2.4 Grenzwerts¨ atze
Zur Einf¨ uhrung Konvergiert eine Folge von stetigen Funktionen f
n: [a, b] → R gleichm¨ aßig gegen eine (dann ebenfalls) stetige Funktion f : [a, b] → R , so ist
n→∞
lim Z
ba
f
n(t) dt = Z
ba
f (t) dt.
Das wurde im 1. Semester gezeigt. In der Lebesgue-Theorie erhalten wir sehr viel weiter gehende Grenzwerts¨ atze.
Bis jetzt waren unsere integrierbaren Funktionen immer reellwertig. K¨ unftig wol- len wir aber auch eine Funktion f : R
n→ R , die fast ¨ uberall mit einer in- tegrierbaren Funktion g ubereinstimmt, ¨ integrierbar nennen. Wir setzen dann R f dµ
n:= R
g dµ
n. Es ist klar, dass f in diesem Fall h¨ ochstens auf einer Nullmen- ge die Werte ±∞ annehmen kann.
4.1. Hilfssatz
Ist f ∈ L
1und ε > 0, so gibt es Funktionen f
1, f
2∈ L
+, so dass gilt:
1. f = f
1− f
2.
2. f
2≥ 0 und I(f
2) < ε.
Ist f ≥ 0, so kann auch f
1≥ 0 gew¨ ahlt werden.
Beweis: Es gibt Funktionen g, h ∈ L
+, so dass f = g − h ist. Wir w¨ ahlen eine monoton wachsende Folge (h
ν) von Treppenfunktionen, die fast ¨ uberall gegen h konvergiert, so dass auch die Integrale I(h
ν) gegen I(h) konvergieren.
Die Funktionen g − h
νund h − h
νgeh¨ oren wieder zu L
+, außerdem ist h − h
ν≥ 0.
Zu dem vorgegebenen ε gibt es ein ν
0, so dass I(h − h
ν0) < ε ist. Dann setzen wir einfach f
1:= g − h
ν0und f
2:= h − h
ν0. Offensichtlich ist f
1− f
2= g − h = f . Ist f ≥ 0, so ist auch f
1= f + f
2≥ 0.
4.2. Satz von Beppo Levi
Gegeben sei eine Folge (f
ν) von nicht-negativen Funktionen aus L
1. Konvergiert die Reihe der Integrale
∞
X
ν=1
Z
f
νdµ
n, so konvergiert die Funktionenreihe
∞
X
ν=1
f
νfast ¨ uberall (punktweise) gegen eine Funktion f ∈ L
1, und es gilt:
Z
f dµ
n=
∞
X
ν=1
Z
f
νdµ
n.
Beweis: F¨ ur alle ν gibt es nach dem Hilfssatz Funktionen g
ν, h
ν∈ L
+, so dass gilt:
g
ν, h
ν≥ 0, f
ν= g
ν− h
νund I(h
ν) < 1 2
ν. Die Funktionen H
m:= P
mν=1
h
νliegen in L
+und bilden eine monoton wachsende Folge. Außerdem ist
I(H
m) <
m
X
ν=1
1 2
ν<
∞
X
ν=1
1 2
ν= 1.
Aus den Eigenschaften von L
+folgt, dass (H
m) fast ¨ uberall gegen eine Funktion H ∈ L
+und die Folge der Integrale I(H
m) gegen I(H) konvergiert.
F¨ ur die ebenfalls monoton wachsende Folge der Funktionen G
m= P
mν=1
g
νgilt:
I(G
m) = I(H
m) + Z
mX
ν=1
f
νdµ
n≤ 1 +
∞
X
ν=1
Z
f
νdµ
n< ∞.
Also konvergiert (G
m) fast ¨ uberall gegen eine Funktion G ∈ L
+, und es ist I(G) = lim
m→∞I(G
m).
