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Schweige, Körper

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Academic year: 2022

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Schweige, Körper, damit ich dich lesen kann

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Modern zu sein ist, zumal literarisch, kein Wagnis mehr, eher eine Erwartung und damit normal. Was hat der Roman sich nicht alles zugemutet, um im Gewirr der Wirklichkeitsbesprechungen eine eigene Stimme zu erheben. Alles hat er auf seine Weise zu Sprache gemacht, vor allem auch sich selbst. Nichts im Grunde, was er nicht durch die Mühlen seiner Reflexion hätte gehen lassen. Inzwischen ist es schwer für ihn geworden, noch neu und anders zu sein. Ist er ans Ende seiner Kunstperiode gekommen?

Ein Fall aus Italien könnte dafür ein Prüfstück sein: Mario Fortunatos „Die Kunst leichter zu werden“. Der Roman ist dort auf viel Interesse gestoßen. Was macht ihn so ansprechend? Zunächst: er hat eigentlich alles, was ein Roman braucht. Er spielt, obwohl der Autor einen Vergleich mit Umberto Eco heftig ablehnt, auf einer Insel, hier Djerba. Sie führt zufällig, aber schicksalhaft, wie in Thornton Wilders „Brücke von San Luis Rey“, Gäste eines Hotels in einem tödlichen Konflikt zusammen. Ausgelöst wird er, vordergründig, durch einen Mord. Er wiederum setzt Fragen nach der Schuld in Gang, bis am Ende, wie bei Agatha Christie, der Fall aufgeklärt ist und alle, die mit ihm in Verbindung kamen, umgekommen sind. Nur dass sie sich nicht am Opfer, sondern an sich selbst schuldig gemacht hatten.

Und hieraus, nicht aus den Anleihen bei der Unterhaltung, zieht der Roman sein Interesse. Die Figuren im Vordergrund leiden, jede auf ihre Weise, an einer unbereinigten Biographie. Benedetto Blasi, italienischer Laborarzt, hat als Deserteur des Afrikafeldzuges einen anderen an der Ruhr umkommen lassen. Seither sucht ihn eine „Metaphysik der Kacke“ heim. Er trifft Myriam Levi, Assistentin des Modefotografen David Pradine. Sie ist beruflich auf die schönen Körper der Models fixiert, leidet entsprechend an der Üppigkeit ihres eigenen und verfällt darüber einer vagabundierenden Sinnlichkeit. Der New Yorker Photokünstler selbst, nicht an Frauen interessiert, verzehrt sich im Zweifel an seiner Kunst zwischen Kommerz und Bildlosigkeit. Den ermordeten Julien Fabre, Professor aus Paris, hat seine Homosexualität gemeinschaftsunfähig gemacht. Andere Lebensläufe, mehr am Rande, weisen vergleichbare Verwerfungen auf.

Am Ende sind sie alle ans Licht gebracht. In häufig wechselnden Aufnahmen werden sie nach und nach aufgehellt. Sie breiten eine Menge an inneren und äußeren Alltagsbeständen aus. Doch mit bemerkenswerter Einfühlsamkeit bringt Fortunato durch sie hindurch biographische Verhärtungen zum Sprechen, zumal die Figuren Emotionen haben dürfen und sollen (und der Leser auch), etwas programmiert allerdings, in der Art amerika- nischer Filme. Sie kreisen schließlich den tieferen Grund aller Anfechtung ein: jeder steht auf besondere Weise im Banne seiner Körperlichkeit. Der menschliche Körper ist der

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wahre Agent dieser Welt. Er ist voller Begehren; er will stets etwas; in aller Regel einen anderen Körper. Doch wer hier auf dessen Stimme hört, kommt ins Unreine mit sich. Er macht ihn unfrei, erzwingt ein Bewusstsein der Andersartigkeit: wegen Homosexualität bei den meisten, inzestiöser Verstrickung bei den Zwillingen Sabine und Philippe, Bulimie bei Myriam, fäkalisch bei Blasi und anderem mehr. Alle versuchen ihre Schwachheit zu verdrängen; sie wird dadurch nur größer.

Und hierin hat der Roman sein Thema. Jeder will etwas verbergen, vor sich selbst, vor den anderen. Ihre „Scham“, ein Schlüsselwort, macht sie, natürlich körperlich, nach und nach krank. Mit unerbittlicher Folgerichtigkeit werden alle Figuren von einer Bewegung der Konvergenz erfasst, bis sie zuletzt die wahre Gemeinsamkeit ihrer Körper, den Tod ausgearbeitet haben. Das ist Fortunatos Stärke. Einer unaufhaltsamen Erosion gleich nimmt alles spürbar ab; nichts im Leben hält stand. Seine Personen kommen nur zusammen, um sich die Erfahrung der Trennung und der Vereinzelung beizubringen. Familien vergehen, verlaufen sich; Freunde bleiben weg, sind nicht mehr da; Zugehörigkeiten verlieren, Körper entleeren sich. Der Raum auch. Die Aufenthaltsorte werden unmotiviert; eine Litanei von Städten zeugt von nomadischem Umtrieb, der den anderen verfehlt. Fabre war es, als würde alles in tausend Splitter, Bruchstücke, Worte ohne Hand und Fuß zerbröckeln. Die Sprache des Erzählens scheint sich dieser allgemeinen Auflassung des Zusammenhängenden anzuschließen.

