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Vergabekammer Freistaat Thüringen

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Academic year: 2022

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250-4003-6384/2020-E-005-SON

Vergabekammer Freistaat Thüringen Beschluss

In dem Nachprüfungsverfahren, §§ 155 ff. GWB,

aufgrund des Antrages vom 26.10.2020 der XXXXX ./. Freistaat Thüringen, endvertreten durch das YYYYY, betreffend die Interimsvergabe von Winterdienst- und Störungsbeseiti- gungsarbeiten auf Bundes- und Landesstraßen im Landkreis YYYYYY für den Zeitraum von 3 Monaten (01.11.2020 bis 31.01.2021)

Verfahrensbeteiligte:

XXXXX mbH & Co. KG v.d.d. XXXXX GmbH

v.d.d. Geschäftsführer XXXXX XXXXX

XXXXX

- Antragstellerin - (AST)

Verfahrensbevollmächtigte: XXXXX RECHTSANWÄLTE – Partnerschaft mbB XXXXX

XXXXX XXXXX gegen

Freistaat Thüringen v.d.d. Thüringer YYYYY v.d.d. Präsidenten YYYYY YYYYY

YYYYY YYYYY

- Auftraggeber - (AG)

beigeladen:

Bauunternehmen ZZZZZ Inhaber ZZZZZ

ZZZZZ ZZZZZ

Verfahrensbevollmächtigte: ZZZZZ

Herrn Rechtsanwalt ZZZZZ ZZZZZ

ZZZZZ

- Beigeladener - (BEI)

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hat die Vergabekammer Freistaat Thüringen, in der Besetzung mit

Herrn Regierungsdirektor Scheid als Vorsitzendem,

Herrn Oberregierungsrat Gers als hauptamtlichem Beisitzer und Frau Haase als ehrenamtliche Beisitzerin,

ohne mündliche Verhandlung am 26.01.2021 beschlossen:

1. Es wird festgestellt, dass sich das Nachprüfungsverfahren erledigt hat.

2. Das Nachprüfungsverfahren wird eingestellt.

3. Verwaltungskosten werden nicht erhoben.

4. Der Auftraggeber hat die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendi- gen Aufwendungen der Antragstellerin zu tragen.

Die Hinzuziehung von anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten für das Nachprü- fungsverfahren durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.

5. Der Beigeladene hat die ihm im Nachprüfungsverfahren entstandenen Aufwen- dungen selbst zu tragen.

Gründe I.

Die AST war vertraglich gegenüber dem AG verpflichtet, Winterdienst- und Störungsbeseiti- gungsleistungen auf Bundes- und Landesstraßen im Landkreis YYYYYYY bis zum 30.09.2020 zu erbringen.

Der AG hat mit Blick auf das bevorstehende Ende des Vertrages mit der AST diese Leistun- gen bereits am 25.05.2020 für den Zeitraum vom 01.10.2020 bis 30.09.2025 im Rahmen eines offenen Verfahrens europaweit ausgeschrieben.

Nach Nr. II.2.5) der europaweiten Auftragsbekanntmachung war der Preis alleiniges Zu- schlagskriterium.

Der AG hat in Nr. III.1) der europaweiten Auftragsbekanntmachung die für die Bieter gelten- den Eignungskriterien und die von ihnen hierfür zu erbringenden Angaben und Nachweise, unter anderem näher bestimmte Referenzen zu bereits erbrachten Winterdienst- und Stö- rungsbeseitigungsarbeiten sowie den Nachweis einer angezeigten/behördlich genehmigten Mindestsolelagerkapazität von 30 t, benannt.

Nach Nr. IV.2.2) der europaweiten Auftragsbekanntmachung waren die Angebote bis zum 23.06.2020, 10:00 Uhr, beim AG einzureichen.

Die AST und der BEI haben am 22.06.2020 und daneben zwei weitere Bieter am 19.06.2020 bzw. 22.06.2020 fristgerecht Angebote beim AG eingereicht. Der BEI hat das preislich güns- tigste Angebot abgegeben.

Der BEI hat auf Nachforderung des AG vom 03.07.2020, 09.07.2020 und 03.08.2020 am 08.07.2020, 17.07.2020 und 04.08.2020 verschiedene Erklärungen und Unterlagen nachge- reicht.

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Der AG hat der AST und den beiden weiteren Bietern mit Bieterinformation vom 03.09.2020 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, nach Ablauf der Informationsfrist, frühestens am 14.09.2020, den Zuschlag auf das von ihm ausdrücklich mit x.xxx.xxx,xx € brutto bezifferte Angebot des BEI zu erteilen. Der AG hat der AST und den beiden weiteren Bietern zur Begründung der Nichtberücksichtigung ihrer Angebote jeweils mitgeteilt, dass sie nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben haben.

Die AST hat am 04.09.2020 die beabsichtigte Erteilung des Zuschlags zugunsten des BEI gegenüber dem AG förmlich gerügt. Sie hat zur Begründung ihrer Rüge ausgeführt, dass der BEI zur ordnungsgemäßen Ausführung der ausgeschriebenen Leistungen nicht geeignet sei.

Der BEI könne unter anderem nicht die geforderten Referenzen nachweisen und auch nicht den Nachweis einer angezeigten/behördlich genehmigten Mindestsolelagerkapazität von 30 t erbringen. Auch könne er weitere, näher benannte Eignungsnachweise nicht erbringen. Das Angebot des BEI sei daher bereits gemäß § 57 Absatz 1 Satz 1 VgV auszuschließen. Des Weiteren habe der BEI ein ungewöhnlich niedriges Angebot unterbreitet, auf das der AG den Zuschlag nicht erteilen dürfe. Der AG habe das Angebot des BEI zudem insbesondere hin- sichtlich seiner Preise nicht ausreichend und in der notwendigen Tiefe aufgeklärt. Der Zu- schlag sei an die AST als günstigste und zugleich geeignete Bieterin zu erteilen.

Der AG hat am 09.09.2020 unter Angabe von Gründen die Rüge der AST vom 04.09.2020 zurückgewiesen. Die AST hat daraufhin am 10.09.2020 bei der Vergabekammer einen Nach- prüfungsantrag gestellt. Sie hat im Einzelnen beantragt,

1. ein Nachprüfungsverfahren gemäß den §§ 160 ff. GWB gegen den AG einzuleiten, 2. dem AG zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot des BEI zu erteilen und den

AG zu verpflichten, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die Eignungsprüfung und die Prüfung und Wertung der Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen,

3. dem AG die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckent- sprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der AST aufzuerlegen, 4. festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die AST notwen-

dig gewesen ist und

5. der AST Akteneinsicht gemäß § 165 Absatz 1 GWB zu gewähren.

Die AST hat zur Begründung ihres Nachprüfungsantrags ihren Rügevortrag vom 04.09.2020 wiederholt und vertieft. Sie hat in ihrer Stellungnahme vom 11.12.2020 ihren Standpunkt be- kräftigt.

Die Vergabekammer hat dem AG am 10.09.2020 den Nachprüfungsantrag der AST vom 10.09.2020 übersendet und diesen um Vorlage der Vergabeakte bis zum 15.09.2020 und um Stellungnahme zum Nachprüfungsantrag bis zum 17.09.2020 gebeten. Die Vergabekammer hat am 18.09.2020 auf Antrag des AG vom 17.09.2020 die Frist zur Stellungnahme bis zum 22.09.2020 verlängert.

Die AST hat auf Anforderung der Vergabekammer vom 11.09.2020 einen Kostenvorschuss für das Nachprüfungsverfahren in Höhe der Mindestgebühr von x.xxx,xx € entrichtet.

Der AG hat der Vergabekammer am 15.09.2020 die Vergabeakte übergeben.

Die AST hat sich auf Nachfrage des AG am 16.09.2020 bereit erklärt, die Winterdienst- und Störungsbeseitigungsarbeiten über den 30.09.2020 hinaus weiter zu erbringen.

Der AG hat am 22.09.2020 bei der Vergabekammer beantragt, 1. den Nachprüfungsantrag der AST zurückzuweisen und

2. der AST die Kosten des Nachprüfungsverfahrens aufzuerlegen.

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Der AG hat zur Begründung seiner Anträge seinen Sach- und Rechtsvortrag aus der Rüge- zurückweisung vom 09.09.2020 wiederholt und vertieft. Er hat in seiner Stellungnahme vom 17.12.2020 seinen Standpunkt bekräftigt.

Der AG am 25.09.2020 aufgrund des bevorstehenden Endes des Vertrages mit der AST am 30.09.2020 mit der AST und dem BEI jeweils „Informationsgespräche“ geführt, in denen unter anderem die Bereitschaft der AST und des BEI zur Beteiligung an einem Interimsvergabe- verfahren und ihre Zustimmung zu einer Verkürzung der Bieterfrist erörtert worden ist.

Der AG hat mit Schreiben vom 28.09.2020 gegenüber der AST den mit ihr bestehenden Vertrag zur Erbringung der Winterdienst- und Störungsbeseitigungsarbeiten über den 30.09.2020 hinaus bis zum 31.10.2020 verlängert. Des Weiteren sieht dieses Schreiben eine Option des AG vor, bis spätestens 7 Tage vor Ablauf des Verlängerungszeitraumes den Ver- trag um einen weiteren Monat bis 30.11.2020 zu verlängern.

Die Vergabekammer hat den BEI am 08.10.2020 gemäß § 162 GWB zum Verfahren beige- laden und am selben Tag ihre Entscheidungsfrist gemäß § 167 Absatz 1 GWB bis zum 24.12.2020 verlängert.

Der AG hat in seinem internen Vermerk vom 09.10.2020 ausgeführt, dass für das Interims- vergabeverfahren die Voraussetzungen eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewett- bewerb gemäß § 14 Absatz 4 Nr. 3 VgV, insbesondere die geforderte äußerste Dringlichkeit, gegeben seien. Bei einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb erfolge ge- mäß § 17 Absatz 5 VgV keine öffentliche Aufforderung zur Abgabe von Teilnahmeanträgen, sondern unmittelbar eine Aufforderung zur Abgabe von Erstangeboten an die ausgewählten Unternehmen. Es bestehe bei der Interimsvergabe keine Verpflichtung, sich ausschließlich an den bisherigen Vertragspartner zu wenden. Dies ergebe sich auch nicht aus dem Verlän- gerungsschreiben des AG vom 28.09.2020. Die Leistungen der Interimsvergabe entsprächen der Jahresscheibe 2020/2021 des europaweit ausgeschriebenen Hauptvergabeverfahrens.

