• Keine Ergebnisse gefunden

Multimodalität in den Künstlerischen Therapien

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Multimodalität in den Künstlerischen Therapien"

Copied!
30
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Multimodalität

in den Künstlerischen Therapien

Ruth Hampe/ Peter B. Stalder (Hg.)

K u n s T, G e s Ta lT u n G u n d T h e r a p i e

Frank & Timme

(2)

Ruth Hampe / Peter B. Stalder (Hg.) Multimodalität in den Künstlerischen Therapien

(3)

Kunst, Gestaltung und Therapie, Band 3 Herausgegeben von der Internationalen Gesellschaft für Kunst, Gestaltung und Therapie (IGKGT/IAACT)

(4)

Ruth Hampe/ Peter B. Stalder (Hg.)

Multimodalität

in den Künstlerischen Therapien

Verlag für wissenschaftliche Literatur

(5)

ISBN 978-3-86596-345-1 ISSN 1865-4517

© Frank & Timme GmbH Verlag für wissenschaftliche Literatur Berlin 2011. Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk einschließlich aller Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts- gesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro verfilmungen und die Einspeicherung und Ver arbeitung in elektronischen Systemen.

Herstellung durch das atelier eilenberger, Taucha bei Leipzig.

Printed in Germany.

Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier.

www.frank-timme.de

Umschlagabbildung: ein farbig abgewandeltes Stillleben von Paul Cezanne

(6)

Inhaltsverzeichnis

Vorwort... 9

EDGAR KÖSLER

Grußworte zur Tagung... 13

Theoretische Zugänge

CORNELIA ACKERMANN

Zeitgeist-Themen, Zukunfts-Trends: Impulse und Chancen

für kreative Therapien? ... 19

BURKHART FISCHER

Blickfunktionen im Dienst des Sehens ... 31

SABINE C.KOCH

Bewegung und Bewusstsein... 41

KARL-HEINZ MENZEN

Von der Kunsttherapie zur Neuro-Ästhetik ... 59

SILKE SCHAUDER

Multimodalität in der Kunsttherapie – von der Theorie zur Praxis ... 83

Multimodalität in der Kunst

ANGELI JANHSEN

Kunst gegen Normalität ... 93

MEIKE ROTERMUND

Künstlerische Performance und innere Transformation ... 111 GOTTFRIED WASER

Offener Brief an Herrn Wilhelm Uhlig, Bildhauer in Nürnberg ... 119

(7)

Multimodalität in den Künstlerischen Therapien

GEORG FRANZEN

Kunsttherapie im Rahmen der Sozialpsychiatrie-Vereinbarung ... 127

RUTH HAMPE

Zur Wirkung von Bildgestaltungen auf emotionale Gestimmtheiten ... 135

IOAN BRADU IAMANDESCU,ALEXANDRU CHIŢU,MIHAELA LUMINIŢA STAICU

Some Correlations between General Affective Atmosphere of the Music

and the Nature of the Emotions Induced in Listening Subjects/Patients ... 155

HEIDRUN KLÄGER-HAUG

Kunsttherapeutische Begleitung eines spastisch gelähmten

und hirntraumatisierten jungen Mannes ... 171

ALEXANDER KOPYTIN AND ALEXEY LEBEDEV

The Study of Therapeutic Effects of Group Interactive Art Therapy Used

in a Specialized Psychotherapy Department for War Veterans ... 199

GERHARD OSWALD

Rollenübernahme, Rolle und Bühne der psychodramatische Zugang

in der Kunsttherapie ... 213

WILHELM OVERDICK

Malen nach Märchen, ein Weg zur intuitiven Selbsterkenntnis... 223

CHRISTIAN ROESLER

Die Verwendung von künstlerischen Ausdrucksformen in der

Paartherapie – auf Basis der Psychotherapie nach C. G. Jung... 237

LONY SCHILTZ

Klinische und experimentelle Untersuchungen zur Parallelität der Entwicklung des bildnerischen, musikalischen und literarischen

Ausdrucks im Verlauf der Kunstpsychotherapie ... 257

(8)

CONSTANZE SCHULZE

Interdisziplinäre Ansätze in der Biografie- und Erinnerungsforschung:

Methodische Herausforderungen für die Kunsttherapie ... 271

HENRIETTE SCHWARZ

Kunsttherapie und Krankheitsverarbeitung ... 281

BARBARA WICHELHAUS

Märchen in der Kunsttherapie... 295

Pädagogik und Künstlerische Therapien

WOLFGANG DOMMA

Pädagogische Kunsttherapie – multimodal und multidimensional ... 321

RUTH HAMPE

Zu Beziehungsaspekten der Reformpädagogik und den

Künstlerischen Therapien... 339

JULIANNE MOSS

Visual methods: the exposure of exclusion and inclusion ... 359

TAMAE OKADA

Psychoeducational Approach by Children Draw Pictures

at Elementary Schools ... 371

BRIGITTE UMBACH-WOBORNY

Muster und Bilder – und ADHS... 387

Künstlerische Therapien im Alter und am Lebensende

SENTA CONNERT

Die Worte zu den Bildern – Spontanes Sprechen in der Kunsttherapie

im Hospiz und in der Palliativmedizin... 405

(9)

PETER B.STALDER

Sicherheit im Alter... 427

GOTTFRIED WASER

Psychotherapie mit kreativen Mitteln im Alter... 449

Projektstudien

ANNETTE KRAFT

Kunsttherapeutische Vision... 465

CHRISTIAN MÜLLER

Ritter, Heulsusen und Jammermatratzen … Projekte von

Unart e.V. Essen ... 477

LUCIA SARVA POSEY

Sinneserfahrungen mit und in der Natur ... 493

INGE SCHILLING-STEINLE

Synästhesien von Farben – ein verkanntes Phänomen... 505

SABINE SCHRÖDER

Liebe das Leben – immer! ... 519

Coaching und Multimodalität

PETER DE MER

Kunst & Coaching... 523

KLAUS LUMMA

PTSD Post-Trauma-Stress-Disorder Counseling in New Orleans... 535

BRIGITTE MICHELS

Alle meine Farben... 545 AutorInnen ... 555

(10)

Vorwort

Mit dem Thema „Multimodalität in den Künstlerischen Therapien“ wird auf die Jahrestagung der IGKGT/IAACT in Kooperation mit der DGKT – Deut- sche Gesellschaft für künstlerische Therapieformen Berufs- und Dachverband e.V. – an der KH Freiburg Bezug genommen. Der Begriff Multimodalität verweist auf eine Vielschichtigkeit, die mit Sinnestäuschung und Simultanität des Erlebten einhergehen kann und besonders das emotionale Erleben in der aisthetischen bzw. ästhetischen Dimension berührt.

