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Thorsten Loch

»Aufklärung der Bevölkerung« in Hamburg.

Zur deutschen Inlandspropaganda während des Ersten Weltkrieges

»W^ müssen die Schwachen stärken, den Starken helfen, die Widerstrebenden zwin- gen'.« Diese Auffassung des kommandierenden Generals des stv. Generalkom- mandos (GK) IX., von Falk, im Juli 1918 unterstreicht zweierlei: Zum einen zeigt es die Entschlossenheit des Militärbefehlshabers in Altona, die Bevölkerung durch Propaganda und, wo es nötig schien, durch Disziplinierungsmaßnahmen im Sinne der deutschen Kriegführung zu beeinflussen. Zum anderen weist das Zitat darauf hin, daß die organisatorische und damit auch die inhaltliche Steuerung der In- landspropaganda beim stv. GK lag^. Diesen Eindruck bestätigen ältere Arbeiten über die Inlandspropaganda während des Ersten Weltkrieges^. Auch Gunther Mais Beitrag zur Inlandspropaganda am Beispiel Württembergs bekräftigt diese Ansicht^.

Das dortige stv. GK steuerte ab spätestens 1917 organisatorisch wie inhaltlich die In- landspropaganda als auch den Vaterländischen Unterricht für die Truppen.

In der Literatur hatte sich die Ansicht manifestiert, daß die 3. Oberste Heeres- leitung (OHL) im Sommer 1917 beschlossen hatte, auf dem »Gebiet der Volksauf-

Staatsarchiv Hansestadt Hamburg (StAHH), Senat-Kriegsakten B II a 9a, Hamburger Fremdenblatt Nr. 156b vom 7.6.1918.

Diesem Beitrag liegt die gekürzte Version meiner Magisterarbeit an der Universität der Bundeswehr Hamburg zugrunde. Was die Verwendimg des Wortes »Aufklärung« be- trifft, so wurde in einer Besprechung vom 20.11.1916 zwischen den zentralen militäri- schen und zivilen Behörden im Kriegspresseamt über Maßnahmen zur Aufrechterhaltung einer zuversichtlichen Volksstimmung durch Major Nicolai bemerkt, daß »für >Propa- ganda* das Wort >Aufklärung< verwendet werden« sollte. In: Wilhelm Deist, Militär und InnenpoHtik im Weltkrieg 1914-1918, T. 1.2, Düsseldorf 1970 (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Zweite Reihe. Militär und Politik), Nr. 136, S. 329.

Zur Literatur vor 1970 als Auswahl: Walter Nicolai, Nachrichtendienst, Presse und Volks- stimmung im Weltkrieg, Berlin 1921; Hans Thimme, Weltkrieg ohne Waffen. Die Propa- ganda der Westmächte gegen Deutschland, ihre Wirkung und ihre Abwehr, Stuttgart, Berlin 1932; Walter Vogel, Die Organisation der amtlichen Presse- und Propagandapoli- tik des Deutschen Reiches, in: Zeitimgswissenschaft, 16 (1941), 8/9, Sonderh.; Erich Otto Volkmann, Der Marxismus und das deutsche Heer im Weltkriege. Unter Benutzung amt- licher Quellen. Mit einem Urkundenanhang, Berlin 1925; Peter Bauer, Die Organisation der amtlichen Pressepolitik in der Weimarer Zeit. (Vereinigte Presseabteilung der Reichs- regierung und des Auswärtigen Amtes), Inaugural-Dissertation Berlin 1962; Reinhard Höhn, Die Armee als Erziehungsschule der Nation. Das Ende einer Nation, Bad Harz- burg 1963; ders., Sozialismus und Heer, Bd 3: Der Kampf des Heeres gegen die Sozial- demokratie, Bad Harzburg 1969; lohannes Karl Richter, Die Reichszentrale für Heimat- dienst. Geschichte der ersten politischen Bildungsstelle in Deutschland. Untersuchun- gen ihrer Rolle in der Weimarer Repubük, Berlin 1963.

Gunther Mai, »Aufklärung der Bevölkerung« und »Vaterländischer Unterricht« in Würt- temberg 1914-1918. Struktur, Ehirchführung und Inhalte der deutschen Inlandspropa- ganda im Ersten Weltkrieg, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte, 36 (1977), Sonderdruck Shittgart 1979, S. 199-235.

Militärgeschichtliche Zeitschrift 62 (2003), S. 41-70 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam

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klärung eine einheitliche Organisation im Reich zu schaffen, um dem sinkenden na- tionalen Geist eine neue Stütze zu geben«^. Maßgeblicher aber war die Annahme, daß die Propagandatätigkeit in der Heimat einen militärischen Rahmen erhielt:

»Sie schloß sich eng an die Stellvertretenden Generalkommandos an und lag eben- falls [wie beim >Vaterländischen Unterricht<, T.L.] in der Hand von Aufklärungs- offizieren. Die ZivUbehörden ließen es sich im allgemeinen angelegen sein, sie zu unterstützen'.« Einen neuen Charakter erhielt die Auseinandersetzung um das Feld von Militär und Innenpolitik durch Wilhelm Deists zweibändiges Quellen- werk^. Deist vermittelt anhand der Quellen ebenfalls, wenn auch weitaus diffe- renzierter, die Ansicht, daß unter dem Einfluß der 3. Obersten Heeresleitung (OHL) nicht nur eine Zentralisierung der bisherigen Propaganda versuche auf Reichsebe- ne, sondern auch auf Korpsebene stattgefunden habe®.

Mais Arbeit bleibt die einzige mir bekannte Untersuchung zum Thema der In- landspropaganda auf der Ebene der stv. GK, Er unterscheidet drei Phasen, die auch für die Situation in Hamburg nachzuweisen sind. Offensichtlich spielen hier über- regionale Aspekte eine Rolle. Demnach begnügten sich in Württemberg in der er- sten Phase (1914/15) zivile und militärische Stellen, mit Hilfe der Zensur »schäd- liche« Einflüsse auf die Stimmung der Bevölkerung zu verhindern. Aktiv wurden in dieser Zeit maßgeblich private Organisationen und Einzelpersonen. Die zweite Phase (1915/16) wurde eingeleitet durch erste Versorgungsengpässe in der Hei- mat und die beginnende Intensivierung der Kriegführung. In dieser Phase orga- nisierten amtliche Stellen erste Aufklärungsveranstaltungen für Ernährungsfra- gen. In der dritten Phase (1917/18) griffen in Württemberg nach Mai die Auswir- kungen der Lebensmittelknappheit auf die militärischen Belange über. Aus der amtlichen Lebensmittelaufklärung entwickelte sich eine fast ausschließlich vom stv. GK organisatorisch wie inhaltlich gesteuerte Aufklärungstätigkeit'. Mai ge-

^ Volkmann, Marxismus (wie Anm. 3), S. 170. Hervorhebung durch Verf.

' Ebd., S. 171.

' Deist, Militär und Innenpolitik (wie Anm. 2). Eine kurze Auswahl an Literatur nach 1970:

Martin Creutz, Die Pressepolitik der kaiserlichen Regierung während des Ersten Welt- kriegs. Die Exekutive, die Journalisten und der Teufelskreis der Berichterstattung, Frank- furt a.M., Berlin, Bern [u.a.] 1996 (= Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Bd 704); Wilhelm Deist, Zensur imd Propaganda in Deutsch- land während des Ersten Weltkrieges, in: Ders., Militär, Staat und Gesellschaft. Studien zur preußisch-deutschen Militärgeschichte, München 1991 (= Beiträge zur Militärge- schichte, Bd 34), S. 153-163; Stefan Kestler, »Vaterländischer Unterricht« als Teüaspekt der deutschen Truppenaufklärung während des Ersten Weltkrieges, in: Historische Mittei- lungen, 7 (1994), S. 228-243; Peter Schade, Nachrichtenpolitik und Meinungssteuerung im Kaiserreich. Dargest, an der deutschen Kriegsideologie und Propaganda für die Mas- sen im Ersten Weltkrieg 1914-1918, Diss., Hannover 1998; Dirk Stegmann, Die deutsche Inlandspropaganda 1917/1918. Zum innenpolitischen Machtkampf zwischen OHL und ziviler Reichsleitung in der Endphase des Kaiserreiches. Dokumentation, in: Militärge- schichtliche Mitteüungen (MGM), 12 (1972), S. 75-116; Benjamin Ziemann, Front und Heimat. Ländliche Kriegserfahrungen im südlichen Bayern 1914-1923, Essen 1997; Da- vid Welch, Germany, Propaganda and Total War, 1914-1918. The Sins of Omission, Lon- don 2000.

® Deist, Zensur (wie Anm. 7), S. 160-163; Wilhelm Deist, Das Militär an der »Heimatfront«

1914 bis 1918 und 1939 bis 1945, in: Erster Weltkrieg - Zweiter Weltkrieg. Ein Vergleich.

Krieg, Kriegserlebnis, Kriegserfahrung in Deutschland. Im Auftr. des Militärgeschicht- lichen Forschungsamtes hrsg. von Bruno Thoß und Hans-Erich Volkmann, Paderborn 2002, S. 381-383.

' Mai, Aufklärung (wie Anm. 4), S. 200.

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langt zu der Ansicht, daß trotz aller organisatorischer Probleme und inhaltlicher Un- terschiede in der Durchführung der Inlandspropaganda doch eine weitgehende Geschlossenheit in der Zielkonzeption der deutschen Inlandspropaganda zugrunde liege, die seiner Arbeit über die Propaganda in Württemberg im Ersten Weltkrieg einen »exemplarischen Charakter«'" verleihe. Diese These soll am Beispiel des Bun- desstaates Hamburg, der im Korpsbezirk des IX. Armeekorps lag, anhand folgen- der Fragen überprüft werden.

Lassen sich auf Grund der Aktenlage die hamburgischen Propagandaversuche rekonstruieren? Wie wurde die Inlandspropaganda in Hamburg organisiert? Wel- che Inhalte hatte sie? Hatte das stv. GK aus Altona einen ähnlichen Einfluß auf die Organisation und den Inhalt der Inlandspropaganda wie sein Württemberger Pen- dant? Ist Mais Arbeit exemplarisch, oder gab es regional bedingte Unterschiede nicht nur im Inhalt, sondern auch in der Orgaiüsation der Inlandspropaganda, die sich wiederum auf die Inhalte auswirkten?