Insofern lägen auch die Angebotsunterlagen, insbesondere die Preise, vor. Es sei nicht zu erwarten, dass plötzlich eine erneute Kalkulation für die Jahresscheibe 2020/2021 zu niedri- geren Preisen führen würde, da keine Änderung des Leistungsverzeichnisses notwendig sei.

Daher könnten für das Interimsvergabeverfahren grundsätzlich alle Bieter des Hauptverga- beverfahrens in Betracht kommen. Ferner könnte als Auswahlkriterium der Zeitpunkt des Beginns der Vertragsausführung herangezogen werden. Demnach kämen die AST und der BEI in Betracht. Beiden sei es unter Beachtung einer Vorbereitungszeit von mindestens einer Woche möglich, die Leistungen zu erbringen. Auch seien beide Bieter geeignet. Allerdings könne dem Wettbewerbsgrundsatz bei Interimsvergaben auch stufenweise Rechnung getra- gen werden, so dass bei einem Zeitraum von nur 3 Monaten die Verhandlung mit nur einem Unternehmen möglich sei. Die damit verbundene Wettbewerbseinschränkung rücke auf- grund der kurzen Zeit für die Leistungserbringung und dem dringenden Ziel der fortlaufenden Leistungserbringung zur Daseinsvorsorge in den Hintergrund. Die Zielerreichung überwiege die Einschränkung. Die Dringlichkeit sei gegeben. Im Übrigen sei auch der Haushaltsgrund- satz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten. Demnach komme nur der BEI aus dem Hauptvergabeverfahren in Betracht. Alle weiteren Bieter in diesem Verfahren kämen aufgrund des Haushaltsgrundsatzes nicht in Betracht. Kein weiterer Bieter liege auch nur annähernd im Bereich der Kostenschätzung oder der Angebotsendsumme des BEI. Die Vergabekammer Thüringen habe im Nachprüfungsverfahren die Frist zur Entscheidung bis zum 24.12.2020 verlängert. Ein Zeitraum von 3 Monaten für die Interimsvergabe werde als angemessen erachtet. Aufgrund der vorangegangenen Abwägung wolle sich der AG nur an den BEI wenden. Die Eignung des BEI sei bereits im Hauptvergabeverfahren geprüft worden.

Es bestehe für den AG keine Informations- und Wartepflicht.

Der AG hat sich daraufhin mit Schreiben vom 19.10.2020 ausschließlich an den BEI gewandt und ihn darüber informiert, dass am 31.10.2020 der bereits um einen Monat verlängerte Ver- trag mit der AST zur Erbringung der Winterdienst- und Störungsbeseitigungsarbeiten aus- laufe und er beabsichtige, die benötigten Leistungen in einem Interimsvergabeverfahren in Gestalt eines verkürzten Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb gemäß § 14

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Absatz 4 Nr. 3 VgV für 3 Monate zu vergeben. Der AG hat den BEI gebeten, bis spätestens 20.10.2020, 11:00 Uhr, zu erklären, dass sein Angebot, insbesondere seine Preise zur Jah- resscheibe 2020/2021 für die nunmehr angestrebte Interimsvergabe der Leistungen für ca.

3 Monate herangezogen werden können und er sich bis einschließlich 21.10.2020 daran binde. Anderenfalls solle der BEI ein entsprechend neues Angebot zum vorgenannten Ter- min einreichen. Gemäß § 17 Absatz 7 VgV sei bei Abweichen von den durch die VgV vorge- gebenen Fristen für die Abgabe eines Angebots ein Einvernehmen mit den Beteiligten her- zustellen. Aufgrund der Zeitknappheit und des Zwecks der Beschleunigung werde durch die Einreichung der geforderten Unterlagen durch den BEI automatisch die Zustimmung zum vorgenannten Abgabetermin für das Angebot erteilt. Der AG hat den BEI weiter darüber in- formiert, dass der Zuschlag spätestens am 21.10.2020 erfolgen soll. Der Beginn der Leis- tungserbringung werde auf den 01.11.2020 und das Ende der Leistungserbringung auf den 31.01.2021 festgelegt.

Der BEI hat dem AG am 20.10.2020, 08:40 Uhr, unter Bezugnahme auf das Schreiben des AG vom 19.10.2020 mitgeteilt, dass er sich im Rahmen der Interimsvergabe an seine Preise aus dem Hauptangebot für die Jahresscheibe 2020/2021 bis einschließlich 21.10.2020 bin- den wolle.

Der AG hat daraufhin den BEI mit Zuschlagsschreiben vom 20.10.2020 interimsweise mit der Ausführung der Winterdienst- und Störungsbeseitigungsarbeiten im Zeitraum vom 01.11.2020 bis 31.01.2021 beauftragt.

Der AG hat die AST am 20.10.2020 darüber informiert, dass er am 28.09.2020 zwar den Vertrag mit ihr zur Erbringung der Winterdienst- und Störungsbeseitigungsarbeiten bis zum 31.10.2020 verlängert habe, eine weitere Verlängerung des Vertrages über den 31.10.2020 jedoch nicht mehr erfolgen werde.

Die AST hat mit Schreiben vom 22.10.2020 die von ihr aufgrund des Schreibens des AG vom 20.10.2020 vermutete Interimsvergabe zugunsten eines anderen Bieters gegenüber dem AG förmlich gerügt. Sie hat zur Begründung ihrer Rüge ausgeführt, dass der mit dem anderen Bieter abgeschlossene Vertrag gemäß § 135 Absatz 1 Nr. 1 GWB nichtig sei. Die Vorausset- zungen für die vom AG angenommene besondere Dringlichkeit lägen nicht vor. Auch bei Interimsvergaben sei europaweit auszuschreiben, wenn der Auftragswert den Schwellenwert überschreite. Dies sei vorliegend der Fall. Die vom AG angenommene besondere Dringlich- keit, die nach § 14 Absatz 4 VgV ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb rechtfertige, liege nicht vor. Auch fehle es an den Voraussetzungen gemäß § 134 Absatz 3 GWB, die vorliegend zum Entfallen einer Informationspflicht des AG hätten führen können.

Die Anforderungen der Vergabekammer des Bundes und des OLG Düsseldorf an eine Dring- lichkeit, die ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb rechtfertigen könnten, lägen im vorliegenden Fall nicht vor. Eine Dringlichkeit sei deshalb nicht gegeben, weil der AG im September 2020 offensichtlich an alle am Vergabeverfahren beteiligte Bieter Anfragen zur Beteiligung an einer Ausschreibung zur Interimsvergabe versendet habe. Die AST habe ihre Bereitschaft zur Beteiligung an einer Interimsvergabe erklärt. Der AST sei nicht bekannt, ob und welche Bieter ihr Interesse an einer Beteiligung an einer Interimsvergabe erklärt ha- ben. Jedoch dürfte auch bei den anderen Bietern Interesse bestanden haben. Am 25.09.2020 habe in den Räumen des AG ein Bietergespräch stattgefunden, in dessen Ergebnis der AG mit Schreiben vom 28.09.2020 gegenüber der AST den bestehenden Auftrag zur Erbringung der Winterdienst- und Störungsbeseitigungsarbeiten über den 30.09.2020 hinaus bis zum 31.10.2020 verlängert habe. Außerdem sei dem AG eine Option eingeräumt worden, bis spätestens 7 Tage vor Ablauf des Verlängerungszeitraumes den Vertrag um einen weiteren Monat bis 30.11.2020 zu verlängern. Damit seien die Winterdienst- und Störungsbeseiti- gungsarbeiten auch für die folgenden Monate abgesichert gewesen. Eine Dringlichkeit habe daher nicht vorgelegen. Allerdings habe der AG mit Schreiben vom 20.10.2020 der AST mit- geteilt, dass der bestehende Vertrag nicht über den 31.10.2020 hinaus verlängert werde. Die AST müsse daher davon ausgehen, dass der AG vergaberechtswidrig und ohne die notwen- dige Dringlichkeit eine Direktvergabe vorgenommen habe. Weder hätten vergleichbare Ver-

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hältnisse wie bei der Corona-Krise noch dringliche zwingende Gründe, akute Gefahrensitu- ationen oder höhere Gewalt vorgelegen, die zur Vermeidung von Gefahren für Leib und Le- ben ein sofortiges, die Einhaltung von Fristen ausschließendes Handeln des AG erfordert hätten. Falls dies doch der Fall gewesen sein sollte, hätte der AG diese Dringlichkeitssituation durch die Beendigung des bereits verlängerten Vertrages selbst herbeigeführt. Damit fehle es auch an den Voraussetzungen für ein Unterbleiben der Informationspflicht gemäß § 134 Absatz 3 GWB. Daher sei der zwischen dem AG und dem weiteren Bieter geschlossene Vertrag nach § 135 GWB unwirksam. Die AST hat den AG aufgefordert, keine Leistungen aus dem unwirksamen Vertrag abzurufen und die Interimsvergabe nach den gesetzlichen Vorschriften europaweit auszuschreiben. Für den Fall einer Beauftragung des BEI mit dem unwirksamen Interimsvertrag sei anzunehmen, dass es auch an den Voraussetzungen des

§ 14 Absatz 4 VgV fehle. Nach § 14 Absatz 4 Nr. 1, letzter Satz, VgV dürfe auch bei beson- derer Dringlichkeit ein Bieter im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nur be- zuschlagt werden, wenn er die Eignungskriterien erfülle. Das sei hier gerade beim BEI nicht der Fall bzw. höchst streitig. Der AG habe willkürlich eine Interimsvergabe an einen im Falle des BEI nicht geeigneten Bieter vorgenommen, ohne dass hierfür eine Dringlichkeit bestan- den habe und ohne hierüber die AST zu informieren. Die AST hat abschließend für den Fall, dass der AG ihrer Rüge nicht kurzfristig abhilft, eine Nachprüfung der durch den AG vorge- nommenen Interimsvergabe in Aussicht gestellt.

Der AG hat das Rügeschreiben der AST vom 22.10.2020 nicht (kurzfristig) beantwortet. Die AST hat daraufhin am 26.10.2020 bei der Vergabekammer einen Nachprüfungsantrag gegen den AG gestellt. Sie hat im Einzelnen beantragt,

1. festzustellen, dass der durch den AG ab 01.11.2020 geschlossene Interimsvertrag für Winterdienst und Störungsbeseitigung auf Bundes- und Landesstraßen im Land- kreis YYYYY nichtig ist,

2. der AST Einsicht in die Vergabeakte zu gewähren,

3. die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch die AST für notwendig zu erklären und

4. dem AG die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckent- sprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten der AST aufzuerlegen.

