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Die Zuständigkeitsverteilung zwischen VfGH und VwGH in Angelegenheiten der Charta der Grundrechte der Europäischen Union / eingereicht von Rene Baumgartner

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Eingereicht von Rene Baumgartner Matrikelnummer: 01157466 Angefertigt am Institut für Verwaltungrecht und Verwaltungslehre Betreut von

Univ. Prof. Dr. Andreas Hauer

März 2019

Die Zuständigkeitsverteilung zwischen

VfGH und VwGH in Angelegenheiten

der Charta der Grundrechte der

Europäischen Union

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

MAGISTER IURIS im Diplomstudium Rechtswissenschaften JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich www.jku.at

(2)

Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hillfe verfasst, ander als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektornisch übermittelten Textdokument identisch.

______________________________ (Linz, am 1. März 2019)

(3)

Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung...6

II. Entwicklung bis zum Erkenntnis U 466/11...7

Ablehnung der Zuständigkeit, Verletzungen des Unionsrechts aufzugreifen, durch den VfGH...7

Die GRC in der Judikatur des VwGH...8

Keine Inanspruchnahme der Zuständigkeit, Verletzungen der GRC aufzugreifen...11

III. Das Erkenntnis U 466/11...12

Anwendungsbereich der GRC...14

Judikatur des VfGH...15

Judikatur des EuGH...15

Allgemeine Rechtsgrundsätze...19

Vermeintliche Unzuständigkeit des VwGH durch Art 133 Abs 5 B-VG...21

Begründung mit dem Äquivalenzgrundsatz...22

Kritik...23

Eingeschränkte Zulässigkeit einer Revision an den VwGH...25

Normenkontrollverfahren vor dem VfGH...26

Vereinbarkeit mit Europarecht...28

Rs Simmenthal II...29

Rs Melki und Abdeli...30

Vorlagefragen des OGH im Verfahren 9 Ob 15/12i...33

Bereinigungspflicht...34

Monopolstellung des VfGH?...39

IV. Beharren des VwGH auf der Zuständigkeit, Verletzungen der GRC aufzugreifen...42

Keine verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte...42

Verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte, jedoch Inanspruchnahme der Zuständigkeit ...42

Begründung der Zuständigkeit...43

Kritische Auseinandersetzung mit der Argumentation des VwGH...44

Ergebnis...46

V. Antworten auf offen gebliebene Fragen...47

Eingeschränkte Möglichkeit der Revision an den VwGH...47

Erläuterung zur Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes...48

VI Zusammenfassung...49

(4)

Abkürzungsverzeichnis

aA andere Ansicht

ABl Amtsblatt der Europäischen Union

Abs Absatz

AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Art Artikel

BAO Bundesabgabenordnung

BFG Bundesfinanzgericht

BGBl Bundesgesetzblatt

BVA Bundesvergabeamt

BVerfG (deutsches) Bundesverfassungsgericht

B-VG Bundes-Verfassungsgesetz

E Entscheidung

ecolex Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht

EG Europäische Gemeinschaften

EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EMRK Europäische Menschenrechtskonvention

EU Europäische Union

EuGH Europäischer Gerichtshof

EUV Vertrag über die Europäische Union

EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

f folgende

ff fort folgende

GA Generalanwalt

GedS Gedenkschrift

GG (deutsches) Grundgesetz

GRC Charta der Grundrechte der Europäischen Union

GZ Geschäftszahl

Hrsg Herausgeber

idF in der Fassung von

JAP Juristische Ausbildung und Praxisvorbereitung

(5)

Lfg Lieferung

lit littera

migraLex Zeitschrift für Fremden- und Minderheitenrecht

mwN mit weiteren Nachweisen

OGH Oberster Gerichtshof

ÖJZ Österreichische Juristenzeitung RL Richtlinie Rn Randnummer Rs Rechtssache Rsp Rechtsprechung Rz Randzahl S Satz StF Stammfassung StPO Strafprozessordnung ua und andere UVP Umweltverträgkichkeitsprüfung

UVP-G Bundesgesetz über die Prüfung der

Umweltverträglichkeit

VfGG Verfassungsgerichtshofgesetz

VfGH Verfassungsgerichtshof

Vgl vergleiche

VfSlg amtliche Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten

Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes

VwG Verwaltungsgericht

VwGG Verwaltungsgerichtshofgesetz

VwGH Verwaltungsgerichtshof

VwSlg Erkenntnisse und Beschlüsse des

Verwaltungsgerichtshofes

verb Rs verbundene Rechtssache

Wv Wiederverlautbarung

zB zum Beispiel

ZfRV Zeitschrift für Europarecht, internationales Privatrecht

und Rechtsvergleich

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I. Einleitung

In Österreich sind zwei Höchstgerichte des öffentlichen Rechts als letzte innerstaatliche Instanz zur rechtlichen Kontrolle des Verwaltungshandelns berufen, dies sind der Verfassungsgerichtshof sowie der Verwaltungsgerichtshof.1 Beide Höchstgerichte sind dabei formal gleichrangig, da keine Möglichkeit

der Überprüfung der Erkenntnisse eines Gerichtshofes durch den jeweils anderen Gerichtshof existiert.2

Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass die Auffassungen beider Höchstgerichte voneinander abweichen. Deshalb kann die beschriebene Gleichrangigkeit ein Problem darstellen, falls die selbe Erscheinungsform hoheitlichen Handelns von beiden Höchstgerichten zu überprüfen ist. Das ist vor Allem bei Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte 1. Instanz der Fall. Diese Erkenntnisse können durch Erhebung des entsprechenden Rechtsmittels von beiden Gerichtshöfen überprüft werden3. Um die

daraus folgenden Probleme einzudämmen, wurde die Zuständigkeit des VfGH von jener des VwGH durch das B-VG auch in Angelegenheiten der Erkenntnisbeschwerde abgegrenzt. An den VfGH ist die Beschwerde zu richten, falls der Beschwerdeführer vorbringe, er sei wegen der Anwendung einer rechtswidrigen Norm in seinen Rechten oder "durch das Erkenntnis in einem verfassungsgestzlich

gewährleisteten Recht"4 verletzt. Ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht kann jede

verfassungsrangige subjektive Rechtsposition sein.5 Im Gegensatz dazu ist der VwGH für die

Behandlung der Revision zuständig, soweit der Beschwerdeführer geltend mache, er sei "durch das

Erkenntnis in seinen Rechten verletzt"6. Überdies betont der Gesetzgeber in Art 133 Abs 5 B-VG, dass

Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit des VfGH fallen, von der Zuständigkeit des VwGH ausgenommen sind. Dadurch scheint es, als sei es nicht möglich, dass beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts die Kompetenz zukomme, dieselbe Frage zu beantworten.

Dennoch wird die Zuständigkeit, Verletzungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, aufzugreifen, sowohl durch den VfGH7 als auch vom VwGH8 in Anspruch genommen. Es ist,

insbesondere im Hinblick auf Art 133 Abs 5 B-VG, zu prüfen, wie die Zuständigkeit beider Gerichtshöfe in derartigen Verfahren begründet werden kann. Die vorliegende Diplomarbeit soll sich mit dieser Thematik befassen.

1 Berka, Verfassungsrecht Grundzüge des österreichischen Verfassungsrechts für das juristische Studium5, Rz 849, Rz

983 & Rz 945.

2 Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht10 , Rz 668.

3 Vgl für die Zuständigkeit des VfGH Art 144 Abs 1 B-VG sowie für die Zuständigkeit des VwGH Art 133 Abs 1 Z 1 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl 1930/1 (Wv) idF BGBl I 2018/22.

4 Art 144 Abs 1 B-VG.

5 Kneihs in Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Kommentar, Korinek/Holoubek/Bezemek/Fuchs/Martin/

Zellenberg (Hrsg), Art 144 B-VG, 13.Lfg (2017), Rz 22.

6 Art 133 Abs 6 Z 1 B-VG. 7 Richtungsweisend: VfSlg 19.632.

(7)

II. Entwicklung bis zum Erkenntnis U 466/11

Zu Beginn soll ein kurzer Überblick über die Entwlicklung bis zum Erkenntnis U 466/11 des Verfassungsgerichtshofes gegeben werden.