Wie das Umschlagsbild (Abb. 1) zeigt, wird in einer symbolischen Dimen- sion auf bunte Äpfel verwiesen. Mit dem Apfel wird ein Erkenntnisgewinn angesprochen, der von René Magritte (Abb. 2) auf besondere Weise mit dem gemalten Apfel „Ceci n’est pas une pomme“ infrage gestellt worden ist. Anders verhält es sich mit dem Begriff der „Apfelmännchen“, der in den 70er Jahren durch die von Benoit Mandelbrot geprägte Theorie der „Fraktale“ (lat: fractum

= gebrochen) als mathematische Größe thematisiert wurde. Demzufolge wiederholt sich das Große im Kleinen als selbstähnliche Strukturen, als un- endliche Menge. Das Fraktale (Abb. 3) bildet die Grundlage von Ordnungs- strukturen, die das Verhältnis von Chaos und Ordnung bestimmt – wie es beispielsweise wahrnehmbar ist nach dem Zusammenprallen von zwei unter- schiedlich eingefärbten Flüssigkeiten in der Verwandlung von Turbulenzen zu wohlgeordnete Wirbelpaaren (Abb. 4) oder auch in den Ordnungsstrukturen von Blüten als Spiralwirbel. Das Kleine im Großen ist auf Elementarformen ausgerichtet. ähnlich dem Verhältnis von Wasser und Feuer, das z.B. in der Brechung, Beugung und Reflexion des Sonnenlichtes als Interferenzerschei- nung die Spektralfarben des Regenbogens hervorbringen kann.

Weiterhin sind wir in der Lage in einem synästhetischen Erleben andere Modalitäten der Wahrnehmung und des Erlebens zu erzeugen. Beispielsweise erleben Synästhetiker selbst weiße Zahlen als farbig, indem spezifische Ge- hirnregionen, wie das Farbareal, bei der Wahrnehmung mit aktiviert werden.

Derart können elementare Ausdrucksformen wie Buchstaben, Zahlen u.a.

synästhetische Verknüpfungen erhalten. Werden beispielsweise zwei Formen mit spitzen oder runden Verläufen (Abb. 5) wahrgenommen, und es wird gefragt, welche von ihnen mit dem Wort „Buba“ oder „Kiki“ korrespondiert,

(11)

stimmen 98 Prozent der Befragten darin überein, dass „Buba“ mehr der abgerundeten Formgestalt entspricht. Wird dagegen das Bild von Bridged Riley (Abb. 6) mit seinen engen Linienfolgen wahrgenommen, kann es zu optischen Täuschungen kommen – nicht nur als Irritation einer Bewegung, sondern auch als spektrale Farbbrechung.

Synästhetisches Erleben gehört mit zu unserer Wahrnehmung, und so ver- weist auch die Stimmlage, die Flüssigkeit oder Abgebrochenheit im Sprach- rhythmus auf Vertrautes oder Fremdes. Ein abgehacktes Sprechen, ähnlich einem Roboter, lässt Sie spüren, dass da etwas nicht ganz stimmen kann.

Multimodalitäten bestimmen unseren Alltag in den verschiedensten Facetten und beeinflussen unsere Wahrnehmung. Sie sind in der Aktivierung von Erinnerungsbildern und Gefühlen als synästhetisches Erleben vielschichtig miteinander vernetzt – wie gebunden an Gerüche, Töne, Farben, Temperatur, Atmosphärisches etc.

So kann ein emotionales Erleben aktiviert werden, das auf Erinnerungsbil- der stößt bzw. auch in Korrespondenz mit früheren sensorischen Repräsentan- ten steht – wie es Antonio Damasius bezogen auf die neuronalen Grundlagen des Selbst in der Vermittlung von Urrepräsentanten und Schlüsselereignissen in der Biographie hervorhebt. Dies hat eine Embodiment-Theorie mit dem Körper als Grundreferenz eingeleitet. Unser Resonanz- und Empathieerleben wird von multimodalen Erleben- und Erfahrungskontexten bestimmt. Ent- sprechend lässt sich hervorheben, dass die neuronale Grundlage des Selbst auf eine ständige Reaktivierung von Repräsentanten als Schlüsselereignisse in der Autobiographie und als Urrepräsentationen des Körpers bezogen ist.

Der Körper bildet also eine Grundreferenz im Sinne einer Embodiment- Theorie. Vorstellungsbilder stehen im Bezug zu früher gebildeten sensorischen Repräsentanten im Kontext von Erinnerungsbildern. Die Aktivierung innerer Bilder kann eine Ressource und einen Resilienzfaktor beinhalten. Im thera- peutischen Prozess wird auf diese Aspekte im Resonanzerleben und in der Empathie Bezug genommen.

In den Künstlerischen Therapien mit der besonderen Ausrichtung auf das ästhetische Erleben ist enthalten, was Ernst Bloch mit dem Begriff des „Vor- Scheins“ zu fassen versucht hat. Dabei geht es um das Fragmentarische eines prozessualen Noch-Nicht im Utopischen oder wie Bloch hervorhebt:

(12)

Das Nicht als prozessuales Noch-Nicht macht so Utopie zum Realzustand der Unfertigkeit, des erst fragmenthaften Wesens in allen Objekten.1

In dem Sinne möchten wir mit diesem Buchband einige Aspekte zu dieser Thematik der Multimodalität vorstellen. Es sind sowohl Beiträge aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland enthalten. Ein englischsprachi- ges Abstract ist für das internationale Publikum den Beiträgen vorangestellt.

Die Beiträge sind thematisch in alphabetischer Ordnung der AutorInnen gegliedert, wobei die englischsprachigen diesmal nicht gesondert in einem Kapitel abgedruckt sind.

Dieser Band ist auch Herrn Prof. Dr. Karl-Heinz Menzen zu seiner Emeri- tierung gewidmet. Äpfel, wie sie René Magritte gemalt hat (Abb. 7, 8), verwei- sen auf Täuschung, Verführung oder allgemein auf unseren Erkenntnisge- winn. Künstlerische Therapien in ihrer Verknüpfung mit dem Imaginativen, dem emotional verhafteten Vorstellungsbild, haben ihre Tradition und wurden getragen von einem Pioniergeist der Anfänge. Zu diesen Pionieren zählt auch Herr Menzen, der in den frühen 80er Jahren die Ausbildung der Kunsttherapie mit gestützt hat und nun mit der zunehmenden Akademisierung einer Bache- lor- und Masterausbildung die berufliche Anerkennung des Berufsbildes weiterhin mit begleiten kann.