Die AST hat zur Begründung ihres Nachprüfungsantrages ihren Rügevortrag vom 22.10.2020 wiederholt und vertieft.

Die Vergabekammer hat am 27.10.2020 dem AG den Nachprüfungsantrag der AST vom 26.10.2020 übersendet und diesen um Vorlage der Vergabeakte bis zum 30.10.2020 und um Stellungnahme zum Nachprüfungsantrag bis zum 03.11.2020 gebeten.

Die AST hat auf Anforderung der Vergabekammer vom 27.10.2020 einen Kostenvorschuss für dieses Nachprüfungsverfahren in Höhe der Mindestgebühr von x.xxx,xx € entrichtet.

Der AG hat der Vergabekammer am 30.10.2020 die Vergabeakte übergeben.

Der AG hat am 03.11.2020 bei der Vergabekammer beantragt,

1. den Nachprüfungsantrag der AST vom 26.10.2020 zurückzuweisen und 2. der AST die Kosten des Nachprüfungsverfahrens aufzuerlegen.

Der AG hat zur Begründung ausgeführt, dass der bestehende Vertrag mit der AST zur Er- bringung von Winterdienst- und Störungsbeseitigungsarbeiten im Landkreis YYYYY ge- mäß § 132 Absatz 3 GWB am 28.09.2020 um einen Monat bis zum 31.10.2020 verlängert worden sei. Mit der AST sei (anschließend) kein Interimsvertrag im rechtstechnischen Sinne

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abgeschlossen worden. Der AST habe keine Antragsbefugnis für ihren Nachprüfungsantrag.

Ihr sei nach Ablauf des Verlängerungszeitraumes nämlich kein Auftrag entzogen worden. Da die AST den anschließenden Interimsauftrag nicht erhalten habe, könne ihr kein Schaden entstanden sein. Es falle vollständig in den Risikobereich der AST, wie sie ihre Beschäftigten nach dem Vertragsende weiterbeschäftige. Es sei durch den AG auch keine Interimsvergabe für weitere drei Monate in Aussicht gestellt worden. Der Nachprüfungsantrag der AST sei zudem unbegründet. Der mit dem BEI abgeschlossene Interimsvertrag sei nicht gemäß § 135 Absatz 1 GWB von Anfang an unwirksam gewesen. Die AST sei nicht in ihren Rechten verletzt worden. Der AG habe für die Interimsvergabe ein nach § 14 Absatz 4 Nr. 3 VgV zulässiges Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb durchgeführt. Es habe eine von dieser Bestimmung vorausgesetzte Dringlichkeit bestanden. Für den AG habe gemäß § 132 Absatz 3 GWB keine vorrangige Möglichkeit der Verlängerung des bestehenden Ver- tragsverhältnisses mit der AST über den 31.10.2020 hinaus bestanden. Daher sei das Ver- handlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb wegen besonderer Dringlichkeit gemäß § 14 Absatz 4 Nr. 3 VgV die einzige zur Verfügung stehende Verfahrensart für die Interims- vergabe gewesen. Die Vergabekammer habe am 08.10.2020 die Sachentscheidungsfrist bis zum 24.12.2020 verlängert. Für den AG habe dann lediglich der Zeitraum vom 12.10.2020 bis zum 30.10.2020 zur Verfügung gestanden, um eine lückenlose Erbringung des Winter- dienstes und der Störungsbeseitigung ab dem 01.11.2020 zu gewährleisten. Der AG habe sich nicht für das offene Verfahren, nicht offene Verfahren und auch nicht für das Verhand- lungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb entscheiden können, da ihm dann die Einhaltung der in diesen Verfahren jeweils geltenden Mindestfristen nicht möglich gewesen wäre. Auch sei ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb -ohne Dringlichkeit- nicht in Be- tracht gekommen, da die AST in den Sondierungsgesprächen im September 2020 für ein Interimsvergabeverfahren einer Verkürzung der Angebotsfrist nicht zugestimmt habe. Der lückenlose Winterdienst und die Störungsbeseitigung seien auf den öffentlichen Straßen zu gewährleisten. Diese Leistungen seien Ausdruck der Verkehrssicherungspflicht der Straßen- baubehörde und zählten zum Bereich der Daseinsvorsorge. Diese Leistungen seien daher zur Vermeidung von Gefahren für Leib und Leben der Autofahrer zwingend zu erbringen.

Daher sei ein schnelles Handeln des AG zwingend notwendig gewesen, nachdem der AG Kenntnis davon erlangt habe, dass eine kurzfristige Entscheidung der Vergabekammer noch im Oktober 2020 nicht getroffen werde. Der AG habe auch nicht die Umstände, die zur Be- gründung der Dringlichkeit geführt haben, zu vertreten. Für den AG habe im Verhältnis zur AST keine Option zur Verlängerung des bestehenden Vertrages bestanden. Der AG habe zudem frühzeitig die Leistungen ausgeschrieben und einen Zeitraum für ein etwaiges Nach- prüfungsverfahren einkalkuliert, so dass eine Interimsvergabe nicht notwendig gewesen wäre. Aufgrund eines krankheitsbedingten Ausfalls habe die Zeitschiene der Hauptvergabe nicht eingehalten werden können. Der AG habe diesen Umstand nicht vorhersehen können, und habe ihn auch nicht zu vertreten. Der AG habe nicht vorhersehen können, dass die Vergabekammer aufgrund einer hohen Arbeitsbelastung die Frist für eine Entscheidung in der Hauptsache bis zum 24.12.2020 verlängern würde. Angesichts der Bedeutung der zu beschaffenden Leistungen der Daseinsvorsorge seien die Zurechenbarkeit oder Vorausseh- barkeit der Störung durch den öffentlichen Auftraggeber auch nicht maßgebend. Die konti- nuierliche Gewährleistung des Gegenstands der Daseinsfürsorge überwiege. Die Vorausset- zungen für ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb bei besonderer Dringlich- keit seien daher gegeben. Die Ausgestaltung dieses Verfahrens richte sich nach § 17 Absatz 5 VgV. In diesem Verfahren erfolge keine öffentliche Aufforderung zur Angebotsabgabe, son- dern unmittelbar eine Aufforderung zur Angebotsabgabe an die vom öffentlichen Auftragge- ber ausgewählten Unternehmen. Da die Voraussetzungen für dieses Verfahren nach den §§

14 Absatz 4 Nr. 3, 17 Absatz 5 VgV vorlägen, habe der AG nicht gegen § 135 Absatz 1 Nr.

2 GWB verstoßen und der Interimsvertrag könne nicht aus diesem Grund von Anfang an unwirksam sei. Auch bei der Auswahl der Unternehmen für die Interimsvergabe spiele die Eignung der Unternehmen eine wichtige Rolle. Der AG habe eine mangelnde Eignung des BEI weder im Haupt- noch im Interimsvergabeverfahren feststellen können; eine mangelnde Eignung könne daher einem Zuschlag an den BEI nicht entgegenstehen. Auch wenn ein Nachprüfungsverfahren die Eignung eines Bieters zum Gegenstand habe, bedeute dies nicht, dass dieser bis zur Entscheidung nicht mit einem anderen (Interims-) Auftrag beauf-

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tragt werden dürfe, wenn der öffentliche Auftraggeber die Eignung dieses Bieters positiv be- stätigt habe. Es gebe keine Vorgabe, dass zwingend ein anderer Bieter für die Beauftragung auszuwählen sei. Auch bestehe keine Verpflichtung, sich in einem Interimsvergabeverfahren ausschließlich an den bisherigen Vertragspartner zu wenden. Der AG habe die Auswahl des Unternehmens für die Interimsvergabe nicht willkürlich vorgenommen, sondern geprüft, wel- che Unternehmen in Betracht kommen und welche Beauftragung die wirtschaftlichste Lösung ist. Der AG sei an die ThürLHO gebunden und habe den Haushaltsgrundsatz der wirtschaft- lichen und sparsamen Verwendung der Haushaltsmittel zu beachten. Die Auswahl des Un- ternehmens für die Interimsvergabe beruhe auf einer sachlichen Entscheidung des AG. Dem Wettbewerbsgrundsatz könne bei Interimsvergaben dadurch Rechnung getragen werden, dass sich der Auftraggeber bei einer Interimsvergabe über einen Leistungszeitraum von bis zu drei Monaten nur an ein Unternehmen wendet. Diese Möglichkeit komme insbesondere aufgrund der bestehenden Dringlichkeit der fortlaufenden Leistungserbringung der Daseins- vorsorge in Betracht. Die damit verbundene Wettbewerbseinschränkung sei durch den vo- rübergehenden, kurzen Leistungszeitraum gerechtfertigt. Nach alledem sei der AG zu dem Ergebnis gelangt, sich nur an den Bestbietenden aus dem Hauptvergabeverfahren zu wen- den. Im Hinblick auf die dringend notwendige Beauftragung der Leistung sei dies das wirt- schaftlichste Ergebnis gewesen. Der Zeitraum von drei Monaten sei mit Blick auf eine zu erwartende Entscheidung der Vergabekammer im Dezember 2020 als angemessen zu er- achten gewesen. Aufgrund der vorliegenden Voraussetzungen für ein Verhandlungsverfah- ren ohne Teilnahmewettbewerb wegen besonderer Dringlichkeit entfalle gemäß § 134 Ab- satz 3 GWB die Informationspflicht gemäß § 134 Absätze 1 und 2 GWB und somit auch die Wartepflicht, so dass die bereits erfolgte Zuschlagserteilung im Interimsvergabeverfahren gerechtfertigt sei. Ein Verstoß gegen § 135 Absatz 1 Nr. 1 GWB scheide daher aus. Der geschlossene Interimsvertrag könne auch aus diesem Grund nicht von Anfang an unwirksam sein. Der AG habe im Rahmen des Interimsvergabeverfahrens nicht willkürlich gehandelt.

Vielmehr habe er sein Ermessen ausgeübt. Die Vergabe habe unter Beachtung des Grund- satzes der Nichtdiskriminierung stattgefunden. Die Unwirksamkeitstatbestände des § 135 Absatz 1 GWB lägen nicht vor. Der mit dem BEI abgeschlossene Interimsvertrag für den Winterdienst und die Störungsbeseitigung sei daher wirksam. Daher verletze die Interims- vergabe die AST auch nicht in ihren Rechten. Der Nachprüfungsantrag der AST sei somit zurückzuweisen.

Die Vergabekammer hat den BEI am 05.11.2020 gemäß § 162 GWB auch zu dem die Inte- rimsvergabe betreffenden Nachprüfungsverfahren beigeladen.

