Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 20⏐⏐15. Mai 2009 A993
K U LT U R
D
ie berühmteste Künstlerin Dänemarks war schon zu Lebzeiten erfolgreich. Dabei hatte Anna Ancher es nie nötig zu kämp- fen wie andere Frauen ihrer Zeit – weder in der Malerei noch sonst im Leben. Die märchenhafte Karriere legte Hans Christian Andersen ihr quasi in die Wiege. Der Dichterfürst sorgte nämlich für Aufregung und Turbulenzen, als er am 17. August 1859 in Skagen eintraf und sich in Brøndums Gasthof einquartierte. In der Nacht zum 18. August, vier Wo- chen zu früh, kam dort Anna zur Welt. Dieses Kind werde wohl et- was Besonderes sein, sagte sich Hedvig Brøndum und beschloss, ih- rer Tochter künftig ein besonderes Augenmerk zu schenken. Ein Mär- chenprinz unter dem Dach könne nur ein gutes Omen sein.Anna war ein Glückskind. Das Schicksal nahm seinen Lauf, als Ma- ler die besonderen Lichtverhältnisse an der Nordspitze Jütlands entdeck- ten. Dabei war das Hinkommen müh- sam in jener Zeit. 40 Kilometer durch den Sand mussten die Pferdekutschen von Fredrikshavn nach Skagen zurücklegen. Die unwirtliche Gegend war eine echte Herausforderung. Von einem äußersten Thule, einem Uto- pia, schwärmte Karl Madsen seinem Malerfreund Viggo Johansen vor.
Madsen kam 1871 als einer der ersten Maler nach Skagen. Zwei Sommer später brachte er Michael Ancher mit, der kraftvolle, wahrlich raffaelische Bilder von den Fischern malte. So etwas hatten die Dänen zuvor noch nicht gesehen. Auch Christian Krogh, Laurits Tuxen, Oscar Björck, Peder Severin Krøyer und andere verlegten ihr Atelier an den Strand von Skagen.
Die Künstler wohnten in Brøn- dums Hotel, das damals noch ein schlichter Gasthof war. „Ich mag diese Herren Maler zu gern, die ein- fach so hier wohnen, denn von ihnen kann man wirklich lernen, die Dinge zu verstehen, und überhaupt sind sie unvergleichlich“, vertraute die 17- jährige Anna ihrem Tagebuch an.
Karl Madsen erteilte der jungen An- na Malunterricht und bescheinigte ihr Talent. Die Eltern erlaubten ihr deshalb, sich in Kopenhagen an Kyhns Zeichenschule für Frauen ausbilden zu lassen. Schon 1880 de- bütierte sie bei der jährlichen Aus- stellung der Kunstakademie auf Pa- lais Charlottenburg. Noch im selben Jahr, an ihrem 21. Geburtstag, heira- tete sie Michael Ancher. Das Ska- genmädchen und der Maler aus Bornholm avancierten zum Traum- paar der dänischen Kunstszene.
Im roten Häuschen der Anchers, das 30 Jahre lang ihr Zuhause war und in dem Anna bis zu ihrem Tod am 15. April 1935 lebte, können Be- sucher nun in die gute Stube und in die Ateliers der beiden Künstler schauen. Hier hat Anna ihre zauber- haften Interieurs komponiert: die Nähstube mit den kleinen Mädchen, die Frauen in der Küche, bei der Handarbeit, beim Geflügelrupfen.
Und immer wieder ihre Tochter Hel- ga und ihre Mutter, zu der sie bis zu- letzt ein inniges Verhältnis hatte.
Einzigartig, wie sie mit dem Pinsel das Licht einsetzen konnte. Anna Ancher beherrschte die Technik, in Bildern Intimität zu erzeugen. „In ihrem Atelier gab es etwas, das kei- ner von uns anderen im selben Maß besaß, eine stille Hingabe an die Aufgabe und ein Kolorit, so gesättigt und saftig, dass man es genoss wie eine reife Frucht“, erinnert sich der Schwede Oscar Björck 1929 in ei- nem Brief an Karl Madsen, dem ers- ten Direktor von Skagens Museum.
Dort steht noch bis zum 31. August im Rahmen der Ausstellung „Anna (Ich) Anna“ das Geburtstagskind ganz im Mittelpunkt. Informatio- nen: VisitDenmark, www.visitden
mark.com. I
Elke Sturmhoebel
NORDJÜTLAND
„Anna (Ich) Anna“
Skagen feiert den 150. Geburtstag von Anna Ancher mit einer Ausstellung. Ausgewählte Werke treten in einen thematischen Dialog mit anderen Künstlern der Zeit.
Foto:picture-alliance/akg-images
Glückskind:Anna Ancher, wie sie 1902 ihr Ehemann Michael malte.
„Ich mag diese Herren Maler zu gern, die einfach so hier wohnen,
denn von ihnen kann man wirklich lernen, die Dinge zu verstehen, und überhaupt sind sie
unvergleichlich.“
Aus dem Tagebuch der 17-jährigen Anna
30 Jahre ein zuhause:Im roten Häuschen der Anchers sind die Ateliers des Künstlerpaars zu be- sichtigen.
Foto:Elke Sturmhoebel