Dann liegt f := G − H in L
1, und es ist Z
f dµ
n= I(G) − I(H), also Z
f dµ
n= lim
m→∞
Z
mX
ν=1
g
νdµ
n− lim
m→∞
Z
mX
ν=1
h
νdµ
n= lim
m→∞
m
X
ν=1
Z
f
νdµ
n=
∞
X
ν=1
Z
f
νdµ
n.
Fast ¨ uberall konvergiert
m
X
ν=1
f
ν=
m
X
ν=1
g
ν−
m
X
ν=1
h
ν= G
m− H
mgegen G − H = f .
4.3. Levi’s Satz von der monotonen Konvergenz
Gegeben sei eine Folge (f
ν) von Funktionen aus L
1, die fast ¨ uberall monoton w¨ achst. Ist die Folge der Integrale
Z
f
νdµ
nnach oben beschr¨ ankt, so konvergiert (f
ν) fast ¨ uberall gegen eine Funktion f ∈ L
1, und es ist
Z
f dµ
n= lim
ν→∞
Z
f
νdµ
nBeweis: Wir verwenden den Satz von Beppo Levi. Dazu sei
g
1:= f
1und g
ν:= f
ν− f
ν−1f¨ ur ν ≥ 2.
Dann ist f
m= P
mν=1
g
ν, und weil die Folge (f
ν) monoton w¨ achst, sind alle g
ν≥ 0.
Jetzt ist
m
X
ν=1
Z
g
νdµ
n= Z
mX
ν=1
g
νdµ
n= Z
f
mdµ
n,
und die rechte Seite bleibt beschr¨ ankt. Nach Beppo Levi konvergiert die Reihe P
∞ν=1
g
ν(und damit die Folge (f
m)) fast ¨ uberall gegen eine Funktion f ∈ L
1. Außerdem ist
Z
f dµ
n=
∞
X
ν=1
Z
g
νdµ
n= lim
m→∞
Z
mX
ν=1
g
νdµ
n= lim
m→∞
Z
f
mdµ
n.
Bemerkung: Ein analoger Satz gilt f¨ ur monoton fallende Folgen von Funktionen, deren Integrale nach unten beschr¨ ankt sind.
4.4. Beispiel
Sei f
n(x) := 1
1 + x
2· χ
[−n,n]. Dann sind alle f
nintegrierbar, und (f
n) konver- giert monoton wachsend gegen f (x) := 1/(1 + x
2). Außerdem ist
Z
f
ndµ
1= Z
n−n
f
n(x) dx = arctan(n) − arctan(−n) = 2 arctan(n) ≤ π.
Nach Levi’s Satz von der monotonen Konvergenz ist f integrierbar und Z
f dµ
1= lim
n→∞
Z
f
ndµ
1= lim
n→∞
2 arctan(n) = π.
4.5. Folgerung aus den Levi’schen S¨ atzen
Ist f ∈ L
1und R
|f | dµ
n= 0, so ist f = 0 fast ¨ uberall.
Beweis: Die Folge g
ν:= ν · |f | ist monoton wachsend, alle g
νsind integrierbar und die Folge der Integrale
Z
g
νdµ
n= ν · Z
|f| dµ
n= 0
ist beschr¨ ankt. Also konvergiert (g
ν) fast ¨ uberall gegen eine Funktion g ∈ L
1. Die Funktion g kann nur auf einer Nullmenge den Wert +∞ annehmen. Ist aber f (x) 6= 0, so konvergiert ν · |f(x)| gegen +∞. Also gilt f = 0 fast ¨ uberall.
Bemerkung: Wir haben im Beweis nur die Integrierbarkeit von |f | gebraucht.
Die Integrierbarkeit von f ergibt sich hinterher automatisch, da f fast ¨ uberall mit
der integrierbaren Nullfunktion ¨ ubereinstimmt.
Levi’s Satz von der monotonen Konvergenz ist bestechend klar und einfach. Manch- mal kann es allerdings l¨ astig sein, die Monotonie nachzuweisen. Beim st¨ arksten der Konvergenzs¨ atze kann man auf die Monotonie verzichten, muss dann aber die Kon- vergenz der Funktionenfolge fordern.