Die AST hat am 09.11.2020 auf die Stellungnahme des AG vom 03.11.2020 näher ausge- führt, dass sie am 28.09.2020 vom AG im Rahmen einer Verlängerung des Vertrages als Interimsvergabe beauftragt worden sei. Sie habe in dem gemeinsamen Gespräch mit dem AG am 25.09.2020 erklärt, dass sie eine verkürzte Interimsvergabe nur für einen Monat aus verschiedenen Gründen nicht gut fände, sie aber sowohl für eine Interimsvergabe als auch für eine verkürzte Interimsvergabe bereit sei, ein Angebot abzugeben. Die AST sei in dem Gespräch gefragt worden, ob für sie auch eine verkürzte Angebotsfrist denkbar sei. Dies sei von der AST bejaht worden. Die Behauptung des AG, die AST habe für ein Interimsverfahren einer Verkürzung der Angebotsfrist nicht zugestimmt, sei unzutreffend. Die AST habe im Ge- spräch vom 25.09.2020 ihr Interesse an einer Fortführung des Vertrages mit dem AG und an einer Beteiligung an der Interimsvergabe erklärt. Sie könne daher kein Interesse gehabt ha- ben, einer Verkürzung der Angebotsfrist für die Interimsvergabe nicht zuzustimmen. Die AST habe eindeutig erklärt, sich an beiden (Haupt-/Interims-) Vergaben beteiligen und für beide Vergaben ein Angebot auch in einer verkürzten Angebotsfrist abgeben zu wollen. Daher sei die Einlassung des AG, die besondere Dringlichkeit für ein Verhandlungsverfahren ohne Teil- nahmewettbewerb sei bereits aus der Ablehnung der verkürzten Angebotsfrist durch die AST begründet, unzutreffend.

Die Vergabekammer hat am 25.11.2020 ihre Entscheidungsfrist in dem die Interimsvergabe betreffenden Nachprüfungsverfahren gemäß § 167 Absatz 1 GWB bis zum 01.02.2021 ver- längert.

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Die Vergabekammer hat der AST in dem die Hauptvergabe betreffenden Nachprüfungsver- fahren (Az.: 250-4003-5284/2020-E-004-SON) Einsicht in die Vergabeakte des AG gewährt, indem sie ihr am 07.12.2020 die zur Akteneinsicht eröffneten Aktenbestandteile in Kopie übersendet hat.

Die Vergabekammer hat in dem die Hauptvergabe betreffenden Nachprüfungsverfahren mit Beschluss vom 18.12.2020 festgestellt, dass das vom AG durchgeführte Vergabeverfahren rechtswidrig ist und die AST hierdurch in ihrem Anspruch auf Einhaltung von Vergabevor- schriften nach § 97 Absatz 6 GWB verletzt worden ist, und den AG bei fortbestehender Be- schaffungsabsicht verpflichtet, das Vergabeverfahren in den Stand vor Prüfung der Eignung der Bieter und Wertung der Angebote zurückzuversetzen und das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer von diesem Zeitpunkt an zu wieder- holen. Die Vergabekammer hat in der Begründung ihres Beschlusses unter anderem ausge- führt, dass der BEI die geforderte Referenz zu Leistungen der Störungsbeseitigung trotz er- folgter Nachforderung durch den AG nicht angegeben hat und sein Angebot daher bereits gemäß § 57 Absatz 1 Nr. 2 VgV von der Wertung auszuschließen ist und der BEI die Position Winterdienstfahrt ohne Geräteeinsatz für die Winterdienstsaison 2020/2021 sowie die ent- sprechenden Positionen für die Folgejahre nicht vollständig bepreist hat, so dass das Ange- bot des BEI zudem gemäß den §§ 57 Absatz 1 Nr. 5 VgV, 14 Absatz 2 Satz 3 ThürVgG von der Wertung auszuschließen ist.

Die AST, der AG und der BEI haben in dem die Interimsvergabe betreffenden Nachprüfungs- verfahren (Az.: 250-4003-6384/2020-E-005-SON) am 15.12.2020 bzw. 17.12.2020 auf Nach- frage der Vergabekammer gemäß § 166 Absatz 1 Satz 3, 1. Alternative, GWB ihre Zustim- mung zu einer Entscheidung der Vergabekammer nach Lage der Akten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung erteilt.

Der BEI hat am 25.12.2020 durch seine Verfahrensbevollmächtigten die vom ihm am 15.12.2020 erklärte Zustimmung zu einer Entscheidung der Vergabekammer nach Lage der Akten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung widerrufen und ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Die AST hat daraufhin am 04.01.2021 erwidert, dass unter anderem der BEI einer Entschei- dung der Vergabekammer nach Lage der Akten im schriftlichen Verfahren zugestimmt habe.

Diese Zustimmung sei eine Prozesshandlung, die nur bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage widerruflich sei. Eine wesentliche Änderung der Prozesslage habe es seit der Zustimmung des BEI nicht gegeben. Nur wenn sich nachträglich neue Gesichtspunkte ergä- ben, könne durch die Vergabekammer eine mündliche Verhandlung anberaumt werden. Dies sei nach Kenntnis der AST jedoch nicht der Fall. Insofern bleibe es bei der durch alle Verfah- rensbeteiligten erteilten Zustimmung und damit bei einer Entscheidung der Vergabekammer im schriftlichen Verfahren. Der BEI versuche, mit dem Widerruf eine kurzfristige Entschei- dung im Nachprüfungsverfahren zu verzögern, um den AG bezüglich einer weiteren Interims- vergabe unter Zeitdruck zu setzen.

Die Vergabekammer hat der AST und dem BEI in dem die Interimsvergabe betreffenden Nachprüfungsverfahren jeweils Einsicht in die Vergabeakte des AG gewährt, soweit Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der am (Haupt-) Vergabeverfahren beteiligten Bieter nicht betrof- fen waren, indem sie der AST und dem BEI am 05.01.2021 die zur Akteneinsicht eröffneten Aktenbestandteile in Kopie übersendet hat.

Die AST hat in ihrer Stellungnahme vom 07.01.2021 ihren Standpunkt vom 22.10.2020, 26.10.2020 und 09.11.2020 bekräftigt.

Die Vergabekammer hat der AST am 13.01.2021 mitgeteilt, dass mit Blick auf das bevorste- hende Ende des Leistungszeitraumes der an den BEI erfolgten Interimsvergabe am 31.01.2021 das im Rahmen der Antragsbefugnis bedeutsame Interesse der AST an der Er- langung dieses Auftrags und damit auch ihr Interesse an der von ihr im Rahmen eines Nach- prüfungsverfahrens beantragten Feststellung der Unwirksamkeit dieses Auftrags nicht mehr

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(fort-) bestehen könne. Die Vergabekammer hat der AST weiter mitgeteilt, dass die AST ge- halten sein könnte, wegen der von ihr angenommenen Unwirksamkeit/Vergaberechtswidrig- keit der erfolgten Interimsbeauftragung des BEI bereicherungs- und schadenersatzrechtliche Ansprüche gegen den AG und BEI vor den Zivilgerichten geltend zu machen. Die Vergabe- kammer hat die AST insofern um Stellungnahme bis zum 18.01.2021 gebeten. Die AST hat daraufhin am 14.01.2021 ihren gegen die Interimsvergabe gerichteten Nachprüfungsantrag vom 26.10.2020 für erledigt erklärt.

Die Vergabekammer nimmt ergänzend Bezug auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Vergabeakten des AG sowie auf die Verfahrensakte der Vergabekammer.

II.

1. Zuständigkeit

Die Vergabekammer ist vorliegend nach den §§ 155, 156 Absatz 1 2. HS, 158 Absatz 2, 159 Absatz 2 Satz 1 GWB in Verbindung mit § 2 Absatz 1 Satz 1 ThürVkVO sachlich und örtlich zuständig.

2. Feststellung der Erledigung des Verfahrens und seine Einstellung

Die AST hat am 26.10.2020 bei der Vergabekammer einen Nachprüfungsantrag gestellt, der in der Hauptsache darauf gerichtet war, die Unwirksamkeit („Nichtigkeit“) des an den BEI am 20.10.2020 erteilten Interimsauftrags durch die Vergabekammer feststellen zu lassen. Die Vergabekammer hat der AST am 13.01.2021 mitgeteilt, dass mit Blick auf das bevorstehende Ende des Leistungszeitraumes der an den BEI erfolgten Interimsvergabe am 31.01.2021 das im Rahmen der Antragsbefugnis bedeutsame Interesse der AST an der Erlangung dieses Auftrags und damit auch ihr Interesse an der von ihr beantragten Feststellung der Unwirk- samkeit dieses Auftrags nicht mehr (fort-) bestehen könne. Die Vergabekammer hat der AST weiter mitgeteilt, dass die AST gehalten sein könnte, wegen der von ihr angenommenen Unwirksamkeit/Vergaberechtswidrigkeit der erfolgten Interimsbeauftragung des BEI berei- cherungs- und schadenersatzrechtliche Ansprüche gegen den AG und BEI vor den Zivilge- richten geltend zu machen. Die Vergabekammer hat die AST insofern um Stellungnahme bis zum 18.01.2021 gebeten. Die AST hat daraufhin am 14.01.2021 ihren Nachprüfungsantrag vom 26.10.2020 für erledigt erklärt. Die AST hat erkannt, dass ihr auf Feststellung der Un- wirksamkeit des an den BEI erteilten Interimsauftrags gerichteter Nachprüfungsantrag vom 26.10.2020 nicht mehr zulässig ist und sie mit einer Zurückweisung dieses Nachprüfungsan- trags durch die Vergabekammer rechnen muss (vgl. hierzu noch unten). Die Vergabekammer erblickt daher in der Erledigungserklärung der AST eine konkludente, gleichwohl aber ein- deutige Rücknahme ihres Nachprüfungsantrags vom 26.10.2020. Die Rücknahme eines Nachprüfungsantrages bedarf zu ihrer Wirksamkeit keiner (förmlichen) Einwilligung des AG und des BEI (Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 5. Aufl., 2020, § 168, Rdn. 82). Das Nachprüfungsverfahren hat sich mit der Rücknahme des Nach- prüfungsantrages erledigt (so Röwekamp/Kus/Portz/ Prieß a.a.O., § 168, Rdn. 81 ff.), bzw.

nach Rücknahme des Nachprüfungsantrages ist der ursprüngliche Prüfungsgegenstand der Entscheidungskompetenz der Vergabekammer entzogen; sie kann dann weder nach § 168 Absatz 1 Satz 1 GWB über den Nachprüfungsantrag noch gemäß § 168 Absatz 2 Satz 2 GWB über einen etwaigen Feststellungsantrag entscheiden (so Burgi/Dreher, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, Band 1, 3. Aufl., 2017, § 168, Rdn. 62).

