Schwestern Unserer Lieben Frau…
gesandt, die Liebe unseres guten und fürsorgenden Gottes zu leben
Generalat/Mutterhaus Rom
Weihnachten 2014
Liebe Schwestern,
„Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.” Diese Worte aus dem Prolog des Johannes-Evangeliums drücken klar aus, dass Jesus uns durch seine Menschwerdung zu seiner Heimat machte. Er nahm die menschlichen Bedingungen mit all ihren Freuden und Begrenzungen an. Dadurch gab er dem Menschsein Sinn und Würde.
Indem er „sein Zelt unter uns aufschlug“, kam er in diese Welt als Teil der Gemeinschaft — des Volkes Israel. Er kam in die Gemeinschaft einer Familie – als der Sohn von Josef und Maria. Er sammelte eine Gemeinschaft um sich — die Apostel. Und er verließ diese Welt, sodass eine neue Gemeinschaft entstehen konnte — die Gemeinschaft der Kirche. Gemeinschaft ist die Grundlage des Menschseins und Gemeinschaft war grundlegend im Leben Jesu. Durch sein Leben und sein Handeln zeigte Jesus, dass Gemeinschaft wesentlich zum Christentum und zu einer gelebten Spiritualität gehört. In und durch Gemeinschaft bauen wir das Reich Gottes auf.
Auf ähnliche Weise bauten auch Schwester Maria Aloysia und Schwester Maria Ignatia
Gemeinschaft auf. Ihre erste Gemeinschaft war das Haus in der Süringstraße, wo sie ein Heim für Kinder in Not einrichteten. Dann legten sie den Grundstein für unsere Gemeinschaft, eine
Kongregation, die sich über die ganze Welt ausbreiten sollte.
Als soziale Wesen gelingt unser Leben am besten in Gemeinschaft. Als Gemeinschaft lernen wir am
„gemeinsamen Tisch Gottes“, was es heißt, Vielfalt zu respektieren, durch Bestätigung zu
wachsen, im Geist der Gegenseitigkeit zu geben und zu nehmen. In der Gemeinschaft finden wir Unterstützung und Stärkung. Die Gemeinschaft ist der Ort, wo wir uns zu Hause fühlen mitten in einer Welt, die von Angst, Terror und Krieg geplagt wird. In einer entmenschlichten Welt ist die Gemeinschaft der Ort, an dem wir einen heiligen Raum für Menschwerdung finden. Sie ist der Ort, wo LIEBE erfahren werden kann. Unsere Konstitutionen drücken sehr schön aus, was
Gemeinschaft sein kann, wenn sie gut gelebt wird.
… Die Atmosphäre in unserer Gemeinschaft soll so sein, dass sich darin die Liebe
zu Christus und zu den Menschen entfalten und vertiefen kann
und wir zur persönlichen Reife gelangen.
Darum verpflichten wir uns, in unseren Kommunitäten
und einander wohlwollend
und freundschaftlich zu begegnen… Artikel 17
Bei all ihrem Segen kann Gemeinschaft auch eine Herausforderung sein. Während der Zeit meiner Visitation habe ich gesagt, dass die Lokalebene die Ebene ist, über die wir als Kongregation
nachdenken müssen. Dort verbringen wir unser tägliches Leben und dort wird die Qualität unseres Lebens am meisten geprägt. In meinem Brief vom Oktober 2014 habe ich die Aufgaben einer jeden Leitungsebene in der Kongregation dargestellt und gesagt, dass wir tiefer schauen müssen, um herauszufinden, was es heißt, „einander Schwester zu sein“.
Das Gemeinschaftsleben hat sich sehr verändert seit der Zeit, als viele von uns eingetreten sind.
Wir haben uns verändert von Uniformität zu mehr Einheit, von einem gemeinsamen Leben zu einem Gemeinschaftsleben, von einer institutionalisierten Lebensweise zu einer eher
beziehungsorientierten Lebensweise, von einem geschlossenen System zu einem offenen System.
Wir haben immer die Freude am geweihten Leben ausgestrahlt, aber uns ist heute deutlicher bewusst, wie wichtig dieses Zeugnis für unsere Welt ist und wie wichtig es ist, die Art, wie wir leben, miteinander umgehen und unsere Tätigkeiten ausüben, menschlicher zu gestalten.
