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DEUTSCHE INDIEN-BERICHTE DER FRÜHEN NEUZEIT.
ÜBERLEGUNGEN ZU GENESE UND GEHALT DES
DEUTSCHEN INDIENBILDES (Resümee)
Von Gita Dharampal, Regensburg
Historische Existenz und kulturwissenschaftlicher Wert der empiri¬
schen Indien-Berichte des 16. bis 18. Jh.s, die eine Vorstufe der Indologie
darstellen, sind bis jetzt fast übersehen worden. Im Wege ihrer Erfor¬
schung war daher eine gründliche archivalische Erschließung der Druck¬
werke und des hs. Materials unabdingbar. (Eine Bibliographie von ca. 350
gedruckten Werken erscheint in der ZDMG 1984.) Die Verfasser des Mate¬
rials unterteilen sich in weltliche (Seefahrer, Kaufleute, Militärs,
Gesandte, Privatreisende, Gelehrte u.a.) und geistliche (Missionare,
überw. Jesuiten und Lutheraner) Autoren; inhaltlich und im stüistischen
Duktus läßt sich zwischen narrativ-deskriptiven Berichten und quasi „vds-
senschaftlichen" Abhandlungen unterscheiden. Zu Beginn des dt. Kon¬
takts mit Indien wirken die Informationen punktuell und wenig systema¬
tisch, z. B. in Hans Schiltbergers Reisen in Europa, Asia und Afrika (Anfang
des 15. Jh.s); Balthasar Sprengers ausführlicher Augenzeugenbericht von
der Malabarküste (Merfarl, 1509) bleibt für das ganze 16. Jh. ein dt. Son¬
derfall im Kontext des portug. Informationsmonopols. Mit dem Eintritt dt.
Kaufleute und Soldaten in die holl. Verenigde Oostindische Companie
steigt die Zahl deutschsprachiger Veröffentlichungen über Indien im
17. Jh. steil an. Wirtschaftliche Beobachtungen über die Küstemegionen
treten in den Vordergrund; die Beschreibung der ind. Gesellschaft bleibt
infolge des nur kurzfristigen Kontakts mit der einheimischen Bevölkerung
oberflächlich, vor allem unterliegt die Beurteilung politischer Verhältnisse - auch bedingt durch die koloniale Konstellation - starken Schwankungen.
- Privatreisende wie Mandelslo, Andersen, Poser oder Gelehrte wie Bondt
oder Kaempfer liefem detailliertere Auskünfte über ind. Geographie,
Gesellschafts- und Herrschaftsformen bzw. über Arzneikunde und Botanik.
- Von Seiten der Jesuiten hegen früh astronomische Werke vor (u. a. Kir-
witzer und Schall von Bell, 1620); aufgmnd intensiver Beschäftigung mit
mündlichen und schriftlichen Zeugnissen entstehen sprach- und religions¬
wissenschaftliche Abhandlungen, die teils berühmt werden (Roth, Kircher,
Hanxleden), großenteils aber bis heute unbekannt bleiben. - Unter den
Beiträgen lutherani scher Provenienz sind Bartholomäus Ziegenbalgs
Arbeiten über Kultur, Religion und Sprache Südindiens z.T. bekannt; wei¬
tere Leistungen von hohem Niveau stellen u.a. die medizinischen For¬
schungen J. E. Gründlers, die philosophisch-kulturhistorischen Arbeiten
Ch. Th. Walthers (veröffentlicht durch den Petersburger Gelehrten
ITi. S. Bayer, 1738) sowie linguistische Werke von B. Schultze (Telegu)
und P. Fabricius (Tamil) dar.
