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Rezeption der deutschsprachigen Literatur in der Türkei- I

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Academic year: 2022

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VORWORT

Die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland sind spannungsreich und vielfältig geprägt. Sie reichen von politischen und historischen Beziehungen bis hin zum geistigen Austausch im Bereich der Kultur. Ganz vereinfacht und zur Übersicht seien hier einige wichtige Meilensteine genannt: Die ersten Be- ziehungen begannen bereits zur Zeit der Kreuzzüge; mit der Entstehung des Osmanischen Reiches und der Eroberung Konstantinopels begann eine neue konfliktbeladene Ära, die mit den Türkenkriegen (1683-1699) endete. Im 18.

Jahrhundert begannen die ersten diplomatischen Beziehungen und militärische Kooperationen. Die Türkenmode wurde besonders in der Literatur und der Ar- chitektur sichtbar. Die enge Beziehung wurde im Ersten Weltkrieg durch die sog. „Waffenbruderschaft“ gestärkt. Nach dem Waffenstillstand 1918 wurden neue Regierungen gegründet, und es entstanden in der Türkei die Türkische Republik, in Deutschland die Weimarer Republik. Die neue Phase der Konsoli- dierung hinsichtlich der Beziehungen und der Kontakte begann erst mit dem deutsch-türkischen Friedensvertrag im Jahre 1924, die sodann bis zu Hitlers Machtergreifung andauerte. Mit Hitlers Machtergreifung wurde die Türkei für viele deutsche Wissenschaftler ein Land der Migration und in den 60er Jahren wurde umgekehrt Deutschland ein bedeutender Zielort für die türkische Bevöl- kerung. Damit begann eine intensive interkulturelle Phase des Literaturaustau- sches zwischen der Türkei und Deutschland, die bis heute vielfältig fortbesteht.

Literatur schreitet im Allgemeinen über die eigenkulturellen und -sprachlichen, bzw. die literarischen Grenzen hinweg und lebt in anderen kulturellen Topo- grafien weiter. Die Rezeption deutschsprachiger Literatur in der Türkei ist ein wichtiges historisches Beispiel für diese Grenzüberschreitung und die Genese der Literatur in einer fremden Sprache. Die unter dem Titel „Rezeption deutsch- sprachiger Literatur in der Türkei“ herausgegebenen beiden Bände beabsichti- gen, die Reflexion über die deutsche Literatur in der Türkei voran zu bringen und auf die Rezeptionsvoraussetzungen und Leseinteressen der türkischen Germanistik aufmerksam zu machen und somit zum Wissen über die Geschich- te der deutschsprachigen Literatur im türkischen Sprachraum beizutragen. Die Arbeit setzt sich zum Ziel, die diachronische– von Anfang an bis heute– und die synchronische– wie sie zur gleichen Zeit von gewissen Kreisen und aus unter- schiedlichen translatorischen, akademischen und journalistisch-populären Per- spektiven aufgenommen werden– Rezeptionsgeschichte einzelner deutsch- sprachiger AutorInnen in der Türkei zu recherchieren und zu dokumentieren, wie dieser deutsch-türkische Gedankenaustausch über Literatur und Kultur stattgefunden hat.

Die Auswahl der AutorInnen ergab sich aus der eigenen Entscheidung der Bei- tragenden. Bereits veröffentlichte Beiträge zur Rezeption der deutschsprachi- gen Literatur und Arbeiten einzelner AutorInnen haben uns den Anstoß dazu gegeben, Untersuchungen über fehlende Namen anzuregen. So entstanden also weitere neue Beiträge der GermanistInnen, die sich bereit erklärten, über die Rezeption von jeweils noch nicht behandelten Themen und Namen zu re- cherchieren. Es ist dabei zu bemerken, dass die Beitragenden als ExperteInnen der AutorInnen, die sie untersuchen, auftreten, da sie ja hierüber bereits ge- forscht und veröffentlicht haben.

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Die Beiträge sind chronologisch nach dem Geburtsdatum der entsprechenden AutorInnen angeordnet, damit ein geschichtlicher Überblick bzw. ein literatur- historischer Zusammenhang zu den sozialen und politischen Beziehungen der beiden Kulturräume ermöglicht wird.

