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Verdichtung durch Reduktion : Kontrastphänomene in den Porträts von Frank Auerbach

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Academic year: 2022

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Quelle: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/ch/ Datum: 12.11.2013

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Verdichtung durch Reduktion

Kontrastphänomene in den Porträts von Frank Auerbach

__________________________________________________

Dissertation

zur Erlangung der Würde eines Doktors der Philosophie vorgelegt der Philosophisch-Historischen Fakultät

der Universität Basel von

Invar-Torre Hollaus von

Mayrhofen im Zillertal/Österreich

Buchbinderei Martin Fischer, Basel 2010

___________________________________________________________________________

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Genehmigt von der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel, auf Antrag von Prof. Dr. Gottfried Boehm, Kunsthistorisches Seminar der Universität Basel (Referent) sowie von Prof. Dr. Robert Kudielka, Universität der Künste Berlin (Korreferent).

Basel, den 8.12.2009 Der Dekan

Prof. Dr. Jürg Glauser

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INHALTSVERZEICHNIS:

Seite

Danksagung I-III

1. Einleitung 1

2. Forschungsstand 9

I. Teil: Leben & kunsthistorische Einordnung des Schaffens 14

I.I. Biographische Anmerkungen und Hinführung an das Werk von Frank Auerbach 14 I.I.I. Kindheit in Berlin und Übersiedlung nach Großbritannien 14 I.I.II. Ausbildung und erste Schritte in die künstlerische Selbständigkeit 17 I.I.III. Mit Beharrlichkeit zum internationalen Durchbruch 21 I.II. Zur Rezeption von Auerbachs Werk im Umfeld der zeitgenössischen Englischen Kunst 23 I.II.I. „The School of London“ – Begriff und Rezeption 23 I.II.II. London – gemeinsamer Ort individueller Inspirationen 27 I.II.III. Die „School of London“ als künstlerische Diaspora? 32 I.II.IV. Auerbach vs. Jüdische Kunst und Deutscher Expressionismus 35

I.II.V. Zur Situation der Englischen Kunst nach 1945 45

I.III. Zum Einfluss der Französischen Moderne auf die Englische Kunst des 20. Jahrhunderts 50 I.III.I. Rezeption und Weiterentwicklung der Französischen Moderne in der Englischen Kunst

zu Beginn des 20. Jahrhunderts 50

I.III.II. Zum Leben und Kunstverständnis von David Bomberg 51 I.III.III. Bombergs Affinität zu Berkeleys Theorie einer Optik 58

I.III.IV. Der Nachhall Cézannes in Bombergs Werk 62

I.III.V. Exkurs: Merleau-Pontys phänomenologischer Ansatz vs. Auerbachs Werk 66 I.IV. Zur Tradition der modernen Porträt- und figurativen Malerei in England 73

II. Teil: Werk 79

II.I. Entwicklung des Kunstverständnisses im Frühwerk 79

II.I.I. Der Aspekt der „Newness“ vs. Beschränkung der Bildmotive 81 II.I.II. Spezifische Kompositionsmerkmale von (Stadt)Landschaft und Porträt 85

II.I.III. Einzelbild vs. Bilderserie 88

II.I.IV. Präsentation und Größe der Bilder 95

II.II. Das Atelier 99

II.III. Das Modellsitzen 102

II.IV. Die Modelle („Sitters“) 112

II.IV.I. E.O.W. (Estella Olivia West/1951-1973) 115

II.IV.II. J.Y.M. (Juliet Yardley Briggs Mills/1957-1997) 118

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II.IV.III. Julia Auerbach (seit 1959) 119

II.IV.IV. Jake Auerbach (seit 1976) 120

II.IV.V. Catherine Lampert (seit 1978) 122

II.IV.VI. David Landau (seit 1984) 123

II.IV.VII. William Feaver (seit 2003) 123

II.IV.VIII. Weitere Modelle 124

III. Teil: Wahrnehmung 128

III.I. Porträtmalerei – Referentialität und Mimesis 131

III.I.I. Wie zeigt sich Ähnlichkeit in Auerbachs Porträts? 133

III.I.II. Porträt vs. Karikatur 139

III.II. Wann ist ein Bild vollendet? 145

III.III. Die Dynamik der Linie – Zur Entwicklung der Zeichnungen 155

III.III.I. Die Kompaktheit des Strichs 160

III.III.II. Das Auflösen der Formen 164

III.III.III. Die Autonomisierung der Linie 169

III.III.IV. Beschleunigte Linien vs. Rhythmik des Bildgrunds 173 III.IV. Chaotische vs. deskriptive Linien in Zeichnungen und Gemälden 177

III.V. Figur vs. Hintergrund: Energetisches Strömen 183

III.VI. Der Bildraum als Ereignisraum: Zur Figuration der halb- und ganzfigurigen Porträts 188

III.VII. Paint vs. Colour – Farbmasse als Bildmasse 194

III.VII.I. Visuelle „Blindheit“ vs. Taktilität des Motivs 199

III.VII.II. Malerei als Palimpsest 203

III.VII.III. Die Eloquenz der Farbmaterie 205

III.VII.IV. Das „fleischliche“ Moment der Farbe 209

III.VIII. Aspekte der Temporalität in Auerbachs Schaffen 215

III.IX. Sehen vs. Schauen 218

III.X. Schlussbetrachtung: Verdichtung durch Reduktion 222

IV. Anhang

IV.I. Bibliographie 228

IV.II. Abbildungsverzeichnis 251

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DANKSAGUNG:

Die vorliegende Dissertation ist über einen längeren Zeitraum gereift und in ihren substantiellen Teilen zwischen Mitte 2007 und Mitte 2009 entstanden. Ohne vielfältige kritisch-intellektuelle, freund-schaftliche und finanzielle Unterstützung, die ich von verschiedenster Seite erfahren habe, wäre dieses Vorhaben nicht realisierbar gewesen.

Besonderer Dank gebührt an dieser Stelle Prof. Dr. Gottfried Boehm, Vorsteher des Kunst- wissenschaftlichen Instituts der Universität Basel sowie des Eikones-Bildkritik-Forschungsprojekts des Schweizerischen Nationalfonds, der nicht nur während des Studiums meine Wahrnehmung von Bildern entscheidend geprägt, sondern vor allem mich in meinem Vorhaben, eine Dissertation über die Porträts von Frank Auerbach zu verfassen, von Anfang an mit großem Interesse unterstützt hat. Dank seines präzisen Verständnisses und intellektuellen Gespürs konnte manch inhaltliche Klippe auf dem Weg bis zur endgültigen Fertigstellung umschifft und die Arbeit letztlich in einen sicheren Hafen ge- steuert werden.

Für die bereitwillige Übernahme des Korreferats möchte ich Prof. Dr. Robert Kudielka von der Uni- versität der Künste in Berlin danken. Mit ihm konnte ich einen der wenigen ausgewiesenen Kenner Englischer Kunst außerhalb des angelsächsischen Sprachraums für mein Projekt gewinnen.

Beide sind mir mit wertvollem Rat und fruchtbarer, konstruktiver Kritik zur Seite gestanden und haben auf vertrauensvolle, geduldige Art den Werdegang der Arbeit unterstützt und begleitet.

In London habe ich vom Künstler selbst wie auch aus seinem direkten Umfeld uneingeschränkte Hilfe und großes Interesse an meinem Projekt erfahren dürfen.

Ohne Vorbehalt kann gesagt werden, dass der persönliche Kontakt mit Frank Auerbach überaus gewinnbringende Impulse in diese Arbeit eingebracht hat, die mit nichts aufzuwiegen sind. Für sein angenehmes, unkompliziertes Wesen, sein brillantes Kunstverständnis sowie das Interesse an meiner Arbeit danke ich ihm sehr. Der Kontakt mit ihm ist menschlich wie intellektuell ungemein bereichernd und eine große Freude.

