Das Ritual des Saptapadi 371
daß darum die Frage, ob die Arier bereits in der Zeit, als die Bücher 1-9 des R V
verfaßt wurden, von der Existenz des Meeres wußten, nicht automatisch zu
vemeinen ist. Vielleicht lassen sich die Vorstellungen über den mythischen
Weltenstrom Rasa für eine solche Kenntnis geltend machen''.
DAS RITUAL DES' SAPTAPADI
Von Wemer F. Menski, London
Mit nicht wenig Genugtuung mag der Indologe feststellen, daß rituelles
Spezialwissen aus seinem Fach auch heute noch großes Interesse findet, und
sogar in recht relevanten und wichdgen Alltagssituationen: Vor kurzem mußte
ein Richter am High Court in London sich mühselig durch einen Stapel von 80
Hochzeitsphotographien eines indischen Ehepaares hindurcharbeiten, um zu
ermitteln, ob dies Ehepaar nun rechtskräftig verheiratet sei oder nicht. Der Mann behauptete, sich nur verlobt zu haben, während die junge Frau zu beweisen such¬
te, daß ein vollständiges Hinduhochzeitsritual ausgeführt worden sei, und zu
diesem Zweck eben ihr Photoalbum vorlegte.
Beide Partner waren Ksatriya Hindus aus dem Panjab. Weil die Photos kei¬
nen Hinweis auf das Saptapadi-Ritual enthielten, tauchte die Frage auf, ob es sich
überhaupt um eine rechtskräftige Zeremonie handeln könnte. Nach Paragraph 7
des indischen Hindu Marriage Act, 1955 erscheint es auf den ersten Blick, daß
ein saptapadi unbedingt in einem Hochzeitsritual enthalten sein muß:
„7. Ceremonies for a Hindu Marriage.
(1) A Hindu marriage may be solemnized in accordance widi the customary rites and ceremonies of either party thereto.
(2) Where such rites and ceremonies include the Saptapadi (Üiat is, the talcing of seven steps by the bridegroom and the bride joindy before the sacred fire), the marriage becomes complete and binding when the seventh step is taken".
51 Vgl. etwa 9,41,2; 10,121,4.
1 Es wurde auf der Tagung eingewandt, daß saptapadi als Femininum hier ,der' nötig macht, doch scheint mir der terminus technicus des Rituals hinreichend geläufig zu sein, so daß man ihn als NeuUnam behandeln kann.
Anhand dieses (und anderer) Gerichtsfälle in England^ stellten sich nun folgende Fragen:
1. Was ist ein saptapadi und welches sind die Erscheinungsformen dieses
Rituals?
2. Wie ist dies Ritual entstanden bzw. wie hat es sich weiterentwickelt?
3. Welche Funktion oder Funktionen hat dies Ritual?
Da es bei diesen Fragen auch um die Tradierung gewohnheitsrechtlicher
Normen geht, sollten wir sie im Kontext kulmreller Kondnuität betrachten. Das
Prinzip der kulturellen Kontinuität bedeutet jedoch nicht, daß wir im Detail
absolute Übereinstimmung sowie strukturelle und funktionale Identität in ver¬
schiedenen historischen Epochen oder sogar in Literamrschichten ein und der¬
selben Klasse vorfinden müssen. Vielmehr zeigen sich im Rahmen dieser Kon¬
tinuität, wie so oft in Hinduangelegenheiten, ben-ächtiiche Abweichungen auf
lokaler Ebene, also je nach Region, Kaste und priesterlichem oder Schuleinfiuß, die sich auch in der uns überlieferten Literatur niederschlagen. Professor Hee¬
sterman wies in seinem Vortrag bereits auf den kontinuierlichen Prozeß des
,/ecycling" hin, der Wiederverwendung ritueller Bruch- und Versatzstücke. Der
gleiche Prozeß ist in anderen Zusammenhängen beobachtet worden'. Wir
können das Ritual des saptapadi als ein gutes Beispiel nehmen, um die kom¬
plizierten Prozesse ritueller und kultureUer Verflechtungen und Transmigra¬
tionen im alten wie im neuen Indien aufzuzeigen.