Die Methodik und Vorgehensweise beim Verfassen der Beiträge wurde grund- sätzlich den VerfasserInnen überlassen und dabei ergaben sich sehr unter- schiedliche Strukturen. Dem biografischen Teil über die jeweiligen Verfasser- Innen folgen Hinweise zur translatorischen, akademisch-wissenschaftlichen und populär-journalistischen Rezeption ihrer Person und ihres literarischen Schaf- fens. Zwei Beiträge unterscheiden sich von diesem Grundprinzip, indem sie sich nur mit der Rezeption der einzelnen Werke der Autoren (Ipşiroğlu: Brecht, Durukafa: Celan) befassen, um zu zeigen, wie die türkischen studentischen Rezipienten auf sie reagieren.

Vorangestellt ist jedem Band ein allgemeiner Überblick über die Rezeption westdeutscher Literatur, wobei die Trends in der Rezipierung deutschsprachiger Literatur in der Türkei zusammenfassend skizziert werden. Die bibliographische Erfassung der übersetzten deutschsprachigen Literaturwerke in der Türkei von Öncü und Sertdemir verschafft jedoch für beide Bände einen Gesamtüberblick, dem wir entnehmen können, wer, wann, was, von wem und wie viel von den jeweiligen AutorInnen übersetzt wurde.

Den Beitragenden gebührt ein aufrichtiger Dank für die Erlaubnis zum Abdruck ihrer bereits andernorts veröffentlichten Beiträge und für die Mitarbeit bei der Fertigstellung dieser beiden Bände.

Ali Osman Öztürk & Cemal Sakallı & Mehmet Tahir Öncü Oktober 2020

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Deutschsprachige Literatur in der Türkei: Ein Überblick

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Mehmet Tahir Öncü (Izmir) - Bahar Aliye Sertdemir (Izmir)

Abstract (English)

German Literature in Turkey: An Overview

This study aims to report German literal works translated into Turkish partaking in the Bibliography of Turkish Translations from the establishment of Republic to 2016. Based on this information, this study seeks answers to the following questions: 1. What is the tendency according to the years when the works translated from German to Turkish were published? 2. How many books have been published in each literary genre? 3. Which author's works are the most translated into Turkish? 4. Which publishing house has the most published works translated from German into Turkish? 5. Which translators are the representatives of the translators of German literature in Turkey? The graphs based on quantita- tive values are prepared with the help of the answers to these questions. Afterward, these graphs are evaluated in a qualitative method, and it is discussed which criteria are taken as a basis and how the choices of translators -according to the period or translator- are made with the help of translation.

Keywords: German literature, literary translation, Turkish translations, Turkish Translations Bibliography.

Abstract (Deutsch)

Die vorliegende Arbeit bezweckt anhand des Datenmaterials der Bibliographie Türkçe Çeviriler Bib- liyografyası2 (Bibliographie der türkischen Übersetzungen) einen Überblick über die ins Türkische übersetzte deutschsprachige Literatur von der Gründung der Türkischen Republik bis 2016 zu geben.

Es werden in diesem Rahmen Antworten auf die folgenden Fragen gesucht: 1. Welche Werke wurden wann veröffentlicht? 2. Wie sind die übersetzten Werke gattungsspezifisch einzugliedern? 3. Welche deutschsprachigen Autoren wurden bevorzugt? 4. Welche Verlage waren bei der Veröffentlichung der deutschsprachigen Literatur in der Türkei aktiv? 5. Welche Übersetzer können als die Vertreter der deutschsprachigen Literatur in der Türkei betrachtet werden? In Bezug auf diese Fragen werden Ab- bildungen erstellt, welche auf quantitativen Werten basieren. Daraufhin werden die erstellten Abbil- dungen qualitativ bewertet und es wird diskutiert, welche Kriterien bei der Übersetzung ins Türkische beachtet und wie die Übersetzungsentscheidungen – nach Epochen, Autoren, Verlagen und Überset- zern – getroffen wurden.

Stichwörter: Deutschsprachige Literatur, literarische Übersetzungen, Türkische Übersetzungen, Bibliographie.

1 Der vorliegende Beitrag ist eine Übersetzung des Artikels: Öncü, Mehmet Tahir (2018): Türkçeye Çevrilen Alman Edebiyatına Genel Bir Bakış. In: Diyalog. Interkulturelle Zeitschrift für Germanistik.