Zu großem Dank bin ich der Londoner Galerie des Künstlers Marlborough Fine Art verpflichtet, ins- besondere ihrem Direktor Geoffrey Parton und Kate Austin, der verantwortlichen Leiterin von Auerbachs Archiv sowie für alle Angelegenheiten, die mit diesem Werk zu tun haben, wie auch Armin Bienger und dem weiteren Mitarbeiterstab, für ihre höchst professionelle und alles andere als selbst- verständliche Unterstützung sowie für ihr ausgeprägtes Interesse an meinem Projekt. Kate Austin hat mir wertvolle Kontakte vermittelt und war jederzeit geduldig und bereitwillig zur Stelle, um meine Anliegen seriös, schnell und absolut zuverlässig zu erledigen. Darüber hinaus hat sie mich auf groß- zügigste Weise mit längst vergriffenen Ausstellungskatalogen reichlich versorgt, wertvolles Quellen- material im Archiv zugänglich gemacht und Abbildungen digital übermittelt.

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Überaus fruchtbar gestaltete sich zudem der persönliche Kontakt zu Catherine Lampert (Kuratorin und Gastprofessorin an der University of the Arts in London, sowie langjährige Direktorin der Whitechapel Art Gallery), und William Feaver (Kurator, Schriftsteller, Maler sowie langjähriger Kunstkritiker für diverse Zeitungen und Kunstzeitschriften, vor allem für den Observer), die beide Auerbach und sein Schaffen seit vielen Jahren freundschaftlich begleiten und ihm regelmäßig als Modell dienen. Von beiden habe ich von Anfang an große Begeisterung und ehrliche Wertschätzung für meine Arbeit erfahren. Durch ihren langjährigen Kontakt sowohl zu Auerbach, als auch zu Künstlern wie Lucian Freud oder Leon Kossoff und ihre profunde Kenntnis und Erfahrung, konnte die Dissertation mit wertvollem Hintergrundwissen angereichert werden, welches sich so in keiner Form niedergeschrieben findet.

Zuletzt muss Prof. Dr. Michael Podro (1931-2008), ehemaliger Professor der University of Essex, erwähnt und Dank ausgesprochen werden, der mir zu Beginn der Arbeit an der Dissertation wertvolle Unterstützung zukommen ließ und meinen eingeschlagenen Weg bestätigte. Seine schwere Erkrankung und sein viel zu früh erfolgter Tod haben leider den beginnenden fruchtbaren intellektuellen Austausch jäh unterbrochen.

Die Fertigstellung der Arbeit wurde auch dank einer bedeutenden finanziellen Unterstützung ermöglicht. Insbesondere sei an dieser Stelle Dr. Hans Furer von der Stiftung Hans und Renée Müller- Meylan/Basel, sowie Dr. Peter Blome von der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft FAG/Basel gedankt, die meinem Projekt 2008 großzügige Promotionsstipendien gewährten, dank derer ich mich vollzeitig der Dissertation widmen und so die unerlässlichen Aufenthalte für wissenschaftliche Recherchearbeiten in London finanzieren konnte. Diese Aufenthalte haben nicht nur überaus wertvolles Material in die Arbeit einfließen lassen, sondern auch ganz wesentlich das Arbeitstempo erhöht und damit die Fertigstellung der Arbeit gewährleistet. An dieser Stelle sei Prof. Dr. Sebastian Egenhofer, Laurenz-Professor der Emanuel-Hoffmann-Stiftung am Kunstwissenschaftlichen Institut der Universität Basel gedankt, der mit Empfehlungsschreiben an die oben genannten Institute neben Prof. Dr. Gottfried Boehm wesentlichen Anteil daran hat, dass diese Stipendien auch zugesprochen worden sind.

Besonderen Dank möchte ich gegenüber meinen Eltern, Helga und Franz-Josef Hollaus (Sachsen/Tirol/Basel) aussprechen, die sowohl diese Arbeit, als auch meinen beruflich einge- schlagenen Weg sowie das Studium durch ihre großzügige und selbstlose Unterstützung erst ermöglicht und mir auch in schwierigen Situationen stets ihr Vertrauen geschenkt haben. Ihnen ist diese Arbeit in Dankbarkeit gewidmet.

Zuletzt möchte ich Freunden und Bekannten danken, die mich auf dem Weg dieser Arbeit auf verschiedene Weise durch wertvolle mentale wie intellektuelle Unterstützung und Wertschätzung

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begleitet und immer wieder ermutigt haben. Ihnen allen sei hier für ihren bereichernden Einsatz herzlichst gedankt:

Peter Aegler, Basel; Joachim & Irmel Bandau-Kamp, Aachen/Stäfa; Rainer Baum, Haltingen; Helmut Federle, Wien; Dr. Daniel Frank, Biel; Dr. Saskia-Silja Hollaus, Basel; Carlo Magno, Wenslingen;

Mark Müller, Zürich; Matthias & Sabine Müller, Basel; Patrick & Claudia Rohner-Lienert, Rüti/GL;

Francesca Volpe, Pratteln. Hervorzuheben sind dabei vor allem Marco Koch, Austin/TX, der die professionelle Gestaltung der Abbildungen übernommen hat, sowie Dr. Madeleine Kern, Birsfelden, die Teile der Arbeit kritisch gegengelesen und mich mit klugen Einwänden auf inhaltliche Unzuläng- lichkeiten hingewiesen hat.

Invar-Torre Hollaus, Basel, im Juni 2009

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1. Einleitung

Frank Auerbach zählt zu den bedeutendsten Künstlern der zweiten Hälfte des 20.

Jahrhunderts und der zeitgenössischen Kunst. Von der breiten Öffentlichkeit sowie vom Massenspektakel des internationalen Ausstellungsbetriebs nach wie vor weitgehend unbeachtet, arbeitet der 1931 in Berlin geborene englische Maler seit Anfang der 1950er Jahre kontinuierlich und konsequent an einem absolut singulären Werk, welches es in seiner ganzen Bedeutung erst noch zu entdecken gilt.1 Von Beginn an legt er sich auf nur wenige Motive fest, wobei die Auseinandersetzung mit der menschlichen Erscheinung klar im Zentrum seines künstlerischen Interesses steht.

Neben Stadtlandschaften vorwiegend aus der unmittelbaren Umgebung seines Ateliers im Quartier von Mornington Crescent – welches zum nördlich des Londoner Zentrums gelegenen Stadtteil Camden gehört – entstehen vor allem Kopfbildnisse sowie Porträts sitzender Personen in Dreiviertelansicht und – besonders in frühen Schaffensjahren – ganzfigurige Porträts liegender, zumeist nackter Frauen. Die Porträts zeigen fast ausschließlich Familienmitglieder und langjährige, enge Freunde und Bekannte. Damit dokumentieren diese Werke auch die spezielle Beziehung des Künstlers zu seinen Modellen. Auerbachs gesamtes Schaffen charakterisiert sich auf diese Weise durch ein ausgeprägtes Moment an Integrität und Intimität.

Bereits ein flüchtiger Blick auf einzelne Porträts macht deutlich, dass Auerbach an einer mimetischen oder realistisch-impressionistischen Wiedergabe nicht mehr interessiert ist, sondern eine unmittelbare, neue Erfahrung mit jedem Bild malerisch zu fassen sucht. Vielmehr irritieren diese Werke den Betrachter bei einer ersten Konfrontation durch ihre scheinbar willkürliche, informell-abstrakte Darstellungsweise. Eine spezifische Ähnlichkeit oder Wiedererkennbarkeit der dargestellten Individuen scheint weder gewährleistet noch intendiert zu sein. Man gewinnt den Eindruck, als stünde der Akt des Malens oder der pastose Farbauftrag im Vordergrund des Interesses. Bei eingehender konzentrierter Betrachtung und zeitlicher visueller Gewöhnung stellt sich jedoch eine überaus differenzierte Wahrnehmung ein, die die hohe Komplexität dieser Porträts offenbart. Das Sich-Zeigende erschließt sich

1 Die jahrelange Vernachlässigung Frank Auerbachs stellt aufgrund der unbestreitbaren Qualität seines Werks aus kunsthistorischer Sicht ein großes Rätsel dar. Führt man sich andererseits vor Augen, wie lange es zuweilen gedauert hat, bis „klassisch“ arbeitende englische Künstler wie bspw. Henry Moore, Francis Bacon oder Lucian Freud nicht nur in ihrer Heimat, sondern vor allem auf dem europäischen Kontinent und in den USA wahrgenommen und akzeptiert worden sind, überrascht dieser Umstand nicht mehr wirklich. Es bestätigt sich hier einmal mehr die Tatsache, dass solcher Kunst außerhalb Englands und im internationalen Vergleich wenig Aufmerksamkeit seitens einer breiteren Öffentlichkeit zuteil wird.