Zur Frage, was ein saptapadi ist, hat die traditionelle Indologie allem An¬
schein nach die Antwort parat, daß es sich um ein Ritual handelt, in dem sieben
Schritte ausgeführt werden''. Über diesen Punkt wenigstens, soweit ich sehe,
besteht keine Unklarheit. Demnach könnten all jene Rituale, die sieben Schritte in dieser oder jener Form enthalten, als ra/jfopadl bezeichnet werden. Umgekehrt
dürfte eine rituelle Abfolge von weniger oder mehr als sieben Schritten oder
Stufen nicht als saptapadi gelten. Die Wörterbücher scheinen dem zuzustimmen.
Cappeller's Sanskrit-Wörterbuch, S. 474 mier saptapad „üeb&n Schritte thu- end; abgeschlossen, besiegelt" macht in dieser knappen Form nichts falsch, sagt
uns aber auch nichts weiter über die Erscheinungsformen des Rituals. An
gleicher Stelle bei Monier-Wilhams, Sanskrit-English Dictionary, S. 1149
erfahren wir mehr:
2 Die Unsicherheit ist genauso groß in Indien; siehe dazu besonders das Ende dieses Beitrages.
3 Siehe z.B. Deussen, Paul: Die Philosophie der Upanishad's. Leipzig 1920, S. 107-114.
4 Siehe vor allem Wintemitz, Moritz von: Das altindische Hochzeitsrituell. Wien 1892, S. 4, 18 und anderswo.
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„Making 7 steps (round the sacred fire for the conclusion of the marriage ceremony or for the ratificauon of a treaty); ratified, sealed".
Unter saptapadi (ebd.) finden wir „The 7 steps (round the sacred fire at the marriage ceremony)". Wir sollten schon hier anmerken, daß im HinduMarriage
Act nicht unbedingt von Feuerumwandlung ausgegangen wird. Ist also das, was
wir bei Monier-Williams und anderen finden, korrekt und vollständig? Allem
Anschein nach hat das saptapadi mindestens zwei Grundformen der Ritua¬
lisierung, und es hat wohl auch zwei Funktionen: einmal als Ritual im Rahmen
der Eheschließung, und dann als eine ritualisierte und dramatisierte Form der
altindischen Vertragsschließung, wie schon von Haas' und Wintemitz {op.cit.)
im vorigen Jahrhundert beobachtet, aber nicht weiter analysiert. Dürfen wir nun
annehmen, daß diese beiden Funktionen des saptapadi und ihre Ritualisierung in
irgendwelcher Weise voneinander abhängig sind? Ist etwa eines aus dem ande¬
ren hervorgegangen?
Wenden wir uns ganz kurz dem saptapadi der Vertragsschließung zu. Vor
allem aus den beiden großen Epen finden wir Belege, daß zwei Männer, die
feierlich ein Bündnis schließen, z.B. Räma und Sugriva im Rämäyana, dies
durch Umwandlung des Feuers, also unter Hinzuziehung des göttlichen Zeugen
Agni, dramatisieren. Es wäre von Interesse zu untersuchen, wie diese Um¬
wandlungvollzogen wurde, besonders im Hinblick auf die Verwendung ritueller
Verse; dieser Frage muß an anderer Stelle nachgegangen werden.
In Rgveda 10.85 und Atharvaveda 14 suchen wir vergeblich nach dem
saptapadl&ls Hochzeitsritual. In einem der ältesten Grhyasutren finden wirdann aber eine ganz erstaunliche Variante dieses Rituals, die uns Hinweise darauf zu liefem scheint, daß und wie das alündische Ritual der Vertragsschließung
allmählich zu einem Bestandteil vieler Hochzeitsrituale wurde. Schließlich ist
eine Hinduhochzeit, auch wenn wir die Idee des Sakraments {sarnskärä) betonen
und herausheben*, doch auch ein Vertrag. Dies nun könnte in dreierlei Weise
zum Ausdmck gebracht und ritualisiert werden:
1. Sehen wir die Hochzeit als Bündnis zwischen zwei Familien an, könnten
durchaus die beiden Familienoberhäupter oder ihre Stellvertreter im Ritual
die Vemagsschheßung vomehmen, also gemeinsam die rituellen Schritte
tun. Daß dies geschah ist uns, soweit ich bisher sehe, jedoch nicht belegt. Bei
Hochzeiten im Panjab aber taucht ein verwandtes Element auf Beim Ein¬
treffen des Bräuügams in feierlicher Prozession {bärät) bekränzen und
5 }i£äs,E.: Die HeiraihsgebräuchederaltenlndernachdenGrihyasütra.ln:W^cbeT,A.{t{isg.):
Indische Siuäien, Berlin 1862, Bd. V, S. 267^12.
