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75

Die Grosse Mauer von China.

Von

Dr. 0. F. Ton MSIIendorff,

Kais. Deutsciiem Consularbeamten in China.

Als das uralte Culturreich Ostasiens aus dem mythischen

Nebel, in den es für Europa gehüllt war, allmählich glänzend und

gewaltig emporstieg, als die Ueberzeugung sich Bahn brach, dass zu

Zeiten, da Europa noch im Bann finstern Aberglaubens und roher

Barbaren lag, China bereits ein geordnetes Staatswesen, eine hohe

Blüthe der Literatur und Kunst, eine reich entwickelte Industrie

aufzuweisen hatte, da war es kein Wunder, dass das erste Gefühl

der Bewunderung die europäischen Beobachter zu mancherlei

Ueberschwänglichkeiten und Uebertreibungen fortriss und China

schliesshch Vorzüge angerühmt wurden, auf die es keinen ge¬

gründeten Anspruch machen kann. Blieb mit der fortschreitenden

Kenntniss des Reichs der Mitte auch im allgemeinen der erste

Eindruck bestehen, so mussten doch manche den Söhnen Han's

zugeschriebene Verdienste vor strenger Kritik weichen, und die

wissenschaftliche Forschung, namentlich die alljährlich zunehmende

Aufschliessung der chinesischen Literatur weist immer mehr einen

viel grösseren Austausch östlicher und westlicher Cultur, nament¬

lich eine viel stärkere Anlehnung der chinesischen an ausländische

nach, als bis vor ganz kurzer Zeit noch angenommen wurde.

Dies betrifft namentlich Erfindungen, von denen wir nur zwei

Beispiele erwähnen wollen. Es ist ein auch heute noch trotz

W. F. Mayer's schlagender Beweisführung') eingewurzelter Irrthum,

dass die Chinesen Scbiesspulver und Feuerwaffen selbständig und

früher als wir erfunden haben , während sie zwar Feuerwerk und

explodirende Mischungen, deren Kenntniss sie aber vennuthlich

von aussen her erhielten, sehr frühe gekannt haben, den Gebrauch

des Schiesspulvers und der Feuerwaffen jedoch zweifellos von

Europa gelemt haben. Aehnlich steht es mit dem Compass , den

die Chinesen schon Jahrtausende vor Christus gekannt und benutzt

haben sollen; es steht jedoch nur fest, dass ihnen der Magnet

und vielleicht seine Polarität sehr frühe bekannt war, während

(2)

76 von Möllendorff, die Grosse Mauer von China.

ihre Erfindung des Compasses bisher nicht beweisbar ist. Sicher

ist, dass der Gebrauch des trocknen Compasses von Japan nach

China gebracht wurde — die Japaner hatten ihn auch von aussen

her, von Europa oder Indien erhalten —, dass vor dem 15. oder

16. Jahrhundert n. Chr. in China nur Compasse mit auf Wasser

schwimmender Nadel bekannt, letztere aber nachweislich nicht vor

dem 12. Jahrhundert n. Chr. in Gebrauch waren. Dies giebt auch

J. Edkins'), der zuletzt über diesen Gegenstand geschrieben imd

im allgemeinen für ein hohes Alter der chinesischen Kenntniss

der Magnetnadel plaidirt, zu.

Um auf anderm Gebiet ein weiteres Beispiel zu geben, er¬

innere ich an die vermeintlichen Riesenarbeiten des Yü in grauer

Vorzeit, der technische Wunder verrichtete, die selbst dem mo¬

dernen Ingenieur fast unmöglich wären, während die ganze An¬

nahrae auf einer schiefen Uebersetzung der Quellen beruht ^).

In dies Capitel gehört auch das Riesenwerk der „Grossen

Mauer". Die Erzählung von einera massiven Bauwerk, das, vom

Strande des östlichen Meeres anhebend, sich über Berg und Thal

durch über 20 Längengrade in einer Länge von über 4000 Kilo¬

metern hinzieht, im dritten Jahrhundert v. Chr. erbaut, ein achtes

Wunder der Welt, musste die höchste Bewunderung erregen und

konnte freilich als Beispiel dienen, in wie überaus früher Zeit sich

eine hohe Cultur in China entwickelt hatte ■•). Jedoch muss ein

guter Theil dieses Bildes vor strenger Kritik als eitel Dunst ver¬

schwinden, und bleibt auch das Kolossale des Riesenwerkes un¬

bestritten, so muss doch der Glaube an ein hohes Alter desselben,

soweit sein Character als Mauer, als Bauwerk in Betracht kommt,

als gänzlich unbegründet fallen; was wir jetzt unter der Grossen

Mauer verstehen, ist zum allergrössesten Theile ein Werk des

15. und 16. Jahrhunderts n. Chr., und eine Grosse Mauer hat

es sicherlich vor dem 6. Jahrhundert n. Chr. nicht gegeben.

Europa hat von der Grossen Mauer nicht vor dem Mittel¬

alter gehört. Auf einer missverstandenen Stelle des Ammianus

Marcellinus (um 380 n. Chr.) beruhte der Glaube, dass schon im

Alterthum die Abschliessung Chinas durch einen Grenzwall bekannt

gewesen sei. Indessen ist einerseits nachgewiesen , dass Serica

der Alten nicht China, sondern das grosse Becken von Centrai¬

asien bedeutet, andrerseits ist Ammian's Ausdruck in orbis speciem

consertae celsorum aggerum summitates nicht auf menschliche

Werke zu beziehen, sondem auf die hohen Gebirgswälle, welche

das Tarymbecken auf allen Seiten umgeben *).

Durch die mohammedanischen Schriften des Mittelalters geht

die Sage von dem Riesenwall von Gog und Magog (Yäjüj und

Mäjüj), der bald mit dem Alexanderwall im Kaukasus, bald mit

der Grossen Mauer von China identificirt wird. Diese letztere

war den mohammedanischen Völkern Asiens wohl durch die alten

Traditionen der centralasiatisehen Steppenvölker bekannt , aber

(3)

von Möllendorff, die Grosse Mauer von China. 77

auffallende!' Weise bericlitet kein Augenzeuge über dieselbe. Aus

den Schriften der arabischen Geographen ist mir keine Stelle

bekannt. Kircher citirt eine Stelle des persischen Astronomen

Nasreddin (geb. 1219, gest. 1294 n. Chr.), welche die Länge der

Grossen Mauer auf 23 Tagereisen angiebt, aber sonst keine näheren

Notizen enthält«). Rashideddin (1247—1318)') und Abulfeda (1273

—1332) ") erwähnen den Wah von Gog und Magog ganz im all¬

gemeinen; Ibn Batüta") hörte 1343 in Canton (Sin-ul-Sin) gerücht¬

weise von einem 60 Tagereisen weit entfernten Wall gegen wilde

menschenfresserische Stämme. Aber keiner der Reisenden des

Mittelalters, namentlich nicht Marco Polo, der sonst so genau und

ausführlich berichtet, deuten an, dass sie die Grosse Mauer gesehen

haben, während Polo sowohl als Odoric sie an mehreren Stellen

passirt haben müssen. Noch Yule versucht seinen Liebling Marco

Polo wegen dieser vermeintlichen Unterlassungssünde zu ent¬

schuldigen, während, wie wir weiter unten ausführen werden, die

einfache Lösung des Problems die ist, dass zu jener Zeit die

Mauer nicht mehr oder nur in sehr verfallenen Resten existirte '*).

Erst mit der Ankunft der Portugiesen in China im 16. Jahr¬

hundert scheint die Kenntniss der Grossen Mauer besser und all¬

gemeiner geworden zu sein. Mendo9a erwähnt sie, allerdings nur

von Hörensagen und aus den inzwischen aufgeschlossenen chine¬

sischen Geschichtsquellen ''). Deutlicher und richtiger werden die

Angaben der Jesuiten, obwohl die ersten auch noch nicht aus

eigner Anschauung berichten. Martini ist wohl der erste euro¬

päische Augenzeuge, aber aus seiner Beschreibung geht nicht deut¬

lich hervor, was er selbst beobachtet, was er aus chinesischen geo¬

graphischen wie historischen Werken geschöpft hat, ein Uebelstand,

den die meisten Arbeiten der ersten Missionäre über China gemein

haben'^). Die geographischen Arbeiten und Reisen der Jesuiten Ende

des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts (Regis, Gerbillon etc.)

verschafften dann dem europäischen Publikum zuerst ein klareres

Bild von dem gegenwärtigen Zustand des Werkes. Eine der

ersten Arbeiten, welche die Jesuiten Bouvet, Regis und Jartoux im

Auftrage des Kaisers Sheng-dsu (Kanghsi) ausführten , war eine

Karte der Grossen Mauer im Jahre 1708'^). So hat denn Du Halde,

dessen heute noch unübertroffenes Werk die ganze Summe der

Beobachtungen der jesuitischen Mission in und über China zu¬

sammenfasste , ein ganzes Capitel über La Grande Muraille und

bespricht ihre Entstehung im historischen Theil'*). Man nahm damals

noch einfach an, dass die vom ersten Kaiser der Tshin-Dynastie

im 3. Jahrhundert v. Chr. erbaute Mauer mit der heute noch

existirenden identisch sei, wie dies Mendocja und Martini schon

thaten. Jedoch glaubte man sich die Doppelmauer in Shansi und

Dshyli dadurch erklären zu sollen , dass der innere Zweig von

den Kaisern der Ming-Dynastie angebaut worden sei, um den Zu¬

gang zu der Capitale besonders stark zu befestigen'^). Auch dass

(4)

78 von Möllendorff, die Grosse Marter von China.

wir es für einen grossen Theil des jetzt existirenden Werkes mit

einem Erd- oder Steinwall, mir zum kleineren Theil mit einer

Mauer zu thun hahen, hatten die Jesuiten-Patres hereits mit¬

getheilt, namentlich P. Gerbillon.