Definition
Eine Menge F von Funktionen f : R
n→ R heißt nach oben (bzw. nach unten) Lebesgue-beschr¨ ankt, falls es eine Funktion g ∈ L
1gibt, so dass f¨ ur alle f ∈ F fast ¨ uberall f ≤ g (bzw. f ≥ g) gilt.
F heißt Lebesgue-beschr¨ ankt (kurz: L-beschr¨ ankt), falls F nach oben und nach unten L-beschr¨ ankt ist.
Eine Folge von Funktionen heißt L-beschr¨ ankt, falls die Menge der Folgenglieder L-beschr¨ ankt ist.
4.6. Hilfssatz
Sei (f
n) eine nach oben (bzw. nach unten) L-beschr¨ ankte Folge von Funktionen aus L
1. Dann liegt auch f := sup f
n(bzw. f := inf f
n) in L
1.
Beweis: Sei g ∈ L
1und f
n≤ g f¨ ur alle n. Dann ist auch F
n:= max(f
1, . . . , f
n) ∈ L
1, f¨ ur alle n.
Die Folge (F
n) w¨ achst monoton, und es gilt:
Z
F
ndµ
n≤ Z
g dµ
n< ∞.
Nach dem Satz ¨ uber monotone Konvergenz ist die Grenzfunktion F := lim
n→∞
F
n= sup(f
n) integrierbar. Der Beweis f¨ ur das Infimum verl¨ auft analog.
4.7. Lebesgue’scher Konvergenzsatz (auch
” Satz von der dominierten Konvergenz“ genannt)
Sei (f
ν) eine L-beschr¨ ankte Folge von integrierbaren Funktionen, die fast ¨ uberall gegen eine Funktion f konvergiert. Dann ist auch f integrierbar und
Z
f dµ
n= lim
ν→∞
Z
f
νdµ
n.
Beweis: Wir definieren zwei Funktionenfolgen (u
ν) und (o
ν) wie folgt:
Sei x ∈ R
n. Wenn f
ν(x) nicht gegen f(x) konvergiert, setzen wir u
ν(x) = o
ν(x) :=
0. Wenn dagegen f
ν(x) gegen f(x) konvergiert, dann setzen wir
u
ν(x) := inf {f
ν(x), f
ν+1(x), . . .} und o
ν(x) := sup{f
ν(x), f
ν+1(x), . . .}.
Weil die Funktionen f
νintegrierbar und L-beschr¨ ankt sind, sind nach dem Hilfs- satz auch u
νund o
νintegrierbar. Außerdem konvergiert (u
ν) fast ¨ uberall monoton wachsend und (o
ν) fast ¨ uberall monoton fallend gegen f. F¨ ur alle ν ist u
ν≤ f ≤ o
ν(fast ¨ uberall) und daher R
u
1dµ
n≤ R
u
νdµ
n≤ R
o
νdµ
n≤ R
o
1dµ
n. Aus Levi’s Satz von der monotonen Konvergenz folgt jetzt: f ist integrierbar und
ν→∞
lim Z
u
νdµ
n= lim
ν→∞
Z
o
νdµ
n= Z
f dµ
n. Weil jeweils R
u
νdµ
n≤ R
f
νdµ
n≤ R
o
νdµ
nist, konvergiert auch R
f
νdµ
ngegen R f dµ
n.
4.8. Beispiele
A. Sei f eine stetige Funktion auf [a, ∞) und f b die triviale Fortsetzung von f auf R . Wir wollen zeigen: Ist f absolut uneigentlich integrierbar, so ist f b integrierbar und
Z
f dµ b
1= Z
∞a
f(x) dx.
Dazu sei f
n:= f b · χ
[a,n]. Dann konvergiert |f
n| monoton wachsend gegen | f|, b und es gilt:
Z
|f
n| dµ
1= Z
na
|f(x)| dx ≤ Z
∞a
|f (x)| dx < ∞.