Dies steht in Einklang mit dem Geist von Papst Franziskus, der uns ermutigt, authentisch zu sein sowie Mitverantwortung und Gemeinschaft zu leben und er nennt Gastfreundschaft, Maßhalten, Geduld, Freundlichkeit, Verlässlichkeit und Herzensgüte als grundlegendes Alphabet für jedes Apostolat. Er sagt, ohne diese Voraussetzungen für eine Begegnung und ein Gespräch mit
anderen, sie kennen- und schätzen zu lernen, und sie respektvoll und ehrlich zu behandeln, ist es unmöglich, einen Dienst anzubieten und ein wahrhaft frohes und glaubwürdiges Zeugnis zu geben.
(Generalaudienz, 12. November 2014)
Was unser Zusammenleben betrifft, möchte ich gerne das Thema behandeln, wie wir vor allem auf der Lokalebene „einander Schwester sein” können. Fünf Möglichkeiten, tiefere und
bedeutungsvollere Beziehungen herzustellen sind Da-sein, Gespräch, ein Beitrag sein, ganz Mensch sein und eine Gemeinschaft nach dem Evangelium aufbauen.
Da-sein
Mit Da-sein meine ich nicht physische Anwesenheit beim Gebet, bei den Mahlzeiten, in der Erholung etc. Unser Tagesplan ist oft sehr gefüllt. Ich meine damit die tiefe Verbundenheit einer Schwester mit einer anderen. Da-sein bedeutet, vor allem in wichtigen Augenblicken da zu sein, wenn eine Mitschwester jemanden braucht, die zuhört, oder jemanden, die sich mit ihr solidarisch fühlt. Da-sein in der Zeit der Not bedeutet, die Erfahrung eines anderen ernst nehmen. Sie öffnet unser Herz und lässt uns tiefer sehen, mitfühlen und verstehen. Unsere nonverbalen Zeichen der Liebe können heilsamer sein als Worte.
Anwesenheit bei einer Feier verdoppelt die Freude unserer Mitschwestern. Sie stärkt die
Verbundenheit unter uns und bezeugt anderen, dass wir füreinander da sind. Für jede Gruppe sind Erinnerungen wichtig und Festzeiten sind Gelegenheiten dafür.
Gespräch
In einer Welt der SMS-Nachrichten und der kurzen und schnellen Kommunikation ist die Kunst eines Gespräches in gewisser Weise verlorengegangen. Gespräch bedeutet, Perspektiven weiten, zu mehr Verstehen gelangen, Vertrauen aufbauen und neue Einsichten gewinnen. Gespräche verwandeln Konflikte in Zusammenarbeit und helfen uns, von einer kontrollierten Umwelt zu einer Umwelt des gemeinsamen Gestaltens zu gelangen.
Gespräche öffnen uns für den Einfluss anderer und helfen uns, kreativ, entschieden und
strategisch zu denken. Gespräche helfen uns, Interesse für andere zu zeigen, uns über Erfolge zu freuen und Schwierigkeiten offen und ehrlich anzugehen. Gespräche sind eine Möglichkeit, inklusiv und unterstützend zu sein sowie eine Kultur der gemeinsamen Verantwortung aufzubauen. Sie bringen die Weisheit einzelner oder der Gruppe zum Vorschein. Gespräche können es uns ermöglichen, tiefer an der Lebensgeschichte einer Mitschwester teilzunehmen.
Ein Beitrag sein
Die hl. Julie sagte: „Wir sind nicht aufgerufen, alles Gute in der Welt zu tun – sondern das Gute bei uns“. Das ist eine befreiende Aussage. Wir sind nicht der Messias. Von uns wird nicht Unmögliches verlangt. Jede von uns ist aufgerufen, ihren eigenen Beitrag zu leisten. Im Gemeinschaftsleben kann das ganz einfach bedeuten, im Refektorium Blumen auf den Tisch zu stellen, morgens vor der Arbeit den Kaffee zu kochen, die Zeitung von der Pforte zu holen, am Mittagstisch etwas
Interessantes erzählen.
