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Archiv "Verwaltungssektionen: Dringende Notwendigkeit" (07.04.2006)

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ei circa 850 000 Todesfällen pro Jahr ist in Deutschland im Rahmen der ärztlichen Leichenschau nach Feststellung des Todes die Frage nach Todeszeit, Todesursache und – damit untrennbar verbunden – die nach der Todesart zu beantworten. Die sichere Angabe einer Todesursache fällt nicht schwer, wenn der Patient wegen einer

Krankheit bis zum Tod ärztlich behan- delt wurde, mit dem Ableben zu rech- nen war oder sich ein gewaltsamer Tod prima facie aus Umständen, Auffinde- situation und Verletzungsbild ergibt.

Schwierigkeiten bestehen,

> wenn der Patient nicht in ärztlicher Behandlung war,

> keine quoad vitam lebensbedroh- lichen Vorerkrankungen bekannt sind,

> der Tod plötzlich und unerwartet eintrat,

> ein anderer als der behandelnde Arzt die Leichenschau vornehmen muss und eine Anamnese nicht erfragbar ist;

> bei „Fundleichen“, die teilweise erst einige Zeit nach Todeseintritt, unter Umständen mit fortgeschrittenen Lei- chenerscheinungen, gefunden werden.

In vielen Fällen bleibt die objektive Todesursache durch die Leichenschau unklar, weil sie dem Verstorbenen nicht anzusehen und durch die Leichenschau nicht eruierbar ist. Dann finden nichts- sagende Diagnosen zur Todesursache Eingang in die Todesbescheinigung, wie

beispielsweise Herzversagen, Herzstill- stand, Atemstillstand oder auch kardio- respiratorische Insuffizienz – also funk- tionelle Endzustände, die konstitutiver Bestandteil jedes Sterbeprozesses sind.

Dementsprechend hoch sind die Abwei- chungen zwischen klinisch und autop- tisch festgestellter Todesursache. Eine vollständige oder weitgehende Über- einstimmung zwischen klinisch und aut- optisch festgestellter Todesursache fin- det man in 50 bis 60 Prozent der Todes- fälle, Unterschiede in Grundleiden und Todesursache in etwa 40 Prozent (13).

Bei frühzeitiger Erkenntnis hätte es bei zehn bis 25 Prozent der Diskrepanzen Folgen für Therapie und Überleben ge- geben. Bleiben Todesursache und To- desart durch die Leichenschau unklar, zum Beispiel auch bei unerwarteten To- desfällen nach ärztlichen Maßnahmen, sollte man annehmen, dass mit einem Instrument höherer diagnostischer Aus- sagekraft – der Leichenöffnung – Klar- heit geschaffen wird.

In Deutschland sind die Sektions- zahlen jedoch über Jahre dramatisch zurückgegangen, insbesondere bei kli- nischen Sektionen (1). Wurden 1994 noch 6,3 Prozent der Verstorbenen ob- duziert, waren es 1999 nur noch 5,3 Pro- zent. Die Zahl der klinischen Obduktio- nen nahm dabei um etwa ein Viertel von 4,2 Prozent aller Verstorbenen auf 3,1 Prozent ab. Die Quote gerichtlicher

Verwaltungssektionen

Dringende Notwendigkeit

Burkhard Madea1, Klaus Püschel2, Eberhard Lignitz3, Reinhard Dettmeyer1

1Institut für Rechtsmedizin (Direktor: Prof. Dr. med. Burk- hard Madea), Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn

2Institut für Rechtsmedizin (Direktor: Prof. Dr. med. Klaus Püschel), Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

3Institut für Rechtsmedizin (Direktor: Prof. Dr. med. Eber- hard Lignitz), Universität Greifswald

Einer Verwaltungssektion

zugeführt werden sollten alle

unklaren oder gewaltsamen

Todesfälle, an deren weiterer

Aufklärung die Staatsanwalt-

schaft kein Interesse hat.

