• Keine Ergebnisse gefunden

Ein frischer Wind weht seit ein paar Jahren

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Ein frischer Wind weht seit ein paar Jahren"

Copied!
5
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Weil man sich immer zweimal im Leben sieht

Aufgrund der Folgen der Corona-Krise spielt das Thema Jobabbau in der deutschen Wirtschaft plötzlich wieder eine große Rolle. Die Trennungskultur als Teil einer ganzheit- lichen Employee Experience ist in den meisten Unternehmen jedoch immer noch ein blinder Fleck. Dabei ist klar: Je konsequenter Firmen den Weg der Wertschätzung und Fairness auch beim Stellenabbau verfolgen, desto erfolgreicher werden sie als Organisa- tion langfristig sein.

Jürgen Lieske

E

in frischer Wind weht seit ein paar Jahren durch die deutsche Arbeitswelt – alles wird lockerer, luftiger und leichter, die Hierarchi- en werden flacher und händeringend werden Talen- te und Fachkräfte gesucht. Doch halt. Da war doch was: 6000 Stellen sollen bei BASF abgebaut werden, 2700 bei RWE, 2300 bei der Commerzbank, 4500 bei Bayer und 5000 bei E.ON.

Das Spannungsfeld managen

Und jetzt noch Corona: Der Lockdown großer Tei- le des Wirtschaftslebens hat disruptiv eine Zeit des kontinuierlichen Wirtschaftswachstums beendet, eine globale Rezession droht. Bisher haben wir im- mer nur von der VUCA-Welt gesprochen, jetzt sind wir mittendrin – mit allen Konsequenzen für das Change Management. Die Umbruchs- und Verän- derungswelle, die deutsche Unternehmen schon seit einigen Jahren beschäftigt, wird sich nun nochmal beschleunigen. Straffes Liquiditätsmanagement wird nach Corona in vielen Unternehmen an erster Stelle der Tagesordnung stehen und Stellenabbau die wirksamste Stellschraube sein.

Die Denksportaufgabe, die sich jetzt Geschäfts- führern, Vorständen und Personalern stellt, lautet daher: Wie bekommen wir den nötigen Stellenab- bau so hin, dass uns der Laden nicht um die Ohren

fliegt, Leistungsträger erhalten bleiben und wir gesunkene Umsatzerwartungen und langfristi- ge Rückkehr zum Wachstumspfad miteinander in Einklang bringen? Und weiter: Wie sanieren wir, ohne unsere Investments der vergangenen Jahre in Wertschätzung, New Work, flache Hierarchien und Entscheidungsfindung auf Augenhöhe infrage zu stellen? Wie managen wir das Spannungsfeld von ei- nerseits „Wir müssen uns trennen“ und andererseits

„Wir sind kreativ und innovativ und wertschätzend“

auf funktionale Weise?

Trennungskultur als Teil der Employee Journey

Diese Aufgabe wird anspruchsvoll, weil Trennungs- kultur als Teil der Employee Journey – anders als etwa in den USA – in Deutschland immer noch ein blinder Fleck ist: Laut Kienbaum haben gerade ein- mal 30 Prozent aller Unternehmen so etwas wie eine Trennungskultur. Dabei sagen über 70 Prozent der 500 befragten Entscheider und Entscheiderin- nen, dass Trennungskultur für Veränderung essen- ziell wichtig sei.

Noch gilt die Devise: Wir trennen, wie wir es immer schon getan haben – mit Sozialplan, An- wälten und Abfindungen und gegebenenfalls mit betriebsbedingten Kündigungen. Getrennt wird

(2)

munter überall und jederzeit, oft juristisch auch fehlerhaft, was wiederum die Arbeitsanwälte freut.

Ob es am Freitagabend ist, wie etwa ein junger Start-up-Unternehmer stolz berichtet, oder auch knapp vor Weihnachten, mal eben so zwischen Tür und Angel, oder auch mal via Telefon. Dabei spielt es oft keine Rolle, ob der oder die Mitarbeitende länger oder kürzer im Unternehmen gewesen ist – es geht um den Kostenfaktor Stelle.

Auch die sonstigen Top-Werte wie „Respekt“,

„Wertschätzung“ oder „Individualität“ sind bei ei- ner Trennung scheinbar irrelevant. Was dabei bei den Betroffenen an seelischen Traumatisierungen ausgelöst wird – und das meint auch die Führungs- kraft, die etwa in drei Wochen mal so eben 50 Tren- nungsgespräche muss – oder auch wie viel Geld jedes Jahr an Arbeitsanwälten für mitunter lang- jährige Prozesse ausgegeben wird, bleibt ein Dun- kelfeld. Das gilt übrigens ebenfalls für die Zahl der Trennungen in Deutschland. Die Schätzungen von Arbeitsanwälten gehen von etwas über einer Million aus – der Großteil davon mit Aufhebungsverträgen.