Unser Leben ist aus vielen kleinen Dingen zusammengesetzt. Bin ich ein Beitrag, wo auch immer ich gerade sein mag? Bringe ich einen kleinen Sonnenstrahl in die Gemeinschaft oder warte ich darauf, dass andere mir das Leben angenehm machen? Unser Gemeinschaftsleben ist so gut, wie wir es gestalten. Ein Beitrag sein bedeutet, dass ich meinen Anteil leiste für ein
Gemeinschaftsleben, in dem die Sorge um das Wohl der anderen Vorrang hat.
Ganz Mensch sein
Glauben wir an das Gute im Menschen? Wenn wir es tun, haben wir keine Angst vor einem natürlichen Miteinander. Wir fürchten uns nicht, unsere menschliche Seite zu zeigen. Wir
brauchen keine Rolle in unserem Zusammenleben zu spielen. Andere fühlen sich am wohlsten bei uns, wenn wir echt sind. Ganz Mensch sein bedeutet, Liebe, Zärtlichkeit, Freundlichkeit, Mitgefühl, Geduld zeigen können. Es bedeutet Freude ausstrahlen, Begeisterung ausdrücken, Anerkennung zeigen. Es bedeutet, darauf zu achten, dass alle einbezogen sind und zu spüren, wann Ermutigung nötig ist und wie sie geschehen kann.
Ganz Mensch sein bedeutet, uns selbst mit unseren Grenzen annehmen, ebenso wie die anderen mit den ihren. Es bedeutet, sich selbst und anderen vergeben. Jean Vanier, der Gründer der Arche, hat einmal gesagt, dass viele Spannungen im Leben entstehen, wenn man versucht, Herr seiner selbst zu werden und gleichzeitig in Frieden mit den eigenen Unvollkommenheiten und denen anderer zu leben. Wir wachsen, wenn wir angenommen werden, wie wir sind, mit unseren Stärken
Wir machen unser Zusammenleben menschlicher, wenn wir uns bemühen, gewaltlos zu leben.
Wenn wir in unseren Worten, in unseren Taten und mit unserem ganzen Sein gewaltlos sind, bringen wir den Frieden Christi in unsere Konvente.
Eine Gemeinschaft nach dem Evangelium aufbauen
Um eine Gemeinschaft nach dem Evangelium aufzubauen, muss Jesus die Mitte im Leben einer jeden Schwester sein, sodass die Gemeinschaft als Ganze eine Gemeinschaft wird, die in Jesus ihre Mitte findet. Das Leben von Julie und Françoise, Hilligonde und Elisabeth gibt uns ein Zeugnis von dem, was tiefe Freundschaft erreichen kann, wenn sie in Jesus und seiner Sendung ihre Mitte findet. Eine gesunde Gemeinschaft kann nur entstehen, wenn jede Schwester den Aufbau des Reiches Gottes durch Gebet, Meditation und ein tiefes inneres Leben zu ihrer höchsten Priorität macht. Wenn jede Schwester auf das Wort hört, dass Gott zu ihr spricht, ist es möglich,
gemeinsam eine überzeugende Vision zu entwickeln. Wie die Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn in der Selbsthingabe besteht, in dem Verströmen des eigenen Lebens für den anderen – so sind auch wir aufgerufen, dies in unseren Beziehungen in der Gemeinschaft zu leben.
…hört nicht auf, euch von Herzen zu lieben… Legt also alle Bosheit ab, alle Falschheit und Heuchelei, allen Neid und alle Verleumdung. 1 Petrus 1,22-2,1
…ertragt einander in Liebe und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält. Eph 4,1-6
Die Schwestern in meiner Gemeinschaft sind Menschen, die den Ruf zum Ordensleben mit mir teilen. Wir teilen die Gabe unseres Charismas. Wie teilen die gemeinsame Geschichte unserer Kongregation und gemeinsam bauen wir unsere Zukunft. Wir sind gemeinsam unterwegs und das verbindet uns auf einzigartige Weise. Das afrikanische Sprichwort „Ich bin, weil wir sind” lässt sich gut auf unser Leben in Gemeinschaft anwenden.