Wir bedanken uns bei allen, die diesen Band möglich gemacht haben, den Referenten für die Bereitstellung ihrer Beiträge und der DGKT als Kooperati- onspartner sowie der KH Freiburg als Gastgeber.

Ruth Hampe

...

1 Bloch, E. (1974). Ästhetik des Vor-Scheins 1. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. S. 34.

(13)

Abb. 1: Bunte Äpfel – Abb. 2: René Magritte ausgehend von Paul Cezanne

Abb. 3: Fraktale Abb. 4: Turbulenzen: Chaos und Ordnung

Abb. 5: „Buba“ und „Kicki“ Abb. 6: Bridged Riley (Ausschnitt)

Abb. 7: René Magritte Abb. 8: René Magritte

(14)

EDGAR KÖSLER

Grußworte zur Tagung

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

ganz herzlich begrüße ich Sie zum Internationalen Symposium „Multimodali- tät in den Künstlerischen Therapien“. Mein besonderer Gruß gilt heute unse- rem Kollegen, Professor Karl-Heinz Menzen, für den am 31.07. nach 20 Jahren und sieben Monaten nun seine Dienstzeit als Professor für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Altern und Behinderung unter Einbeziehung von Aspekten ästhetischer Bildung zu Ende geht. Sie geht zu Ende, wenngleich – wie wir alle wissen – seine Lust am Schreiben, Malen, Lehren und Gestalten ungebrochen ist.

Aus diesem Grund erlauben Sie mir eine kurze und sicher unvollständige Hommage auf das Wirken und Werk unseres geschätzten Kollegen, der wie kein anderer an der Hochschule in den vergangenen zwanzig Jahren die Entwicklung und Etablierung des kunst- und medienpädagogischen, insbe- sondere des kunsttherapeutischen Angebotes der Katholischen Fachhochschu- le Freiburg geprägt und gefördert hat. Ein Angebot, das sich sehen lassen kann und deutlich macht, dass Hochschule einen Bildungs- und Erziehungsauftrag hat, mit dem sich der bildungspolitische Anspruch verbindet, nicht nur ver- wertungs-, markt- und berufsorientierte Kompetenzen zu vermitteln.

Karl-Heinz Menzen hat sich immer dafür eingesetzt, dass die Hochschule auch ein personales und inhaltliches Angebot zur Verfügung stellt, das die Entwicklung der Studierenden zu beziehungsfähigen, einfühlsamen und solidarischen, sozial und politisch verantwortlich handelnden Persönlichkeiten unterstützt. Wenngleich das medienpädagogische und das kunsttherapeuti- schen Angebot der Katholischen Fachhochschule auch anwendungsbezogene Intentionen verfolgt, so ist es doch zu allererst ein Angebot zur Persönlich- keitsentwicklung der Studierenden mit hohem präventivem Nutzen.

Aufbauend auf studiengangsintegrierte Module entstand unter der Ägide von Karl-Heinz Menzen eine sozial- und heilpädagogisch orientierte Zusatz- ausbildung in Kunsttherapie, die sich seit über 10 Jahren nun mehr als erfolg-

(15)

reich am Markt etabliert hat und sich einer kaum mehr zu bewältigenden Nachfrage erfreut.

In unzähligen Monografien und Aufsätzen hat er die theoretischen Grund- lagen der Kunsttherapie erarbeitet, das Methodenspektrum dargestellt und für unzählige Handlungsfelder in der Praxis nutzbar gemacht. Das reicht von der frühkindlichen Sinnesförderung und basalen Stimulation von Kindern und Jugendlichen mit und ohne geistige Behinderung, über die Entwicklungsförde- rung durch ästhetische Sozialisation mit auffälligen Kindern und Jugendli- chen, über Förderansätze im akut- und gerontopsychiatrischen Bereich, über Ansätze in der neurologischen und onkologische Rehabilitation und der psychosomatischen Praxis. Es wundert daher nicht, dass ihm 2002 von der Eu- ropäischen Hochschule Schweiz der Titel „Academic Fellow“ verliehen wurde.

Es wundert auch nicht, dass Karl-Heinz Menzen vor einigen Jahren sehr selbstbewusst die Meinung vertreten hat, dass die ganze Heilpädagogik in der Kunsttherapie aufgehen könne. Ganz offensichtlich konnte er davon noch nicht alle Kolleg(inn)en der Heilpädagogik überzeugen. Dennoch ist es ihm gelungen, unter dem Dach des Bachelorstudiengang Heilpädagogik einen eigenständigen Schwerpunkt „Heilpädagogische Kunsttherapie“ zu integrieren, der ebenfalls zur Anerkennung der DGKT führt.

Gelungen ist ihm auch, einen international ausgerichteten Masterstudien- gang „Künstlerische Therapien“ ins Leben zu rufen, und zugleich frühzeitig für eine sehr angesehene Nachfolgerin, Frau Prof. Hampe, zu sorgen, die diesen Studiengang mit hohem Engagement nun erfolgreich mit Ihnen durch die Akkreditierung gebracht hat.

Und noch eine andere Seite möchte ich ansprechen, der etwas mit dem Thema der heute beginnenden Tagung zu tun hat: Karl-Heinz Menzen ist ein begnadeter Hochschullehrer und begehrter Vortragsredner: Seine Vorträge sind multimodal gestaltet – jede seiner Veranstaltungen ist eine Inszenierung gespickt mit verschiedenen Medien und unterschiedlichen Materialien, die die unterschiedlichen Sinnesmodalitäten bei den Teilnehmer/innen ansprechen – sozusagen ein multimediales Feuerwerk. Eine Inszenierung, bei der die Zuhö- rer/innen in eine Art Trance versetzt werden: Eine Art Eu-trance in Form einer Wachhypnose, in dem man sich zwar in einem tranceähnlichen Zustand befindet, bei der auch Rapport besteht, man aber trotzdem hellwach ist und sich auch so verhalten und bewegen kann, so dass für ungeübte Augen kein Unterschied zum normalen Wachzustand erkennbar ist.

(16)

Es ist ein Vorgehen und ein Zustand, der etwas schafft, was für die Kunst der Moderne charakteristisch ist: die Dekonstruktion von Mustern. Muster meint hier relativ stabile und selbstverständliche Denk- und Wahrnehmungs- räume, die im Laufe des Lebens gelernt werden. Bei der Dekonstruktion werden diese Muster verstört, verwirrt oder wie Derrida (1975) sagt, verscho- ben. Dabei wird der Zwang zum Handeln aufgeschoben, das Denken gelangt in neue Räume, es öffnen sich neue Wahrnehmungsmöglichkeiten für neue Selektionsprozesse und neues Ausprobieren. Neue Muster können gebildet oder der Wert der alten akzeptiert werden. Durch dieses sanfte Dekonstrukti- on gelingt es auch je nach Setting zwischen dem eher „imperativen Modus des Pädagogischen“ in den „indikativen Modus des Therapeutischen“ zu wechseln.