Am Ende ist der Schauplatz leer. Jeder, der eine Rolle gespielt hat, musste ihn durch den Ausgang des Todes verlassen. Was bleibt? Der Titel. Er meint im wörtlichen Sinne die Kunst Myriams, Gewicht zu verlieren. Hinzuzufügen wäre: auch das Leben. Denn darum geht es in übertragener Hinsicht, wie der Autor im Interview versichert: dem Wenigerwerden des Lebens, um dem Tod die Dramatik und den Schrecken zu nehmen und ihn „in leichter Weise“, gleichsam unbeschwert erscheinen zu lassen. Doch hier verlieren sich Geschichte und Absicht aus den Augen. Jeder endet elend, gequält, fatal. Und nur weil ihr Leben kein Fatum mehr kennt, soll daraus, zumindest für den Leser, ‚Erleichterung‘ sprechen? Nein, diese „Leichtigkeit des Seins“ findet ihren tieferen Grund bei Milan Kundera, in Italo Calvinos „Lezione americane“, Roland Barthes‘ „Die Lust am Text“. Sie ist eine These. Der Autor zitiert die postmoderne Auffassung, dass alles, was im Leben ‚Gewicht‘ hat, vor allem eine Folge seiner belastenden Besprechung ist. Erleichterung müsste es deshalb finden, wenn man sich lesend – etwa diesen Roman – oder schreibend – wie Myriam, die ein Diätbuch verfasst – von diesen belastenden Verkörperungen löst. Dennoch heißt es zum Schluss: „es ist so schwer, von seinen Illusionen Abschied zu nehmen“.

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Noch einem anderen Zwiespalt hat sich dieses Buch zu stellen. So erkennbar es dem natürlichen Lesehunger nach Geschichten entgegenkommt – sein Autor weiß andererseits genau, was sich für einen modernen Erzähler gehört. Das heißt: seine „Kunst leichter zu werden“ setzt eine erschwerte Lektüre voraus. Es gibt keine Chronologie. Die Szenen sind geschnitten wie im Film; ein sorgfältiger Unzusammenhang herrscht unter ihnen. Der Leser hat zu tun, um Ordnung zu schaffen, auch räumlich. Der Knoten wird zwar in Djerba geschürzt; er löst sich jedoch ubiquitär, an allen denkbaren Orten dieser Welt. Das Erzählen steht dem nicht nach. Briefe, Aufzeichnungen, Tagebuchblätter, Monologe, unidentifizierte Passagen folgen aufeinander ohne Regel, aber doch so, dass die Bruchstücke nach und nach kumulieren, Lebensläufe sich abzeichnen und vor allem, dass zuletzt jedes Schicksal ordnungsgemäß aufgeräumt ist. Der Autor versteht seine Kunst; auch der Liebhaber moderner Literatur kommt auf seine Kosten.

Doch gerade dass alle Fragen schließlich aufgehen, wirft neue Fragen auf. Wozu der ganze virtuose Aufwand? Um das Publikum zur Aufmerksamkeit zu zwingen? Oder sind moderne Umgangsformen des Erzählens inzwischen einfach Standard? Und da, ohne weitere Umstände, ist auch er wieder, der allwissende Erzähler. Während die Figuren (und die Leser) nach Spuren suchen, ist er an allen Orten, weltweit, und in allen Köpfen; verfügt, man weiß nicht wie, als einziger und von Anfang an über alle Informationen. Ist Erzählen, als solches, wieder unproblematisch, ‚leicht‘ geworden? Kommt es jetzt vielmehr darauf an zu zeigen, dass man alle Themen, Mittel und Verfahren beherrscht? Fortunatos Roman ist überzogen von Namen, die der Moderne etwas bedeuten: Thomas Mann, Heidegger, Rilke, E. Pound, Proust, Eliot, Kierkegaard, Musil u.v.m. Es ist, als habe er seiner postmodernen Gelehrsamkeit eine Bibliographie beigeben wollen. Alles kann mit allem in Verbindung treten.

Am Ende des Romans deutet sich sogar an, dass die Figuren nicht zufällig, sondern schon seit langem, aber unwissentlich aufeinander bezogen waren. Ist auch das Erzählen ins Zeitalter seiner Globalisierung eingetreten? Wird das die kommende Gesinnung des Romans nach der Ära, in der er vornehmlich mit sich selbst beschäftigt war?

Fortunatos Text würde dem, gerade sofern er postmodern beschlagen ist, im Grunde widersprechen. Was er macht, ist strenggenommen nichts Neues. Interessant ist er vielmehr, weil er frei, ja geradezu verschwenderisch über die Errungenschaften der Moderne verfügt.

Sie scheinen inzwischen vorrätig, wie ein Magazin an Möglichkeiten. Es kommt vor allem darauf an, wie man sie einsetzt. Eine Kunstfertigkeit der Anwendung wäre dadurch an die Stelle der Erfindung getreten. Dann aber träte Postmodernes nicht als das in Erscheinung, was nach der Moderne kommt, sondern als deren letzte Spielart: sie spielt mit dem, was ihr

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bisher ernst war. Wenn dies früher vorkam, wurden die selben Symptome für Manierismus gehalten, oder barock. Für das Fin-de-siècle des 20. Jahrhunderts kam dies allerdings selten in Betracht. Liegt es daran, dass dessen Ende von keiner Endzeitvision mehr weiß? Der Dr.

Blasi jedenfalls sah im Tod kein Ende, nur eine Krankheit, die die Medizin noch nicht „in den Griff bekommen“ hat.

i MARIO FORTUNATO: Die Kunst, leichter zu werden. Roman. Aus dem Italienischen von Moshe Kahn. Berlin (Wagenbach) 1997. Original: L'arte di perdere peso. Turin (Einaudi) 1997.

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