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Grundlagen der spanischen Sprachwissenschaft Prof. Dr. Lidia Becker

Sitzung 2

Geschichte der Sprachwissenschaft

S

PRACHWISSENSCHAFT UND

S

PRACHE

Ein Versuch, möglichst kurz und einfach die Ziele der Sprachwissenschaft zu definieren, könnte so aussehen: Die Sprachwissenschaft (auch Linguistik genannt, vgl. jeweils die englische und spanische Entsprechung linguistics und lingüística) versucht, Sprache zu beschreiben und zu erklären (Busch / Stenschke 2008, 4). Eine längere Definition im Metzler-Lexikon Sprache berücksichtigt zusätzlich unterschiedliche Teildisziplinen und Gegenstandsbereiche der Sprachwissenschaft:

[…] Wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Beschreibung und Erklärung von Sprache, Sprachen und sprachlicher Kommunikation befasst. Das Gesamtgebiet der Sprachwissenschaft ist in eine Reihe einzelner Teildisziplinen gegliedert, die sich in Gegenstandsbereichen, Methoden und Erkenntnisinteressen vielfach scharf voneinander unterscheiden. Kern der Sprachwissenschaft ist die Erforschung von sprachlichen Zeichen auf unterschiedlichen Hierarchieebenen, in die Sprache zum Zwecke ihrer Beschreibung eingeteilt wird, nämlich Phonetik und Phonologie, Graphematik, Morphologie, Wortbildung, Syntax, Semantik.

Textlinguistik und Stilistik befassen sich mit sprachlichen Einheiten jenseits der Satzebene. In der linguistischen Pragmatik werden die Bedingungen und Regularitäten sprachlichen Handelns untersucht. (Metzler-Lexikon Sprache 2004, zitiert nach Busch / Stenschke 2008, 5)

Auch in dieser umfangreichen Definition können jedoch nicht alle Teildisziplinen der Sprachwissenschaft genannt werden. Es fehlen z.B. wichtige Bereiche der Varietäten- und Soziolinguistik, die sich jeweils mit unterschiedlichen Ausprägungen einer Sprache und mit ihrer Einbettung in den gesellschaftlichen Kontext beschäftigen. Die kulturwissenschaftlich orientierte Sprachwissenschaft untersucht u.a. die Sprache als Kernelement der Identität, den Einfluss von Massenmedien und Sprachpolitik auf den Sprachgebrauch oder Sprachbiographien von Migrant*innen.

Die Definition des zentralen Untersuchungsgegenstands der Sprachwissenschaft im Metzler-Lexikon stellt die Funktionen der Sprache in den Vordergrund:

Sprache: Wichtigstes und artspezifisches Kommunikationsmittel der Menschen, das dem Aus- tausch von Informationen dient sowie epistemologische [...] [den Erwerb und die Organisation des Wissens betreffende], kognitive [die Steuerung von Denkprozessen betreffende] und affektive [den Ausdruck von Gefühlen betreffende] Funktionen erfüllt. Der Ausdruck 'Sprache' hat zwei elementare Bedeutungskomponenten:

a) Sprache an sich, die Bezeichnung der menschlichen Sprachbegabung als solcher,

b) Sprache als Einzelsprache, d.h. die Konkretisierung von a) in einer bestimmten Sprach- gemeinschaft, zu einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten geographischen Raum und deren Ausdruck in konkreten Kommunikationsereignissen. (Metzler-Lexikon Sprache 2004, zitiert nach Busch / Stenschke 2008, 5-6)

Die Komponente b) dieser Definition – Sprache als Einzelsprache – bildet einen Übergang zum Gegenstand unserer Veranstaltung, der spanischen Sprache. Damit beschäftigt sich

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die spanische Sprachwissenschaft, die zum einen mit der allgemeinen Sprachwissen- schaft Überschneidungen aufweist, „insofern, als die Betrachtung des Spanischen mit der Betrachtung der Sprache im Allgemeinen übereinstimmt“ (Kabatek / Pusch 2011, 33). Zum anderen stellt die spanische Sprachwissenschaft einen Teil der romanischen Sprach- wissenschaft dar, die sich mit der Gesamtheit der romanischen Sprachen, insbesondere mit deren Gemeinsamkeiten und Eigentümlichkeiten, beschäftigt.

