Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 4|
29. Januar 2010 A 131P
atienten mit lymphoiden Lä- sionen im Zentralnervensys- tem (ZNS) – wie primären Lympho- me, metastatischen Absiedlungen primär extrazerebraler hämatopoe- tischer Tumoren sowie Entzündun- gen autoimmuner und infektiöser Genese – können eine Odyssee bis zur Diagnose und darauf basieren- der, gezielter Therapie ihrer Krank- heit erleben. Denn die Differenzial- diagnose ist erschwert, wenn der Patient keine klassische Sympto- matik zeigt und/oder eine vorausge- gangene symptomatische Therapie das Krankheitsbild maskiert.Zur diagnostischen, klinischen und wissenschaftlichen Bearbeitung von Erkrankungen dieses Formen- kreises haben Ärzte und Wissen- schaftler das interdisziplinäre Kon- sortium Netzwerk Lymphome und lymphomatoide Läsionen des Ner- vensystems (NLLLN) gegründet.
Darin wird die Expertise aus Neu- rologie, stereotaktischer Neurochir - urgie, Hämatoonkologie, Neuropa- thologie, Pathologie, Humangenetik und Molekulargenetik gebündelt.
NLLLN bietet behandelnden Ärzten und ratsuchenden Patienten Hilfestellung durch Experten der jeweiligen Fachrichtungen in der Dia gnostik und Therapie lympho- matoider – das heißt neoplastischer oder entzündlicher hämatopoeti- scher – Läsionen im ZNS. Darüber hinaus führt NLLLN in klinischen Studien Referenz(neuropathologi- sche)-Begutachtungen für Patienten mit primären Lymphomen des ZNS (PCNSL) durch. Hierbei handelt es
sich um maligne diffus-großzelli- ge B-Zell-Lymphome, die auf das ZNS beschränkt sind.
Durch die enge Vernetzung kli- nisch und diagnostisch tätiger Ärzte mit grundlagenwissenschaftlich ori- entierten Kollegen ergeben sich wissenschaftliche Fragestellungen, die von NLLLN unmittelbar aufge- griffen werden. Die Aktivitäten des Konsortiums werden in jährlichen Abständen von einem International Advisory Board kritisch evaluiert.
Suche nach therapeutisch relevanten Biomarkern Ziel des wissenschaftlichen Be- gleitprogramms ist die Identifikati- on prognostisch und therapeutisch relevanter Biomarker bei PCNSL.
Darüber hinaus wird auch die Frage bearbeitet, warum die Prognose bei Patienten mit PCNSL bislang er- heblich schlechter ist als bei Patien- ten mit diffus-großzelligen B-Zell- Lymphomen außerhalb des Ge- hirns. Hierbei profitiert NLLLN auch von der Mitgliedschaft im Kompetenznetz Maligne Lympho- me e.V. Dadurch können die organ- spezifischen Besonderheiten des immunologisch privilegierten ZNS, das nicht über ein klassisches lym- phatisches System verfügt, heraus- gearbeitet werden.
Es mehren sich nämlich die Hin- weise darauf, dass die Mikroumge- bung des ZNS und die Interaktionen zwischen hirneigenen Zellpopula- tionen und Tumorzellen die Biolo- gie von PCNSL wesentlich beein- flussen. Die kürzlich erhobenen Be-
obachtungen, dass die Tumorzellen von PCNSL über Chemokine und deren Rezeptoren mit zentralnervö- sen Zellen kommunizieren können, stellen wahrscheinlich nur die Spit- ze eines Eisbergs dar.
Moderne molekulare und immu- nologische Methoden ermöglichen die Aufdeckung weiterer spezifi- scher Interaktionen zwischen Tu- morzellen und diversen hirneigenen Zellpopulationen sowie die Analyse einer gegenseitigen Regulierung der Aktivitäten von Tumorzellen und hirneigenen Zellpopulationen, welche potenziell in die Immunant- wort gegenüber den Tumorzellen involviert sind. Diese wissenschaft- lichen Arbeiten lassen spannende neue Erkenntnisse zur Pathogenese von PCNSL erwarten.
Des Weiteren haben aktuelle Un- tersuchungen gezeigt, dass PCNSL eine gesteigerte Aktivität des Nucle- ar-Factor(NF)-kB-Signalwegs auf- weisen. Dieser Signalweg reguliert die Proliferation und Apoptose von Zellen; seine Deregulation könnte für die ungewöhnlich hohe Proli - ferationsaktivität und die gestörte Apoptose der Tumorzellen von PCNSL (mit)verantwortlich sein.
Tatsächlich konnten in PCNSL Mutationen in NF-kB regulieren- den Genen identifiziert werden.
Diese Beobachtungen könnten in Zukunft therapeutische Relevanz erhalten, wenn es gelingt, diesen Signalweg gezielt therapeutisch zu modulieren.
Klinische Relevanz hat die Ent- wicklung diagnostischer Leitlinien sowie biologisch begründeter oder risikoadaptierter Therapiestrategien.
Entsprechende Weiterbildungsver- anstaltungen finden einmal jährlich in Köln statt, diese stehen interes- sierten Kollegen offen. ■ Prof. Dr. med. Martina Deckert (Sprecherin)
Prof. Dr. med. Reiner Siebert (Stellvertretender Sprecher), Prof. Dr. med. Wolfgang Brück, Prof. Dr. med. Andreas Engert, Prof. Dr. med.
Jürgen Finke, PD Dr. med. Gerald Illerhaus, PD Dr. med. Wolfram Klapper, PD Dr. med. Ag- nieszka Korfel, Prof. Dr. rer. nat. Ralf Küppers, PD Dr. med. Mohammed Maarouf, Prof. Dr. med.
Werner Paulus, Prof. Dr. med. Uwe Schlegel