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dem Betrachter oft erst über eine zeitlich verzögerte Wahrnehmung. Die hohe Konzentration, das profunde Wissen und die jahrelange Auseinandersetzung mit nur wenigen Motiven ermöglichen es Auerbach zu einer verdichteten, hoch energetischen Darstellungsweise vorzudringen, um das Dargestellte in seiner Wiedergabe gleichsam abzukürzen, hin auf das Wesentliche seiner Essenz. Auf alles Überflüssige wird verzichtet. Von den über die Jahre regelmäßig porträtierten Personen ist auf diese Weise eine beeindruckende und eindringliche Serie von Paraphrasen entstanden, die einerseits das intensive Ringen des Künstlers um eine adäquate Transformation des visuell wie empathisch Wahrgenommenen in die Materialität der Farbe verdeutlicht und andererseits in jedem Bild bestrebt ist, am – vermeintlich – Bekanntem und Alltäglichem eine neue Erfahrung festzuhalten. Das Moment des Scheiterns sowie des Gelingens sind in Auerbachs Schaffen permanente Begleiter. Dabei manifestiert sich in der Werkentwicklung eine ganz spezifische stilistische Veränderung hin zu einer Verdichtung der Darstellung bei gleichzeitiger sukzessiver Reduktion des auf dem Bildträger verbleibenden Farbmaterials. Es wird sich erweisen, dass – trotz pastosem Farbauftrag und deutlich sichtbar belassener Spuren der Arbeitsweise – der Künstler den Arbeitsvorgang als solchen keineswegs besonders thematisieren und in den Vordergrund der Wahrnehmung der Bilder rücken will und sich dabei auch nicht in einer expressiv-dramatischen Gestik ergießt (wie dies manche Kritiker vermuten). Die spezifische Malweise wird vielmehr zum zwangsläufigen Nebenprodukt einer hoch entwickelten und sensibilisierten Wahrnehmung, die sich unmittelbar durch das Setzen des mit Farbe getränkten Pinsels bzw. dem Kohlestrich auf dem Bildträger niederschlägt.2

Auerbachs Frühwerk ist von kompositionell streng formulierten Bildern gekennzeichnet, die zähflüssige, krustige, mitunter deutlich dreidimensionale reliefhafte Oberflächen aufweisen. Das figurative Motiv baut sich kontinuierlich aus zahllosen Farbschichten auf, die während jeder Porträtsitzung von neuem aufgetragen werden. Die physische und psychische Anstrengung des Künstlers, das Ringen um

2 Michael Podro, der Auerbach und sein Werk während rund 40 Jahren begleitete, hat bereits in einem frühen Text über den Künstler die Schwierigkeit der Wahrnehmung seiner Bilder hellsichtig beschrieben: »Perhaps there are two kinds of perceptual difficulty for the spectator: the first is his process of adjustment to reach the appropriate mental set – the appropriate organization of his attention – from which he can follow the artist’s notation (what it is about the paint marks which counts); he can then reach the second stage of difficulty in which he follows the artist holding together the components or aspects of his subject. As one becomes more familiar with the work of an artist the stage becomes more condensed, and in the work of a major artist, the second more extended. But as spectators we can never be absolutely clear where we are adjusting to the artist’s notation, and where we are following the analogies and continuities within the work.«, siehe: Michael Podro:

Introduction, in: Ausst.-Kat. Marlborough Gallery, New York: Frank Auerbach, September-Oktober 1969, S.6.

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eine adäquate Form schlagen sich in aller Deutlichkeit im Bildresultat nieder.

Farbmaterie und Bildträger werden bis an die Grenzen ihrer physikalischen bzw.

physischen Belastbarkeit strapaziert. Die anatomische Beschaffenheit vor allem der Kopfporträts entfaltet sich auf eine haptisch-taktile, voluminöse Weise: Stirn-, Augenbrauen- und Nasenbereich stoßen merklich in den Vordergrund, während Körperöffnungen wie Augen oder Mund in die Tiefen des Farbgrunds absinken. Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre erfolgt eine den weiteren Entwicklungsverlauf seines Werks alles entscheidende stilistische wie technische Veränderung: Auerbach verzichtet von nun an ganz auf das sukzessive Auftragen unzähliger Farbschichten und schabt stattdessen nach jeder Sitzung oftmals die gesamte Farbe oder zumindest große Teile derselben wieder vom Bildträger ab. So bleiben zumeist nur noch schemenhafte (Farb)Spuren des Auftrags bzw. der Darstellung zurück, die die Ausgangsbasis der nächsten Porträtsitzung bilden. Damit befreit er sich aus dem stilistisch engen Korsett seiner früheren Bilder. Die Figur entsteht folglich nicht mehr bloß durch stetig akkumulierte Farbschichten, sondern in einem langwierigen, kontinuierlichen Prozess des Auf- und Abtragens von Farbe, in dessen Folge sich diese Spuren zu einer immer kohärenteren Darstellung vernetzen und verdichten und das letztlich gültige Bild in einer finalen, entscheidenden Sitzung gewonnen wird.3

Das Werk von Frank Auerbach ist nach wie vor ein mehrheitlich weißer Fleck auf der Landkarte des kunsthistorischen Diskurses, sowohl im aktuellen als auch im vergangenen. Abgesehen von ein paar wenigen Ausnahmen gibt es nach wie vor kaum Untersuchungen, die sich wissenschaftlich-intellektuell auf qualifizierte Weise mit dem Werk auseinandersetzen. So ist auch diese grundsätzlich antithetische Entwicklung verschiedener Kontrastphänomene – im Titel mit Verdichtung durch Reduktion umschrieben –, die sich in Auerbachs Schaffen zeigt, noch nicht in entsprechender Form thematisiert worden. Hier setzen die Hauptthesen der Dissertation an, die sich in ihren Ausführungen dabei auf die Porträts, den zentralen Zweig im Schaffen des Künstlers, fokussieren wird. Diese machen rund zwei Drittel der bisherigen Gesamtproduktion von knapp 1000 Werken (Gemälde sowie

3 In der gängigen Kritik wird für dieses Vorgehen immer wieder das Moment des „Ausgrabens“ des Motivs aus der Farbe bemüht, was den Prozess der Bildwerdung in den verschiedenen Werkphasen aber nur unzureichend beschreibt, so wie bspw. in einer der jüngeren Rezensionen: »In a way, Auerbach’s method of work is a sort of excavation – digging away at the subject until he has come to some fundamental truth.«, siehe: Martin Gayford:

Frank Auerbach, in: The World of Interiors, Vol.21, Nr.9, September 2001, S.181-183, hier S.183.

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Zeichnungen) aus. 4 In den Porträts manifestiert sich sowohl eine radikale Transformation des Modellsitzens als auch ein fundamentaler Neuansatz in der Porträtmalerei, die sich über ein komplexes Beziehungsnetz spezifischer Kontrastphänomene artikulieren. Das Aufzeigen dieser Phänomene an den Porträts soll nun eine Möglichkeit bieten, wie sich diesem komplexen und hermetischen Werk angenähert werden kann.

Die eng verschränkte Wahrnehmung der Bilder mit ihrer technischen wie kompositorischen Machart erweist sich als ein zentrales Element dieser Porträts.

