DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Bronchialasthma
eine vorzugsweise nächtliche Erkrankung?
Rudolf Gross
ls wir vor genau 40 Jahren unsere ersten Phase-Il-Studien mit neuen oralen Kombinationspräparaten gegen Asthma bronchiale durch- führten (1), stellte sich schnell und eindeutig heraus, daß ein hoher Zusatz von Sym- pathikomimetika die Situation eher verschlech- terte: Die Kranken konnten nicht schlafen, und der Asthmaanfall war sozusagen vorprogram- miert. Die Hersteller änderten die Zusammen- setzung zu der heute noch üblichen Form. Da- mals steckten Chrononosologie und Chrono- pharmakologie (siehe DÄ 82, 3837 ff und 3839, 1985) noch in ihren Anfängen. Heute verfügen wir auch über sehr viel wirksamere Substanzen wie [32-Sympathikomimetika zur Inhalation, Kor- tikosteroide zur Inhalation und gegebenenfalls (zur möglichst kleinen!) systemischen Zugabe — in jedem Fall unterhalb der Cushing-Schwelle (individuell und nach Applikationsdauer ver- schieden), im Regelfall um 10 bis 12 mg Predni- solon (-äquivalente) sowie die bewährten Theo- phylline und Theophyllin-Äthylendiamine (zahl- reiche Handelspräparate, siehe „Rote Liste").
Die Chronopathologie und Chronopharma- kologie des Bronchialasthmas haben McFadden und andere auf der Basis moderner Methoden in dem Symposium „Asthma: a nocturnal disease"
in einem Sonderheft des American Journal of Medicine (2) zusammengefaßt, das Interessen- ten nur empfohlen werden kann. Nach McFad- den et al. treten Asthmaanfälle bevorzugt zwi- schen drei und fünf Uhr morgens auf — etwa im Unterschied zum Herzinfarkt, der sein Maximum zwischen dem Aufstehen und den Mittagsstun- den erreicht. Nach Turner-Warwick (bei 2) er- wachen fast 40 Prozent der Asthmatiker jede Nacht mit einem Anfall, 64 Prozent mindestens dreimal wöchentlich. McFadden geht so weit, die Diagnose Asthma bronchiale in Zweifel zu zie-
hen, wenn keine nächtlichen Beschwerden ange- geben werden.
Schon beim Gesunden sind die Atemwege während der Nacht enger gestellt, mit einem ver- minderten Atemdurchzug („flow rate" = FEV 1 ) um 5 bis 10 Prozent. Diese Minderung kann beim Asthmatiker bis zu 50 Prozent erreichen und ist gut korreliert zum Auftreten subjektiver Beschwerden (2). Ursachen sind der ohnehin bei Nacht überwiegende Vagotonus, die hormonale Umstimmung und — besonders in entzündeten Atemwegen — die zusätzliche Wirkung von Hist- amin (siehe DÄ 83, 952 ff, 1986), Leukotrienen, Prostaglandinen. Antihistaminika sind bei nächt- lichen Asthmaanfällen wirkungslos (Barnes bei (2)).
Der mit einem Asthmaanfall erwachende Patient kann seine gewohnte Inhalation durch- führen und hoffen, wieder einzuschlafen. Wenn er ein Kortikoid systemisch einnimmt, wird er in der Regel von nächtlichen Anfällen verschont bleiben. Die meisten Autoren empfehlen als Ba- sisbehandlung ein retardiert wirkendes Theo- phyllin-Präparat, das gegen 19 Uhr eingenom- men wird. Die höchsten Blutspiegel werden da- mit während der kritischen Phase in den frühen Morgenstunden erreicht. Wegen seiner Neben- wirkungen auf Herz, Magen, Schlaf sollte die eben ausreichende Dosis ermittelt werden. Nach Fairshter et al. (2) haben verschiedene Autoren um 10 bis 20 mg/1 Plasma keine Nebeneffekte, aber eine ausreichende Konzentration ermittelt.
Literatur
1. Gross, R.: unveröffentlichte Untersuchungen 1948/49
2. McFadden, E. R. jr. (Edit.): Sonderheft 1 B zu 85 (1988) des Americ. J. Medicine
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med.
Dr. h. c. Rudolf Gross Herbert-Lewin-Straße 5 5000 Köln 41
A-2280 (34) Dt. Ärztebl. 86, Heft 33, 17. August 1989