Englische und russische Reisende im 18. und Anfang des

19. Jahrhunderts erweiterten die Kenntniss der Grossen Mauer

mehr und mehr ; die erste bessere Aufklärung über die historischen Verhältnisse ihrer Erbauung verdanken wir indessen dem russischen

Priester Hyacinth, welcher von 1809 bis 1821 als Vorstand der

russischen geisthchen Mission in Peking lebte und eine Reihe von

wichtigen Werken über China veröffentlicht hat. Die Frage der

Grossen Maner behandelt er in mehreren seiner Werke, am aus-

führiichsten in den „Aufsätzen über die Mongolei* und der „Sta¬

tistischen Beschreibung von China' '^). Durch sorgfältiges Vergleichen

der chinesischen Quellen kommt er zu folgenden Schlüssen :

1) Es ist richtig, dass unter dem Kaiser Shy-huang-di 214

V. Chr. eine Grenzbefestigung angelegt wurde, welche jedoch nicht

die ganze Ausdehnung der jetzigen Mauer hatte imd vermuthlich

nur aus Lehm aufgeführt war.

2) Dieser erste Wall muss im 5. Jahrhundert n. Chr. schon

völhg verschwunden gewesen sein; in den Chroniken der ver¬

schiedenen kleinen Dynastien im 5. und 6. Jahrhundert wird die

Errichtung von Wällen erwähnt, welche die Stelle der heutigen

Mauer einnehmen und zwar vom Gelben Fluss bis zum Meer.

Dabei wird bestimmt von Neubau, nicht von Reparatur ge¬

sprochen.

3) Vom Ende des 6. bis zum 15. Jahrhundert n. Chr. ent¬

hält die Chinesische Geschichte keinerlei Angahen über die Grosse

Mauer.

4) Verwendung von gebrannten Ziegeln zu Befestigungsbauten hat erst seit der Ming-Dynastie im 15. Jahrhundert stattgefunden

5) Die Geschichte der Ming-Dynastie enthält detaillirte An¬

gaben über den Bau der jetzigen Grossen Mauer in ihrem ganzen

Verlaufe und erwähnt nirgends, dass es sich um Renovirung schon

vorhandener Mauem gehandelt hätte.

Daraus ergiebt sich, dass die jetzt vorhandene Mauer ganz

und gar der Ming-Dynastie angehört und dass aus alter Zeit nur

die Idee des ganzen Werkes und vielleicht hie und da einige

Lehmwallreste, die als Kem benutzt werden konnten, sowie die

Richtung und Ausdehnung stammen.

Eine mehrfache Bereisung des Berglandes im Westen, Norden

und Nordosten von Peking, in welchem die Mauer läuft, sowie

eine sorgfältige Erforschung der chinesischen Quellen, von denen

Hyacinth manche entgangen sind, haben mich in den Stand gesetzt,

die Frage genauer zu studiren, und ich bin schliesslich in einigen

Punkten zu andem Resultaten gekommen. Die hohe Wichtigkeit,

welche die Grosse Mauer für die Geschichte Chinas hat, mit

(5)

von Mollendorff, die Orosxe Mauer von China. 79

deren wichtigsten Epochen ihr Bau und Neubau zusammenfallt,

lassen es als angezeigt erscheinen, die geographischen und histo¬

rischen Verhältnisse des Werkes nochmals eingehend zu behandeln,

was ich in nachstehenden Blättem versuchen will.

I. Jetziger Zustand der Grossen Mauer.

Zur Entscheidung der historischen Fragen ist vor allem die

Beschaffenheit der jetzt vorhandenen Bauwerke zu berücksichtigen,

was Hyacinth nur in beschränktem Masse gethan hat. Die geo¬

graphische Lage und Ausdehnung darf als bekannt vorausgesetzt

werden; bis auf wenig bedeutende Details ist die Grosse Mauer

auf unsem Karten richtig eingezeichnet.

Nach meiner Kenntmss der Mauer theils aus eigner An¬

schauung, theils nach Berichten andrer Reisender haben wir vier

Bauarten zu unterscheiden.

Erstens. Auf einem etwa 6 Meter breiten Fundament von Stein¬

quadern (meist Granit) erheben sich zwei starke Mauem von grossen

gebrannten Ziegeln ; deren Zwischenraum ist mit Lehm , Steinen

und Ziegelstücken fest ausgefüllt und das Ganze oben mit grossen

Ziegeln verschalt. Beide Seiten haben eine niedrige Brastwehr

von Ziegeln mit Schiessscharten. Die Höhe beträgt 6—8 Meter

inclusive der Brustwehr. In unregelmässigen Distanzen erheben

sich vierseitige Thürme. Es kommen auch einfachere, schmalere,

sehr selten auch runde Warten vor.

Diese Art der Mauer erinnert in ihrem ganzen Charakter an

die gewöhnlichen chinesischen Befestigungen und Stadtmauem

neuerer Zeit, namentlich aber an die Pekinger Stadtmauer, welche

aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts stammt. Auch macht sie

durch ihre gute Erhaltung einen viel zu modemen Eindrack, als

dass über ihre Entstehungszeit während der Ming-Dynastie ein

Zweifel bestehen könnte.

Zweitens. Die Mauer ist weniger breit und hoch, hat nur nach

aussen eine Brüstung, ist aber ganz rmd gar gemauert, meist aus

Granit oder Porphyr. Die Thürme sind einfache vierseitige Warten

ohne Kammern und Fenster; sie stehen in grösseren Distanzen

und mitunter nicht in der Mauer selbst, sondem in kurzer Ent¬

femung davon. Wo ich diese Art der Mauer untersucht habe,

macht sie entschieden einen viel älteren Eindrack als die erst

beschriebene. Die Steine sind dicht mit Flechten bedeckt; auch

zeigt die viel solider gebaute Mauer stärkere Spuren des Verfalls als die benachbarte Ziegelmauer.

Drittens besteht die Mauer auf weite Strecken einfach aus

aufgehäuften Steintrümmem. Da auch diese Art in bestimmten

Zwischenräumen gemauerte Warten enthält, so wirft sich die

Frage auf, ob sie nicht mit der zweiten Porm identisch d. h.

(6)

80 von Möllendorff, die Grosse Mauer von China.

durch Zusammenstürzen der Steine nach Auflösimg des Binde¬

mittels aus ihr entstanden sei. Dagegen spricht einmal, dass die

Wälle ganz regelmässig aufgeschichtet sind , unten 2—2 '/j , oben

'/« Meter breit, bei 2»/j Meter Höhe, also nach dem Zusammen¬

sturz wieder aufgeschichtet sein müssten; femer dass kein Rest

einer gemauerten Strecke stehen geblieben, während die Warten

doch noch erhalten sind, und schliesshch, dass die Steine keine

Spur des Bindemittels mehr zeigen. Ich nehme daher an, dass

der Stein wall die ursprüngliche Anlage ist.

Viertens. Ein einfacher sich nach oben verjüngender Lehm¬

wall von 4—5 Meter Höhe mit vierseitigen Warten aus Lehm

von ca. 9 Meter Höhe oder auch mit gemauerten Thürmen.

Die erste Bauart, die wir der Kürze halber mit „Ziegelmauer'

bezeichnen wollen, ist bisher an folgenden Punkten beobachtet

worden.

Am Ostende, am Golf von Liaudung bei Shan-hai-guan i»).

Im Nordosten von Peking am Pass und Thor Gu-bei-hou^^).

Von Gubeikou bis zur östlichen Vereinigung der „äussern'

und „innern' Mauer, etwa nördlich von Peking, ist mir keine

Beobachtung bekannt, doch wird die Mauer dort jedenfalls auch

aus der ersten Bauart bestehen.

Zwischen jener Stelle und dem Nankoupass habe ich 1877

das Mauerthor Liu-gou-ying passirt und die Mauer daselbst, ob¬

wohl sehr verfallen, aus Ziegelmauer bestehend gefunden.

Am iVanfajwpass^") und zwischen demselben und dem Durch-

bmch des Hunho habe ich die Mauer in ihrem ganzen Verlauf

(1875 und 1876) selbst untersucht; sie besteht zum allergrössten Theile aus der Ziegelform.

Südlich vom Hunho, westlich von Peking, von mir selbst

besucht^'). Westlich von DsJiaitang und südlich davon, bei Da-

lungmen ebenfalls von mir selbst besucht.

Kein Beispiel einer solchen Bauart wird in der äussern wie

im ganzen westlichen Theil der Grossen Mauer erwähnt. Viel¬

leicht besteht aber noch das westliche Ende der innem Mauer in

Shansi aus Ziegelwerk.

Die zweite Porm, massive Steinmauer, finde ich in der

Literatur nur einmal erwähnt, nämhch vom Pöre de Pontenay,

welcher auf seiner Reise von Peking nach dem Süden im Jahre

1688 an dem Pass Gvguan hinter Huai-lu-hsien den von der

innern Mauer sich nach Süden abzweigenden Theil der Grossen

Mauer passirte **). Aber Williamson fand die Mauer dort 1866

völlig in Ruinen **).

Ein Stück einer massiven Steinmauer fand ich im Nordwesten

von Peking bei der befestigten Stadt Dshin-bien-tshing, ca. 2 Kilo¬

meter lang, das Ende der Innern Mauer nördlich vom Hunho

bildend.

(7)

von Möllendorff, die Grosse Mauer von China. 81

Der dritten Form, Wall aus gehäuften Steinen mit ge¬

mauerten Thürmen , gehört die Grosse Mauer bei Kaigan an ;

femer höchstwahrscheinlich die ganze Strecke von Kaigan bis zur

östlichen Vereinigung mit der innem Mauer. Wenigstens fand ich

sie so an drei Stellen, wo ich sie 1877 passirte: 1) nordöstlich

von Lung-men-so^^) in ca. 116« ö. L. Gr. 41« 4' n. Br.; 2) südhch

davon bei Hsün-dshien-sy und 3) bei der kleinen Festung Shangpu

nicht weit von dem Durchbmch des oberen Baiho durch die

Mauer, in ca. 116» 12' ö. L. Gr. 40« 48' n. Br.

Aus Lehmwällen schliesslich scheint die ganze „Mauer"

westlich von der westlichen Vereinigung der Innem und Aeussern

Mauer (oder vielleicht schon westlich von Kaigan?) zu bestehen.

Wenigstens beschreibt sie so P6re Gerbillon *^) , der den grössten

Theil derselhen selbst bereiste, und an der Stelle, wo sie Prsche-

valski passirte, fand er sie gleichfalls nur aus Lehm bestehend ").

