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Offenbarung(en)? Wahrnehmungsprobleme – entlang „Breaking the Waves“
Man sieht eine junge Frau, versunken im Gebet. Eindringlich betet sie zu Gott, weil sie möchte, dass er ihren Mann nach Hause schickt. Eine fremde Stimme mischt sich ein, ihre Stimme, tiefer versetzt, ins Männliche: Offen‐
sichtlich spricht die Frau etwas nach, was Gott zu sagen hat. Mag sein, dass es sich um eine Eingebung handelt; mag sein, dass sie nur seine Rolle übernimmt. Am wahrscheinlichsten ist, dass diese Frau krank ist.
Lars von Trier legt diese befremdende Situation in seinem Film „Brea‐
king the Waves“ immer wieder neu auf. Bess, Putzfrau in der Kirche einer puritanisch‐fundamentalistischen Gemeinde irgendwo an einem entlege‐
nen Punkt Schottlands, am Ende der Welt, ist regelmäßig mit solchen Au‐
ditionen konfrontiert. Schnell stellt sich heraus, dass Bess psychische Prob‐
leme hat und deshalb bereits in einer Klinik behandelt werden musste.
Zugleich ist Bess eine Frau, die so bedingungslos lieben kann, wie sie ohne jeden Vorbehalt an Gott glaubt. Dieser Gott hat die Strenge der Männer, die ihre Gemeinde dominieren. Man meint, in der Stimme Gottes die ihres Großvaters zu vernehmen, eines Gemeindeältesten, der seine Enkelin spä‐
ter aus der Kirche ausstoßen und an ihrem Grab zur Hölle verdammen wird. Bess hat es mit einem harten Gott zu tun, der aber auf das Gebet um die Rückkehr ihres Mannes Jan eingeht. Aber wie! Jan hat einen schweren
Unfall und wird von einer Bohrinsel zurückgeflogen. Seine Kopfverlet‐
zung ist so schwer, dass er gelähmt bleibt, sich seine Persönlichkeit tief greifend verändert und er mehrmals unmittelbar vor dem Tod steht. In diesen Augenblicken wendet sich Bess an Gott, und wieder scheint er ihre Bitten zu erhören. Oder ist alles Zufall? Der Film legt Konstellationen an, die eine eigene Logik der Geschehnisse anbieten, ohne letzte Klarheit dar‐
über zu gewähren. Welche Wirklichkeit offenbart sich in diesen Ereignis‐
sen? Macht es Sinn, dass Bess sich zum Opfer der sexuellen Phantasien ihres Mannes degradiert? Zeigt sich der Wille Gottes in ihrem Entschluss, das eigene Leben zu riskieren und letztlich auch zu verlieren, um in einem Akt radikaler Stellvertretung Gott das Leben des Geliebten abzuhandeln?
Was ist das für ein Gott, der sich darin zeigen soll, dass er Bess´ Tod an‐
nimmt und das Wunder der Heilung des todgeweihten Jan wirkt?
Der Film stellt Fragen. Er erzählt von einer unglaublichen Liebe und ihrer Macht, die das Leben will, aber dem Tod und bestialischer Gewalt verfällt – der Vergewaltigung von Bess. Und ist es keine Vergewaltigung, wie Gott selbst in ihren Auditionen auftritt? Am Ende erscheint Gott als psychotisches Vorkommnis – wären da nicht die Glocken, die in der Schlusssequenz vom freien Himmel über dem Meer das Toten‐, nein: das Ostergeläut für Bess anstimmten.
Eine sonderbare Geschichte – eine Offenbarungsgeschichte. Ungeniert ist hier von Gott die Rede. Sein Auftreten, seine Offenbarung, bleibt frei‐
lich an die Unglaubwürdigkeit seiner Vermittlung gebunden. Erst vom Ende her wird deutlich, dass die eigentliche Offenbarungsgestalt Bess selbst ist – nicht als Visionärin, sondern in ihrer Begabung und Bereit‐
schaft zu kompromissloser Liebe, die sie vernichtet. Dabei reflektiert der
Film selbst seine Offenbarungsqualitäten. Das eigene Zeigen wird zum Thema, indem mit der Handkamera jede Illusion einer objektiven Darstel‐
lung durchbrochen wird. Keine Musik unterstützt die Szenen, die Figuren werden realistisch angelegt. Ihr Leben wird gezeigt, das nackte Leben, anfällig, problematisch, fragil. Indem dieses Konzept ein anderes, ein theologisches benutzt, werden die religiösen Deutungsmetastasen deut‐
lich, die sich in dieser engen Glaubenswirklichkeit entwickeln. Die Vor‐
gänge in der Kirche erscheinen krankhaft und mit ihnen das Interpretati‐
onsmuster selbst. Aber es wird gerade so in seiner beunruhigenden, nicht einfach zu leugnenden Valenz gezeigt – der Offenbarungsprozess selbst wird als ein Fragemuster dokumentiert, gleichsam geoffenbart.
„Offenbarungen“ wie die von Bess müssen fragwürdig erscheinen.