Die Vergabekammer spricht nach Rücknahme eines Nachprüfungsantrags die Einstellung des Verfahrens aus und bestimmt, wer gemäß § 182 GWB die Kosten der Vergabekammer und die Aufwendungen der Verfahrensbeteiligten trägt (vgl. auch Röwekamp/Kus/Portz/

Prieß, a.a.O.; Burgi/Dreher, a.a.O.).

Die Vergabekammer hat aus Gründen der Herstellung von Rechtsklarheit und Rechtssicher- heit (deklaratorisch) die Erledigung des Nachprüfungsverfahrens festgestellt und seine Ein- stellung ausgesprochen.

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3. Kostenentscheidung

Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.

a)

Aus den nachfolgenden Gründen werden Verwaltungskosten (Gebühren und Auslagen) nicht erhoben.

aa)

Die AST hat mit ihrer Erledigungserklärung vom 14.01.2021 ihren Nachprüfungsantrag vom 26.10.2020 konkludent, gleichwohl aber eindeutig zurückgenommen (vgl. hierzu bereits oben). Wenn sich der Nachprüfungsantrag vor Entscheidung der Vergabekammer durch Rücknahme oder anderweitig erledigt hat, erfolgt die Entscheidung, wer die Kosten zu tragen hat, gemäß § 182 Absatz 3 Satz 5 GWB nach billigem Ermessen. Diese Billigkeitsentschei- dung orientiert sich grundsätzlich an dem voraussichtlichen Verfahrensausgang bei summa- rischer Prüfung (Müller-Wrede, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2016, § 182, Rdn. 79 m.w.N.). Es entspricht in aller Regel der Billigkeit, dem Antragsteller, der seinen Nachprü- fungsantrag zurückgenommen hat, die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Dies gilt vor allem dann, wenn der Antragsteller keine Gründe für seine Antragsrücknahme benennt.

Denn ein Nachprüfungsantrag wird regelmäßig nur zurückgenommen, wenn der Antragstel- ler eine weitere Rechtsverfolgung als nicht mehr erfolgversprechend ansieht und eine Zu- rückweisung des Antrags vermeiden möchte (Müller-Wrede, a.a.O., § 182, Rdn. 81).

Die AST wäre in dem auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Interimsbeauftragung des BEI gerichteten Nachprüfungsverfahren bei der gebotenen summarischen Prüfung voraus- sichtlich unterlegen. Das Ende des Ausführungszeitraumes des streitgegenständlichen Inte- rimsauftrags steht am 31.01.2021 unmittelbar bevor. Die Vergabekammer hat am 25.11.2020 die Frist zur Entscheidung im anhängigen Nachprüfungsverfahren gemäß § 167 Absatz 1 Satz 2 GWB bis zum 01.02.2021 verlängert. Wenn die Vergabekammer bis zum 01.02.2021 gemäß § 135 GWB die Unwirksamkeit der am 20.10.2020 erfolgten Interimsbeauftragung des BEI feststellen würde, wäre dem AG die Neuvergabe und der AST die Erlangung der bis zum 31.01.2021 befristeten Interimsbeauftragung in der verbleibenden kurzen Zeit nicht mehr möglich. Der Verfahrenszweck des Feststellungsverfahrens nach § 135 GWB, dem bislang nicht berücksichtigten Antragsteller mit der Feststellung der Unwirksamkeit des er- teilten (Interims-) Auftrags die Chance einzuräumen, bei einer Neuvergabe den (Interims-) Auftrag und damit Primärrechtsschutz doch noch erlangen zu können (Vergabekammer des Bundes, Beschluss vom 11.05.2016, Az.: VK 1-22/16; Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Aufl., 2019, § 135 GWB, Rdn. 2), wäre demnach nicht mehr erreichbar. Eine Interimsbe- auftragung der AST bis zum 31.01.2021 ist in der verbleibenden kurzen Zeit nicht mehr mög- lich. Die AST kann demnach kein Interesse mehr an der Erlangung dieses Interimsauftrags und damit an der von ihr beantragten Feststellung der Unwirksamkeit dieses Auftrags haben.

Die AST kann nach erfolgter Interimsbeauftragung des BEI auch nicht die Feststellung der Vergaberechtswidrigkeit des Vorgehens des AG gemäß § 168 Absatz 2 Satz 2 GWB bean- tragen (Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, § 168, Rdn. 92 a.E.; Pünder/ Schellenberg, a.a.O., § 135 GWB, Rdn. 2). Nach alledem sind das Interesse der AST an dem bis zum 31.01.2021 befristeten Interimsauftrag und an der von ihr beantragten Feststellung der Unwirksamkeit der Interimsbeauftragung des BEI und damit ihre Antragsbefugnis nachträglich entfallen; ihr Nachprüfungsantrag ist nicht mehr zulässig. Der Umstand, dass die AST im Nachprüfungs- verfahren bei der gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich unterlegen wäre, und die am 14.01.2021 konkludent, gleichwohl aber eindeutig erklärte Rücknahme ihres Nach- prüfungsantrages legen nahe, die AST zu verpflichten, die Verwaltungskosten zu tragen.

bb)

Nach Auffassung der Vergabekammer ist eine Belastung der AST mit den Verfahrenskosten nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles aber nicht gerechtfertigt. Vielmehr sind nach Ausübung billigen Ermessens die Verfahrenskosten grundsätzlich dem AG aufzu- erlegen. Die Vergabekammer geht davon aus, dass der Nachprüfungsantrag der AST an-

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fänglich zulässig und begründet gewesen ist, die Vergabekammer auf den Nachprüfungsan- trag der AST eine Unwirksamkeit der am 20.10.2020 erfolgten Interimsbeauftragung des BEI hätte feststellen müssen, der Nachprüfungsantrag aber später aus den oben dargelegten und von ihr nicht zu vertretenden Gründen nachträglich unzulässig geworden ist.

Der Nachprüfungsantrag der AST ist anfänglich zulässig gewesen.

Die AST hat mit ihrem Nachprüfungsantrag vom 26.10.2020 gemäß § 135 Absatz 1 GWB die Feststellung der Unwirksamkeit („Nichtigkeit“) des mit der Zuschlagserteilung am 20.10.2020 zustande gekommenen Interimsvertrages zwischen dem AG und dem BEI bean- tragt. Das Nachprüfungsverfahren gemäß § 135 Absatz 1 GWB muss die für ein Nachprü- fungsverfahren geltenden allgemeinen und besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Nachprüfungsantrages nach § 160 f. GWB erfüllen (Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, a.a.O., § 135, Rdn. 18.; Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., 2020, § 135 GWB, Rdn. 103).

(1)

Die Vergabekammer ist für das Nachprüfungsverfahren gemäß den §§ 155, 156 Absatz 1 2.

HS, 158 Absatz 2 und 159 Absatz 2 Satz 1 GWB in Verbindung mit § 2 Absatz 1 Satz 1 ThürVkVO sachlich und örtlich zuständig gewesen. Insbesondere ist der geltende Schwel- lenwert in Höhe von 214.000,00 € ohne Mehrwertsteuer ist mit Blick auf die am 15.10.2020 durch den AG erfolgte Schätzung der Kosten für die Interimsvergabe in Höhe von xxx.xxx,xx

€ deutlich überschritten.

(2)

Das Nachprüfungsverfahren ist statthaft gewesen.

Der AG hat am 20.10.2020 dem BEI den Zuschlag für den streitbefangenen Interimsauftrag erteilt. Ein wirksam erteilter Zuschlag steht gemäß § 168 Absatz 2 GWB der Statthaftigkeit eines Nachprüfungsverfahrens grundsätzlich entgegen. Die AST hat aber mit ihrem Nach- prüfungsantrag vom 26.10.2020 die Feststellung der Unwirksamkeit („Nichtigkeit“) des Inte- rimsvertrages beantragt. Der erteilte Zuschlag steht der Statthaftigkeit des Nachprüfungsver- fahrens nicht entgegen, wenn der Nachprüfungsantrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des öffentlichen Auftrags gerichtet ist, da in diesem Fall gerade die Wirksamkeit des an den BEI erteilten Zuschlags strittig ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.06.2019, Az.: VII-Verg 54/18; Müller-Wrede, a.a.O., § 135, Rdn. 64).

(3)

Der AG hat am 20.10.2020 dem BEI den Zuschlag für den streitbefangenen Interimsauftrag erteilt. Er hat die AST hierüber nicht informiert; er hat ihr am 20.20.2020 lediglich mitgeteilt, dass das mit ihr bestehende Vertragsverhältnis nicht über den 31.10.2020 hinaus verlängert werde. Die AST hat daraufhin angenommen, dass der AG den BEI interimsweise mit der Ausführung der Winterdienst- und Störungsbeseitigungsleistungen beauftragt haben müsse.

Sie hat diese interimsweise Vergabe am 22.10.2020 förmlich gerügt und nachdem eine er- betene kurzfristige Abhilfe durch den AG unterblieben ist, am 26.10.2020 bei der Vergabe- kammer gemäß den §§ 160 Absatz 1, 161 GWB einen schriftlichen und näher begründeten Nachprüfungsantrag innerhalb der in § 135 Absatz 2 Satz 1, 2. Alternative, GWB geltenden 6-Monats-Frist gestellt.

(4)

Die AST ist anfänglich gemäß § 160 Absatz 2 GWB antragsbefugt gewesen.

Nach dieser Bestimmung ist jedes Unternehmen antragsbefugt, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag oder der Konzession hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Absatz 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Dabei ist darzulegen, das dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung von Vergabevorschrif- ten ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.

(11)

(13)

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Die AST hat ihr Interesse an einer interimsweisen Beauftragung mit den ausgeschriebenen Winterdienst- und Störungsbeseitigungsarbeiten in dem gemeinsamen Gespräch mit dem AG am 25.09.2020, in ihrer Rüge vom 22.10.2020 sowie in ihrem Nachprüfungsantrag vom 26.10.2020 deutlich zum Ausdruck gebracht. Der AG hat am 19.10.2020 im Rahmen des Interimsvergabeverfahrens, das in Gestalt eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahme- wettbewerb erfolgen sollte, ausschließlich den BEI zur Abgabe eines Angebots aufgefordert.

Der AST war daher die Abgabe eines Angebots im Interimsvergabeverfahren nicht möglich.

