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Archiv "Forschungsethik: Eigenständige Urteilskompetenz" (20.02.2004)

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M

edizinische Forschung wirft ge- genüber der klinischen Medizin moralische Probleme ganz ei- gener Art auf, die eine Unterscheidung zwischen Forschungsethik und Medi- zinethik erfordern. So existiert etwa für die Problematik des wissenschaftlichen Fehlverhaltens in der klinischen Praxis kein direktes Korrelat. Ähnlich ist der Bereich des Schutzes von Probanden deutlich unterschieden von den mora- lischen Grundsätzen, die das Verhal- ten gegenüber Patienten bestimmen.

Überdies sieht sich der medizinische Forscher in ganz andere gesellschaftli- che Zusammenhänge eingebunden als der Arzt.

Aufgrund solcher Unterschiede stellt die Forschungsethik ein Gebiet dar, das sich zwar in historischem Zusammen- hang mit der Medizinethik entwickelt hat, aber in seinen Ansatzpunkten und in seinen Kriterien weitgehend eigen- ständig ist. Viele medizinische Forscher wünschen daher, in ihrer Aus- und Wei- terbildung fundierte Einblicke in das Gebiet der Forschungsethik zu erhal- ten. Eine derartige Anfrage an die Phi- losophie ist gut begründet und weitge- hend unabhängig von der Tatsache, dass es inzwischen fest verankerte institutio- nelle Sicherungen gibt, um bestimmte moralische Standards des Forschungs- handelns zu gewährleisten.

So wird der Fragenkomplex des wis- senschaftlichen Fehlverhaltens für den Forscher nicht erst dann bedeutsam, wenn Fälle von fingierter Autorschaft oder direktem Betrug vor den Ombuds- leuten der entsprechenden Fakultäten oder Institutionen verhandelt werden.

Vielmehr erleben zahlreiche Forscher be- reits im Vorfeld solcher Extremfälle, wie ihre Tätigkeit von externen Zwängen und internen Hierarchien des Forschungs- betriebs bestimmt wird. Gerade ange- hende Nachwuchswissenschaftler sind oft

verunsichert, nach welchen Kriterien sie sich im Labor- und Publikationsalltag richten sollen, welchen Weisungen sie folgen sollen und gegen welche sie sich verwehren dürfen oder gar müssen.

Auch im Bereich des Probanden- schutzes macht die gut etablierte und unverzichtbare Arbeit von Ethikkom- missionen – die ihrerseits nicht allein dem Schutz von Probanden, sondern ebenso dem rechtlichen Schutz der For- scher selbst dient – eine unabhängige ethische Sensibilisierung der Forscher keineswegs obsolet. Auch die Tätigkeit der Ethikkommissionen, die sich in der Regel aus Forschern rekrutieren, kann von einer solchen Sensibilisierung ihrer Mitglieder profitieren. Eine forschungs- ethische Ausbildung würde auch dazu beitragen, dass Forscher sich abzeich- nende Probleme und Gefahrenpoten- ziale bestimmter Forschungsrichtungen frühzeitig erkennen.

Modellcharakter

Schließlich befriedigt eine Sichtweise, die die reine Forschungsarbeit von den Fragen der gesellschaftlichen Anwen- dung und Einbindung kategorisch ab- trennt, längst nicht mehr. Sie verkennt nämlich, dass in der Wechselwirkung von Grundlagenforschung und Anwen- dung die Grenze zwischen beiden Be- reichen zunehmend verschwimmt. Der Forscher erfährt seine Eingebunden- heit in verschiedene gesellschaftliche Systeme derzeit beispielsweise durch die Annäherung medizinisch-naturwis- senschaftlicher Forschung an Wirt- schaft und Industrie.

Der Bedarf an forschungsethischer Kompetenz ist nicht durch eine bloße Aufstellung von Richtlinien zu befriedi- gen, sondern verlangt die Herausbil- dung einer eigenständigen Urteilskom-

petenz des Forschers. Ärzte an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) sowie Philosophen des Instituts für Wissenschaft und Ethik an der Uni- versität Bonn (IWE) haben deshalb im Frühjahr 2001 eine Initiative gestartet, um forschungsethische Ausbildungstei- le in das Curriculum angehender For- scher zu integrieren. Im Vorfeld einer Antragstellung an die Deutsche For- schungsgemeinschaft (DFG) zur Ein- richtung einer Klinischen Forscher- gruppe „Stammzelltransplantation – Molekulare Therapieansätze in der Päd- iatrie“ wurde durch das IWE ein ethi- sches Teilprojekt entworfen, das unter anderem die Erarbeitung von Grundla- gen eines forschungsethischen Curricu- lums enthält.