(2)

Obduktionen blieb vergleichsweise konstant (1). Weder für Deutschland noch für andere europäische Staaten werden die Sektionsquoten routi- nemäßig erfasst, sodass teilweise nur aus besonderem Anlass zusammenge- stellte ältere Daten vorliegen. Der Rückgang ist vor allem deswegen alar- mierend, weil durch Obduktion und Anschlussuntersuchungen (Histologie, Toxikologie, postmortale Biochemie) circa 95 bis 97 Prozent aller Todesfälle geklärt werden können. Unter Einsatz molekularpathologischer Techniken werden auch morphologisch nicht fass- bare Todesursachen wie Rhythmus- störungen einer begründeten Diagnose zugeführt. Bei den Sektionstypen in Deutschland sind bundesgesetzlich ge- regelte Obduktionen von teilweise lan- desgesetzlich geregelten Obduktionen zu unterscheiden (Kasten 1).

Bei den gerichtlichen Obduktionen ist der Ermessensspielraum der Staats- anwaltschaft, ob „zureichende tatsächli- che Anhaltspunkte“ für eine Straftat vorliegen (§ 152 Abs. 2 StPO), sehr groß:

Stellt für den einen erst das Messer im Rücken einen „zureichenden tatsächli- chen Anhaltspunkt“ dar, ist es für den anderen beim plötzlichen, unerwarteten Tod bereits die nicht explizit bewiesene Tatsache eines natürlichen Todes (2).

Schätzungen gehen dahin, dass nur jeder zehnte bis 20. unklare Todesfall einer tatsächlichen medizinischen Todesursa- chenklärung durch eine gerichtliche Ob- duktion zugeführt wird. Dies liegt daran, dass sich die Ermittlungsbehörden von ihrer Aufgabenstellung her nicht für die Aufklärung medizinisch unklarer Todes- fälle zuständig fühlen, sondern nur der Todesfälle, bei denen „Fremdverschul- den“ in Betracht kommt.

Klinische Sektionen

Klinische Sektionen waren lange Jah- re nicht gesetzlich geregelt; in neueren Bestattungsgesetzen der Bundeslän- der wurden inzwischen gesetzliche Regelungen formuliert (2). Klinische Obduktionen werden nahezu aus- schließlich bei Verstorbenen durchge- führt, die zuvor stationär behandelt wurden. Das Gespräch mit den An- gehörigen zur Einwilligung in die kli-

nische Sektion führen – soweit keine Willenserklärung des Verstorbenen vorliegt – in der Regel die klinischen Kollegen, heute zum Teil häufig mit nur geringem Engagement (1, 4). Die Zahl klinischer Sektionen ist in den letzten Jahren dramatisch zurückge- gangen, in einzelnen Bundesländern mit früher hoher Sektionsquote von 9,6 auf 5,5 Prozent (Berlin) oder von 12,3 auf 6 Prozent (Hamburg).

Klinische Sektionen bei nicht im Krankenhaus Verstorbenen sind eine Rarität. Die übrigen in Kasten 1 aufge- führten Sektionstypen erfassen auf- grund ihrer spezifischen, durchaus be- gründeten Zielsetzung viele Todesfälle mit medizinisch unklarer oder klärungs- bedürftiger Todesursache nicht: Todes- fälle zu Hause, in der Öffentlichkeit, auf dem Weg ins Krankenhaus, im Heim, in Pflegeeinrichtungen, in Altenheimen.

Da die Übereinstimmung und Diskre- panz klinisch und autoptisch festgestell- ter Todesursachen mit dem Sterbeort korrelieren, ist es außerordentlich be- denklich, dass die Sektionsfrequenz für zu Hause oder im Heim Verstorbene gegen null Prozent tendieren dürfte. Es wäre gerade im Interesse der Ärzte- schaft, der die systemimmanenten Män- gel des Leichenschauwesens (7), vor al- lem Verkennung nichtnatürlicher To- desfälle, angelastet werden, wenn die

medizinisch unklaren Todesfälle einer behördlichen Obduktion mit dem aus- schließlichen Ziel der Klärung der Todes- ursache zugeführt würden.