2018/1, 250-261. http://www.gerder.org.tr/diyalog/Diyalog_2018_1/18_Turkce_Ceviri_Alm_Ed.pdf

2 Öncü, Mehmet Tahir/ Sertdemir, Bahar Aliye/ Abacı, Gökhan (2017): Türkçe Çeviriler Bibliyografyası:

Dünya Edebiyatından Çeviriler. İstanbul: Hiperlink

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1 Einleitung

Die Übersetzungstätigkeit spielte bei der Verwestlichung und Modernisierung des Osmanischen Reiches eine wichtige Rolle. Diesem Ziel zufolge waren vor allem die Übersetzungen literarischer Werke bei der Verbreitung von Ideen des Aufklärungs- zeitalters des 18. Jahrhunderts sowie bei der Verankerung von politischen sowie wissenschaftlichen Ideen sehr wirksam. Auch während der Gründungsjahre der Tür- kischen Republik setzte sich diese Übersetzungswelle stetig fort. Die vorliegende Arbeit umfasst ausschließlich literarische Werke, die aus der deutschsprachigen Lite- ratur seit der Gründung der Republik ins Türkische übersetzt wurden; übersetzte Sach- und Fachbücher, politische Bücher sowie Bücher, die keinen ästhetischen Wert aufweisen, sind in dieser Arbeit nicht berücksichtigt worden. Damit die qualitati- ven Eigenschaften der literarischen Werke, die in dieser Arbeit einbegriffen sind, be- wertet werden können, müssen diese zunächst über einige quantitativen Eigenschaf- ten dargestellt werden. Diesem Ziel zufolge wurde vorerst eine Liste der literarischen Werke, welche aus der deutschsprachigen Literatur ins Türkische übersetzt wurden, angefertigt. Zudem wurde gewährleistet, eine Dokumentation der Informationen be- züglich Autoren, Gattungen, Übersetzer, Verlage sowie Erscheinungsjahre dieser Werke zu erstellen. Zudem wurde eine Dokumentation der quantitativen Informatio- nen ausgeführt und betreffende Informationen wurden mittels Abbildungen sowie Tabellen detailliert dargestellt. Daraufhin wird diskutiert, welche Bedeutung die erar- beiteten quantitativen Informationen als qualitativen Informationen besitzen und die- se werden aus übersetzungswissenschaftlichen Gesichtspunkten interpretiert. Somit wird davon ausgegangen, dass diese Arbeit für Übersetzungs- und Dolmetschwis- senschaftler, für Belletristen, Übersetzer, Kritiker und Nachwuchswissenschaftler, die sich auf dem Gebiet der Geschichte der türkischen Übersetzungswissenschaft wei- terbilden und ihr Wissen aktualisieren möchten, eine bedeutende Quelle sein wird.

2 Methode

Bis heute wurden verschiedene Studien durchgeführt, welche darauf abzielen, die deutschsprachige Literatur, die ins Türkische übersetzt wurde, zu dokumentieren.

Gürses (2006) hat in seiner Promotion zum Thema „1945’ten günümüze kadar Al- man edebiyatından Türkçeye yapılan Çeviriler ve Çeviribilim Çalışmaları“ die über- setzten Werke samt einem Impressum knapp aufgelistet. Auch in der Arbeit von Öncü et al. (2017): „Türkçe Çeviriler Bibliyografyası: Dünya Edebiyatından Çeviriler“

wurden neben der deutschsprachigen Literatur insgesamt aus 33 verschiedenen Na- tionalliteraturen ins Türkische übersetzte Werke aufgelistet. Nur Sağlam (2002) legte sowohl eine quantitative als auch eine qualitative Arbeit vor, in der er bis 1994 aus der deutschsprachigen Literatur ins Türkische übersetzte Werke im Hinblick auf die Kriterien Autor und literarische Gattung untersuchte. Doch dadurch, dass die erwähn- te Arbeit ihre Aktualität verlor, ist die vorliegende Arbeit von großer Bedeutung.

Ausgehend von den Angaben, die sich in dem Werk Türkçe Çeviriler Bibliyografyası befinden, wird die vorliegende Studie sowohl eine quantitative als auch eine qualitati- ve Recherche durchführen. Wie bereits in dem Vorwort des Werkes Türkçe Çeviriler Bibliyografyası erwähnt, wurden vor allem Quellen der Universitätsbibliotheken der

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Öncü/ Sertdemir: Deutschsprachige Literatur in der Türkei: Ein Überblick 9