Ein wesentliches Problem stellt die Quellenlage dar. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Bestände des Potsdamer Heeresarchivs durch Fliegerangrif- fe weitestgehend vernichtet", was eine Überprüfung der These Mais anhand der Akten anderer stv. GK unmöglich macht'^. Um die Geschehnisse in Hamburg re- konstruieren zu können, mußten andere Quellen gesucht werden. Dabei stützt sich die vorliegende Arbeit auf bereits bekannte Bestände der Hamburger Senat-Kriegs- akten". Diese enthalten zwar wertvolle Hinweise, sind aber nicht stichhaltig genug, um einem vollständigeren Bild näher zu kommen. Daher wurde Aktenmaterial aus dem Hamburger Staatsarchiv (StAHH) herangezogen, das so und unter die- ser Fragestellung noch nicht berücksichtigt und kombiniert worden ist'^. Aus- gangspunkt für diese Vorgehensweise war, daß, obwohl alle beim stv. GK archi- vierten Aktenbestände in Potsdam vernichtet Verden, doch in den Archivalien' der Behörden und Einrichtungen, die mit dem stv. GK in Verbindung standen, genügend Material und Faszikel vorhanden sein sollten, um ein stimmiges Bild

Ebd.

Bruno Thoß, Der Erste Weltkrieg als Ereignis und Erlebnis. Paradigmenwechsel in der westdeutschen Weltkriegsforschung seit der Fischer-Kontroverse, in: Der Erste Welt- krieg. Wirkung - Wahrnehmung - Analyse. Im Auftr. des Militärgeschichtlichen For- schungsamtes hrsg. von Wolfgang Michalka, Weyarn 1997, S. 1012; Gerhard Schmid, Die Verluste in den Beständen des ehemaligen Reichsarchivs im Zweiten Weltkrieg, in: Ar- chivar und Historiker. Studien zur Archiv- und Geschichtswissenschaft. Festschrift für Heinrich Otto Meisner. Hrsg.: Staatliche Archivverwaltung im Staatssekretariat für In- nere Angelegenheiten, Berlin 1956 (= Schriftenreihe der staatlichen Archivverwaltung, Bd 7), S. 176-207; Helmut Otto, Der Bestand Kriegsgeschichtliche Forschungsanstalt des Heeres im Bundesarchiv, Militärisches Zwischenarchiv Potsdam, in: MGM, 51 (1992), S. 4 2 9 ^ 1 .

Wolf-Rüdiger Schrumpf, Territoriale Kommandogewalt und zivile Verwaltungskompe- tenz im 1. Weltkrieg - Konsens, Kooperation, Konflikt. Eine Studie über die Aktivität des Stellvertretenden Generalkommandos des VII. Armeekorps und der Mittelbehörden der Provinz Westfalen bei der Versorgung der Zivilbevölkerun; , Münster 1995.

StAHH, Senat-Kriegsakten, Bla, Bllal, BIIa3, BIIa4, BIIa5, BIIa6, BllaS, BIIa9, BIIa9a, BllalO, Bllall, BIIal2. Diese waren z.T. bereits bei Deist, Militär und Innenpolitik (wie Anm. 2), als auch bei Stegmann, Inlandspropaganda (wie Anm. 7), S. 76, Anm. 6 bekannt.

Hier vor allem Kriegsversorgungsamt, Landherrnschaften-Kriegsakten, Militärkom- mission-Senat", Oberschulbehörde', Deputation für Handel, Schiffahrt und Gewerbe"

sowie die Akten der Gesellschaft der Freunde (des vaterländischen Schul- und Erzie- hungswesens/Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft).

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zu zeichnen''. Da das stv. GK erst maßgeblich in der dritten Phase aktiv wurde, mußte auch in Beständen solcher Organisationen gesucht werden, die gleicher- maßen in Verbindung mit der Bevölkerung als auch der Obrigkeit standen und vermutlich in den ersten Phasen aktiv waren'''.

Die Situation in Hamburg am Ende des Ersten Weltkrieges war in mancherlei Hinsicht bedenklich. Unruhen und Streiks bedrohten zum einen die politische Sta- bilität, zum anderen trafen sie die Rüstungsproduktion, was die Stadtväter, aber auch den Militärbefehlshaber, beunruhigen mußte. Die Hamburger Bevölkerung partizipierte im Ganzen kaum am politischen Leben, prosperierte aber im gleichen Moment durch den wirtschaftlichen Aufschwung seit Ende des 19. Jahrhunderts.

Dieser Ersatz für fehlende Teilhabe am öffentlichen und politischen Leben hatte nur solange Bestand, als es der breiten Bevölkerungsschicht wirtschaftlich ausrei- chend gut ging. Mit dem Ersten Weltkrieg aber geriet der relative wirtschaftliche Aufschwung nicht nur ins Stocken, sondern verwandelte sich in einen Absturz ins Bodenlose. Einhergehend damit aber trug die Masse der Bevölkerung an beiden Fronten - im Feld und in der Heimat - eine ungleich schwerere Last als die Ham- burger »Pfeffersäcke«, was zu Forderungen auf politischem Gebiet führte. Darun- ter fielen nicht nur die sich bis in Unruhen steigernden Empörungen über Schleich- handel und dergleichen, sondern auch Forderungen nach einem reformierten Wahl- system. Der Hamburger Senat sah sich gezwungen, Versprechungen in dieser Rich- tung zu tätigen. Doch blieb es bei diesen Versprechungen. Bereits 1916 erschien in Hamburg eine Broschüre, die dieses Thema an die Öffentlichkeit brachte und eine Reform des Wahlrechts für die bisher nicht Beteiligten forderte"'. Maßnahmen, die solchen Forderungen nachgekommen wären, hätten mit Sicherheit mehr bewegt als jedes einzelne Flugblatt. Daran wird aber auch deutlich, daß rücht nur die 3. OHL eine Trägerin einer ganz bestimmten gesellschaftlichen Ordnung war, die vor der unlösbaren Aufgabe stand, den Krieg an Front und Heimat mit Kreisen zu führen, die diese gesellschaftliche Ordnung unter dem Eindruck des Leidens imd der Ent- behrung rücht mehr bereit waren zu ertragen'®.

Die politisch-militärischen Strukturen nach Verkündung des Kriegszustandes

Mit der Erklärung des Kriegszustandes nach Art. 68 der Reichsverfassung trat das preußische Gesetz über den Belagerungszustand in Kraft". Somit erlangten die Militärbefehlshaber, im Kriegsfalle die stv. kommandierenden Generäle der Ar-

Hier vor allem StAHH, Kriegsversorgungsamt I a 20, »Aufklärung der Bevölkerung in Versorgungsangelegenheiten, Vorträge in verschiedenen Vereinen« und Landherrn- schaften-Kriegsakten KA 150, »Propagandamaterial zur Volksaufklärung«.

Hier sind zu nennen StAHH, Oberschulbehörde' 361-2', StAHH, Hamburgischer Aus- schuß für Kriegsbüchereien (1914-1918) 614-1/24.

Hutten, Der vierte August und die hamburgische Politik. Eine Anregung von Hutten, Hamburg 1916.

Deist, Zensur (wie Anm. 7), S. 163.

Dies galt für alle Reichs teile und Bundesstaaten mit Ausnahme Bayerns, für das eine ei- gene Regelung galt.

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meekorps, in der Heimat kriegsrechtliche Befugnisse, die Gerald Feldman mit

»praktisch diktatorischen Vollmachten« umschreibt^". Der zentrale militärische Auftrag der stv. GK war die »Sicherstellung des Mannschafts- und des Kriegsma- terialbedarfs für das F e l d h e e r Z u d e m sorgten sie für die öffentliche Sicherheit in ihren Bezirken, wobei sich dieser schwammige Begriff immer weiter auf das po- litische, wirtschaftliche, kulturelle und soziale Leben ausdehnte. Diese Aufträge weiteten sich jedoch im Zuge der TotaUsierung des Krieges zu einer Einmischung in die lokalen Wirtschaftsabläufe aus, was zu einer Kontrolle imd Bewirtschaftung der wesentlichen Rüstungsbetriebe von Seiten des Militärs führte. Das bedeutete aber auch, daß jede Störung des wirtschaftlichen Ablaufes die Interessen und Be- lange des Militärbefehlshabers tangierte und ihn zum Handeln zwang. Dies wird für das Feld der Inlandspropaganda im Bereich des stv. GK in Altona deutlich. Ab einem Zeitpunkt nämhch, als die Produktion der Rüstungsgüter durch Streiks und Unruhen besonders gefährdet war oder es zumindest so erschien, wurde der Mi- litärbefehlshaber in Altona wenigstens für den Bereich Hamburg propagandistisch aktiver. In diesem Fall traten die Interdependenzen zwischen Front und Heimat klar zum Vorschein.

Die Unterteilung des Kaiserreiches in 24 Armeekorpsbezirke deckte sich nur in zwei Fällen mit den im Frieden eingespielten zivilen Verwaltungsgrenzen. Dies war in Württemberg so der Fall, anders im Bezirk des GK IX.: Hier führte die kriegs- bedingte Neugestaltung, wie bei vielen anderen Bezirken, zu erheblichen Störun- gen^^. Das Korpsgebiet des stv. GK IX. Armeekorps hatte folgende Verwaltungs- behörden zu berücksichtigen: die Militärkommissionen der Senate in Hamburg, Lübeck und Bremen, die Großherzogtümer Schwerin, NeustreUtz und Oldenburg, die Körügüche Regierung Schleswig sowie Stade^^.

Für Hamburg vernütteln Werner Jochmarm und Volker Ullrich den Eindruck,

»daß für die Dauer des Krieges die Militärs im ganzen Land die >vollziehende Ge- walt< übernahmenw^", und folgen der Diktatur-These Feldmans, die ein resolutes und werüg djmamisches BUd bietet. Diese These ist provokant, wenn auch im Kern nicht ganz falsch. Deist hingegen zeichnet ein weniger resolutes Bild, das auch für das Hamburger Beispiel plausibel erscheint: Das stv. GK IX. konnte nicht direkt nach Abrücken des IX. Armeekorps ein Vakuum ausfüllen, das sich zunächst auf den militärischen Bereich erstreckte^. Erst im Laufe der folgenden Monate, nach- dem also die militärischen Kemaufgaben erfüllt werden koimten, streckte das stv.

GK seine Fühler auch nach gesellschaftlichen und politischen Feldern aus^'. Seit

Gerald D. Feldman, Armee, Industrie und Arbeiterschaft in Deutschland 1914 bis 1918, Berlin, Bonn 1985, S. 41. Dieser Ansicht folgt auch Volker Ullrich, Kriegsalltag. Hamburg im Ersten Weltkrieg, Köln 1982, S. 26.