In der Analyse des Materialkorpus sind Konstanz bzw. Varianz der The¬
men im Untersuchungszeitraum aufzuklären, desgleichen individuelle und
kontextuelle Gründe für Präferenz und Auswahl von Aspekten der ind. Kul-
Genese und Gehalt des deutschen Indienbildes 297
tur sowie Darstellungs- und Beschreibungstechniken (z. B. Frage des Exo¬
tismus; Übernahme antiker, durch das Mittelalter tradierter Indien-Topoi,
häufig wirksam unterstützt durch Illustrationen von exot. Fabelwesen etc.;
Darstellung Indiens als Wunderland; Vergleiche, Kontrastierungen und
Parallelisierungen mit europ. Verhältnissen; publikumsbezogene Erzähl¬
strategien). Daß Deutschland nicht direkt an den kolonialen Aktivitäten
der europ. Mächte in Indien beteiligt war, mag dabei eine weniger voreinge¬
nommene Sichtweise der dt. Indienreisenden begünstigt haben. - Zu zei¬
gen ist, wie durch wertende Bezugnahme auf ein christliches Weltbild und
durch Klassifikation nach asymmetrischen Gegenbegriffen (Christen/Hei¬
den; Heil/Sünde) Verzeichnungen der hinduistischen Welt entstehen;
daneben finden sich aber Ansätze zu einer vergleichenden Religionswissen¬
schaft, die den Hinduismus korreliert mit Phänomenen der ägypt., griech.
oder jüd. Religion. - In der Untersuchung der Rezeption bzw. Nicht-Rezep¬
tion (Zensur, Unterdrückung) des Materials soll außer nach seiner zeitge¬
nössischen Verbreitung und Wirkung auch nach der späteren Wirkungsge¬
schichte, insbesondere nach Differenzen und Kontinuitäten im Verhältnis
zur Indologie des 19. Jh.s gefragt werden.
FACHGRUPPE 9: BUDDHISMUS-FORSCHUNG
Leitung: Oskar von Hinüber, Freiburg
ZUR TIBETISCHEN ÜBERLIEFERUNG DER
AÖOKALEGENDE
Von Adelheid Mette, München
In dem Bemühen, die Entwicklung und Verzweigung der Aäokalegende
zu rekonstruieren, hatte schon J. Przyluski in seiner Abhandlung über
La legende de l'empereur A^oka, Paris 1923, auch das Werk des Täranätha
über die Geschichte des indischen Buddhismus mit in Betracht gezogen.
Täranätha, der zu Anfang des 17. Jahrhunderts zusammenfaßte, was er
über die Epoche des Asoka und vor allem natürlich, was er über Asoka als
Förderer des Buddhismus hatte ermitteln können, ist unter den uns
bekannten tibetischen Historikem der einzige, der Aöoka eingehend
gewürdigt hat'. Er hat auch die Quellen zu diesem speziellen Abschnitt sei¬
nes rGya gar chos 'byun genannt, und es mag nicht überflüssig sein, seinen
Angaben, über die von Przyluski (a.a.O. S. 99-105) dazu geäußerten
Vermutungen hinaus, einige Aufmerksamkeit zu widmen. Der Text hat fol¬
genden Wortlaut (S. 32,19-33,3 ed. Schiefner):
Sa dban bzan pos byas pa'i gtam rgyud kyi yi ge na 'di'i lo rgyus kyi go rim bsgrigs pa tsam snari la /
nan thos kyi sde snod dan. 'brel ba la
(1) Mya nan med kyi rtogs brjod /
(2) Mya nan med btul ba'i rtogs brjod /
(3) Mya rmn med kyis kiu btul ba'i rtogs brjod /
(4) mchod rten gyi rtogs brjod /
(5) dus ston gyi rtogs brjod /
(6) gser phul ba'i rtogs brjod de dmg dan, /
(7) Ku na la'i rtogs brjod de bdun yod pa'i gnis pa dan bdunpa Bod du 'gyur
la /
gzan rnams kyi rGya dpe yan, kho bos mthon zin, /
gser phul ba sogs gtam rgyud ci rigspa dpag bsam 'khri sin na yan yod do //
' S. 20, 16-40, 18 der Ausgabe von A. Schiefneb: Täranäthae de doctrinae
bnddhicae in India propagatione narratio. St. Petersburg 1868; dazu Schiefners Übersetzung: Täranätha's Geschichte des Buddhismus in Indien. St. Petersburg 1869, S. 26-50.