6 Siehezum Beispiel: Derrett,J.D.M.:„Thediscussion of marriage by Gadädhara". In: Denett, J.D.M. (ed.): Essays in classical and modern Hindu law. Vol. I, Leiden 1976, S. 303-332.
umarmen sich jeweils die korrespondierenden Mitglieder beider Familien, erst die Männer, dann die Frauen, manchmal nur die Männer. Dies gilt heute
als Willkommensritual, das wohl vorrangig die Verbindung und Verbun¬
denheit zwischen den beiden Familien ausdrücken soll, und es wird milnV
genannt, also wohl „Verbindung, Allianz". Ob sich die Ursprünge dieses
Rituals auf eine altindische Form der Vertragsschließung zurückführen las¬
sen, möchte ich demnächst genauer untersuchen. Denn es ist bemerkens¬
wert, daß oft bei Panjabi Hindus wohl dies m/7nf-Ritual, aber dann später kein saptapadi ausgeführt wird; das milnl ist mir bisher nur aus dem Panjab bekannt.
2. Man könnte sich vorstellen, daß der Vater der Braut und der Bräutigam ge¬
meinsam einen Vertrag schließen. Etwas Ähnliches geschieht in der Tat
wohl im Baudhäyanagrhyasütra, das wir weiter unten behandeln.
3. Braut und Bräungam können selbst die Vertragspartner sein, und wir sehen
in den späteren Grhyasutren in der Tat, daß das Ritual des sapfapodf dahin¬
gehend modifiziert wird, daß nun ein Mann und eine Frau dies Bündnis
schließen. Diese Form des saptapadi dramatisiert dann in der Tat die Bezie¬
hungen zwischen den Brautieuten.
Wenden wir uns nun dem Baudhäyanagrhyasütra (BaudhGS) zu; wie schon
Wintemitz' auffiel, beginnt dieser Text die Hochzeitsrituale mit dem saptapadi, während die anderen Ritualtexte, mit der Ausnahme des Apastambagrhyasüü-a
(ÄpGS), es am Ende des Rituals einsetzen. Wamm nun? Eine genaue Analyse
des Textes, es ist BaudhGS 1.1.26-29, hat ergeben', daß hier der Brautvater die
Braut zum Hochzeitsfeuer hinführt (devayajanam udänayati), und zwar in
Anwesenheit des Bräutigams und seiner Familie, die wohl auf der anderen Seite
des Feuers sitzen. Zu dieser ritueUen Handlung des Hinführens zum Feuer nun
werden dieselben sieben Verse gesprochen, die in den übrigen Grhyasütren ein
anderes saptapadl-Riim\ begleiten. Ob im BaudhGS die Braut in sieben
Schritten zum Feuer geführt wird, geht aus dem Text nicht eindeutig hervor, ist jedoch möglich. Nun handelt es sich hier aber offensichtlich um eine rituelle
Variante des kanyädäna, also des Rituals, in dem die Braut dem Bräutigam bzw.
seiner Familie übergeben wid. Wintemitz erwähnt in seiner Abhandlung das
kanyädäna überhaupt nicht, und begnügt sich mit dem Hinweis, daß das
BaudhGS „merkwürdigerweise mit den sieben Schritten beginnt"'". Etwas
7 Chaturvedi, Mahendra und Bhola Naüi Tiwari: A practical Hindi-English dictionary. Delhi 1975, S. 599 s.v. milnä und milni wird fälschlicherweise der Eindruck erweckt, daß dies allgemeiner Bestandteil der Hinduhochzeit ist.
8 Wintemiu, op.cit., S. 4, 18 und folgende.
9 Für Details muß ich hier verweisen auf: Menski, W.F.: Role and ritual in the Hindu marriage.
(Unveröffendichte Ph.D. dissertation, London 1984), S. 584 ff 10 Wintemiu, op.cit., S. 18.