Ablehnung der Zuständigkeit, Verletzungen des Unionsrechts

aufzugreifen, durch den VfGH

Dem Verfassungsgerichtshof kommen mehrere Aufgaben zu. Einige davon sollen hier näher betrachtet werden, da zwei der Kompetenzen dieses Höchstgerichtes für den Zweck dieser Arbeit besonders relevant sind. Einerseits ist dies die Möglichkeit, in Erkenntnissen der VwG Mängel aufzugreifen, die in die Verfassungssphäre reichen. Andererseits kommt diesem Gerichshof auch die Aufgabe zu, generell/abstrakte Normen in einem Normenkontrollverfahren zu überprüfen. Der VwGH ist hingegen für die Behandlung einer Beschwerde zuständig, mit der ein Beschwerdeführer behauptet, in Rechten verletzt zu sein, sofern dies nicht in die Zuständigkeit des VfGH fällt.9

Es stellt sich die Frage, ob das Unionsrecht einen Bestandteil des Verfassungsrechts darstellt. In den Jahren nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft vertrat der Verfassungsgerichtshof die Auffassung, Rechtsakte der Gemeinschaft seien innerstaatlichen Normen im Verfassungsrang gegenüber nicht gleichwertig. Somit stellen diese auch keinen Prüfungsmaßstab in einem Verfahren vor dem VfGH dar. Diese Ansicht des Verfassungsgerichtshofes findet sich in einem grundlegenden Erkenntnis10 aus dem Jahr 1997. In

diesem Verfahren machte die Beschwerdeführerin geltend, dass in einem Verfahren ihr gegenüber angewendete Gesetz sei einerseits gleichheitswidrig, andererseits verstoße es gegen eine Bestimmung des EG-Vertrages und dürfe daher ihr gegenüber nicht angewendet werden. Eine Gleichheitswidrigkeit des betreffenden Gesetzes konnte nicht gefunden werden.11 Zur Frage, ob die

betreffende Norm auf Grund des Anwendungsvorranges nicht hätte angewendet werden dürfen, führte der VfGH mit einem Hinweis auf die Judikatur des EuGH aus, dass eine Nichtanwendung

9 Kneihs in Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Kommentar, Korinek/Holoubek/Bezemek/Fuchs/Martin/

Zellenberg (Hrsg), Art 144 B-VG, 13.Lfg (2017), Rz 5.

10 VfSlg 14.886, Rz I, 3. 11 VfSlg 14.886, Rz III, 1.

(8)

nur dann vorzunehmen wäre, wenn der Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht „offenkundig“ wäre.12

Ansonsten sei „ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht aus der Sicht des Verfassungsgerichtshofes

der Verletzung einfachgesetzlicher Vorschriften gleichzuhalten [...], die wahrzunehmen der Verwaltungsgerichtshof berufen ist“.13 Es wurde vom Verfassungsgerichtshof jedoch nicht näher

begründet, warum er diese Auffassung vertrat.

Diese Position schien mit dem Äquivalenzgrundsatzes vereinbar zu sein.14 Dieser Grundsatz, zu

dessen Einhaltung die Mitgliedstaaten auf Grund des Unionsrechts verpflichtet sind, wird in dieser Arbeit noch näher zu behandeln sein. Zusammenfassen lässt er sich folgendermaßen: Der Äquivalenzgrundsatz gebietet es, dass für die Durchsetzung subjektiver Rechte, die das Unionsrecht dem Einzelnen gewährt, ein gleichwertiger Rechtsschutz zur Verfügung stehen müsse, wie er für gleichwertige innerstaatliche Rechte vorgesehen ist.

Der Verfassungsgerichtshof15 wies selbst darauf hin, dass dem Verwaltungsgerichtshof erweiterte

Möglichkeiten zukommen, um die Vereinbarkeit des Verwaltungshandelns mit den gesetzlichen Gegebenheiten zu überprüfen. Daher sei dieser Gerichtshof auch in der Lage, die behauptete Verletzung des Gemeinschaftsrechts [nunmehr: Unionsrecht] zu überprüfen.

Die GRC in der Judikatur des VwGH

Der Verwaltungsgerichtshof wies im Erkenntnis vom 30. September 2010, GZ 2010/03/0051, zum ersten mal auf die GRC hin. Konkret wurde durch den VwGH festgestellt, dass das Erfordernis der gerichtlichen Überprüfbarkeit von Entscheidungen sowie das Gebot eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes Grundsätze des Unionsrechts seien, was auch durch Art 47 GRC bekräftigt werde.16

Gegenstand war ein angefochtener Bescheid als Ergebnis eines UVP-Verfahrens über einen geplanten zweigleisigen Ausbau einer Fernverkehrsstrecke. Art 10a UVP-RL17 verpflichtet die

12 VfSlg 14.886, Rz III, 2, Abs 4. 13 VfSlg 14.886 Rz III, 2, Abs 5.

14 Potacs, Das Erkenntnis des VfGH zur Grundrechte-Charta und seine Konsequenzen, in Baumgartner (Hrsg), Jahrbuch Öffentliches Recht (2013), 11.

15 Vgl. VfSlg 15.427, Rz III, 1. lit a, Abs 6. 16 VwGH 30.9.2010, 2010/03/0051, Rz 3.

17 RL 85/337/EWG des Rates vom 27.6.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten ABl L 175 vom 5.7.1985,40; idF RL 97/11/EG des Rates vom 3.3.1997 zur Änderung der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten

Projekten, ABl L 73 vom 14.3.1997, 5; RL 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.5.2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinie 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung

(9)

Mitgliedstaaten, ein Verfahren entweder vor einem Gericht oder einem anderen Organ, dessen Qualitäten in der Richtlinie umschrieben werden, zur Überprüfung von Ergebnissen eines Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahrens einzurichten. § 40 UVP-G18 sah vor, dass der

Umweltsenat nur für Angelegenheiten des ersten und zweiten Abschnittes des UVP-Gesetzes als Berufungsbehörde eingerichtet wurde. Der geplante Schienenbau war jedoch gemäß § 23b Abs 1 UVP-G ein Verfahren des dritten Abschnittes dieses Gesetzes. Für derartige Verfahren war gemäß § 24 UVP-G der Bundesminister einzige Instanz. Eine Berufungsbehörde war nicht vorgesehen. Gegen einen derartigen Bescheid des Bundesministers stand somit nur der Weg zu den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts offen, ohne eine vorherige Überprüfung veranlassen zu können. Daher wurde von den Beschwerdeführern unter Anderem vorgebracht, Art 10a UVP-RL sei durch den österreichischen Gesetzgeber nicht gehörig umgesetzt, da das österreichische UVP-Gesetz in der damaligen Fassung keine Möglichkeit der Überprüfung durch ein „Gericht oder einer anderen

auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle"19 vorsah.

Der VwGH entschied, dass es jedenfalls im Anwendungsbereich der UVP-RL eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes bedürfe. Dieser kann jedoch in einem Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht gewährt werden. Die Befugnisse des VwGH beschränken sich darauf, den von der Behörde angenommenen Sachverhalt auf seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen. Begründet wird diese Auffassung mit einem Hinweis auf § 41 Abs 1 VwGG20. Diese Bestimmung

beschränkte den Verwaltungsgerichtshof darauf, Bescheide auf Grund jenes Sachverhaltes zu überprüfen, den die belangte Behörde festgestellt hat. Darüber hinaus habe der VwGH jedoch keine Möglichkeit, selbst den seiner Entscheidung zu Grunde zu legenden Sachverhalt zu ermitteln.21

Der VwGH22 führte aus: Bei Umweltverträglichkeitsprüfungen würden häufig einander

widersprechende Gutachten vorkommen. Somit komme der Beweiswürdigung bei der Ermittlung des Sachverhaltes besondere Bedeutung zu. Deshalb sehe die UVP-Richtlinie hier ein über das Erfordernis des Art 47 GRC hinausgehendes spezifisches Rechtsschutzgebot vor.

Schlussendlich kam der Verwaltungsgerichtshof zum Ergebnis, der Umweltsenat habe jene gesetzlichen Bestimmungen unangewendet zu lassen, die dessen Zuständigkeit auf die Überprüfung

und den Zugang zu Gerichten, ABl L 156 vom 25.6.2003, 17.

18 Bundesgesetz über die Prüfung der Umweltverträglichkeit, StF: BGBl 697/1993 idF BGBl 773/1966, BGBl I 89/2000, BGBl I 108/2001, BGBl I 151/2001, BGBl I 50/2002, BGBl I 84/2004, BGBl I 153/2004, BGBl I 14/2005, BGBl I 149/2006, BGBl I 2/2008, BGBl I 87/2009.

19 Art 10a RL 85/337/EWG ABl L 175/1985, 40; idF RL 97/11/EG ABl L 73/1997, 5; RL 2003/35/EG ABl L 156/2003, 17.

20 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, StF BGBl 10/1985, idF BGBl 330/1990. 21 VwGH 30.9.2010, 2010/03/0051, Rz 6.

(10)

von Angelegenheiten des ersten und zweiten Abschnittes des UVP-G beschränken und daher auch über die Rechtmäßigkeit eines Verfahrens abzusprechen, das im dritten Abschnitt geregelt ist.23

Kritisiert wurde der Verwaltungsgerichtshof beispielsweise dafür, dass das von ihm praktizierte Vorgehen „mit den Regeln der deutschen Grammatik nur noch wenig zu tun hat“24. Das Ergebnis

dieses Verfahrens sei nicht unbedingt zwingend.