Ege, Hacettepe, Istanbul und Boğaziçi sowie das Datenmaterial der Nationalbiblio- thek und des Ministeriums für Kultur und Tourismus Generaldirektion für Bibliotheken und Publikationen der Türkischen Republik und die Datenbank des nationalen Ge- samtkatalogs von TÜBITAK ULAKBIM untersucht, damit die Werke, die aus einer Fremdsprache ins Türkische übersetzt wurden, aufgelistet werden können. Die Wer- ke, die aus einer Fremdsprache ins Türkische übersetzt wurden, wurden bearbeitet, indem von den bereits erwähnten Quellen profitiert wurde. Beginnend von den ersten Jahren der Republik bis zum Jahr 2016 wurden in dieser Arbeit Übersetzungen nach literarischen Gattungen wie Prosa, Lyrik und Drama untersucht. Insgesamt wurden Eintragungen von 18.741 Werken und 6.006 Übersetzern festgehalten. Ferner wur- den die Datenbank der Türkischen Nationalbibliothek und die Datenbank des Minis- teriums für Kultur und Tourismus Generaldirektion für Bibliotheken und Publikationen der Republik Türkei herangezogen, um ein sehr umfangreiches Quellenmaterial zu erreichen. All diese Quellen wurden miteinander verglichen. Falls Fehler und Unvoll- ständigkeiten an Quellen vorhanden waren, wurden diese ausgeschlossen, um so- mit, eine exakte und vollständige Liste anzufertigen3.

3 Deutschsprachige Literatur in der Türkei

Laut den Angaben der Türkçe Çeviriler Bibliyografyası wurden von der Gründung der Republik Türkei im Jahr 1923 bis 2016 aus 33 Fremdsprachen sowie Nationalliteratu- ren insgesamt 18.741 Werke ins Türkische übersetzt. Diese Werke wurden insge- samt von 5.938 Autoren verfasst. Ausgehend von den aufgelisteten Werken wurde festgestellt, dass insgesamt 6.006 Übersetzer tätig waren. Betrachtet man die Ge- samtzahl der Werke, Autoren und Übersetzer, die aus der deutschsprachigen Litera- tur ins Türkische übertragen wurden, so ergeben sich die folgenden Angaben: Von der Gründung der Republik Türkei bis 2016 wurden insgesamt 2005 literarische Werke aus der deutschsprachigen Literatur ins Türkische übersetzt. Diese Werke wurden insgesamt von 573 Autoren verfasst. Ausgehend von den aufgelisteten Wer- ken wurde festgestellt, dass insgesamt 781 Übersetzer aus dem Deutschen ins Tür- kische übersetzt haben. Vergleicht man die Angaben der Werke, die aus der deutschsprachigen Literatur ins Türkische übersetzt wurden, mit den Gesamtanga- ben, so kommt man zu dem folgenden Fazit: Im untersuchten Zeitraum bilden 10,70% der gesamten übersetzten Werke die aus der deutschsprachigen Literatur ins Türkische übertragene Übersetzungen, 9,65% der Autoren sind Autoren der deutschsprachigen Literatur, etwa 13,00% der Übersetzer übersetzten Werke von der deutschsprachigen Literatur ins Türkische.

Die folgenden Erkundigungen beziehen sich auf die obigen Gesamtangaben geglie- dert „nach Jahren“, „nach Genre“, „nach Autoren“, „nach Verlagen“ und „nach Über- setzer“.

3 s. hierzu: Öncü, Mehmet Tahir (2018): Zur Konzeption des türkischen Übersetzerlexikons Türkçe Çevirmenler Sözlüğü. In: Diyalog. Interkulturelle Zeitschrift für Germanistik. Yıl: 2018. Sayı: 1. 237- 249.

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3.1 Deutschsprachige Literatur in der Türkei: Nach Jahren

Abb. 1: Deutschsprachige Literatur in der Türkei: Nach Jahren

Wie bereits erwähnt, wurden nach den Angaben der Publikation Türkçe Çeviriler Bib- liyografyası seit der Gründung der Republik insgesamt 2005 literarische Werke aus der deutschsprachigen Literatur ins Türkische übersetzt. Die obige Abbildung veran- schaulicht, dass in den ersten Jahren der Republik äußerst wenige literarische Über- setzungen aus der deutschsprachigen Literatur ins Türkische übertragen wurden.

Während zwischen 1923-1929 fünf Werke, in den 30er Jahren 17, folglich insgesamt 22 Werke in 16 Jahren übersetzt wurden, wurde zwischen den Jahren 1940-1949 ein großer Anstieg in der Anzahl der aus dem Deutschen übersetzen Werke beobachtet.

Doch diese Anzahl geht in den 50er Jahren wieder zurück. Während in den 60er, 70er und 80er Jahren durchschnittlich etwa 100 Werke übersetzt wurden, wurden in den 90er Jahren und später, vor allem in den 2000er Jahren in der Anzahl der von der deutschsprachigen Literatur ins Türkische übersetzten Werke ein enormer An- stieg festgestellt.