Fehlende Wertschätzung hat Konsequenzen

Wie wird es wohl um die dringend nötige Innovati- onsfreude, die Risikobereitschaft und die Mitarbei- termotivation in der Abteilung bestellt sein, wenn das ganze Großraumbüro unlängst mitbekommen musste, wie drei langjährige Mitarbeitende weinend oder voller Wut aus dem Büro des Chefs gestürzt kamen, dann erstmal ein paar Tage abwesend wa- ren und anschließend auf Nimmerwiedersehen frei- gestellt wurden? Oder wie wird es sich wohl auf das Vertrauen der Mitarbeitenden auswirken, wenn sie mitbekommen, wie die Abteilungsleiterin leichen- blass von der Security hinausbegleitet wird, obwohl ganz klar ist, dass sie nichts angestellt hatte, son- dern eben nur „abgebaut“ wurde?

Fehlende Wertschätzung im Trennungsprozess als Teil des Change hat noch einen weiteren Effekt:

Neben der geringen Motivation der Verbleibenden werden vor allem die Leistungsträger negativ ein- gestellt sein und beginnen, ihre Fühler auf dem Markt auszustrecken, um sich vielleicht nach einem angenehmeren und weniger toxischen Arbeitsum- feld umzuschauen. „Downsizing a workforce by 1 percent leads to a 31 percent increase in voluntary turnover the next year”, konstatierte die Harvard Business Review in einer Studie unlängst.

Eine fehlende Trennungskultur hat zur Folge, dass die Leistungskurve in einem Unternehmen nach einer Weile langsam, aber sicher nach unten geht.

Denn es wird irgendwann die Angst regieren – der natürliche Feind von Innovation und Kreativität.

Trennungskultur schafft psychologische Sicherheit

„In wirklich effektiven Teams gibt es ein hohes Maß an Sicherheit, sodass sich die Mitglieder trauen, ihre Meinung offen zu sagen und Risiken einzugehen“

konstatiert Marcus Raitner in seinem „Manifest der menschlichen Führung“. Nur wenn sich alle Betei- ligten am Trennungsprozess sicher fühlen können, wenn Menschen geachtet und nicht übergangen werden, können im Turnaround Mitarbeiterpoten- ziale, Lern- und Innovationsfähigkeit sowie Pro- duktivität des Unternehmens erhalten werden. High Performance setzt Angstfreiheit voraus und basiert auf Vertrauen, beispielsweise das Vertrauen, dass ich – auch wenn ich Fehler mache – nicht gleich den Stuhl vor die Tür gesetzt bekomme.

Unternehmen, die in den vergangenen Jahren begonnen haben, ihre Agilität zu entwickeln und den Mitarbeitenden in den Mittelpunkt zu stellen, sind daher gut beraten, einen ganzheitlichen Blick auf die Employees Journey zu wagen, die den Exit explizit miteinschließt. Die Reise hin zur agilen Or- ganisation kann dann auch in stürmischeren Zeiten fortgesetzt werden.

Von Menschen statt Stellen reden

Der Kern fairen Trennens ist eigentlich ganz ein- fach: Ja, es geht um Stellen, auf diesen sitzen aber individuelle Menschen mit Fähigkeiten, Know-how, Bedürfnissen, Wünschen, Hoffnungen und Ängsten.

Faire Trennungskultur beginnt dabei schon lange

Irgendwann regiert die Angst – der natürliche Feind von

Innovation und Kreativität.

(3)

vor dem konkreten Stellenabbau, und zwar damit, sich darüber klar zu werden, dass Trennungen von Mitarbeitenden essenzieller Bestandteil einer Orga- nisation sind und sein müssen. Ein Unternehmen, das sich nicht immer wieder die Frage stellt „Wer passt (noch) zu uns“ wird eines Tages vom Markt verschwinden, denn nur kontinuierliche Verände- rung wird es Unternehmen heute erlauben, wettbe- werbs- und überlebensfähig zu bleiben. Veit Etzold brachte das in seinem Buch „Wandel kommunizie- ren“ griffig auf den Punkt: „Lunch or be lunch“ – oder auch: „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“ Die VUCA-Welt wird nur die Unternehmen weiter existieren lassen, die einerseits in der Lage sind, sich flexibel und kontinuierlich immer wieder zu erneuern sowie neu zu erfinden, und die ande- rerseits ihre Hausaufgaben in puncto „organisatori- sche Resilienz“ gemacht haben.