Das für die Antragsbefugnis gemäß § 160 Absatz 2 GWB notwendige Interesse des Antrag- stellers an dem Auftrag kann in diesem Fall auch auf andere Weise als durch eine Angebots- abgabe -wie oben dargelegt- zum Ausdruck gebracht werden (vgl. auch Röwe- kamp/Kus/Portz/Prieß, a.a.O., § 135, Rdn. 23 f.; Ziekow/Völlink, a.a.O., § 135 GWB, Rdn.

19).

(22)

Die AST hat eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Absatz 6 GWB durch Nichtbeach- tung von bieterschützenden Vergabevorschriften geltend gemacht -Verstoß des AG gegen die Informations- und Wartepflicht nach § 134 Absätze 1 und 2 GWB, Fehlen der Vorausset- zungen für ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nach § 14 Absatz 4 Nr. 4 VgV, Verstoß gegen den Grundsatz des fairen, nichtdiskriminierenden Vergabeverfahrens (nach § 97 Absatz 2 GWB).

(33)

Die AST hat in ihrem Nachprüfungsantrag einen ihr drohenden Schaden dargelegt. Dieser drohende Schaden ergibt sich ausweislich ihrer Antragsbegründung daraus, dass die AST unter anderem davon ausgeht, dass die Voraussetzungen für das vom AG betriebene Inte- rimsvergabeverfahren in Gestalt eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb gemäß § 14 Absatz 4 Nr. 3 VgV nicht vorgelegen hätten, der AG zu einer europaweiten Ausschreibung der Interimsvergabe verpflichtet gewesen sei, der BEI als nicht geeigneter Bieter mit der interimsweisen Ausführung der Winterdienst- und Störungsbeseitigungsarbei- ten nicht hätte beauftragt werden dürfen, der am 20.10.2020 an den BEI erteilte Interimsau- ftrag gemäß § 135 Absatz 1 Nr. 1 GWB von Anfang an unwirksam gewesen sei und die AST daher in einem neu durchzuführenden Interimsvergabeverfahren mit einer europaweiten Ausschreibung eine bessere Chance auf den Zuschlag als der BEI gehabt hätte, so dass das von der AST angenommene nicht vergaberechtskonforme Verhalten des AG bei ihr einen Schaden herbeizuführen drohte (vgl. auch Ziekow/Völlink, a.a.O., § 135 GWB, Rdn. 105).

(5)

Wie bereits dargelegt, hat der AG am 20.10.2020 dem BEI den Zuschlag für den streitbefan- genen Interimsauftrag erteilt. Er hat die AST hierüber nicht informiert; er hat ihr am 20.20.2020 lediglich mitgeteilt, dass das mit ihr bestehende Vertragsverhältnis nicht über den 31.10.2020 hinaus verlängert werde. Die AST hat daraufhin angenommen, dass der AG den BEI interimsweise mit der Ausführung der Winterdienst- und Störungsbeseitigungsleistungen beauftragt haben müsse. Sie hat diese interimsweise Vergabe bereits am 22.10.2020 unter Hinweis auf § 160 Absatz 3 GWB förmlich gerügt. Die Vergabekammer macht darauf auf- merksam, dass der Zweck der Rüge der AST, auf ein vergaberechtskonformes Interims- vergabeverfahren hinzuwirken, nach der erfolgten Zuschlagserteilung nicht mehr erreicht werden konnte und eine Rüge der AST daher vorliegend entbehrlich war (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.06.2019, Az.: VII-Verg 54/18; Röwekamp/Kus/Portz/ Prieß, a.a.O., § 135, Rdn. 34 a.E.).

Der Nachprüfungsantrag der AST ist auch begründet gewesen.

Nach Auffassung der Vergabekammer waren die Voraussetzungen für eine Interimsvergabe in Gestalt eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb gemäß § 14 Absatz 4 Nr. 3 VgV dem Grunde nach erfüllt. Nach dieser Bestimmung ist ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zulässig, wenn äußerst dringliche, zwingende Gründe im Zu- sammenhang mit Ereignissen, die der öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte, es nicht zulassen, die für das offene Verfahren, das nicht offene Verfahren und das Verhand-

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lungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vorgeschriebenen Mindestfristen einzuhalten; da- bei dürfen die Umstände, die die äußerste Dringlichkeit begründen, dem öffentliche Auftrag- geber nicht zuzurechnen sein. An die Dringlichkeitsvergabe werden bereits nach dem Wort- laut der Bestimmung hohe Anforderungen gestellt.

(1)

Nach Auffassung der Vergabekammer hat für den AG die für eine Interimsvergabe in Gestalt eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb gemäß § 14 Absatz 4 Nr. 3 VgV erforderliche äußerste Dringlichkeit bestanden. Eine äußerste Dringlichkeit ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn eine akute Gefahrensituation besteht, die zur Vermeidung von Schäden für Leib und Leben der Allgemeinheit ein sofortiges, die Einhaltung von Fristen aus- schließendes Handeln erfordert (so OLG Frankfurt, Beschluss vom 30.01.2014, Az.: 11 Verg 15/13; OLG Celle, Beschluss vom 24.09.2014, Az.: 13 Verg 9/14), bzw., wenn eine gravie- rende Beeinträchtigung für die Allgemeinheit und die staatliche Aufgabenerfüllung droht, etwa durch einen schweren, nicht wieder gutzumachenden Schaden (so Ziekow/ Völlink, a.a.O., § 14 VgV, Rdn. 62).

Die AST war vertraglich verpflichtet, Winterdienst- und Störungsbeseitigungsarbeiten auf Bundes- und Landesstraßen im Landkreis YYYYY bis zum 30.09.2020 für den AG zu erbringen. Der AG hat mit Blick auf das bevorstehende Ende des Vertrages mit der AST diese Leistungen bereits am 25.05.2020 für den Zeitraum vom 01.10.2020 bis 30.09.2025 im Rahmen eines offenen Verfahrens europaweit ausgeschrieben. Er hat am 03.09.2020 dem BEI seine Absicht mitgeteilt, sein Angebot vom 22.06.2020 nach Ablauf der Wartefrist des § 134 Absatz 2 GWB am 14.09.2020 bezuschlagen zu wollen, und die AST sowie die beiden weiteren Bieter hierüber noch am selben Tag unterrichtet. Die AST hat daraufhin am 04.09.2020 die beabsichtigte Erteilung des Zuschlags an den BEI gegenüber dem AG gerügt und nach der am 09.04.2020 erfolgten Zurückweisung ihrer Rüge durch den AG am 10.09.2020 einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer gestellt. Der AG hat mit Blick auf diesen Nachprüfungsantrag mit einem an die AST gerichteten Schreiben vom 28.09.2020 gemäß § 132 Absatz 3 GWB den mit der AST bestehenden Vertrag zur Erbringung der Win- terdienst- und Störungsbeseitigungsleistungen über den 30.09.2020 hinaus bis zum 31.10.2020 verlängert. Dieses Schreiben des AG vom 28.09.2020 sieht eine Option des AG vor, bis spätestens 7 Tage vor Ablauf des Verlängerungszeitraumes den Vertrag um einen weiteren Monat bis 30.11.2020 zu verlängern. Die Vergabekammer hat am 08.10.2020 ihre Entscheidungsfrist gemäß § 167 Absatz 1 GWB bis zum 24.12.2020 verlängert und die Be- teiligten des Verfahrens hierüber am selben Tag unterrichtet. Dem AG war damit klar, dass eine Entscheidung der Vergabekammer im Nachprüfungsverfahren noch im Oktober 2020 voraussichtlich nicht mehr erfolgen und ihm eine Bezuschlagung des Angebots des BEI noch im Oktober 2020 voraussichtlich nicht mehr möglich sein wird. Ihm war eine weitere Verlän- gerung des mit der AST bestehenden Vertragsverhältnisses über den 31.10.2020 hinaus gemäß § 132 Absatz 3 GWB nicht möglich, da der AG bei der dann gebotenen Betrachtung auch des Wertes der erneut erforderlichen Vertragsverlängerung eine Überschreitung des Schwellenwertes in Höhe von 214.000,00 € feststellen musste. Er konnte eine weitere Ver- tragsverlängerung auch nicht auf die im Schreiben vom 28.09.2020 vorgesehene Option zur Vertragsverlängerung stützen, da diese gemäß § 132 Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 GWB nicht be- reits in den Vergabeunterlagen enthalten war. Der AG musste daher mit Blick auf das bevor- stehende Ende des Vertragsverhältnisses mit der AST am 31.10.2020 und das noch bei der Vergabekammer anhängige Nachprüfungsverfahren eine interimsweise Vergabe der Winter- dienst- und Störungsbeseitigungsarbeiten ab 01.11.2020 ins Auge fassen. Der AG muss in jedem Vergabeverfahren mehr oder weniger aufwendige Vorbereitungen treffen, den Bietern (unter bestimmten Voraussetzungen verkürzte) Angebots-/Teilnahmefristen nach näherer Maßgabe der §§ 15 ff. VgV gewähren, die eingehenden Angebote auswerten und die War- tefrist des § 134 Absatz 2 GWB einhalten. Der AG muss zudem berücksichtigen, dass der Zuschlagsdestinatär dann noch Zeit benötigt, um die Leistungserbringung im vorgesehenen Leistungszeitraum ordnungsgemäß vorzubereiten. Die Vergabekammer geht daher davon aus, dass dem AG im Zeitraum vom 08.10.2020 bis 31.10.2020 innerhalb von nur drei vollen Kalenderwochen die interimsweise Vergabe der Winterdienst- und Störungsbeseitigungsar- beiten ab dem 01.11.2020 im Rahmen eines viel aufwendigeren offenen Verfahrens, nicht offenen Verfahrens oder Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb auch mit auf

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15/10 Tage verkürzten Angebots-/Teilnahmefristen nicht möglich gewesen ist (vgl. hierzu auch Vergabekammer Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 22.05.2014, Az.: VK 1-7/14; Verga- bekammer Südbayern, Beschluss vom 12.08.2016, Az.: Z3-3-3194-1-27-07-16). Dies gilt auch, wenn man davon ausgeht, dass sowohl der BEI als auch die AST in den am 25.09.2020 mit dem AG geführten Gesprächen grundsätzlich ihre Zustimmung zu einer (weiteren) Ver- kürzung der Angebotsfrist erklärt haben (vgl. hierzu §§ 16 Absatz 6 Satz 1, 17 Absatz 7 Satz 1 VgV). Dem AG war spätestens mit der am 08.10.2020 ergangenen Entscheidung der Vergabekammer zur Verlängerung der Entscheidungsfrist bis zum 24.12.2020 klar, dass

1. er den Vertrag mit der AST über den 31.10.2020 hinaus nicht mehr verlängern kann,

2. ihm aufgrund des bei der Vergabekammer noch anhängigen Nachprüfungsverfah- rens eine Bezuschlagung des von ihm bevorzugten Angebots des BEI im Oktober 2020 voraussichtlich nicht mehr möglich sein wird und

3. ihm die interimsweise Vergabe der Winterdienst- und Störungsbeseitigungsleistun- gen ab dem 01.11.2020 im Rahmen eines viel aufwendigeren offenen Verfahrens, nicht offenen Verfahrens oder Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb auch mit auf 15/10 verkürzten Angebots-/Teilnahmefristen nicht möglich ist.