WUhelm Deist, Voraussetzungen innenpolitischen Handelns des Militärs im Ersten Welt- krieg, in: Deist, Militär, Staat und Gesellschaft (wie Anm. 7), S. 128.

^ Deist, Voraussetzimgen (wie Anm. 21), S. 126 f.

^ StAHH, Senat-Kriegsakten, AIIpl29.

Werner Jochmarm, Handelsmetropole des Deutschen Reiches, in: Hamburg. Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner, Bd 2: Vom Kaiserreich bis zur Gegenwart, hrsg. von Werner Jochmann und Hans-Dieter Loose, Hamburg 1986, S. 109; Ullrich, Kriegsalltag (wie Anm. 20), S. 26.

Deist, Voraussetzungen (wie Anm. 21), S. 126-130.

General der Artillerie von Roehl war vom 2.8.1914 bis zum 1.6.1916 der kommandie- rende General des stv. GK IX. Ihm folgte General der Infanterie von Falk vom 5.6.1916 bis Kriegsende. .

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Kriegsbeginn kamen die politischen Handlungsrichtlinien nicht ausschließlich aus Altona und beschnitten den Hamburger Senat nicht in seinen ursprünglichen Auf- gaben. Vielmehr entwickelte sich ein politisches Nebeneinander, wobei es biswei- len auch ein Miteinander, hin und wieder aber auch ein Gegeneinander war. Erst ab der zweiten Hälfte des Jahres 1916 griff Altona vehementer in Entscheidungen ein. Denn das stv. GK wurde immer häufiger mit Problemen konfrontiert, die im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit standen.

Die wachsenden sozialen Spannungen veranlaß ten es, sich mit sozialen Bewe- gungen auseinanderzusetzen und somit auf der politischen Bühne aktiv zu wer- den. Dies erklärt, wie sich der militärische Kemauftrag im Befehlsbereich - die Si- cherstellung des Mannschafts- und des Kriegsmaterialbedarfs für das Feldheer - rasch in den Versuch einer Überwachung des politischen Lebens in allen seinen Erscheinungsformen erweiterte^''.

»...alles war so patriotisch...«.

Propaganda im Zeichen des Burgfriedens (1914 bis 1915)

Der Kriegsausbruch wurde in Hamburg mit gemischten Gefühlen wahrgenom- men^®, wie allerorts in deutschen Großstädten^'. Die Versorgungslage in Hamburg war zu Kriegsbeginn gut^. Im Reichstag galt mit der Annahme der Kriegskredite der »Burgfriede«. Auch wenn dieser auf eher tönernen Füßen stand und die Stim- mung gefaßt und ruhig war", blieben vaterländische Bekundungen zumindest in der bürgerlichen und amtlichen Welt die Regel. Eine Schülerin der »Israelitischen höheren Mädchenschule« beschreibt Anfang 1915 die Situation in Hamburg als

»wunderschön und patriotisch«^^.

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28 Deist, Voraussetzungen (wie Anm. 21), S. 129.

Ullrich, Kriegsalltag (wie Anm. 20), zum Kriegsausbruch S. 10-14, zum Augusterlebnis S. 15-21; Volker Ullrich, Vom Augusterlebnis zur Novemberrevolution. Beiträge zur So- zialgeschichte Hamburgs und Norddeutschlands im Ersten Weltkrieg 1914-1918, Bre- men 1999, S. 9-21; Volker Ullrich, Weltkrieg und Novemberrevolution: die Hamburger Arbeiterbewegung 1914 bis 1918, in: Hamburg im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts:

die Zeit des Politikers Otto Stolten, hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg 2000, S. 97-128.

Jeffrey Verhey, Der »Geist von 1914« und die Erfindung der Volksgemeinschaft, Ham- burg 2000; Wolfgang J. Mommsen, Der Geist von 1914: Das Progranmi eines politischen

»Sonderwegs« der Deutschen, in: Der autoritäre Nationalstaat. Verfassung, Gesellschaft und Kultur des deutschen Kaiserreiches, hrsg. von Wolfgang J. Mommsen, Frankfurt a.M.

1990, S. 407-^21; Barbara Tuchmann, August 1914, Frankfurt a.M. 1990.

Leo Lippmann, Mein Leben und meine amtliche Tätigkeit. Erinnerungen und ein Beitrag zur FinaiLzgeschichte Hamburgs. Aus dem Nachlaß hrsg. von Werner Jochmann, Ham- burg 1964 (= Veröffentlichungen des Vereins für Hamburrische Geschichte, Bd 19), S. 206.

StAHH, Deputation für Handel, Schiffahrt und Gewerb^ XXXIV 59, nach einem Bericht vom 28.8.1914 »herrscht nirgends Kleinmütigkeit und Mutlosigkeit, sondern die mit ei- nem Krige [sie!] notwendig verbundenen Opfer werden mit Festigkeit, Freudigkeit und Opfermut getragen.«

Ursula Randt, Es war wunderschön, alles patriotisch. Aufsätze einer Schülerin der

»Israelitischen höheren Mädchenschule« aus dem Kriegsjahr 1915, in: Hamburgische Ge- schichts- und Heimatblätter, B,d 12 (1992), S. 195 f.

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Im März des Jahres 1915 erreichte den Hamburger Senat ein Schreiben mit ei- nem allgemeinen Aufruf eines Privatdozenten Dr. Arnold Rüge von der Universität Heidelberg. Rüge berichtete, daß auf sein Anregen hin in Baden ein »>Ausschuß zur Veranstaltung vaterländischer Volksabende in Stadt und Land< aus Männern aller Parteien, aller geistigen und sozialen Richtungen, aller Berufe und Stände« ge- gründet worden sei^. Er wies auf die Notwendigkeit hin,

»in den verschiedenen Stadtteilen imd vor allem in den Landorten den Geist der Einmütigkeit und der Opferwilligkeit auch in den Zeiten der Not, die Hoffnung auf den Sieg der deutschen Waffen, die Wiedergeburt der wahren deutschen Eigenart zu stärken und zu fördern«®^.

Solche Vaterländischen Veranstaltungen erfreuten sich bei Ausbruch des Welt- krieges weiter Verbreitung^'. Das Anliegen wurde am 31. März 1915 im Senat vor- getragen. Erhalten gebheben ist der handschriftliche Entwurf der Antwort an Rüge, mit der Zeile, »daß Veranstaltungen der fraghchen Art bereits in größerem Um- fange stattfinden und ein Bedürfnis nach Erweiterung der vorhandenen Einrich- tungen nicht besteht«^. Damit war die Akte Rüge geschlossen. Für die vorliegen- de Arbeit jedoch begann die Suche nach Hinweisen auf diese Veranstaltungen.

Zunächst sei kurz auf die Maßnahmen des stv. GK eingegangen.

Die militärische Zensur

In den Akten des StAHH wie des Bundesarchiv-Militärarchivs (BA-MA) läßt sich für die Jahre 1914 und 1915 keine »Geschäftseinteilung des stellvertretenden Generalkommandos IX. Armeekorps«'^ finden, die einen ersten Aufschluß über propagandistische Tätigkeiten geben könnte. Die ersten Einteilungen finden sich im StAHH für den Juni 1916. Aus dieser GeschäftseinteUung läßt sich ablesen, daß bis zu diesem Zeitpunkt keine separate Abteilung für Aufklärung oder Propaganda eingerichtet war. Lediglich die Abteilung Id unter der Leitung eines Hauptmarms war in erster Linie mit der Zensur der Presse betraut^®. Die ersten propagandisti- schen Maßnahmen im weitesten Sinne also waren negativer Art: die Zensur^'.

StAHH, Senat-Kriegsakten BllaS.

StAHH, Senat-Kriegsakten BllaS.

Hierzu auch das Vorwort in Ludwig Beer, Völkerrecht und Krieg. Leipzig 1914. Dort schreibt der Verfasser: »diese vaterländischen Veranstaltungen wollen den Gedanken und Stimmungen der jetzigen Zeit, des Tages, Rechnung tragen, wollen andrerseits die im Vaterlande Zurückgebliebenen aus dem Alltag hinausheben, wollen durch Gaben der Kunst und Wissenschaft sonntägliche Stunden der Erbauung bieten.«

StAHH, Senat-Kriegsakten BllaS, Blatt 3.

StAHH, Militärkommission des Senats R13, hier finden sich Geschäftseinteilungen vom Juni 1916, sowie vom Oktober 1917. Im BA-MA, PH 7, Nr. 43 ist eine Geschäftseintei- lung vom Juni 1916 archiviert.

StAHH, Müitärkommission des Senats R 13, Geschäftseinteilung vom Juni 1916, S. 10.

Weitere Aktenbestände zur Zensur im StAHH, Senat-Kriegsakten AIb2 (31. Juli 1914 bis 7. Oktober 1915), AIIp2 (Oktober bis Dezember 1914), Allpao Bd 1 (März 1915 bis De- zember 1916) und Bd 2 Qanuar 1917 bis November 1918), AIIp22 (März 1915 bis Okto- ber 1918) sowie AIIp23 (Januar bis Oktober 1915).

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Gemäß des Mobilmachungs-Planes w u r d e zusätzlich der Post- und Telegraphie- verkehr überwacht^. Die Zensurmaßnahmen Altonas trieben bisweilen groteske Blüten. Das stv. GK beklagte sich über eine große Zahl z u m Verkauf stehender

»Schundkarten in Papier- u n d anderen Läden«^^ die das Gefühl anständiger Men- schen verletzten, und sprach die Erwartung aus, daß der Senat seinen Behörden die Anweisung gebe, diese Karten aus dem Verkehr zu ziehen. Mit der Zensur ver- suchte der Militärbefehlshaber die »militärischen M a ß n a h m e n vor d e m Gegner u n d auch vor d e m eigenen Lande geheim^^« zu halten.

Der Militärbefehlshaber in Altona reagierte in dieser »Postkartenaffaire« mit ei- nem Schreiben an den Hamburger Senat. Dieser leitete den Vorgang weiter an sei- ne Polizeibehörde und die Landherrnschaften, die Verwaltung von Hamburg-Land.

Damit ergibt sich für die folgenden Jahre in der Korrespondenz zwischen dem stv.

GK u n d Hamburg folgendes Bild: Das stv. GK erließ eine Anordnung u n d ersuch- te den Senat, dieses für seinen Bereich umzusetzen. Der Senat wiederum delegier- te diese Anliegen an seine entsprechenden Verwaltungseinheiten. Dieses Procede- re unterstützt f ü r die späteren Phasen die Annahme, daß die hambürgische In- landspropaganda nur wenig vom stv. GK beeinflußt war.