Situation in anderen Ländern

Andere europäische Länder weisen we- sentlich höhere Sektionsquoten auf. In Großbritannien existiert ein Indikations- katalog von Todesfällen,die dem Coroner gemeldet werden müssen (16). Der Coroner ist weder Staatsanwalt noch Polizist. Der Indikationskatalog um- fasst folgende Fallkategorien:

> Der Verstorbene wurde aufgrund der zum Tode führenden Krankheit nicht ärztlich behandelt.

> Der Verstorbene wurde in den letzten 14 Tagen nicht ärztlich behan- delt und nach dem Todeseintritt nicht vom Arzt untersucht.

> Die Todesursache ist unklar.

> Der Tod steht eventuell in Zusam- menhang mit Berufskrankheiten oder einer Vergiftung.

> Es handelt sich um einen nicht- natürlichen oder gewaltsamen Tod, oder es bestanden Vernachlässigung oder verdächtige Umstände.

> Der Tod steht in Zusammenhang mit Operationen oder trat vor dem Er- wachen aus der Narkose ein.

Damit werden dem Coroner folgen- de Fallkategorien gemeldet: Mord, Tot- schlag, Kindstötung, Beihilfe zum Sui- zid, Tötung im Straßenverkehr, Suizide, Unfälle (Verkehrsunfälle, häusliche Unfälle, Betriebsunfälle), Todesfälle im Polizeigewahrsam und Gefängnis, To- desfälle in Zusammenhang mit medi- zinischer Behandlung, Todesfälle in Zusammenhang mit Vernachlässigung (vonseiten des Arztes, des Pflegeperso- nals). Hinzu kommen plötzliche Todes- fälle, wenn :

> der Patient während der letzten 14 Tage nicht in ärztlicher Behandlung war,

> die Todesursache unklar ist

> und/oder Zweifel an einer natürli- chen Todesursache bestehen.

Weiterhin sind Todesfälle melde- pflichtig nach Abtreibung, Vernachläs- sigung, Unterkühlung, Alkoholismus, Vergiftung sowie bei Verstorbenen, die eine Kriegsrente oder Berufsunfähig- keitsrente bezogen haben. Melde- Sektionstypen in Deutschland

Bundesgesetzlich geregelte Obduktionen

>Strafprozessuale beziehungsweise gericht- liche Sektionen gemäß §§ 87 ff. StPO in Verbindung mit § 152 Abs. 2 StPO

>So genannte Seuchensektionen gemäß

§ 26 Abs. 3 Infektionsschutzgesetz (IfSchG)

>Feuerbestattungssektionen (soweit Feuer- bestattungsgesetz in einzelnen Bundeslän- dern noch in Kraft) gemäß § 3 Abs. 2 Ziffer 2 Feuerbestattungsgesetz (FeuerbestG) oder nach Landesgesetz

>Sozialversicherungsrechtliche Obduktion gemäß §§ 103 ff. Sozialgesetzbuch VII Teilweise landesgesetzlich geregelte Obduktionen

>Anatomische Sektion

>Klinisch-wissenschaftliche Sektion

>Privatversicherungsrechtlich begründete Sektion

>Privatsektion Kasten 1

(3)

pflichtig sind darüber hinaus Todesfälle von Kindern, darunter Totgeburten, und Todesfälle in Pflegeheimen für gei- stig Behinderte sowie in Waisenhäu- sern. 1985 wurden dem Coroner in Großbritannien 182 000 Todesfälle ge- meldet, in 145 600 Fällen wurde eine Obduktion angeordnet und durchge- führt (80 Prozent). Die vom Coroner angeordnete Sektionsquote schwankt regional zwischen 95 bis 99 Prozent in Städten und 30 bis 40 Prozent in ländli- chen Gegenden. Bei diesem System ist kein Arzt gezwungen, wider besseres Wissen in den Leichenschauschein eine Todesursache einzutragen, von der er nicht überzeugt ist. Stellt der Arzt ei- nen Totenschein aus, wenn auch mit einer eher spekulativen Todesursache, kann er gleichwohl an den Coroner melden, um eine definitive Todesursa- chenklärung zu veranlassen (16). Eine hohe Sektionsrate wie in Großbritanni- en garantiert, dass die Todesursache primär objektiv geklärt wird und daher keine Exhumierungen notwendig wer- den, wohingegen in Deutschland bei primär niedriger Sektionsquote häufi- ger exhumiert wird. Es besteht ein rezi- proker Zusammenhang zwischen Sek- tionsfrequenz und Exhumierungsrate auf regionaler Ebene.