Obgleich Auerbach an der physischen Anwesenheit des Modells während des Malakts festhält und eine Ähnlichkeit des Wesens der Person einzufangen sucht, scheint sich auf dem Bildträger bei einem ersten Blick zumeist das völlige Gegenteil zu manifestieren. Die Akkumulation der Farbe scheint in manchen Bildern das Dargestellte an den Rand ihres Kollapses zu führen. Wie ist hier die teils extreme Materialität der Farbe, diese „Vehemenz“ der Malerei mit dem Referenzverweis herkömmlicher mimetisch-realistischer Porträtmalerei zu vereinbaren? Wie setzt Auerbach Farbe (die in seinen Bildern sehr frei gehandhabt wird und so gut wie nie fleischlich konnotiert ist!) im Verhältnis zur Realität des dargestellten Objekts oder auch im Vergleich zu Zeitgenossen aus seinem unmittelbaren künstlerischen Umfeld wie Bacon, Freud oder Kossoff ein? Ein Charakteristikum seiner Kunst scheint die Verzahnung der Farbmasse als Bildmasse zu sein, die nur bei sehr wenigen Künstlern derart ausgeprägt ist und deren Kunst dennoch nicht ins rein Abstrakte, Dekorative oder Willkürliche umschlägt.5 Aus dem amorphen Farbmaterial („paint“) tritt das Substantielle der Farbe („colour“) hervor und erlangt als Figürliches in den Bildern Präsenz. Das Gemalte, das zur Erscheinung gelangt, hat rein äußerlich oder mimetisch jedoch mit dem Modell nichts mehr gemein. Die rein äußere Erscheinung einer Person dient Auerbach vielmehr dazu, seine Wahrnehmung ausgehend von dieser

4 Die Porträts spiegeln aufgrund ihrer stilistischen Eigenständigkeit und Neuartigkeit die elementare Leistung und Bedeutung Frank Auerbachs für die figurative Malerei am deutlichsten wider. Seine Stadtlandschaften wiederum gehören zu den wenigen gemalten und gezeichneten Zeugnissen, die gewisse Gegenden Londons künstlerisch dokumentieren. Neben Auerbach hält vor allem Leon Kossoff bestimmte Orte Londons – zumeist die weniger pittoresken – immer wieder in seinen Bildern fest. Zuletzt war diese Thematik Gegenstand einer Ausstellung siehe: Ausst.-Kat. Ben Uri Art Gallery: London Senses and Experiences, London 4.7.-5.8.2007.

5 Im weiteren Verlauf der Arbeit wird sich zeigen, dass Frank Auerbach einer Art der Wahrnehmung verpflichtet ist, die sich – wenn auch auf jeweils spezifische Weise – vor allem in der französischen Kunst der Moderne bspw. bei Paul Cézanne, Chaïm Soutine, Alberto Giacometti oder Eugène Leroy und in der englischen Malerei bei Walter Richard Sickert, dem späten David Bomberg, Francis Bacon, Lucian Freud oder Leon Kossoff niedergeschlagen hat. Allerdings soll hier keinesfalls der Eindruck entstehen, das jeweils genuine Werk dieser Künstler 1:1 mit Auerbachs Bildern vergleichen zu wollen, es zeigt sich lediglich eine lose Verwandtschaft.

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konventionellen Basis zu vertiefen. Hier findet eine zentrale Neuformulierung dessen statt, was ein Modell für ein Porträt zu leisten im Stande ist.

Auerbach bewegt sich so permanent auf einem schmalen Grat zwischen äußerster Präsenz der Farbe und dem (vermeintlichen) Zusammenbruch der Darstellung.

Mimesis und Poiesis scheinen in einem krassen Widerspruch zueinander zu stehen, da die materielle Verdichtung eine visuelle Entleerung des Bildmotivs evoziert und dieses sich beim Betrachter zunächst als unscharf wahrgenommenes Objekt konstituiert. Fragen nach der Bestimmtheit bzw. Unbestimmtheit der dargestellten Person werden relevant. Hängt die Referenz der Person von der dargestellten Figur oder nur noch vom Bildtitel ab? Löst sich der Referenzverweis zugunsten einer vieldeutigen Evokation der Person in ihre auratische, hochgradig aktivierte Energie auf, oder wird hier Malerei in ein Energiefeld reiner Malerei transformiert? Bei einer ersten Konfrontation mit den Werken Auerbachs glaubt man ein Paradebeispiel des Beckett’schen Leitmotivs der Kunst vor Augen zu haben: Kunst als Aufforderung zum Weitermachen, zum Streben nach neuen Erfahrungen auf der Basis des Scheiterns.6 Jedem Porträt, jedem Bild des Künstlers an sich scheint in der Tat das Moment des Scheiterns inhärent zu sein. Mit einer unbändigen Willensanstrengung und einem enormen Energieaufwand, aber auch mit einem ausgeprägten Interesse an neuen Erfahrungen und auch um sich immer wieder selbst zu überraschen, versucht er in jedem Bild aufs Neue, die physische und psychische Präsenz der vor ihm anwesenden Person in der Farbe auf dem Bildträger festzuhalten, um ein Stück Leben dem Fluss der Zeit, der Vergänglichkeit zu entreißen. Dabei kommt es bei Auerbach aufgrund der hochgradig aufgelösten mimetischen Wiedergabe der Personen zu einer für die traditionelle Porträtmalerei fundamentalen Verschiebung der visuellen Wahrnehmung und zu einem sich wechselseitig bedingenden Balanceakt zwischen den Polen, die gemeinhin mit „Figuration“ und „Abstraktion“ definiert werden.

Ernst Gombrich hat in seiner epochalen Schrift Kunst und Illusion7dargelegt, dass Wiedererkennbarkeit und Ähnlichkeit essentielle Prämissen von Repräsentation sind, Grundcharakteriska vor allem auch der traditionellen Porträtmalerei. Der Illusionismus – also die Darstellung von Dingen in einer überzeugenden und glaubhaften Form – ist für Gombrich eine der bedeutendsten Leistungen der Kunst der westlichen Zivilisation.

6 Samuel Beckett: Das Gleiche nochmal anders. Texte zur bildenden Kunst, Frankfurt a. M. 2000, hier vor allem S.49 & 59.

7 Ernst Gombrich: Kunst und Illusion. Zur Psychologie der bildlichen Darstellung, Berlin 2002 (6.Aufl.).

Gombrich geht bei der Erläuterung seiner These, wie seines Kunstverständnisses überhaupt, grundsätzlich von gegenständlicher Kunst aus.

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Auf Gombrich bezugnehmend zeigt Kirk Varnedoe in der Debatte um abstrakte, ungegenständliche Kunst auf, dass Abstraktion keineswegs zwingend auf Wiedererkennbarkeit und Ähnlichkeit als Interpretationsfaktoren angewiesen ist, im Gegenteil, das sie von deren Absenz sogar profitieren kann.8 Er schreibt: »Abstraction absorbs projection and generates meaning ahead of naming, establishing the form of things unknown, sui generis, in this peculiar complexities. […] This is one of abstraction’s singular qualities, the form of enrichment and alteration of experience, denied to the fixed mimesis of known things.«9 Varnedoe versteht Abstraktion als »a remarkable system of productive reductions and destructions that expends our potential for expression and communication.«10 Gombrich wie Varnedoe ziehen für ihre Erläuterungen zwar Künstler heran, die in Bezug auf den Diskurs von Auerbachs Werk keine Relevanz haben, da bei ihm trotz aller offensichtlichen Abstraktionstendenzen nicht von abstrakter Malerei im eigentlichen Sinn gesprochen werden kann – das wird im weiteren Verlauf der Analyse seiner Bilder noch sehr deutlich werden. Dennoch lassen sich die Grundgedanken beider Autoren auf Auerbachs Kunst aber auf fruchtbare Weise im übertragenen Sinne anwenden. Denn in der Auseinandersetzung mit seinen Porträts wird klar, dass Auerbach mit seiner völlig individuellen Bildsprache einen bedeutenden Beitrag zur figurativen Malerei geschaffen hat, die den Blick jenseits bekannter Seh- und Wahrnehmungskonventionen auf die Gestalt des menschlichen Körpers lenkt.