So lückenhaft imsre Kenntniss des heutigen Zustands der

Grossen Mauer also auch noch ist — es fehlt z. B. jede genauere

Angabe über die Beschaffenheit der Innern und Aeusseren Mauer

in der Provinz Shansi — so geht doch schon aus obigen Notizen

deutlich hervor, dass von einer Mauer nur innerhalb der Provinz

Dshyli und vielleicht z. Th. Shansi die Eede ist, und zwar in

grossem Bogen um Peking hemm , so dass nach der Bauart die

Fortsetzung der Mauer vom Meere aus nicht die äussere, son¬

dem die innere über den Nankoupass bildet. Diese ist wie aus

einem Guss gleichmässig gebaut und stammt zweifellos aus der

Zeit der Mingdynastie, 1368 bis 1644. Ob von den Stein- und

LehmwäUen irgend etwas aus älterer Zeit stammt, muss eine Be¬

sprechung der chinesischen Quellen lehren.

II. Chinesische Quellen über die Grosse Mauer.

Hyacinth hat im Allgemeinen die Chroniken aller Dynastien

sorgfältig ausgezogen, doch sind ihm einige Notizen entgangen.

Auch hat er die reichhaltige anderweitige historisch-geographische

Literatur der Chinesen unbenutzt gelassen. Ich habe an der

Hand seiner Auszüge die von ihm benutzten Quellen nochmals

studirt und mich bemüht, ausserdem so viel Material als möglich

zusammen zu bringen. Ich war so glücklich in den historischen

Essays eines neueren Schriftstellers einen besondem Aufsatz über

die Grenzbefestigungen Chinas zu finden, der zwar wesentlich in

Compilation von Auszügen aus älteren Werken besteht, der mir

aber ein vorzüghcher I^thgeber auf dem Gebiete der einschlagen¬

den Literatur gewesen ist und mir manche von Hyacinth nicht

benutzte Quellen eröffnet hat. Dies ist das Fang-yü-kau-dsheng von Hsü-hung-bau.

Von den dynastischen Annalen und Chroniken habe ich

benutzt :

Bd. XXXV. 6

1 1

(8)

82 von Möllendorff, die Grosse Mauer von China.

1. Shy-dshi von Sy-ma-tshien , geschrieben 99—91 v. Chr.

Aelteste Geschichte bis 104 v. Chr.

2. Tahien Han-shu Geschichte der früheren Handynastie

206 v. Chr. bis 24 n. Chr. Verfasst von Pan-gu (f 92 n. Chr.)

und seiner Schwester Dshau.

3. Von den dynastischen Annalen bis zur Tangdynastie,

25 bis 618 n. Chr. kenne ich nur einige, von den übrigen nur

Auszüge (im oben erwähnten Pang-yii-kau-dsheng und anderwärts).

Auch war Dr. Bretschneider in Peking so freundlich mir einige

der von Hyacinth citirten Stellen im Original aufzusuchen. Die

Geschichtswerke namentlich über die kleineren Dynastien sind

schwer zu beschaffen.

4. Tang-shu, Annalen der Tangdynastie, 618—906 n. Chr.

5. Ming -shy, Geschichte der Mingdynastie 1368 —1644,

vollendet 1742.

6. Tung-dsMen-kang-mu, Geschichte Chinas, verfasst im

12. Jahrhundert. — Uebersetzt von Mailla, Paris 1777—1785.

13 Bände.

Geographische Werke.

Shui dahing (Wyhe Notes on Chinese Literature p. 43).

Eine sehr alte Hydrographie Chinas, die Anfang unsrer Aera ver¬

fasst sein soll. Der jetzt vorhandene Text stammt indessen aus

späterer Zeit und ist mit einem fortlaufenden Commentar eines

Li-dau-yuen, der zur Zeit der Bei Wei (386—534) lebte, ver¬

sehen. Das Werk wird stets mit diesem Commentar zusammen

gedruckt und daher imter dem Titel Shui-dshing-chu citirt. Ich

benutzte den Abdruck in dem Sammelwerk Sy-ku-tshüan-shu (Wyhe

Notes p. 207) von 1774.

Tai-ping-hwin-yü-dshi (Wyhe 1. c. p. 36). Topographisch¬

statistische Beschreibung Chinas aus der Sung Dynastie, und zwar,

wie der Name besagt, zur Zeit der liegierung Taiping 976 -

983 n. Chr. Die auf die Grosse Mauer bezüglichen Stellen des

seltenen Werkes verdanke ich der Güte Dr. Bretschneider's in

Peking.

Da-Ming-i-tung-dshy Reichsgeographie der Mingdynastie (vgl.

Remusat, M6m. rel. k ia g6ogr. de l'Asie centrale 1825 p. 72.

Richthofen China p. 391). Die Russische Gesandtschaft in Peking

besitzt die Originalausgabe des sehr seltenen Werkes vom Jahre

1461. Von jeder Provinz ist eine Karte beigegeben, die in sebr

primitiver Weise Hauptstädte, Plüsse und Berge angiebt. Auch

von diesem Werke war Dr. Bretschneider so freundlich mir die

für unser Thema wichtigen Stellen auszuziehen.

Da-tshing-i-tutig-dshy. Die Reichsgeographie Chinas unter

der gegenwärtigen Dynastie aus der Mitte des vorigen Jaln-hunderts,

in 500 Büchern. Ich citire sie nach Ritter's Vorgänge einfach

als Reicb.sgeographie.

1 1

(9)

von Möllendorff, die Grosse Maver nön CMna. 83

Da-tshmg-i-tung-yii-tu. Atlas von China, auf den Arbeiten

der jesuitischen Missionare des 18. Jahrhunderts basirt, aber von

einheimischen Gelehrten bis in die neueste Zeit fortgesetzt und

in vielen Details verbessert. Letzte Ausgabe von 1863 unter dem

Nebentitel Huang-tshau-dshung-wai-i-tung-yü-tu in 31 Heften.

Li-ahy-wu-dsung-ho-kan, ein vom Geueralgouverneur Li-hung-

dshang herausgegebenes Sammelwerk über historische Geographie,

in 5 Ahtheilungen, von 1871. Enthalt 1) Ld-dai-di-li-yün-bien

für Identificirung alter und neuer Namen; 2) Ld dai-di-U-yen-

go-tu, historischer Atlas; für jede Dynastie seit der ältesten

Zeit eine Karte, welche die jetzige Provinzialeintheilung und

Namen in rothem, die alten Eintheilungen imd Namen in schwar¬

zem Druck giebt; 3) Huatig tshau yiidi-yün-bien, Lexikon der

geographischen Namen der jetzigen Dynastie; 4) Sehr unbedeu¬

tende Kärtchen der Provinzen des heutigen Reiches; 5) chronolo¬

gische Tabellen.

Durch die beiden ersten Ahtheilungen ein ausserordentlich

nützhches und zuverlässiges Werk für Ernirung historisch-geogra¬

phischer Namen.

Ausserdem habe ich eine Anzahl der zahlreichen topographisch¬

statistischen Beschreibungen einzelner Provinzen, Präfekturc^i und

Distrikte benutzt, von denen manche besondre Capitel über die

durch ihr Gebiet laufende Grenzmauer enthalten.

Es gereicht mir zum besondem Vergnügen meinen Dank für

die grosse Hülfe, die mir der Dragoman der Kaiserlich Deutschen

Gesandtschaft in Peking, Herr Arendt, in der Erlangung und Be¬

nutzung der chinesischen Quellen stets bereitwilligst gewährt hat,

hier auszusprechen. Auch Herm Dr. Bretschneider, Arzt der

Russischen Gesandtschaft in Peking, bin ich für den Aufschluss

der sonst sehr schwer zu beschaffenden Schätze der Russischen

Gesandtschaftsbibliothek zu sehr grossem Danke verpflichtet.

Anhang.

Chmesische auf die Grosse Mauer beziigliche Ausdriicke.

Der Volksname der Grossen Mauer ist Wan-li-tshang-tsheng,

10000 Li lange Peste. Die gewöhnliche Bezeichnung auf Karten,

in geographischen Werken u. s. w. ist bien-tsheng Grenzbefestigung ;

ferner bien-tshiang Grenzwall (oder -mauer); sai-tshiang (selten)

desgleichen; sai-yüan Grenzmauer, nicht vor der Mingdynastie in

Gebrauch. Tshang-tsh(tng „langer Wall", „lange Befestigung" ist

die gewöhnliche Benennung in den historischen Werken.

Tsheng ist jede Befestigung, sei sie Erdschanze, Steinwall,

Stein- oder Ziegelmauer. Tshiang und yüan scheinen vor¬

herrschend Mauer zu bedeuten; wenigstens habe ich sie nicht

auf Erdwälle angewendet gefunden, lei bedeutet ausschliesslich

(10)

84 von Möllendorff, die Grosse Mauer von China.

einen cyelopisch aufgehäuften Steinwall ; mir ist das Wort übrigens

mit Bezug auf die Grosse Mauer nur einmal aufgestossen.

Die Errichtung einer Befestigung heisst dshu , eigentlich

rammen, feststampfen, von Deichen und Erdwällen. Man hat daraus

den Schluss ziehen wollen (z. B. Hyacinth), dass die älteren An¬

lagen der Grossen Mauer Erdwälle gewesen sein müssten , weil

der stehende Ausdruck (ZsÄm - tshang-tshteg ist. Aber dshu wird

auch von sicheren Bauten, z.B. den Ziegelmauern der Ming-

Dynastie gebraucht und dshu-tsheng kann ebensowohl bedeuten

„einen Erdwall aufwerfen', „einen Steinwall errichten" oder „eine

Mauer bauen', und man kann aus dem Ausdruck allein, der, in

späterer Zeit wenigstens, seine ursprüngliche Bedeutung verloren

hat, nicht auf die Beschaffenheit einer „tsheng' schhessen. Aber

allerdings kann sich derselbe ursprünglich nur auf Erdwälle he¬

zogen haben und dürfte mit Bezug auf die frühesten Anlagen der

Grossen Mauer noch in seiner wörtlichen Bedeutung zu ver¬

stehen sein.