Für das von der DFG seit Januar 2002 geförderte Projekt ist die enge Interaktion von Philosophie und medi- zinischer Forschung kennzeichnend. Sie hat sich für beide Seiten als fruchtbar erwiesen: Die Forscher gewinnen wert- volle Anregungen für ihre Forschungs- arbeit, und die philosophische Ethik er- hält durch den Rekurs auf die konkre- ten naturwissenschaftlichen Hand- lungskontexte eine klare und authen- tische Grundlage und Praxisnähe. In- zwischen wurden in Abstimmung mit den Vertretern aus Naturwissenschaft und Medizin die Eckpunkte eines for- schungsethischen Curriculums erstellt.

Zielgruppe der Erprobung dieses Cur- riculums sind die Absolventen eines MD/Ph.D.-Programms für Ärzte und Naturwissenschaftler an der Medizini- schen Hochschule Hannover. Zugleich soll das Curriculum Modellcharakter für ähnliche Initiativen haben, die in Deutschland vielfach gefordert, bislang aber noch nicht umgesetzt worden sind.

Das Curriculum umfasst fünf Lern- ziele: (1) Sensibilisierung für morali- sche Fragen und ihre institutionelle T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 820. Februar 2004 AA483

Forschungsethik

Eigenständige Urteilskompetenz

Ein forschungsethisches Curriculum für die medizinisch-naturwissenschaftliche

Ausbildung in Deutschland wird zurzeit in Hannover erprobt.

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Umsetzung im Rahmen biomedizini- scher Forschung; (2) Intensivierung der kritischen Reflexion der eigenen mora- lischen Grundüberzeugungen sowie der argumentativen Auseinandersetzung mit davon abweichenden Positionen;

(3) Ausbildung von Entscheidungskom- petenz mit Blick auf forschungsethische Problemstellungen; (4) Vermittlung von Kenntnissen forschungsethischer Kon- zepte in historisch-systematischer Per- spektive; (5) Bereitstellung von metho- dischen Instrumenten zur kritischen Reflexion und diskursiven Auseinan- dersetzung.

Die Vermittlung des Curriculums wird sich unterschiedlicher Methoden bedienen. Eine zentrale Rolle wird der Diskussion von Fallbeispielen und Referentenvorträgen zukommen. Dar- über hinaus sollen Kurzreferate an Kurs- teilnehmer vergeben und typische In- teraktionssituationen nachgestellt wer- den. Inhaltlich gliedert sich das Curricu- lum in drei Hauptteile: In einem ersten Teil wird zugleich historisch wie sy- stematisch in die Problematik eingeführt (Überblick über Ansätze normativer Ethik, ethische Grundprinzipien bio- medizinischer Forschung, Missbrauchs- fälle et cetera). Der zweite Teil behan- delt zentrale Probleme und Konzepte einer „angewandten Forschungsethik“

(Humanexperiment versus Heilversuch, informed consent, Placebos und Equi- poise, vulnerable groups et cetera) und bereitet damit die Grundlage für spezi- elle Fragen biomedizinischer For- schung, die den Gegenstand des dritten Teils bilden (Datenschutz, Zahlungen an Probanden, Kommerzialisierung, Embryonenforschung et cetera). Die Erprobung dieses Curriculums hat Ende Februar 2004 begonnen.

