• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Pflegeheime: Mehr Haftpflichtfälle" (21.02.2003)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Pflegeheime: Mehr Haftpflichtfälle" (21.02.2003)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

M

ängel in der Qualität der Versorgung in sta- tionären Pflegeeinrich- tungen sind in den Blickpunkt geraten. Auslöser negativer Presseveröffentlichungen sind oft Prüfberichte der Medizini- schen Dienste der Kranken- versicherung (MDK), von Me- dicproof oder Berichte von Angehörigen der Pflegeheim- bewohner. Die Mängel bezie- hen sich sowohl auf die perso- nelle und sachliche Ausstat- tung der Pflegeeinrichtungen als auch auf die Qualität der Pflegeleistungen.

Auf diese Missstände hat der Gesetzgeber mit dem Pfle- ge-Qualitätssicherungsgesetz reagiert. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung heißt es:

„Gerade von pflegebedürfti- gen Heimbewohnern oder ihren Angehörigen wird ange- sichts von Versorgungsmän- geln und steigenden Preisen für die stationäre Versorgung immer häufiger die Frage nach der Angemessenheit der Heim- entgelte gestellt. ... Wachsame Medien haben ... vor allem in Pflegeheimen Missstände auf- gezeigt, die unerträglich sind und ... mit Nachdruck beseitigt werden müssen.“ Kernziele des am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Gesetzes sind die Sicherung, Weiterentwicklung und Prüfung der Pflegequa- lität sowie die Stärkung der Verbraucherrechte.

Ab 2004 ist vorgeschrieben, Leistungs- und Qualitätsver- einbarungen als Grundlage der auszuhandelnden Pflege- heimvergütungen abzuschlie- ßen.Darin wird unter anderem Art und Inhalt der Leistungen sowie die personelle und sach- liche Ausstattung der Pflege- heime festgelegt. Pflegeein- richtungen, welche die Pflege- bedürftigen nicht mit der ge- botenen Qualität betreuen, sollen auch finanziell zur Re- chenschaft gezogen werden.

Während Haftpflichtfälle in Pflegeeinrichtungen früher eher die Ausnahme waren, sind seit einigen Jahren gra- vierende Veränderungen fest- zustellen. So ist die Zahl der Ansprüche gegen Pflegeein- richtungen sprunghaft gestie- gen. Innerhalb von fünf Jah-

ren hat sich die Zahl von Schadenfällen je Pflegeheim vervierfacht, während sich der Schadenaufwand pro Pflege- bett sogar mehr als verfünf- facht hat. Insbesondere von den Krankenkassen werden Fälle zum Regress herausge- bracht, bei denen Bewohner von Pflegeheimen zur sta- tionären Behandlung in ein Krankenhaus aufgenommen werden müssen. Meist betrifft dies den Oberschenkelhals- bruch als Sturzfolge. Darüber hinaus sind Ansprüche bei Heimbewohnern mit Dekubi- tus, Kontrakturen oder Mal- nutrition zu beobachten.

Eine Untersuchung des MDK Rheinland-Pfalz folgert, dass 32 von 45 sondener- nährten Heimbewohnern mit 1 000 Kalorien/Tag auskom- men mussten. Die Zahl der Pflegeheimbewohner mit ei- nem Dekubitus und/oder Kon- trakturen wird auf rund 20 Prozent geschätzt. Dabei zei- gen Studien, dass der Prozent- satz der Pflegefehler mit zunehmender Bedürftigkeit überproportional steigt. Wäh- rend in Pflegestufe I nur zwei Prozent der Heimbewohner Dekubiti und/oder Kontraktu- ren aufweisen, sind es in Pfle- gestufe III 33 Prozent.

Neben diesen Ansprüchen der Sozialversicherungsträger ist aber auch eine Zunahme von Klagen durch Angehöri- ge festzustellen. Hier han- delt es sich in erster Linie um Schmerzensgeldansprüche durch mangelhafte pflegeri- sche Versorgung. So wurde beispielsweise bei einem De- kubitus vierten Grades ein Schmerzensgeld in Höhe von 35 000 DM zugesprochen, weil das Pflegepersonal den Deku- bitus zu spät erkannt, die Pati- entin nicht rechtzeitig einem Arzt vorgestellt und geeignete Maßnahmen zur Dekubitus- prophylaxe unterlassen hatte.

Neben den zivilrechtlichen Konsequenzen hat die mangel- hafte Qualität der Versorgung in Pflegeeinrichtungen auch eine strafrechtliche Dimension erreicht.

Qualitätsanforderungen Zur Beurteilung der Pflege- qualität sind aus Sicht der Haftpflichtversicherung folgen- de Aspekte wichtig:

Eingangseinstufung für neue Bewohner.In einem Ein- gangsassessment sollte für alle Bewohner ein Standarddaten- satz verfasst werden, der ne- ben den Stammdaten medizi- nisch und pflegerisch relevante Informationen enthält. Dane- ben sind Einschränkungen und Behinderungen gesondert zu ermitteln. In der Eingangs- einstufung sind auch Pflegezie- le festzulegen und ein Pflege- plan aufzustellen.