Wenn man die obigen Angaben bewertet, ist zu erkennen, dass in den ersten Jahren der Republik die Übersetzungen der deutschsprachigen Literatur keine große Auf- merksamkeit erfuhren. Laut den Angaben von Berk (2002: 118) verfügen die Über- setzungen aus dem Französischen unter den Fremdsprachen in den Gründungsjah- ren der Republik den größten Anteil (58,9%). Weiterhin betont sie, dass in den ersten Jahren der Republik Übersetzungen aus der englischsprachigen Literatur einen An- teil von 7% und aus der deutschsprachigen Literatur von 4,8% hatten.

Es ist zu beobachten, dass sich dieses Bild der Übersetzung der deutschsprachigen Literatur in den 40er Jahren beträchtlich veränderte und fast um das Fünffache steigt. Der Grund liegt darin, dass die Übersetzungen aus den Fremdsprachen ins Türkische mit staatlicher Unterstützung mittels Tercüme Bürosu verwirklicht wurden.

Denn mit den Tätigkeiten des im Jahre 1940 gegründeten Tercüme Bürosu wurden aus sämtlichen Sprachen durch Übersetzung Werke ins Türkische „gewonnen“. Das Tercüme Bürosu, welches Autoren und Übersetzer wie Nurullah Ataç und Sabahattin Eyüboğlu, die in die türkische Literatur zahlreiche übersetzte Werke eingeführt ha-

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Öncü/ Sertdemir: Deutschsprachige Literatur in der Türkei: Ein Überblick 11

ben, belegt einen bedeutenden Platz im kulturellen und literarischen Gut der Ver- westlichung des Landes (Berk 2002: 120).

Auch wenn bis in die 90er Jahre alle zehn Jahre durchschnittlich 100 Werke über- setzt wurden, war nach 1990 in der Anzahl der ins Türkische übertragenen deutsch- sprachigen Literatur ein enormer Anstieg zu beobachten. Der Übersetzungsumfang erreichte vor allem zwischen den Jahren 2000-2009 mit Übersetzungen von 637 Werken seinen Höhepunkt. Zudem wurde festgestellt, dass zwischen den Jahren 2010-2016 insgesamt 447 literarische Werke übersetzt wurden. Der Hauptgrund für den Anstieg nach den 90er Jahren war, dass die politischen, kulturellen, gesellschaft- lichen, sozialen sowie literarischen Verbindungen zwischen Deutschland und der Türkei, die durch die Gastarbeiter-Ära ihren Höhepunkt erreichten und bis heute an- dauern, immer intensiver werden. Ferner kann man davon ausgehen, dass bei der Verstärkung der literarischen Bezüge die Schriften der türkisch-deutschen Autoren wirksam wurden. Das Nähe- und Distanzverhalten dieser Autoren zu beiden Gesell- schaften war ebenfalls bei dem Anstieg des Übersetzungsumfangs vom Deutschen ins Türkische ab den 90er Jahren sehr wirksam.

3.2 Deutschsprachige Literatur in der Türkei: Nach literarischer Gattung

Nachdem die Liste für die Werke, die aus der deutschsprachigen Literatur ins Türki- sche übersetzt wurden, erstellt wurde, konnte aufgrund des Platzmangels in der Bib- liographie Türkçe Çeviriler Bibliyografyası keine Informationsrubrik „literarischen Gat- tung“ hinzugefügt werden. Im Rahmen einer separaten Arbeit mussten Informationen bezüglich der literarischen Gattung für die Werke, die in der Bibliographie aufgelistet wurden, hinzugefügt werden. Bei der Klassifizierung der literarischen Gattung wurde die klassische Einteilung von Lyrik, Prosa und Drama vorgenommen. Demnach ist die Verteilung der aus der deutschsprachigen Literatur ins Türkische übersetzten 2005 Werke nach literarischer Gattung folgendermaßen: Mit einem Anteil von 86%

(1.715 Werke) wurde der große Teil der deutschsprachigen Literatur aus der Gattung Prosa bestimmt. Insbesondere literarische Formen wie Roman, Novelle, Märchen und Essay sind bevorzugte Arten gewesen. Mit einem Anteil von 7% (134 Werke) dagegen wurden aus der literarischen Gattung Lyrik, u.a. Gedichte, Balladen, Lieder und Elegie übersetzt. Obwohl die Gattung Drama in manchen literarischen Quellen der Kategorie Prosa untergeordnet wird, wird sie in dieser Arbeit als eine eigenstän- dige Kategorie akzeptiert. Der durchführten Recherche zufolge gehören 8% (156 Werke) der übersetzten deutschsprachigen Literatur der Gattung Drama an. In Abb.

