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Archiv "Das Ende der Selbstverständlichkeiten — Oder: Die Begegnung mit Rönne" (15.05.1980)

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Aufsätze • Notizen

Herbert Falken:

Mann mit ver- schränkten Ar- men, 16. 1. 80, Graphit, Kreide, 65 x 50 cm FEUILLETON

Das Ende

der Selbstverständlichkeiten

Oder: Die Begegnung mit Rönne

Hartmut Kraft

Herbert Falken, geboren 1932, kaufmännische Lehre von 1950 bis 1953. Arbeitet jede freie Minute als Maler, 1958 Abitur am Abendgym- nasium, 1958 bis 1962 Studium der Philosophie und katholischen Theologie, 1964 Priesterweihe, in der Folgezeit Dienst in verschiede- nen Pfarreien und Schulen; malt in der freien Zeit, gegenwärtig teilweise vom Dienst freigestellt, um sich intensiver der künstlerischen Arbeit zuwenden zu können.

Bilder im privaten und öffentlichen Besitz (Suermondt-Museum in Aachen, Sammlung Ludwig, Kultusministerium Düsseldorf u. a.) Vom 18. Mai bis zum 8. Juni 1980 veranstaltet der Heidelberger Kunstverein, Hauptstraße 97, 6900 Heidelberg, eine Einzelausstellung mit Werken von Herbert Falken,

Es sind zwei Hälften, voll von Ge- wundenem, Labyrinthe spielerischer Freude und qualvoller Angst. Was wäre geworden, wenn die Geburts- zange ein bißchen tiefer gedrückt hätte, wenn beim Sturz der Helm nicht gewesen wäre, wenn der von hinten geführte Schlag getroffen hätte? Die Liste der Zufälle ist lang.

Die Ägypter, so heißt es, holten es vor dem Einbalsamieren durch die Nase heraus, füllten es in Gefäße, zerbröckelt und weich. So schwer ist das: heranzukommen an die Sub- stanz, die uns lenkt. Meist bleiben wir außen vor, in der Erwartung von etwas Geheimnisvollen.

„ . und wie er dann die leicht ge- beugten Handflächen, nach oben of- fen, an den kleinen Fingern zusam- menlegte, um sie dann einander zu und ab zu bewegen, als bräche er eine große, weiche Frucht auf oder als böge er etwas auseinander . . . aber niemand wußte, was es zu be- deuten habe. Bis es sich ereignete, daß in der Anstalt ein größeres Tier geschlachtet wurde. Rönne kam scheinbar zufällig vorbei, als der Kopf aufgeschlagen wurde, nahm den Inhalt in die Hände und bog die beiden Hälften auseinander. Da durchfuhr es die Schwester, daß dies die Bewegung gewesen sei, die sie auf dem Gang beobachtet hatte."

Gottfried Benns Romanfigur Werff Rönne, ein junger Arzt, kommt mir stets dann in den Sinn, wenn ich mich, warum auch immer, mit Gehir- nen beschäftige. Für Rönne sind es die Gehirne, das einst so Selbstver- ständliche, das eine neue Sicht ver- langt. Das Gehirn, isoliert, herausge- rissen aus Zusammenhängen, kün- det vom Tod. Doch dem Arzt wird Helfen unterstellt, selbst da, wo er ein Gehirn in Händen hält, den Schnitt quer hindurchlegt: es ist für die Wissenschaft, die Fata Morgana des Glücks. Individuelles Leid als Puzzleteil des Fortschritts. Als ich erstmalig die Gehirnbilder von Her- bert Falken sah, drängte sich mir ein ganz anderes Gefühl auf. Es war da etwas Warmes, Pulsierendes, Le- bendes. Es war eine Aktivität in den geronnenen Farbspuren, eine Dyna- mik, die vom Tod nichts wissen will.

1354 Heft 20 vom 15. Mai 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Herbert Falken: Mein Gehirn ist meine Dornenkrone, 22. 8. 79, Pastell, Öl, Tusche, 79 x 107 cm

Herbert Falken: Gehirn, 24. 10. 79, Graphit, Kreide, Öl, 110 x 200 cm

Herbert Falken

Ich hatte nicht erwartet, derartige Bilder zu sehen, Bilder eines mir, aus nüchterner medizinischer Sicht, wohlvertrauten Organs. Gehirne erinnern mich eben stets an Patho- logie, an Formalingestank, Tumor und Tod. Falkens Bilder verleugnen dies nicht, machen nicht vergessen, haben aber andere Dimensionen.