Damit hat dem AG ab dem 01.11.2020 ein vertragsloser Zustand gedroht. Dies hat die kon- krete Gefahr begründet, dass die streitgegenständlichen Winterdienst- und Störungsbeseiti- gungsarbeiten ab dem 01.11.2020 weder durch die AST noch durch den BEI oder ein ande- res Unternehmen erbracht werden. Der AG hätte damit ab 01.11.2020 seine Verkehrssiche- rungspflichten für die entsprechenden Bundes- und Landesstraßen nicht mehr erfüllen kön- nen; er hätte damit Leistungen der Daseinsvorsorge im Verkehrswesen gegenüber den Ver- kehrsteilnehmern nicht mehr erbringen können. Dies hätte ab 01.11.2020 zu einer wesentli- chen Erhöhung der Unfallgefahr und damit zu konkreten Gefahren für Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer und für ihr Eigentum an den von ihnen verwendeten Fortbewegungsmit- teln führen können. Damit hat für den AG eine unmittelbar bevorstehende Notlage und ein unaufschiebbarer Beschaffungsbedarf zum 01.11.2020 bestanden, den er in einem viel auf- wendigeren offenen Verfahren, nicht offenen Verfahren und Verhandlungsverfahren mit Teil- nahmewettbewerb auch mit auf 15/10 Tage verkürzten Angebots-/Teilnahmefristen nicht mehr hätte decken können. Damit hat die für ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahme- wettbewerb nach § 14 Absatz 4 Nr. 3 VgV vorausgesetzte äußerste Dringlichkeit bestanden, die es nicht zugelassen hat, die (verkürzten) Mindestfristen einzuhalten, die für das offene Verfahren, das nicht offene Verfahren und für das Verhandlungsverfahren mit Teilnahme- wettbewerb gemäß den §§ 15 ff. GWB vorgeschrieben sind.

(2)

Nach den oben genannten Ausführungen hat spätestens die am 08.10.2020 durch die Verga- bekammer vorgenommene Verlängerung der Entscheidungsfrist die äußerste Dringlichkeit für ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb begründet. Die erfolgte Verlän- gerung der Entscheidungsfrist war aber für den AG vorsehbar, da sie bei einer sorgfältigen Risikoabwägung unter Berücksichtigung der aktuellen Situation und deren möglicher Fort- entwicklung nach allgemeiner Lebenserfahrung eintreten kann. Der Auftraggeber muss die Möglichkeit eines Nachprüfungsverfahrens einschließlich einer Verlängerung der Entschei- dungsfrist nach § 167 Absatz 1 Satz 2 GWB bei der zeitlichen Gestaltung des Vergabever- fahrens berücksichtigen (Voppel/Osenbrück/Bubert, VgV -Abschnitt 6-, Vergabe von Archi- tekten- und Ingenieurleistungen, 4. Aufl., 2018, § 14, Rdn. 30; Stumpf/Götz, Ver-gabeR 2016, 561, 564; a.A.: VK Hamburg, Beschluss vom 05.06.2014, Az.: VgK FB 6/14). Der Auftragge- ber kann daher die Dringlichkeitsvergabe grundsätzlich nicht damit begründen, er sei durch die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens oder die Verlängerung der Entscheidungsfrist an der Einhaltung der (verkürzten) Angebots-/Teilnahmefristen eines offenen Verfahrens, nicht offenen Verfahrens oder Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb gehindert gewesen. Die Verlängerung der Entscheidungsfrist war als ein die äußerste Dringlichkeit be- gründender Umstand dem AG zudem insofern zurechenbar, als die Vergabekammer diese

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unter anderem auf eine zeitlich erst später ergangene Stellungnahme des AG zum Nachprü- fungsantrag der AST gestützt hat. Dem internen Vermerk des AG vom 09.10.2020 kann auch entnommen werden, dass nach Auffassung des AG unter anderem die (zu erwartende) Ver- zögerung bei der Angebotsprüfung aufgrund eines Krankheitsfalls beim AG die Dringlichkeit für eine Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb begründet haben soll. Auch dieser Umstand ist dem AG zuzurechnen. Denn zeitliche Probleme, etwa weil der Auftrag- geber (krankheitsbedingt) nicht genug Personal zur Verfügung hat, gehen zu seinen Lasten (Voppel/Osenbrück, a.a.O., § 14, Rdn. 32). Der AG hat mit der am 20.10.2020 erfolgten In- terimsvergabe an den BEI die Erfüllung seiner Verkehrssicherungspflichten für die entspre- chenden Bundes- und Landesstraßen sichergestellt; er hat damit Leistungen der Daseins- vorsorge im Verkehrswesen gegenüber den Verkehrsteilnehmern erbracht. Der AG hat damit dem Grundsatz der Kontinuität von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge Rechnung getra- gen, der eine nahtlose Weiterführung dieser Leistungen gegenüber den Nutzern erfordert (Marx/Hölzl, NZBau 2010, 535, 537). Des Weiteren hat der AG mit dieser Interimsvergabe insbesondere konkrete Gefahren für Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer abgewendet. In diesen Fällen ist anerkannt, dass der Aspekt der Vorhersehbarkeit und Zurechenbarkeit der Gründe, die die äußerste Dringlichkeit der Vergabe begründet haben, hinter die Notwendig- keit der Kontinuität der (Versorgungs-) Leistung zurückzutreten hat, und ausnahmsweise ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb -jedoch zeitlich beschränkt auf den ab- solut notwendigen Zeitraum- durchgeführt werden kann (Ziekow/Völlink, a.a.O., § 14 VgV, Rdn. 64; Burgi/Dreher, Ver-gaberecht, VgV etc, 3. Aufl., 2019, § 14 VgV, Rdn. 51; Vop- pel/Osenbrück/Bubert, a.a.O., § 14, Rdn. 39; Stumpf/Götz, VergabeR 2016, 561, 565).

Diese extensive Auslegung wird mit Artikel 14 AEUV begründet. Danach sind die Mitglied- staaten und die Union verpflichtet, durch geeignete Maßnahmen dafür zu sorgen, dass die Träger von Diensten im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse ihren Aufgaben angemessen nachkommen können (sog. Funktionsgewährleistungspflicht). Der Begriff Dienste im allge- meinen wirtschaftlichen Interesse ist unter anderem verwandt mit dem in Deutschland geläu- figen Begriff der Daseinsvorsorge. Werden zudem Aufgaben der Daseinsvorsorge und Ge- fahrenabwehr zeitweilig nicht ausgeführt, kann dies zu enormen individuellen und kollektiven Schäden führen. Die vom AG am 20.10.2020 vorgenommene Interimsvergabe muss daher grundsätzlich möglich sein (Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., 2016,

§ 14 VgV, Rdn. 131 und 140).

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Auch wenn für den AG die für ein Interimsvergabeverfahren in Gestalt eines Verhandlungs- verfahrens ohne Teilnahmewettbewerb gemäß § 14 Absatz 4 Nr. 3 VgV erforderliche äu- ßerste Dringlichkeit bestanden hat, ist er aufgrund des gemäß § 97 Absatz 1 GWB geltenden Wettbewerbsgrundsatzes verpflichtet gewesen, einen angemessenen Bieterwettbewerb zu eröffnen. Wenn sich die Zuschlagserteilung in einem Vergabeverfahren aufgrund eines Nachprüfungsverfahrens verzögert und der Auftraggeber nun wegen besonderer Dringlich- keit einen Interimsauftrag im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb erteilen will, darf er grundsätzlich nicht nur einen einzigen Bieter unmittelbar zur Abgabe eines An- gebots auffordern und ausschließlich nur mit diesem anschließend Vertragsverhandlungen über den Interimsauftrag führen. Vielmehr sind neben dem Bieter, der den Zuschlag für den Hauptauftrag erhalten soll, diejenigen Bieter, die ein wertbares Angebot abgegeben haben, zumindest aber diejenigen Bieter, die einen Nachprüfungsantrag gestellt haben, zu einem Angebot und zu anschließenden Vertragsverhandlungen über den Interimsauftrag aufzufor- dern (OLG Frankfurt, Beschluss vom 30.01.2014, Az.: 11 Verg 15/13; Vergabekammer des Bundes, Beschluss vom 12.11.2012, Az.: VK 1-109/12; Ziekow/ Völlink, a.a.O., § 119 GWB, Rdn. 25; § 14 VgV, Rdn. 66; Stumpf/Götz, VergabeR 2016, 561, 566). Nur in absoluten Aus- nahmesituationen, die sich wiederum aus äußerst zwingenden und dringlichen Gründen er- geben müssen, kann sich der Auftraggeber entscheiden, nur ein einziges Unternehmen in der Aufforderung zur Angebotsabgabe zu berücksichtigen. Dies ist aber dann nicht zulässig, wenn die Einbeziehung weiterer Bieter ohne großen Zeitverlust möglich ist (OLG Frankfurt, Beschluss vom 30.01.2014, Az.: 11 Verg 15/13; Vergabekammer des Bundes, Beschluss vom 12.11.2012, Az.: VK 1-109/12; Stupf/Götz, VergabeR 2016, 561, 566; Burgi/Dreher, a.a.O., § § 14 VgV, Rdn. 51 a.E.). Nach Auffassung der Vergabekammer Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 22.05.2014, Az.: VK 1-7/14) ist bei einer interimsweisen Bedarfsdeckung