Nach dem Satz von der monotonen Konvergenz ist dann | f b | integrierbar.
Die Folge g
n:= f · χ
[a,n]konvergiert punktweise gegen f b und besteht aus in- tegrierbaren Funktionen. Wegen |g
n| ≤ | f| b folgt nun mit dem Lebesgue’schen Konvergenzsatz, dass f b integrierbar ist, und es ist
Z
f dµ b
1= lim
n→∞
Z
g
ndµ
1= lim
n→∞
Z
n af(x) dx = Z
∞a
f (x) dx.
B. Obwohl das uneigentliche Integral Z
∞0
sin x
x dx konvergiert, ist f(x) :=
(sin x)/x nicht ¨ uber [0, ∞) integrierbar, denn es m¨ usste dann ja auch |f (x)|
integrierbar sein. Es ist aber Z
kπ(k−1)π
sin x x
dx ≥ 1 kπ
Z
kπ (k−1)π|sin x| dx = 2 kπ ,
und die harmonische Reihe divergiert. Das ist eine der wenigen Situatio-
nen, in denen das uneigentliche Riemann’sche Integral m¨ achtiger als das
Lebesgue-Integral ist. W¨ ahrend also jede Riemann-integrierbare Funktion
auch Lebesgue-integrierbar ist, trifft dies auf uneigentlich integrierbare Funk-
tionen nicht zu.
Definition
Sei Q ⊂ R
nein Quader. Eine Funktion f : Q → R heißt integrierbar, falls die triviale Fortsetzung von f auf dem R
nintegrierbar ist.
Bemerkung: Ist f integrierbar, so ist f|
Qf¨ ur jeden Quader Q integrierbar. Das sieht man folgendermaßen:
Sei f = g − h, mit g, h ∈ L
+. Dann gibt es Treppenfunktionen g
νund h
ν, die jeweils monoton wachsend fast ¨ uberall gegen g bzw. h konvergieren. Offensichtlich sind dann auch g
ν|
Qund h
ν|
QTreppenfunktionen, die nun monoton wachsend ge- gen g|
Qbzw. h|
Qkonvergieren (eigentlich sprechen wir immer von den trivialen Fortsetzungen). Damit liegen g|
Qund h|
Qin L
+, und f|
Q= g|
Q− h|
Qliegt in L
1.
4.9. Satz ¨ uber Parameterintegrale
Sei U ⊂ R
moffen und f : R
n× U → R eine Funktion. F¨ ur jedes u ∈ U sei f
u(x) := f(x, u) integrierbar, und F : U → R sei definiert durch
F (u) :=
Z
f(x, u) dµ
n(x).
1. Die Funktion u 7→ f (x, u) sei f¨ ur fast alle x in u
0∈ U stetig, und es gebe eine integrierbare Funktion h : R
n→ R , so dass |f (x, u)| ≤ h(x) fast ¨ uberall auf dem R
ngilt. Dann ist F stetig in u
0.
2. Die Funktion u 7→ f (x, u) sei f¨ ur jedes feste x auf U nach der Variablen u
jpartiell differenzierbar, und es gebe eine integrierbare Funktion h : R
n→ R , so dass stets |f
uj(x, u)| ≤ h(x) ist. Dann ist auch F partiell differenzierbar nach u
j, und es gilt:
F
uj(u) = Z
f
uj(x, u) dµ
n(x).
Beweis: 1) Wir betrachten eine Folge (u
ν), die gegen u
0konvergiert, und setzen f
ν(x) := f(x, u
ν). Dann sind alle f
νintegrierbar, und die Folge (f
ν) konvergiert fast ¨ uberall punktweise gegen f
0(mit f
0(x) := f (x, u
0)).
1Da fast ¨ uberall |f
ν| ≤ h ist, kann man den Konvergenzsatz von Lebesgue anwenden und erh¨ alt:
F (u
0) = Z
f
0dµ = lim
ν→∞
Z
f
νdµ = lim
ν→∞
F (u
ν).