N

ACHDENKEN ÜBER

S

PRACHE IN DER

A

NTIKE UND IM

M

ITTELALTER

Fragen über die Beschaffenheit der menschlichen Sprache wurden bereits seit den Anfängen der Universalwissenschaft Philosophie gestellt. So beschäftigt sich einer der einflussreichsten griechischen Philosophen – Platon (427-347 v. Chr.) – im Dialog Kratylos mit der Frage, ob die Bezeichnungen für die Dinge der Welt diesen von Natur aus oder durch menschliche Vereinbarung zukommen. Einerseits sind die Konventionen nicht beliebig, das deutsche Wort planschen ahmt z.B. das bei der entsprechenden Tätigkeit entstehende Geräusch nach (Onomatopoesie bzw. Lautmalerei), andererseits können laut Platon nicht alle Dinge naturgemäß den einzig ‚richtigen‘ Namen haben.

Neben allgemeinen Fragestellungen wurde in der Antike die praktische Aufgabe der Beschreibung von Einzelsprachen angegangen. Der Grammatiker Dionysios Thrax aus Alexandria verfasste im 2. Jh. v. Chr. die erste griechische Grammatik mit Hinweisen zu den Wortklassen (Nomen, Verb, Partizip, Artikel, Pronomen, Präposition, Adverb, Konjunktion), die bis heute verwendbar sind (Busch / Stenschke 2008, 6-7).

Im 7. Jh. n. Chr., an der Schwelle zwischen Spätantike und Frühmittelalter sowie zwischen Latein und Frühromanisch, verfasste ein westgotischer Gelehrter, Isidor von Sevilla (ca. 560-636), eine 20 Bücher umfassende Enzyklopädie Etymologiarum sive originum libri XX. In diesem Buch sucht er u.a. nach dem ‚wahren‘ Ursprung der Wörter, der mit der Beschaffenheit der entsprechenden Dinge direkt verknüpft sein soll. Nach Isidor heißt der Mensch im Lateinischen homo, weil er aus humus ‚Erde‘ gemacht ist, wie es in der Schöpfungsgeschichte steht (Lara 2006, 233). Die Frage Platons wurde von Isidor und anderen mittelalterlichen ‚Etymologen‘ eindeutig zugunsten der sinnvollen Bezeichungen der Dinge von (göttlicher) Natur aus beantwortet. Aus der Sicht der modernen Etymologie5 teilen die lateinischen Wörter homo und humus nur eine zufällige Formähnlichkeit und keine Bedeutungseigenschaften.

Der spätmittelalterliche Denker und Dichter Dante Alighieri (1265-1321) unternahm im Traktat De vulgari eloquentia (1303-1304), in der damaligen Wissenschaftssprache Latein verfasst, eine Klassifikation der romanischen Sprachen, die seiner Ansicht nach auf eine einzige Sprache zurückgehen müssen:

Den ganzen Rest Europas [...] erhielt das dritte Idiom, das jetzt allerdings dreigeteilt scheint, denn die einen drücken Zustimmung durch oc, andere durch oïl und wieder andere durch aus, nämlich die Spanier, die Franzosen und die Italiener. Die Evidenz, dass die Volkssprachen dieser drei Völker von ein und demselben Idiom abstammen, liegt auf der Hand, weil sie

5 Eine Teildisziplin der Sprachwissenschaft, die nach der Herkunft der Wörter sucht und die Geschichte einzelner Wörter beschreibt.

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nämlich viele Dinge mit denselben Wörtern benennen, wie Gott (Dieu, Déu, Dio), Himmel (ciel, cel, cielo), Liebe (amour, amor, amore), Meer (mer, mar, mare), Erde (terre, terra), ist (est, és, è), lebt (vit, viu, vive), stirbt (meurt, mor, muore), und fast alles andere. (Alighieri 2007, 53) Die Volkssprache – Dante bezog sich dabei auf seine toskanische Muttersprache – stellte er aufgrund ihrer Natürlichkeit erstmals über das Lateinische.

H

ISTORISCH

-

VERGLEICHENDE

S

PRACHWISSENSCHAFT

Die Anfänge der modernen Sprachwissenschaft liegen im ausgehenden 18. Jh. und im 19.