Diese Bilder sind keine an der dingli- chen Realität orientierten Studien.

Frei vom Zwang, die im wesentli- chen immer gleichen Strukturen, die Windungen, die Furchen zu zeich- nen, entwirft Falken seine ganz indi- viduellen Metamorphosen des Ge- hirns. Sie entstehen parallel zu der schier endlosen Reihe seiner Selbst- bildnisse.

Sind sie etwas anderes?

Selbstportraits sind Versuche des Künstlers, sich mit sich selbst aus- einanderzusetzen. Sie sind der Ver- such, trotz Darstellung des äußeren Bildes ein inneres Bild zu entwerfen.

Oft müssen starke Krusten der Kon- vention, des Eingefahrenen, auch des Bewährten abgestreift, ja gera- dezu abgesprengt werden. Herbert Falken ist darum in einem geradezu besessenen Eifer bemüht. Die Bilder zeigen, daß Falken hinter die Fassa- den, gerade auch die eigene, guk- ken will, gucken muß. (Was wäre er wohl für ein Priester, der nur Fassa- den segnete?) Was zur Schau getra- gen wird, ist meist doch nur ein mat- ter Abglanz des ursprünglichen Feu- ers. Dies aber gilt es zu fassen, hier ist Geschehen wirklich in Gang zu bringen. An das Zentrum der Dinge, des Menschen zu gelangen, ist ein wesentliches Ziel Falkens, wohl der Kunst überhaupt. Insofern hat Fal- ken nun in seinen Gehirn-Bildern ei- nen Schritt getan, der dies Anliegen in unverhüllter (enthüllter) Form zum Ausdruck bringt. Diese Bilder erscheinen mir als eine neue Folge der Selbstportraits, parallel zu die- sen, auf einer anderen Ebene.

Wenn ich Falkens eigene Begeiste- rung, sein Angerührt- und Berührt- sein vor diesen Bildern spüre, so empfinde ich auch wieder etwas von der Schutzlosigkeit, in die ein Künst- ler sich mit seinen Werken, speziell

aber mit seinen Selbstbildnissen, hineinbegibt. Wer nun sogar, wie Falken, soweit geht, die schützende Hülle, den harten Panzer zu verlas- sen, lebt gefährlich: den Kopf sich aufschlagen, den Schädel sprengen.

Von innen oder von außen? Befrei- ung oder Vernichtung? Das Gehirn preisgegeben, schutzlos ausgesetzt.

Nur zu gerne würden sich viele wie- der zurückziehen, zurückkehren wie in ein schützendes Schneckenhaus.

Die Gefahr läßt manch enge Behau- sung als weit genug erscheinen, den einengenden Panzer als Schutz, die Fassade als hilfreich, die Floskel als Halt.

Sich stetig selbst zu befragen, in Frage zu stellen, wie Herbert Falken

es in seinen Selbstbildnissen wie auch seinen Gehirn-Bildern macht, kostet Mut. Einen Mut, den wir in einer stetig mehr verwalteten, ge- glätteten und glänzenden und gleichzeitig doch so unheilvoll brodelnden Welt dringend brau- chen.

Ein gegenseitiges Verstehen ist nur möglich, wenn wir Blicke hinter die Fassaden gestatten. Daß Herbert Falken hier bereit ist, eine Vorlei- stung zu erbringen, zeigt er in sei- nen Bildern immer wieder. Und dies ist keine künstlerische Attitüde. Dies ist erlebter Alltag als Seelsorger, wenn er auf Mauern des Schwei- gens, des Sich-nicht-mitteilen-Kön- nens trifft. Wenn er sich immer wie- der aufgefordert sieht, sich als

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 20 vom 15. Mai 1980 1355

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FEUILLETON

Mensch einzubringen, nicht als Bi- belwort-Automat.