Auch und zumal theologisch. Nach christlichem Verständnis ist die Of‐
fenbarung Gottes mit dem Christusereignis grundsätzlich abgeschlossen:
„Daher ist die christliche Heilsordnung, nämlich der neue und endgültige Bund, unüberholbar, und es ist keine neue öffentliche Offenbarung mehr zu erwarten vor der Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus in Herrlichkeit (vgl. 1 Tim 6,14 und Tit 2,13).“ (DV 4)
Das 2. Vatikanische Konzil bringt damit die grundlegende Glaubens‐
überzeugung der Kirche auf den Punkt. Zugleich hat die Kirche bis in die Gegenwart durchaus Visionen und besondere Erfahrungen einer Zuwen‐
dung Gottes anerkannt. Ohne Scheu sprach Johannes Paul II. nach dem Attentat durch Ali Agca der Gottesmutter von Fatima seine Rettung zu.
Die entsprechenden Phänomene haben zwar nicht den Rang der Selbstof‐
fenbarung Gottes, versprechen aber einen ganz eigenen Gotteskontakt.
Mit anderen Worten: Offenbarung wird in einem erweiterten Sinn ver‐
standen, u.a. als Privatoffenbarung. Von Offenbarung ist aber auch lebens‐
weltlich zu sprechen, wo einem die Augen aufgehen, wo man Unerhörtes vernimmt, wo sich die Grenzen der „normalen“ Realitätswahrnehmung verschieben.
Damit betritt man freilich problematische Zonen. Auch Drogen ver‐
sprechen eine Wirklichkeitserweiterung. Man verlässt den Sperrbezirk der Normalität. Was als Offenbarung erfahren wird, bewegt sich auf´s Patho‐
logische zu oder steht als Missbrauch, als Täuschung unter Verdacht. Das gilt gerade für eine moderne Inflation von Offenbarungserfahrungen und
‐ansprüchen auf authentischen Zugang zu Transzendentem. Derzeit ist vor allem das „Channeling“ en vogue: Ein Mensch wird von einem trans‐
zendenten Wesen in Anspruch genommen, um seine Botschaften zu ver‐
mitteln. Als aktuelle Form eines religionsgeschichtlich in vielen Variatio‐
nen bekannten Mediumismus – z. B. in Gestalt von Ahnenkulten und schamanischen Traditionen – haben sich seit der Mitte des 19. Jh. die ent‐
sprechenden Auftritt signifikant vermehrt. Nachdem Emanuel Sweden‐
borg (1688‐1772) seine Visionen dargelegt hatte, stand offensichtlich eine Grammatik für analoge Erfahrungen zur Verfügung; genauer: konnten derartige Erfahrungen erst gemacht, also z. B. spiritistisch konzeptualisiert werden.
„In seinem Gefolge häuften sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts bis in unsere Tage hinein die sog. Neuen Offenbarungen in auffälligem Maße. Was die sog.
Neuoffenbarer für ihre Zeit übermitteln wollen, wird seit den 70er Jahren von modernen, esoterisch geprägten Channeling‐Botschaften im Kontext einer säkularen Gesellschaft abgelöst: Nun spielt das Christentum bzw. die Bibel
nicht mehr den festen bzw. ausschließlichen Bezugsrahmen, sondern es ü‐
berwiegen esoterisch bzw. theosophsich geprägte Gottes‐ und Menschenbil‐
der – und damit auch diesseitsorientierte, innerweltliche Erlösungs‐ und Zu‐
kunftshoffnungen. Damit scheint sich ein Trend abzuzeichnen: In der säkula‐
ren westlichen Gesellschaft erleben esoterische Welt‐ und Menschenbilder ei‐
ne neue Konjunktur.“1
Damit zeichnet sich ein eigentümlicher Wechsel in der religiösen Tie‐
fengrammatik von Offenbarungserfahrungen ab, nämlich ein Abrücken im Aufgreifen von christlichen Deutungsmotiven. Kaum zufällig befinden wir uns mit den Anfängen dieser Entwicklung im 19. Jh. in einer religionskri‐
tischen Achsenzeit. In diesem Zusammenhang müssen neue Offenba‐
rungsbewegungen auch in ihrer religionskritischen Dimension gesehen werden. Ein Beispiel liefern esoterische Traditionen. Sie setzen sich von gegebenen religiösen Lebens‐ und Deutungsmustern ab und suchen
„den ‚wahren Kern aller spirituellen Offenbarungen’…, weil sie in den ver‐
fassten Religionen, insbesondere dem Christentum, geschichtlichen Macht‐
missbrauch und Verfälschungen sehen.“2
Die gegenwärtige Marginalisierung des Christentums wirkt sich ana‐
log religionskritisch, zugleich aber offenbarungsproduktiv aus.3 Von da‐
her drängt die Frage nach den Offenbarungsorten und der jeweiligen Of‐
fenbarungsform in den Mittelpunkt des kritischen Interesses. Gibt es Grundstrukturen einer Offenbarungserfahrung? Sind sie über kulturelle
1 Matthias Pöhlmann: Kommunikation mit dem Göttlichen? Zum Phänomen „Channeling“, in:
Materialdienst der EZW 10/2000, 339‐354; hier: 341.