2 ist die Verteilung der aus der deutschsprachigen Literatur ins Türkische übersetz- ten Werke nach literarischen Gattungen vorzufinden:

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Abb. 2: Deutschsprachige Literatur in der Türkei: Nach literarischer Gattung

Betrachtet man die obige Grafik, so erkennt man, dass die Gattung Prosa bei Über- setzungen der deutschsprachigen Literatur ins Türkische als belletristische Gattung zahlenmäßig die Dominanteste ist. Zweifellos war die größte Funktion der Überset- zungen in der Frühzeit der Republik, die neuen literarischen Gattungen aus Europa, wie z.B. Roman und Drama, der türkischen Zielkultur darzubieten und vorzustellen.

In diesem Zusammenhang entwickelte sich die türkische Literatur in einem rasanten Tempo zu einer Nationalliteratur. Die Übersetzungen trugen zur Bereicherung der türkischen Literatur und des türkischen Wortschatzes sowie zur Entwicklung der ein- zelnen literarischen Gattungen bei.

Wird diese Situation mit den Gattungen der Werke, die in der osmanischen Zeit über- tragen wurden, verglichen, so erkennt man zahlreiche Parallelen: Wie Berk (2002:

118) erläutert, war die Prosa in der osmanischen Periode, vor allem der Roman als belletristische Form, zahlenmäßig die dominanteste Gattungsform, die aus den west- lichen Literaturen übersetzt worden ist. Die größte Funktion der Übersetzungen der osmanischen Zeit war es, neue Gattungen der Literatur aus Europa der Zielkultur vorzuführen. In diesem Zusammenhang konnte sich die türkische Nationalliteratur allmählich entwickeln. Durch die ersten Übersetzungen lernten türkische Leser die ihnen bis dahin fremden literarischen Gattungen kennen. Es ist in erster Linie die literarische Gattung der Prosa, insbesondere der Roman, die diese Herausforderung erfüllt. Die intellektuelle Schicht verwendete dieses Medium, um ihre Ideen in einer populären Art und Weise einem breiteren Umfeld darzustellen. Die Übersetzungstä- tigkeit setzte sich zugleich zum Ziel, die Anreicherung des Wortschatzes und die ge- sellschaftliche Entfaltung zu gestalten. Die Übersetzungen trugen nicht nur zur Be- reicherung des türkischen Romans und des türkischen Wortschatzes, sondern auch zur Entwicklung und Entfaltung der literarischen Gattungen der türkischen Literatur bei.

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Öncü/ Sertdemir: Deutschsprachige Literatur in der Türkei: Ein Überblick 13

3.3 Deutschsprachige Literatur in der Türkei: Nach Autoren

Laut den Angaben der Türkçe Çeviriler Bibliyografyası wurden von der Gründung der Republik bis heute in dem literarischen Bereich Werke von insgesamt 573 Schrift- stellern, Autoren und Dichtern der deutschsprachigen Literatur ins Türkische über- setzt. Diese Schriftsteller, Autoren und Dichter, die am meisten ins Türkische über- setzt wurden, können folgendermaßen aufgelistet werden: Mit insgesamt 131 Bü- chern wurden Werke von Thomas Brezina, mit 90 Übersetzungen Werke von Franz Kafka, mit 83 Übersetzungen Werke von Stefan Zweig, mit 77 Übersetzungen Werke von Johann Wolfgang Goethe, mit 41 Übersetzungen Werke von Hermann Hesse, mit 38 Übersetzungen Werke von Thomas Mann, mit 38 Übersetzungen Werke von Bertolt Brecht, mit 35 Übersetzungen Werke von Johanna Spyri, mit 34 Übersetzun- gen Werke von Christine Nöstlinger und mit 33 Übersetzungen Werke von Erich Ma- ria Remarque4 am häufigsten ins Türkische übersetzt. In Abb. 3 werden die Schrift- steller, Autoren und Dichter, deren Bücher am meisten aus der deutschsprachigen Literatur ins Türkische übersetzt wurden, graphisch dargestellt:

Abb. 3: Deutschsprachige Literatur in der Türkei: Nach Autoren

Betrachtet man die Autoren, die in der Liste vorkommen, so erkennt man, dass die literarische Bedeutung der AutorInnen entscheidend bei der Übertragung seiner/ ih- rer Werke war. Wie bereits Sağlam (2002: 290) erwähnt, spielen Literaturpreise, da- runter auch der Nobelpreis für Literatur, bei der Bekanntheit eines Autors eine be- deutende Rolle. Der beste Beweis dafür ist, dass die zwei Namen wie Thomas Mann, der 1929 den Nobelpreis für Literatur erhielt, und Hermann Hesse, der im Jahre 1946 ebenso diesen Preis erhielt, unter den ersten Zehn platziert sind. Laut den Angaben der Türkçe Çeviriler Bibliyografyası sind nahezu alle literarischen Werke der weiteren

4 Bei der Bestimmung der Anzahl der übersetzten Werke wurde nur die Erstpublikation eines Werkes berücksichtigt. Weitere Auflagen sowie Neuübersetzungen eines und desselben Werkes wurden hier nicht einkalkuliert.