Eine ähnlich hohe Sektionsquote wie in Großbritannien gab es bislang in

Österreich: Nach Angaben von Bankl (9) wurden in Österreich etwa 34 Pro- zent aller Todesfälle obduziert, in Wien 50 Prozent. Grundlage dieser hohen Sektionsquote ist eine Gesetzgebung, die eine sanitätspolizeiliche Obdukti- on auf Antrag des Totenbeschauarztes im Auftrag des Gesundheitsamtes (Stadt) oder der Bezirksverwaltungs- behörde (Land) zulässt. Die landesge- setzlichen Regelungen sehen vor, dass – neben den bundesgesetzlich ge- regelten Obduktionen (gerichtliche Leichenöffnungen, sanitätspolizeiliche Leichenöffnungen nach Epidemiege- setz oder bei Personen mit anzeige- pflichtigen Krankheiten) und neben den Sektionen nach Krankenanstal- tenrecht – sanitätspolizeiliche Obduk- tionen zur Klärung einer durch äußere Totenbeschau nicht bestimmbaren To- desursache veranlasst werden können.

Beispielhaft sei aus dem Niederöster- reichischen Leichen- und Bestattungs- gesetz von 1978 (§ 9) zitiert: „Die Be- zirksverwaltungsbehörde hat die Ob- duktion einer Leiche mit Bescheid an- zuordnen, wenn dies zur Feststellung der Ursache des Todes oder der Krank- heit des Verstorbenen aus Gründen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge notwendig ist und der Zweck der Ob- duktion auf andere Weise nicht er- reicht werden kann.“

Forderung nach

Verwaltungssektionen

Nachdem in den 1990er-Jahren Initia- tiven zur Einführung eines bundesein- heitlichen Leichenschauscheins ge- scheitert waren (7), haben verschiede- ne Bundesländer neue Leichenschau- verordnungen und -gesetze formuliert, in denen teilweise auch die Vornahme von Obduktionen geregelt ist. Über- wiegend betrifft dies klinische Obduk- tionen, in einzelnen Bundesländern findet man auch die außergerichtliche Obduktion (Bremen) oder rechtsme- dizinische Sektion (Hamburg). Derar- tige Verwaltungssektionen, wie mit der Hamburger Regelung gesetzlich fi- xiert, sollten auch für andere Bundes- länder angestrebt werden. Diese soll- ten die medizinisch unklaren Todesfäl- le umfassen, bei denen mutmaßlich ein

natürlicher Tod vorliegt, die Todesur- sache jedoch nicht durch eine äußere Leichenschau auch unter Heranzie- hung der Krankengeschichte geklärt werden kann.

Einer Verwaltungssektion zugeführt werden sollten alle unklaren oder ge- waltsamen Todesfälle, an deren weite- rer Aufklärung die Staatsanwaltschaft kein Interesse hat. Durch eine Verwal- tungssektion würden auch jene Todes- fälle außerhalb von Krankenhäusern und Kliniken erfasst, die nicht zu klini- schen Obduktionen führen. Ein Vorteil der Verwaltungssektion (Kasten 2) wä- re darüber hinaus, dass, da nur ein Ob- duzent benötigt wird, das Verfahren im Vergleich zur gerichtlichen Obduktion kostengünstiger wird.