2) Sei u
0∈ U und e
jder j-te Einheitsvektor im R
m. Wir setzen
1Istu7→f(x,u) außerhalb der NullmengeNinu0stetig, so konvergiert fν(x)
f¨urx∈Rn\N gegenf0(x).
g
j(x, t) := f(x, u
0+ te
j) − f(x, u
0)
t .
F¨ ur t → 0 strebt g
j(x, t) gegen f
uj(x, u
0). Nach dem Mittelwertsatz existiert ein ξ mit 0 < ξ < t, so dass g
j(x, t) = f
uj(x, u
0+ ξ · e
j) ist. Nach Voraussetzung ist daher |g
j(x, t)| ≤ h(x). Aus dem Satz von der dominierten Konvergenz folgt nun, dass f
uj(x, u
0) integrierbar ist und dass gilt:
Z
f
uj(x, u
0) dµ
n(x) = lim
t→0
Z
g
j(x, t) dµ
n(x)
= lim
t→0
F (u
0+ te
j) − F (u
0)
t = F
uj(u
0).
Das ist die Behauptung.
4.10. Folgerung
Sei K ⊂ R
nkompakt und U ⊂ R
moffen. Wenn f : K × U → R f¨ ur jedes u ∈ U ¨ uber K integrierbar und auf ganz K × U stetig (bzw. nach u
1, . . . , u
mstetig partiell differenzierbar) ist, dann ist
F (u) :=
Z
K
f (x, u) dµ
n(x)
auf U stetig (bzw. stetig differenzierbar), und im differenzierbaren Fall gilt:
F
uj(u) = Z
K
f
uj(x, u) dµ
n(x), f¨ ur u ∈ U und j = 1, . . . , m.
Beweis: Sei u
0∈ U und A = A(u
0) ⊂ U eine kompakte Umgebung. Dann sind f und f
uj(x, u) als stetige Funktionen auf K × A durch Konstanten nach oben beschr¨ ankt. Wir wenden den Satz ¨ uber Parameterintegrale an. Der zweite Teil besagt, dass F dann auf A nach allen Variablen partiell differenzierbar ist, und aus dem ersten Teil folgt dann, dass die Ableitungen stetig sind. Das gilt auf ganz U .
4.11. Satz (Leibniz’sche Formel)
Sei I = [a, b], N := {(x, t) ∈ I × R | ϕ(x) ≤ t ≤ ψ(x)} ein Normalbereich, U eine offenen Umgebung von N im R
2und f : U → R eine stetige und nach der ersten Variablen stetig partiell differenzierbare Funktion. Dann gilt:
F (x) :=
Z
ψ(x) ϕ(x)f(x, t) dt ist auf I differenzierbar, und es ist
F
0(x) = Z
ψ(x)ϕ(x)
∂f
∂x (x, t) dt + f(x, ψ(x))ψ
0(x) − f (x, ϕ(x))ϕ
0(x).
Beweis: Sei c ≤ ϕ(x) ≤ ψ(x) ≤ d auf I. Die Funktion g(x, τ ) :=
Z
τ cf (x, t) dt ist nach τ und nach x stetig partiell differenzierbar. Also ist
F e (x, u, v) :=
Z
v uf(x, t) dt = g(x, v) − g(x, u) nach allen drei Variablen stetig differenzierbar. Außerdem ist
F (x) = F e (x, ϕ(x), ψ(x)).
Die Anwendung der speziellen Kettenregel ergibt:
F
0(x) = ∂ F e
∂x (x, ϕ(x), ψ(x)) + ∂ F e
∂u (x, ϕ(x), ψ(x))ϕ
0(x) + ∂ F e
∂v (x, ϕ(x), ψ(x))ψ
0(x)
= ∂ F e
∂x (x, ϕ(x), ψ(x)) − ∂g
∂τ (x, ϕ(x))ϕ
0(x) + ∂g
∂τ (x, ψ(x))ψ
0(x)
=
Z
ψ(x) ϕ(x)∂f
∂x (x, t) dt − f (x, ϕ(x))ϕ
0(x) + f (x, ψ(x))ψ
0(x).
