Ü
berragt von der ehemali- gen Festungsanlage Ca- stelo do São Jorge schmiegt sich die portugiesi- sche Hauptstadt zwischen dem Expo-Gelände im Norden und Belém im Süden als Halbkreis an den Tejo.„Die Wahl zur Kul- turhauptstadt 1994 und die Ex- po 1998 haben Lissabon in den Kreis europäischer Metropo- len zurückgeführt. Mit der Fußball-Europameisterschaft kam 2004 der dritte Moderni- sierungsschub“, begeistert sich unser Freund João über die Veränderungen in seiner Hei- matstadt. Das Metronetz wur- de erweitert, große Einkaufs- zentren wie das Colombo sind entstanden. In der Altstadt hat Lissabon einen Spagat zwi- schen Moderne und Tradition vollbracht. In den Randbezir- ken wird noch fleißig gebaut, die Baustellen sind nicht zu übersehen. Aber selbst in den Neubauvierteln versucht man, Eintönigkeit zu vermeiden und ein variantenreiches Straßen- bild zu schaffen.Zu jedem Lissabon-Besuch gehört ein Ausflug zur Mün-
dung des Tejo in den Atlantik.
Vom Torre de Belém aus be- gannen die portugiesischen Seefahrer ihre gewagten Ex- peditionen über die Grenzen der damals bekannten Welt hinaus und machten Portugal zur führenden Seemacht.
Kein Wunder, dass auch die EU-Staatschefs hier zu neuen Ufern aufbrechen wollen und sich im prunkvollen Hiero- nymus-Kloster feierlich ver- sprachen, Europa bis 2010 zum dynamischsten Wirt- schaftsraum der Welt zu ma- chen. Nur zwei Straßenbahn- stationen weiter, an den Do- cas unter der mächtigen Hän- gebrücke 25 de Abril, sind wir schon im neuen Lissabon angekommen. Die ehemali- gen Docks am Fluss haben sich in einen bunten Tages- und Nachttreff mit zahlrei- chen Restaurants und Bars verwandelt.
Elevador de Santa Justa Rua Augusta heißt die breite Haupteinkaufsstraße im Zen- trum, die von der Praia do Comércio bis zum Rossio führt. Die Fußgängerpassage ist aufwendig mit winzigen, zu
Mosaiken zusammengefügten Steinen gepflastert. Vom Kern der Innenstadt sind es nur ein paar Meter zum Elevador de Santa Justa. Von der Plattform des kuriosen neogotischen Ei- senfahrstuhls, der den zentra- len Stadtteil Baixa mit dem höher gelegenen Largo do Carmo verbindet, blicken wir bei frisch gepresstem Oran- gensaft über die Dächer von Lissabon auf die allgegenwär- tigen Straßenbahnen, deren berühmte Linie 28 wir nicht müde werden zu befahren. Es gibt keinen besseren Weg, Lissabon zu entdecken.
Rappelnd verschwindet die grüne Tram mit den offenen Fenstern und den harten Holz- bänken zwischen den engen Treppengässchen, streift hin und wieder herunterhängende Wäsche, passiert winzige Tas- cas, wie die Kneipen hier heißen – oft mit nur ein,zwei Ti- schen vor und ebenso vielen hinter der Tür. Hat sich die 28 erst einmal in den verwinkel- ten, steilen Gassen mit ihren mehrgeschossigen, an den Hang gewürfelten Häusern verloren, entstehen Bilder von großer Eindringlichkeit. Eine sanfte Melancholie begleitet uns von Hügel zu Hügel. Asso- ziationen an Mastroianis letz- ten Film „Pereira erklärt“ wer- den wach.Winzige Balkone mit verspielten Eisengittern, Blu- menkästen vor abbröckelnden Fassaden, marode Dächer über uralten Jalousien, in denen Tau- ben nisten. Dazwischen aber
immer mehr bunte Farbtupfer in dem Wirrwarr von Treppen, Höfen, winzigen Plätzen und Arkaden, die sich zum Caste- lo do São Jorge hochstapeln.
Frisch renovierte Häuser, um- gebaut zu Ateliers für Künstler, Lofts für Gutbetuchte, pfiffige Restaurants oder geschmack- volle kleine Hotels wie das Solar dos Mouros in der Rua do Milagre. Über der Altstadt weht ein frischer Wind.
Alfama
Nur noch selten fährt die Straßenbahn an unrenovierten Häusern vorbei. Vielleicht ist in den ehemaligen Armen- vierteln Alfama und Mouraria der Modernisierungsprozess am auffälligsten. Aus den einst so heruntergekommenen Ge- burtsorten des Fado sind inzwi- schen gute Adressen gewor- den. Der obere Teil der Alfama wirkt fast schon ein wenig mu- seal. Wir steigen zu einem Drink an der lauschigen Largo da Graça aus, ebenso zum Sun- downer an der Largo Portas do Sol mit dem besten Blick über den Tejo und kehren immer wieder zum Café a Brasileira in der Rua Garett zurück.
Lissabon – Stadt der Trep- pen. Gut, dass es die 28 gibt.
Zum Abschiedsessen hat João das Restó im Barrio Alto ge- wählt. Die Tasca liegt hoch über dem Fluss, von dem es heißt,er bestehe zu einem Drit- tel aus Wasser und zu zwei Dritteln aus Fisch. Roland Motz V A R I A
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A1536 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 2127. Mai 2005
Lissabon
Über der Altstadt weht ein frischer Wind
Portugals Hauptstadt zwischen Moderne und Tradition
Torre de Belém:
majestätisch und erhaben Der Elevador verbindet die
Ober- mit der Unterstadt.
Rua Augusta: die Haupteinkaufsstraße Lissabons
Fotos:Roland Motz
Reise