2 Thomas Körbel: Hermeneutik der Esoterik. Eine Phänomenologie des Katenspiels Tarot als Bei‐
trag zum Verständnis von Parareligiosität (Religion und Biographie Bd. 6), Münster: Lit 2001, 351.
3 Vgl. Gregor Maria Hoff: Identität am Rande. Marginalisierungsprozesse im Christentum, in: StZ
129 (2004) 589‐598.
Transmitter hinaus je eigen und also divergent? Hängen sie von den Orten und Situationen ab, womöglich von den Offenbarungsempfängern? Wie hat man sich überhaupt den Empfang einer Offenbarung vorzustellen?
Hier handelt es sich um eine Frage, die gerade christlich mit der Überzeu‐
gung von der einmaligen und irreversiblen Selbstoffenbarung in Jesus Christus ansteht, da man auf Vorstellungshilfen für jene Vorgänge ange‐
wiesen ist, in denen sich Gott „viele Male und auf vielerlei Weise“ (Hebr 1,1; vgl. DV 4) kommuniziert hat. Schließlich steht vor allem die Frage nach der Glaubwürdigkeit von Offenbarungsansprüchen zur Diskussion.
Ein Offenbarungsmodell:
„Die göttlichen Prinzipien“ von Sun Myung Moon
Offenbarungsansprüche begegnen in unterschiedlichster Form. Ein auf‐
schlussreiches Modell aus der Gegenwart bieten „Die Göttlichen Prinzi‐
pien“ von Reverend Sun Myung Moon, dem Begründer der „Vereini‐
gungskirche“. Ihnen liegt eine persönliche Offenbarungserfahrung Moons zu Grunde. Als Jugendlicher hatte er eine Vision, in der ihn Jesus dazu aufforderte, das Gottesreich auf Erden zu vollenden. Aus dem Kreis der Vereinigungskirche heraus wird dieser Vorgang folgendermaßen interpre‐
tiert:
„Was ist gemeint, wenn wir sagen, dass ‚Die göttlichen Prinzipien’ geoffen‐
bart seien? Wir glauben daran, dass Gott an Reverend Moon den grundle‐
genden Kern seiner Lehren geoffenbart hat. Dieser Kern wurde auf der Basis des Austausches mit seinen frühen Schülern veranschaulicht und ausgearbei‐
tet. Daher enthält das Buch sowohl die geoffenbarte Essenz der „Göttlichen
Prinzipien“ wie auch veranschaulichende Erläuterungen. Warum glauben wir, daß ‚Die göttlichen Prinzipien’ offenbarte Wahrheit für alle sind? Weil auch Mitglieder anderer Religionen erleuchtet werden können und ein besse‐
res Verständnis ihres eigenen Glaubens finden, wenn sie einmal ‚Die göttli‐
chen Prinzipien’ mit Sorgfalt und offenem Sinn lesen. Die überzeugenden Auslegungen des Herzens Gottes und des letzten Zieles der Geschichte in den ‚Göttlichen Prinzipien’ kann die Menschen näher an Gottes Liebe heran‐
bringen, sie bietet der menschlichen Bestimmung eine klare Ausrichtung.
Daher liefern ‚Die göttlichen Prinzipien’ die wesentlichen Elemente der Ein‐
heit für alle Bekenntnisse.“4
Interessant erscheint an dieser Deutung, dass bereits traditions‐ und interpretationskritische Reflexionsmuster eingeschaltet werden. Damit sind wichtige Motive einer theologischen wie philosophischen Offenba‐
rungskritik aufgenommen worden. Der Autor dieser Verteidigungsschrift, Young Oon Kim, greift auf moderne Offenbarungstheologien zurück, um die dialogische und erfahrungstheologische Möglichkeit einer Offenba‐
rung an Moon zu plausibilisieren. Auf dieser Basis wird dann ein erhebli‐
cher Wahrheitsanspruch mit universeller Reichweite erhoben. Sein Kom‐
mentar lehnt sich an wissenschaftliche Reflexionsformen an, betritt aber sogleich wieder rein spekulativen Boden, wenn er etwa im Vergleich des alttestamentlichen Israel mit dem modernen Korea festhält, dass durch die analoge Situation gerade Korea für eine neue Offenbarung Gottes als pri‐
vilegierter Ort angesehen werden müsse. Man könnte hier von einem of‐
fenbarungstheologischen Konstruktivismus sprechen, der in dem Maße
4 http://www.weltfamilie.at/Vereinigunstheologie/Kapitel‐2.html.
erkenntnistheoretisch kritisch vorgeht, wie es dem eigenen Erkenntnisin‐
teresse dient.