Es ist fraglich, weshalb bloß in einem UVP-Verfahren ein spezifisches Rechtsschutzgebot herrschen solle, welches wiederum über die Erfordernisse des Art 47 GRC hinausgehe. Begründet wird dies damit, dass der Beweiswürdigung in derartigen Verfahren besondere Bedeutung zukomme.25

Betrachtet man den Sachverhalt zum Erkenntnis VfSlg 19.632/2012, stellt man fest, dass Auslöser dieses Verfahrens ein Asylverfahren gewesen ist. Die Beschwerdeführer machten die Verletzung der ihnen gemäß Art 47 GRC zukommenden Rechte geltend.26 In der Literatur wird in einer

Besprechung dieses Erkenntnisses darauf hingewiesen, dass, wie häufig in derartigen Verfahren, die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers von besonderer Bedeutung war.27 Somit spielt auch in

derartigen Verfahren die Beweiswürdigung eine entscheidende Rolle.

Der Verfassungsgerichtshof teilte die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch nicht. Sollte nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes der Sachverhalt nicht schlüssig oder unvollständig erhoben worden sein, hätte dieser Gerichtshof die Möglichkeit gehabt, den Bescheid aufzuheben und an die belangte Behörde zurück zu verweisen, was einer Feststellung des Sachverhaltes durch ein gerichtliches Verfahren gleicht.28

Somit würde dem Verwaltungsgerichtshof, würde dieser die nationalen Bestimmungen über dessen Zuständigkeit verfassungs- und konventionskonform auslegen, zumindest eingeschränkte Befugnisse zur Sachverhaltsfeststellung zukommen, weshlab es sich bei diesem Gerichshof um ein Gericht im Sinne des Art 6 Abs 1 EMRK sowie Art 47 Abs 2 GRC handle.29 Auf die Argumentation

des Verwaltungsgerichtshofes, die UVP-Richtlinie sehe ein über das Erfordernis des Art 47 GRC hinausgehendes Rechtsschutzgebot vor, ging der VfGH nicht ein.

23 VwGH 30.9.2010, 2010/03/0051, Rz 7.

24 Potacs, Kein EU-Rechtsschutz durch den österreichsichen Verwaltungsgerichtshof? Urteilsbesprechung Verwaltungsgerichtshof 30.9.2010, 2010/03/0051, ZÖR 2011, 119 (132).

25 VwGH 30.9.2010, 2010/03/0051, Rz 6. 26 VfSlg 19.632, Rz I. 1.4 & 2.4.

27 Merli, Umleitung der Rechtsgeschichte, JRP 2012, 355 (359). 28 VfSlg 19.425, Rz IV, 3.3.

(11)

Keine Inanspruchnahme der Zuständigkeit, Verletzungen der GRC

aufzugreifen

Die Auffassung des Verfassungsgerichtshofes, behauptete Verletzungen des Unionsrechts nicht zu überprüfen, wiederholte dieser zunächst auch bei behaupteten Verletzungen der Grundrechte-Charta. Teilweise ging der VfGH überhaupt nicht näher auf das Vorbringen ein, ein durch die GRC garantiertes subjektives Recht sei verletzt.30 In einem Erkenntnis aus dem Jahr 2011 wurde deutlich

ausgesprochen, dass „weder die EU-Grundrechte-Charta noch der AEUV österreichische

Verfassungsbestimmungen sind, an denen der Verfassungsgerichtshof die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes prüfen kann“31.

Daher wurde in der Lehre vertreten, bei subjektiven Rechten, welche die Grundrechte-Charta garantiere, handle es sich nicht um verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte im Sinne des Art 144 B-VG.32 In der Literatur33 wurde vorgeschlagen, der VfGH solle sich auf Grund der

Anlehnung vieler Bestimmungen der GRC an die EMRK bei der Auslegung dieses Grundrechtskataloges an der Judikatur des EuGH zur GRC orientieren. Es sei unbedenklich, wenn dadurch ein höherer Schutzstandard entstehen würde, da beide Grundrechtskodifikationen einen bloßen Mindeststandard normieren.34 Erst durch das Erkenntnis U 466/11 steht fest, dass die

Grundrechte-Charta Prüfungsgegenstand vor dem VfGH sein kann.35

In der Literatur wurde darauf hingewiesen, dass diese Entwicklung an die distanzierte Haltung des Verfassungsgerichtshofes kurz nach dem Beitritt zur EMRK erinnere, da auch die in dieser Konvention verbürgten Rechte vom VfGH erst sehr spät als verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte betrachtet wurden.36

30 So etwa in VfGH 19.09.2011, B742/11,: da hier ein eine Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten festgestellt wurde, erübrigte es sich, auf das weiter Parteivorbringen näher einzugehen.

VfGH 22.9.2011, B1405/10,: mangels Anwendbarkeit der GRC konnter der VfGH in diesem Verfahren das Vorbringen, die GRC sei verletzt, nicht überprüfen.

31 VfSlg 19.496, Rz III, 6.

32 Vgl zum damaligen Stand der Lehre etwa Hengstschläger/Leeb, Grundrechte1, Rz 1/5.

33 Müller, Verfassungsgerichtsbarkeit und Europäische Grundrechtecharta, ÖJZ 2012, 159 (167). 34 Müller, ÖJZ 2012, 159, (167).

35 Vgl zu dieser Entwicklung etwa einerseits in einem Werk, das den aktuelllen Stand der Rechtsentwicklung bis 1.8.2011 berücksichtigt Hauer, Staats- und Verwaltungshandeln3, 77f, Rz 4: Dort heißt es noch, dass ein Verstoß

gegen Unionsrecht nur mittelbar einen Verstoß gegen Grundrechte darstellen könnte, etwa weil eine innerstaatliche Bestimmung auf Grund des Anwendungsvorranges nicht hätte angewendet werden dürfen. Andererseits wurde mit Stand der Rechtsentwicklung bis 1.3.2013 in Hauer, Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts2, Rz 881 die Ausnahme

hinzugefügt, dass der VfGH auch einen Verstoß gegen die GRC aufgreife.

(12)

III. Das Erkenntnis U 466/11

Im vorliegenden Fall wurde von zwei chinesischen Staatsbürgern geltend gemacht, dass jenes Verfahren, in dem über deren Asylrecht entschieden wurde, nicht den Anforderungen des Art 47 GRC entsprochen habe. Anhand der bis zu diesem Moment ergangenen Judikatur des VfGH durften die Beschwerdeführer annehmen, dass eine derartige Beschwerde wenig Aussicht auf Erfolg haben musste. Es stellt sich zunächst die Frage, weshalb die Verletzung des Art 47 GRC anstatt des in Art 6 EMRK garantierten Rechts geltend gemacht wurde. Die Beschwerdeführer konnten im vorliegenden Fall die Verletzung des in Art 6 EMRK garantierten Rechts nicht geltend machen, da Asylverfahren nicht zu jenen Verfahren gehören, die vom Anwendungsbereich dieses Artikels umfasst sind.37 Inhaltlich sind beide Bestimmungen sehr ähnlich. Bei der Ausarbeitung der

Grundrechte-Charta war geplant, dass Art 47 GRC, abgesehen vom Anwendungsbereich, die gleichen Anforderungen an ein Verfahren wie auch Art 6 EMRK stellt.38

Fraglich war jedoch, insbesondere im Hinblick auf die bisherige Judikatur, ob ein derartiges Begehren zulässig sei. Der Verfassungsgerichtshof führte aus, dass diese von ihm entwickelten Grundsätze „nicht auf die Grundrechte-Charta übertragen werden [können]"39. Begründet wurde

dies mit dem Wortlaut des Art 6 Abs 1 S 2 EUV40. Diese Bestimmung normiert die rechtliche

Gleichrangigkeit der beiden Bestandteile des Primärrechts. Dort ist einerseits von der Grundrechtecharta, andererseits von den Verträgen die Rede. Schon alleine auf Grund dieser Formulierung werde angedeutet, dass die GRC, neben inhaltlichen Besonderheiten, innerhalb des Primärrechts eine besondere Stellung einnehme. Infolgedessen wurde es erforderlich, die bisherige Judikatur an die geänderte Rechtslage anzupassen.

Diese Auffassung wird kritisch gesehen. Es solle dem bloßen Wortlaut keine allzu große Bedeutung zukommen. Vielmehr sei relevant, dass diese Norm die Gleichrangigkeit der beiden Bestandteile des Primärrechts regle. Aus dieser Gleichrangigkeit folge nun, dass - selbst wenn der GRC eine besondere Bedeutung zukommen mag - diese auf Grund der Gleichrangigkeit mit den Verträgen unerheblich sei.41

37 Holoubek/Lang, Rechtsprechungsübersicht Verfassungsgerichtshof, ecolex 2012, 652 (653); Grabenwarter, Europäische Grundrechte in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, JRP 2012, 298 (301); Funk, Neue Doktrin des VfGH zur Anwendung europäischen Unionsrechts, ecolex 2012, 827.