Auch das ist eine Kunst, die Karl-Heinz Menzen wie kein anderer beherrscht.

Und er ist ein Mensch, der genießen kann: sei es den Anblick schöner Frauen in Trastevere oder die Blume eines gehaltvollen Weines oder auch den rauschenden Beifall von möglichst vielen Tagungsteilnehmer/innen. Verbun- den mit einem Präsent als kleinem Zeichen der Anerkennung für all seine Verdienste wünschen wir ihm alles Gute und freuen uns, wenn er auch weiter- hin der KH Freiburg verbunden bleibt.

Zum Abschluss gilt mein Dank den Initiatorinnen und Organisatorinnen dieser Tagung, ganz besonders unserer Kollegin, Frau Prof. Dr. Ruth Hampe, die wieder ein ganz anspruchsvolles, buntes Programm zusammengestellt hat.

Ihnen allen wünsche ich eine interessante Tagung, aus der Sie vielfältige Anregungen für Ihre anspruchsvolle Arbeit mitnehmen können.

Herzlichen Dank.

(17)
(18)

Theoretische Zugänge

(19)
(20)

CORNELIA ACKERMANN

Zeitgeist-Themen, Zukunfts-Trends: Impulse und Chancen für kreative Therapien?

Abstract

Creative therapies obtain more and more acceptance in Germany, and more and more young creative therapists earn their degrees and have to prove themselves in practice. As our national public health system may not offer them a sufficient number of job vacancies, they will have to develop new professional perspectives in other health-related working sectors, open up niche markets, and even create innovative “healthcare business ideas”. Studying socio-psychological and consumer trends can support and inspire these efforts. Emerging new value-oriented concepts of life, cultivating e. g. life-domain-balance and a lifestyle of health and sustainability (LOHAS), focus on medical and mental well-being, and physical and psychological self-improvement. A growing number of patients, clients, and consumers are ready and willing to invest into personal development, self discovery and recovery, and holistic treatments. And they are open to do so by calling on qualified creative therapy services or benefiting from effective products. Providing and promoting services that meet the high ideals and specific demands of this target group are very likely to be successful strategic measures.

As dubious offers compete with competent healthcare providers and practices and have alrea- dy grabbed a considerable market share, distinguishing one´s own services from all kinds of suspect “therapies” and the solely profit-oriented quack industries with their fraudulent products and unproven claims will be vital. Networking and professional, strategy-led marketing commu- nication within the legal limits of healthcare advertising laws will prove to be potent instruments to give upscale creative therapy options the premium profile they deserve.

Dass nicht nur das Heilen eine Kunst ist, sondern auch Kunst heilen kann, wird uns im 21. Jahrhundert zunehmend (vgl. Sloterdijk 1987, 55) – und dazu endlich durch Forschung fundiert – so selbstverständlich wie den Epochen, die bereits vor uns (Wichelhaus 2005, 300; v. Spreti et al. 2002, 4) die Kon- gruenz statt Konkurrenz von Kurieren und Kunst erkannten und anwandten.

Mit Genugtuung können wir feststellen, dass die Akzeptanz der kreativen Therapien im heilkundlichen Umfeld wie auch das entsprechende Ausbil- dungsangebot wachsen. Es wird also künftig eine höhere Anzahl qualifizierter

(21)

Absolventinnen und Absolventen geben. Ebenso werden die Einsatzgebiete für kreativtherapeutische Kompetenzen größer, freilich längst nicht im wissen- schaftlich wie wirtschaftlich wünschenswerten Umfang.

So stellt sich die Frage, welche weiteren Wirkungsfelder sich diesen heute und morgen erschließen können – vor allem auch außerhalb der von Gesund- heitsreform-Restriktionen und öffentlichen Sparzwängen betroffenen klini- schen und pädagogisch-sozialtherapeutischen Sphären1.

Um diesen „Markt“ zu erkunden, ist es hilfreich, einige gesamtgesellschaft- liche Entwicklungen zu betrachten, die die Nachfrage nach kreativtherapeuti- schen Leistungen beeinflussen könnten. Welche kollektiven Zeitströmungen, Gegenwarts- und Zukunftstrends und hier und da vielleicht sogar auch Moden wirken auf unser Gesundheitsverhalten ein? Gibt es gesellschaftlich verbreitete Gesinnungen, die die Inanspruchnahme von Kunst- oder Musiktherapie, Theater-, Tanz- oder Bibliotherapie begünstigen, fördern oder auch hemmen?

Wie sieht das Wettbewerbsumfeld aus?

Um dies zu untersuchen, werden im Folgenden Analysen und Ergebnisse verschiedener Markt- und Trendstudien zusammengetragen und ausgewertet.

Konsultiert wurden dafür: die Delphi-Studie 2017 „Future Values“, die Studie

„Zukunftsperspektiven des Gesundheitsmarkts“ des Gottlieb Duttweiler- Instituts, Key Facts (Pressemeldung) aus der LOHAS-Studie „Ethisches Verbraucherverhalten“ von Porter Novelli und dem Natural Marketing Institu- te, die Studie „Einstellungen zu demographischen Trends und zu bevölke- rungsrelevanten Politiken“ des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, die 15. Shell-Studie „Jugend 2006“, die Studie des Zukunftsinstituts „Zielgruppe LOHAS: Wie der grüne Lifestyle die Märkte erobert“ sowie eine Pressemittei- lung zur Studie der Gmünder Ersatzkasse und des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsforschung der Medizinischen Hochschule Hannover über ambulante ärztliche Versorgung von 2007. Außerdem einbezo- gen wurden auch noch die Sites und Services von trendwatching.com, zu- kunftsinstitut.de, kondratieff.net, trendbuero.de, von der Aktion Mensch- Initiative die Gesellschafter.de, von der Evangelischen Zentralstelle für Weltan- schauungsfragen und vom Bundesverband Sekten- und Psychomarktberatung e. V. agpf.de. Die Auswertung von solchen Konsum-, Trend- und Meinungs- ...

1 Die statistischen Angaben bzw. Schätzungen zu Berufsaussichten für künstlerische Therapeuten schwanken erheblich und sind widersprüchlich. Insgesamt steht zu vermuten, dass wachsender offizieller Anerkennung schwindende finanzielle Ressourcen gegenüberstehen und der Arbeits- markt daher tendenziell schwerer zugänglich wird.