Die besondere Offenbarungserfahrung von Sun Myung Moon er‐
scheint bereits in dieser Apologetik problematisch. Das gilt weiterhin im Blick auf die besondere Gruppenidentität mit typisch sektenhaften Sozial‐
praktiken. Darüber hinaus geht die Übergabe der – durchaus christlich begriffenen – Sendung mit einer Aufwertung des Empfängers einher, die christlich wiederum an Jesus Christus gekoppelt bleibt: Die Vollendung geschieht nur durch ihn. Darüber hinaus beansprucht dieser spezifische Offenbarungsempfang etwas grundlegend Neues, was also faktisch über die bisherigen Offenbarungen und damit auch über die Christusgestalt hinausführt. Inhaltlich sind damit Kriterien eingeführt, die aus christlicher Sicht eine kritische Einordnung im Sinne einer Unterscheidung der Geister erlauben.
Von daher ist die Frage nach der Glaubwürdigkeit möglicher Offenba‐
rungserfahrungen verschärft zu stellen. Zumindest für einen Augenblick muss man dabei die Perspektiven wechseln. Ist gegenüber der Erfahrung Sun Myung Moons die Vorstellung von der ersttestamentlich propheti‐
schen Offenbarung vorab überzeugender, zumal wenn man sich vor Au‐
gen hält, dass man nach heutigen Maßstäben in den meisten Fällen von religiösen Fanatikern und JHWH‐Fundamentalisten sprechen würde?
„Außergewöhnliche Erfahrungen“ – zwischen Pathologisierung und neu‐
ronaler Entschlüsselung
Michel Foucault hat in seinen Arbeiten zur christlichen Pastoralmacht auf die besonderen Normierungszwänge aufmerksam gemacht, die sich mit der Erfassung des Menschen und in einem möglichst umfassenden Wissen von ihm entladen. Die Sorge um das Heil des Menschen macht den Seel‐
sorger als Hirten nicht nur zum verschwiegenen Mitwisser der Abgründe des einzelnen, sondern normiert ihn zugleich als Beichtvater durch jene Fragestandards, in denen er sich wiederzufinden hat. Genauer: in denen er konstruiert wird.
Damit ist eine zentrale Normierungsmacht benannt, die vor allem eins bewirkt: das Anormale. Zugleich ist es genau dieses Anormale, das Au‐
ßergewöhnliche, der Sonderfall, der einen eigenen theologischen Rechts‐
raum eröffnet. Schließlich sind Erfahrungen der besonderen Nähe Gottes mit ihrer eigenen Offenbarungsdignität ein unabschaffbarer Sonderfall des religiösen Erlebens und der kirchlichen Charismenlehre. Es entsteht ein eigener Diskurs des Anormalen im Grenzbereich kirchlich zugelassener und gesellschaftlich rekonstruierbarer Offenbarungserfahrungen. Einer‐
seits hat der christliche Zugriff auf das Individuum jene Normierung in der Grundgestalt der Pastoralmacht ausgelöst, mindestens aber entschei‐
dend forciert, in der das moderne Subjekt als eigene Wissensform aufkam.
Andererseits konnte dieses normierte Subjekt jederzeit der Anormalität einer Offenbarung verfallen, über die es selbst gerade dann nicht verfügte, wenn sie authentisch war. Das normale Subjekt entsteht auf dem Grund einer Abgrenzung, einer gewaltigen und immer wieder auch gewalttäti‐
gen Ausschließung, die den Bereich des Anormalen bestimmt. Weil der Normale im Geständnisdruck der Beichte seine Konturen gewinnt und sie zugleich von hierher erhält, ist seine Rede auf das Verschweigen der eige‐
nen dunklen Seiten, des Anormalen, angewiesen. Das Anormale muss ge‐
heim bleiben, es unterliegt der Schweigepflicht des Beichtvaters. Der mo‐
dern entstehende Raum des Öffentlichen macht gerade diese Disziplinie‐
rung des Sprechens notwendig. Das Anormale wird das Unsagbare – und muss, wo es in Erscheinung tritt, zumal publizistisch umso greller be‐
leuchtet, umso drastischer gekennzeichnet werden. Darin erscheint es als das Unaussprechliche. Auf diesem Weg wird es zum Irrationalen, denn was vernünftig ist, muss sich aussprechen lassen. Der Aufklärungsdiskurs der Vernunft übernimmt die Aufgaben der alten christlichen Pastoral‐
macht.
Damit geht ein weiterer Vorgang einher. Religiös ist es gerade das Ir‐
reguläre, das mit starken Offenbarungsansprüchen auftritt. An der Grenze des Sagbaren kommuniziert es eine problematische Schwellensituation des Bewusstseins, das aus sich heraustritt. Die visionäre Ekstase markiert ein Rationalisierungsproblem. Es nimmt kaum Wunder, dass mit dem vermehrten Auftreten „irrationaler“ Offenbarungserfahrungen im 19. Jh.
eine eigene Verarbeitungsform der technisch wie wissenschaftlich immer durchrationalisierter erscheinenden Welt sichtbar wird. Nicht umsonst wird der Realismus in den ästhetischen Diskursen des 19. Jh. von romanti‐
schen, impressionistischen und expressionistischen Gegenstücken beglei‐
tet.