Das Ritual des Saptapadi 375
später sieht er es als „höchst auffällig, dass Äpastamba und namentlich Bau-
dhäyana sie an den Anfang rücken"". Wintemitz, wie gesagt, begnügte sich mit
diesen Feststellungen, und so ist es bisher unerklärt geblieben, wamm das
saptapadi in zwei Ritualtexten schon so früh im Verlauf der Hochzeitsrituale auftaucht, während alle anderen Texte es deudich ans Ende des Hochzeitsrituals setzen.
Es scheint nun, daß die Rituahsiemng des saptapadi im BaudhGS entwick-
lungsgeschichdich gesehen eine rituelle Ubergangsform darstellt. Sie lehnt sich
stark an das rituelle Modell der ahindischen Vertragsschließung an, indem die
feierliche Siebenzahl der Schritte übemommen wird, verändert aber die Rituah¬
siemng dahingehend, daß keine Umwandlung des Feuers stattfindet, sondem die
Schritte in gerader Linie ausgeführt werden. Gleichzeidg hat die Funktion des
Rituals eine Verändemng erfahren: im Text wird jetzt betont, statt der Vertrags¬
schließung, der rituelle Prozess der Ausstattung der Braut mit positiven Ei¬
genschaften. Dies zeigt sich besonders deutlich, wenn wir uns den rituellen Kon¬
text dieses saptapadi ein wenig genauer ansehen.
Zunächst finden wu in BaudhGS 1.1.26-29 ein Ritual, in dem der Brautvater oder ein Priester mit der Hilfe von darbha - Gras die zerfleischenden magischen Gefahren, die vom jungfräulichen Blut ausgehen könnten", beseitigt, indem er
das Gras wegwirft und Wasser berührt. Dann nimmt er die Braut bei der Hand
und sagt: „/nitro'si ", „Du bist ein Freund", also „ein freundlich gesonnenes, ver¬
bündetes Wesen". Und dann führt er sie, wie schon erwähnt, zum Feuer hin,
devayajanam, in sieben Schritten wohl, zu denen die entsprechenden mantras
gesprochen werden. Beim siebenten Schritt nun, der für die sieben Hoträs
ausgeführt wird, schließt sich ein langer Vers an, der sakhäsi beginnt, also
wiedemm „Du bist ein Freund", aber doch in anderer Terminologie. Es ist mög¬
lich, daß der Terminus mitra hier noch dem alten Modell der Vertragsschließung
entnommen ist, während nun der Terminus sakhä, auch sakhioätv sakhi l^enutzt
wird, um die Erwartungen im Kontext der Hochzeitsrituale auszudrücken ''. Eine Deutung als „Lebensgefährtin" erscheint mir durchaus angemessen.
Drei Aspekte sind demnach besonders hervorzuheben bei der Rituahsiemng des saptapadi im BaudhGS:
1. Daß hier gar keine Umwandlung des Feuers beim saptapadi stattfindet, wie
uns die Wörterbücher vorschlagen. Die Erklärung ist gar nicht so schwierig:
seit RV 10.85.41 und AV 14.2.4 haben wir wohl doch Hinweise auf ein
Ritual der drei-oder viermaligen Umschreitung des Feuers als festen Be¬
standteil der Hinduhochzeit, und sicherlich ist dies der Fall in den Grhya-
11 Ebd.
12 Siehe dazu schon RV 10.85.34.
13 Der ,neue' Terminus ist häufig im R V anzuUeffen, kommt aber in R V 10,85 selbst nicht vor.
sütren, die alle ein agniparinayana oder agniparikramana haben, wobei einer
der beiden Ehepartner den anderen um das Feuer herumführt. Das rituelle
Modell hierfür könnte durchaus der altindischen Vertragsschließung
entnommen sein, wobei jedoch die Frage nach der Anzahl der Umwand¬
lungen offenbleibt. Wollte man nun aber ein weiteres Hochzeitsritual
einführen, in dem die saptapadi -mantras eine wesentliche Rolle spielen, so
konnte man diese wohl nicht in einer weiteren Abfolge von Feuerum¬
wandlungen dramatisieren. Die bedeutende rituelle Innovation im BaudhGS
ist demnach, daß man die sieben Schritte in linearer Abfolge ausführt.