(22)

forschungsmedien und -institutionen für eine Analyse zum Gesundheitsmarkt und „Healthcare-Zeitgeist“ ist ergiebig und aussagekräftig. Denn längst erfas- sen diese nicht nur ihre traditionellen Forschungsgegenstände Konsum, (politische) Meinung, Konjunktur und Arbeitsmarkt oder Mode und Design.

Sie widmen sich heute darüber hinaus ganz selbstverständlich Themen wie Ernährungsverhalten, Medizin und Gesundheitswesen, Kultur und Bildung, Medien und Medienkonsum, Ethik und Wertvorstellungen, Religion und Theologie. Die hier vorwiegend für Wirtschaftswissenschaft und Marketing- Strategieentwicklung gewonnenen Daten liefern ein Abbild kollektiver Denk- und Verhaltensweisen, das durchaus einige interessante Rückschlüsse und Voraussagen für kreativtherapeutische Angebote erlaubt.

Die Ausgangssituation, darin sind sich die Gesellschaftsforscher einig, ist komplex und voller Herausforderungen:

Die fortschreitende Globalisierung nehmen viele Menschen als beängsti- gend und bedrohlich wahr. (Es überrascht da nicht, dass der Neologismus

„Globalisierungsangst“ in den Medien schon als feststehender Begriff verwen- det wird.)

Die wirtschaftliche Lage wird trotz wieder anziehender Konjunktur nicht als sicher empfunden. Jüngste Negativprognosen, etwa die Vorhersage eines drohenden neuen Mega-Crashs durch renommierte Börsenexperten, lösen teils Verdrängung, teils neue oder zusätzliche Verunsicherung aus.

Der Arbeitsmarkt ist unausgewogen. Zunehmendem Fachkräftemangel in beispielsweise technischen Bereichen steht Unterbeschäftigung in anderen Branchen und Berufsfeldern gegenüber. Diese Dysbalance und der Arbeits- marktwandel allgemein fordern verstärkt die Fähigkeit, unabhängig von der ursprünglichen Qualifikation flexibel auf das vorhandene Arbeitsangebot zu reagieren. Immer mehr Menschen üben im Laufe ihres Erwerbslebens mehr als einen und vor allem nicht nur den erlernten Beruf aus.

Auch die Arbeitsformen diversifizieren sich. Telearbeit von zu Hause aus erlaubt einerseits scheinbar mehr Komfort, isoliert andererseits vom Erlebnis kollegialen Miteinanders in der Firma. Veränderte Unternehmensstrukturen, etwa durch Konzentrationsprozesse in urbanen Ballungsräumen, bringen für andere dagegen erheblich längere Wege zum Arbeitsplatz oder sogar Fernbe- ziehungen mit sich und belasten die Koordination von Arbeit und Freizeit.

Wirtschaftlicher Wandel, Sparmaßnahmen im öffentlichen Sektor sowie die Umbrüche vor allem im Bildungs- und Gesundheitswesen verursachen in fast allen Tätigkeitsfeldern einen Rückgang verlässlicher Karrierechancen –

(23)

selbst für hoch Qualifizierte. Gering Qualifizierte haben schlechtere Chancen denn je; immer mehr Familien sind von Langzeitarbeitslosigkeit und Armut betroffen.

Nicht nur im beruflichen Bereich schwinden die festen, verbindlichen So- zialstrukturen. Auch auf privater Ebene erfahren immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft einen Rückgang stabiler Verhältnisse. Lebensformen, Einstellungen, Freizeitgestaltung und Konsum sind multioptional geworden, was teils als Desorientierung, teils als Beliebigkeit erlebt wird. Scheidungsra- ten, Überalterung und Versingelung bewirken zunehmende Vereinsamung.

Im Bereich der gesundheitlichen Versorgung stehen Reduktionstrends (nicht nur durch Kostendruck und Sparmaßnahmen, sondern auch durch sonstige Entwicklungen, etwa den Schwund der Landpraxen) einem steigen- den Bedarf gegenüber, den die demografische Entwicklung mit sich bringt.

All diese Entwicklungen und Faktoren lassen ein kollektives Befinden ent- stehen, das Optimismus, Zuversicht und positive Erwartungen ans Morgen nicht gerade bestärkt. So manche/r ist je nach Temperament und persönlicher Situation sehr entmutigt, empfindet Skepsis, Sorge oder sogar regelrechte Zukunftsängste. Es verwundert nicht, dass viele Menschen sich überfordert fühlen und dass seelische Leiden häufiger auftreten. Der oben zitierten Studie der GEK zufolge haben psychische Erkrankungen so stark zugenommen, dass sich die Zahl der verordneten Therapien seit 2000 mehr als verdoppelt hat2.

So weit die negativen, kritischen bis krisenhaften Anteile und Aspekte des Gesellschaftspanoramas aus den Studien, das damit zum Glück alles andere als vollständig ist. Denn hoffnungslos schlecht ist die Lage keinesfalls. Positive Impulse und Tendenzen stehen all dem gegenüber. Und aus der Zusammen- schau ergibt sich ein Gesamtbild, das manch attraktive Chance für kreative Therapieangebote sichtbar macht. Doch zunächst zu den Trends selbst.

Als Folge von oder Reaktion auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Phä- nomene, die als problematisch erlebt werden, entstanden und entstehen kompensierende oder korrigierende Gegenbewegungen:

So beantworten zum Beispiel immer mehr Deutsche die Globalisierung mit einer Wiederentdeckung ihrer Regionalkultur. Vom ländlichen Bauernmarkt über Events wie „Still Life“ auf dem Ruhrschnellweg bis hin zu regionalen

...

2 Wobei die dramatische Zunahme von 61 Prozent etwas zu relativieren ist. Denn die Zahl bezieht sich lediglich auf den Anteil von Psychotherapie-Patienten am Gesamtaufkommen ambulanter Behandlungen.

(24)

Initiativen und Zusammenschlüssen wird das Wir-Erlebnis inszeniert, zeleb- riert und intensiv genossen. Veranstaltungen dieser Art sind heute Publi- kumsmagneten und erreichen eine große Öffentlichkeit.

Der einst belastete Begriff Heimat kommt inzwischen ohne ideologische Aufladung daher und definiert sich als rein positiv konnotierte Ganzheit aus geografischem wie sozialem Raum, Sprache, Sinneseindrücken und Emotion.

Heimat vermittelt Geborgenheit und wirkt identitätsstiftend. Man sucht für Konsum und Freizeitgestaltung wieder gezielt lokale Angebote auf und nutzt Möglichkeiten der Nahversorgung. Tante Emma-Läden erleben eine Renais- sance, ortsnahe Dienstleistungsangebote sind wieder attraktiv.