HI. Erste Anfänge unter der D s h o u dyn asti e im

4. und 3. Jahrhundert v. Chr.

Zur Zeit der Dshoudynastie 1122—255 v. Chr. hatte das

Reich einen weit geringeren Umfang als jetzt. Es bestand wesent¬

lich aus den Niedeningen der beiden grossen Ströme (Yang-dsy

und Huangho) nebst einem Theil der Bergländer des heutigen

Shansi und Dshyli; der Norden und Nordwesten waren in den

Händen von tatarischen oder tungusischen Völkern (Jung, Hu u. a.),

der Süden und Südwesten war von Ureinwohnern, Mandsy (von

denen die heutigen Miaudsy die Ueherreste sind) bewohnt. Die

Grenzen des Reiches waren vielfach streitig und fortwährend von

den Einfällen der Barbaren bedroht^"). Die Kaiser der Dshoudynastie, deren Stifter selbst Pürsten einer Provinz oder eines Lehnstaates

gewesen waren, hatten nur einen kleinen Theil des Reiches als

unmittelbare Domaine inne, der Rest des Landes war nach einem

entwickelten Peudalsystem an Grosse des Reiches als erblicher

Lehnbesitz vertheilt. Im 9. Jahrhundert v. Chr. fing die Macht

der Centrairegierung an zu sinken imd die Lehnsfürsten wurden

inuner mächtiger. Fehden der Vasallenstaaten unter einander

nahmen überhand und nur das gemeinsame Interesse des Schutzes

gegen die Barbaren vermochte die Einheit des Reiches aufrecht

zu erhalten. Gegen Ende der Dshoudynastie waren die Feudal¬

staaten, deren Herrsclier nunmehr den Titel Wang (König, Fürst)

sogut wie der Dshou-Herrscher, der Kaiser, führten, nur noch

nominell einer Centrairegierung unterworfen. Es würde zu weit

führen, hier die Decentralisation, die Machtentfaltung der Lehns-

l'ürsten und namentlich des von Tshin bis zur Gründung der

Tshindynastie zu schildern, es kann hierfür auf die Literatur ver¬

wiesen werden*").

(11)

von Möllendorff, die Grouse Mauer von China. 85

Uns interessiren hier drei der Vasallenstaaten, die gegen Ende

der Dshoudynastie zu grösserer Selhständigkeit gekommen waren:

Tshin, Dshau und Yen.

Das Fürstenthum Tshin umfasste ausser dem östlichen Theile

der heutigen Provinz Kansu den grössten Theil der Provinz Shensi

und Theile von Shansi. Oestlich daran stiess Dshou, dessen Ge¬

biet früher zu dem ca. 400 v. Chr. in drei Theile zerfallenen Peudal-

staat Dshin gehörte; nachdem weitere Territorien durch Zuräck-

drängen der Barbaren nach Norden gewonnen waren, umfasste es

das nördliche Shansi und Theile des heutigen Dshyli. Yen end¬

lich bestand aus dem südlichen Theil des heutigen Dshyli, etwa

bis Peking, mit später hinzueroberten Theilen im nördlichen Dshyli

und der SW. Mandschurei (Liaudung).

Diese Grenzstaaten, deren Herrscher Richthofen sehr glück¬

hch mit unsem Markgrafen vergleicht, hatten die Aufgabe, das

Reich gegen die feindlichen Einfälle der wilden Grenzvölker zu

schützen und zugleich die Herrschaft bis an die natürlichen Grenzen

auszubreiten. Während zu Anfang der Dshoudynastie die Bar¬

baren „noch fast überall eine drohende Stellung einnahmen, wo

ein Gebirge an das ebene Land grenzte" (Richthofen) . finden wir

gegen Ende derselben Dynastie grosse Strecken der Bergländer

von Shansi und Dshyli unter gesicherter chinesischer HeiTschaft.

Diese Erobemngen wurden längs der Nordgrenze , die vmgefähr

die natürliche war und die man fest zu behaupten gedachte, mit

der Anlage von Grenzbefestigungen gesichert.

Die Angaben der Historiker über diese ältesten Grenzwälle

sind leider nur kurz, namentlich was die geographische Lage der¬

selben anbelangt, und es bleibt trotz der sorgfältigsten Benutzung aller einschlagenden Quellen noch manches problematisch.

1. Grenze des Reiches Tshin.

„Die Fürstin Hsüan von Tshin bekriegte und unterwarf die

I-tshü-Barbaren ; dadurch erlangte Tshin die Präfekturen Lung-hsi,

Bei-di , Shang-dshün ; zur Abwehr der Hu-Barbaren wurde eine

lange Befestigung erbaut ")."

Schon seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. hatten die Kämpfe

gegen die Eingebornen und die allmähliche Vergrösserung von

Tshin begonnen. Die definitive Unterwerfung der Jung geschah

unter Dshau Wang, 305—250 v. Chr., um 300 v. Chr.«"). Diese

Jung waren vermuthlich ein sesshaftes Jägervolk, das theils ver¬

nichtet theils wie in andem Provinzen chinesirt wurde; an die

Unterwerfung der Hu, die als Steppennomaden geschildert werden

und jedenfalls ein Reitervolk waren , wagte man sich noch nicht,

sondern begnügte sich die gewonnene Grenze durch einen Wall

zu sichern.

Die magere Notiz über diesen Grenzwall schien die Pest¬

stellung seiner Lage sehr unsicher zu machen. Lumjhsi um-

1 1 *

(12)

86 von Möllendorff, die Grosse Mauer von China.

fasste das östliche Kansu (Gansu) und südwestliche Shensi , sein

Centraiort gleichen Namens lag in der Gegend des heutigen Gung-

tshang-fu. Beidi (Nordland) war in späterer Zeit der nordöst¬

liche Theil des östlichen Kansu (Ping-liang-fu, Tshing-yang-fu) bis

nach Ninghsia hin , reichte aber Anfangs nicht so weit nördlich •

Shang-dshün endlich , die dritte neue Präfekur von Tshin , ent¬

spricht dem nordöstlichen Theile vom heutigen Shensi und der

Hauptort gleichen Namens wird von den chinesischen Autoren in

die Gegend des heutigen Sui-de-dshou gesetzt. Hahen wir dem¬

gemäss die Grenze des Reiches Tshin in Ost-Kansu und Nord-Shensi

zu suchen, so drängt sich bei der Abwesenheit aller näheren

topographischen Angaben am natürlichsten der Gedanke auf, dass

die heutige Grosse Mauer von einer Seite der grossen Huangho-

Biegung zur andem schon von den Tshinfürsten angelegt worden

sei. Dies wird denn auch vielfach angenommen, zuletzt noch von

Richthofen, der auf der Karte zu p. 386 seines Werkes diese

Mauer um 300 v. Chr. erbaut sein lässt.

Von vornherein spricht dagegen, dass von der innerhalb der

Grossen Mauer gelegenen Gegend der nordwesthche Theil, die

heutigen Gebiete von Ning-hsia, Ling-dshou u. s. w. , bestimmt

erst unter der Tshindynastie (255—206) erobert wm'de, dass also

der westliche Theil der heutigen Grossen Mauer in Shensi

jedenfalls nicht Grenze des Reiches Tshin gewesen sein kann. Es

ist mir indessen ausserdem gelungen, aus den älteren Geographien

einen von der heutigen Mauer grösstentheils verschiedenen Ver¬

lauf des Tshin-Walles nachzuweisen.

Von den ältesten Quellen erwähnt das Shui-dshing (s. o.)

mehreremals «lange Wälle* (tshang-tsheng) in Shensi und Kansu,

die sich nur auf den Grenzwall des Pürstenthums Tshin beziehen

können. 1) ,Der Ho (Huangho) nimmt (rechts) den Gauping-tshuan

auf; derselbe kommt von den Bergen südlich von Gauping, fliesst

östlich bei Gauping vorbei, nimmt einen Fluss von Osten auf,

fliesst nach Norden und passirt die „Grosse Mauer' der Tshin.

Dieselbe befindet sich 15 li nördlich von Gauping**).*

Dieser Fluss ist der heutige Tshing-shui-ho , der oberhalb

Ling-dshou in den Huang-ho mündet, und das alte Gauping-hsien

ist das heutige Gu-i/üan-dshou nordwestlich von Ping-liang-fu

in Kansu.

2) Bei Besprechung der rechten Nebenflüsse des Huangho

auf der Ostseite der grossen Biegung, in Nordost-Shensi, erwähnt

dasselbe Werk die „Grosse Mauer* an verschiedenen Stellen**). Von

den beiden nördlichen, die hier Nanshui und Huan-shui heissen —

letzterer ist der heutige die Distriktsstadt Shen-nm-hsien passirende

Wulan muren — wird gesagt , dass sie , respektive ihre Zuflüsse,

die Grosse Mauer passiren , wie sie das noch heute thun. Das

deutet jedenfalls darauf hin , dass in ihrem nordöstlichsten Ende

die heutige Grosse Mauer von Shensi ganz oder nahezu dieselbe

1 1 *

(13)

von Möllendorff, die Grosse Mauer von China. 87

Lage hat, wie der älteste Grenzwall, obwohl die Stellen, wo jene

Plüsse die Mauer passirten, nicht genauer angegeben sind. —

Südlich vom heutigen Shenmu-hsien wird ein Distrikt Hung-men

(„rothes Thor") als an der „Grossen Mauer" gelegen angegeben.

Eine weitere Stelle spricht von einem Thore Tshiau-shan des

Grenzwalles, welches einer der Plüsse, die sich beim heutigen

Sui-de-dshou vereinigen, nämhch der Huai-ning-ho passirt. Der¬

selbe entspringt weit östlich von der heutigen Mauer.

Die Combination dieser Angaben des Shui-dshing ergiebt einen

Anfang im Nordosten von Shensi; der Wall lag indessen südlich

von Shenmuhsien nach Süden ab, passirte westhch von Suidedshou

und verlief dann westsüdwestlich bis Gu-jdian und wohl westlich

darnber hinaus. Mit Ausnahme des nordöstlichsten Endes kann

daher die heutige Grosse Mauer in Shensi mit dem Grenzwalle

von Tshin nichts gemein haben.