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deutschsprachigen Autoren, die den Nobelpreis für Literatur erhielten, in der Liste vorzufinden; so wurden ebenfalls die literarischen Werke von Gerhard Hauptmann (10 Werke), der 1912 den Literatur-Nobelpreis erhielt, von Heinrich Böll (1972) (21 Werke), und von Günter Grass (1999) (10 Werke) ins Türkische übertragen.

Das ergiebige Beispiel dafür, dass die Bekanntheit eines Autors nicht abhängig von seinen Preisen ist, ist, dass ein Autor wie Johann Wolfgang von Goethe in der Liste aufzufinden ist. Selbstverständlich ist für das Vorkommen in der Liste der aus der deutschsprachigen Literatur übersetzten Werke entscheidend, dass Goethe als ein Genie der deutschsprachigen Literatur sowie als ein Autor der „Klassik“ angesehen wird, allerdings in drei verschiedenen literarischen Perioden wirksam war und Werke präsentierte, die die Merkmale der drei Perioden beherbergten.

Die vier Namen, die keines dieser Merkmale besitzen und dennoch in der obigen Liste platziert sind, sind: Franz Kafka, Stefan Zweig, Bertolt Brecht und Erich Maria Remarque. Es ist interessant, dass diese Namen in der Liste der am meisten aus der deutschsprachigen Literatur ins Türkische übersetzten Autoren vorkommen. Die Gemeinsamkeit dieser vier Autoren ist, dass sie in der Zeit des Nationalsozialismus in der Liste der „verbotenen Autoren“ eingetragen waren. Der Grund dafür, dass sie als „verbotenen Autoren“ galten, war, dass Franz Kafka und Stefan Zweig jüdischer Herkunft waren, Bertolt Brecht kommunistisches Gedankengut vertrat und Erich Ma- ria Remarque zu einem „unerwünschten Autor“ erklärt wurde. Es ist äußerst merk- würdig, dass die meisten bzw. fast alle Werke dieser Autoren ins Türkische übertra- gen wurden.

Neben den oben erwähnten „stark“ literarisch geprägten Autoren, sind die drei weite- ren Autoren, die am meisten aus der deutschsprachigen Literatur ins Türkische über- setzt wurden, folgendermaßen: Thomas Brezina, Johanna Spyri und Christine Nöst- linger. Die Gemeinsamkeit dieser Autoren ist, dass sie in der Kategorie der Kinder- und Jugendliteratur Werke produzierten. Wie bereits Sağlam (2002: 290) erwähnte, ist die Intention hier, die Werke dieser Autoren im türkischen Büchermarkt leichter zu verkaufen. Natürlich wird dabei bedacht, dass die erwerbsorientierte Verkaufspolitik der privaten Verlage wichtig ist. Durch die rasche Zunahme der privaten Verlage ab den 90er entwickelte sich die Kinder- und Jugendliteratur. Hierbei war die Entwick- lung der Kinder- und Jugendliteratur in deutschsprachigen Ländern ebenfalls sehr entscheidend.

3.4 Deutschsprachige Literatur in der Türkei: Nach Verlagen

Die aus der deutschsprachigen Literatur ins Türkische übersetzten Werke wurden in der Türkei bei über hundert verschiedenen Verlagen veröffentlicht. Wie in Abb. 4 zu erkennen, sind die effektivsten Verlage folgendermaßen: Can Yayınları 166 Werke, Say Yayınları 134 Werke, Verlag des Bildungsministeriums MEB 82 Werke, Epsilon Yayıncılık 64 Werke, Pegasus Yayınları 52 Werke, Cem Yayınevi 50 Werke, Türkiye İş Bankası Kültür Yayınları 48 Werke, Yurt Kitap Yayın 46 Werke, Yapı Kredi Yayınları 42 Werke und Altın Kitaplar Yayınevi 42 Werke:

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Öncü/ Sertdemir: Deutschsprachige Literatur in der Türkei: Ein Überblick 15