4.12. Beispiele
A. F¨ ur x ≥ 0 sei F (x) :=
Z
1 0e
−(1+t2)x21 + t
2dt. Dies ist ein Parameterintegral mit ste- tigem Integranden f (t, x) := e
−(1+t2)x21 + t
2, der durch h(t) := 1/(1+t
2) dominiert wird. Also ist F stetig. Außerdem ist F (0) =
Z
1 0dt
1 + t
2= π 4 und
|F (x)| ≤ e
−x2Z
10
e
−(tx)21 + t
2dt ≤ e
−x2· F (0) = π 4 e
−x2, also lim
x→∞
F (x) = 0.
f(t, x) ist nach x differenzierbar, mit stetiger Ableitung f
x(t, x) = −2xe
−(1+t2)x2. Diese wird ¨ uber jeder Menge [0, 1] × (α, β) (mit 0 ≤ α < β) durch die inte- grierbare Funktion h(t) ≡ 2β dominiert. Also ist F auf (α, β) (und damit auf ganz R
+) differenzierbar, und es gilt:
F
0(x) = − Z
10
2x · e
−(1+t2)x2dt = −2e
−x2Z
10
x e
−t2x2dt
= −2e
−x2Z
x0
e
−u2du (Substitution tx = u).
Mit dieser Darstellung von F
0wollen wir nun das Integral R
∞0
e
−u2du berech- nen. Einerseits ist
− Z
x0
F
0(t) dt = F (0) − F (x) = π
4 − F (x) und andererseits gilt – mit g(t) := R
t0
e
−u2du – die Beziehung
− Z
x0
F
0(t) dt = Z
x0
2e
−t2Z
t 0e
−u2du dt
= 2 Z
x0
g
0(t)g(t) dt = 2 Z
g(x)g(0)
v dv
= g(x)
2= Z
x 0e
−u2du
2.
Zusammen liefert das die Gleichung Z
x0
e
−u2du
2= π
4 − F (x).
Da F (x) f¨ ur x → ∞ gegen Null konvergiert, folgt daraus Z
∞0
e
−u2du = 1 2
√ π .
B. Wir wollen die im 1. Semester kennengelernte Gammafunktion weiter unter- suchen. Das f¨ ur jedes x > 0 absolut konvergente uneigentliche Integral
Γ(x) = Z
∞0
e
−tt
x−1dt kann als Lebesgue’sches Parameterintegral Γ(x) = R
f(t, x) dµ
1(t) aufgefasst werden, wobei der Integrand
f (t, x) :=
e
−tt
x−1f¨ ur t > 0, 0 f¨ ur t ≤ 0
f¨ ur jedes feste x ∈ R
+integrierbar ist (mit t
x−1= e
(x−1) lnt).
Die Funktion x 7→ f (t, x) ist bei festem t ∈ R auf U := R
+stetig. Weil t
2· (t
x−1e
−t) = t
x+1e
−tf¨ ur t → ∞ gegen Null konvergiert, gibt es zu jedem C > 0 ein t
0> 0, so dass 0 < f (t, x) ≤ C · t
−2f¨ ur t ≥ t
0gilt. Und f¨ ur 0 < t < t
0ist 0 < f (t, x) < t
x−1. Deshalb wird durch
h(t) :=
0 f¨ ur t ≤ 0,
t
x−1f¨ ur 0 < t < t
0,
C · t
−2f¨ ur t ≥ t
0eine integrierbare Funktion mit |f (t, x)| ≤ h(t) definiert. Daraus folgt, dass Γ stetig auf R
+ist.