2. Die rituelle Innovation, daß hier ein Mann mit einer Frau zusammen, also der Brautvater (oder gar der Priester?) mit der Braut das Ritual vollzieht. Doch wird hier wohl allem Anschein nach nicht ein Vertrag zwischen Brautführer und Braut geschlossen, sondem die Braut wird der Familie des Bräutigams,
oder ihm selbst, buchstäblich nähergebracht. Man könnte das Hinführen der
Braut immer noch als Vertrag zwischen zwei Männern deuten, in dem die
Braut wenig mehr als Objekt des Vertrages ist, aber diese Interpretation wäre
allenfalls für die Zwischenstufe des BaudhGS zulässig, weil wir nur hier
kanyädanä und saptapadi in dieser Kombination fmden.
3. Wie aus dem Vorhergehenden bereits deutlich geworden ist, zeichnet sich
hier ein allmählicher Funktionswandel des saptapadi-Riin&Xs ab. Das Ele¬
ment der Vertragsschließung tritt im Kontext der Hochzeit zurück, die ritu¬
elle Dramatisiemng des Prozesses der Ausstattung der Braut mit guten Ei¬
genschaften tritt nun in den Vordergmnd. Woher nun kommt dies Element,
das ja bei der ahindischen Vertragsschließung gar keine Rolle spielte?
Ich bin bei meiner Suche auf AV 14.2.53-58 gestoßen. Dort wird die Braut
im Verlaufe der Hochzeitsrituale mit den Vorzügen und guten Eigenschaften der
Kuh ausgestattet: sie bekommt der Reihe nach varcas, tejas, bhaga,yasas,payas,
und rasa. Das macht nur sechs Komponenten, und wir erfahren in Text auch
nicht, welche rituellen Handlungen zu den Versen ausgeführt wurden. Eine
siebenmalige Umwandlung des Feuers erscheint mir hier äußerst unwahr¬
scheinlich, zunächst einmal wegen der fehlenden Siebenzahl der Verse, dann
aber vor allem, weil dies Ritual am Morgen nach dem Vollzug der Ehe stattfindet
und sich in der Umgebung neugeschaffener priesterlicher Rituale befmdet, die
wir in RV 10.85 noch nicht fanden, und die sich auch teilweise in den Grhya¬
sütren nicht durchgesetzt haben. Der konzentrierte Prozess der Ausstattung der
Braut mit den oben erwähnten guten Eigenschaften, jedoch, hat sich in
modifizierter Form durchgesetzt: alle Grhyasütren haben ein saptapadi, wobei
sich jedoch im Detail beträchthche Abweichungen feststellen lassen'".
14 Siehe dazu im Detail Menski, op.cit., S. 582-583.
Das Ritual des Saptapadi 377
Das Ritual des saptapadi als Bestandteil der Hindu-Hochzeit ist somit nicht
vedisch, sondem bestenfalls eine spätvedische Weiterentwiclclung eines neuen
priesterlichen Rituals, erreicht durch Fusion mehrerer ritueller Versatzstüclce, die zum Ausbau der Hochzeitsrituale in der klassischen Zeit Indiens verwendet wurden, d.h. zu jener Zeit, als sich die gr/i_ya-Rituale herauskristallisierten.
Wie wird nun dies Ritual in der Literatur weiterentwickelt? Außer dem
BaudhGS läßt nur das ApGS das saptapadi relativ früh im Kontext der Hoch¬
zeitsrituale ausführen. In ApGS 4.16-17 finden wir eine weitere Zwischenform:
das saptapadi ist jetzt abgekoppelt vom kanyädäna und findet hier nach der
Handergreifung statt. Aber diesmal ist es mit Sicherheit der Bräutigam, der hier die Hand ergreift: der Vater der Braut hat sie bereits in ApGS 4.9 weggegeben
und zum Feuer geführt. Obwohl die gesprochenen Verse hier fast ganz genau
identisch sind mit denen des BaudhGS, finden wir hier also einen ganz anderen rituellen Kontext: hier läßt der Bräutigam, oder eben wohl wieder ein Priester,
der die Verse für den Bräutigam spricht, die Braut sieben Schritte tun. Aber
wohin soll sie schreiten? Sie ist bereits zum Feuer geführt worden, also „zum Feuer hin", devayajanam, wie vorher im BaudhGS, das geht nicht. Die rituelle Anweisung lautet, „gen Osten oder Norden". Damit haben wir jetzt hier das sap- tapadi-Ki\.\i&\ total losgelöst vom Hochzeitsfeuer, in der Tat, vom Feuer weg.