».. .daß Veranstaltungen der fraglichen Art bereits in größerem Umfange stattfinden...«

Zurück zu den Veranstaltungen, die der H a m b u r g e r Senat als Antwort auf das Schreiben des Privatdozenten Rüge erwähnte. Hierzu zählten sicherlich auch Pre- digten in Hamburger Kirchen^^. Doch fanden die überwiegend privaten Beiträge meist in Vortragsweise oder aber bei geselligen Veranstaltungen statt, bei denen vaterländisches Lied- u n d Gedankengut z u m besten gegeben w u r d e " .

Der »Hamburgische Ausschuß f ü r Kriegsbüchereien«^® bildete die Dachorga- nisation für Hamburger Vereine u n d Körperschaften, die Bücher u n d Bilder f ü r Lazarette und andere militärische Einrichtungen sammelten^. Zusätzlich fanden Veranstaltungen wie Weihnachtsunterhaltungen, Lichtbildvorträge oder Gesan-

StAHH, Senat-Kriegsakten AIb2, IX. AK an die Militärkommission des Senats.

StAHH, Senat-Kriegsakten AIIp2, Schreiben des stv. GK vom 14.10.1914 an den Senat.

StAHH, Senat-Kriegsakten AIIp22, Merkblatt für die Presse.

D. V. Broecker, Das Vaterunser in Zeiten des Krieges. Predigt über Matthäus 6, 9-14, Hamburg 1914. Predigten wurden in dieser Phase auf Verlangen in Druck gegeben.

»[...] Ganze Heere sind schon vernichtet, irnmer neue siegreiche Schlachten werden geschlagen, heute am Ende der fünften Woche des Krieges stehen unsere Soldaten vor des Feindes Hauptstadt; die Festungen, die er noch besitzt, sind fast schon zu zäh- len - und unsere Herzen loben den Herrn der Heerschaaren, daß er mit uns ist, wie er mit unseren Vätern war; ihm sei die Ehre, der Ruhm für alle Erfolge, die er uns gab![...].« Zu diesem Komplex: Insa Holst, »Zurück zu Gott - vorwärts gegen den Feind«.Die Kriegspredigten des Hamburger Hauptpastors August Wilhelm Hunzin- ger, Magisterarbeit, Hamburg 2003.

StAHH, Senat-Kriegsakten, BllaS.

StAHH, Hamburger Ausschuß für Kriegsbüchereien, 614-1/24,1.

StAHH, Hamburger Ausschuß für Kriegsbüchereien, 614-1/24,1. 8.12.1914.

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gesdarbietungen der Wandervögel statt. Diese Veranstaltungen sind bezeichnend für die private »Propaganda«. Das stv. GK trat hier nur passiv in Erscheinung, in- dem es der Kriegsbücherei Zensurvorschriften machte.

Diese Formen der privaten »Inlandspropaganda« wurden auch in anderem Rahmen abgehalten. Am 16. September 1914 erreichte ein kleines Flugblatt den Senat. Es war ein »Aufruf zur Teilnahme an den Vorträgen im Volksheim''^ über Hintergründe und Zusammenhänge des Kriegsgeschehens«'^. Die Vortragenden kamen vom Kolonialinstitut und der hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung oder waren selbst Mitarbeiter des Volksheimes. Das Thema des ersten Vortrages war für die Stimmung^' unter dem Burgfrieden bezeichnend: »Deutschlands neue Einigkeit«^". Bei freiem Eintritt waren Männer und Frauen willkommen. Spenden kamen der Hamburger Kriegshilfe (HK) zugute. Auf dem Flugblatt wurden zu- dem ab dem 4. Oktober zusätzlich noch Volksheim-Sonntage angekündigt, die

»dem Ernste der Zeit entsprechende musikalische und dichterische Darbietun- gen«'' boten. Die Vorträge zielten auf die Kreise der Arbeiter und des Mittelstan- des ab, was auch der Hinweis verrät, es sei eigens für die Dauer der Veranstaltun- gen eine »Kinderstube« (!) eingerichtet®^.

In den Tagen, als das Flugblatt des Volksheimes den Senat erreichte, fand sich eine weitere Hamburger Gruppe zusammen, deren »Gedanken um das eine große Ereignis, um den Weltenbrand®^« kreiste. Es waren Hamburger Professoren, die ihren Beitrag in den »Deutschen Vorträgen hamburgischer Professoren von 1914«

zu leisten versuchten. Ihr Wunsch war es, da es ihnen versagt war, »mit dem Schwer- te für das Vaterland zu kämpfen, wollen wir ihm dienen mit unserer Gabe, dem Zorn der Rede, die auch uns der Gott gab, der Eisen wachsen ließ«'^. Die Redner in den Volksheimvorträgen und unter den Deutschen Vorträgen waren zum Teil iden- tisch, die Themen variierten leicht.

StAHH, Volksheim, 614-1/27, nach der kommentierten Übersicht existierte das Volks- heim von 1899 bis 1930 und sorgte sich um die Volksbildung.

StAHH, Senat-Kriegsakten, Bllal.

Inwiefern diese Stimmung auf aUe sozialen und politischen Gruppen zutrifft, muß kri- tisch hinterfragt werden.

Die Themenliste findet sich auf der Rückseite des Flugblattes.'Vorgetragen wurden von September bis Dezember: »1813 und 1914«, »1870 und 1914«, »Volkskraft und Heer«,

»Deutschland und Oesterreich«, »Was will England?«, »Was bedeutet das deutsche Kai- sertum«, »Deutschlands wirtschaftliche Kraft«, »Wir Frauen und der Krieg«, »Gehorsam und Freiheit im Licht unserer Zeit«, »Gesittung und Krieg«.

StAHH, Senat-Kriegsakten, Bllal, Flugblatt Rückseite.

StAHH, Senat-Kriegsakten, Bllal, Hugblatt Rückseite.

Deutsche Vorträge hamburgischer Professoren 1914, Hamburg 1914, hier die Einleitung auf S. 3 der ersten Rede von Karl Rathgen über »Deutschland, die Weltmächte und der Krieg« vom 18.9.1914. Die hier vorliegende Sammlung umfaßt alle Schriften: »England und Wir«, »Deutschland und England in Ostasien«, »Das belgische Problem«, »Britische Reichsprobleme und der Krieg«, »Deutschland und Japan«, »Der Islam und der Krieg«,

»Die indische Frage«, »Deutsche Erziehung«.

Siehe die Einleitung bei Rathgen (wie Anm. 53) auf S. 3. Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Er- sten Weltkrieges, Göttingen, Zürich, Frankfurt a.M. 1969, S. 21.

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Hamburger Schulen

Auch die Hamburger Schulen wurden in dieser ersten, durch private Eigeninitia- tive gekennzeichneten Phase aktiv'®. Die Schulen unterstanden der Oberschul- behörde. In deren Aktenbeständen für 1914 und 1915 lassen sich »Veranstaltungen von Kriegsabenden u. dgl. durch die Schulen«^ und »Kriegsvorträge u. dgl. für Schüler«'^ finden. Den Schülern war in erster Linie als Darstellende oder als Ziel- gruppe die Rolle der Multiplikatoren für ihre Famihen zugedacht. So wurden schu- lische Veranstaltungen, die auf jene »gereiften Zuhörer«'® abzielten, durchgeführt.

Den Anfang hierbei machte die Realschule im Stadtteil Eilbeck. In einem Schreiben vom 22. Oktober 1914 wandte sich der Direktor der Schule an die Oberschulbehörde mit dem Wunsch der Lehrerschaft, eine Reihe von Vorträgen veranstalten zu dür- fen''. Die Vorträge begannen am 6. November und endeten am 12. Februar 1915'°.

Nach einem Schreiben der Schule an die Oberschulbehörde vom 16. November 1914 waren die beiden ersten Vorträge ein Erfolg; sie hätten einen großen Eindruck hinterlassen, was durch die hohe Nachfrage an Eintrittskarten belegt wurde''.

Trotz der imterschiedlichen Zielgmppen befaßten sich die Vorträge des Volks- heimes einerseits und der Eilbecker Realschule und denen der Hamburger Pro- fessoren in der Masse mit allgemeinen militärischen und historischen Fragen. Po- litisch, im engeren Sinne des Begriffes, wurden sie allenfalls, wenn es darum ging, die Entente, in erster Linie England, als Kriegstreiber zu bewerten oder außenpo- litische Fragen zu erörtern. Innenpolitische Aspekte hingegen, die dazu angetan waren, den Burgfrieden zu gefährden, wurden nicht berührt.

Die »Eilbecker Freitags-Vorträge« wurden im Herbst 1915 wieder aufgenom- men. Die Planungen sahen vor, sie bis in den März 1916 hinein zu veranstalten. Die

Das weite Feld der Beeinflussung der Jugend in Hamburg beschränkt sich an dieser Stel- le auf die Hamburger Schulen: Reiner Lehberger, Schule in Hamburg während des Kai- serreiches. Zwischen »Pädagogischer Reform« u n d »Vaterländischer Gesinnung«, in:

»Heil über dir, Hammonia«. Hamburg im 19. Jahrhundert. Kultur, Geschichte, Politik, hrsg. von Inge Stephan und Hans-Gerd Winter, Hamburg 1992, S. 4 1 7 - ^ 6 ; Reiner Leh- berger, Wolfram Miiller-Grabellus und Gabriele Schmitt, Krieg in der Schule - Schule im Krieg: Kriegserziehung vom Kaiserreich bis zur NS-Zeit, Hamburg 1989; Klaus Saul, Ju- gend im Schatten des S i e g e s . Vormilitärische Ausbildung - Kriegswirtschaftlicher Ein- satz - Schulalltag in Deutschland 1914-1918. Dokumentation, in: MGM, 33 (1983), S. 91-184; Eberhard Demm, Deutschlands Kinder im Ersten Weltkrieg: Zwischen Pro- paganda und Sozialfürsorge, in: MGZ, 60 (2001), S. 51-98.

StAHH, Oberschulbehörde B 24, Nr. 1.

StAHH, Oberschulbehörde B 24, Nr. 2.

StAHH, Oberschulbehörde B 24, Nr. 1, Faltblatt der »Eilbecker Freitags-Vorträge«.

StAHH, Oberschulbehörde B 24, Nr. 1, Realschule Eilbeck an die Oberschulbehörde, 22.10.1914, handschriftlich.