Diese Richtung bestätigen emige archäologische Notizen

späterer Werke überraschend genau. Nach der Reichsgeographie

der Ming war im 15. Jahrhundert ein alter Wall, den das Werk

den Tshin zuschreibt, nördlich von Kai-tshßng-bsien noch vor¬

handen **). Kai-tsheng-hsien der Ming ist das heutige Gu-yüan-

dshou oder Gau-ping-hsien der Han; die Stelle also dieseihe, wo

das Shuidshing den WaU erwähnt.

Dasselbe Werk giebt femer an, dass der „lange Wall* der

Tshin 3 Li nördlich von Huanhsien noch existirte*"). Der Ort, nord¬

westlich von Tshing-yang-fu in Kansu gelegen, liegt ostnordöstlich

von Gu-yüan-dshou , also genau in der Linie, die wir dem Wall

oben zuschrieben.

Das Tai-ping-huan-yü-dshi aus dem 10. Jahrhundert n. Chr.

erwähnt, dass der Wall der Tshin in Ning-so-hsien noch vorhanden

war. Dies Ning-so-hsien lag südlich oder südsüdöstlich vom heu¬

tigen Yü-lin-fu in Shensi. Nach demselben Werke gab es noch

Spuren des alten Walles bei Sui-d6-dshou, was ebenfalls zu der

von uns angenommenen Grenze passt; nur ist die angegebene

Distanz — 15 Li westlich — etwas zu nahe. Die Angabe könnte

indessen auf einem Schreibfehler beruhen.

Schliesslich fand ich noch in der Beschreibung von Shensi *')

eine Stelle , die sich ebenfalls nur auf die Grenze des Reiches

Tshin beziehen kann. „Hundert Li nördlich von Lung-hsi-hsien

giebt es in den nördlichen Bergen von Wu-lung-gou (Schwarz¬

drachenschlucht) Reste und Spuren eines Walles, welche über

Bergkämme laufen und die Thäler durchsetzen ; ihre Erde (Lehm)

ist schwarz (dunkel) und es sieht'aus als wenn sich ein schwarzer

Drache krümme und winde. Das Volk nennt das Gebirge „tshang-

tsh6ng-ling* „das Gebirge des langen Walles.*

Da Lnmcf-lisi-hsim der erste Distrikt von Gung-tshang-fu.

ist**), so haben wir jenes Gebirge nördlich von Gung-tshang-fu zu

suchen und erhalten somit eine Stelle südwestlich von Gu-yüen-

(14)

88 vou Möllendorff', die Grosse Mazier voti China.

dshou, welche, mit den schon fixirten Punkten verbunden, die

Fortsetzung der Grenze des Tshin-Reiches bis zum obem Thale

des Tauflusses wahrscheinlich macht.

Fassen wir das oben gesagte zusammen, so erhalten wir

einen östlichen Anfang des Grenzwalles am Huangho in der Nord¬

ostecke des heutigen Shensi, welcher mit der heutigen Grossen

Mauer identisch gewesen sein kann; in der Folge bog die Grenz¬

linie jedoch nach Süden ab und nahm erst westhch von Sui-de-

dshou eine westsüdwestliche Richtung, die sie über Huanhsien

und Gu-yüan-dshou beibehielt, um schhesslich nach Südwesten

nach dem obem Tau-ho-Thale zuzulaufen.

Dieser erste Grenzwall dürfte ein blosser Erdwall gewesen sein;

einmal spricht die eine Stelle (Anm. 37) ausdrücklich von einem

solchen, und dann ist die Errichtung gemauerter Bauten in jener

Vorzeit ausserordentlich unwahrscheinlich. Die späteren Autoren

würden es sicherlich hervorheben, wenn die von ihnen beschriebenen

Reste Mauern gewesen wären. Uebrigens besteht die modeme

„Grosse Mauer" der Ming grade in dieser Gegend nach P. Gerbillon nur aus Erdwällen.

2. Der Grenztpoll des Fiirstenthums Dshau.

,Der Fürst Wuling von Dshau unterwarf im Norden die

Liuhu und Loufan und baute einen Grenzwall; von Dai am Fusse

des Yinshan entlang bis Gautshüe lief die Grenze. Auch en-ichtete er die Präfekturen Yün-dshung, Yenmen und Dai ''■')."

Auch diese Angabe über die Anlage eines nördlichen Grenz¬

walls für das Fürstenthum Dshau ist recht dürftig, doch giebt

sie von vomherein bestimmtere topogi'aphische Angaben.

Die anfängliche Nordgrenze von Dshau war wenig nördlich

vom heutigen Tai-yuen-fu; denn die Sitze der Loufan vor ihrer

Unterwerfung werden von den chinesischen Autoren in die Gegend

nördlich von der heutigen Provinzialhauptstadt verlegt. Nun finden

wir in Nordshansi nahe der Grossen Mauer ein Dai(-dshou) und

Yen-men; es liegt also sehr nahe die Grosse Mauer in Shansi als

ursprünglich von Fürst Wuling angelegt anzusehen, wie es Ricbt¬

hofen z. B. thut. Aber welche der beiden durch Shansi laufen¬

den Linien sollte es gewesen sein? Das heutige Daidshou liegt

innerhalb der innern Mauer; Yen-men-guan ist ein Thor der

innern Mauer, letztere wäre also die wahrscheinlichere. Aber was

fangen wir dann mit dem Yinshan, der sicher nicht innerhalb der

heutigen Mauer lag, an? Derselbe ist zweifellos die noch heute

sogenannte Gebirgskette nördlich und nordöstlich von der grossen

Biegung des Huangho.

Die Uebereinstimmung des heutigen Dai(-dshou) in Shansi^

mit dem alten Dai(-dshün) ist eine zufäUige. Die östhchste den

neuen Präfekturen, die in dem eroberten Gebiete angelegt wurden, j

Uai, lag im nordwesthchen Theil der Provinz Dshyh, im heutigenj

(15)

von Möllendorff, die Grosse Mauer von China. 89

Distrikt Yü-dshou *"). Hier ist also das Ostende des Walles zu

suchen.

Das Westende desselben Gantshüe ist für die Richtung und

Ausdehnung der Grenze von Dshau entscheidend. Wylie sucht

es in Kansu, während Richthofen den Platz ganz übergeht und

den Wall von Dshau einfach nach Shansi setzt*'). Nun ist aber

die Lage von Gau-tshüe ziemlich genau zu präcisiren. In den

Kriegen gegen die Barbaren in den folgenden Jahrhunderten (Dy¬

nastien Tshin und Hau) wird der Platz öfters erwähnt ; immer ist

deutlich gesagt, dass er nördlich von der grossen Biegung des

Huangho im (oder am) Yinshan gelegen war. Am genausten aber

sind die Angaben des Shui-dshing über diesen Punkt, und über

den Yinshan und die Gegend zwischen letzterem und dem Huangho

überhaupt * 2). Danach war Gautshüe eine Art Felsenthor oder Eng¬

pass am westlichen Ausläufer des Yinshan nahe der Nordwestecke

der Grossen Huangho-Biegung. Dazu stimmt die Angabe der

Reichsgeographie , wonach es im Gebiet Wu-la-te (Urat) im west¬

lichen Yinshan lag. Seinen Namen „Hohe Pforte" hatte es von

zwei Warten ähnlichen Felsen, die ein Thor bildeten. Es war

der Schlüssel zu dem zwischen Yinshan und Huangho gelegenen

Lande, um dessen Besitz sich in den folgenden Jahrhunderten

Chinesen und Barbaren fortwährend bekämpften. Die Passage

war durch eine Festung (shu) vertheidigt und bildete den An¬

fang des Grenzwalles; es dürfte mit dem westlichen Vorsprung

des Yinshan, Mona der Mongolen identisch sein*').

Der Wall fing also am Huangho und dem westlichen Aus¬

läufer des Yinshan an, verlief längs dem Yinshan und über seine

Ausläufer bis in die Gegend der heutigen Stadt Gui-hua-tsheng

im extramuralen Shansi. In letzterer Gegend waren im 4. oder

5. Jahrhundert n. Chr. noch Reste des Walles vorhanden, die das

Shui-dshing ausdrücklich für die Anlage des Reiches Dshau in

Anspruch nimmt.

Für den weiteren Verlauf der Grenze haben wir als Anhalt

zunächst nur die Namen der neugegründeten Präfekturen. Yün-

dshung, dessen Hauptort in dem Gebiet von Gui-hua-tsheng nord¬

östlich von der Nordostecke der Grossen Huanghobiegung lag,

umfasste wahrscheinlich das ganze Land zwischen Huangho und

Yinshan. Yen-men war Nordwest-Shansi im heutigen Sinne, d. h.

mit Einsehluss des extramuralen Theils ; der Hauptort lag im öst¬

lichen Theile des Gebiets von So-ping-fu in Shansi. Die Lage

von Dai ist oben besprochen worden**). Um also vom Ginshan

nach Dai, d. h. in die Gegend des heutigen Yüdshou in Dshyli

zu gelangen, musste der Wall von Guihua-tsheng ab nach Süd¬

osten biegen , die heutige Mauer diagonal durchschneiden , etwa

beim heutigen Da-tung-fu passiren und etwa an dem Gebirgszuge,

den Richthofen die Nankou-Kette nennt, endigen.

Dass in späteren Jahrhunderten noch Reste dieses Grenzwalles

(16)

90 von Möllendorff", die Grosse Mauer vou China.

von Dshau oder, wie wir später sehen werden, wahrscheinlich

seiner Wiederherstellung durch Kaiser Shy-huang-di vorhanden

waren, beweisen nachfolgende Stellen.

Die Reichsgeographie der Mingdynastie giebt an, dass im

alten Feng-dshou der Grenzwall von Gau-tshüe lag, der mit der

Anlage von Dshau Wuling Wang identificirt wird*'). Die Präfektur

Feng-dshou der Tangdynastie, die hier gemeint ist, lag in der

Nordwestecke der Grossen Huanghobiegung im heutigen Ordos-

Gebiet, griff aber auf die hnke Seite des Huangho hinüber, so

dass sie die Stelle, wo wir Gautshüe zu suchen haben, mit

einscbloss.