Incident Reporting. Ein Ereignis-Meldesystem („Inci- dent Reporting“) sollte alle nicht alltäglichen Vorkomm- nisse eines Pflegeheimes oder Vorgänge, die nicht der übli- chen Versorgung entsprechen, erfassen. In ein solches Melde- system sind alle Mitarbeiter ei- nes Pflegeheimes einzubezie- hen. Es dient nicht dazu, Schul- dige oder nur haftungsrecht- lich relevante Fehler zu finden.

Vielmehr sollen Mitarbeiter vor unbegründeten Haft- pflichtansprüchen geschützt sowie die Auswirkungen be- gründeter Ansprüche mini- miert werden. Folgende Sach- verhalte sind zu erfassen: An- V A R I A

A

A496 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 821. Februar 2003

Pflegeheime

Mehr Haftpflichtfälle

Derzeit erfolgt die Haftpflichtversicherung von Pflegeheimen zumeist auf der Basis von Bettenprämien. Der Autor plädiert für ein

Prämienmodell, das die Pflegeintensität der Bewohner berücksichtigt.

Wirtschaft

Foto:BilderBox

(2)

forderung von Behandlungs- unterlagen durch Bewohner, Familie oder Anwalt; unerwar- teter oder unklarer Tod eines Bewohners; Stürze, die mit Frakturen oder sonstigen Komplikationen einhergehen;

Entlaufen eines Bewohners (mit oder ohne Verletzung);

Dekubitus Grad III oder IV (in der Einrichtung erworben);

stationäre Krankenhausein- weisungen.

Kommunikation.Aus den Erfahrungen in der Heilwe- senhaftpflicht für Kranken- häuser ist bekannt, dass Kom- munikationsdefizite zu den Hauptursachen für Haftungs- ansprüche gegen Leistungsan- bieter im medizinischen Be- reich zählen. In Pflegeeinrich- tungen ist dieses Problem in gleicher Weise anzutreffen, da auch hier die Qualität der Kommunikation als wichtiger Indikator der pflegerischen Leistung angesehen wird. Ne- ben gezielten Schulungsmaß- nahmen zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Per- sonal und Bewohnern/An- gehörigen ist innerhalb der Mitarbeiterschaft die inter- und intraprofessionelle Kom- munikation zu fördern.

Sturzprophylaxe und Be- wohnersicherheit.Die meisten Haftpflichtansprüche gegen Pflegeeinrichtungen werden durch Stürze von Bewohnern ausgelöst.Deshalb ist darauf zu achten, dass alle Gänge und Bäder mit Handläufen aus- gerüstet sind. Die Bäder sind mit rutschfesten Belägen zu versehen. Ebenso benötigen Badewannen, Duschen und Toiletten leicht zugängliche Haltegriffe. Weitere Maßnah- men zur Optimierung der Si- cherheit der Bewohner sind ei- ne helle Beleuchtung ohne Blendwirkung, funktionsfähige und leicht erreichbare Rufan- lagen an allen Betten und in al- len für Bewohner zugänglichen Räumen sowie Rauchdetekto- ren und Sprinkleranlagen.

Pflegestandards und me- dizinische Prophylaxen.In den letzten Jahren sind für die medizinische und pflegerische Versorgung von Pflegeheim- bewohnern zahlreiche Stan- dards erarbeitet worden. Diese

wurden sowohl von einzelnen Einrichtungen als auch über- greifend von Berufsverbän- den oder Trägerorganisatio- nen vorgestellt. Aus haftungs- rechtlicher Sicht ist festzuhal- ten, dass die Arbeit nach Pfle- gestandards geeignet ist, das Haftungsrisiko deutlich zu re- duzieren. Daher sind Stan- dards für die Grund- und Behandlungspflege, Hygiene, Notfallmanagement, Sturzpro- phylaxe und für medizinische Prophylaxen festzulegen. Zu den medizinischen Prophyla- xen zählen vorbeugende Maß- nahmen gegen Dekubitalge- schwüre, Kontrakturen, Infek- tionen, Malnutrition, Throm- bosen und Obstipation.

Qualitätsmanagement.

Wichtige Aspekte im internen Qualitätsmanagement sind Qualitätszirkel, die Erarbei- tung und Umsetzung von Pfle- gestandards, ein Beschwer- demanagement, ein prospekti- ver Plan zur Fort- und Weiter- bildung der Mitarbeiter sowie ein Konzept zur Einarbeitung neuer Mitarbeiter. Zum ex- ternen Qualitätsmanagement zählen die professionelle Be- ratung als Einzelmaßnahme, einrichtungsübergreifende Aktivitäten der jeweiligen Träger und Zertifizierungs- maßnahmen. Der Sinn und Zweck einer Zertifizierung wird zurzeit besonders von Kostenträgern und Trägeror- ganisationen von Pflegeein- richtungen intensiv diskutiert.

Im Gespräch sind trägerspezi- fische Zertifizierungen, Zerti- fizierungen nach ISO und EFQM,aber auch die Entwick- lung eines Zertifizierungsver- fahrens analog dem KTQ-Mo- dell für Krankenhäuser.