Anschrift für die Autoren:

Dr. phil. Dietmar Hübner Institut für Wissenschaft und Ethik Niebuhrstraße 51

53113 Bonn

Internet: www.uni-bonn.de/iwe

Autoren: Dr. phil. Dietmar Hübner, Bert Heinrichs, Priv.- Doz. Dr. med.Thomas Heinemann, Dr. phil. Michael Fuchs, Prof. Dr. phil. Ludger Honnefelder (Institut für Wissen- schaft und Ethik, Bonn), Prof. Dr. med. Christopher Baum (Klinik für Hämatologie und Onkologie der MHH), Prof. Dr.

med. Michael Ott (Klinik für Gastroenterologie, Hepato- logie und Endokrinologie der MHH), Prof. Dr. med. Karl Welte, Prof. Dr. med. Christoph Klein (Abteilung Pädiatri- sche Hämatologie und Onkologie der MHH)

T H E M E N D E R Z E I T

A

A484 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 820. Februar 2004

D

ie Teilhabe und Mitverantwortung der Patienten bei der Stabilisie- rung oder Heilung einer Erkran- kung werden nicht nur von Patienten, sondern auch von den Akteuren des Gesundheitswesens immer häufiger ge- fordert (1, 5).

Der Sachverständigenrat zur Begut- achtung der Entwicklung im Gesund- heitswesen (SVR) hat sich des Themas bereits mehrfach angenommen und sieht weiter starken Handlungsbedarf (11, 10). Die im Gesundheitswesen be- stehende Informationsasymmetrie zwi- schen Anbietern und Nachfragern stellt besondere Anforderungen an die Auf- arbeitung von Informationen. Der SVR sieht hier eine eigene Aufgabe für die Versorgungsforschung (11).

Transparenz durch Leistungsberichte

Im Hinblick auf die Verbindlichkeit kann zwischen zwei Versionen von Lei- stungsberichten unterschieden werden:

Die fakultativen Berichte dienen vorrangig der internen Qualitätssiche- rung und Investitionssteuerung, aus ih- nen kann erheblicher Nutzen für die in- tramurale Kompetition und Transpa- renz gezogen werden. Es gibt keine Ver- pflichtung zur Veröffentlichung.

Die obligatorischen Berichte werden nach gesetzlichen Vorgaben erstellt, sie haben festgelegte Parameter zu enthal- ten (zum Beispiel Berichte nach § 137 Absatz 1 Nummer 6 SGB V). Diese Be- richte dienen der externen Qualitätssi- cherung. In Zukunft ist jedes Kranken-

haus verpflichtet, Daten weiterzuge- ben, die bundes- und landesweit ausge- wertet und veröffentlicht werden.

Beide Arten von Leistungsberichten sind Instrumente, deren Etablierung neben qualitätssteigernden Effekten vor allem die Transparenz des Versor- gungsgeschehens für Nutzer erhöht und damit zu einer gezielteren Inan- spruchnahme der Versorgungsangebote beitragen könnte. Um Wahlmöglichkei- ten für Patienten zwischen konkurrie- renden Anbietern zu ermöglichen, müs- sen detaillierte Informationen über die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqua- lität zur Verfügung stehen. Neben die- sen „objektiven“ Parametern sind für Patienten jedoch auch andere Aspekte von Bedeutung. Patienten wollen nicht nur wissen, welches „das beste“ Kran- kenhaus oder welcher „der beste“ Arzt ist. Die Entscheidung wird auch von ethnischen, sozialen, kulturellen und re- ligiösen Faktoren bestimmt (3).

Auch Zertifikate und Gütesiegel können die Wahl des Nutzers beeinflus- sen. Oft wird jedoch nicht deutlich, für welche Leistungen die Einrichtung aus- gezeichnet wurde. Die Unterscheidung zwischen Werbung und objektiver In- formation ist selbst für informierte Pati- enten bisher äußerst schwierig (12).

Bisher beurteilen Patienten die Lei- stungsanbieter im ambulanten und im stationären Sektor vor allem aufgrund eigener Erfahrungen und Empfehlun- gen von behandelnden Ärzten, Ver- wandten, Bekannten oder Selbsthilfe- gruppen. Informationsquellen, die über den Erfahrungsumfang der Be- handler, Heilungs-, Komplikations-

Stationäre und ambulante Versorgung

Leistungsberichte als

„Patientenwegweiser“

Ab dem Jahr 2005 sind die Krankenhäuser verpflichtet, alle zwei Jahre einen Leistungsbericht – in internetfähiger Form – zu erstellen. Eine aktuelle Problemanalyse

Sonja Schlemm, Peter Christian Scriba

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