Jh., als die Wissenschaft sich zunehmend institutionalisierte: Die Forschung konzentrierte sich in staatlich geförderten Universitäten, die Tätigkeiten des Forschers und des Dozenten wurden im Beruf des Universitätsprofessors6 vereint.

Der englische Gelehrte Sir William Jones (1746-1794) entdeckte 1786 die Verwandt- schaft des Sanskrit mit den klassischen Sprachen Griechisch und Latein und legte somit den Grundstein für die neue Disziplin der indogermanischen / indoeuropäischen Sprach- wissenschaft. Franz Bopp (1791-1867) wies 1816 in seiner Abhandlung Über das Con- jugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache erstmals die Verwandtschaft dieser Sprachen mit einer wissenschaftlichen Methodik nach.

Der Einfluss der neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse auf die Geisteswissen- schaft machte sich in der Anwendung der fortschrittlichen biologischen Begriffe und Methoden auf die Beschreibung der Sprache bemerkbar. Wilhelm von Humboldt (1767- 1835) verstand Sprache als eine organisch gewachsene Ganzheit, etwas Dynamisches („[…] die sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes“, zit. nach Trabant 2012, 25), parallel zur Betrachtung der Lebewesen als Organismen in der Biologie („Die Sprache ist das bildende Organ des Gedanken“, zit. nach Trabant 2012, 25). August Schleicher (1821- 1868) etablierte 1861 in der Abhandlung Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen die Stammbaumtheorie unter dem Einfluss der Evolutionstheorie Darwins. Nach Schleichers Auffassung entwickelten sich alle indogermanischen Einzelsprachen aus einer indogermanischen Stammsprache, die es zu rekonstruieren galt.

6Die erste Frau, die im deutschsprachigen Raum zur Universitätsprofessorin im Fach Romanistik ernannt wurde, war Elise Richter (1921, Universität Wien). 1943 wurde sie im Ghetto Theresienstadt ermordet.

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Stammbaum der indogermanischen Sprachen nach Schleicher 1861

Die so genannten Junggrammatiker, Leipziger Indogermanisten Berthold Delbrück, Hermann Osthoff, Karl Brugmann, Hermann Paul u.a., lehnten die Vorstellung von einer Ursprache dagegen ab. Auf dem Höhepunkt der Leipziger Schule in den 80er und 90er Jahren des 19. Jh. konzentrierten sich ihre Vertreter auf „die beobachtbare, psycho- physische Sprechtätigkeit des Individuums, nämlich den Lautwandel, und betonten, bei den formulierten Lautgesetzen handele es sich um ausnahmslose Gesetze“ (Busch / Stenschke 2008, 9). Die Lautgesetze verstanden sie als regelhafte, naturgegebene Lautveränderungen; vgl. die Regel, dass der ursprüngliche stimmlose Verschlusslaut [p]

zwischen Vokalen in der Westromania zu [b] sonorisiert wird (lat. SCOPA(M) > sp. escoba).

Die Thesen der Junggrammatiker wurden bereits früh kritisiert: Es liegt auf der Hand, dass sprachliche Konventionen ein Ergebnis der zwischenmenschlichen Übereinkunft sind und nicht mit physikalischen Gesetzen gleichgesetzt werden können.

A

NFÄNGE DER

R

OMANISTIK

Wie die Indogermanisten interessierten sich die ersten Romanisten zunächst beinahe ausschließlich für die Entwicklung der romanischen Sprachen aus der Ursprache Latein.

Die Romanistik etablierte sich als wissenschaftliche Disziplin – wie andere Neuphilologien – zu Beginn des 19. Jh., im Zuge der romantischen Identitätsfindung und Rückbesinnung auf die nationale und europäische Vergangenheit. Es handelt sich um eine deutsche

‚Erfindung‘, deren Besonderheit in der europäisch-internationalen Ausrichtung ohne Einschränkung auf eine Nationalsprache und -literatur besteht. Man muss jedoch beachten, dass es in der deutschen Romanistik Phasen der Ab- und Hinwendung gegen- über bestimmten Einzelsprachen gegeben hat. Für die deutsche Romantik war z.B. eine antifranzösische Haltung charakteristisch. Ein besonderes Interesse bestand stets an den

‚germanischen‘ Elementen der romanischen Sprachen und Kulturen (Strosetzki 2010, 19).