Andre Stellen, die sich auf den Grenzwall von Dshau in

seinem Verlauf durch Nordshansi beziehen könnten, übergehen wir

hier, da es nicht klar ist, ob sie auf diese älteste oder eine

spätere Periode Bezug haben.

Für das Ehde des Dshau-Walles glaube ich die Reste eines

uralten Steinwalles in den Gebirgen westlich von Peking in An¬

spruch nehmen zu können. Nachdem ich auf einem Ausflug nach

dem Bohuashan bei Peking bereits von den Chinesen dort gehört

hatte, dass westlich von dort , ausser der Grossen Mauer etwa eine

Tagereise von derselben noch eine uralte Befestigung hoch ohen

auf dem Gebirge existire, hat mein Freund Hancock 1876 die¬

selbe wirklich entdeckt; 1879 war es mir möglich diesen Wall

an derselben Stelle oder nicht weit davon, wo Hancock ihn be¬

sichtigt, zu untersuchen. Auf einem Kamm von 2100 Meter Meeres¬

höhe in ca. 115» 10' östl L. und 39" 58' n. Br. läuft ein Wall

von ca. 15 Fuss Breite und durchschnittlich 4 Fuss Höhe aus

losen Steinen und Blöcken; er war bis über die nächsten Berg¬

kuppen auf beiden Seiten zu verfolgen und machte den Eindruck

überaus hohen Alters. Das Gebirge fällt steil nach Norden ab

in die Hochebene von Tauhua, welche ihrerseits sich mit der von

Yü-dshou verbindet. Da die alte Stadt Dai ebenfalls in dieser

Hochebene lag , so ist die Annahme , dass in diesem alten Stein¬

wall die Grenze des Fürstenthums Dshau zu suchen sei, gewiss

sehr einleuchtend. Nordöstlich von Tauhua zieht sich quer durch

das Randgebirge der Hochebene eine Reihe von verfallenen Warten

aus Löss, die recht wohl die Fortsetzung des Walles andeuten

könnten.

3. Der Grenzwall des Fiirstenthums Yen.

„Der Feldherr von Yen, Tshin Kai, besiegte die Dung Hu,

„so dass sich dieselben über 1000 Li weit zurückzogen. Yen

„erbaute einen Grenzwall von Dsauyang bis Hsiang-ping. Es wur-

„den zur Abwehr der Hu die Präfekturen (dshün) Shang-gu, Yü-

„yang, Yu-bei-ping, Liau-hsi und Liaudung errichtet**).'

Wie erwäbnt, bestiind Yen wesentlich aus der Ebene des

südlichen. Dshyli, während der nördliche Theil der Ebene (Peking)

(17)

vail Möllendorf, die Grosse Mauer von China. 91

und das Bergland noch in den Händen der Hu-Barharen und

zwar des Stammes der „östlichen Hu" war. Der glückliche Feld¬

zug des Tshin Kai, um 300 v. Chr., drängte die Wilden in die

nördlichen Gehirge zurück und das ganze Flachland von Dshyli

und die südhche Mandschurei wurde dem Fürstenthum einverleibt.

Wir haben somit die neuen Bezirke und den Grenzwall längs der

Gebirge nördlich und nordöstlich von der Provinz Dshyli zu

suchen.

Als specielleren Anhalt haben wir femer die Angaben des west¬

lichen und östlichen Endpunktes des Grenzwalles. Der westliche,

Dsauyang, lag nach den chinesischen Autoren im nordwestlichen

Dshyli und zwar nahe dem Dai (Daidshün) des Reiches Dshau

(v. s.); der Ort (oder Distrikt) gehörte zur Präfektur Shavg-gu,

deren Mittelpunkt in der Gegend des Nankou-Passes gelegen zu

haben scheint. In späterer Zeit muss freilich das Gebiet von

Shang-gu sich weiter ausgedehnt und vermuthlich das ganze obere

Hunhothal mit seinen Nebenthälern umfasst haben. Jedenfalls ist

es aber wahrscheinlich, dass es in der ältesten Zeit mit der Nan-

koukette nach Nordwesten abschloss*').

Die andem Präfekturen sind von den chinesischen Autoren

ziemlich sicher bestimmt. Yü-yang wird identificirt mit Theilen

des Distrikts Mi-yün-hsien nordöstlich von Peking. Yu-hei-jdng

lag nach dem Li-dai-di-li-dshy 400 Li nordöstlich von Yung-ping-fu also ausserhalb der jetzigen Grossen Mauer an den „Pallisaden".

Liauhsi und Liaudumj waren, wie der Name besagt, die Land¬

striche westlich (hsi) und östlich (dung) vom Unterlauf des

Flusses Liau in der südwestlichen Mandschurei. Das Ende des

Walles Hsiarujidmj lag im heutigen Bezirk Liau-yang-dshou und

zwar sollten nach einem Werke des vorigen Jahrhunderts die

Spuren der alten Stadt 70 Li nördlich von Liauyang noch vor¬

handen sein.

Haben wir also den Grenzwall von Yen an der Grenze des

Gebirgslandes zu suchen, so stimmt die Richtung der heutigen

Grossen Mauer nur theilweise. Die Mauer östlich und westlich

von Gu-bei-kou (die Himmelsrichtungen ganz allgemein genommen,

ohne Rücksicht auf Biegungen), westlich bis an die Abzweigung

der äussern Mauer, östhch etwa bis zur Länge von 118" 30'

könnte wohl der Richtung nach mit dem Yenwalle übereinstimmen ;

dafür spricht das übereinstimmend angenommene hohe Alter der

Pforte Gubeikou, deren militärisch wichtige Lage am Eingang des

Berglandes es wahrscheinlich macht, dass hier schon in grauer

Vorzeit die Grenze war. Im Westen muss das Yenreich mit einer

der heutigen innern Mauer nahen Grenzlinie abgeschlossen haben,

wie dies schon aus der besprochenen Lage von Dsauyang und

Shang-gu hervorgeht. Ob der Wall grade mit der heutigen Mauer

dieselbe Richtung hatte, steht dahin; zweilellos lag der Nankou¬

pass in der Grenze. Dass derselbe schon in ältester Zeit befestigt

(18)

92 von Möllendorff', die Grosse Mauer von China.

gewesen, ist verbürgt. Die erste Erwähnung der Hauptbarrifere

des Passes, Dshü-yung - gvmi , nach der der Nankoupass heute

noch Guan-gou heisst, wird dem Natui-philosophen Huainan-dsy

(t 122 V. Chr.) zugeschrieben und das schon citirte Shui-dshing,

ein geographisches Werk des 3. Jahrhunderts n. Chr., spricht bei

Beschreibung des Nankoupasses von dem alten Thor und ZoU-

barrifere \onDshü-yung, erwähnt auch einen alten Wall daselbst'*).

Ob der Wall etwa am Durchbruch des Hunho durch die

„Nankou-Kette" aufhörte oder noch jenseits des Hunho den An¬

schluss an den Wall von Dshau erreichte, lässt sich nicht er¬

mitteln.

Haben wir demnach für den westlichen Theil der Grenze

von Yen die Wahrscheinhchkeit, dass sie mit Theilen der „innem

Mauer" und von der Vereinigung der heutigen Mauem nach Osten

mit der heutigen Grossen Mauer gleichlaufend war, so ist hin¬

gegen die östliche Hälfte zweifellos von dem Verlauf der jetzigen

Grossen Mauer verschieden gewesen. Etwa vom 119. Längengrade

ab musste die Grenze, um die genannte Präfektur Yu-bei-ptng

einzuschliessen, statt in der heutigen Richtung auf Shan-hai-guan

zu verlaufen, nach Nordosten ausbiegen, den Liau in seinem

Mittellauf übersetzen und einen Bogen nach Osten und Südosten

machen, um in der östlichen Mandschurei nahe der Grenze von

Korea zu endigen.

Dies giebt uns ziemlich nahe die Richtung der sogenannten

Pallisaden in der Mandschurei. Was dieselben anbelangt , so

existiren sie nur noch nominell (hauptsächlich als breiter Strich

auf unsem Karten!) und neuere Reisende, wie Williamson, haben

nachgewiesen , dass eigentlich nur noch einige der Thore erhalten

sind. Ueber ihre Anlage ist mir nichts in chinesischen Werken

auffindbar gewesen. Bei dem zähen Pesthalten der Chinesen an

Traditionen wäre es nicht unmöglich, dass sie die Stelle der alten

Grenze einnehmen, zumal sie für eine grosse Strecke die natür¬

liche Wasserscheidengrenze entlang laufen.

Dass in der südlichen Mandschurei ein Grenzwall errichtet

wurde, bezeugen spätere Werke, z. B. die Reichsgeographie der

Mingdynastie, welche angiebt, dass in Liaudung, welches zur Zeit

der Ming ein Militärbezirk war und die ganze südliche Mandschurei

umfasste, noch auf eine Strecke von 1000 Li der alte Grenzwah

vorhanden war*^).

IV. Der Grenzwall der Tshindynastie und sein

Schicksal in den folgenden Jahrhunderten bis

zum 5. Jahrhundert n. Chr.

Der Verlauf der Kämpfe zwischen den Fürsten von Tshin

und den so gut wie selbständig gewordenen Vasallenstaaten bis

zum Stuize der Dshoudynastie, den wir schou oben andeuteten,

(19)

von Möllendorff', die Grosse Mauer von China. 93

ist in der Literatur mehrfach hehandelt worden; am klarsten und

bedeutendsten schildert die historischen Verhältnisse dieser Periode

■Richthofen. Als das Reich unter einem Scepter vereinigt war, als

Pürst Dheng von Tshin das erste einige Kaiserreich gegründet —

bing-tien-hsia „Vereinigung des Lands unter dem Himmel' nennen

es die Chinesen — und sich den stolzen Titel Shy-huang-di, Prin¬

ceps Imperator, statt des alten Wang, König, beigelegt hatte,

wandte er seine Aufmerksamkeit der äusseren Politik zu. Er

entsandte bedeutende Heeresmassen gegen die Barbarenhorden,

welche in den Wirren der innem Fehden in Shensi und Shansi

eingedmngen waren. Statt der Jung und Hu der früheren Jahr¬

hunderte waren es jetzt die Hsiung-nu, welche das Land in der

grossen Biegung des Huang-ho und das nordwestliche Shansi über¬

schwemmten. Es gelang den chinesischen Heeren, namenthch

unter Führang des Feldherrn M6ng-tien , die Hsiungnu zurück¬

zudrängen und das Land in der Huang-ho-Biegung (Ho-nan-di oder

Ho-tau, Theile von Kansu und Shensi und das Land der Ordos

umfassend) zu eroberen. Um die neue Grenze zu befestigen,

führte der Kaiser den^ gigantischen Plan aus, dieselbe mit einem

Walle zu bezeichnen, der von Ost-Kansu bis zum Golf von Liau¬

dung lief Jedoch begnügte er sich nicht damit, sondern colonisirte

das neue Gebiet, namentlich am Huang-ho, mit Exilirten imd legte

Städte imd Strassen an.