Der Offenbarungsdiskurs bewegt sich somit in einem aufschlussrei‐
chen Zwischenbereich des Normalen und des Vernünftigen. Wie das A‐
normale zum psychiatrischen Sujet wurde, so konnten auch die visionären Exzentriker, gerade weil sie Konjunktur hatten, pathologisiert werden. In diesem Rahmen entstanden sie aber erst als solche. Wurden die Hexen
kriminalisiert (schließlich entwickelten sich in diesem Zuge mit der Inqui‐
sition prägende Rechtsformen juristischen Wissens) und die Besessenen exorziert, so wurden die religiös Anormalen allmählich zum psychiatri‐
schen Sonderfall.5
„Die unbestimmte und verworrene Familie der >Anormalen<, die Ende des 19. Jahrhunderts eine quälende Furcht verbreitete, bezeichnet nicht einfach nur eine Phase der Ungewissheit oder eine etwas unglückliche Episode in der Geschichte des Psychopathologie; sie hat sich im Wechselspiel mit einem ganzen Komplex von Kontrolleinrichtungen, mit einer ganzen Reihe von Ü‐
berwachungs‐ und Verteilungsmechanismen herausgebildet“.6
Was bedeutet das für eine gegenwärtige Einordnung des Phänomens
„Offenbarung“? Es muss als besondere Wissensform begriffen werden, die unter bestimmten Bedingungen entsteht und in eigenen Untersu‐
chungskategorien ein je anderes Gesicht zeigt. Der terminologische Wan‐
del bei der Darstellung von Erfahrungen, wie man sie religiös charakteris‐
tisch im Zuge von Visionen, Auditionen etc. kennt, dokumentiert dies:
„Um diese zu beschreiben, wird eine kaum überschaubare Vielzahl von Beg‐
riffen gebraucht, die zudem den unterschiedlichsten Denktraditionen und Weltanschauungen entstammen. Eine Aufzählung kann dies veranschauli‐
chen: ‚anomalistische’, ‚transpersonale’, ‚paranormale’, ‚parapsychische’, ‚spi‐
rituelle’, ‚mystische’, ‚transzendentale’, ‚übernatürliche’, ‚magische’, ‚psi’,
‚außersinnliche’, ‚übersinnliche’ oder ‚ungewöhnliche’ Erfahrungen oder Grenzerfahrungen sind einige dieser Begriffe, die Verwendung finden, um Erlebnisse zu beschreiben, die bezüglich Genese, Qualität und Verlauf offen‐
5 Vgl. Michel Foucault: Die Anormalen. Vorlesungen am Collège de France (1974‐1975), Frankfurt a.
M.: Suhrkamp 2003, 215‐299.
6 Ebd., 421.
sichtlich nicht in unser konventionelles Selbst‐ und Weltbild passen und da‐
her für Betroffene und Beobachter schwer zu erklären sind.“7
Um den normativen Vorentscheidungen und einer vorab feststehen‐
den Psychiatrisierung zu entgehen, spricht man inzwischen von „außer‐
gewöhnlichen Erfahrungen“. Dabei kristallisiert sich wissenschaftlich zu‐
nehmend deutlicher heraus, dass sich solche Erfahrungen zwar neurolo‐
gisch sehr genau verorten und beschreiben lassen, dass damit aber keine inhaltlichen Aussagen getroffen werden können. Der Ursprung der Erfah‐
rungen bleibt offen.
„Ohne umfassende Klärung der Bewusstseinsproblematik ist nicht zu erwar‐
ten, dass Visionen und Auditionen hirnorganisch und hirnphysiologisch – menschlich verständlich – zu verdeutlichen sind. Vorerst ist man bei diesen und ähnlichen religiösen Phänomenen auf die Stimmigkeit des jeweiligen Be‐
liefsystems angewiesen.“8
„Außergewöhnliche Erfahrungen“ wurden lange Zeit unter den Vor‐
aussetzungen eines normalen Beliefsystems an den gesellschaftlichen, nicht zuletzt auch wissenschaftlichen Rand gedrängt. Im Zuge neuerer empiri‐
scher Untersuchungen stellt sich dies allerdings anders dar:
„Die zugrunde liegenden Hypothesen wurden als soziale Marginalitätshypo‐
these, kognitive Defizithypothese, esoterisch‐spirituelle Weltbildhypothese und Psychopathologiehypothese beschrieben. Dieses Negativbild von Men‐
schen mit einem paranormalen Beliefsystem ließ sich so nicht bestätigen.“9
7 Martina Belz‐Merk (Psychologisches Institut der Albert‐Ludwigs‐Universität Freiburg): Beratung
und Hilfe für Menschen mit Außergewöhnlichen Erfahrungen. Abschlußbericht (gefördert durch das Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e.V.), Freiburg i. Br. 2002, 12.
8 Ulrich Niemann / Marion Wagner: Visionen. Werk Gottes oder Produkt des Menschen? Theologie
und Humanwissenschaft im Gespräch, Regensburg: Pustet 2005, 99.