Auerbach führt dem Betrachter Malerei nicht nur als ein vielfältiges ästhetisches sondern auch als sinnliches Faktum, als ein „offenes Feld“ visueller Optionen vor Augen. Abbildung und Farbmaterie gehen eine unzertrennliche dialektische Beziehung ein. Das Abbild gewinnt durch die Farbmaterie einerseits Gestalt, andererseits erzeugt die Prominenz – nicht aber die Dominanz – des Farbmaterials zu dem von ihr geschaffenen Gegenstand ein wechselseitiges und fruchtbares Konkurrenzverhältnis, denn das Motiv muss sich gegenüber der Farbmaterie erst behaupten. Beides wird vom Künstler gleichberechtigt eingesetzt und nicht wie in einer rein abbildenden Malerei die Materie dem Motiv untergeordnet. Dies erzeugt – vor allem zu Beginn der Auseinandersetzung mit diesen Bildern, wenn sich das Auge des Betrachters erst noch an das Gezeigte gewöhnen muss – bei Auerbach ein starkes Irritationsmoment, da Figuration bzw. Gegenständlichkeit und Abstraktion

8 Kirk Varnedoe: Pictures of Nothing. Abstract Art since Pollock, Washington 2006.

9 Ebd., S.34.

10 Ebd., S.41.

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offensichtlich auf ein und derselben Ebene Anwendung finden. Diese Darstellungsweise führt nicht nur zu einer ungemein intensiv erlebbaren Figuration, in der sich das Dargestellte als lebendige und autonome Form erweist. Es zeigt sich auch, dass die gängigen Unterscheidungskriterien in figurative bzw. abstrakte Kunst bei Bildern wie diesen, die einer lebendigen und kritischen und keiner bloß deskriptiv- beschreibenden Wahrnehmung verpflichtet sind, obsolete und in hohem Masse unzureichende Definitionen sind.

In der Auseinandersetzung mit diesen singulären und faszinierenden Bildnissen erfährt der Betrachter so etwas von der Intensität menschlicher Existenz an sich. Auerbachs ausdauernde und kompromisslose Arbeitsweise spiegelt den elementaren, existentiellen Drang des Künstlers nach Erkenntnis wider. Seine Kunst ist geprägt von einem tiefen Glauben an die Humanität des Menschen wie auch von deren Darstellbarkeit in der Kunst. Damit liefert er einen wichtigen Beitrag für das sinnliche und geistige (Über)Leben des Menschen und der Kunst selbst. Es ist deshalb ein großes Anliegen dieser Arbeit, hier nicht nur eine elementare Lücke zeitgenössischer Kunstrezeption zu schließen, sondern auch den vor diesem Hintergrund fundamentalen Fragen der Porträt- bzw. figurativen Malerei nachzugehen, um auf diese Weise die singuläre Position von Frank Auerbach in der modernen und zeitgenössischen Kunst darzulegen.

Auffällig früh greift Auerbach in seinem Schaffen bereits zur Variation – es handelt sich bei ihm jedoch niemals nur um bloße serielle Wiederholungen – seiner wenigen Motive. Und sehr früh werden auch konventionelle Sehkonventionen durch die Art und Weise seiner Wiedergabe hinterfragt und außer Kraft gesetzt. Es hat den Anschein, als möchte Auerbach bereits in frühen Jahren jede Bildlösung, jeden Eindruck von Realität wieder in Frage stellen. Keine Betrachtung auf ein Motiv scheint definitive Gültigkeit zu besitzen, jeder Paraphrase kann potentiell eine weitere folgen.

Auerbachs Variationen seiner Porträts und Landschaftsbilder werden zu einer obsessiven Versuchsreihe, in der die fließende Wahrnehmung von Realität das jeweilige Objekt in einer stetig neuen Farb- und Formäußerung zeigt. Man gewinnt den Eindruck, als wolle Auerbach die Fülle und den Reichtum der Wiedergabemöglichkeiten von Realität in seinen Bildern an wenigen Motiven umso intensiver sichtbar machen. Auch in diesem Zusammenhang wird das Moment der Verdichtung durch Reduktion in seinem Werk augenscheinlich. Die beständige und konsequente Variation weniger Motive relativiert jede definitive, präzise Aussage über

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das, was dargestellt wird und führt dazu, dass die Vorstellung von einer rein deskriptiven, sprich „richtigen“ und damit verbindlichen und bewertbaren Realität aufgegeben werden muss. Das unablässige Abarbeiten an einigen wenigen Motiven führt zur Neutralisierung ihrer rein äußeren Erscheinung, jede Variation erscheint als ein jeweiliges Zwischenresultat einer (selbst)kritischen und analytischen Vorgehens- und Betrachtungsweise.

Bilder geben nie ein definitives Bild unserer Realitäten wieder. Sie können aber unserer ständig schwankenden Wahrnehmung von Welt und Wirklichkeit ein elementarer Orientierungspunkt sein. Malerei – wie Kunst im Allgemeinen – klärt und verändert die Bedingungen der Wahrnehmung, mehr noch, erweitert sie. Auerbach versucht anhand einer kleinen Motivauswahl sowie im beständigen Prüfen und kritischen Hinterfragen des Wahrgenommenen und durch unmittelbares Reagieren während des Malakts, seinen Bildern ein möglichst hohes Maß an Wirklichkeit und Authentizität zukommen zu lassen. All dies erfolgt über einen längeren Zeitraum, sodass jedes Bild nicht nur den Erfahrungswert einer Arbeitssitzung beinhaltet, sondern die Summe einer Vielzahl einzelner Wahrnehmungen. Diese spezifische Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung, dem Sehen erzeugt die ungemein hohe Dichte und Kohärenz der Darstellungen. In den unablässig von neuem unternommenen Versuchen, sich einer bestimmten Person, einem bestimmten Ort in seiner vieldeutigen und tiefgründigen Aussagekraft zu nähern, unterstreicht Auerbach sein Vertrauen und seinen Glauben an die Eigenschaften der Malerei und ihre nach wie vor unausgeschöpften Möglichkeiten einer vitalen und energetischen Wiedergabe.

Die Aktualität seiner Kunst wird auch durch solche Überzeugungen und den Glauben an die Zukunftsfähigkeit der Malerei bemessen.

Bevor sich die Ausführungen auf ausgewählte Porträts – sowohl Gemälde als auch Zeichnungen – aus den verschiedenen Schaffensphasen des Künstlers konzentrieren, um an diesen die spezifische Entwicklung sowie die Phänomene der Wahrnehmung wie der Technik darzulegen, sollen zunächst sowohl der biographische Hintergrund als auch der künstlerische Werdegang von Frank Auerbach grob umrissen werden, da dies für das Verständnis und die Beweggründe seiner Kunst hilfreich ist. Hierzu gehört auch eine Schilderung der zeitgenössischen Britischen Kunstszene, die Auerbach während seiner künstlerischen Anfänge in den 1950er Jahren vorgefunden und durchlebt und die seine Entwicklung entscheidend geprägt hat. Wegweisende Impulse hat er hier von David Bomberg, Walter Richard Sickert u. a. erhalten. In diesem

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Zusammenhang lohnt es sich auch, einen Blick auf die Rezeption der französischen Moderne zu richten, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine überaus deutliche Prägung in der Englischen Kunst hinterlässt. Solche Exkurse bergen zwar die Gefahr vom eigentlichen Thema der Porträts Auerbachs abzuschweifen, aufgrund des eklatanten Mangels an theoretischer Literatur, die sich auf profunde Weise in dieser Hinsicht mit Auerbachs Schaffen auseinandersetzt, haben solche Erläuterungen jedoch durchaus ihre Berechtigung. Es zeigt sich dabei vor allem, wie sehr Auerbach in einer direkten Entwicklungslinie mit der Tradition der figurativen Englischen Kunst steht, und nicht – wie immer wieder behauptet wird – vom (vor allem Deutschen) Expressionismus beeinflusst ist; mit expressiver oder gestisch-wilder Malerei hat dieses Werk nichts zu tun. Von Bedeutung für Auerbachs Frühwerk und das Ausbilden und Festigen seiner künstlerischen Bestrebungen ist auch das unmittelbare Umfeld zu Malerkollegen, die unter dem Label der sog. „School of London“ von der allgemeinen Forschung zusammengefasst werden. Im freundschaftlichen Kontakt zu und im regen Wissensaustausch mit Persönlichkeiten wie Francis Bacon, Lucian Freud oder Leon Kossoff – in deren Bildern ebenfalls der menschliche Körper im Zentrum ihres Schaffens steht – findet Auerbach Bestätigung und erste Anerkennung für seine Sichtweise und seine frühen Bilder.