Auch Heim und Garten wird in diesem Zusammenhang deutlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet als zuvor. Artikulierte sich dieser Langzeittrend in den Achtzigern noch als Ausgleich, Rückzug ins Private, als einigelndes Co- cooning, so ist heute das von den Trendforschern so genannte Homing ange- sagt: Das Zuhause wird zum Mittelpunkt der sozialen Aktivitäten, öffnet sich dabei aber den verschiedensten Formen der Geselligkeit und Nähe. Es wird sogar zum Ort ungezwungen ausgelebten, eigenwilligen und selbstbewussten Neo-Spießertums. Mit Ideen und Witz erhebt man statt des Global Playing den Spieleabend zum coolen Kult.

Kreativ geht man auch damit um, dass vormals gängige Formen und Struk- turen des Zusammenlebens wie Ehe und Durchschnitts-Kleinfamilie an Bedeutung verlieren oder auseinander brechen. Es entwickeln sich stattdessen ganz neue Arten des Zusammenlebens. Zusammengewürfelte Lebensgemein- schaften entstehen aus Scheidungsfamilien und funktionieren. Wohngemein- schaften sind keine reine Studentenangelegenheit mehr, sondern auch für erfolgreiche Berufstätige aller Altersgruppen eine attraktive Option. Clubs werden gegründet, um für gemeinsame Interessen und Socializing öffentliche

„Wohnräume“ bereitzustellen. Das Spektrum reicht vom Lunch Club für berufstätige Singles bis hin zum Erziehungs-Club für Eltern. Generationen- übergreifende Siedlungs- und Wohnmodelle werden erprobt und gelebt, zum Beispiel sogar als originelle Kombination von Seniorenresidenz und Kita.

Dass einem die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes heute oft abfordert, nacheinander mehrere Berufe auszuüben, wird von immer mehr Betroffenen nicht nur als Belastung, sondern auch als positive Chance verstanden. Man ist so nämlich nicht mehr gezwungen, sich ein für alle Mal verbindlich fürs gesamte Leben auf einen einzigen Karriereweg festzulegen. Das bietet die Möglichkeit, sich mehrmals zu erproben und zu bewähren, sich selbst zu

(25)

verwirklichen und beruflich auszuleben. Entsprechend geht das klassische aufstiegsorientierte Karrierestreben stark zurück zugunsten kreativer, stark individualisierter Berufskonzepte. Patch-Worker nennt man die Menschen, die so etwas leben und das, was vormals Personalleitern als „biografische Brüche“

suspekt gewesen wäre, zum besonderen Kompetenzprofil zu machen verste- hen.

Ein wichtiges Thema im Zusammenhang mit der Flexibilisierung des Ar- beitsmarktes und den häufig wachsenden Distanzen zwischen Wohnort und Arbeitsplatz ist die Schaffung einer ausgewogenen Life Domains Balance (früher: Work-Life-Balance). Ökonomische Selbstorganisation, die Sicherung von Zeitwohlstand, die Vereinbarung von Arbeits- und Familienleben sowie die Schaffung und Nutzung von sozialen, gesundheitlichen und emotionalen Ressourcen sorgen im Idealfall für harmonisches Miteinander von guter beruflicher Leistung und ausgeglichener, zufriedener Lebensführung.

Diese neuen Entwicklungen und Innovationen entstehen vor dem Hinter- grund eines allgemeinen Bewusstseinswandels, der sich schon seit längerem vollzieht. Unabhängig von Alter, Bildung und Milieu entdecken immer mehr Menschen nichtmaterielle Ideale wieder. Sie orientieren sich an ökologischen, kulturellen, sozialen und spirituellen Werten, setzen auf Reduktion, „Simplify- ing“ und Purismus statt auf Konsumrausch und „Freizeit-Stress“. Sie streben nach Innerlichkeit und Innehalten. Pilgerreisen boomen. Die Retreat- Angebote von Klöstern und anderen religiösen Institutionen sind heutzutage schon lange im Voraus ausgebucht. Den Menschen, die sie nutzen, bemühen sich ernstlich um innere Entwicklung. Es geht ihnen um Selbst- und nicht um solipsistische Ego-Pflege: „Das Zeitalter der Ichlinge geht zu Ende“ (Opa- schowski, Thesen).

Vor allem auch der sich zunehmend ausbreitende LOHAS-Lebensstil for- dert und fördert solche Prozesse. Das Kürzel LOHAS steht für Lifestyle Of Health And Sustainability. Darunter subsumieren sich auf Gesundheit und Nachhaltigkeit ausgerichtete Einstellungen und Ideale, Verhaltensweisen und Formen der Lebensgestaltung, zu denen sich bereits über 49 Millionen Euro- päer und 40 Millionen US-Amerikaner bekennen (f&h 2007): „Aus Müslis werden Marktführer, aus Alternativen werden Avantgardisten. Doch dieses Mal sind die neuen Ökos keine grimmig dreinschauenden Weltverbesserer. Es ist ein zukunftsoffenes, lebensbejahendes Drittel unserer Gesellschaft, das in den nächsten Jahren aller Wahrscheinlichkeit nach die Mehrheit unserer Gesellschaft ausmachen wird; keine herkömmliche Zielgruppe, sondern eine

(26)

Bewegung mit starkem Einfluss auf Konsum und Werteentwicklung in unserer Gesellschaft“ (Wenzel/Rauch/Kirig 2007, 6/7).

Als Konsumenten ziehen die nachhaltig orientierten LOHAS-Anhänger authentische, möglichst handwerklich hergestellte Qualität industrieller Discounterware vor und lehnen unethische Produkte ab. Sie sehen keinen Widerspruch, sondern sinnvolles Zukunftspotential in der Verbindung von High Tech und Ökologie und achten beim Konsum strikt auf Nachhaltigkeit.

Sie verweigern sich der alten dualistischen Denktradition, die Sinne und Seele als Gegensatzpaar definierte und sie sogar als unvereinbar gegeneinander ausspielte. Ebenso kommen für sie Gesundheit und Genuss endlich zur De- ckung. Die überkommene Vorstellung, dass man sich zwischen leistungsorien- tierter Fitness und leiblichen Freuden, zwischen Wohlbefinden und Wohlleben entscheiden muss und nicht beides auf einmal haben kann, wird als widerlegt erkannt und zurückgewiesen.