9 Ebd., 144.
Wie man also solche Erfahrungen interpretiert, hängt von den Zulas‐
sungsvoraussetzungen der jeweiligen Wissensform ab und korrespondiert mit anderen, oft unausgesprochenen Glaubensentscheidungen und Welt‐
bildannahmen. Damit werden problematische, möglicherweise auf ein Krankheitsbild hinweisende Aspekte von Offenbarungserfahrungen nicht ausgeschlossen; allerdings können sie nicht vorab pathologisiert werden.
Die Normalität des Anormalen: Mystische Gotteserfahrung als Grenzfall
Zumindest ist festzuhalten, dass jede Erfahrung im weitesten Sinne Of‐
fenbarungscharakter annehmen kann. Die Theologie hat immer wieder solche Erfahrungsmuster als Ausgangspunkt einer korrelativen Erschlie‐
ßung des Offenbarungsglaubens gewählt:
„Es geht hier um dem Menschen unverfügbare Geschehnisse im alltäglichen Leben, die dem Empfänger neue Sachverhalte erschließen, die betroffen ma‐
chen oder die den tiefen Sinn einer Situation aufleuchten lassen, der so ge‐
fangen nimmt, daß man nicht einfach wie bisher weiterleben kann.“10
Dabei lässt sich eine Mehrfachcodierung von Erfahrungen festhalten, die wiederum für jede Erfahrung, aber auch für die angesprochenen „au‐
ßergewöhnlichen Erfahrungen“ und also auch für im engeren Sinne religi‐
öse Offenbarungserfahrungen gilt. Mit Dietmar Mieth ergibt sich folgendes Schema11:
¾ „Erfahrung als Prozeß und als Ereignis“:
10 Josef Schmitz: Offenbarung (Leitfaden Theologie), Düsseldorf: Patmos 1988, 21.
11 Dietmar Mieth: Meister Eckhart. Mystik und Lebenskunst, Düsseldorf: Patmos 2004. Im Folgen‐
den zitieren die Überschriften die Strukturschritte bei Mieth, 18‐22.
Erfahrungen können punktuell durchbrechen, sind aber zugleich Aspekte einer biogaphischen Entwicklung. Noch wo sie einzigartig erscheinen, bleiben sie gleichsam die Konzentration eines Prozesses.
¾ „Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit“:
Jede Erfahrung vollzieht sich im Kontakt mit Zeichen, und zwar sowohl in der späteren Vermittlung als auch in dem Augenblick, der nachträglich z. B. als eine unmittelbare Gotteserfahrung – im nunc stans oder als unio mystica – interpretiert wird. Dass etwas als etwas erfahren werden kann, ist mindestens an bestimmte entwicklungspsychologische, aber in der Regel auch an kulturhistorische Vor‐
aussetzungen gebunden. Unmittelbarkeit ist eine Interpretationsleistung, die theolo‐
gisch auf die alles entscheidende Erfahrung der Nähe Gottes und seiner Verfügungs‐
macht in der Erfahrung verweist.
¾ „Einzigartigkeit und Wiederholbarkeit“:
Jede Erfahrung geschieht an einer bestimmten Raum‐Zeit‐Stelle und ist insofern einzigartig. Dennoch ist sie nachvollziehbar und übersetzbar, wenngleich nicht durch eine andere Erfahrung angemessen wiederholbar.
„Es scheint der tragenden religiösen Erfahrung eigentümlich, daß sie so etwas wie das konkrete Allgemeine darstellt, daß sie auf der einen Seite als unwieder‐
holbar konkret, auf der anderen Seite als allgemeine menschliche Wirklichkeit verstanden werden kann.“12
¾ „Widerfahrnis und strukturelle Entsprechung“:
Erschließungserfahrungen (Ian T. Ramsey) lassen sich als solche qualifizieren und darüber hinaus auch inhaltlich genauer bestimmen, sodass sie etwas im Erfah‐
rungsträger aktivieren: Sie haben eine strukturelle Entsprechung und können nur
12 Ebd., 19.
dadurch zum Zuge kommen.13 Vor allem aber tragen sie etwas Außerordentli‐
ches, etwas Unverfügbares. Mystisch bleibt Gott in seiner Nähe der Entzogene, der ganz Andere. Diese Erfahrung wird weniger gemacht, als vielmehr zugemu‐
tet. Das Subjekt ist in der Aktivität seiner rezeptiven Vermittlung grundsätzlich passiv.
¾ „Geschichte und praktische Vermittlung“:
Erfahrungen sind geschichtliche Konstellationen, die in Traditionen weiterleben können, d.h. Bedeutung gewinnen oder auch wieder verlieren. Erfahrungen werden im Kontakt mit anderen Erfahrungswelten gemacht und sind Aspekte von Handlungsinteressen. Mit Erfahrungen wird Geschichte gedeutet, d.h. auch:
gemacht. Erfahrungen können von daher offen gehalten, aber auch abgeschlossen werden und also verstummen.