38 C 303/30.

39 VfSlg 19.632, Rz 5.

40 Vertrag über die Europäische Union, StF ABl 1997 C 340, 1 (BGBl III 1999/85) idF ABl 2001 C 80 1, ABl 2001 C 96/27 (BGBl III 2003/4), ABl 2003 L 236, 17 (BGBl III 2004/20), ABl 2005 L 157, 11 (BGBl III 2006/85), ABl 2007 C 306, 1 (BGBl III 2009/132, BGBl III 2016/149, BGBl III 2016/156, BGBl III 2016/159, BGBl III 2016/169), ABl 2012 L 112, 10 (BGBl III 2013/171).

(13)

Der Verfassungsgerichtshof nahm die Zuständigkeit in Anspruch, diese behauptete Verletzung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu überprüfen. Allgemeine Rechtsgrundsätze sowie andere primärrechtliche Bestimmungen sind jedoch noch kein Prüfungsgegenstand in einem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof.42

Die Meinung, dass der Verfassungsgerichtshof auch für die Behandlung derartiger Beschwerden zuständig sein solle, ist nicht neu. In der Gedenkschrift für Robert Walter findet sich der Hinweis, dass dieser bereits im Jahr 1996 angedeutet hat, dem Verfassungsgerichtshof müsse für die Behandlung von Beschwerden zuständig sein, wenn der Beschwerdeführer die Verletzung eines aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden subjektiven Rechts behauptet, welches „die Qualität eines

'Grundrechts' hat“.43

Dieses Erkenntnis des VfGH wurde sehr intensiv diskutiert. Einerseits wurde angemerkt, dass die Abweisung der Beschwerde wenig verständlich sei, da gerade in einem Asylverfahren, in dem die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers von entscheidender Bedeutung ist, eine mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen wäre.44 Aus der ständigen Rechtsprechung des VfGH ist

abzuleiten, dass jedenfalls in jenen Fällen, in denen die Glaubwürdigkeit des Vorbringens von entscheidender Bedeutung für die Beweiswürdigung ist, ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht gemäß Art 47 Abs 2 GRC auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung besteht.45

Bedeutend für den Inhalt dieser Diplomarbeit ist jedoch die Frage der Zuständigkeit des VfGH. Sollte tatsächlich der Verfassungsgerichtshof für die Behandlung derartiger Beschwerden zuständig sein, wäre zu überprüfen, ob gemäß Art 133 Abs 5 B-VG diese Kompetenz dem Verwaltungsgerichtshof entzogen ist. Zunächst ist jedoch zu klären, welchen Anwendungsberich die GRC hat, da das bisher Ausgeführte nur bei behaupteter Verletzung der GRC relevant ist.

42 Kucsko-Stadlmayer/Eisenberger, Grundrechte-Charta und verfassungsgerichtlicher Prüfungsmaßstab, JAP 2013/2014, 29, (30).

43 Handstanger, Zur Anwendung der Grundrechte des Unionsrechts, in GedS Robert Walter (2013), 153 (154). 44 Merli, JRP 2012, 355 (359).

45 Vgl hierzu etwa VfGH 19.9.2014, U634/2013, Rz II, lit A, 1.;VfGH 22.9.2014, U2529/2013, Rz II;

VfGH 21.11.2014, U2718/2012, Rz II, 1.; VfGH 23.2.2015, E155/2014, Rz II; VfGH 19.11.2015, E1600/2014, Rz II, 1.2.3 ff; VfGH 10.6.2016, E2108/2015, Rz II; VfGH 24.11.2016, E1079/2016, Rz II; VfGH 26.2.2018,

(14)

Anwendungsbereich der GRC

Zunächst stellt sich die Frage, ob ein Sachverhalt unter den Anwendungsbereich der Grundrechtecharta fällt. In der Literatur wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Frage des Anwendungsbereiches wahrscheinlich zu den häufigsten Problemstellungen gehören wird, mit denen sich der VfGH befassen wird müssen, wenn die Verletzung von in der GRC garantierten Rechten behauptet wird.46 Neben den Mitgliedstaaten sind auch „[...]die Organe, Einrichtungen und

sonstigen Stellen der Union [...]“47 an die GRC gebunden. Für den Zweck dieser Abhandlung soll

jedoch nur ein Überblick über die Beantwortung der Frage gegeben werden, wann die Mitgliedstaaten an die Grundrechte-Charta gebunden sind. Die Beantwortung dieser Frage ist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil der EuGH in Fortentwicklung des Prinzip des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts davon ausgeht, dass im Falle der Anwendbarkeit der GRC die Grundrechtsprüfung ausschließlich nach diesem Grundrechtskatalog, anstatt anderer Kodifikationen von Grundrechten des nationalen Rechts, zu prüfen ist.48 Vorgeschlagen wurde etwa,

dass man sich an der Judikatur des EuGH zum Anwendungsbereich jener Grundrechte orientieren könne, die aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Unionsrechts abgeleitet wurden.49 Um einen

detaillierteren Überblick zu verschaffen, soll hier jedoch insbesondere auf die Judikatur eingegangen werden, die nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon ergangen ist.

Die GRC normiert in Art 51 Abs 1 S 1, dass sie "[...]für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der

Durchführung des Rechts der Union [gilt]"50. Betrachtet man die Entstehungsgeschichte dieses

Wortlautes, stellt man fest, dass bei der Ausarbeitung die hierfür gewählte Formulierung immer restriktiver wurde.51 Dieser Umstand spricht dafür, dass man von einem eher restriktiven

Anwendungsbereich ausgehen könnte.

Es soll nun dargestellt werden, wie die derzeit vorhandene Judikatur die Frage nach dem Anwendungsbereich der GRC löst. Zunächst wird die Auffassung des Verfassungsgerichtshofes dargestellt, um daran anschließend in einen Überblick über die derzeitige Rechtsprechung des

46 Heller, JBl 2012, 675 (680). 47 Art 51 Abs 1 S 1 GRC.

48 EuGH 15.11.2011, Rs C-256/11. 49 Müller, ÖJZ 2012, 159, (162). 50 GRC, Art 51.

51 Vgl Tamblé, Der Anwendungsbereich der EU-Grundrechtecharta (GRC) gem. Ar 51 I 1 GRC - Grundlagen und aktuelle Entwicklungen, in Tietje (Hrsg.), Beiträge zum Europa- und Völkerrecht, 2014/9, (14); John, Nationale Verfassungsgerichte alsalleinige Hüter der Unions-(grund)-rechte? Nationale versus unionale

(15)

EuGH zu geben

Judikatur des VfGH

An einem Beispiel52 aus der Judikatur des VfGH lässt sich veranschaulichen, wie diese Trennung

zwischen einer Durchführung von Unionsrecht und einer Handlung von ausschließlich innerstaatlichem Charakter vorzunehmen ist. Unter dem Hinweis auf eine ältere Entscheidung53

sprach der VfGH aus, dass ein Bescheid, der auf ein Gesetz gestützt wird, welches wiederum eine Richtline der Europäischen Union umsetzen sollte, eine Vollziehung des Unionsrechts darstellt.54

Somit ist Art 51 Abs 1 S 1 GRC erfüllt. Daraus folgt, dass die Grundrechte-Charta anwendbar ist.

An einer anderen Stelle wird ausgesprochen, dass die Entscheidung, ob ein Bundesgesetz in den Anwendungsbereich der GRC fällt, dahingestellt bleiben kann, da diese Regelung im Rahmen der Zuständigkeit des innerstaatlichen Gesetzgebers ergangen ist.55 Dies stellt somit keine

Durchführung des Unionsrechts im Sinne des Art 51 Abs 1 S 1 GRC dar. Daher ist der behauptete Grundrechtseingriff nicht am Maßstab der Bestimmungen der Grundrechte-Charta zu messen.

Judikatur des EuGH

Die Rechtsprechung des EuGH zur Frage des Anwendungsbereiches der Grundrechte-Charta ist nicht eindeutig. Daher soll hier nur ein kurzer Überblick über einige bedeutende Beispiele aus der Judikatur dieses Gerichtshofes gegeben werden.

Teilweise geht der EuGH in seiner Judikatur davon aus, dass der Anwendungsbereich der Grundrechte-Charta weiter sei, als dies der bloße Wortlaut des Art 51 GRC vermuten ließe. Besonders deutlich wird diese Position in der Rs Åkerberg Fransson ausgedrückt. Im konkreten Verfahren war fraglich, ob eine Anklage wegen Steuerhinterziehung gegen das Doppelbestrafungsverbot des Art 50 GRC verstoße, wenn bereits Steuerzuschläge festgesetzt

52 VfGH 14.3.2018, G248/2017 ua. 53 VfSlg 20.000.

54 VfGH 14.3.2018, G248/2017 ua, Rz 3.1.6. 55 VfGH 14.3.2018, G248/2017 ua, Rz 7.6.

(16)

wurden.56 Die einschlägigen schwedischen Bestimmungen setzen jedoch nicht Unionsrecht um,

weshalb einige Mitgliedstaaten sowie auch die Kommission, ausgehend vom engen Wortlaut des Art 51 GRC der Auffassung waren, diese Vorlagefrage sei unzulässig.57 Somit hatte sich der

Europäische Gerichtshof mit der Frage des Anwendungsbereiches der Grundrechte-Charta zu befassen. Nach Auffassung dieses Gerichtshofes sei deren Anwendungsbereich identisch mit dem Anwendungsbereich des Unionsrechts.58 Diese Feststellung, welche der EuGH mit einem Hinweis

auf seine bisherige Judikatur59 sowie die Erläuterungen der Charta60 begründet, lässt sich aus Rz 21

ableiten.61

Diese Position wird jedoch in der selben Rechtssache relativiert. Der EuGH schränkt ein, dass dann keine Durchführung des Rechts der Europäischen Union vorliegt, wenn ein Mitgliedstaat von Regelungsspielräumen Gebrauch macht, die diesem belassen werden oder sich neu eröffnen.