Indem ich die Begabungen meiner Mitschwestern wertschätze, gewähre ich ihnen den Raum, ihr eigenes Ostergeheimnis zu leben. Ich will sie lieben, wenn ihre Taten nicht immer ihren IdeaIen entsprechen. Ich gestehe ihnen Zweifel zu. Ich will ihnen die nötige Unterstützung geben, ihre Berufung gut zu leben. Ich will sie ermutigen, zu wachsen. Ich will das hörende Ohr, das liebende Herz, die helfende Hand und das Wort der Ermutigung sein. Ich will in Zeiten der Not und der Trauer bei ihnen sein und mich mit ihnen freuen, wenn sie Grund zum Feiern haben. In all diesen Situationen will ich ihre Begleiterin, ihre Freundin, ihre Schwester sein.
…In ihm (Jesus) nehmen wir jede Schwester an und schätzen sie in ihrer Einzigartigkeit
als einen Menschen,
den Gott in seiner Liebe berufen hat.
Wir bemühen uns, jede Schwester zu verstehen, ihr mit aufrichtiger Liebe zu begegnen
und sie wohlwollend zu unterstützen.
Wenn wir unsere Erfahrungen der Güte Gottes,
unsere Freude und unser Leid,
unsere Kenntnisse und unsere Fähigkeiten miteinander teilen,
stärken wir unsere Gemeinschaft.
Wir schätzen echte Freundschaft, die in Jesus Christus ihre Mitte hat und uns in ihm verbindet.
… In der Liebe,
die wir in unserer Gemeinschaft erfahren, finden wir den notwendigen Rückhalt für unser Leben in der Nachfolge Jesu
und für unser Apostolat. Konstitutionen, Artikel 55
Wenn wir die Gegenwart des Geheimnisvollen in unserem Leben zulassen, können wir
wertschätzen, dass Gott diese einzigartige Kombination von Menschen in meiner Kommunität zu einem bestimmten Zweck seiner Gnade zusammengerufen hat, und wir können uns diesem Segen öffnen.
In seiner fürsorgenden Liebe hat Gott jede von uns für seine Sendung in die Gemeinschaft gerufen.
Er hat uns die unterstützenden Strukturen geschenkt, die wir brauchen, um als Personen zu wachsen, den Reichtum des Zusammenlebens in all seiner Vielfalt zu erfahren und die Liebe und Bestätigung zu erhalten, die uns stärken, die Liebe unseres guten und fürsorgenden Gottes zu leben. Mögen wir den Schatz, den wir in unseren Schwestern haben, mit Freude und Dankbarkeit feiern. Mögen wir immer besser verstehen, was es heißt, einander Schwester zu sein.
Möge dieses Weihnachten ein Fest der Freude für euch werden. Möge es eine Zeit sein, in der durch das Dasein füreinander, durch gute Gespräche, durch den von Herzen kommenden Beitrag und das liebevolle Verstehen einer jeden Schwester eine gesunde Gemeinschaft nach dem Evangelium aufgebaut wird. Wir alle im Mutterhaus werden im Gebet an euch denken und wir wünschen euch ein heiliges Weihnachtsfest und ein gesegnetes neues Jahr.
Vereint mit euch in einem Herzen, einer Hoffnung, einer Sendung.
Schwester Mary Kristin, SND
Fragen zur Besinnung/Diskussion
Investiere ich Zeit für meine Mitschwestern und für unser Zusammenleben in der Gemeinschaft?
Wie ist die Qualität meines Da-seins für die Schwestern in meiner Gemeinschaft?
Auf welche Weise versuche ich, ein Beitrag für die Gruppe zu sein?
Zeige ich mein wahres Ich, indem ich versuche, ganz Mensch zu sein, oder verberge ich mich hinter einer Rolle?
Welche Anstrengungen unternehme ich, um eine Gemeinschaft nach dem Evangelium aufzubauen?
Aussagen zum Nachdenken
Eine reife Ordensfrau kann die Spannung der Paradoxe des Lebens in sich aushalten.
Aus einem liebenden Auge scheint nur Licht.
Wir müssen Geburtshelfer für die Güte sein, die im Herzen eines jeden Menschen wohnt.
Die Liebe verlangt viel mehr als das Gesetz. Erzbischof Desmond Tutu
Gott ist verborgen in den alltäglichen Ereignissen, in den plötzlichen Krisen, in den schwierigen Fragen, in den Ü berraschungen des Lebens. Gottes Gnade begegnet uns in dem
Unvorhersehbaren. Gemeinschaft hilft uns, auf diese Begegnungen mit dem Göttlichen mit Einsicht, Weisheit und einem friedlichen Herzen zu antworten.