Organisation. Die Auf- bau- und Ablauforganisation von Pflegeeinrichtungen hat Folgendes sicherzustellen: Ein- haltung der Rahmenempfeh- lungen zum Pflegeschlüssel;

verbindliche Beschreibung der Verantwortungsbereiche und Aufgaben der Mitarbeiter;

Sicherstellung der fachlichen Überprüfung der Pflege (Pfle- gefachgespräch, Pflegevisi- te); Erstellung verbindlicher Dienstpläne sowie ausreichen- de Versorgung im Nachtdienst und am Wochenende.

Dokumentation.Die Ein- gangseinstufung der Pflege- heimbewohner ist detailliert zu dokumentieren. Darüber hinaus sinnvoll ist die tägliche Pflegedokumentation in ei- nem einheitlichen Dokumen- tationssystem, der Nachweis über die Durchführung pflege- rischer Maßnahmen sowie ein kontinuierlicher Pflegebericht für eine haftungsrechtlich un- bedenkliche Dokumentation.

Die Haftpflichtversiche- rung von Pflegeeinrichtungen erfolgt in Deutschland im Re- gelfall auf der Basis einer Bet- tenprämie. Dabei wird eine einheitliche Prämie für die zur Verfügung stehenden Pflege- betten der jeweiligen Einrich- tung erhoben. Ein solches Prä- mienmodell lässt die Pflege- intensität (Pflegestufe) der Heimbewohner außer Be- tracht. Dabei ist es offenkun- dig, dass das Haftpflichtrisiko mit der Pflegeintensität korre- liert. So ist das Risiko eines Druckgeschwürs bei einem bettlägerigen Heimbewohner um ein Vielfaches höher als bei einem voll mobilisierten. Da- her wurden von der Rückver- sicherung Rechnungsgrundla-

gen für ein Prämienmodell entwickelt, das diese Erkennt- nisse berücksichtigt. Weiterhin ist in das Prämienmodell ein Bonus-Malus-System integriert, mit dem insbesondere die Pfle- gequalität bewertet wird. Bei Erfüllung der Qualitätskriteri- en können unabhängig vom in- dividuellen Risiko der Pflege- heimbewohner Rabatte ge- währt werden. Somit wird von- seiten der Haftpflichtversiche- rung ein deutlicher finanziel- ler Anreiz zur Implementie- rung von Qualitäts- und Risk- Management-Programmen geboten.

In den nächsten Jahren wird der Bedarf an stationärer Pflege zunehmen. Das Haft- pflichtrisiko stationärer Pfle- geeinrichtungen wird dabei wegen der Regressierungspo- litik der Krankenkassen und der zunehmenden Klagebe- reitschaft der Angehörigen weiter steigen. Zieht man in Betracht, dass die Behand- lungskosten eines Patienten mit einem Oberschenkelhals- bruch, der typischen Sturzver- letzung eines alten Menschen, bei 10 000 bis 15 000 Euro lie- gen, so wird deutlich, dass al- lein durch diese Haftungsursa- che die Schadenstatistik eines Haftpflichtversicherers nach- haltig negativ beeinflusst wird.

Das Deckungskonzept mit sei- nen Schwerpunkten im Qua- litäts- und Risk-Management und der Berücksichtigung der Pflegeintensität ermöglicht die Versicherung von Pflegeein- richtungen zu risikoadäquaten Prämien.

Dr. med. Andreas Tacke Rückversicherungs-AG

Dr. med. Nicola-Alexander Sittaro Hannover E+S Rückversicherungs-AG V A R I A

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 821. Februar 2003 AA497

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Bei CPA-Masken wurde die Einhaltung von Mindest- anforderungen, die für einen Schutz gegen Corona- viren unerlässlich sind, durch eine sogenannte CPA-Kurzprüfung nachgewiesen..

Insbesondere ist darauf zu achten, dass eine Mutter, die ihr Kind zur Adoption freigibt, nicht stigmatisiert

Es geht doch um mehr, es geht darum, für den Patienten auf allen Ebenen (medi- zinische Behandlung, persönlicher Umgang) besser zu werden.. Der Pati- ent braucht Schutz, wenn

Mit anderen Buchstaben oder mit Verfas- sernamen gezeichnete Veröffentlichungen geben in erster Linie die Auffassung der Autoren und nicht in jedem Fall die Meinung der

Freiwillig Versicherte, zum Beispiel Selbstständige, sind von der Bindungsfrist ausgenommen, wenn sie von einer gesetzlichen in eine private Krankenkasse wechseln.. So wechseln

Sollte es aber zu einer Kontamination kommen, müssen diese auch für eine Desinfektion geeignet sein.. ▪ Bereiche mit möglichem Infektionsrisiko sind die Praxisräume, in denen

Wir müssen sie unterstützen: einmal durch Medien- nutzung- oder auch Medienunterricht in den Schulen und seitens der Ministerien oder anderer Institutio- nen durch Tipps,

Für die Bewohner und Angehöri- gen, welche sich uns als Hausärzte aussuchen, besteht der Vorteil darin, dass die be- hindertengerecht ausgestatte- te Praxis unmittelbar erreicht