Regelungsmöglichkeiten

Als denkbare gesetzliche Regelungen der Zulässigkeitsvoraussetzungen von Verwaltungssektionen werden die aus der Diskussion zur Transplantations- problematik bekannten Modelle disku- tiert (6, 7, 12, 14).

> Enge und erweiterte Einwilli- gungslösung: Bei der engen Einwilli- gungslösung wird allein auf den Willen des Verstorbenen abgestellt. Er muss in die Vornahme der Obduktion eingewil- ligt haben,Vorstellungen der Angehöri- gen werden nicht berücksichtigt. Bei der erweiterten Einwilligungslösung hat der Verstorbene zwar in eine Ob- duktion nicht eingewilligt, es ist aber auch kein entgegengesetzter Wille be- kannt geworden: Eine Obduktion kann erfolgen, wenn die Totensorgeberech- tigten ihr zustimmen.

> Enge und erweiterte Wider- spruchslösung:Nach der engen Wider- spruchslösung darf eine Obduktion durchgeführt werden, wenn der Ver- storbene zu Lebzeiten nicht widerspro- chen hat; die Vorstellungen der An- gehörigen bleiben unberücksichtigt.

Nach der erweiterten Widerspruchslö- sung können die Totensorgeberechtig- ten – soweit kein entgegenstehender Wille des Verstorbenen bekannt ist – der Obduktion innerhalb einer festge- legten Frist widersprechen. Bleibt der Widerspruch aus, so kann obduziert werden. Die erweiterte Widerspruchs- Vorteile einer Verwaltungs-

sektion

>Medizinisch unklare Fälle werden einer objektiven Klärung zugeführt. Sichere Dia- gnose statt Vermutungsdiagnose zur To- desursache

>Verbesserung der Daten für die Todesursa- chenstatistik

>Qualitätssicherung, sowohl im Hinblick auf die außerklinische ärztliche Behandlung als auch bezüglich der Mortalitätsstatistik und daraus abgeleiteter Maßnahmen

>Erhöhung der Rechtssicherheit

>Vermeidung von Reibereien mit der Polizei um die Qualifikation der Todesart

>Ansprüche von Angehörigen und Hin- terbliebenen können auf der Basis einer sicheren Todesursachenfeststellung sach- lich begründet und begutachtet werden.

>Kostengünstigeres Verfahren im Vergleich zur gerichtlichen Sektion

>Verbesserung der Aus-, Fort- und Weiter- bildung

Kasten 2

(4)

lösung führt nach Erfahrungen mit der klinischen Sektion gegenüber der Zu- stimmungslösung zu höheren Obdukti- onsraten (5, 8, 17).

> Informationslösung:Die Informa- tionslösung verlangt primär die Einwil- ligung des Verstorbenen in die Obduk- tion seines Leichnams. Fehlt diese Ein- willigung und ist kein entgegenstehen- der Wille des Verstorbenen bekannt, so darf nach Information der Totensorge- berechtigten und Ablauf einer diesen

einzuräumenden Widerspruchsfrist ob- duziert werden. Die Totensorgeberech- tigten sind anlässlich der Information über die geplante Obduktion über ihr Widerspruchsrecht aufzuklären. Diese Informationslösung ähnelt sehr stark der erweiterten Widerspruchslösung.

Die zwingende Information der Hin- terbliebenen eröffnet jedoch diesen die Möglichkeit, neben dem Willen des Verstorbenen auch eigene, beispiels- weise religiöse Bedenken geltend zu machen und durch Widerspruch eine Obduktion zu verhindern. Mit dieser Regelung würde der verfassungsrecht- lich hoch anzusiedelnden Religions- freiheit (Art. 4 GG) Rechnung getra- gen, weitergehende verfassungsrechtli- che Bedenken gegen eine Regelung mit Widerspruchsfrist überzeugen nicht (5, 15).