Von hier aus ist es wirklich nur noch ein kleiner Schritt bis zur Verlagemng des saptapadi ans Ende der Hochzeitsrituale.
Im ÄpGS setzt sich also der schon im BaudhGS beobachtbare Funktions¬
wandel des saptapadi fort. Das Element des feierlichen Vemages ist so gut wie
verschwunden, die magische Ausstattung mit begehrenswerten Eigenschaften
wird zwar noch dramatisiert, ist aber jetzt auch beinahe eine Randerscheinung, wichtig wird jetzt vor allem die rituelle Dramatisiemng der Erwartung, daß das Brautpaar in Harmonie miteinander leben möge und sich in jeglicher Beziehung total ergänzen möge, und weiter wird jetzt der Abschluß der Hochzeitsrituale als
Ganzes betont. Diese beiden Erwartungen konzentrieren sich auf die Vollen¬
dung des siebenten Schrittes, und wir finden, daß aus den beim Abschluß
gesprochenen Versen ziemlich deutlich hervorgeht, was man mit dem saptapadi
eines bestimmten Textes erreichen wollte. Offensichtiich kann ich dieser Frage hier im Detail nicht nachgehen".
Daß der Abschluß der Hochzeitsrituale eine wichtige Funktion bekam,
scheint aus Manusmrti 8.227 hervorzugehen. Dort erfahren wird, daß das Aus¬
führen bestimmter Hochzeitsrituale zwar in gewisser Weise Beweismaterial
dafür hefert, daß eine Hochzeit stattgefunden hat, doch sollen die Gelehrten wissen, so Manu, daß die Hochzeit erst mit dem siebenten Schritt (saptamepade) vollständig und damit rechtskräftig ist. Nun hat uns B ühler in seiner Ubersetzung
15 Zum st^lapadt siehe im Detail Menski, op.cit. S. 580-624.
in Klammem hinzugefügt, daß die sieben Schritte um das Feuer hemm ausge¬
führt werden. Ich glaube nicht, daß sich das heute noch halten läßt.
In allen anderen Grhyasütren außer BaudhGS und ÄpGS erscheint das
saptapadi als letztes der Hauptrituale der Hochzeit. Die dem sütra-Stil eigentüm¬
lichen knappen Anweisungen verraten uns immerhin durchgehend, daß man in
nördlicher oder östlicher Richtung schreiten soll. Eine Übersicht aller mir zur
Zeit in London zugänglichen Texte hat darüberhinaus ergeben, daß alle Texte
den ersten Schritt ise, „für Saft", und den zweiten Schritt ürje, „für Kraft" ma¬
chen lassen. Soweit hat also das recycling unseres smm-Materials komplett
funktioniert. Ab dem dritten Schritt dann finden wir einige Variationen, aber
doch weitgehende Übereinstimmung, außer beim KauSikasütra, das ganz andere
Erwartungsbegriffe einführt, wie z.B. saubhägyäga oder samräjyäya, also kon¬
textverwandte, neuformulierte Begriffe. Wie man nun die sieben Schritte rimell
gestaltet, erfahren wir erst aus den wohl späteren Sütren. In Vaikhäna-
sagrhyasütra 3.4 das im übrigen viel bei Äpastamba geborgt zu haben scheint,
schreiten Braut und Bräutigam jeweils mit dem rechten Fuß auf sieben Gräser,
westlich vom Feuer, in nördlicher Richtung. In KauSikasütra 76.6 zeichnet man
nördlich vom Feuer sieben Linien in östiicher Richtung. Die Braut tritt dann auf diese sieben Linien, hier saptamaryädäh genannt. Aber es gibt viele andere Aus-
fühmngsformen, die sich wohl erst später entwickelt haben. Wintemitz fand
sieben Kreise in einigen Ritualen'*, heute am gebräuchlichsten sind wohl sieben Häufchen von Reiskömem".