Gleichzeitig wächst nicht nur bei der Zielgruppe LOHAS, sondern auch ganz allgemein die Bereitschaft, Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen und in sie zu investieren. „Zwei Drittel aller Deutschen nehmen einmal pro Jahr eine komplementäre Therapie in Anspruch und investieren dafür rund neun Milliarden Euro“, melden die Privaten Krankenkassen im Januar 2010 – und merken zugleich an, dass Deutschland damit weit hinter anderen europäischen Ländern rangiert. Es gibt also noch einiges Entwick- lungspotential.

Es gibt aber bedauerlicherweise auch viele Fehlentwicklungsrisiken. Zu den sonstigen Gesundheitsinvestitionen gehören unter anderem auch die Aufwen- dungen im so genannten zweiten Gesundheitsmarkt Wellness, der den Deut- schen jährlich rund 73 Milliarden Euro wert ist. In dieser Zahl sind leider nicht nur sinnvolle Kuren, Maßnahmen und Produkte erfasst, sondern auch der Kauf sinnloser Konsumartikel von der wirkungslosen Nahrungsergänzung bis zum Wellness-Raumschmuck mit noch nicht einmal zweifelhaftem Nutzen.

Weitere bedeutende Märkte im Healthcare-Sektor stellen gesundheitsbezo- gene Dienstleistungen und Konsumangebote im Business-Bereich sowie rund ums spirituelle Wohlbefinden dar. Es gibt in beiden Bereichen seriöse Anbieter und ausgezeichnete Berater. Doch kommerzielle, zum Teil nicht oder ungenü- gend qualifizierte „Experten“ durchsetzen sehr stark den Beratungsmarkt. Mit dubiosen Coachingangeboten, Persönlichkeitstrainings, mentaler Fitness und dergleichen mehr richten sie bestenfalls nichts aus und schlimmstenfalls Schaden an. „Der Beratungs- und Coachingboom hat dazu geführt, dass es auf

(27)

diesem Gebiet viele schwarze Schafe gibt, Anbieter, die über keine fachlichen Qualifikationen verfügen und mit überzogenen Versprechungen werben“, warnt die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. Sie tragen dazu bei, Symptome und Probleme zu überdecken statt zu lösen und machen den qualifizierten Coaching- und Therapieangeboten Konkurrenz. Solch unredliche Persönlichkeitsberater führen unter dem Vorwand der Unterstüt- zung von Selbstfindungs- und Gesundungsprozessen oft erst recht in eine narzisstische Selbstbezogenheit oder „selfness“, die die Erschließung innerer Ressourcen verhindert – aber den Anbietern die finanziellen Ressourcen der Klienten erschließt.

Ebenso warnt die Zentralstelle immer wieder vor spirituellem Kommerz.

Der gewerbliche Esoterik-Markt boomt seit den Siebzigern kontinuierlich (Umsatz laut esowatch: 10 Milliarden Euro) und zieht ebenfalls Heilung, Rat und Hilfe Suchende von kompetenten Therapeuten ab.

Das ernsthafte, ehrliche Glücksstreben der Menschen wird hier jeweils auf Ersatzbefriedigungen umgelenkt: „happiness economics“ statt des Echten und Wahren und echter Waren. Man muss Bedauern verspüren, wenn man be- trachtet, welche Unsummen in wirkungslose Wellness, inkompetentes Consul- ting und ineffektive esoterische Heilsangebote fehlinvestiert werden. (Und es gibt vermutlich sogar noch eine hohe Dunkelziffer.) Doch sollten kritische Bewertung und das Mitgefühl mit den Düpierten oder gar Geschädigten uns nicht hindern, diese Situation zugleich auch ganz neutral als potentiellen Markt zu identifizieren, in dem sich mit besseren, qualifizierteren Angeboten gegen die Geschäftemacher durchzusetzen eine sinnvolle Aufgabe und ein verdienstvolles Anliegen wäre.

Die Trendbeobachtungen haben uns hierzu einige Hinweise und Daten ge- liefert. Sie können insbesondere dann Impulse geben, wenn es darum geht, Leistungsangebote außerhalb von Kliniken, großen Praxen oder Institutionen auf dem freien Markt zu etablieren.

Wie eingangs zusammengefasst, ist – grob gesagt – die allgemeine Befind- lichkeit dergestalt, dass es einen großen Bedarf gibt an heilenden und beglei- tenden kreativen Angeboten. Ebenso zum Beispiel an therapeutischer Unter- stützung bei der beruflichen Zielfindung oder der Bewältigung von Ängsten und Lebensveränderungen, die wirtschaftlicher und demografischer Wandel heutzutage verstärkt mit sich bringen. „In dem Augenblick, in dem ein Mensch den Sinn und den Wert des Lebens bezweifelt, ist er krank“, sagt Freud. Viel zu oft wird noch immer der Krankheitswert eines Sinndefizits

(28)

verkannt, heruntergespielt oder werden die Symptome durch Ersatzbefriedi- gungen niedergehalten. Dabei zeigen die Trendanalysen recht gut, welche heilsamen Angebote willkommen sind: „Beheimatung“, Sinn- und Selbstfin- dung und Identitätsgewinn, Geborgenheit, Geselligkeit und Gemeinschaft, Nähe statt nur Normen für Lebensformen, biografische und berufliche Orien- tierung, Zugang zu sozialen, gesundheitlichen und emotionalen Ressourcen, Einklang von Gesundheit und Genuss, Nachhaltigkeit, Wachstumsimpulse für Sinne und Seele.

Vielfach vertrauen sich jedoch Betroffene, die (im weitesten Sinne) „thera- peutischen“ Bedarf unterhalb der Schwelle einer klinisch manifesten seelischen Erkrankung haben, aus Unkenntnis in solchen Fällen Trainern oder Ratgebern mit unzureichenden oder ungeeigneten Qualifikationen an. Bei einer gut ausgebildeten Fachkraft mit ausgewiesenen kunsttherapeutischen Kompeten- zen wären sie weit besser aufgehoben gewesen und hätten wirklich Hilfe erfahren können.

Daher könnte es auch interessant und aussichtsreich sein, diese Kompeten- zen verstärkt in Bereiche einzubringen, die bislang Beratungsangeboten aus dem Business-, Lifestyle- oder Lebenshilfesektor vorbehalten waren. Inzwi- schen werden beispielsweise bereits Synthesen von kreativtherapeutischen Verfahren und Coaching vereinzelt angeboten. Doch besteht hier noch einiges Entwicklungspotential für Angebote mit integriertem Methodenansatz. Krea- tivtherapie könnte unter anderem etwa hilfreiche Beiträge zur Gestaltung der Life Domains Balance von Führungskräften leisten und sich hervorragend in der Unternehmensberatung bewähren.