¾ „Erfahrung und Engagement“:
Jede Erfahrung setzt sich in Handlungen um; sie ist bereits eine engagierte Inter‐
pretation, die wiederum engagiert, also in Anspruch nimmt. Das weitere Leben verändert sich durch eine Offenbarungserfahrung, wobei ihre Deutung sich im‐
mer neu zu bewähren hat. Von daher sind Offenbarungen politisch ambivalent, weil deutungsoffen und von Interessen bestimmt. Christlich verlangt eine Got‐
teserfahrung eine bestimmte Glaubenspraxis, kann aber auch zur Selbstermäch‐
tigung des Offenbarungsempfängers (ver)führen.
Jede Erfahrung ereignet sich im Gefälle von Wahrscheinlichem und Unwahrscheinlichem, von Aktivität und Passivität, von Entzug und Ge‐
währ. Das Außergewöhnliche ist Integral des Gewöhnlichen. Das gilt zu‐
mal für religiöse Erfahrungen: Sie verbinden Gott und Welt, Kontingentes
13 Vgl. zu diesem Ansatz grundlegend Edward Schillebeeckx: Menschen. Die Geschichte von Gott,
Freiburg – Basel – Wien: Herder 1990, 38‐52.
und Absolutes. Mit anderen Worten: Sie sind definitionsgemäß so etwas wie die Normalität das Anormalen, wobei Gott als die norma normans eigent‐
lich die Verfügungsmacht der Normalität in der Ordnung der Dinge stellt.
Wenn man nicht vorab jeden theologischen Gedankengang unterbin‐
den will, muss man einem besonderen Umstand Rechnung tragen: dass Gott in spezifischer Weise in dieser Wirklichkeit erfahren werden kann.
Die Doppelsignatur von Verborgenheit und Offenbarung Gottes, wie sie biblisch konstitutiv erscheint, markiert einen eigenen Index möglicher Wirklichkeitsauffassung. Der christliche Glaube an die Inkarnation Gottes begrenzt sie zwar auf Jesus Christus, muss sich aber zugleich dafür offen halten, dass Gottes Wille in der menschlichen Geschichte aufgefasst wer‐
den kann.
Mystik und Prophetie liefern dafür theologisch relevante Anwen‐
dungsfälle.
S
ie sind Ausdruck der (inkarnationstheologischen) Möglich‐keit einer Offenbarung Gottes zu jeder Zeit.
„Die Möglichkeit einer Privatoffenbarung durch Visionen und damit ver‐
bundene Auditionen steht grundsätzlich für einen Christen fest. Gott kann als persönlicher, freier Gott sich dem geschaffenen Geist vernehmbar ma‐
chen, nicht nur durch seine Werke, sondern auch durch sein freies, persönli‐
ches Wort. Und dies auch in der Weise, daß diese Mitteilung Gottes nicht ein‐
fach er selbst ist in der unmittelbaren Gottesschau oder in der von allem be‐
grenzten Inhalt entleerten Weise des begnadeten Geistes, sondern auch – für einen Christen, der an die Inkarnation Gottes glaubt, ist das wesentlich – in der Weise, daß diese Mitteilung mit einem Hier und Jetzt, mit einem be‐
stimmten Wort, Befehl, mit einer begrenzten Wirklichkeit oder Wahrheit ver‐
bunden ist, und zwar so, daß sie geschieht oder verbunden ist mit dem ‚Er‐
scheinen’ eines der sinnlichen inneren oder äußeren Wahrnehmung gegebenen Gegenstands, der Gott, seinen Willen usw. repräsentiert und offenbart.“14
Wenn Gott sich auf diese Weise offenbaren kann, stellt sich berechtigt die Frage nach dem psychologischen Wie. Das 2. Vatikanische Konzil hat in seiner Offenbarungskonstitutiton auf diese Perspektive interessanter‐
weise verzichtet.15 Ist sie überflüssig? Im Gegenteil erschien sie wohl eher zu heikel. Die Konzilsväter hatten bereits genug damit zu tun, die wirkli‐
che Geschichtlichkeit des Offenbarungsvorgangs in der Konstitution Dei Verbum festzuschreiben. Die vermeintlich subjektive Seite des Offenba‐
rungsvorgangs durfte von daher nicht überzogen werden. Man schien damit schwankenden Boden zu betreten und fürchtete wohl eine psycho‐
logische Reduktion. So bleibt der Text an diesem Punkt zwischen einer – an den Verfassern der Schrift illusttrierten – Subjektivität der Erfahrung und der Objektivität des göttlichen Anspruchs. Indem das entsprechende Vorstellungsproblem verschweigt, bleibt es freilich virulent. Das Unaus‐
sagbare des Offenbarungsdenkens wird als Problem kenntlich gemacht.
Indirekt bestätigt das die Überwindung des instruktionstheoretischen Modells, das nicht mehr sprachfähig war. Die Unverrechenbarkeit der his‐
torischen Situationen und Orte musste benannt werden, d.h. ihre Multi‐
dimensionalität, ihre perspektivische Einzigartigkeit. Wie aber lässt sich dann noch der objektive Anspruch denken?