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von bis zu drei Monaten die Beteiligung von nur einem Bieter immer zulässig. Dies trägt allein den Belangen des Auftraggebers, nicht aber dem gebotenen fairen Wettbewerb hinreichend Rechnung und verleitet den Auftraggeber zu kurzfristigen, interimsweisen Kettenbeauftra- gungen desselben Bieters, was dem gebotenen fairen Wettbewerb widerspricht. Dem AG war spätestens mit der am 08.10.2020 ergangenen Entscheidung der Vergabekammer zur Verlängerung der Entscheidungsfrist bis zum 24.12.2020 klar, dass er zum 01.11.2020 eine interimsweise Vergabe der streitgegenständlichen Winterdienst- und Störungsbeseitigungs- arbeiten vornehmen muss. Dem AG wäre es auch unter Berücksichtigung der dafür notwen- digen Vorbereitungen im Zeitraum vom 08.10.2020 bis 31.10.2020 ohne weiteres möglich gewesen, neben dem BEI gleichzeitig zumindest auch die AST zu einem Angebot und an- schließend zu Vertragsverhandlungen über eine interimsweise Vergabe der streitgegen- ständlichen Winterdienst- und Störungsbeseitigungsarbeiten aufzufordern. Die AST hat in dem gemeinsamen Gespräch mit dem AG am 25.09.2020 unter anderem ihre Bereitschaft zu kurzfristigen Verhandlungen über eine Interimsbeauftragung mit den streitgegenständli- chen Winterdienst- und Störungsbeseitigungsarbeiten zum Ausdruck gebracht. Die Verga- bekammer kann nicht erkennen, dass die Einbeziehung der AST für den AG zu einem nicht hinnehmbaren Zeitverlust geführt hätte. Nach Auffassung der Vergabekammer bestand für den AG keine Gefahr im Verzug dergestalt, dass er annehmen durfte, nur noch durch eine kurzfristig und interimsweise erfolgende Beauftragung des ihm als geeignet erscheinenden BEI die von ihm richtig wahrgenommenen Gefahren insbesondere für Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer abwenden zu können.

(4)

Der AG hat in dem streitgegenständlichen Interimsvergabeverfahren in Gestalt eines Ver- handlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb am 19.10.2020 ausschließlich den BEI zur Angebotsabgabe aufgefordert. Der AG hat die AST an diesem Interimsvergabeverfahren vergaberechtswidrig nicht als Bieterin beteiligt; ihr ist aufgrund ihres Angebots im Haupt- vergabeverfahren vom 22.06.2020 aber der Stellung einer Interessentin im Interimsvergabe- verfahren zugekommen. Nach Braun (in Ziekow/Völlink, a.a.O., § 134 GWB, Rdn. 25 ff.) be- steht nach näherer Maßgabe von 134 Absatz 1 GWB eine Pflicht des Auftraggebers zur In- formation auch von Interessenten, wenn der Auftraggeber den Auftrag an ein anderes Unter- nehmen zu vergeben beabsichtigt. Der AG ist dieser Informationspflicht insbesondere nicht mit seinem an die AST gerichteten Schreiben vom 20.10.2020 nachgekommen. Der am 20.10.2020 an den BEI erteilte Interimsauftrag wäre demnach gemäß § 135 Absatz 1 Nr.

1 GWB von Anfang an unwirksam gewesen. Die Rechtsprechung und h.M. in der Literatur sind hingegen früher davon ausgegangen, dass in Fällen wie dem vorliegenden die unmittel- bare Erteilung eines Interimsauftrags an ein Unternehmen, ohne andere Unternehmen am Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zu beteiligen, gemäß § 101 b Absatz 1 Nr. 2 GWB von Anfang an unwirksam ist (OLG Frankfurt, Beschluss vom 30.01.2014, Az.:

11 Verg 15/13; Vergabekammer Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 22.05.2014, Az.: VK 1- 7/14; Vergabekammer des Bundes, Beschluss vom 12.11.2012, Az.: VK 1-109/12). Nach der Nachfolgevorschrift des § 135 Absatz 1 Nr. 2 GWB ist ein Auftrag von Anfang an unwirksam, wenn der Auftraggeber den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat, ohne dass dies aufgrund Gesetzes ge- stattet ist. Der AG hat vor der Vergabe des Interimsauftrags von einer nach näherer Maßgabe von § 37 VgV grundsätzlich gebotenen Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union abgesehen. Der AG hat das Interimsvergabeverfahren in Gestalt eines Verhandlungs- verfahrens ohne Teilnahmewettbewerb geführt. Er konnte daher gemäß den §§ 37 Absatz 1 Satz 2, 17 Absatz 5 VgV von der grundsätzlich gebotenen europaweiten Auftragsbekannt- machung absehen. Das bedeutet aber nicht, dass das Entfallen der Verpflichtung zur euro- paweiten Auftragsbekanntmachung die in § 135 Absatz 1 Nr. 2 GWB angeordnete Folge der anfänglichen Unwirksamkeit des am 20.20.2020 erteilten Interimsauftrags beseitigen würde.

Denn dann hätte der AG bei der anzunehmenden äußersten Dringlichkeit für eine interims- weise Vergabe der Winterdienst- und Störungsbeseitigungsarbeiten das gleichwohl gebo- tene wettbewerbliche Verfahren verzichten und den Auftrag direkt an ein Unternehmjen -hier an den BEI- vergeben können, ohne die Unwirksamkeitsfolge befürchten zu müssen. Eine de-facto-Vergabe an den BEI wäre dann also ohne weiteres möglich gewesen. Der effektive Rechtsschutz fordert daher, § 135 Absatz 1 Nr. 2 GWB auch dann anzuwenden, wenn der

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Auftraggeber aufgrund der bestehenden äußersten Dringlichkeit für eine interimsweise Vergabe auf eine europaweite Auftragsbekanntmachung verzichten konnte, er aber das auch im Interimsvergabeverfahren grundsätzlich gebotene wettbewerbliche Verfahren nicht einge- halten und den Interimsauftrag unmittelbar an ein Unternehmen erteilt hat, ohne andere Un- ternehmen am Interimsvergabeverfahren zu beteiligen, und dies nicht ausnahmsweise auf- grund äußerst zwingender und dringlicher Gründe gestattet war. Denn auch dann liegt der Fall einer de-facto-Vergabe vor, die mit der Unwirksamkeitsfolge belegt werden soll. Die Nachfolgebestimmung des § 135 Absatz 1 Nr. 2 GWB hat insofern im Vergleich zur Vorgän- gerbestimmung des § § 101 b Absatz 1 Nr. 2 GWB in Fällen wie dem vorliegenden die Un- wirksamkeitsfolge einer de-facto-Vergabe nicht beschränken wollen (vgl. auch Burgi/Dreher, a.a.O., § 135, Rdn. 31).

(5)

Der Unwirksamkeit der am 20.10.2020 erfolgten Interimsbeauftragung des BEI stand auch nicht die Bestimmung des § 135 Absatz 3 GWB entgegen, da der AG gemäß § 135 Absatz 3 Satz 1 Nr. 2 GWB bereits keine Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht hat, mit der er die Absicht bekundet hat, den entsprechenden Vertrag abzu- schließen.

Nach alledem steht für die Vergabekammer fest, dass der Nachprüfungsantrag der AST vom 26.10.2020 im Ergebnis anfänglich zulässig und begründet gewesen ist, die Vergabekammer auf den Nachprüfungsantrag der AST gemäß § 135 GWB die Unwirksamkeit der am 20.10.2020 erfolgten Interimsbeauftragung des BEI hätte feststellen müssen, der Nachprü- fungsantrag aber später aus den oben dargelegten und von ihr nicht zu vertretenden Grün- den nachträglich unzulässig geworden ist. Die AST hatte es nicht zu vertreten, dass die Vergabekammer am 25.11.2020 die Frist zur Entscheidung im anhängigen Nachprüfungs- verfahren gemäß § 167 Absatz 1 Satz 2 GWB bis zum 01.02.2021 verlängert und das nach- folgende Nachprüfungsverfahren erhebliche Zeit in Anspruch genommen hat. Die Vergabe- kammer hätte auf den Nachprüfungsantrag der AST die Unwirksamkeit der am 20.10.2020 erfolgten Interimsbeauftragung des BEI feststellen müssen. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit wäre dann aber dem AG die Neuvergabe und der AST die Erlangung der bis zum 31.01.2021 befristeten Interimsbeauftragung in der verbleibenden kurzen Zeit nicht mehr möglich gewesen. Dies hat das Interesse der AST an dem bis zum 31.01.2021 befristeten Interimsauftrag und an der von ihr beantragten Feststellung der Unwirksamkeit der Interims- beauftragung des BEI und damit ihre Antragsbefugnis und damit die Zulässigkeit ihres Nach- prüfungsantrages aus von ihr nicht zu vertretenden Gründen nachträglich entfallen lassen.

Der AG hat hingegen mit seiner grob wettbewerbswidrigen Interimsbeauftragung des BEI den anfänglich zulässigen und begründeten Nachprüfungsantrag der AST veranlasst bzw.

provoziert. Aufgrund dieses Umstandes sind die Verfahrenskosten nach Ausübung billigen Ermessens grundsätzlich dem AG aufzuerlegen. Die Vergabekammer verkennt nicht, dass sie Mitverantwortung dafür trägt, dass das Nachprüfungsverfahren erhebliche Zeit in An- spruch genommen hat und dadurch der Nachprüfungsantrag der AST letztlich unzulässig geworden ist. Die Vergabekammer kommt aber als Kostenschuldner nicht in Betracht. Als Kostenschuldner im Sinne von § 182 GWB kommen nur der Antragsteller, der Antragsgegner und der Beigeladene in Betracht (Müller-Wrede, a.a.O., § 182, Rdn. 63). Der AG hat aber vorliegend keine Gebühren zu tragen, da er gemäß § 182 Absatz 1 Satz 2 GWB in Verbin- dung mit § 8 Absatz 1 Nr. 2 VwKostG bzw. gemäß § 3 Absatz 1 Nr. 1 ThürVwKostG von der Zahlung von Gebühren persönlich befreit ist. Auch sind vom AG grundsätzlich zu erstattende Auslagen der Vergabekammer nicht mehr angefallen. Nach alledem hat der AG keine Ver- waltungskosten zu tragen.

b)

Der AG hat gemäß § 182 Absatz 4 Satz 3 GWB die zur zweckentsprechenden Rechtsverfol- gung notwendigen Aufwendungen der AST zu tragen. Diese Aufwendungen der AST sind nach Ausübung billigen Ermessens dem AG aufzuerlegen, da er mit seiner grob wettbe- werbswidrigen Interimsbeauftragung des BEI den anfänglich zulässigen und begründeten Nachprüfungsantrag der AST veranlasst bzw. provoziert hat. Die in § 182 Absatz 4 Satz 3 GWB enthaltene Regelung für den Aufwendungsersatz im Falle der Antragsrücknahme bzw.

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