Nach den ältesten Quellen '") hatte Shyhuangdi im 33. Jahre

seiner Regierang, 214 v. Chr., die Hsiungnu aus dem Gebiet Ho-

tau gänzlich vertrieben ; die Heere unter Meng-tien eroberten dann

weiter die Gegend nördlich vom Huang-ho bis an den Yinshan.

Es wurde das neu eroberte Land mit den in Folge der Bürger¬

kriege zahlreichen politischen Verbrechern besiedelt, ausserdem

mit Militärkolonien besetzt, und 34 Distriktsstädte (hsien) wurden

gegründet. .Von Dshiu-yüan nach Ling-yang wurde eine Strasse

von 1800 Li Länge gebaut. Zugleich wurde eine Grenzbefestigung

von über 10,000 Li Länge von Lintau bis zum Meere in Liaudung

errichtet.

Von topographischen Einzelheiten wird nur erwähnt, dass

der Wall auch nördlich vom Huangho bis zum Yinshan und durch

das Gebiet von Bei-dshia lief Es heisst weiter: i-ho-wei-gu,

„der Huang-ho wurde als Vertheidigungsmittel benutzt', was viel¬

leicht dahin zu deuten ist, dass am Huang-ho keine Befestigung

angelegt wurde. Ferner wird ausdrücklich erwähnt, dass die

natürlichen Vertheidigungsmittel, wie hohe Bergketten, Pelsen-

kämme, Abgründe benutzt und verbessert wurden, was kaum

anders zu verstehen ist, als dass Befestigungen nur an offenen

nicht natürhch geschützten Stellen angelegt wurden.

Von den in europäischen Werken, z. B. bei Martini und Du

Halde, häufig citirten Angaben über Dimensionen und Pestig¬

keit der' Mauer — denn als solche wird sie meist hingestellt —

(20)

94 von Möllendorff, die Grosse Mauer dou China.

Über das Versenken von mit Eisen beladenen Schiffen im Golf

von Liaudung zur Grundlage für das ins Meer verlaufende Ende

der Mauer habe ich in den mir zugänglichen chinesischen Quellen

nichts finden können; auch das Tung-dshien kangmu wiederholt

nur die Angaben der älteren Autoren in abgekürzter Form. Es

werden jene Legenden sich in spätere Geschicbtswerke einge-

schhchen haben, nachdem das Werk des Grenzwalls selbst ver¬

fallen war und nur noch in der Sage existirte.

Soweit sich die Richtung des Grenzwalles nach den gegehenen

Andeutungen mit Bestimmtheit feststellen lässt, erhalten wir eine

von den heutigen Mauern fast durchweg verschiedene Grenze.

Der Anfangspunkt Lintau wird von den chinesischen Commen¬

tatoren einstimmig mit dem heutigen Mindshou in Kansu, am

Oberlauf des Tau-Flusses südhch von Landshoufu, identificirt; das

ist um so wahrscheinlicher richtig, als der Name Lintau die Lage

am Flusse Tau andeutet. Der Wall dürfte von dort in nördlicher

Richtung auf die Ecke des Huangho bei Landshoufu zu, dem

Laufe des Tau ganz oder zum Theil folgend, aufgeführt ge¬

wesen sein.

Damit ist eine ziemhch lange Strecke gegeben, die mit keiner

der heutigen Mauem übereinstimmt, und zugleich das ganze west¬

liche Ende der heutigen Mauer von Landshoufu bis Dshia-yü-guan

als nicht von der Tshindynastie herrührend ausgeschlossen.

Schwieriger ist der weitere Verlauf der Grenze zu bestimmen.

Wie oben erwähnt, deutet ein allerdings sehr gedrängter Passus

der Quellen (i-ho-wei-gu) darauf hin, dass für das Gebiet Hofau

der Huangho selbst die Grenzbefestigung bildete, dass also dort

kein Wall errichtet wurde. Dafür spricht auch die ausdrückliche

Angabe, dass das ganze innerhalb der grossen Biegung gelegene

Gebiet erobert wurde. Auf der andem Seite spricht dagegen, dass

weder aus der Tshindynastie noch aus den folgenden Zeiten

Distriktsnamen oder sonstige Angaben existiren die darauf hin¬

deuten, dass die Ordossteppe in den Bereich der chinesischen Ad¬

ministration gezogen worden. Zur Zeit der Tshin lagen im Hofau

zwei Präfekturen (dshün) : Bei-di , entsprechend dem heutigen

Tshing-yang-fu in NO. Kansu und Shang-dshün, das heutige Nord-

Shensi. Daraus könnte man eher sehliessen, dass die Grenze die

natürhche des Berglandes gegen die Steppe gewesen sei; also von

der Gegend des heutigen Ning-hsia ab quer auf die NO.-ecke der

Biegung gelaufen sei. Dass die Grenze und der Grenzwall, wie

die heutige Mauer in Shensi, sich erstreckt habe, ist nicht anzu¬

nehmen, weil die Fortsetzung des Walles jenseits des Huangho

sich keinen Falls an das Ende der heutigen Mauer in NO.-Shensi

anschloss. Denn eine bedeutende Präfektur, Dshiu-yüan, welche

oben als Endpunkt einer grossen Strasse erwähnt wurde, lag nörd¬

lich von der grossen Biegung und reichte bis westlich über den

110" Längengrad (Greenwich) und würde ebenso wie die Gebiete

(21)

uon Möllendorff, die Grouse Mawr z'on China. 95

von Beidshia und Yündshung zwischen Yinshan und Huangho

ausserhalb des Grenzwalles gelegen haben. Das ist aber um so

weniger denkbar, als auf die Eroberung des Landes nördhch vom

Huangho bis an den Yinshan besonderes Gewicht gelegt wird.

Es muss danach diese Frage noch olfen bleiben; eine Lösung

wäre die , dass eine doppelte Linie bestanden hätte , einmal quer

durch das Ho-tau, die dann aber nicht die heutige Mauer, sondern

die des Tshinreiches , wie oben gezeigt etwas südhch davon,

gewesen wäre, und eine äussere am Yinshan, wie die des Fürsten¬

thums Dshau, welche zwei Linien sich in Shansi vereinigt haben

könnten. Ein bestimmter Anhalt dafür hegt aber nicht vor. Wir

nehmen lieber an, dass von Landshoufu den Huangho entlang bis

an die Nordwestecke der Grossen Biegung, da wo der Fluss sich

in Arme spaltet, kein Wall gebaut, sondem hier auf den Schutz

des Flusses und der Unwirthlichkeit seines linken Ufers ver¬

traut wurde.

Von der Spaltung des gelben Flusses in Arme an können

wir mit Sicherheit schhessen, dass der Wall des Fürstenthums

Dshau benutzt und wiederhergestellt wurde, und gilt alles oben über

denselben Gesagte auch von dem Wall des Shyhuangdi. Ganz

besonders können wir auf die Stellen des Shui-dshing (Anm. 42) ver¬

weisen. Das Tshinreich hatte das heutige Land Urat seiner Admi¬

nistration einverleibt; dasselbe bildete die Präfektur Wuyüau, deren

Hauptstadt gleichen Namens die Reichsgeographie ausdrücklich in

das Land der Urat-Mongolen setzt. An diese Präfektur schlössen sich

östlich Yün-dshung, Yenmen und Dai, wie im Pürstenthum Dshau.

Ueber den weiteren Verlauf der Grenze fehlen alle Detailangaben;

dass dieselbe mit der des Pürstenthums Yen identisch war, ist

höchst wahrscheinlich, da die Namen der Präfekturen längs der

Grenze genau dieselben sind wie die vom Pürstenthum Yen er¬

richteten. Als das Ende der Mauer wird Liaudung angegeben,

welches, wie der Name besagt, gleich der gleichnamigen Präfektur

von Yen östlich vom Liauflusse lag. Die Grenze konnte daher

nicht wie die heutige Mauer in Shanhai-guan endigen , sondem

musste einen Theil der südlichen Mandschurei einschliessen.

Eine sehr entlegene Quelle, auf die ich zufälhg stiess, giebt

das Ende des Walles ziemlich genau an. Im Kapitel „Geographie"

der Annalen der Dynastie Dshin (265—420 n. Chr.) wird unter

Provinz Yü-dshou, Präfektur Liau-dung beim Distrikt Dsho-tsheng

erwähnt: „hier war der Ausgangspunkt des von (der Dynastie)

Tshin errichteten langen Walles" *'). Dieses Dsho-tshen-hsien setzt das Li-dai-di-li-dshy in die Präfektur Ping-hsiang-fu im nordwest¬

lichen Korea. Der Grenzwall hätte danach bis nach Korea hinein¬

gereicht , was nicht unwahrscheinlich ist , da die alte Präfektur

Liaudung Theile vom heutigen Korea eingeschlossen zu haben

scheint. Auch die Bestimmung des Endes vom Yen-Walle, die

wir oben.gesehen haben, bei Hsiang-ping widerspricht nicht, da

(22)

96 von Möllehclorf, die Grosse Mauer von. China.

ynr nur den Ort Hsiang-ping, nicht den Umfang der gleichnamigen

Präfektur hestimmen können, der Text aber ebenso gut die letztere

meinen kann. Auch könnte ja Shy-huang-di den Yen-Wall nach

Osten verlängert haben.