Was somit die Wiederverwendung ritueller Versatzstücke im Kontext
ritueller und kultueller Kontinuität angeht, so finden wir in und nach den Grhya¬
sütren eine verwirrende Vielfalt von Reinterpretationen und Modifiziemngen,
und diese Prozesse setzen sich auch heute noch fort. Die beiden Extreme,
zwischen denen wir uns bewegen, sind wohl folgende: detailgetreues Kopieren
von alten Ritualen, besonders natürlich, was das manfra-Material betrifft, dann
aber völlige Neuformuliemng, sowohl der Verse als auch der rituellen Hand¬
lungen'*. So kennen die Mahärs in Maharashtra, ehemals Unberührbare, die zu
Buddhisten wurden, eine Form des saptapadi, in der gar keine sieben Schritte
vorkommen, aber die Braut dem Bräutigam sieben Versprechungen oder
Gelübde macht, z.B. daß sie immer für ihn kochen werde ", und ich habe kürzhch
bei Gujarati VaiSyas beobachtet, daß der Priester das Brautpaar anwies, beim
agniparinayana jeweils die Runde in sieben Schritten zu machen. Bemerkens-
16 Wintemitz, op.cii., S. 52-53.
17 Menski, op.cii., S. 620, 863 und 870.
18 Ein vortreffliches Beispiel hierfür ist die Vivähakaumudi des R.M. J05I, ein prayoga - Text aus Gujarat. Zu Details siehe Menski, op. eil., S. 867-873.
19 Siehe auch ebd., S. 872 zu ähnlichen Versprechungen; Zu den Riten der Mahärs siehe Baby V. Jayant, All India Reparier 1981 Bombay, S. 283.
Das Ritual des Saptapadi 379
wert ist für unser Verständnis der Rolle des saptapadi, daß viele Hindus über¬
haupt kein saptapadi bei der Hochzeit ausführen, und daß auch die Verse
nirgendwo auftauchen. Dies war el^en auch der Fall bei der Panjabi-Hochzeit, die ich eingangs erwähnte, und die dennoch eine rechtskräftige Ehe darstellte, weü
man den gewohnheitsrechdichen Modellen gefolgt war, wie es das Hindu
Marriage Act, wie oben zitiert, vorschreibt.
Hier zeigt sich meines Erachtens wieder, daß das saptapadi mc\\l unbedingt zu den essentiellen Bestandteilen der Hinduhochzeit gehört. Das Gewohnheits¬
recht hat hier rituelle Varianten entwickelt, die lokal und kastenspezifisch zu sein
scheinen. Auffällig ist, daß vor allem höherkastige Hindus das saptapadi in
seinen aus den Grhyasütren bekannten Formen ausführen; viele Hindus sehen
das agniparinayana als saptapadi an, und bezeichnen es auch so. Ein Unter¬
fangen, die saptapadT-Traditionen Indiens kartographisch zu erfassen, wäre da¬
her äußerst schwierig zu realisieren.
Zusammenfassend läßt sich folgendes feststellen: wer die vielen von Win¬
temitz, Haas, Stenzler und anderen offengelassenen Fragen über ^r/jya-Rituale
bearbeiten will, muß ungeheuer vorsichtig sein in der Benutzung der uns zur
Verfügung stehenden Wörterbücher und Übersetzungen. Paradoxerweise hat es
hier der Anfänger leichter als der versierte Experte, weil ihm eben nicht zu jeder
Stelle gleich soundsoviele andere einfallen, sondem er sich auf den gerade
behandelten Einzelfall konzentrieren kann. Mir scheint doch sehr deudich, daß
nur kontextgetreues, hart am Text bleibendes Arbeiten uns adäquate
Erkenntnisse über die rituellen Details einzelner Texte liefern kann, nicht das Importieren sogenannter Leitmotive oder Standardelemente. Die uns erhaltenen
Texte sind, was die grhya-RiXaaXe angeht, vor allem, viel flexibler und
experimentierfreudiger als wir uns vielleicht wünschen. Wir müssen uns wohl
oft darauf gefaßt machen, neue Kombinationen von rituellen Versatzstücken vor
uns zu haben. Bei der Analyse eines bestimmten rituellen Ablaufs kommt es
dann wohl ganz entscheidend darauf an, daß nicht wir unserer Phantasie freien
Lauf lassen, sondem daß wir versuchen herauszubekommen, in welcher Form
hier der Text der Phantasie eines anderen freien Lauf ließ. Besonders deutiich ist
wohl, daß das Auftreten eines bestimmten rituellen Versatzstückes als mantra
uns nicht erlaubt, ein einmal mit diesem verbundenes rituelles Handlungsmuster nun immer wieder zu erwarten.