2. Forschungsstand

Die Literatur zu Frank Auerbach ist auch nach über fünfzig Schaffensjahren und selbst im Vergleich zu Zeitgenossen aus seinem unmittelbaren künstlerischen Umfeld wie Francis Bacon (1909-1992) oder Lucian Freud (1922) eher schmal und bescheiden.

Obwohl sich Auerbachs Werk unterdessen nicht nur unter Sammlern und Kennern Englischer Kunst einer international ausgezeichneten Reputation erfreut,11 ist es nach wie vor nur sehr selten Gegenstand des kunsthistorischen Diskurses. So sind denn auch wissenschaftliche Abhandlungen, die sich intensiver mit dem Werk des Künstlers auseinandersetzen, rar.12 Dieser Umstand mag zum einen vielleicht am international

11 Es besteht allerdings hier nach wie vor eine erhebliche Diskrepanz zwischen Auerbachs vereinzelten Museumsausstellungen und der Nachfrage, die gegenüber seinen Werken auf dem internationalen Kunstmarkt besteht. Seit einigen Jahren sind Galerieausstellungen oftmals nahezu ausverkauft. Ebenso stark ist die Nachfrage auf Auktionen (vorwiegend bei Sotheby’s und Christie’s in London und New York), wo in jüngster Zeit vor allem für Gemälde sehr hohe Ergebnisse deutlich jenseits der Millionenmarke erzielt worden sind.

12 Das zeigt sich auch an der erschreckend mageren Zahl an Dissertationen, die Auerbach zum Thema haben. Es scheint lediglich zwei solcher Publikationen zu geben. Lydia Girot Regojo: Helen Lessore and the Beaux-Arts Gallery Painters, Queens University at Kingston/Canada 1990, wobei es sich hier nicht um eine monographische

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oftmals nur geringen Interesse liegen, welches („klassisch“ arbeitenden) englischen Künstlern bisweilen entgegengebracht wird. Selbst von der gängigen angelsächsischen Forschung wird Kunst aus England ziemlich stiefmütterlich behandelt und immer wieder als konservativ und wenig innovativ und modern eingestuft. Gegen dieses Urteil mussten bereits Generationen englischer Künstler ankämpfen.13 Zum anderen liegt diese Vernachlässigung gewiss auch daran, dass sich der Künstler aus dem inszenierten Ausstellungszirkus herzlich wenig macht und seine Werke für einen schnellen Konsum nicht kompatibel sind. Überraschend, aber auch völlig unverständlich ist diese jahrelange Renitenz und Ignoranz sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland, dem ursprünglichen Heimatland des Künstlers, gegenüber seinem Werk dennoch. Dieser eklatante Mangel an Schriften, in denen sich auf profunde Weise Auerbachs Schaffen genähert wird, hat in der Vergangenheit einen konstruktiven Diskurs über das Werk wohl auch maßgeblich behindert.

1990 veröffentlicht Robert Hughes die bisher einzige Monographie zum Leben und Werk des Künstlers.14 Obwohl diese Publikation schon bereits fast zwanzig Jahre alt ist, hat sie noch immer ihre Gültigkeit als ein unerlässliches Nachschlagewerk, dank der eloquenten Schilderung von Auerbachs Werdegang, den profunden Bildanalysen und den qualitativ guten Abbildungen, die die Werkentwicklung chronologisch von Anfang der 1950er Jahre bis 1990 stringent und überzeugend nachzeichnen. Auch wenn der Autor zuweilen dazu neigt, die obsessive Arbeitsmethode des Künstlers ein wenig zu mystifizieren, ist es Hughes’ überaus großes Verdienst, die Bedeutung Auerbachs bereits frühzeitig erkannt zu haben, als dessen Werk selbst in England nur

Abhandlung handelt, sowie Françoise J. Mathis: Frank Auerbachs Œuvre. Untersuchungen zur Farbgestaltung im kontextuellen Umfeld, Universität des Saarlandes Saarbrücken, 1992/Frankfurt a. M. 1993.

13 Einer jüngeren Generation englischer Künstler wie bspw. Damien Hirst – dem derzeit wohl begnadetsten Selbstvermarkter in der zeitgenössischen Kunstszene –, Jake und Dinos Chapman, Tracey Emin, Jenny Saville u.

a. ist es gelungen, auf der derzeitigen Erfolgswelle zeitgenössischer Kunst ganz oben auf zu schwimmen. Dabei profitierten sie Ende der 1990er Jahre auch dank der ausgefeilten Vermarktungsstrategien eines Charles Saatchi, dem wichtigsten Sammler und Mäzen der sog. Young Brit Art, kurz YBA genannt, sowie verschiedener Galeristen und Kuratoren, die diese Künstler maßgeblich förderten. Saatchi hat in früheren Jahren unter anderem auch Werke von Auerbach, Bacon, Freud und Kossoff erworben und diese bereits früh ausgestellt (Bilder Auerbachs wurden dabei anlässlich von zwei Gruppenausstellungen in der Royal Scottish Academy of Arts in Edinburgh 1987 sowie 1990 in der Londoner Saatchi Gallery präsentiert). Damit hat er ebenfalls nicht unerheblichen Anteil am Durchbruch dieser Künstler im angelsächsischen Raum. Der definitive internationale Durchbruch seiner Sammlung erfolgte allerdings erst durch die von den Medien als „skandalträchtig“ gehypte Ausstellung Sensation mit Vertretern der sog. YBA in der altehrwürdigen Londoner Royal Academy of Arts 1997, siehe Richard Cork: Young British Art. The Saatchi Decade, London, New York 1999.

14 Robert Hughes: Frank Auerbach, London, New York 1990. Die Publikation erlebte 1992 eine Neuauflage und wurde 2003 sogar ins Chinesische übersetzt, während man auf eine deutsche, italienische oder französische Ausgabe bisher vergeblich wartet; die englische Ausgabe ist seit Jahren vergriffen. Im Folgenden zitiert als:

Hughes 1990.

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einem überschaubaren Kreis von Kuratoren, Kritikern und Sammlern ein Begriff gewesen ist.15

Von dieser Publikation einmal abgesehen, beschränkt sich die Mehrheit der Beiträge zu Auerbach auf kurze Texte in verschiedenen Ausstellungskatalogen oder Artikel bzw. Rezensionen in Kunstzeitschriften. Die essentielle Literatur ist nahezu ausschließlich in englischsprachigen Publikationen erschienen. Dabei zeigt sich, dass die wirklich erhellenden und profunden Texte allesamt von Kunsthistorikern bzw. – kritikern stammen, die sich in den letzten Jahrzehnten in der Regel mehrmals und über Jahre hinweg mit Auerbachs Schaffen auseinandergesetzt haben. Diese Autoren sind zumeist mit dem Künstler bereits seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden und dienen ihm sogar als regelmäßiges Modell. Neben Robert Hughes sind insbesondere Michael Podro, Catherine Lampert und William Feaver hervorzuheben, die mit Abstand profundesten Kenner von Auerbachs Werk, die immer wieder mit verschiedenen Texten wertvollste und unerlässliche Pionierarbeit zum tieferen Verständnis des komplexen Werks wie zur Verbreitung des Bekanntheitsgrades des Künstlers geleistet haben;16 daneben sind ferner aus den frühen Schaffensjahren noch Andrew Forge, Stephen Spender und David Sylvester zu nennen.17 So sind vor allem Michael Podro, Catherine Lampert und William Feaver in der beneidenswerten Lage, die Entstehung und Entwicklung des Werks unmittelbar vor Ort im Atelier mitverfolgen zu können. Während Podro hin und wieder Modell gesessen hat, die Entwicklung des Künstlers aber seit Ende der 1960er Jahre aufmerksam mitverfolgt hat, zählen Lampert (seit 1978) und Feaver (seit 2003) zu den regelmäßigen und zentralen Modellen des Künstlers. Dadurch bleiben sie nicht nur auf den jeweiligen Porträts der Nachwelt erhalten und werden durch die Bilder Teil der Auerbach’schen Kunstgeschichte, sondern gewinnen einen intimen Einblick in die Bildentstehung und das Agieren des Künstlers während der Arbeit im Atelier. Dieses sehr persönliche Wissen spiegelt sich in oftmals ausgesprochen luziden Beobachtungen in den Texten wider, die damit auch eine unerlässliche Quelle einer jeden Auseinandersetzung mit dem Werk des Künstlers sind.