Noch gilt die Devise:

Wir trennen, wie wir es

immer schon getan haben – mit Sozialplan, Anwälten und Abfindungen und

gegebenenfalls mit betriebs­

bedingten Kündigungen.

1 2

3 4

5 6

Positives Exit-Erlebnis Offboarding

Coaching Wachstum Verantwortung Mentoring

Entwickeln Fördern Fordern

Optimales Onboarding

Positives Recruiting-Erlebnis

Attraktiver Arbeitgeber

Abbildung: Die ganzheitliche Employee Journey

(4)

Was heißt das? Vor allem, sich mit Blick auf Tren- nungen und dem Exit von Mitarbeitenden konse- quent organisatorisch und personell angemessen vorzubereiten:

1 Schlüsselpersonen und für das Unternehmen existenzielle Know-how-Träger identifizieren Deren „Bindungen“ ans Unternehmen analysie- ren: Warum sind sie im Unternehmen geblie- ben? Was macht ihr Know-how spezifisch? Wie können gegebenenfalls Nachfolger entwickelt werden?

Für den Fall der Trennung: Was könnte den Mit- arbeitenden motivieren, die Entkoppelung aus dem sozialen Gefüge Unternehmen als Gewinn zu sehen? Wie kann ich andersherum den Mitar- beitenden halten?

2 Die Resilienz der Organisation prüfen

Mal angenommen, eine Firma hätte morgen eine massive Krise im Haus – aus was für Gründen auch immer: Käme es mit der aktuellen Struktur, der Mannschaft und den Prozessen nicht nur si- cher, sondern vielleicht sogar gestärkt durch die Krise? Was fehlt, was braucht es an Ressourcen, damit es stabiler, stärker und als Organisation resilienter wird?

3 Strategic Workforce Planning (SWP) hin zur

„atmenden Organisation“ einführen, die sich flexibel an Arbeits- und Projektaufkommen anpasst

Das Know-how vor allem der Altgedienten si- chern – durch gezielte Maßnahmen wie Karri-

ere50plus, Mentoring und Shadowing. Zudem sollte das Offboarding professionalisiert, stan- dardisiert und digitalisiert werden.

4 Transfereinstrumente entwickeln und vorbe- reiten – kapazitätsmäßig, prozessual, organi- satorisch

Dazu gehören etwa Maßnahmen in Bezug auf Kurzarbeit, Transferagentur oder gar bezüglich eines Qualifizierungsbetriebs für größere Un- ternehmen, die den Change langfristig angehen wollen.

5 Die Führungsmannschaft und Personal auf Trennungsgespräche vorbereiten

Über 80 Prozent gehen laut Kienbaum unvorbe- reitet in ein solches Gespräch. Dabei hat es die Schlüsselstellung im Change schlechthin: Gut gemacht, bleibt die Mannschaft bei der Stange und kehrt rasch zur alten Produktivität zurück;

schlecht gemacht, drohen Arbeitsprozesse, Wiedereinstellungsklagen, toxische Stimmung im Team.

6 Individuelle Out- bzw. Newplacement-Lösun- gen entwickeln und vorbereiten

Das heißt: Für die Mitarbeitenden, von denen man sich trennen will, eine möglichst individuel- le und attraktive Mischung zum Beispiel an Geld, Weiterbildung, Freistellung, Weiternutzung des Dienstwagens vorzubereiten und sozialplanfä- hig zu machen. Das Verhältnis zum Betriebsrat sollte auf neue konstruktive Füße gestellt wer- den, denn der wird gebraucht, wenn es losgeht.

Change-Kommunikation muss professionell entwickelt werden.

Die Zeit nach einem Stellenabbau ist wie nach einer Operation: Der Patient braucht Zeit zur Erholung, um wieder voll leistungs­

fähig zu sein.

(5)

Dr. Jürgen Lieske ist Berater für faire Tren- nungskultur und Outplacement aus München. Mit seinem Unternehmen Smooth Exit Consulting unterstützt er Un- ternehmen dabei, Change wert- schöpfend und wertschätzend durchzuführen. Unlängst ist von ihm bei GABAL das Buch:

„Trennungsgespräche professio- nell führen“ erschienen.

Sieben goldene Regeln

Regeln für eine nachhaltige Kombination von Change und Stellenabbau:

1. Wenn Trennungen anstehen, sollte man sich dem Thema sauber und ordentlich annehmen und neben dem Kostenziel vor allem auch die Auswirkung auf die Un- ternehmenskultur im Auge behalten.