Für diesen Verlauf des Grenzwalles von Shy-huang-di haben

wir einige weitere bestätigende einheimische Nachrichten. Für

den Anfang hei Min-dshou, dem Lintau der Tshindynastie, giebt

ein Autor der Tangdynastie an, dass der alte Wall 12 Li west¬

lich von Mindshou noch vorhanden war, und das Tai-ping-huan-

yü-dshi und die Reichsgeographie der Mingdynastie bestätigen

diese Angabe.

Die Reichsgeographie der Ming erwähnt femer eine alte

„Grosse Mauer« (tshang-tshgng) nördlich von Lin-tau-fu. Lintaufa

der Ming entspricht dem heutigen Tau-dshou am Tauho südlich

von Landshoufii.

Femer nehmen wir, wie erwähnt, die Reste des -DaAaw- Walles,

wie sie von Gautshüe und Bodau am Yinshan im Shuidshing

notirt werden, auch für den Wall von Shy-huang-di in Anspruch.

Die Verbindung zwischen den Wällen von Dshau und Yen, wenn

sie nicht schon bestand, dürfte in der sogenannten Nankou-Kette

in der Nähe des von mir oben beschriebenen Steinwalles her¬

gestellt worden sein. Der Verlauf des Yen-Walles durch Dshyh

und die Mandschurei bis Liaudung war jedenfalls auch der der

Grenze zur Zeit des Shy-huang-di, deren Ende ausdrücklich nach

dem Osten der Mandschurei gesetzt wird.

Wir erhalten somit alles in allem eine von der heutigen

Grossen Mauer fast durchweg verschiedene Grenze. Eine Mög¬

lichkeit der Identität des Grenzwalles von 214 v. Chr. mit Theilen

der heutigen Mauer liegt üherhaupt nur für die durch die heutige

Provinz Dshyli laufende Strecke, etwa vom Nankoupass bis nörd¬

lich von Yung-ping-fu, vor, ohne dass auch hier ein bestimmter

Anhalt dafür vorhanden wäre. Der ganze übrige Verlauf im

Westen wie im Osten war von der heutigen Grossen Mauer

durchaus verschieden.

Wir haben also die Idee, in der heutigen Grossen

Mauer Bauten der Tshin-Dynastie oder Reste von

solchen zu sehen, gänzlich aufzugeben, ganz abgesehen

von der Beschaffenheit oder möglichen Dauerhaftigkeit, aus dem

einfachen Grunde, weil die geographische Lage beider eine Iden¬

tität nur an einzelnen Stellen zulässt.

Es mag auffallend erscheinen, dass kein chinesischer Autor

zu dem Schluss gekommen sein sollte, dass der Grenzwall des

Shyhuangdi nicht mit der heutigen Mauer identisch gewesen sein

kann, und wird man deshalb die obigen im einzelnen noch hie

nnd da hypothetischen Folgerangen mit Misstrauen aufnehmen.

Es ist aher nicht chinesische Art, alte Ueberliefernngen selbst aus

naheliegenden Gründen umzustossen. Dass das Riesenwerk der

(23)

pon Möllendorff, die Grosse Mauer von China. 97

Grossen Mauer, auf das die Chinesen mit Recht stolz sind, aus

der 2sÄtwdynastie stamme, und durch zwei Jahrhunderte bestanden

habe , wird von vomherein als feststehend angenommen und alle

Quellenangaben werden von diesem Gesichtspunkt geprüft und oft

gezwungen auf diese Theorie hin erklärt. Von Benutzung topo¬

graphischer Verhältnisse ist bei chinesischen Historikern kaum

die Rede, wenigstens nicht von exakter. Der Mangel an üeber¬

einstimmung in den topographischen Angaben in den alten Quellen

mit der Lage der heutigen Mauem ist wohl einzelnen aufgefallen,

aber nicht wagend, an der bestehenden Tradition zu rütteln, ver¬

suchen sie dann eine gezwungene Erklärung, oft ohne Grund eine

Quelle für irrig erklärend, weil sie nicht zu der landläufigen

Annahme passt. Macht man sich einmal von dem Gedanken los,

die Lage der alten Grenzwälle in der heutigen Mauer suchen zu

müssen, so sind in den alten Angaben wohl Lücken und Ündeut¬

lichkeiten, aber keine Widersprüche zu finden.

Ein Autor, z. B. der Verfasser des Kapitels über die Grenz¬

mauer (sai-yüan-dshy) in der Beschreibung der Präfektur Hsüan-

hua-fu, schreibt sehr verständig über die Schwierigkeit die alten

Angaben auf die jetzige Mauer zu beziehen; er kommt zum rich¬

tigen Schluss , dass die äussere Mauer von N. von Peking über

Du-shy-kou und Kaigan nach dem Huangho nicht aus der Tshin¬

dynastie stammen könne ; fährt aber dann irrig fort, folglich müsse

die innere Mauer die der Tshindynastie sein. Dass dies nach

den Angaben über die Grenze in Nordshansi am Ymshan eben¬

falls unmöglich ist, haben wir oben gesehen.

Was über die Beschafl'enheit der Anlagen der Grenzstaaten

Tshin , Dshau mid Yen oben gesagt worden , muss auch für die

Grenzbefestigung des Kaisers Shy-huang-di gelten.

Es war ein Wall aus Steinen und Erde (Lehm, Löss), je

nach dem Verlauf auf Gebirgskämmen oder in der Ebene. Während

dies einmal daraus geschlossen werden kann, dass für einen grossen

Theil die Wälle der Pürstenthümer Dshau und Yen benutzt wur¬

den, für deren primitive Beschaffenheit wir oben theils innere

Gründe , theils direkte Quellenangaben anführten , so weisen auch

Stellen späterer chinesischer Autoren darauf hin. So sagt eine

unten noch anzuführende Stelle der Reichsgeographie der Ming¬

dynastie von einem alten Wall: die Parbe des zum Bau ver¬

wandten Lehms ist braun, daher der Name „brauner Grenzwall".

Gegen eine Mauer spricht von vornherein, dass jener Periode

eine so hohe Cultur, wie Erbauung von massiven Mauern unter

den schwierigsten Terrainverhältnissen sie voraussetzt, schwerlich

zugeschrieben werden kann, dass die gesammte Anlage in verhält¬

nissmässig kurzer Zeit hergestellt wurde, und dass, wie wir unten

sehen werden, in wenigen Jahrhunderten das Werk bereits ver¬

fallen war. Besteht doch selbst von der heutigen „Mauer" nur

etwa ein Drittel aus wirklichem Mauerwerk, und grade davon

Bd. XXXV. 7

1 2

(24)

98 vov, Mölhndorff, dü Grosse Mauer von Cliina.

gehörte notorisch ein grosser Theil nicht zu Shy-huang-di's

Grenze.

Eine interessante Bestätigung dieser Annahme fand ich in

einer Stelle aus den Han-Annalen. Zur Zeit des Yüandi (48 —

32 V. Chr.) war die Vertheidigung der Grenze in ausgedehnter

Weise organisirt; innerhalb wie ausserhalb des Grenzwalles lagen

befestigte Plätze mit starken Garnisonen. Wie wir unten sehen

werden, stand das Reich der Hsiungnu damals oft in diplomatischen

Beziehungen zu China; und unter Yüandi entsandte der Fürst

(Shenyü) der Hsiungnu eine Gesandtschaft an den Kaiser, um sich

über die drohende Haltung der Grenzgamisonen zu beschweren

und deren Zurückziehung zu verlangen. Ein Sekretär des Kriegs¬

ministeriums Hou-ying richtete bei dieser Gelegenheit ein Prome-

moria an den Kaiser, in dem er unter anderm sagte: An der

nördhchen Grenze bis Liaudung erstrecke sich über 1000 Li von

Osten nach Westen der Yinshan, reich an Gras und Bäumen, an

Geflügel und Vierfüsslern, das sei von jeher der Schlupfwinkel des

Shen-yü gewesen, ünter Wudi (140—86 v. Chr.) sei dies Land

erobert und das Volk der Hsiungnu nach dem Lande nördlich

der Gobi gedrängt worden. Damals sei die Grenze bestimmt,

Thürme und Warten errichtet, die Aussenmauer gebaut, auch

Mihtärstationen und Festungen zur Vertheidigung angelegt wor¬

den und seit dieser Zeit hätten die Grenzmarken über 100

Jahre lang etwas mehr Ruhe genossen. Der Grenzwall sei

durchaus nicht ausschliesslich ein Erdwall, son¬

dern bald seien Steine der Gebirge verwendet,

bald Schluchten und Wasserrisse mit Baumstämmen

aufgefüllt und so allmählich alles zu einem gleieh¬

mässigen Walle vereinigt worden. Die Ausfühnmg der

Arbeiten sei durcb lange Zeit hindurch mit grossem Geldaufwand

durch die Garnisonen geschehen etc. ^^).

Dies giebt uns ein klares Bild von der sogenannten Grossen

Mauer der alten Zeit; Erdwälle und cyelopisch aufgehäufte Stein¬

wälle wechselten mit blossen Holzverhauen ab. Ist auch nicht

ganz deutlich, ob der Bericht von der „Grossen Mauer" überhaupt

oder von blossen Reparaturarbeiten während der Hand3mastie

spricht, so ist es doch auch im letzteren Falle einleuchtend, dass,

wenn zur Zeit der Handynastie, die sonst einen bedeutenden Auf¬

schwung aufweist, der Grenzwall in so primitiver Weise hergestellt

wurde, die Anlagen der Tshin keine andern gewesen sein werden.

Es kann also von einer Grenz mau er zur Zeit der Tshin¬

dynastie keine Rede mehr sein; der Grenzwall hatte weder die

Pestigkeit noch die Ausdehnung der heutigen Werke und seine

fortifikatorische Bedeutung war mithin eine weit geringere als

gewöhnlich angenommen wird und als anzunehmen sein würde,

wenn es eine Mauer von den Dimensionen der heutigen ge¬

wesen wäre.

12 . _ ^

Abbildung

Abbildung des „rampart of Gog and Magog" in seiner M. Polo-

Referenzen

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