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Die ersten Romanisten verstanden sich als Sprach- und Literaturwissenschaftler und beschäftigten sich mit der Gesamtheit der romanischen Sprachen. Als Begründer der Romanistik gilt der Inhaber des ersten romanistischen Lehrstuhls an der Universität Bonn Friedrich Diez (1794-1876). Goethe hatte ihm seinerzeit empfohlen, die Dichtung der okzitanischen Trobadors7 kennenzulernen. Im Bereich der Sprachwissenschaft wies Diez nach, dass alle romanischen Sprachen auf das sogenannte Vulgärlatein (Volkslatein) zurückgehen.

Die einflussreiche Schule der Junggrammatiker hatte auch romanistische Vertreter, darunter den Schweizer Sprachwissenschaftler Wilhelm Meyer-Lübke (1861-1936). Seine Grammatik der romanischen Sprachen (3 Bände, 1890-1902) stellt bis heute ein grundlegendes Werk der romanischen Sprachwissenschaft dar. Im Romanischen Etymolo- gischen Wörterbuch (REW) (1911-1920, ³1935) erscheinen die lateinischen Ursprungs- formen (Etyma) als Lemmata (Stichwörter), der Wörterbucheintrag besteht aus einer Liste der entsprechenden Entwicklungsergebnisse in unterschiedlichen romanischen Sprachen.

Im folgenden Beispiel gehen die Wörter soie im Französischen, seta im Italienischen, seda im Spanischen und Portugiesischen auf das lateinische Etymon SAETA zurück.

REW, 61992, S. 620.

7 Diese Wortform stammt aus dem Okzitanischen, die Form ‚Troubadour‘, im Plural ‚Troubadoure‘, aus dem Französischen.

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S

TRUKTURALISMUS

Anfang des 20. Jh. kam es im Zuge der Auseinandersetzung mit den Junggrammatikern, die, um es bildlich auszudrücken, ‚vor lauter Sprachgesetzen die Sprache nicht gesehen haben‘, zu einem Durchbruch in der allgemeinen Sprachwissenschaft. Sprache wurde nun als ein Ganzes, ein System, dessen Elemente in einer wechselseitigen Beziehung zueinanderstehen und somit eine Struktur bilden, aufgefasst. Als Begründer der neuen strukturalistischen Strömung gilt der Schweizer Ferdinand de Saussure (1857-1913).

Saussure studierte in Leipzig, der damaligen Hochburg der Sprachwissenschaft, zur Zeit als die junggrammatischen Prinzipien noch nicht formuliert waren. Im Jahr 1878 erschien seine Abhandlung Mémoire sur le système primitif des voyelles dans des langues indo- européennes, wobei das Wort ‚System‘ im Titel seine Anschauung bereits sehr früh andeutete (Ernst 2001, 294-295). Zwischen den Jahren 1906 und 1911 hielt Saussure an der Universität Genf Vorlesungen über allgemeine Sprachwissenschaft. Der Inhalt der Vorlesungen wurde von seinen Schülern Charles Bally und Albert Sechehaye nach Mit- schriften der Vorlesungshörer im Jahr 1916 unter dem Titel Cours de linguistique générale (Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft) herausgegeben. Darin wurden Be- griffe und Methoden beschrieben, die schon zuvor diskutiert worden waren,8 eine derart

„klare und genaue Darstellung der fundamentalen Prinzipien“ (Bloomfield 1924, zitiert nach Ernst 2001, 332) hatte es jedoch nicht gegeben. Im Folgenden werden einige Grund- annahmen Saussures vorgestellt, die auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen der Phonetik / Phonologie, Morphologie, Syntax, Lexikologie und Semantik anwendbar sind.

D

AS SPRACHLICHE

Z

EICHEN

Die Elemente einer Sprache wie z.B. Wörter – Saussure nennt sie Zeichen – bestehen jeweils aus Inhalt (Konzept bzw. Vorstellung eines Gegenstandes im Gehirn, frz. signifié) und Ausdruck (die entsprechende Lautkette, frz. signifiant). Es besteht keine direkte Beziehung zwischen der Lautkette (dem signifiant) und dem Referenten (dem damit bezeichneten Objekt oder Phänomen) selbst. Die Frage Platons, ob zwischen Bezeich- nungen und Dingen ein innerer Zusammenhang bestehe, wird von Saussure also negativ beantwortet: Das sprachliche Zeichen ist arbiträr (beliebig, durch Konvention festgelegt).