Jedoch finden sich auch Stimmen in der Literatur62, die dafür eintreten, dass Mitgliedstaaten auch

dann an die Mindeststandards der Grundrechte der Union gebunden sein sollen, wenn sie von Regelungsspielräumen einer Richtlinie Gebrauch machen würden. Diese Ansicht wird folgendermaßen begründet: Auch die Organe der Union sind an die GRC gebunden. Somit ist es möglich, dass schon in der Richtlinie selbst der Umsetzungsspielraum für die Mitgliedstaaten grundrechtswidrig sein könnte. Falls umsetzende Mitgliedstaaten von diesem - chartawidrigen - Ermessensspielraum Gebrauch machen, könnte durch die genannte Position verhindert werden, dass auch der Umsetzungsakt gegen die GRC verstoße. Dies ist insbesondere in der Zeitspanne vom Erkennen der Chartawidrigkeit durch den EuGH bis hin zur Erlassung neuer Umsetzungsakte von Bedeutung, da in diesem Zeitraum sonst ein aus europarechtlicher Sicht grundrechtsloser Zustand herrschen würde.63

Dieser Argumentation kann einerseits entgegen gehalten werden, dass sämtliche Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch Mitglieder des Europarates sind sowie die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert haben. Somit kommt es zu keinem grundrechtslosen Zustand, da sämtliche Mitgliedstaaten zumindest völkerrechtlich an die EMRK gebunden sind. Es spricht

56 EuGH 26.2.2013, Rs C-617/10, Rn 12-15. 57 EuGH 26.2.2013, Rs C-617/10, Rz 16. 58 John, ZfRV 2017, 148 (150).

59 EuGH 26.2.2013, Rs C-617/10, Rn 19. 60 EuGH 26.2.2013, Rs C-617/10, Rn 20.

61 Wörtliche Wiedergabe der Rz 21: "Da folglich die durch die Charta garantierten Grundrechte zu beachten sind,

wenn eine nationale Rechtsvorschrift in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt, sind keine Fallgestaltungen denkbar, die vom Unionsrecht erfasst würden, ohne dass diese Grundrechte anwendbar wären. Die Anwendbarkeit des Unionsrechts umfasst die Anwendbarkeit der durch die Charta garantierten Grundrechte.".

62 Siehe hierzu Tamblé, in Tietje (Hrsg.), Beiträge zum Europa- und Völkerrecht, 2014/9, (18) mwN.

(17)

jedoch auch ein anderes Argument dagegen, diese Position als generelle Lösung anzusehen: Eine Richtlinie könnte auch deshalb eine Angelegenheit nicht abschließend regeln, weil der Europäischen Union nicht die Kompetenz übertragen wurde. derartige Regelungen zu erlassen. Art 51 Abs 1 GRC verweist jedoch darauf, dass dieses Werk nur innerhalb der Grenzen der durch die Verträge übertragenen Zuständigkeit anwendbar sein könne. Würde man nun vertreten, die Grundrechte-Charta solle für die Mitgliedstaaten auch in jenen Fällen bindend sein, in denen eine Richtlinie mangels Regelungskompetenz der EU den Mitgliedstaaten Spielräume bei der Umsetzung lässt, würde man somit den Anwendungsbereich über den Wortlaut des Art 51 Abs 1 GRC hinaus ausdehnen.

Ein weiteres Beispiel für ein sehr weites Verständnis des Anwendungsbereiches der GRC ist das Urteil des Gerichtshofes vom 27. Februar 2018. Gegenstand war die in Portugal vorgenommene vorübergehende Senkung von Bezügen bestimmter öffentlicher Bediensteter aus budgetären Gründen64 im Zeitraum von 201465 bis zur schrittweisen Aufhebung im Jahr 201666. Betroffen davon

waren auch die Mitglieder einer portugiesischen Rechtsschutzeinrichtung.67 Es wurde die Position

vertreten, die Kürzung dieser Bezüge verstoße gegen die richterliche Unabhängigkeit, die sowohl in Art 19 Abs 1 EUV als auch in Art 47 der GRC garantiert werde.68 Nach Auffassung des EuGH ist

auch eine den richterlichen Aufgaben entsprechende angemessene Vergütung eine Voraussetzung der Unabhängigkeit eines Gerichts.69 Im Ergebnis zielte diese Kürzung zwar weder darauf ab noch

hatte sie zur Folge, dass alleine diese betroffene Rechtsschutzeinrichtung in einer deren Unabhängigkeit gefährdenden Weise geschwächt werde, da mehrere öffentliche Bedienstete, auch der Legislative und Exekutive, von diesen Kürzungen betroffen waren.70 Die Frage, weshalb es sich

dabei um eine „Durchführung des Rechts der Union“ im Sinne des Art 51 Abs 1 GRC handelte, weshalb der EuGH dieses Vorgehen anhand der Grundrechte-Charta prüfen konnte,71 wurde nicht

beantwortet, sondern als gegeben angenommen.

Es gibt jedoch auch Beispiele, wonach der EuGH ein engeres Verständnis vom Anwendungsbereich der Grundrechte-Charta hat. Ein Mitgliedstaat handle nur dann in Durchführung des Rechts der Union im Sinne von Art 51 Abs 1 GRC, wenn die fragliche nationale Bestimmung Unionsrecht durchführen soll. Sofern mit dieser Norm jedoch auch zusätzliche Ziele als die bloße Umsetzung

64 EuGH 27.2.2018, Rs C-64/16, Rn 27. 65 EuGH 27.2.2018, Rs C-64/16, Rn 5f. 66 EuGH 27.2.2018, Rs C-64/16, Rn 7-9.

67 Deren genaue Aufgaben sind in EuGH 27.2.2018, Rs C-64/16, Rn 10 aufgezählt. 68 EuGH 27.2.2018, Rs C-64/16, Rn 13.

69 EuGH 27.2.2018, Rs C-64/16, Rn 45. 70 EuGH 27.2.2018, Rs C-64/16, Rn 46-52. 71 EuGH 27.2.2018, Rs C-64/16, Rn 41ff.

(18)

des Unionsrechts verfolgt werden „selbst wenn sie das Unionsrecht mittelbar beeinflussen kann“72,

ist nicht mehr von einer Durchführung des Rechts der Union auszugehen, weshalb der Sachverhalt nicht dem Anwendungsbereich der GRC unterliegt.

Um diesen Themenbereich zusammen zu fassen, sei auf die Schlussanträge73 des Generalanwalts

Bobek verwiesen. Dieser hat versucht, einen Überblick über den derzeitigen Stand der

Rechtsprechung des EuGH zur Frage, wann es sich um eine Durchführung des Rechts der Union im Sinne von Art 51 GRC handelt, zu geben.