StAHH, Oberschulbehörde B 24, Nr. 1, die vorgesehenen Vorträge sind auf der zweiten Seite des Faltblattes der »Eilbecker Freitags-Vorträge« abgedruckt: »Über Indien mit Be- zugnahme auf den gegenwärügen Weltkrieg (mit Lichtbildern)«, »Das Ringen Englands um die Weltherrschät«, »Die politische Weltlage mit besonderer Berücksichtigung Schwe- dens und Italiens«, »Die Bedeutung des Berliner Kongresses für den gegenwärtigen Krieg«, »Rußlands Hilfsquellen«, »Reise durch Belgien (mit Lichtbildern)«, »Die vlämi- sche Frage«, »Privateigentum im Land- und Seekriege«, »Portugal und England«, »Die französische Kolorualpolitik und der Streit um Marokko«, »Der Nordostseekanal«, »Die Verfassungen unserer Feinde«.

StAHH, Oberschulbehörde B 24, Nr. 1.

(11)

Themen hatten sich geändert: Weniger die mihtärischen und historischen Zusam- menhänge des Krieges waren nunmehr interessant, als vielmehr die Fürsorge für Kriegsversehrte in Hamburg imd Fragen zur wirtschaftlichen Lage. Damit hatten sich die Vortragsthemen der Lage der Zeit angepaßt, die auch in Hamburg spätestens ab Sommer 1915 schlechter wurde^^. Die Vortragsreihe der Eilbecker Schule traf nur noch auf geringen Zuspruch, obwohl »die Themata zeitgemäß« waren®. Die Schul- leitung schloß nicht aus, die Vortragsreihe nach Weihnachten abzubrechen und statt dessen im Februar des Jahres 1916 einen einzelnen Vortrag zu veranstalten.

Ab Herbst 1915 wurde die bisherige Form der »privaten Propaganda« von der Bevölkerung nicht mehr akzeptiert. Es scheint, als hätte sich etwas an der Grund- einstellung der Hamburger zum Krieg geändert.

Lebensmittelknappheit und die Anfänge amtlicher Propaganda (1915 bis 1916)

Am 8. März 1915 überreichte das Österreichisch-Ungarische Generalkonsulat der

»Senatskommission für die Reichs- imd Auswärtigen Angelegenheiten« ein Schrei- ben, in dem es um Auskunft »über die vorbildüdi durchgeführte bürgerliche Kriegs- bereitschaft des hamburgischen Staates möglichst erschöpfende Mitteilungen«

bat^. Das Schreiben zielte auf Hamburgs Erfahrungen auf dem Gebiet der Metall- und Wollsammlungen und sonstige »Maßregeln zur Sicherung der Verpflegung der Einwohnerschaft«^. Als Antwort ließ der Senatssyndicus einen Bericht über die getroffenen Kriegsmaßnahmen anfertigen, in denen sich keine Hinweise auf eine bewußte Steuerung der öffentlichen Meinung finden^*". Der Grund für das Wiener Schreiben lag in den drohenden Lebensmittel- imd Rohstoffengpässen, die von dem neuen, totalen Charakter des Weltkrieges zeugten. Dem Senat war of- fensichtlich auch daran gelegen, über dieses neue Phänomen mehr zu erfahren, und so ließ er sich über die »wirtschaftlichen Beziehungen zum neutralen und feindlichen Ausland und insbesondere über den Bezug von Lebensmitteln aus dem Ausland«^^ vortragen.

Ab der Jahreswende 1914/15 ist für Hamburg eine generelle Zunahme von Ver- anstaltungen und Vorträgen über die Kriegsversorgung und Volksernährung zu verzeichnen^. Die steigenden Aktivitäten auf dem Emähnmgssektor lassen darauf

StA.HH, Oberschulbehörde B 24, Nr. 1, Hugblatt der »EUbecker Freitags-Vorträge«: »Die Fürsorge für verwundete und kranke Krieger in Hamburg«, »Deutschlands Weltstellung in Handel und Industrie«, »Körperliche Ertüchtigung der Jugend im Auslande«, »Unsere Nutzpflanzen und der Krieg«, »Deutsche Siedlungspläne für die Zeit nach dem Kriege«,

»Die Fürsorge für die Kriegsbeschädigten in Hamburg«, »Die deutschen Ansiedler in Rußland«.

StAHH, Oberschulbehörde B 24, Nr. 1, Schreiben vom 16.12.1915.

StAHH, Senat-Kriegsakten Bla.

Ebd.

Ebd.

StAHH, Senat-Kriegsakten BIIa4, aus einem Einladungsschreiben vom 23.3.1915.

StAHH, Senat-Kriegsakten BIIa3, Zeitungsausschnitt des Hamburger Fremdenblatt Nr. 66 (unleserlich) vom 7.3.1915.

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schließen, daß die britische Seeblockade und die mangelnde Vorbereitung auf ei- nen längeren Krieg bereits erste Auswirkungen zeigten, die sich im Laufe des Jah- res 1915 weiter verstärkten, obwohl - oder gerade weil - die ersten Kriegsmonate unter dem Zeichen eines an Verschwendung grenzenden Überkonsums standen''.

Dies führte zu steigenden Lebensmittelpreisen, trotz mehrerer Appelle des stv.

GK''". Zunächst schien in Hamburg der Auslöser für Unzufriedenheit weniger aku- ter Hunger oder Lebensmittelengpässe gewesen zu sein, als vielmehr die bereits im Winter um zehn Prozent gestiegenen Kosten, die zum Teil als ungerecht empfun- den wurden^^. Aber auch das Problem der steigenden Arbeitslosigkeit ließ die so- zialen Spannungen unter der Arbeiterschaft und in weiten Kreisen des Mittel- standes wachsen''^.

Aufklärung der Bevölkerung über Volksernährung

Am 2. Dezember 1914 bildete der Frauenausschuß der HK einen Ausschuß für Lebensmittelverwertung^'. Dieses Gremium veranstaltete bereits ab Dezember verschiedene Versammlungen und hatte in seiner Organisation eine sogenannte

»Propagandaabteilung«''''. Deren Aufgabe bestand in der Vorbereitung von Auf- klärungsvorträgen und der Verbreitung von Flug- und Merkblättern sowie von Kriegskochbüchem. In den Monaten Januar und Februar verbreitete der Ausschuß ca. 87 000 Druckschriften und sechs verschiedene Sorten an Flugblättern''®. Zu- sätzlich veranstaltete das Gremium Anfang des Jahres 1915 120 Vorträge, mit ei- ner Anzahl von 32 000 Zuhörern aus allen Schichten der Bevölkerung''^. In einem Schreiben vom 30. Januar äußerte der Frauenausschuß gegenüber dem Senat, daß trotz seiner aufklärenden Arbeit in aUen Kreisen der Bevölkerung die UnwUHgkeit

»mit den vorhandenen Nahrungsmitteln zu sparen, in immer neuen Formen zu

Lothar Burchardt, Die Auswirkungen der Kriegswirtschaft auf die deutsche Zivilbevöl- kerung im Ersten und im Zweiten Weltkrieg, in: MGM, 15 (1974), S. 67.

Ullrich, Kriegsalltag (wie Anm. 20), S. 39 f.

StAHH, Senat-Kriegsakten CIIf27b, Schreiben des Frauenausschusses an den Senat vom 30.1.1915.

Ullrich, Augusteriebnis (wie Anm. 28), S. 19.

Frauen in Hamburg: Karen Hagemann, Feindliche Schwestern? Bürgerliche und prole- tarische Frauenbewegung Hamburgs im Kaiserreich, in: Hammonia (wie Anm. 55), S. 345-368. Am 3. August hatte sich demnach der gemäßigte Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung in Hamburg im »Frauenausschuß der Hamburgischen Kriegshilfe«

zusammengeschlossen. Auch: Ute Daniel, The war from within. German working-class women in the First World War, Oxford, New York 1997 (= The Legacy of the Great War).

StAHH, GeseUschaft der Freunde 611.

Nach StAHH, Gesellschaft der Freunde 611 wurden folgende Flugblätter verteilt: im Januar 1. »Was die deutsche Hausfrau heute wissen muß« (20 000 Exemplare), 2. »Ernährungsmerkblatt« (500 Ex.), 3. »Ernährung in der Kriegszeit« (1200 Ex.), Bro- schüre Eitzbacher »Die deutsche Volksernährung und der englische Aushungerungs- plan« (80 Ex.), »Kochbuch« von Hedwig Heyl (700 Ex.), »Kriegskochbuch« (12 000 Ex.), Kriegsplakate (300 Ex.), für den Monat Februar dieselben Flugblätter in einer Auflage von 20 000, 17 000 und 500 Exemplaren. Im Januar wurden insgesamt 34 780 Schriften und Plakate verteilt, im Februar 52 550.

StAHH, Gesellschaft der Freunde 611.

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Tage«^^ trete. Der Ausschuß befürchtete für den Sommer eine Nahrungsmittel- knappheit u n d unterbreitete dem Senat verschiedene Möglichkeiten, die Ernte- erträge zu erhöhen. Unter anderem wurde daran gedacht, brachliegendes Acker- land, wie z.B. noch nicht aufgeschlossenes Friedhofsgelände (!) nutzbar zu ma- chen.

Am 24. Januar 1915 verkündete der preußische Minister des Innern in Berlin, mehrere hundert Redner zwecks »plarunäßiger Aufklärung der Bevölkerung über Volksernährung«''' ausbilden zu lassen, und er wandte sich deshalb unter ande- rem an den Hamburger Senat. Besondere Berücksichtigung sollten dabei geeigne- te Redner, wie Lehrer und Geistliche, finden. Den Senat erreichten mehrere An- fragen einzelner Hamburger, die darum baten, zu diesen Lehrkursen entsandt zu werden, u m nach ihrer Rückkehr in Hamburg »Aufklärung über die Frage der Volksernährung im Kriege in alle Teile des Publikums zu tragen«^'. Unter den ent- sandten Personen befanden sich auch MitgUeder des Frauenausschusses. Dieser trat nach dem Lehrgang als erste Gruppe der Multiplikatoren auf und wandte sich gegen die »britische Aushungerungspolitik«'°. Die Volksemährung im Kriege soll- te zur öffentlichen Angelegenheit gemacht werden. Zusätzlich richtete der Frau- enausschuß hauswirtschaftliche Beratungsstellen ein". Hier sind bereits erste An- sätze einer politisch motivierten Aufklärung zu verzeichnen. Bis zu einer ebenfalls politisch motivierten Zielsetzung war es kein großer Schritt mehr.