8 Einige der Wegbereiter des Strukturalismus waren u.a. Jan Baudouin de Courtenay, Mikołaj Kruszewski – beide Vertreter der Kazaner linguistischen Schule in Russland – Hugo Schuchardt und Gaston Paris (Ernst 2001, 309).

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Die Arbitrarität des sprachlichen Zeichens wird im so genannten semiotischen Dreieck von Ogden und Richards (1923) dargestellt, das zusätzlich zum Inhalt (Gedanke) und Ausdruck (Symbol) den Referenten, das entsprechende Objekt oder Phänomen, enthält.

Die gestrichelte Linie drückt die These aus, „dass zwischen dem sprachlichen Ausdruck und dem durch ihn bezeichneten Sachverhalt in der Realität keine unmittelbare Beziehung besteht, d.h. dass sich sprachliche Ausdrücke nur über ihren begrifflichen Inhalt auf die Wirklichkeit beziehen lassen“ (Bußmann 2008, 620).

Die beiden Modelle müssen so in Beziehung zueinander gesetzt werden, dass der Referent sich außerhalb des sprachlichen Zeichens befindet und somit ‚außersprachlich‘

ist.

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Die onomatopoetischen Wörter bilden eine Ausnahme von der Arbitrarität des sprachlichen Zeichens: Sie gehören zur Klasse der Ikonen – Zeichen, die einen wahrnehmbaren Zusammenhang zwischen der Bezeichnung und der bezeichneten Sache aufweisen. Sie sind jedoch wegen ihrer verhältnismäßig geringen Anzahl kein Hinweis auf die natürliche Motivierung von Bezeichnungen (Bußmann 2008, 276; 494).

S

YNTAGMATIK

/ P

ARADIGMATIK

Ein weiteres Begriffspaar (Dichotomie) Saussures bezieht sich auf die Art der Beziehungen zwischen den sprachlichen Zeichen innerhalb des Sprachsystems. Die syntagmatischen Beziehungen sind Ausdruck der natürlichen Linearität der Sprache, des zeitlichen oder räumlichen Aufeinanderfolgens der Elemente, z.B. der Wörter in einem Satz. Die Wörter „casa“ und „es“ im Satz „La casa es grande“ stehen somit in einer syntagmatischen Beziehung zueinander, sie müssen in Person und Numerus übereinstimmen. Die paradigmatischen Beziehungen – Saussure nennt sie ‚assoziativ‘ – betreffen die hypothetische Austauschbarkeit der Elemente auf vertikaler Ebene. Das Subjekt „casa“ im Satz kann durch „Juan“ ersetzt werden, was das Weglassen des bestimmten Artikels zur Folge hätte.

L

ANGUE

/

PAROLE

Unter langue (,Sprache‘) versteht Saussure das abstrakte – zum Zeitpunkt der Betrachtung statische – einzelsprachliche System von Zeichen. Es handelt sich um die kollektive Fähigkeit der Sprecher*innen, mit ihrer Sprache umzugehen. Dieses langue- System wird dann nach Stimmlage, Alter, Dialekt usw. in individuellen parole-Ereignissen (,Sprechen‘) unterschiedlich realisiert (Bußmann 2008, 385-386). Saussure spricht sich dafür aus, dass die Sprachwissenschaft die abstrakten systematischen Regeln, also die langue, erforschen soll.

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Im Rahmen der generativen Transformationsgrammatik von Noam Chomsky wurde die Saussuresche Unterscheidung von langue gegenüber parole zur Dichotomie zwischen Kompetenz (allgemeine Sprachfähigkeit) und Performanz (individuelle Sprachfähigkeit) weiterentwickelt. „Die Kompetenz ist das im Spracherwerbsprozess erworbene (unbe- wusste) mentale Wissen über die jeweilige Muttersprache“ (Bußmann 2008, 349-350), die die/den Sprecher*in dazu befähigt, mit einem endlichen Inventar von sprachlichen Elementen (z.B. Lauten und Wörtern) und Verknüpfungsregeln eine unendliche Zahl von Äußerungen auf der Ebene der Performanz hervorzubringen.