Er führt aus, dass es hierfür eine Art „Skala“ gebe, um auszudrücken, wie stark ein Sachverhalt von Regelungen des Unionsrechts erfasst sei. Am einen Ende dieser Skala sind Sachverhalte anzusiedeln, die eindeutig unter den harmonisierten Standard des Unionsrechts fallen. In weiterer Folge gibt es Fälle, die zwar noch eine Verbindung zu Rechtsakten der EU haben, diese Verbindung aber schwächer wird. Schließlich finden sich noch jene Sachverhalte, die zwar noch im Geltungsbereich des Unionsrechts liegen mögen, bei denen es jedoch schwierig ist, eine Verbindung zu detaillierten Regelungen herzustellen.74

Wenn die Harmonisierungsmaßnahme den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung wenig oder keinen Spielraum lässt, gilt der Schutzstandard der GRC als „Höchststandard“, da durch Art 53 GRC die Anwendung von Grundrechten der Mitgliedstaaten in einem derartigen Fall ausgeschlossen ist.75

Dies lässt sich damit begründen, dass die Union bereits einen Interessenausgleich zwischen dem Grundrechsschutz einerseits und der Effizienz der betreffenden Maßnahme andererseits vorgenommen hat.76 Je weiter eine konkrete Norm von einer detaillierten Regelung durch die Union

entfernt ist, desto geringer wird auch die Bindung an die GRC, die in weiterer Folge nur noch ein „Mindestniveau an Grundrechtsschutz“ garantiert.77

Zusammengefasst wurden diese Überlegungen mit dem Satz: „Je weniger Harmonisierung es gibt,

umso geringer ist per definitionem die Wahrscheinlichkeit, dass der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt werden können.“78

72 EuGH 8.11.2012, Rs C-40/11, Rn 79.

73 Schlussanträge des GA Bobek in der Rs C-310/16.

74 Schlussanträge des GA Bobek in der Rs C-310/16, 25.7.2018, Rn 79. 75 Schlussanträge des GA Bobek in der Rs C-310/16, 25.7.2018, Rn 87 & 92f. 76 Schlussanträge des GA Bobek in der Rs C-310/16, 25.7.2018, Rn 87 77 Schlussanträge des GA Bobek in der Rs C-310/16, 25.7.2018, Rn 92 & 94. 78 Schlussanträge des GA Bobek in der Rs C-310/16, 25.7.2018, Rn 95

(19)

Allgemeine Rechtsgrundsätze

Der Schutz von Grundrechten durch das Unionsrecht ist jedoch nicht neu. Schon im bisherigen Recht der Europäischen Union wurde anerkannt, dass sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen79 der Mitgliedstaaten allgemeine Rechtsgrundsätze ableiten lassen.

Bestandteil dieser Grundsätze sind auch Grundrechte.80 Bereits im Jahr 1969 judizierte der EuGH,

dass Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze ein Bestandteil des Unionsrechts seien.81 Somit

waren bereits vor Inkrafttreten der GRC Grundrechte ein Bestandteil des Unionsrechts.

Diese Situation ist jedoch nach Ansicht des VfGH nicht mit jener Rechtslage vergleichbar, die nach dem Vertrag von Lissabon, als die Grundrechte-Charta durch Art 6 Abs 2 EUV zum Bestandteil des Primärrechts erklärt wurde, bestand. Ein kodifiziertes Werk, das eine detaillierte Auflistung von Rechten und Pflichten enthält, ist nicht mit bloßen allgemeinen Rechtsgrundsätzen vergleichbar, die nur durch Rechtsvergleich ermittelt werden können, was nicht immer zu eindeutigen Ergebnissen führen muss.82

Die Feststellung, dass bloß aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen abgeleitete Grundrechte im Gegensatz zu einem kodifizierten Katalog von Grundrechten nicht die erforderliche Rechtssicherheit biete, um durch ein Verfassungsgericht überprüft zu werden, ist nicht neu. Sie findet sich bereits im sogenannten „Solange I“-Beschluss83 des deutschen BVerfG aus dem Jahr

1974. Dieses Gericht hat Art 24 GG84 dahingehend ausgelegt, dass nur begrenzt Hoheitsrechte auf

zwischenstaatliche Organisationen übertragen werden können. Der Grundrechtsschutz des Grundgesetzes gehöre zum Wesensgehalt des Grundgesetzes, weshalb eine den Grundrechtsschutz des GG verdrängende Übertragung von Kompetenzen auf eine zwischenstaatliche Einrichtung nur dann erfolgen könne, wenn diese Einrichtung selbst einen mit dem Grundgesetz vergleichbaren kodifizierten Katalog an Grundrechten habe.85

79 EuGH 17.12.1970, Rs 11/70.

80 Vgl hierzu neben der vom VfGH zitierten Judikatur die Rechtssache EuGH, Rs 29/69, Slg 15/1969, 425. 81 EuGH Rs 29/69, Slg 1969, 419.

82 VfSlg 19.632, Rz. 5.6.

83 BVerfG, 29.5.1974, 2 BvL 52/71.

84 Art 24 Abs 1 GG: „Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen". 85 Wörtlich aus dem Beschluss des BVerfG „Ein unaufgebbares, zur Verfassungsstruktur des Grundgesetzes

gehörendes Essentiale der geltenden Verfassung der Bundesrepublik Deutschland ist der Grundrechtsteil des Grundgesetzes. Ihn zu relativieren, gestattet Art. 24 GG nicht vorbehaltlos."

sowie weiter zum Stand der Integration in der damals noch Gemeinschaft „sie entbehrt insbesondere noch eines

kodifizierten Grundrechtskatalogs, dessen Inhalt ebenso zuverlässig und für die Zukunft unzweideutig feststeht wie der des Grundgesetzes und deshalb einen Vergleich und eine Entscheidung gestattet, ob derzeit der in der

Gemeinschaft allgemein verbindliche Grundrechtsstandard des Gemeinschaftsrechts auf die Dauer dem Grundrechtsstandard des Grundgesetzes, unbeschadet möglicher Modifikationen, derart adäquat ist, daß die angegebene Grenze, die Art. 24 GG zieht, nicht überschritten wird. Solange diese Rechtsgewißheit, die allein durch

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Die Auffassung des VfGH stößt auf Kritik, da sie „eine reine Behauptung"86 sei. Diese These wird

im Wesentlichen mit 3 Argumenten untermauert. Einleitend wird erwähnt, dass die Präambel der Grundrechte-Charta festhalte, es sollen hauptsächlich Rechte sichtbarer gemacht werden, die bereits vorhanden waren. Darüber hinaus seien manche Grundrechte, wie beispielsweise die Grundfreiheiten sowie Diskriminierungsverbote, in den Verträgen bereits detaillierter geregelt. Abschließend wird darauf verwiesen, dass bereits vor Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon jene Rechte der GRC gemäß der Judikatur des EuGH primärrechtsgleiche Stellung innehatten und durch die zur EMRK ergangene Judikatur bereits feste Konturen aufwiesen. Jene Normen, auf die dies nicht zutreffe, seien wohl auch nach der Auffassung des VfGH keine Grundrechte und daher nicht vor dem Verfassungsgerichtshof geltend zu machen.87

Diese Begründung soll hier nun durchleuchtet werden. Dem ersten Argument kann folgendes entgegengehalten werden: Im vierten Absatz der Präambel der Grundrechtecharta wird festgestellt, dass es notwendig sei, „den Schutz der Grundrechte zu stärken [hervorgehoben durch den Autor],

indem sie in einer Charta sichtbar gemacht werden."88 Es ist somit nicht der Zweck der

Grundrechte-Charta, bloß einen status quo abzubilden. Vielmehr soll durch die Kodifizierung von bereits vorhandenen Grundrechten der Schutz dieser weiter ausgebaut werden. Vor der weitreichenden Kodifizierung von Grundrechten des Unionsrechts war es nicht möglich, deren Verletzung vor dem Verfassungsgerichtshof geltend zu machen. Die Judikaturlinie des VfGH, nun Verletzungen von in der GRC garantierten subjektiven Rechten wie Verletzungen verfassungsgesetzlich gewährleisteter subjektiver Rechte aufzugreifen, führt dazu, dass bereits vorhandene Rechte nun vor einem weiteren Organ geltend gemacht werden können. Dies ist nach Auffassung des VfGH eine unmittelbare Folge deren Kodifizierung.89 Das Eröffnen eines

zusätzlichen Weges für Rechtsunterworfene kann als ein Vorgehen verstanden werden, dass dem Ziel einer Stärkung von Grundrechten zuträglich ist. Es kann somit festgehalten werden, dass das Vorgehen des Verfassungsgerichtshofes nicht nur in keinem Widerspruch zum genannten Absatz der Präambel der Grundrechte-Charta steht, sondern überdies auch dem darin genannten Ziel, einer Stärkung von Grundrechten als eine Folge deren Kodifizierung, dienen kann.

Zum letzten Argument, wonach die in der GRC garantierten subjektiven Rechte nach der Rechtsprechung des EuGH bereits Bestandteil des Primärrechts waren, kann angemerkt werden:

die anerkanntermaßen bisher grundrechtsfreundliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht gewährleistet ist, im Zuge der weiteren Integration der Gemeinschaft nicht erreicht ist, gilt der aus Art. 24 GG hergeleitete Vorbehalt." BVerfG 29.5.1974, 2 BvL 52/71, Rz 44.

86 Merli, JRP 2012, 355 (356). 87 Merli, JRP 2012, 355 (356).

88 Präambel der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl 2010 C 83, 389. 89 VfSlg 19.632, Rz. 5.6.

(21)

Bereits der VfGH selbst hält fest, dass der Europäische Gerichtshof schon vor Inkrafttreten der Grundrechte-Charta aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen die Bindung der Organe der Union an Grundrechte abgeleitet hatte, um in weiterer Folge ohne detailliertere Erklärung festzustellen, dass ein kodifiziertes Werk „nicht mit der Herleitung von Rechtspositionen aus allgemeinen

Rechtsgrundsätzen vergleichbar [ist]" 90.