Es ist offensichtlich, daß indologisches Detailwissen über die mannigfach
variablen hinduistischen Formen der Eheschließung auch heute noch benötigt
wird. Die Rechtsreformer des modemen Indien täten gut daran, einige Hinweise,
wenigstens, der Ritualspezialisten zur Kenntnis zu nehmen, besonders was die
Fluidität der hinduistischen Ritualkonzepte betrifft. Die für den Juristen ein¬
fachere Lösung ist natürlich, die Rechtskräftigkeit der modemen Hinduehe von
einer offiziellen Registriemng wie im Standesamt abhängig zu machen. Aber
auch dies würde die Indologie nicht von der Aufgabe entbinden, zu untersuchen,
wie sich traditionelle Hinduhochzeiten weiterentwickelt haben, und welche
Prozesse dabei, auch heute noch, im Spiel sind. Es erscheint, daß gerade die
heutigen Modifikationen uns viel über das Verhältnis von schriftlich fixierten
rituellen Modellen und tatsächlich ausgeführten rituellen Handlungen lehren
können. Die indischen Juristen, in ähnlicher Weise wie der textfixierte Indologe,
argumentieren an der Wirklichkeit vorbei, wenn der kontinuierliche Wand-
lungs- und Modifikationsprozeß nicht ernst genug genommen wird. Juristen, die
von Manusmrti 8.227, und gar noch seiner englischen Übersetzung und falschen
Interpretation, ausgehend argumentiert haben, daß das saptapadi elementarer
Bestandteil jeder Hinduhochzeit sein muß^, sind verantwortlich für eine heute
nicht mehr haltbare falsche Position des indischen Supreme Court in dieser
Frage^'.
ZUR POLYSEMIE VON VERBALAUSDRÜCKEN
IM NEUINDISCHEN
Von Helmut Nespital, Bamberg
1. In den neuindoarischen Sprachen kommen die meisten Verblexeme in zwei
unterschiedlichen Wortformen bzw. lexikalisch-grammatischen Formen
vor: So entsprechen dem deutschen „töten" z.B. im Hindi sowohl das
einfache Verblexem märnä als auch (u.a.)' der Verbalausdruck märdäinä;
im Bengali das Paar: märä x mere phelä, im Gujarati: märvu" x man
näkhvu" und im Marathi märne" x märün täkne'.
20 So in den beiden „leading cases" des indischen obersten Gerichtshofes: Bhaurao v. Slate of Maharashtra, Aniridia Reporter 1965 Supreme Court, S. 1564 und Kanwal Ram v. Stale of Himachal Pradesh, Alt India Reporter 1966 Supreme Court, S. 619.
21 Baby v. Jayanl (siehe oben, Anm. 19) wies eindeutig auf diese Situation hin, doch ist dieser Fall nicht bis zur Ebene des Supreme Court gelangt, und esbleibtabzuwarten, wann das Hohe Gericht seine Position revidiert. Zu weiteren Mißbräuchen in diesem Zusammenhang siehe:
Menski, W.F.:" Is there a customary form of widow-remarriage for Hindus?". In: 1983 Kerala Law Times, Joumal secüon, S. 69-72.
1 Mär dälnä bedeutet „töten" im Sinne von „totschlagen, erschlagen", betont also die besondere Heftigkeit und Gewalt der Handlungsausfühmng. Im Vergleich dazu kann mär denä - neben einigen anderen Bedeutungen wie z.B. „schlagen" - auch „töten" bedeuten, ohne daß es die Komponenten „besondere Gewaltanwendung", „Hefugkeit" betont.