Doch zunächst folgfe die Hamburger Oberschulbehörde im März 1915 dem Vor- bild des preußischen Ministeriums des Irmem und veranstaltete vom 15. bis 19. März

»Lehrkurse in Hamburg für Redner und Rednerirmen über Volkswirtschaft im Krie- ge«®^. Als Teilnehmer wurden nur solche Personen zugelassen, die sich verpflich- teten, »die Aufklärung über die Volksernährungsfragen in ihren Kreisen durch Reden und Kurse weiterzuverbreiten«®^. Interessant daran ist, daß sich die Teil- nehmer darüber bewußt zu sein schienen, daß sie eine besondere, weil beeinflus- sende, Tätigkeit ausüben sollten. Unter diesem Zeichen stand auch der Vortrag ei- nes Fräulein Gertrud Bäumer über »Mittel und Wege zur Belehrung der Frauen«, der auf die dauernde Belehrung, »die durch einen einzelnen Vortrag nicht erreicht

StAHH, Senat-Kriegsakten CIIf27b.

StAHH, Senat-Kriegsakten BIIa3, Telegramm vom 24.1.1915, bestehend aus drei Seiten.

StAHH, Senat-Kriegsakten BIIa3, Blatt le. Schreiben der DetailUstenkammer vom 2.2.1915.

StAHH, Senat-Kriegsakten BIIa3, Blatt 4, Schreiben vom 23.2.1915.

StAHH, Senat-Kriegsakten BIIa3, Zeitungsausschnitt aus dem Hamburger Fremdenblatt Nr. 64b vom 5.3.1915.

StAHH, Senat-Kriegsakten BIIa3, Zeitungsausschnitt aus dem Hamburger Correspon- denten vom 4.3.1915, Nr. 116. In den Unteriagen StAHH, Gesellschaft der Freunde 611 findet sich das Programm der Veranstaltung: »Die wirtschafthche Lage Deutschlands«,

»Behördliche Maßnahmen zur Volksemährung«, »Die Ernährung des Menschen«, »Die Landwirtschaft im Kriege«, »Wie ist eine Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge möglich (Düngungspflanzen, Brachlandsbepflanzung, Saatgut usw.)?«, »Fischnahrung«,

»Tierernährung und Fütterung«, »Futtermittel und Ersatzstoffe«, »Fleisch und Fleisch- produkte«, »Tierische und pflanzliche Speisefette«, »Obst- und Gemüseverwertung«,

»Kartoffel und Zucker«, »MüUereierzeugnisse und Backwaren«, »Genußmittel«, »Kriegs- küche«, »Mittel und Wege zur Belehrung der Frauen«, »Wie soll man reden?«

StAHH, Senat-Kriegsakten BIIa3, Zeitungsausschnitt der Hamburger Nachrichten Nr. 124 vom 14.3.1915. Auch StAHH, Gesellschaft der Freunde 611, Die Vorlesungskommission der Oberschulbehörde an die Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens vom März 1915.

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wird«®^, abzielte. Am 24. März zog das Hamburger Fremdenblatt ein Resümee über den Lehrkurs. In diesem Artikel findet sich zum ersten Mal der öffentlich verfaßte Ausdruck »einer planmäßigen Beeinflussung der Bevölkerung«®®. Es wird berichtet, daß sich die ausv^ärtigen Teilnehmer zu Ausschüssen zusammengefunden hätten, um in Anlehnung an bereits bestehende Organisationen oder Vereine eine einheit- liche Aufklärung zu betreiben®'. Diese Absicht wurde einem Schreiben vom 17. April 1915 nach auch umgesetzt. So wandelte sich der Frauenausschuß zum »Ausschuß für Volksernährung«, in dem nun auch Männer mitarbeiteten®^. Die frühen Maß- nahmen des Frauenausschusses in Hamburg können vor allem in der ersten Zeit als »weibliches« Pendant zu den historischen und allgemeinpolitischen Vorträgen der Hamburger Professoren oder der Schulen gedeutet werden. Daß jedoch den Vorträgen der Frauen über Kriegsernährung ein längeres Leben beschieden war, scheint an der beginnenden Lebensmittelknappheit und der Notwendigkeit zur amtlichen Aufklärung der betroffenen Bevölkerungskreise gelegen zu haben.

Der Preisanstieg, der mit dem Sinken des Nahrungsmittelangebotes einher- ging, ließ in den betroffenen Kreisen der Hamburger Arbeiter, Handwerker und kleinen Beamten ersten Unmut entstehen und rief die Verantwortlichen auf den Plan, die Maßnahmen gegen den hohen LebensnMttelkonsum der ersten Monate er- greifen mußten®®. Diesem Unmut mußte genau wie dem Hunger begegnet wer- den, sei es aus Fürsorge der Bevölkerung gegenüber, sei es, u m Unruhen zu ver- meiden, was einer Fürsorge für die herrschenden Kreise entsprach. Der Übergang von einer privaten Organisation in der amtlichen Armenfürsorge zu einer amtlichen Organisation unter Kontrolle der HK und somit des Senats war ein kleiner Schritt.

Das war der Anfang amtücher Inlandspropaganda in Hamburg. Ihr erstes Betäti- gungsfeld lag auf dem Ernährungssektor, und mit zunehmender Verelendung der Bevölkerung nahm sie innenpolitische Dimensionen an.

»Als die Schlangeri i m m e r läriger wurden...«®

Im Februar 1915 kam es zur Gründung der »Kommission für Kriegsversorgung«

(K.f.K.V.)'". Ihre Aufgabe war es, Lebensmittelreserven zu bilden und das Vorhan- dene unter der Bevölkerung gerecht zu verteilen. Ferner richtete die HK Kriegs- küchen ein, die ab Juni 1915 in den ärmeren Stadtvierteln vertreten waren und täg- lich über 30 000 Portionen verteilten'^

^ StAHH, Senat-Kriegsakten BIIa3, Zeitungsausschnitt des Hamburger Fremdenblatts Nr. 79b vom 20.3.1915.

^ StAHH, Senat-Kriegsakten BllaS, Zeitungsausschnitt des Hamburger Fremdenblatts Nr. 80b vom 24.3.1915.

StAHH, Senat-Kriegsakten BIIa3, Zeitungsausschnitt des Hamburger Fremdenblatts Nr. 80b vom 24.3.1915.

StAHH, Gesellschaft der Freunde 611.

®® Burchardt, Kriegswirtschaft (wie Anm. 69), S. 67. Über die Situation der betroffenen Krei- Sie: Ulhich, Kriegsalltag (wie Anm. 20), S. 3 9 ^ .

" Übernommen aus UUrich, Kriegsalltag (wie Anm. 20), S. 39.

Lippmann, Mein Leben (wie Anm. 30), S. 207.

'' Ullrich, Kriegsalltag (wie Anm. 20), S. 41. Auch StAHH, Senat-Kriegsakten CIIf27b und CIIf22. Diese Zahlen stiegen im Laufe des Krieges kontinuierlich.

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In der zweiten Hälfte des Jahres 1915 scheint die Versorgungslage im Korps- bezirk in den Mittelpunkt der Betrachtungen des stv. GK getreten zu sein. Am 20. November 1915 startete es eine Umfrage »über die Lebensmittelversorgung der ärmeren Bevölkerung«'^ in seinem Korpsbezirk. Am 10. Dezember sandte die K.f.K.V. ein mehrseitiges Antwortschreiben an das stv. GK, in welchem es die Mit- tel darstellte, »mit denen in der Stadt Hamburg dem Eintritte einer Notlage in der Lebensmittelversorgung der unbemittelten Kreise entgegengearbeitet«'^ wurde.

Hierzu zählte sie in erster Linie die zentralen Speiseanstalten'^. Ein Hinweis auf propagandistische Tätigkeit erfolgte nicht. Am 22. Dezember 1915 wies das stv.

GK die verschiedenen obersten Zivilverwaltungsbehörden darauf hin, daß »bei der Volksernährung wesentliche Heeresinteressen mitsprechen«''. Um über den Stand der Volksernährung auch weiter unterrichtet zu bleiben, verlangte das stv.

GK erstmalig am 25. Januar 1916 monatliche Berichte'® über Veränderungen in der Lebensmittelsituation und getroffene regulative Maßnahmen zur Volks- ernährung"'. Ende des Monats informierte sich das stv. GK genauer über die Kar- toffelknappheit in Hamburg und befürchtete »eine Beunruhigung der Bevölke- rung«".

Ab April 1916 forderte das stv. GK auf Weisung des Kriegsministeriums, die monatlichen Berichte nach folgender Einteilung zu verfassen: »1. Allgemeines. 2.

Stimmung der Zivilbevölkerung. [...]«". Wichtig für diese Arbeit ist zweifelsohne der zweite Punkt, mit dem die Stimmung innerhalb der Bevölkerung als wesent- licher Faktor artikuliert wurde. Die beim stv. GK zusammenlaufenden Berichte aus dem Korpsbezirk wurden zusammengefaßt und an das Kriegsministerium wei- tergeleitet.

StAHH, Kriegsversorgungsamt Ial9a, Schreiben vom 22.12.1915. Nach Deist, Militär und Innenpolitik (wie Anm. 2), Nr. 154, Anm. 1 berichteten »die stellv. GK seit November 1915 über die Situation in ihrem Bereich - vor allem auf dem Ernähungssektor - an das preuß. Kriegsministerium.« Nach Anm. 2 finden sich im Generallandesarchiv Karlsruhe (GLA) und im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, Abt. IV. Sammlungen der Zusammen- stellungen der Berichte an das Kriegsministerium. Darüber hinaus finden sich weniger bekannte Akten im StAHH mit Berichten des KVA an das stv. GK IX, die die Grundlage für deren Berichte über Hamburg an das Kriegsministerium bildeten: Kriegsversor- gungsamt Ial9b Bd 1 (Jan.-Dez. 1916), Kriegsversorgungsamt Ial9b (Jan. 1917-Okt. 1918).

Megsversorgungsamt Ial9c. In der Literatur finden diese Hinweise vereinzelte Verar- beitung, so bei Volker Ullrich, Die Hamburger Arbeiterbewegung vom Vorabend des Er- sten Weltkrieges bis zur Revolution 1918/19, Bd 1, Hamburg 1976 (= Geistes- und So- zialwissenschaftliche Dissertationen, 37/1), S. 350-356.

StAHH, Kriegsversorgungsamt Ial9a.

Ebd.