Begründet werden kann diese Feststellung beispielsweise damit, dass die Bindung an ein kodifiziertes Werk zu tendenziell vorhersehbareren Verfahrensausgängen führen kann. Bei allgemeinen Rechtsgrundsätzen handelt es sich jedoch zum überwiegenden Teil nur im Recht, das durch richterliche Rechtsfortbildung sowie durch Rechtsvergleich entstanden ist. Bei der Auslegung eines Textes besteht wesentlich weniger Spielraum als bei der Auslegung von durch Rechtsvergleich gewonnenen allgemeinen Rechtsgrundsätzen.91 Wendet man nun derartige Rechte anstatt eines

kodifizierten Werkes an, kann dies tendenziell zu unvorhersehbaren Verfahrensergebnissen führen. Somit ist die Annahme möglich, dass die Ableitung von Grundrechten aus einem kodifizierten Werk die Rechtssicherheit erhöht.

Vermeintliche Unzuständigkeit des VwGH durch Art 133 Abs 5 B-VG

Der Verfassungsgerichtshof nimmt die Zuständigkeit in Anspruch, behauptete Verletzungen der GRC aufzugreifen.92 Art 133 Abs 5 B-VG entzieht dem Verwaltungsgerichtshof die Kompetenz,

jene Beschwerden zu behandeln, die in die Zuständigkeit des VfGH fallen. Zweck dieser Regelung ist es, konkurrierende Zuständigkeiten beider Höchstgerichte in Angelegneheiten der Sonderverwalungsgerichtsbarkeit zu verhindern.93 Dies wäre problematisch, da beide

Höchstgerichte gleichrangig sind und eine unterschiedliche Herangehensweise an dieselbe Frage nicht gelöst werden könnte.94 Derartige unterschiedliche Auffassungen sind möglich, da selbst bei

genauester Anwendung der Methoden der Rechtswissenschaft nicht immer ein einziger wahrer Sinn einer Norm herauszufinden ist, da die einzelnen Methoden der Auslegung unterschiedliche Ergebnisse liefern können.95 Bereits in der Stammfassung des B-VG war eine ähnliche Regelung

90 VfSlg 19.632, Rz 5.6.

91 Grabenwarter, JRP 2012, 298 (302). 92 Beginnend mit VfSlg 19.632.

93 Grabenwarter in Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Kommentar, Korinek/Holoubek/Bezemek/Fuchs/

Martin/Zellenberg (Hrsg), Art 133 B-VG, 1.Lfg 1999, Rz 5.

94 In diesem Sinne: Dande, Die Anwendung der Grundrechte der Europäischen Union im österreichsichen Grundrechtsschutz, migraLex 2013, 14 (18).

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enthalten.96 Es gab jedoch schon vor dem Erkenntnis U 466/11 Abgrenzungsprobleme.97 Ein

Beispiel hierzu ist die behauptete Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter auf Grund unrichtiger Anwendung von einfachgesetzlichen Bestimmungen.98

Maßgebliches Kriterium, um die Zuständigkeit dieser beiden Höchstgerichte voneinander abzugrenzen, ist die Behauptung, nicht die Qualität einer unter Umständen tatsächlich vorliegenden Rechtsverletzung, da dies erst im Verfahren geklärt werden kann.99 Man mag dadurch den Eindruck

gewinnen, es gehöre nicht zu den Aufgaben des VwGH, über behauptete Verletzungen von in der GRC garantierten subjektiven Rechten zu entscheiden.

Sofern der VfGH für die Entscheidung über Beschwerden, in denen eine Verletzung von in der GRC garantierten subjektiven Rechten behauptet wird, zuständig ist, ist dem VwGH die Kompetenz entzogen, darüber abzusprechen. Dieses Ergebnis setzt jedoch zunächst die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Behandlung derartiger Beschwerden voraus. Somit ist zu klären, ob dem VfGH eine derartige Zuständigkeit zukommt.

Es kommt zunächst ein Verfahren nach Art 144 Abs 1 B-VG in Betracht. Diese Bestimmung ermächtigt den Verfassungsgerichtshof, behauptete Verletzungen entweder in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder durch die Anwendung einer ihrerseits wiederum rechtswidrigen Norm aufzugreifen. In der Entscheidung U 466/11 wurde über eine Bescheidbeschwerde abgesprochen. Dieses Rechtsmittel, welches durch die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012100 aufgehoben

wurde, lässt sich mit der Erkenntnisbeschwerde des Art 144 Abs 1 1. Fall B-VG vergleichen.

Begründung mit dem Äquivalenzgrundsatz

Der Verfassungsgerichtshof begründet diese Entscheidung damit, dass auf Grund des Rechts der europäischen Union für die Durchsetzung von Rechten, die das Unionsrecht garantiert, ein gleichwertiges Verfahren vorgesehen werden müsse, wie dies für die Durchsetzung von innerstaatlichen Rechten eingerichtet ist.101 Dieses Prinzip wird als „Äquivalenzgrundsatz“

96 BGBl 1920/1.

97 Grabenwarter in Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Kommentar, Korinek/Holoubek/Bezemek/Fuchs/

Martin/Zellenberg (Hrsg), Art 133 B-VG, 1.Lfg 1999, Rz 9.

98 Grabenwarter in Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Kommentar, Korinek/Holoubek/Bezemek/Fuchs/

Martin/Zellenberg (Hrsg), Art 133 B-VG, 1.Lfg 1999, Rz 22.

99 Grabenwarter in Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Kommentar, Korinek/Holoubek/Bezemek/Fuchs/

Martin/Zellenberg (Hrsg), Art 133 B-VG, 1.Lfg 1999, Rz 12.

100 BGBl I 2012/51.

(23)

bezeichnet.

Der EuGH hat diesen Grundsatz in der Rs Rewe102 entwickelt, die der VfGH auch zitiert. Dort

sprach der EuGH aus, dass es den Mitgliedstaaten grundsätzlich freistehe, welche Verfahren zur Durchsetzung von aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechten eingerichtet werden. Diese Verfahren dürfen den Rechtshilfesuchenden jedoch nicht schlechter stellen als jene Verfahren, die zur Durchsetzung von aus dem innerstaatlichen Recht erwachsenden Rechten eingerichtet sind. Inzwischen kann dieser Grundsatz darüber hinaus auch aus Art 4 Abs 3 EUV abgeleitet werden.103

Die Grundrechte-Charta zielt darauf ab, zum großen Teil Rechte zu schützen, die denen der EMRK gleichen. Dies kommt durch ähnliche Wortwahl beider Grundrechtskataloge zum Ausdruck.104

Somit handelt es sich hierbei um Rechte, die jenen, die das innerstaatliche Recht gewährleistet, gleichwertig sind. Da der VfGH für die behauptete Verletzung von in der EMRK garantierten Rechten zuständig ist, folgt aus dem Äuqivalenzgrundsatz, dass auch für die behauptete Verletzung von in der GRC garantierten Rechten die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof zulässig sein müsse. Dieses Ergebnis könne jedoch nur für „Rechte“ gelten, nicht jedoch auch für bloße „Grundsätze“, deren behauptete Verletzung einer Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof nicht zugänglich sind.105

Es sind unterschiedliche Auffassungen möglich, wie diese Argumentation des Verfassungsgerichtshofes verstanden werden kann. Teilweise wird vertreten, der VfGH stelle in diesem Erkenntnis fest, dass die in der GRC garantierten Rechte verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte im Sinne des Art 144 B-VG seien.106 Diese Auffassung wird hier nicht geteilt.

Vielmehr soll hier vertreten werden, der VfGH betrachte diese Rechte als den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gleichwertig. Daraus, dass die in der GRC garantierten Rechte gleichwertig sind, folgt jedoch, dass sie nicht dasselbe wie verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte sein können.

Kritik

Potacs befasst sich in einem Aufsatz mit der Kritik, der VfGH erwecke den Eindruck, die von ihm

102 EuGH 16.12.1976, Rs 33/76, Rn 5. 103 EuGH 27.6.2013, Rs C-93/12, Rn 36. 104 Grabenwarter, JRP 2012, 298 (301). 105 VfSlg 19.632, Rz II, 5.5, Abs 4.

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gewählte Lösung sei geboten, wobei sie jedoch bei näherer Betrachtung bloß vertretbar sei. Er weist aber darauf hin, dass es zu den Aufgaben eines Höchstgerichtes gehöre, Fragen zu entscheiden, die sich nur selten eindeutig beantworten lassen.107

In der Literatur wird die Begründung des Verfassungsgerichtshofes jedoch kritisch betrachtet. Durch die Argumentation des VfGH mag der Eindruck entstehen, der Äquivalenzgrundsatz gebiete es, für subjektive Rechte, die aus der Rechtsordnung der europäischen Union erwachsen, sei dasselbe Verfahren vorzusehen, wie dies bei gleichwertigen innerstaatlichen Rechten eingerichtet sei. Zutreffender ist jedoch, dass Verfahren der Mitgliedstaaten zur Durchsetzung unionsrechtlicher Ansprüche nicht identisch, sondern den Verfahren zur Durchsetzung von ähnlichen subjektiven Rechten des innerstaatlichen Rechts gegenüber bloß gleichwertig ausgestaltet sein müssen.108 Es

wird darauf hingewiesen, dass die Feststellung, welche innerstaatlichen Rechte den aus dem Unionsrecht erwachsenden Ansprüchen ähnlich sind, nicht ganz ohne eine Wertentscheidung fallen kann.109 Wie der VfGH selbst feststellt, wurde die GRC an die EMRK angelehnt, was aus den

teilweise wortgleichen Formulierungen abgeleitet werden kann.110 Somit erscheint diese

Entscheidung, unabhängig von eventuellen wertenden Einflüssen, als logisch begründet und somit vertretbar.