15 Robert Hughes hat schon einige Jahre zuvor mit seiner Publikation The Shock of the New, London/New York 1980/81¹, 1992², 2007³ dazu beigetragen, die figurative englische Malerei im Ausland bekannter zu machen.

16 Der im März 2008 verstorbene Michael Podro hat bereits 1969 einen ersten Text über Auerbach verfasst, Catherine Lampert und William Feaver setzen Ende der 1970er Jahre ein und sind derzeit die international führenden Exegeten von Auerbachs Werk.

17 David Sylvester wie auch John Berger und Sir Herbert Read kommt in der Förderung der jungen britischen Nachkriegskunst ein nicht zu unterschätzendes Verdienst zu, auf das noch zurückgekommen wird.

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Interesse und öffentliche Wahrnehmung von Auerbachs Werk standen in der Vergangenheit im engen Zusammenhang mit dem Verlauf und der Dauer der Ausstellungen:18 sind diese zu Ende, geraten Künstler sowie Werk in der Regel bald wieder in Vergessenheit, sodass eine umfassende Würdigung seines Schaffens bisher noch immer weitgehend ausgeblieben ist. Für diese eklatante und nicht nachvollziehbare kunsthistorische Vernachlässigung scheint es auf den ersten Blick verschiedene Ursachen zu geben. Da ist zum einen der Künstler, der nahezu seine gesamte Energie und Zeit seinem Werk widmet, anstatt sich notorisch massenmedientauglich in Szene zu setzen. Zum anderen gibt es so gut wie keine greifbare Literatur. Ausstellungskataloge sind in der Regel nach kurzer Zeit vergriffen und Kunsthistoriker tun sich ganz offensichtlich schwer, sich diesem Werk in Worten anzunähern.19 Die während der vergangenen Jahrzehnte regelmäßigen und profunden Beiträge von Catherine Lampert, Michael Podro und William Feaver sind in dieser Hinsicht singulär. Bisher ist diese überaus wertvolle Pionierarbeit leider ohne nennenswertes Echo auf andere Kunstwissenschaftler geblieben. Da die überwiegende Mehrheit der Autoren, die sich bisher mit Auerbach beschäftigt hat, dies in der Regel ein, maximal ein paar Mal getan hat, kann nur schwerlich eine kontinuierliche Forschungsarbeit aufgebaut werden. Ein bemerkenswerter Beitrag zu Auerbachs Schaffen ist Jake Auerbach, Sohn des Künstlers und Filmemacher bei der BBC, und Hannah Rothschild mit ihrem Dokumentarfilm gelungen, der einen authentischen Einblick in das Werk wie das Leben Auerbachs gibt.20

Geht man die Artikel und Ausstellungsrezensionen in Kunstzeitschriften und Tageszeitungen durch, die in der Vergangenheit von einer Vielzahl verschiedener Autoren publiziert worden sind, lässt sich feststellen, dass die Kritiker durchaus eine steigende Wertschätzung und ein vermehrtes Interesse am Schaffen von Frank Auerbach zeigen und sein Stellenwert in der modernen und zeitgenössischen Kunst begriffen worden ist. Es finden sich dennoch selbst bis in jüngste Zeit mitunter

18 Zumindest die große Retrospektive 2001 in der Londoner Academy of Arts wurde von der internationalen Kunstkritik wahrgenommen und breit rezensiert. Auf die für Auerbachs Rezeption relevanten Ausstellungen wird im folgenden Kapitel an den entsprechenden Orten eingegangen. An dieser Stelle wird darauf verzichtet, um unnötige Redundanzen zu vermeiden.

19 William Feaver wird im Herbst 2009 (Rizzoli Publishing/New York) eine umfangreiche Publikation zu Auerbachs Gemälden veröffentlichen. Daneben finden in London zwei Einzelausstellungen statt; Marlborough Fine Art zeigt neue Arbeiten (Recent Works; 22.9.-24.10.2009), das Courtauld Institute of Art (London Building Sites 1952-62; 15.10.2009-17.1.2010) widmet sich den Stadtlandschaften. Es wäre wünschenswert, wenn Publikationen wie Ausstellungen zu einer breiteren Rezeption von Auerbachs Werk beitrügen.

20 Jake Auerbach & Hannah Rothschild: Frank Auerbach – To the Studio, London 2001 (DVD). Hierbei handelt es sich zudem um das erste gefilmte Interview mit dem Künstler, welches bisher veröffentlicht worden ist! Im Folgenden zitiert als DVD Auerbach/Rothschild.

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überaus negative und schlicht absurde Wertungen über das Werk des Künstlers, die seit den ersten Rezensionen Auerbachs Schaffen begleiten.21 Oftmals scheinen Kritiker wie Betrachter mit diesen Werken visuell schlicht überfordert zu sein. Eine mögliche Erklärung für diese anhaltend ambivalente Auseinandersetzung gibt Alexi Worth: »The pleasure – and the difficulty – of Auerbach’s art lies in this combination of exuberance and repetition. To sceptics, Auerbach’s high-key, high-speed style varies little; it’s a formula masquerading as improvisation. To believers, Auerbach’s constancy is a proof of integrity.«22 Abschließend sei Robert Hughes zitiert, der die gerade um das Frühwerk des Künstlers teils absurd und haltlos geführte Debatte treffend zusammenfasst:

»Freudians pounced on it as symbolic shit – all that brown stuff, squeezed from tubes onto the same spot, day after day! They had a point, since the infant’s desire to hoard and show his faeces (his first product) is connected to the desire for security which ran through Auerbach’s orphanhood and moulded his habits as an artist. But this line of enquiry does not take one very far.«23

21 Um sich von der „Blindheit“ mancher Schreiber gegenüber Auerbachs Werk einen ungefähren Eindruck machen zu können, sei hier eine Auswahl entsprechender Rezensionen aufgeführt. Auf eine in die Breite gehende Diskussion wird aber verzichtet. Zu Denken geben insbesondere abwertende Rezensionen jüngeren Datums. Frühen Kritikern kann unter Umständen zugute gehalten werden, dass diese aufgrund der Neuheit des Werks in ihrer Wahrnehmung überfordert waren. John Russell (1963) bekundet Mühe, das Bildmotiv visuell festzumachen: „The forms, when finally deciphered, were like leviathans drowning in hot toffee.” Auf Keith Roberts (1965) wirken die Porträts wie »a lurid gâteau […] after a road accident.« Paul Overy (1967) empfindet den pastosen Farbauftrag als »… sludge-like in consistency and colour … unpleasant … excrement-browns.«

Bernard Denvir (1971) unterstellt Auerbach mangelnde Selbstkritik: »Auerbach is preoccupied with remaking the world after Auerbach, […] to do this successfully demands a heroic lack of self-criticism, and in many ways the weaknesses of Auerbach’s work lie in the fact that one cannot help feeling that in the long run he hasn’t convinced himself.« Rasaad Jamie (1983) verwendet die meisten Zeilen des Artikels dafür, um aus den Bildern einen Witz zu machen: »… Auerbach’s work is very much like the bulldog whom I have to pass on my way to get to the newspaper each morning. He sits in front of the gate four doors away, brooding ominously at the passers-by. To my knowledge he hasn’t attacked anyone yet, […] The general feeling is that he was launched upon us fully formed and will plague us in the same compelling. manner until the day he, or we, expire.« Und Peter Fuller meint noch 1986, dass »Auerbach’s early works were like those of a man thrown in a cell and left with only his own excrement out of which to create a vision of freedom.« Geradezu absurd wirkt die Kritik von Ida Panicelli zu Auerbachs Biennale-Ausstellung in Venedig 1986: »Concessions to reality do not seem to concern Auerbach, only a desire to stratify portions of dense material that in themselves contain no possibility of anatomical representation. […] The desire to explore thoroughly the possibilities of pictorial construction is stronger than the need to represent a vision. […] Despite this conceptual aura, the conclusive image […] makes me suspect even more that the core of Auerbach’s work is narcissistic, almost autistic sensuality, wholly concentrated on a single objective: the relationship between the surface and the material, not the relationship between the artist and his subject. […] Because of this detachment, his work seems, in my opinion, to be like searching around a void. […] Despite this, Auerbach […] won the Biennale prize for “best artist”. I believe this is a sad sign of the times. Today, appearances – the surface – win out over depth.«; detailierte Angaben siehe Bibliographie I.V.

