige Wahl von Wolodymyr Selensky zum Präsidenten der Ukraine und seine deutliche Mehr- heit im Parlament, der Rada, wurden auch mit dem Versprechen erreicht, den Krieg im Osten des Landes zu be- enden. Und erste, bislang undenkbare Schritte wurden gegangen. Der Aus- tausch von Gefangenen, der beginnen- de Truppenrückzug und der Rückgang von Kampfhandlungen machen ebenso Mut wie dringend notwendige humani- täre Maßnahmen an den Übergängen zwischen den von der ukrainischen Re- gierung kontrollierten Gebieten und den sogenannten „Volksrepubliken“.

Sollte es nach den Gesprächen der Re- gierungschefs von Frankreich, Deutsch- land, Russland und der Ukraine zu ei- nem echten Durchbruch kommen und sollten die Vereinbarungen von Minsk dann tatsächlich von allen Seiten umge- setzt werden, könnte das der Einstieg in den Ausstieg aus dem Sanktions regime der EU und der Gegensanktionen Russ- lands sein. Diese Chance muss unbe- dingt ergriffen werden.

Die Rückkehr Russlands in den Euro- parat im Sommer war ein ebenso wich- tiges wie überfälliges Signal, und auch die Gesprächsbereitschaft des französi- schen Präsidenten Macron mit dem Ziel eines Moratoriums für nukleare Mittel- streckenraketen sollte die NATO nicht einfach vom Tisch wischen. Nach dem Ende des INF-Vertrags zwischen Russ- land und den USA muss Europa aus Eigeninteresse die Initiative ergreifen.

Ein häufig vorgebrachtes Argument gegen eine Annäherung lautet, dass Russland erst auf den Boden des Völ- kerrechts zurückkehren müsse. In der Tat wäre das wünschenswert, es klingt in diesen Tagen indes nicht besonders überzeugend. Denn das NATO-Mitglied Türkei verstößt mit seinem seit 23 Mo- naten andauernden Krieg gegen die Kurdinnen und Kurden auf syrischem Territorium selbst eindeutig gegen das oben genannte Gewaltverbot, ohne dass es ernsthafte Konsequenzen gibt. Es ist an der Zeit, nur einen Maßstab in den in- ternationalen Beziehungen anzulegen.

(2)

IP • Januar/Februar 2020 |113

Contra

Dr. Norbert Röttgen ist Vorsitzender des Auswärtigen Aus- schusses im Deut- schen Bundestag.

D

ie Frage nach einem möglichen Umdenken in Europas Russ- landpolitik wird in letzter Zeit wieder häufiger aufgeworfen, ob vom französischen Präsidenten Macron oder von einigen deutschen Politikern. Diese Forderung verwundert. Denn Russland unter Putin hat seine Politik in den letz- ten Monaten nicht um einen Millimeter geändert. Putin kann sich zurücklehnen und den um Eigenprofilierung bemüh- ten westlichen Politikern zuschauen, die darum wetteifern, ihm Geschenke zu machen. Glaubt man wirklich, so auf Putin Einfluss nehmen zu können?

Die Politik Russlands entspringt nicht einer Laune oder dem Zufall. Sie ist bewusste Machtpolitik. Sie ist der Aus- gleich für die Unfähigkeit, gleichzeitig das Land zu modernisieren und an der Macht zu bleiben. Russland ist aus der internationalen Ordnung ausgetreten und präsentiert sich mehr und mehr als Gegenmodell zu der freiheitlichen, westlich geprägten internationalen Ordnungsidee. Das blutige Vorgehen Russlands in Syrien, der noch immer andauernde militärische Konflikt im Donbass mit mittlerweile über 13 000 Gefallenen oder die völkerrechtswidrige Krim-Annexion mit ihrer Bedeutung für die Souveränität der Ukraine, aber auch mit ihren Folgen für die freie und sichere Seefahrt im Asowschen Meer und der Straße von Kertsch sind Ausdruck die- ser Politik, die das absolute Minimum der noch im Kalten Krieg akzeptierten

Grundregeln der internationalen Ge- meinschaft ignoriert.

Diese Politik ist in einem zynisch- machtpolitischen Sinne bislang sehr erfolgreich gewesen, aber sie ist ohne jeden Zweifel nicht dauerhaft tragfä- hig. Ein Umdenken Russlands in sei- ner Außenpolitik ist allerdings erst zu erwarten, wenn Putin oder seinen Nachfolgern etwas Besseres zur Macht- sicherung einfällt. Ungerechtfertigte Konzessionen an Russland würden die- sen Prozess sicher nicht beschleunigen, sondern im Gegenteil Putin bestärken, an seiner Politik festzuhalten.

Im schlimmsten Fall birgt dies die Gefahr einer neuen Spaltung Europas.

Denn das gegenwärtige Russland be- steht darauf, dass es in seiner Rolle als Großmacht das Recht hat, die außenpo- litische Orientierung seiner Nachbar- staaten maßgeblich mitzubestimmen.

Die Sanktionen gegen Russland sind also genauso wie der Ukrainekonflikt selbst keine Fragen von vornehmlich bilateraler Dimension. Es geht vielmehr um die politische Ordnung Europas.

Von umso größerer Bedeutung ist da- her, dass Europa weiterhin einheitlich in der Russlandfrage auftritt und agiert – als Zeichen unserer Missbilligung ei- nerseits, als Druckmittel andererseits.

Wenn Russland von außen zu einem Wandel motiviert werden soll, dann wird dies nur durch Konsequenz zu erreichen sein, nicht durch falsche Nachsicht.

Druck und Missbilligung müssen aufrechterhalten werden

Von Norbert Röttgen

Sollte Europa sich mehr an Russland annähern?

Referenzen

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