Der Integrand f(t, x) = e
−tt
x−1ist bei festem t auf R
+nach x stetig partiell differenzierbar, mit
∂f
∂x (t, x) = ln t · e
−t· t
x−1= ln t · f (x, t).
Um zu zeigen, dass Γ auf jedem Intervall (α, β) mit 0 < α < β differenzierbar ist, m¨ ussen wir f
x(t, x) absch¨ atzen.
Ist 0 < t < 1, so ist ln t negativ, also (x − 1) ln t < (α − 1) ln t. Weil in diesem Bereich auch ln(1/t) < 1/t ist, folgt:
|e
−tt
x−1ln t| ≤ e
−tt
α−1|ln t| = e
−tt
α−1ln(1/t) f¨ ur 0 < t < 1.
Behauptung: Das uneigentliche Integral Z
10
e
−tt
α−1ln(1/t) dt konvergiert f¨ ur alle α > 0 absolut.
Beweis daf¨ ur: Ist a eine beliebige positive reelle Zahl, so folgt (mit s = − ln t, also t = e
−s):
lim
t→0t
aln(1/t) = lim
s→∞
s · e
−sa= 0.
Ist also α > 1 (und damit α − 1 > 0), so liegt gar kein uneigentliches Integral vor.
Nun sei 0 < α ≤ 1. Dann gibt es ein δ ∈ (0, 1), so dass a := α − 1 + δ > 0 ist. Wegen der obigen Bemerkung gibt es zu jedem c > 0 ein ε > 0, so dass 0 < e
−tt
aln(1/t) < c f¨ ur 0 < t < ε ist, also |e
−tt
α−1ln(1/t)| < c · t
−δ. Das uneigentliche Integral ¨ uber die rechte Seite konvergiert bekanntlich absolut.
Kommen wir jetzt zum Bereich t ≥ 1: Dort ist ln t ≤ t und |e
−tt
x−1ln t| ≤ e
−tt
x≤ e
−tt
βf¨ ur x ∈ (α, β). Weil t
2(e
−tt
β) = e
−tt
2+βf¨ ur t → ∞ gegen Null konvergiert, gibt es zu jedem C > 0 ein t
0> 0, so dass 0 < e
−tt
β≤ C · t
−2f¨ ur t ≥ t
0ist.
Alles zusammengefasst ergibt sich: Die Funktion
g (t) :=
e
−tt
α−1ln(1/t) f¨ ur 0 < t < 1, t
βe
−tf¨ ur 1 ≤ t ≤ t
0, C · t
−2f¨ ur t > t
0ist integrierbar, und es gilt:
∂f
∂x (x, t)
≤ g(t) f¨ ur α < x < β und alle t ∈ R
+.
Also ist Γ differenzierbar, mit Γ
0(x) =
Z
∞ 0ln(t)e
−tt
x−1dt .
Induktiv kann man sogar zeigen, dass Γ beliebig oft differenzierbar ist.
Es gibt noch einen interessanten Wert der Gammafunktion:
Γ( 1 2 ) =
Z
∞−∞
e
−x2dx = √ π.
Beweis: Wir benutzen folgende Aussage: Ist ϕ : [0, ∞) → [0, ∞) surjektiv und differenzierbar, mit ϕ
0(x) > 0 f¨ ur x > 0, so ist
Z
∞ 0f (t) dt = Z
∞0
f (ϕ(x))ϕ
0(x) dx.
Das soll heißen: Konvergiert eines dieser beiden Integrale, so auch das ande- re, und die Grenzwerte sind gleich. Zum Beweis benutzt man die Substitu- tionsregel innerhalb endlicher Grenzen und geht dann auf beiden Seiten der Gleichung zu den uneigentlichen Integralen ¨ uber.
Mit t = ϕ(x) := x
2folgt nun:
Γ( 1 2 ) =
Z
∞ 0e
−tt
−1/2dt = Z
∞0
e
−x2· (x
2)
−1/2· 2x dx
= 2 · Z
∞0
e
−x2dx = Z
∞−∞