Abb. 4: Deutschsprachige Literatur in der Türkei: Nach Verlagen

Analysiert man die obige Grafik, so ist auffällig, dass die Übersetzungen aus der deutschsprachigen Literatur ins Türkische neben dem Verlag des Bildungs- ministeriums des staatlich unterstützten Tercüme Bürosu auch von vielen privaten Verlagen übernommen wurden. In diesem Rahmen ist zu erkennen, dass Can Yayınları unter den verschiedenen Verlagsnamen Can Çocuk Yayınları, Can Sanat Yayınları und Can Yayınevi eine führende Rolle spielte, und dass die Übersetzung der deutschsprachigen Literatur in ihrem Repertoire einen bedeutenden Platz ein- nimmt. Es ist zu betrachten, dass Can Yayınları sowohl im Bereich der Kinderliteratur als auch im Bereich der klassischen deutschsprachigen Literatur zahlreiche Werke veröffentlicht hat. Der obigen Auflistung ist zu entnehmen, dass sich nach Can Yayınları, Say Yayınları befindet, und dass dieser Verlag als Say Çocuk und Say Yayınevi eine nicht zu unterschätzende Anzahl an Übersetzungen veröffentlicht hat.

Analysiert man Say Yayınları detaillierter, so fällt auf, dass vor allem zahlreiche Kin- derbuch-Übersetzungen von Esat Nermi Erendor und Gülderen Pamir bei diesem Verlag veröffentlicht wurden. Nach den beiden privaten Einrichtungen nimmt der staatlich unterstützte Verlag des Bildungsministeriums MEB seinen Platz ein. Bei der Bestimmung der Veröffentlichungen des Bildungsministeriums wurden auch die Pub- likationen, die unter den alten Namen Maarif Vekâleti Yayınları und Maarif Basımevi herausgegeben wurden, hinzugefügt. Der Verlag des Bildungsministeriums hatte in den 1940er Jahren neben der Übertragung, der Weltklassiker ins Türkische auch das Ziel, die führenden Namen der deutschsprachigen Literatur den türkischen Lesern vorzustellen. Abgesehen von diesen drei Verlagen ist zu erkennen, dass die Anzahl der von weiteren Verlagen übersetzten Werke sehr nahe zueinander steht.

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3.5 Deutschsprachige Literatur in der Türkei: Nach Übersetzer

Die aus der deutschsprachigen Literatur ins Türkische übersetzten Werke wurden von 781 Übersetzern vorgenommen. Wie in Abb. 5 zu erkennen ist, sind die Über- setzer, die die meisten Übersetzungen anfertigten, folgendermaßen aufgelistet: Esat Nermi Erendor 89 Werke, Kâmuran Şipal 64 Werke, Ahmet Cemal 45 Werke, Fi- ruzan Gürbüz 41 Werke, Gülderen Pamir 38 Werke, Burhan Arpad 30 Werke, Atilla Dirim 29 Werke, İlknur Özdemir 26 Werke, Ahmet Arpad 23 Werke und İlknur İgan 22 Werke:

Abb. 5: Deutschsprachige Literatur in der Türkei: Nach Übersetzer

Betrachtet man die Übersetzter, die aus der deutschsprachigen Literatur ins Türki- sche Werke übertragen haben, so fällt auf, dass Esat Nermi Erendor klar und deut- lich als Übersetzerin, die die meisten Werke ins Türkische übertragen hat, in der ers- ten Reihe steht. Doch es war kaum möglich an Informationen von Esat Nermi Erendor, die laut den Angaben der Türkçe Çeviriler Bibliyografyası im Rahmen von Say Yayınları im Bereich Kinderliteratur über zahlreiche Publikationen verfügt, zu gelangen5. Ebenfalls konnte man keine Informationen über Gülderen Pamir, die ge- nauso wie Esat Nermi Erendor im Say Yayınları im Bereich Kinderliteratur etwa 40 Werke der deutschsprachigen Literatur ins Türkische übersetzte, finden.

Betrachtet man die weiteren Übersetzer, die in der obigen Liste vorkommen, so er- kennt man, dass Kamuran Şipal unter den Namen, die aus der deutschsprachigen Literatur ins Türkische Werke übertrugen, ganz vorne steht: Kamuran Şipal studierte im Jahre 1950 an der Universität Istanbul im Fachbereich Germanistik, sodann arbei- tete er an derselben Abteilung als Forschungsassistent. Später ging er für mehrere Jahre nach Deutschland. Nach seiner Rückkehr war er von 1960 bis zur seiner Pen- sionierung an der Hochschule für Fremdsprachen der Universität Istanbul als

5 http://translation.ege.edu.tr/translex/alman.html (Stand: 15.02.2018)

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