22 Alexi Worth: Frank Auerbach, in: ARTnews, Vol.97, Nr.11, Dezember 1998, S.149.

23 Hughes 1990, S.83. Dieser Argumentation folgt in vergleichbarer Weise auch Andrew Forge, einer der wenigen Kunstkritiker, der bereits Auerbachs Frühwerk mit einer hohen Sensibilität beschrieben hat, siehe:

Andrew Forge: Auerbach and Paolozzi, in: The New Statesman, London 13.9.1963, S.329.

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Die Zähigkeit der ganzen Diskussion wird zusätzlich vom erheblichen Mangel an einer substantiellen Auseinandersetzung mit Auerbachs Werk unterstützt. Die elementare Arbeit, die ausgewiesene Kenner des Werks wie Podro, Lampert oder Feaver in all den Jahren geleistet haben, ist gerade von denjenigen Kritikern, die sich mitunter zu riskanten Urteilen hinreißen lassen (und darüber hinaus Auerbachs Werk allem Anschein nach nur oberflächlich kennen), abgesehen von einer wirklich fachinteressierten Leserschaft viel zu wenig wahrgenommen worden. Das Positive an der inhaltlich divergierenden Literatur ist wiederum, dass Auerbachs Bilder Kritiker wie Betrachter stark zu polarisieren scheinen, man nimmt die Werke nicht nur zur Kenntnis, sie prägen sich ein und geht nicht achtlos an ihnen vorüber. Das zeigt ihr Potential und ihre Qualität bereits an.

I. Teil: Leben & kunsthistorische Einordnung des Schaffens

I.I. Biographische Anmerkungen und Hinführung an das Werk von Frank Auerbach

I.I.I. Kindheit in Berlin und Übersiedlung nach Großbritannien

Frank Auerbach wird am 29.4.1931 in Berlin als Sohn des Patentanwalts Max Auerbach und der aus Litauen stammenden Charlotte Nora Borchardt geboren.24 Er bleibt das einzige Kind und wächst in einem gebildeten, liberalen und assimilierten jüdischen Elternhaus auf. Durch seine künstlerisch interessierte und musisch begabte Mutter kommt er bereits sehr früh mit Kunst, Literatur, Theater und Musik in Berührung. Diese Kindheit erfährt am 4.4.1939, kurz vor seinem achten Geburtstag, eine jähe Zäsur, als sich seine Eltern aufgrund der zunehmenden und unverhohlen antisemitischen Repressalien der Nationalsozialisten dazu entscheiden, ihren Sohn von

24 Für einen umfassenden biographischen Überblick sei auf die folgende Literatur verwiesen: Die bereits erwähnte Monographie von Robert Hughes, der von Kate Austin und Catherine Lampert verfasste biographische Teil des Ausst.-Kat. Frank Auerbach: Paintings and Drawings 1954-2001 der Royal Academy of Arts, hrsg. v.

Catherine Lampert, Isabel Carlisle & Norman Rosenthal, London 2001, sowie die bisher einzige deutschsprachige Dissertation zu Frank Auerbach von Françoise J. Mathis: Frank Auerbach Œuvre.

Untersuchungen zur Farbgestaltung im kontextuellen Umfeld, Frankfurt am Main 1993, zugl. Dissertation Universität Saarbrücken 1992, die der Biographie sehr viel Platz einräumt. Erwähnt sei auch die biographische Note von Frank Auerbach selbst im Ausst.-Kat. Frank Auerbach der Hayward Gallery von 1978, hrsg. v. Arts Council of Great Britain, London 1978, S.24, der ersten Einzelausstellung des Künstlers. Bei den folgenden Ausführungen kann nicht jede Information mit einer Fussnote bedacht werden, grundsätzlich wird sich auf die genannten Publikationen abgestützt.

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Hamburg aus nach Großbritannien in Sicherheit zu schicken. Mit fünf weiteren jüdischen Kindern kommt Auerbach auf diese Weise auf die Britische Insel. Quäker hatten eine Aktion zur Rettung deutsch-jüdischer Kinder ins Leben gerufen, die nach einer geleisteten Bürgschaft bei englischen Familien eine neue und sichere Bleibe finden sollten. Für Auerbach leistete die in den italienischen Adel eingeheiratete amerikanische Schriftstellerin Iris Margaret Origo (1902-1988) Bürgschaft. Sie hatte über einen Geschäftspartner eines Onkels von Auerbach von der Aktion erfahren und so einigen Kindern durch ihre finanziell großzügige Unterstützung eine neue Existenz ermöglicht und diese damit wohl vor dem sicheren Tod in den Vernichtungslagern der Nazis bewahrt. Seine Eltern sollte Frank Auerbach nie wieder sehen. Anfang 1943 erlischt auch der über das Rote Kreuz vermittelte spärliche Brief- und Nachrichtenkontakt vollends.25 Von all seinen in Deutschland bzw. in den von nationalsozialistischen Truppen besetzten Gebieten lebenden Verwandten und Bekannten hat den Holocaust kaum jemand überlebt. Zu den wenigen Überlebenden gehören seine Cousine Gerda Boehm sowie ihr Mann Gerd, die bereits kurz vor Kriegsausbruch nach England ausgewandert sind; Jakob Auerbach, ein Onkel väterlicherseits, der sich während der Kriegsjahre in den besetzten Niederlanden versteckt hielt und 1946 nach London übersiedelte; sowie Hans Borchardt, ein Onkel mütterlicherseits, der in Buenos Aires lebte; ebenso wie der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, ein Sohn der Schwester seines Vaters, zu dem Auerbach aber seit jeher nur in einem losen Kontakt gestanden ist.

Auerbach wächst während der Kriegsjahre in dem von der deutsch-jüdischen Quäkerin Anna Essinger (1870-1960) ungewöhnlich frei und größtenteils autark geführten Internat The New Herrlingen School auf. 1923 in Herrlingen bei Ulm als Privatschule gegründet, verlagert Essinger Ende 1933 die Schule nach England und richtet diese in einem Landhaus in Bunce Court bei Lenham unweit von Faversham in der Grafschaft Kent ein. Während der Kriegsjahre werden in dem Internat vorwiegend Flüchtlingskinder aufgenommen. Zwischen 1940 und 1945 wird dieses aus Sicherheitsgründen und aus Furcht vor Bombenangriffen deutscher Flieger nach

25 An seine frühe Kindheit und seine Eltern hat Auerbach gemäß eigenen Aussagen nur spärliche Erinnerungen, zuletzt in: The John Tusa Interview with Frank Auerbach, BBC 3, 7.10.2001, weblink & transcript. Im Folgenden zitiert als: Tusa-Auerbach 2001. Jake Auerbach konnte im Rahmen der Recherchen seines Films über Frank Auerbach Martin Lubowski treffen, Verwalter des Schularchivs, in der Auerbach zur Schule gegangen ist.

Darin ist nicht nur die Korrespondenz zwischen dem Künstler und seinen Eltern archiviert, sondern auch deren Deportationsakten und -nummern, aus denen hervorgeht, dass beide nach Auschwitz deportiert und dort auch umgebracht worden sind, siehe: Jake Auerbach: Filming Frank, in: Modern Painters, Vol.14, Nr.9, Winter 2001, S.68-69, ebenso siehe: DVD Auerbach/Rothschild, Kap.3: „Childhood“.

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