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Archiv "Die heilsame Wirkung einer Bruckner-Symphonie" (30.04.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

FEUILLETON

Die heilsame Wirkung

einer Bruckner-Symphonie

M

usiktherapie, ein weitrei- chendes Experimentierfeld, beruht auf physiologischen Gegebenheiten. Anders als das Au- ge, ein vorgestülptes Organ des Denkhirns, ist das Ohr als eine Modi- fikation des Tastsinns mit der Ge- fühlswelt verbunden, mit dem Inner- sten des Menschen: „Im Herzen lebt der Mensch, nicht im Kopf" (Scho- penhauer). Über diesen Zugang wird Musik wirksam, und der Musikhörer überläßt sich vor allem dieser Wir- kung.

Anton Bruckners (1824-1896) grundehrliche Musik ist dafür be- sonders geeignet. Wir wählen für diesen Zweck „den Schlager" unter seinen Symphonien, die siebente in E-Dur (keine Billigausgabe!). Eine endlos sprudelnde Quelle musikali- scher Einfälle fesselt den Hörer, vom zartesten Naturidyll bis zum über- wältigenden Ausbruch des glühen- den Innern. Schon die stete Auf- merksamkeit zum Heraushören aller Klänge, Melodien und melodischen Wendungen ermöglicht eine befrei- ende Konzentration. Angesprochen wird zugleich auch die Geduld, denn man muß sich öffnen für die oft brei- ten Passagen, Überleitungen und Pausen; die Spielzeit der Symphonie dauert immerhin über eine Stunde.

Diese „raumschaffende" Klangwelt ist einmalig. Bruckner war ein glü- hender Verehrer Richard Wagners, ohne ihn aber nachzuahmen. Zur Er- öffnung des Festspielhauses reiste er nach Bayreuth, präsentierte sich dort dem Meister, um sogleich in der Menge unterzutauchen als ein Na- menloser. Doch als Wagner starb, weinte er tagelang und widmete ihm die Coda des cis-Moll Adagio eben seiner Siebenten, die er gerade in Arbeit hatte. Man muß dieses Opus (und auch die anderen Bruckner- symphonien), wiederholt mit Be- dacht angehört haben, so daß man sie schon genau kennt, ehe das Ver- stehen beginnt. Erst von nun an wird man auch die Form begreifen ler- nen. Das bedeutet, jetzt ist auch der Geist gerufen, das kritisch verste- hende Denken, und man entdeckt fast mit Erschrecken: Bruckner ist ein Meister; kein Romantiker, von Klangrausch und musikalischer Hypnose keine Rede! Und seine kompositorische Formgebung of-

fenbart sich als eine ungeahnt kom- plizierte, diffizile Spitzenleistung, der auch die Leute vom Fach immer wieder nachspüren müssen. Fassen wir zusammen: die heilsame Wir- kung dieser Musik beruht auf dem Eintritt in die innerste Welt der Ge- fühle; auf der Konzentration und der zeitlosen Geduld; auf dem Fanta- sienreichtum von Klang und Melo- die; auf dem Entdecken und Verste-

Anton Bruckner: der Komponist als Dirigent; Silhouette von 0. Böhler

hen der technisch extrem strengen, gleichsam architektonischen Korn- positionsweise; auf einer fleißigen und heilen Selbstdisziplin. Warum empfindet man gerade diese Musik oft als so katholisch? Sie wirkt und ist so katholisch entsprechend der Nachwirkung der Jahrhunderte.

Man hört noch das mystische Dun- kel der gotischen Dome und spürt das Aufwärtsstreben der gläubigen Geister. Es folgte der Paukenschlag der Renaissance mit der Wiederent- deckung des waagrecht Irdischen und mit der geistig verklärten Le- bensfreude des Barock; es folgten

die Klassik, die Romantik: Anton Bruckner ist ihrer aller Verkünder, er schenkt uns Raum und Erfüllung.

Wer war dieser Mann? Alle Bekun- dungen weisen auf „ein kindliches Gemüt und naive Frömmigkeit". Sei- ne neunte Sinfonie hat er kurzer- hand „für den lieben Gott" geweiht.

Als er sie komponierte, war er be- reits todkrank. Sein Arzt hat eines seiner Gebete überliefert: „Lieber Gott, laß mich bald gesund werden, schau, ich brauche ja meine Ge- sundheit, damit ich die Neunte fertig machen kann." Die Sinfonie blieb unvollendet. War Bruckner sich sei- ner epochalen Sendung bewußt?

Wohl schon, doch ohne die gering- ste Eitelkeit. Seine Vorfahren waren Bauern, Handwerker, Lehrer; er selbst war nichts anderes und blieb es, ein grundehrlicher, schlichter Mann, der die Last seines Genies und seines Sich-offenbaren-Müs- sens, mit allen auch existenziellen Nöten seines Lebens klaglos auf sich genommen und getragen hat:

zu Gottes Verherrlichung. Daß seine Bescheidenheit und sein Humor echt waren, zeigt ein anekdotisches Beispiel, das das Hauptthema im er- sten Satz der Siebenten Sinfonie be- trifft. Bei den Orchesterproben frag- te ihn der Dirigent, wie er auf dieses schöne Thema gekommen sei? Die Antwort: „Das is ja gar net von mir.

Im Traum hat der Dorn mir das vor- pfiffen und g'sagt: ,Bruckner, mit dem Thema wirst dein Glück ma- chen!' Da bin i' aufg'standen, hab a Kerzen an'zünd't und hab's glei' aufg'schrieb'n." —

Kleine Nachrede an den geneigten Leser: Eine Erinnerung ohne jede Neuigkeit, aber mit neuer, bewußter, vertiefter Zuwendung; warmherzig weiter gegeben an Gleichgesinnte in der Gewißheit, daß jeder derart Vor- bereitete, Bereitwillige und Demüti- ge an dieser beglückenden Heilsam- keit teilhaben kann.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Erich Haisch

Löhrystraße 11,7750 Konstanz Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 18 vom 30. April 1986 (75) 1305

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