Nach dem Überfall auf eine ärztliche Fortbildungstagung in Frankfurt: „Mit den umgestürzten Tischen gingen fast alle Gläser, Tassen und Teller zu Bruch.
Wie wild trampelten die Täter nach Augenzeugenberichten auf den herabgefallenen Gegenständen herum, wobei auch ein Dia-Projektor total zerstört wurde . . . Insgesamt entstand ein Sachschaden, in Höhe von über 10 000 Mark." („Abendpost- Nachtausgabe") Foto: H. Dieter Kuhn
Die Information:
Bericht und Meinung
,Der Saal wurde von vorne nach hinten aufgeräumt', so schilderte die Szene einer der Anwesenden.
,Mit Händen und Füßen wurden Ti- sche umgeworfen, Tassen, Gläser und Porzellan heruntergeschmis- sen, Stühle hochgewirbelt und auf die Ärzte und Ärztinnen gewor- fen.' Die Anwesenden flüchteten in eine Ecke, die Männer stellten sich vor die Frauen und wehrten das auf sie zufliegende zertrümmerte Mobiliar mit Stühlen ab. Trotzdem wurden einige Teilnehmer der Ta- gung leicht verletzt. Eine 64 Jahre alte Ärztin erlitt einen Herzanfall.
Diaprojektoren wurden umgewor- fen und mit Füßen zertrümmert. Die Ärzte wurden als Schweine und Mörder beschimpft. Der Sachscha- den wird auf rund zehntausend Mark geschätzt ...
Die Randalierer hatten Flugblätter hinterlassen, die von der Polizei si- chergestellt wurden. In ihnen wer- den die Ärzte als Folterknechte be- zeichnet. ‚Wir haben heute eine Ak- tion durchgeführt', heißt es im Flugblatt, gegen eine Versamm- lung von Ärzten, in der über ver- schiedene sozialpolitische Aspekte diskutiert werden sollte.' Die Grup- pe wollte, so hieß es, erfahren, was die Ärztekammern und Berufsver-
bände tun, um die Mitwirkung von Ärzten an Folterungen und Ge- sundheitszerstörung von politi- schen Gefangenen zu verhindern.
Vertreter der Landesärztekammer Hessen und der Berufsverbände bestritten gestern, daß sie je von irgend jemanden aufgefordert wor- den wären, zu diesen Fragen Stel- lung zu nehmen.
Dr. Gerhard Löwenstein, Vorsitzen- der der Kassenärztlichen Vereini- gung Hessen, sagte dazu, daß sich im Zusammenhang mit diesem Er- eignis Parallelen zur Nazizeit auf- drängten. Leute, die gegen Terror und Brutalität protestieren wollen, hätten selbst ,Terror ersten Ran- ges' ausgeübt. Es stelle sich die Frage, inwieweit man heute noch friedliche, unpolitische Veranstal- tungen besuchen könne, um sicher zu gehen, daß man physisch und psychisch nicht bedroht werde. Mit der Empfehlung der Polizei, Poli- zeischutz für solche Veranstaltun- gen anzufordern, könne man nicht einverstanden sein. Es sei nicht zu- zumuten, Polizeischutz für Ver- sammlungen und Tagungen zu ver- langen, die mit der Politik über- haupt nichts zu tun hätten ..."
DÄ/FR/FN P/FAZ
DER KOMMENTAR
Die Eskalation der Gewalt
Parallelen zum Deutschland der beginnenden dreißiger Jahre Ein roter Faden zieht sich vom jüngsten Deutschen Ärztetag in Berlin, wo eine wissenschaftliche Diskussion über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland am 25. Juni 1974 durch ein „Go in" gewaltsam ge- sprengt wurde, bis hin zu dem ge- walttätigen „Go in" bei einer ärztli- chen Fortbildungstagung am 6. No- vember 1974 in Frankfurt.
Ein harter Kern von etwa elf Ärzten und eine Sympathisantenschar von 100 bis 200 Ärzten, Studenten und anderen Personen hatten in Berlin eine massive Störung des Deut- schen Ärztetages bewirkt, der sei- ne sachliche Arbeit am nächsten Tag allerdings unbehindert fortset- zen konnte. Hatten sich schon da- mals zahlreiche Demonstrations- teilnehmer von dem harten Kern der „AUA" (Dr. Halter, Dr. Matakas, J. Scholmer et al.) spontan distan- ziert, weil tatsächlich keineswegs alle die massive Störung des Deut- schen Ärztetages während einer derart ernsten Verhandlung guthie- ßen, so dürfte es jetzt auch in noch so radikalen politischen Kreisen kaum eine ernstzunehmende Stim- me geben, die sich öffentlich ent- schuldigend zugunsten der linken Gewalttäter von Frankfurt äußert, die Ärztinnen und Ärzte, die sich zum Nutzen ihrer Patienten fortbil- den wollten, mit brutalem Terror
bedroht haben.
Die alarmierenden Geschehnisse in Berlin und Frankfurt unterschei- den sich wohl im Ausmaß der Ge- walttätigkeit, nicht jedoch prinzi- piell in der Taktik. In beiden Fällen ist behauptet worden, es gehe den Demonstranten um eine „Diskus- sion". In Wirklichkeit wurden beide Male Versammlungen gesprengt, das eine Mal mit dem Kampfmittel Megaphon, das andere Mal mit Bleikabeln als Schlagwaffen. DÄ
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 47 vom 21. November 1974 3379