Ebd.

Diese Berichte sind für Januar bis Dezember 1916 zu finden in StAHH, Kriegsversor- gungsamt Ial9b, Bd 1.

StAHH, Kriegsversorgungsamt Ial9a.

StAHH, Kriegsversorgungsamt Ial9a, Schreiben vom 24.1.1916 und 17.3.1916.

" StAHH, Kriegsversorgungsamt Ial9a, Schreiben vom 6.4.1916. Bei Deist, Militär und In- nenpolitik (wie Anm. 2) finden sich unter Nr. 154, Anm. 1 andere Angaben. Demnach sei durch ein Schreiben des Kriegsministeriums vom 21.3.1916 eine neue Gliederung A) Stimmung der Zivilbehörden, B) Lebensrruttelerzeugung [...] vorgesehen gewesen. Für Hamburg ergibt sich aber genau diese Einteilung erst durch ein Schreiben vom Septem- ber 1916. Dennoch stimmt das von Deist angegebene Datum mit der oben im Text an- gegebenen Gliederung überein.

98

(16)

Obwohl das stv. GK die Stimmungs- und Emährungslage im Sommer 1916 noch positiv einschätzte'", wurden die bisherigen Maßnahmen, die in erster Linie von den vaterstädtischen Behörden und Organisationen initiiert worden waren, nun zumindest um die Sorge des stv. GK ergänzt. Denn je mehr die Versorgimgslage auf die Ernährung der Bevölkerung durchschlug und somit die Kriegswirtschaft in Gefahr geriet, ihre Schwerstarbeiter nicht mehr ausreichend ernähren zu können, oder die schlechte Ernährungslage den Nährboden für Unruhen oder gar um- stürzlerische Bewegungen hätte fördern körmen, desto mehr mußte der Militär- befehlshaber aktiv werden. Seine ersten Maßnahmen waren aber werüger propa- gandistischer Art, als vielmehr darauf gerichtet, die Ernährung der Bevölkerung durch administrative Bestimmungen besser zu organisieren, wobei diese von sel- ten der jeweiligen zivilen Behörden zum Teil als unzureichend oder nicht zutref- fend empfunden wurden'"'.

Zurück zur Stimmung in Hamburg und den zivilen und militärischen Maß- nahmen. Am 16. August 1916 überreichte das stv. GK dem Hamburger Senat »ei- nen Auszug aus dem an das Kriegsmiiüsterium gesandten Bericht über den Stand der Lebensmittelversorgung im Juli'®«. Hier wird deutlich, daß sich das stv. GK der Lebensmittelversorgung der Arbeiter in wichtigen Betrieben, vor allem in sol- chen, die mit Heereslieferungen befaßt waren, besonders widmete. Zusätzlich sprach der Bericht den hetzerischen Einfluß von radikalen Flugblättern auf die Ar- beiterschaft an. Was diese Hugblattaktionen betraf, so traten dem »die Militär- und Polizeibehörden sofort mit aller Strenge entgegen« imd führten Verhaftungen durch.

Neben diesen disziplinarischen Maßnahmen wurden regelmäßig Artikel durch den Nachrichtendienst für Emährungsfragen aus dem Kriegsemährungsamt (KEA) in der Presse zum Abdruck gebracht, was viel zur Aufklärung beigetragen habe.

Im September 1916 unterbreitete das stv. GK den Städten semes Korpsbezirks erneut Vorschläge für die Lebensmittelversorgung, da die Bevölkerung unter al- len Umständen arbeitsfähig gehalten werden sollte"". Eine geplante Beeinflussung der Bevölkerung durch Flugblätter oder Plakate wurde in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Wenige Tage später ersuchte das stv. GK den Senat auf Veranlas- sung des Berliner KEA, die Gliederung der bisherigen Monatsberichte zu ändern'"^.

An erster Stelle sollte nun die »Stimmung der Zivilbevölkerung« und erst an zwei- ter Stelle die »Lebensmittelerzeugung« erfaßt werden.

Aber auch der Hamburger Senat sah sich mit der schlechten Versorgungslage konfrontiert. Im August erbat die Hamburger Bürgerschaft Auskunft vom Senat, ob ein Ausbruch von Lebensmittelumiihen zu befürchten sei. Diese Unruhen, die auf die Hungersnot in den ärmeren Bevölkerungsschichten zurückzuführen wa- ren'"', erreichten ihren Höhepunkt Mitte August 1916. Solchen Unruhen wollte die amthche K.f.K.V. mit einer »Aufklärung der Bevölkerung« entgegenwirken. Es soll-

Öeist, Militär und Innenpolitik (wie Anm. 2), Nr. 130, S. 311.

'"' StAHH, Kriegsversorgungsamt Ial9a, Schreiben vom 31.12.1915.

StAHH, Kriegsversorgungsamt Ial9a, Schreiben vom 6.8.1916, auf die sich die folgen- den Zitate beziehen. Dieses Schreiben ist nach dem Schema 1. Allgemeines und 2. Stim- mung der Zivilbevölkerung verfaßt, was dafür spricht, daß die Angaben bei Deist, Mi- litär und Innenfwlitik (wie Anm. 2). Nr. 154, Anm. 1 nicht richtig sind. Siehe auch Arvm. 99.

™ StAHH, Kriegsversorgungsamt Ial9a, Schreiben vom 8.9.1916.

™ StAHH, Kriegsversorgungsamt Ial9a, Schreiben vom 11.09.1916. Siehe auch StAHH, Kriegsversorgungsamt Ial9b, Bd 1, Schreiben vom 23.9.1916.

Ullrich, KriegsaUtag (wie Anm. 20), S. 51-56.

(17)

te »aufgeklärt« werden, daß die schlechte Versorgungslage nicht auf Fehler und Korruption innerhalb der Kommission beruhe, sondern vielmehr ein reichsweites Problem darstelle^®'. Die durch die K.f.K.V. betriebene Aufklärung geschah in er- ster Linie durch »ständige Fühlungnahme mit der Presse, mit der verabredet wur- de, daß die Zeitungen Klagen aus dem Publikum vor dem Abdruck der Behörde vorlegen sollten, danüt gleichzeitig eine Antwort der Behörde veröffentlicht wer- den könnte«'®^. Auch werm fast jede Woche eine Art Pressekonferenz veranstaltet wurde, so blieben doch die Bemühungen, die Bevölkerung aufzuklären, erfolglos.

Als Folge beschlossen Senat und Bürgerschaft im Herbst, die K.f.K.V. aufzulösen und durch das Kriegsversorgungsamt (KVA) zu ersetzen"®. Angesichts dieser La- ge und eines absehbar schlechten Winters boten auch andere Organisationen ver- einzelt weiterhin volkstümliche Vorträge'"®.

Aktivitäten zur »Erhaltung einer zuversichtlichen Stimmung im Volke«

Das Frühjahr 1916 brachte auf dem Feld der Aufklärung und Propaganda einen Umschwung, der sich aber erst im Spätherbst auszuwirken begann und weiteren Anschub benötigte. Mit Schreiben vom 7. März 1916 verschickte das stv. GK die Abschrift eines Schreibens des Kriegsmiiüsteriums, in welchem Empfehlungen für Maßnahmen gegen die wachsende Verschlechterung der Stimmung in der Heimat gegeben wurden"". Adressaten waren die obersten Zivilbehörden, namentlich der Senat, der wiederum durch seinen Senatsreferenten Dr. Schultz das Schreiben an die Polizeibehörde, an die Landherrnschaften und auch an die Oberschulbehörde weiterleitete. Die vom stv. GK delegierten Aufgaben in Sachen Aufklärung der Be- völkerung lassen auf eine fehlende zentrale Aufklärungsstelle in Altona schließen.

Das stv. GK mußte somit auf die Eigerünitiative der untergeordneten Stellen ver- trauen. In Württemberg reagierte die Regierung auf das Schreiben des Kriegsmi- nisteriums mit der Zentralisierung aller bisherigen Bemühungen zur »Mittelstelle für Volksaufklärung«"'.

Die nächste in den Akten nachzuweisende Reaktion stammt bereits vom No- vember 1916. Es handelt sich dabei um ein geheimes Schreiben an die obersten Zi- vUverwaltungsbehörden von selten der für die Zensur zuständigen Abteilung Id des stv. GK, das mit Sicherheit auf die reichsweit einsetzenden Unruhen zurück- zuführen sein dürfte. Vor allem aber die ersten Friedensdemonstrationen und die Hungerunruhen vom Sommer 1916 in Hamburg werden das stv. GK veranlaßt ha- ben, die Stimmung in der Bevölkerung zu beeiiiflussen:

Nach Lippmann, Mein Leben (wie Anm. 30), S. 220 glaubten die Hamburger, daß z.B.

Berlin als Reichshauptstadt bevorzugt mit Lebensmitteln beliefert wurde.

Ebd., S. 220.

Ebd., S. 22L Das KVA nahm am 30.9.1916 seine Arbeit auf. Auch StAHH, Senat-Kriegs- akten BIIa9a, Schreiben des KVA an den Senatsreferenten Dr. Schultz vom 4.5.1917.

StAHH, Gesellschaft der Freunde 613, Volkstümliche Vorträge der Patriotischen Gesell- schaft.

StAHH, Senat-Kriegsakten BllaS, ebenfalls abgedr. in Deist, Militär und Innenpolitik (wie Anm. 2), Nr. 128.

Mai, Aufklärung (wie Anm. 4), S. 207.

(18)

»Einer Anregung der obersten Heeresleitung entsprechend ist in Aussicht genommen, zur Hebung und Erhaltung der Stimmung im Volke erforderlichenfalls auch von der Versendung von Rugblättem und Flugschriften in umfangreichem Masze Gebrauch zu machen, und zwar sowohl im Felde wie in der Heimat, sowohl von solchen, deren amtliche Herkunft kenntlich ist, als auch von anderen.

[...] Um die Sicherheit zu haben, dass diese Flugblätter in der Heimat auch wirklich die breiten Volksmassen erreichen, wäre das steUv. Generalkommando für eine gepfl. Prüfung dankbar, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine Mitwirkung der Regierungs- und Ortsbehörden, insonderheit auch der Schulen oder privater Organisationen notwendig ist, damit die Verteilung sofort nach Eingang planmäßig erfolgen kann [..