> Indikationslösung: Neben diesen Modellen ist für die Einführung der Verwaltungssektion allerdings die Indi- kationslösung zu favorisieren, wie sie bereits von Heller 1897 (3) vorgeschla- gen wurde und erfolgreich in Großbri-

tannien praktiziert wird und auch in der DDR (14) üblich war. Im Prinzip entspricht auch die sanitätspolizeiliche Obduktion in Österreich beziehungs- weise die Obduktion nach dem öster- reichischen Krankenanstaltengesetz (KAG) einer Indikationslösung, da die Indikation zur sanitätspolizeilichen Ob- duktion die durch die Leichenschau nicht zu klärende Todesursache dar- stellt. In derartigen Fällen auf Zustim- mung oder Widerspruch abzuheben, würde den Sinn des Ge- setzes unterlaufen. Auch für Deutschland wäre ein Indikationsmodell zu fa- vorisieren, wie es der 93.

Deutsche Ärztetag von 1990 getan hat und heute bekräftigen sollte. Der seinerzeitige Beschluss lautet: „Der Vorstand der Bundesärztekammer wird aufgefordert, den Bundes- gesetzgeber zu bitten, ein Obduktionsgesetz zu be- raten und zu beschließen.

Grundlage eines Obdukti- onsgesetzes soll eine indi- kative Lösung sein, die be- währten Regelungen wie zum Beispiel in der DDR und Öster- reich folgt.“ (Dtsch Arztebl 1990;

87[23]: A 1859.)

Auf der Basis einer Indikationslösung wären klare Rechtsgrundlagen für die Handhabung medizinisch unklarer To- desfälle gegeben. Der Indikationskata- log kann sich dabei an die §§ 8 ff. der DDR-Leichenschauanordnung anlehnen.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine derartige Verwaltungssektion zur Klärung unklarer Todesfälle überzeugen auch dann nicht, wenn erst nach Infor- mation der totensorgeberechtigten Hin- terbliebenen und Ablauf einer Wider- spruchsfrist (erweiterte Widerspruchs- lösung, Informationslösung beim Indika- tionsmodell) die Obduktion vorgenom- men wird. Im Transplantationsrecht nahm das Bundesverfassungsgericht eine Ver- fassungsbeschwerde nicht zur Entschei- dung an unter Hinweis auf die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit des Wider- spruchs gegen eine Organentnahme (15).

Dies wird auch für eine Widerspruchs- lösung bei (behördlich) angeordneten Verwaltungssektionen gelten können.

Fazit

Die Einführung von Verwaltungssek- tionen wäre der geeignetste Weg, die sy- stemimmanenten Schwächen des Lei- chenschau- und Todesursachenermitt- lungssystems in der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen. Natürlich würde man 200 000 zusätzliche Sektio- nen nicht allein mit dem derzeitigen Personalbestand in Pathologie und Rechtsmedizin auffangen können. Die Vorteile von Verwaltungssektionen für die Ärzteschaft, die Öffentlichkeit und das Gesundheitswesen liegen jedoch auf der Hand; die Überlegenheit des Systems in Großbritannien, Österreich und in den skandinavischen Ländern steht jedem Sachkundigen vor Augen.

Dementsprechend fehlt es auch nicht an guten, nachvollziehbaren Argumen- ten und Bekenntnissen zu Sektionen – insbesondere auch Verwaltungssektio- nen – als sinnvolle und wirksame Maß- nahmen der Qualitätssicherung in der Medizin und für die Rechtssicherheit.

Es fehlt auch nicht an Ressourcen und geeignetem Fachpersonal (Pathologen, Rechtsmediziner). Was in Deutschland – etwa im Gegensatz zu Großbritannien – fehlt, sind der politische Wille und die Bereitschaft, im allgemeinen Interesse liegende Regelungen zum Obduktions- recht umzusetzen.

Während nach einem Tötungsdelikt an einem Münchner Modemacher Poli- tiker rasch eine Ausweitung der Spei- cherung von DNA-Daten forderten, machen sich Politiker hierzulande je- doch kaum für eine Verbesserung des Systems zur sicheren Feststellung der Todesursache stark. Die Journalistin Sa- bine Rückert hat diese Haltung zutref- fend mit dem Titel ihres Buches „Tote haben keine Lobby“ umschrieben.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2006; 103(14): A 914–8.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Burkhard Madea Institut für Rechtsmedizin der Universität Bonn Stiftsplatz 12, 53111 Bonn

E-Mail: B.Madea@uni-bonn.de

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit1406 abrufbar ist.