Wichtig sind aber nicht nur die Qualifikation und die Ausrichtung auf ein Beratungsfachgebiet, sondern auch die Kommunikation. Gerade wenn das

„Wettbewerbsumfeld“ eng besetzt ist, gilt es, im Rahmen der für Heilberufe erlaubten Kommunikationsmöglichkeiten überzeugend auf sein Angebot aufmerksam zu machen. Auch hierfür lässt sich aus den aktuellen Trends einiges ableiten. Der Trend zur Regionalkultur ist beispielsweise eine Chance, Kooperationen mit Fachkolleginnen und -kollegen zu initiieren, um gemein- same regionale Auftritte zu organisieren. Dies könnte etwa ein Forum sein, eine Informationsausstellung oder „Tagung“ fürs interessierte Publikum, idealerweise im Kontext eines Events von allgemeinem Interesse, das Anzie- hungskraft besitzt und thematisch passt. Auch Clubgründungen können in die gleiche Richtung zielen. Auf Regionalebene die Öffentlichkeit zu erreichen,

(29)

sichert Bekanntheit im Zielgebiet und stärkt das Image des fachlichen Ansatzes und Anspruchs, für den man einsteht.

Wichtig ist, Präsenz und Kompetenz zu signalisieren, sich zu vernetzen, professionell zu kommunizieren, den eigenen Qualitätsmaßstab und Qualifika- tionsvorsprung zu vermitteln. Das gilt insbesondere auch für die Kommunika- tionsinstrumente. Verhalten oder gar nicht gestaltete Hand-outs und Faltblät- ter, preiswert produzierte Flyer aus dem Copyshop sind weit verbreitet, aber unwirksam, wenn nicht sogar nachteilig für Wahrnehmung und Image. Sie richten viel zu wenig aus im Umfeld und seinen zum Teil sehr ausgefeilten Werbemitteln. Es lohnt sich, in klares, wiedererkennbares und wertiges Cor- porate Design und eine durchdachte Zielgruppen- bzw. Patientenansprache zu investieren. Um als Autorität Paul Watzlawick zu zitieren: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Also macht man es am besten professionell.

Literaturverzeichnis

BUNDESINSTITUT FÜR BEVÖLKERUNGSFORSCHUNG (Hrsg.) (2005). Einstellungen zu demographischen Trends und zu bevölkerungsrelevanten Politiken. Ergebnisse der Population Policy Acceptance Study in Deutschland. Sonderheft der Schriftenreihe des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung. Wiesbaden.

F&H (2007): Presseinformation „Neue Studie belegt: Europäer verhalten sich umweltbe- wusster als Amerikaner“. 31. Oktober 2007.

HARTMANN,KATHRIN (2009): Ende der Märchenstunde: Wie die Industrie die LOHAS und Lifestyle-Ökos vereinnahmt. München: Blessing.

SIGRIST,STEPHAN (2006). Zukunftsperspektiven des Gesundheitsmarkts. Kostenfaktor und Wachstumschance. Bern: Gottlieb Duttweiler Institut.

SLOTERDIJK,PETER (1987). Der Zauberbaum. Die Entstehung der Psychoanalyse im Jahr 1785. Ein epischer Versuch zur Philosophie der Psychologie. Frankfurt a. Main:

Suhrkamp.

SPRETI,FLORA VON/MARTIUS,PHILIPP/FÖRSTL,HANS (Hrsg.) (2005): Kunsttherapie bei psychischen Störungen. München: Elsevier – Urban & Fischer.

ULLRICH,KERSTIN/WENGER,CHRISTIAN (2008). Vision 2017. Was Menschen morgen bewegt. München: Redline.

WENZEL,EIKE/RAUCH,CHRISTIAN/KIRIG,ANJA (2007). Zielgruppe LOHAS. Wie der grüne Lifestyle Märkte verändert. Kelkheim: Zukunftsinstitut Verlag.

WICHELHAUS,BARBARA (2002). „Kunsttherapie“. In: FENGLER,JÜRGEN (Hrsg.): Hand- buch der Suchtbehandlung: Beratung – Therapie – Prävention. Landsberg, Lech:

ecomed.

(30)

Links

http://news.private-krankenversicherung.de/gesundheit/komplementaermedizin-nicht- im-gkv-leistungskatalog-%E2%80%93-lohnt-eine-private-zusatzversicherung/

332858.html

www.franchise-net.de/fuer-existenzgruender/know-how/erfolgreiche-franchise- branchen/wellness-beauty/.

www.trendwatching.com www.zukunftsinstitut.de www.kondratieff.net www.trendbuero.de www.dieGesellschafter.de

www.opaschowski.de/thesen-und-prognosen.html www.esowatch.com/ge/index.php?title=Esoterikmarkt www.agpf.de / www.agpf.de/Zahlen.htm

www.ekd.de/ezw/42787_40601.php

www.bib-demographie.de/nn_750440/SharedDocs/Publikationen/DE/Download/

Broschueren/ppas__2005.html

www.shell.de/home/content/deu/aboutshell/our_commitment/shell_youth_study/2006/

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die Beiträge des Bandes beleuchten den mehrdeutigen Begriff der Kultur aus der Perspektive verschiedenster Wissenschaftsdisziplinen, stellen die differen- ten Verständnisse

Damit kann kritisch überprüft werden, ob die richtigen Maßnahmen geplant werden (wie etwa Straßen), Projekte so ausgestaltet werden, dass sie gerade diese

Leopold Lucas – the founder of the Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums, who worked at the Hochschule für die Wissenschaft des Juden-.?. Die Entstehung des

Art. sieht im Vorfeld der Beschlußfassung Verhandlungen unter den Mitgliedstaaten vor, so daß keine Übertragung von Zuständigkei- ten an die Gemeinschaft selbst erfolgt. 7 I

Dies ist das große Erbe, das uns der Brandt-Report hinterlässt: die Erkenntnis, dass die Zukunft der Welt und der menschlichen Gesellschaft (endlich auch) aus einer

Aber nicht nur das: Hypnose wird heute auch mit Erfolg in der Krebstherapie eingesetzt, unter anderem, um Ängste zu lindern, Schmerzen zu reduzieren und die Nebenwirkungen einer

DER BUND NATURSCHUTZ FORDERT IN EINEM BRIEF DIE SIEMENS AG AUF, SICH FÜR DEN KLIMASCHUTZ UND EINE ZUKUNFTSFÄHIGE ENERGIEWENDE MIT STARKEN ERNEUERBAREN ENERGIEN

Für Nahrungsergänzungs- mittel reicht eine Anzeige beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit.. Protina ging mit seinen Basica®-Produkten aber einen