14 Karl Rahner: Visionen und Prophezeiungen. Zur Mystik und Transzendenzerfahrung, hrsg. v.
Josef Sudbrack, Freiburg‐Basel‐Wien: Herder 1989, 18f.
15 Vgl. dazu den kurzen Kommentar in: Karl Rahner / Herbert Vorgrimler: Kleines Konzilskom‐
pendium. Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanums: Freiburg‐Basel‐Wien: Herder 191986 361f.
Der erkenntnistheoretische Problemüberhang
Die Grammatik theologischer Offenbarungsrede verändert sich durch die unabsehbare Pluralisierung ausdrücklicher oder unausdrücklicher Erfah‐
rungen und der damit verbundenen Geltungsansprüche, die mit der Aus‐
differenzierung der modernen Gesellschaften korrespondieren. Es gibt eine Vielzahl solcher Offenbarungen, die vor allem ein Problem kenntlich machen: die schwankende Grenzziehung zwischen Realität und ihrer Konstruktion. Hat sich in den Visionen der Bernadette Soubirous (1844‐
1879) die Mutter Gottes offenbart? Oder handelt es sich um eine für wirk‐
lich gehaltene Erscheinung, die auf innerpsychische Vorgänge zurück‐
geht? Kann man auch in diesem Konstruktionsvorgang noch eine von Gott gewirkte Offenbarung annehmen? Sind nicht alle Fakten vermittelt?
Tragen sie damit nicht prinzipiell Züge einer Konzeptualisierung, einer Bildgebung, einer besonderen literarischen Aufarbeitung? Gibt es nicht immer ein besonderes Erkenntnis‐ und Vermittlungsinteresse, das nicht nur auf die Darstellung einer Wahrnehmung, sondern auch auf diese selbst zurückwirkt?
Nirgendwo sonst erscheint der ohnehin nie eindeutige Übergang zwi‐
schen Fiktion und Wirklichkeit so prekär wie im Zuge behaupteter bzw.
tatsächlich ergangener Offenbarungen.16 Ohne ein Leitsystem solcher An‐
sprüche – z.B. auf der Basis einer christlichen Kriteriologie – verschärft sich das Problem jenes Relativismus nur, das durch die Berufung auf ein festes Offenbarungsfundament gelöst werden sollte. Wer von einer Offen‐
16 Vgl. für diesen Zusammenhang fundamentaltheologisch Joachim Valentin: Zwischen Fiktionali‐
tät und Kritik. Die Aktualität apokalyptischer Motive als Herausforderung theologischer Herme‐
neutik, Freiburg: Herder 2005, besonders 63‐145.
barung spricht, hat zunächst sicheren Grund unter den Füßen. Seine Ü‐
berzeugungen scheinen solange gesichert, wie die Offenbarungserfahrung nicht in Zweifel gezogen wird. Ist es aber glaubwürdig, dass der Engel Moroni dem Gründer der Mormonen, John Smith, erschienen ist? Was bedeutet diese Vision vor dem Hintergrund einer ganzen Reihe religiöser Erweckungen, die zu Beginn des 19. Jh. im US‐Bundesstaat New York zu verzeichnen sind? Nun könnte man zur Überprüfung ein inhaltliches Kri‐
terium ansetzen, z.B. dass eine Offenbarung nur authentisch sein kann, wenn sie der menschlichen Suche nach unwiderruflicher Anerkennung in einer Liebe entspricht, wie sie – aus christlicher Sicht – in Leben, Tod und Auferweckung Jesu Christi begegnet. Aber auch dieses Kriterium ist be‐
gründungspflichtig, an Evidenzen gebunden und in einem besonderen Überzeugungszusammenhang geprägt. Mit anderen Worten: Es stellt sich die Frage, ob sich das erkenntnistheoretischen Problem einer Offenba‐
rungsüberzeugung durch eine erneute – z. B. rational‐kriteriologische – Fundamentalisierung von Offenbarungsansprüchen lösen lässt oder man damit nicht faktisch dem Problem ausweicht, indem man es mit den eige‐
nen Mitteln auf derselben Ebene angeht – freilich um eine zusätzliche Re‐
flexions‐ und Rationalisierungsebene erweitert. Die verschiedenen fun‐
damentaltheologischen Interpretationsansätze erhalten vor diesem Prob‐
lemhintergrund ihre besondere Kontur.17 Damit bleibt ein erkenntnistheo‐
retischer Problemüberhang: Offenbarungserfahrungen lassen sich ebenso wenig eindeutig feststellen wie sich ihre ausdrücklichen oder impliziten Wahrheitsansprüche kriteriologisch zweifelsfrei überprüfen lassen. Man bewegt sich in einem radikal pluralisierten religiösen Feld. Von daher
17 Vgl. in Kapitel 5 den Abschnitt: Theologische Sprechversuche – Autoren und Konzepte.
müssen nicht zuletzt die unterschiedlichen Verwendungen und Instru‐
mentalisierungen des Konzepts Offenbarung ideologiekritisch untersucht werden.