Bezeichnend für dieses Schreiben ist neben seinem eigentlichen Inhalt und dem nachzuweisenden Reflex auf Anordnungen der 3. OHL, daß nun auch - erstmals - von der Versendung von Flugblättern und dergleichen Gebrauch gemacht wer- den sollte. Dies zeigt, daß diese Mittel bislang nicht eingesetzt wurden. Davon zeugt auch die Tatsache, daß zum Verteilen der Flugblätter Einrichtungen und We- ge bereits bestehender Organisationen des Mittelstandes oder der Arbeiterver- bände genutzt werden sollten"^.

Die Reaktionen auf die Aufforderung durch das stv. GK fielen unterschiedlich aus: Die Oberschulbehörde erklärte sich ebenso wie die Landherrnschaften bereit, Flugblätter verteilen zu verlassen"^. Der Polizeipräsident hingegen wies darauf hin, daß in den bürgerlichen Kreisen keine Organisation zur Verteilung der Flug- blätter bestünde, wohl aber in der sozialdemokratischen Partei, »die auch im Krie- ge musterhaft arbeitet. Ob es sich aber empfiehlt, diese Einrichtung zu dem in Fra- ge stehenden Zweck heranzuziehen, bedarf auch mit Rücksicht auf die Zukunft weiterer Erwägung"^.« Ob und mit welchem Erfolg Flugblätter verteilt wurden, läßt sich aus den Akten nur schwer oder gar nicht ersehen. Einen Eindruck über die verwendeten Flugblätter erweckt die Sammlung in der Plankammer des StAHH"'. Eindeutig standen die Jahre 1915 und 1916 unter dem Eindruck großer LebensmitteLknappheit, was durch viele Plakate des KVA imd Anschläge des stv. GK bezeugt wird. Die Anschläge des stv. GK enthalten vor allem Warnungen und Ge- bote, während das KVA und die Frauenorganisation der HK zur Sammlung von Obstkemen und Kaninchenfellen (!) u.ä. aufriefen.

Ende November des Jahres 1916 folgte das stv. GK einem Aufruf des JCriegs- presseamtes (KPA), das Überlegungen anstellte. Frontreisen durchzuführen. Die- se »würden den Zweck verfolgen, eine Anzahl von Personen aus allen Schichten der Bevölkerung mit dem Geist der Armee vertraut zu machen und sie dadurch zu befähigen, bei der Aufrechterhaltung der Stimmung in der Heimat zu helfen«"^.

StAHH, Senat-Kriegsakten BllaS, Schreiben vom 20.11.1916. Hervorhebung im Original.

Deist, Militär und Innenpolitik (wie Anm. 2), Nr. 136, S. 332.

StAHH, Senat-Kriegsakten BllaS, Schreiben vom 25.11.1916.

StAHH, Senat-Kriegsakten BllaS, Schreiben vom 27.11.1916.

StAHH, Plankammer, 265-9, unter dieser Signatur finden sich zum Teil noch ungeord- nete und nicht katalogisierte Bestände. Insgesamt handelt es sich bei dieser Sammlung über »MUitär- und Kriegswesen. Erster Weltkrieg 1914-18« um ca. sechs Sammelmappen mit Photographien, Zeitungsausschnitten, Plakaten und Flugblätter u.ä. Inwiefern die- se Sammlung aber repräsentativ für Hamburg ist, muß offen bleiben.

StAHH, Senat-Kriegsakten BllaS, Schreiben aus Berlin vom 28.11.1916.

(19)

Totalisiemng der Propaganda? (1917 bis 1918)

Mit der Übernahme der 3. OHL durch Hindenburg und Ludendorff verschärften sich die Bemühungen um die Kontrolle der öffentlichen Meinung im Reich. Seit November 1916 mehrten sich die Anzeichen dafür, daß vom stv. GK in Altona Im- pulse ausgingen, die von der 3. OHL, aber auch deren Ämtern, wie dem KPA, initi- iert wurden. Ein weiteres einschneidendes Ereignis war der sogenannte Steckrü- benwinter von 1916/17, der wohl die größte Hungerwelle auslöste und die Stim- mung der Bevölkerung drückte.

».. .die Schwachen stärken...« - Verdichtung der Propaganda

Im Gegensatz zu den Unruhen vom Herbst 1916, die sich nur auf wenige Stadt- teile beschränkt hatten, wurden im Steckrübenwinter von 1916/17 angesichts der mangelhaften Lebensmittelversorgung fast alle Stadtteile von Unruhen er- faßt, die sich in einer Kettenreaktion auch auf Hamburg Land ausbreiteten. Das Ausufern der Unruhen auf nicht ausschließlich von'Arbeitern bewohnte Viertel deutet Ullrich als Zeichen dafür, daß zunehmend auch mittelständische und kleinbürgerliche Kreise vom Hunger betroffen waren"®. Ein Phänomen, das mit dem Lebensmittelmangel auftauchte, war das Hamstern und der Schleichhan- del. Vor allem der Schleichhandel führte zu Unzufriedenheit und Unruhen. Die- se, aus dem Gefühl einer Ungleichbehandlung heraus resultierenden Unruhen begleiteten Hamburg von nun an und beschäftigten vor allem die HK und das KVA.

Das stv. GK delegierte die Verteilung der Flugblätter, die vom KPA herausge- geben oder gebilligt waren. Daß Anfang 1917 die Propagandatätigkeit nicht aus- schließlich in Händen des stv. GK lag und dies unter Umständen nicht nur im Korpsbezirk des IX. Armeekorps, sondern im gesamten preußischen Bereich, ver- deutlicht die Abschrift eines Schreibens vom KPA, das ursprünglich an sämtliche preußische stv. GK gerichtet war:

»Das Kriegspresseamt bittet sehr ergebenst um Nachricht, welche amtlichen oder privaten Organisationen des dortigen Befehlsbereichs sich mit der Aufklärung des Volkes über die Anforderungen des Krieges und mit der Aufrechterhaltung der zuversichtlichen Stimmung befassen"'.«

Auch Altona blieb weiter daran interessiert zu erfahren, welche amtlichen oder privaten Organisationen zur Aufrechterhaltung der Stimmung herangezogen wer- den konnten^^". Ende Februar 1917 erfolgte als eine der ersten Flugblattaktionen die Verteilung einer Kanzlerrede unter der ärmeren Bevölkerung"'. Wichtig ist hier der Verteilungsmodus: Der Senat beschloß, die Rede, wie in ähnlichen Fällen, durch

Ullrich, Kriegsalltag (wie Anm. 20), S. 69. Zu den Hungerunruhen siehe S. 68-72.

StAHH, Senat-Kriegsakten BllaS, Schreiben vom 13.1.1917, abgedr. auf dem Schreiben des stv.GK vom 29.1.1917.

StAHH, Senat-Kriegsakten BllaS, Schreiben vom 29.1.1917.

StAHH, Senat-Kriegsakten BIIa8, Telegramm vom 6.3.1917.

(20)

Verteilung an Schulkinder zu verbreiten'^^. Nicht die Instrumentalisierung der Kin- der als Multiplikatoren, sondern die Zustimmung des Senates zum Verteilungs- modus veranschaulicht dessen Unabhängigkeit vom stv. GK in dieser Frage. Dies untermauert erneut die These, daß das stv. GK in Altona keine »diktatorischen«

Vollmachten besaß, oder sie zumindest nicht rigoros anwandte.

Was die Art der Verteilung anbelangte, so ging die Dezentralisierung weiter.

Das stv. GK schlug vor, die Versendung der Flugblätter von Seiten des KPA un- mittelbar an die einzelnen Verteilerstellen vorzunehmen. Dies verdeutlicht weiter die Rolle und das Selbstverständnis des stv. GK in dieser Phase: Es nahm lediglich eine Mittlerrolle zwischen KPA und den zivil-amtlichen Verteilerstellen ein. Im März wurde auf Initiative des Kriegsministeriums die Einrichtung einer Zentral- stelle zur Aufklärung der Jugend bei der Oberschulbehörde bekanntgegeben. Die- se Einrichtung sollte als Verteilerstelle zwischen KPA und der Jugend fungieren und somit im stärkeren Maße als bisher auch die Eltern der Schüler erreichen'^.

Im weiteren Verlauf des Frühjahrs zielte das KPA und somit auch das stv. GK auf die Arbeiterschaft ab. Dabei berücksichtigte das stv. GK, daß die Hugblätter möglichst unauffällig unter den Arbeitern verteilt werden sollten'^^. Die Hambur- ger Polizeibehörde wies jedoch darauf hin, daß die Verbreitung von Aufrufen nicht unauffällig geschehen könne, sobald die Polizei mitwirken soUte. Sie schlug die Arbeitgeberverbände vor, die schon häufig durch Vertrauensleute Flugblätter hät- ten verbreiten lassen'".

».. .den Starken helfen...« - Der Ausschuß für Kriegsaufklärung

Ab Frühjahr 1917 finden sich in den Akten Hinweise auf eine neue Abteilung in Al- tona: die Abteilung Ic. Aus der Geschäftseinteilung vom Oktober 1917 geht her- vor, daß die Abteilung Ic unter anderem für Kriegsaufklärung, nämlich a) für den Vaterländischen Unterricht bei den Truppenteilen und b) für die Zivilaufklärung zuständig gewesen ist'^'.

Von diesem Zeitpunkt an körmen wir für den Bereich Hamburg von einer mi- litärischen Aufklärung sprechen, die sich aber mit Sicherheit nicht von heute auf morgen auswirken kormte. Der Impuls, der zur Umgestaltung des Stabes führte, ist im-April 1917 zu suchen: Nämlich bei einer reichsweiten Besprechung der Lei- ter der Zensurstellen vom 4. April 1917'^^.

StAHH, Senat-Kriegsakten BIIa8, Genehmigung vom 7.3.1917.

StAHH, Senat-Kriegsakten AIIpSO, das Schreiben vom Kriegsministerium datiert vom 26.2.1917, die Antwort des Senats vom 9.3.1917.

StAHH, Senat-Kriegsakten BllaS, Schreiben vom 16.4.1917, es waren 50 000 Stück eines Aufrufes »der Feldgrauen an die Kameraden in der Heimat« vorgesehen.

StAHH, Senat-Kriegsakten BllaS, Schreiben vom 17.4.1917.

Aus der Anlage geht für das stv. GK IX. eindeutig hervor, daß Propaganda im weitesten Sinne nicht die alleinige Aufgabe der neuen Abteilung war. Dies verdeutlicht den rela- tiven Stellenwert und zeigt, daß zumindest in Altona keine reine Aufklärungsabteilung samt Organisation wie in Württemberg geschaffen wurde.

Deist, Militär und Innenpolitik (wie Anm. 2), Nr. 321.

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