„ ... sehen sie, in diesen meinen Händen hielt ich sie, hundert oder auch tausend Stück; manche waren weich, manche waren hart, alle sehr zerfließlich; Männer, Weiber, mürbe und voll Blut. Nun halte ich immer mein eigenes in meinen Händen und muß immer darnach forschen, was mit mir möglich sei."

(Die Zitate sind der Erzählung „Gehirne" von Gottfried Benn, Gesammelte Werke, Limes- Verlag, entnommen).

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Hartmut Kraft Kapfenberger Straße 4 5020 Frechen

Arzt — und Poet dazu

Andreas Schuhmann

Am 14. Januar 1920 wurde Andreas Schuhmann in München geboren.

Nach seiner Ausbildungszeit, zuletzt in Würzburg, kehrte er nach Mün- chen zurück, wo er als Facharzt für Innere Medizin und Radiologie ar- beitet. Er hat drei Kinder: der Älteste ist Assistenzarzt, eine Tochter wird Diplomingenieurin, die Jüngste ist Gymnasiastin.

Schuhmanns Lieblingsdichter sind u. a. Garcia Lorca, Vicente Aleixan- dre, Günter Eich, Nelly Sachs, Chri- stine Lavant, Paul Celan. Im Herbst 1978 wurde von ihm in einem Münchner Verlag der Gedichtband

„Wasserwellenspiegel" veröffent- licht.

Andreas Schuhmann schreibt:

„. Jeder Lyriker ist letztlich ein- sam, weiß von keinem Publikum und dichtet zunächst für sich allein.

Dann kommt es aber doch darauf an, daß er irgendwann und irgendwo

— und sei es nach Jahren — für seine Aussendungen einen Empfänger auf gleicher Welle findet. Und wie oft ist das dem Zufall überlassen!"

Hierzu das Gedicht:

Irrationale Trilogie des Nichts BENN

Werde spracheinsam und stirb

zwischen Leere und gezeichnetem Ich ADORNO

Nach Auschwitz nichts nur Schweigen noch mehr als nichts Schweigen ohne Atem CELAN

Die Meridiane wandern Atemwende Sprache geheimnisgefügt kristallklar kalt Nichts bleibt als Nichts nicht einmal Gott

Dagegen steht, als Positivum, die Dichtung, in der gültige Werte dar- gestellt werden:

Der Konflikt

(Hugo von Hofmannsthal) Chimäre

ewig sich ändernder Traum Es,

Es ist, Es ist nicht unbegrenzbar dies Sein, sich wandelnd von Tag zu Tag.

Gottesblick, ewig dauernde Tat.

Du, Du bist, Du bist bei mir.

Unverloren dies Tun, gültig

von gestern auf morgen.

„Unverloren dies Tun, gültig von ge- stern auf morgen." Wie stark, wie dabei ganz dichterisch ist dies aus- gedrückt, getragen von der Kraft ei- ner Persönlichkeit, die Werte und Ni- veauunterschiede zu erkennen ver- mag.

Zwischen diesen beiden Gedichten steht, als hierher gehörige Frage, dies:

Betroffensein Was soll es:

Nur der Verzweiflung Mut machen

Betroffen und Getroffen sein.

Wie steht es:

Ohnmacht des Herzens Hilflos und

Stumm sind Die Halbfertigen.

Was tut es:

Wächst so Die Verzweiflung Wächst uns auch Mut zum Nichts.

Und da dichten sie noch

Ist die letzte Zeile „und da dichten sie noch" Anerkennung, Mißbilli- gung, Frage?

Für Andreas Schuhmann ist das dichterische Wort „Balsam und Trost, stets ‚geprüft":

Poem

Geprüftes Wort

Nackt mehr noch hautlos Blutendes Fleisch Aus des Gedankens Schwärender Wunde Zauberwort

Wortzauber

Schmerzenden Gedanken Balsam und Trost.

Gedichte sind nur ein teilhafter Aus- druck einer Persönlichkeit. Aber auch darin: Im gewählten Vorbild und im Selbstgeschaffenen, können Sinn für gültige Werte und geistiges Niveau erkennbar werden. Bei Schuhmann sind sie unverkennbar.

Edith Engelke Die Anschrift von Dr. Andreas Schuhmann lautet: Grünwalder Straße 106, 8000 München 90.

1356 Heft 20 vom 15. Mai 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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