2. Zwar die Stellen im Kopf haben, sich aber darüber klar werden, dass auf der an- deren Seite des Tisches Menschen sitzen – mit Hoffnungen, Wünschen, Lebenssi- tuationen und -planungen. Diese werden durch den Abbau massiv in Frage gestellt.

3. Auf ordentliche Vorbereitung der Tren- nungsgespräche Wert legen. Ziel muss es sein, Traumatisierungen zu minimieren und von Anfang an Brücken für einen Neuanfang zu bauen. Auch nach erfolgter Trennung gilt es, sich um die Mitarbei- tenden zu kümmern.

4. Vernünftige, individualisierbare New- placement-Optionen entwickeln, die dem Mitarbeitenden wirklich helfen.

5. Die Teams, die bleiben, nicht vergessen, sondern gezielt an der Rückkehr in die Normalität arbeiten und ja, auch hier kann man Geld in die Hand nehmen für die entsprechende externe Expertise.

6. Ordentliche Exit-Gespräche führen: Nie wieder werden Führungskräfte so klar die Wahrheit über das Unternehmen er- fahren wie in dem Moment, in dem es um nichts mehr geht – diese Wahrheit lässt sich für Verbesserungen nutzen.

7. Und es gilt, sich auch um die zu küm- mern, die trennen: also die Personaler und Personalerinnen sowie Führungs- kräfte. Für diese sind solche Situationen ebenfalls heftig.

AUF EINEN BLICK

7 Anbieter für die Zeit danach aussuchen lassen Gibt es jemanden, der sich darauf spezialisiert hat, die „Verbliebenen“ wieder auf Kurs zu brin- gen?

8 In puncto Unternehmenskultur am Ball bleiben Die Zeit nach einem Stellenabbau ist wie nach einer Operation: Der Patient braucht Zeit zur Erholung, um wieder voll leistungsfähig zu sein.

Hier gilt es, offen zu kommunizieren und kon- sequent den Blick nach vorne zu lenken sowie denen, die an Bord bleiben, konsequente Wert- schätzung zu zeigen.

Der Moment der Wahrheit

Lohnt sich dieser ganze Aufwand, wird sich viel- leicht der eine oder andere fragen. Die Antwort lautet: definitiv. „Sanfte“ Trennungen sind im Schnitt viermal so günstig wie die leider viel zu viel durchgeführten „harten Einschnitte“. Und je konsequenter Unternehmen den Weg der Wert- schätzung auch beim Stellenabbau verfolgen, desto erfolgreicher werden sie langfristig sein. Denn sie fokussieren auf das wichtigste Asset in der Digita- lisierung: das Wissen und die Motivation der Mit- arbeiter.

Man sieht sich bekanntlich immer zweimal im Leben. Und der Mitarbeitende, der heute gehen muss, ist der Berater, der Kunde, der Zulieferer oder der Chef von morgen. Wer es ehrlich meint mit dem Change, mit der neuen Arbeitswelt und mit Werten, der muss sich auch damit auseinandersetzen, wie er es mit dem Abschied von den Mitarbeitenden hält, wenn diese abgebaut werden müssen – ganz beson- ders gilt das in der Krise.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

ten getanzt wird.“ Muhammad ist einer, der den Linien folgt – am liebsten mag er sie geschwungen. „Linien haben einen Rhythmus“, sagt er. „Dabkeh“ ist eine Arbeit, der

In diesem Zusammenhang sollte allerdings zweierlei bedacht werden: Erstens sind die Standards in diesem Bereich sowohl in China selbst wie auch in anderen Schwellenländern

Etablierte Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass zunehmend neue Akteure ohne automobile Vorgeschichte versuchen werden, Fuss in diesem Milliardenmarkt zu fassen. Auf

Dass Mini-Jobs dennoch häufig als solche genutzt werden, ist zum Teil auch ein gesellschaftliches Phänomen, wel- ches vielfältige und hochkomplexe Ursachen hat, welche häufig auch

Die Verbände der Windenergie setzen sich derzeit dafür ein, dass diese Vorgaben über eine bidirektionale Schnittstelle erfüllt werden, damit auch die Windbranche

Das Besondere an Qlik Sense und QlikView ist die Qlik Associative Engine, die speziell für die freie, interaktive Untersuchung und Auswertung entwickelt wurde.. Unsere

21 Einzig Rudolf Dirk Schier versucht in seiner Interpretation Parallelen der »Ballade« zum Buch »Kohelet« – vor allem jedoch zum Sonett »Es ist alles eitel« des Andreas

Die neuen WOLF Lüftungssysteme überzeugen nicht nur durch ihren Komfort, ihre hohe Zuverlässigkeit und ihre Langlebig- keit, sondern können auch problemlosnachträglich erweitert