In Deutschland sind die Sektionszahlen zurückgegangen; an- dere Länder weisen wesentlich höhere Sektionsquoten auf.

Foto:Caro

(5)

Literatur

1. Brinkmann B, Du Chesne A, Vennemann B: Aktuelle Daten zur Obduktionsfrequenz in Deutschland. Dtsch Med Wschr 2002; 127: 791–5.

2. Madea B: Die ärztliche Leichenschau. Rechtsgrundla- gen, Praktische Durchführung, Problemlösungen.

Berlin: Springer Verlag 1999; zweite Auflage 2006.

3. Heller A: Über die Notwendigkeit der gesetzlichen Einführung von Verwaltungs-Sektionen. Vjschr Ge- richtl Med 1897; 13: 387–90.

4. Sperhake J, Püschel K: Das Hamburger Sektionsge- setz vom 9. Februar 2000 – Entwicklung der Sekti- onszahlen in Hamburger Prosekturen. Pathologe 2003; 24: 204–6.

5. Dettmeyer R, Madea B: Regelungsdefizite im Lei- chenschau- und Obduktionsrecht der Bundesrepu- blik Deutschland. Kritische Vierteljahresschrift 2005;

349–70.

6. Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht (DGMR): Ein- becker Empfehlungen zu Rechtsfragen der Obduk- tion. Medizinrecht 1991; 76.

7. Madea B, Dettmeyer R: Ärztliche Leichenschau und Todesbescheinigung. Dtsch Arztebl 2003; 100:

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8. Lieske K, Gimm H, Püschel K: Erfahrungen mit der Zu- stimmungsregelung für Verwaltungssektionen. Beitr gerichtl Med 1986; 353–9.

9. Bankl HC, Bankl H: Pathologisch-morphologische Diagnostik. Berlin: Springer-Verlag 1999.

10. Becker V: Die klinische Obduktion: Not und Notwen- digkeit. Erlangen: Perimed Verlag 1986.

11. Wagner H J: Ärztliche Leichenschau. Dtsch Arztebl 1990; 87: A 3428–30 [Heft 44].

12. Dettmeyer R: Die verfassungsrechtlichen Grenzen für die gesetzliche Einführung einer Verwaltungssektion bei medizinisch unklaren Todesfällen. Bochumer Schriften zum Sozialrecht. Band 3. Frankfurt a.M.: Pe- ter Lang Verlag 1999.

13. Modelmog D, Goertchen R, Steinhard K, Sinn HP, Stahr H: Vergleich der Mortalitätsstatistik einer Stadt bei unterschiedlicher Obduktionsquote (Görlitzer Studie). Der Pathologe 1991; 12: 191–5.

14. Wirth I, Strauch H: Immer aktuell: Verwaltungssektio- nen. Kriminalistik 1992; 11: 705–9.

15. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 14. 10.

1998 – 1 BvR 1526/98 - NJW 1999, 858.

16. Knight B: Legal aspects of medical practice. Edin- burgh: Churchill Livingstone 1992.

17. Georgii A, Meliss RR: Häufigkeit klinischer Obduktio- nen unter der Widerspruchs- gegenüber der Zustim- mungslösung an der Medizinischen Hochschule Han- nover. Der Pathologe 1992; 13: 190 ff.

Literaturverzeichnis Heft 14/2006, zu:

Verwaltungssektionen

Dringende Notwendigkeit

Einer Verwaltungssektion zugeführt werden sollten alle unklaren oder gewaltsamen Todesfälle, an deren weiterer Aufklärung die Staatsanwaltschaft kein Interesse hat.

Burkhard Madea1, Klaus Püschel2, Eberhard Lignitz3, Reinhard Dettmeyer1

Referenzen

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