Da die Ebene der Kompetenz jedoch nur schwer greifbar ist (die Sprachwissen- schaftler*innen sind immer auf die Beobachtung des tatsächlichen Sprachgebrauchs einzelner Sprecher*innen angewiesen), ergibt sich ein methodischer Widerspruch.

S

YNCHRONIE

/ D

IACHRONIE

Für Saussure steht das Funktionieren der Sprache als System zu einem gegebenen Zeitpunkt (synchron) im Vordergrund seines Interesses, er gesteht aber auch der historischen, die Entwicklung betreffenden (diachronen) Sprachbetrachtung eine gewisse Bedeutung zu. „Damit stellt er neben die im 19. Jh. dominierende diachrone Betrachtung von Sprache (also die Betrachtung „durch die Zeit hindurch“) die synchrone Betrachtung eines Sprachzustandes [...] und postuliert zwei völlig unterschiedliche Linguistiken, eine diachrone und eine synchrone“ (Kabatek / Pusch 2011, 38).

Die Vorstellung von der Sprache als System mit einer bestimmten Struktur beeinflusste Generationen von Sprachwissenschaftlern. Als wichtige Zentren des Strukturalismus Saussurescher Prägung gelten die Genfer Schule, der Kopenhagener Linguistenkreis und die Prager Schule. Der amerikanische Strukturalismus entwickelte sich weitgehend eigen- ständig. Durch die Prager Schule haben strukturalistische Methoden Eingang in die Literaturwissenschaft gefunden (Strosetzki 2010, 25-26).

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S

PRACHTHEORIEN UND

T

EILDISZIPLINEN DER

L

INGUISTIK IM

20.

UND

21. J

H

.

Die wichtigsten Sprachtheorien des 20. und 21. Jh. lassen sich auf vier Paradigmen (Grundauffassungen und Denkmuster, welche die Wissenschaften zu einer bestimmten Zeit prägen, z.B. das Paradigma des geozentrischen Weltbildes) zurückführen: 1) Sprache als ein unabhängig von der Sprecher*innengemeinschaft existierendes abstraktes System bzw. ein ‚Naturgegenstand‘ (Objektivismus), 2) Sprache als kognitive Fähigkeit des individuellen menschlichen Organismus (Kognitivismus), 3) Sprache als historisch und sozial, d.h. überindividuell, bestimmtes Phänomen (Materialismus) und 4) Sprache als Mittel des Denkens und der subjektiven Realitätserzeugung, in der radikalen Form konstruiert jede/r seine eigene Realität (Idealismus).

Objektivismus Kognitivismus Materialismus Idealismus

Orientierung an Naturwissenschaften Orientierung an Sozial- und Geistes-

wissenschaften Abwesenheit

der SprecherInnen

Individueller menschlicher

Organismus

Gesellschaft Individuelle/r SchöpferIn Positivismus Sprachrelativismus

(Sapir-Whorf-

Hypothese, Sprache = das Konzeptsystem im menschlichen Gehirn)

Sprachrelativismus (Sapir-Whorf-

Hypothese = Sprache formt das Denken) Strukturalismus Generative Grammatik Sprachsoziologie

Phonologie Optimalitätstheorie Soziolinguistik

Morphologie Kognitive Grammatik Pragmatik

Syntax Konstruktionsgrammatik Diskurslinguistik Strukturelle

Semantik

Kognitive Semantik Kommunikationswissenschaft Dependenz-

grammatik

Psycholinguistik Sprach-

konstruktivismus Historische

Grammatik

Sprachgeschichte als Teil der Gesell-

schaftsgeschichte (Fokus auf

Makroereignissen und großen Gesellschafts- gruppen)

Sprachgeschichte (Einfluss einzelner Schlüsselfiguren auf die Sprach-

entwicklung,

‚Konstruktion‘ von Sprachen)

Varietätenlinguistik (Gruppenvarietäten)

Varietätenlinguistik (Idiolekte, Stile) Kognitive Interaktionale

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Spracherwerbstheorie Spracherwerbstheorie

Zusätzliche Lektüre:

Kabatek / Pusch 2011, S. 29-48.

Referenzen

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