Die Ausführungen des VfGH können unterschiedlich verstanden werden. Wie bereits ausgeführt, wird in der Literatur die Auffassung vertreten, der Verfassungsgerichtshof verlange das selbe Verfahren. Der VfGH schreibt jedoch, dass diese Rechte bloß „in einem Verfahren [hervorgehoben durch den Autor] durchsetzbar sein müssen, das für vergleichbare Rechte besteht, [...]“111.

Insbesondere daraus, dass der VfGH den unbestimmten Artikel „einem“ verwendet hat, kann geschlossen werden, dass er kein identisches Verfahren verlangt. Vielmehr versteht er den Äquivalenzgrundsatz so, dass ein Verfahren gewählt werden soll, das dem für die Durchsetzung von aus dem innerstaatlichen Recht erwachsenden Ansprüchen vergleichbar ist. Diese Auffassung wird auch teilweise in der Literatur vertreten.112

Es stellt sich die Frage, ob die Zuständigkeit des VfGH, behauptete Verletzungen von in der GRC garantierten Rechten aufzugreifen, mit dem Äquivalenzgrundsatz begründet werden kann. Daher ist zu prüfen, ob als Alternative zur Anrufung des VfGH bloß ein Rechtsmittel zur Verfügung steht,

107 Potacs, Anmerkung zu VfGH 14.3.2012, U 466/11, JBl 2012, 509 (510).

108 Vgl Potacs, in Baumgartner (Hrsg), Jahrbuch Öffentliches Recht (2013), 11, (14); Pöschl, Verfassungsgerichtsbarkeit nach Lissabon, ZöR 2012, 587 (595); Merli, JRP 2012, 355 (356), siehe insbesondere die Fußnote 2.

109 Potacs, in Baumgartner (Hrsg), Jahrbuch Öffentliches Recht (2013), 11, (14). 110 VfSlg 19.632, Rz II, 5.5.

111 VfSlg 19.632, Rz II, 5.2.

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durch das der Betroffene schlechter gestellt wird. Wäre der Verfassungsgerichtshof für die Behandlung eines derartigen Begehrens nicht zuständig, würde dem Betroffenen eventuell die Revision an den VwGH offen stehen. Zu prüfen ist daher, ob eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ein Rechtsmittel ist, das den Rechtsunterworfenen im Vergleich zur Erkenntnisbeschwerde an den VfGH schlechter stellt.

Eingeschränkte Zulässigkeit einer Revision an den VwGH

Muzak113 weist darauf hin, dass durch die Verwaltungsgerichsbarkeitsreform114 die Möglichkeit, den

Verwaltungsgerichshof anzurufen, eingeschränkt wurde. Er spricht damit Art 133 Abs 4 B-VG an. Eine vergleichbare Einschränkung der Möglichkeiten, den Verfassungsgerichtshof anzurufen, existiert nicht. Dadurch, dass die Zulässigkeit einer Erkenntnisbeschwerde nicht von diesem Erfordernis abhängt, kann die Auffassung vertreten werden, dass ein Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof den Rechtsunterworfenen besser stellt, als dies ein Verfahren vor dem Verwaltungsgerichshof machen würde.

Anhand der Argumentation des Verwaltungsgerichshofes115, auf die noch näher eingegangen wird,

kann dieser Auffassung folgendes entgegen gehalten werden: Die Einschränkung der Zulässigkeit einer Revision durch Art 133 Abs 4 B-VG ist eine Bestimmung des österreichischen Rechts. Angenommen, eine Revision mit dem Inhalt, ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichts verletze den Beschwerdeführer in einem durch die GRC geschützten subjektiven Recht, sei alleine auf Grund dieser Bestimmung unzulässig. Das würde bedeuten, dass dieses Erfordernis des österreichischen Rechts den Verwaltungsgerichshof daran hindere, behauptete Verletzungen des Unionsrechts aufzugreifen. Der VwGH vertritt jedoch, dass derartige Einschränkungen der Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Organs mit dem Unionsrecht nicht vereinbar seien, weshalb er diese Bestimmung wohl unangewendet lassen würde. Eine derartige Argumentation kann auch der hier dargestellten Auffassung entgegen gehalten werden. Es ist anhand der bisherigen Judikatur denkbar, dass der Verwaltungsgerichtshof Art 133 Abs 4 B-VG unangewendet lässt, falls eine Anwendung zur Unzulässigkeit der Revision führen würde. Somit könnte mit diesem Argument nicht begründet werden, dass ein Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ein Verfahren ist, das den

113 Muzak, Wer darf die Grundrechtecharta prüfen: EuGH oder VfGH? Besprechung der E EuGH 11.9.2014, C-112/13, ecolex 2014, 1113 (1114).

114 BGBl I 2012/51. 115 VwSlg 8.780 F.

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Betroffenen schlechter stellt als ein Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof. Die hier für die Gegenargumentation verwendete Auffassung des VwGH soll an geeigneter Stelle einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. Am Ende dieser Arbeit wird anhand des vertretenen Ergebnisses versucht, einen Lösungsvorschlag für das hier aufgeworfene Problem anzubieten.

Normenkontrollverfahren vor dem VfGH

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass mit einer Beschwerde an den VfGH „auch

jene Fälle erfasst [werden], in denen die Entscheidung des VwG zwar der maßgeblichen generellen Norm folgt, diese aber ihrerseits rechtswidrig ist."116. Dies liegt daran, dass dem

Verfassungsgerichtshof die Kompetenz zukommt, ein Normenkontrollverfahren durchzuführen. Ein derartiges Verfahren vor dem VfGH kann beispielsweise dadurch eingeleitet werden, dass ein Beschwerdeführer bereits selbst in der Erkenntnisbeschwerde darauf hinweist, die Verletzung in Rechten resultiere aus der Anwendung einer ihrerseits wiederum rechtswidrigen Bestimmung.117

Darüber hinaus ist es jedoch auch möglich, ein derartiges Verfahren von Amts wegen einzuleiten. Dies geschieht, wenn die Rechtswidrigkeit eines Gesetzes118 oder einer Verordnung119 denkbar und

diese Norm(en) in einem anhängigen Verfahren vor dem VfGH entscheidungserheblich ist bzw sind. Stellt der Verfassungsgerichtshof fest, dass die dem Erkenntnis des VwG zu Grunde liegende Bestimmung tatsächlich rechtswidrig ist, kommt diesem (auch) die Kompetenz zu, diese Norm aufzuheben. Andere Organe, insbesondere der Verwaltungsgerichtshof, haben selbst keine Möglichkeit, Gesetze und Verordnungen zu überprüfen und sie im Falle der festgestellten Rechtswidrigkeit aufzuheben. Daher kann man zu der Auffassung gelangen, dass die Revision an den VwGH zu einem Verfahren führt, das den Betroffenen schlechter stellt, als jene Verfahren, die durch eine Erkenntnisbeschwerde vor dem VfGH eingeleitet werden können.

Fraglich ist, welches Ergebnis zu erwarten wäre, wenn ein Beschwerdeführer mit der Behauptung an den VfGH herantreten würde, eine generell/abstrakte innerstaatliche Norm verstoße gegen ein subjektives Recht, welches durch die GRC garantiert werde.

Heller erinnert in einem Aufsatz daran, dass der Verfassungsgerichtshof das Prinzip der doppelten

116 Kneihs in Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Kommentar, Korinek/Holoubek/Bezemek/Fuchs/

Martin/Zellenberg (Hrsg), Art 144 B-VG, 13.Lfg (2017) Rz 24.

117 Art 144 Abs 1 B-VG.

118 Art 140 Abs 1 Z 1 lit b B-VG. 119 Art 139 Abs 1 Z 2 B-VG.

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Bindung entwickelt habe. Einerseits ist beispielsweise der einfache Gesetzgeber an Verfassungsbestimmungen gebunden. Stellt der VfGH die Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung fest, kann diese ohnehin alleine auf Grund dieser Feststellung aufgehoben werden. Die Frage, ob diese Norm darüber hinaus auch gegen Unionsrecht verstoße, ist für das gegenständliche Verfahren nicht mehr erheblich und wird daher nicht geprüft. Andererseits sind Normen, die vom Verfassungsgerichtshof nicht aufgehoben werden, jedoch Bestimmungen des Unionsrechts widersprechen, auf Grund des Anwendungsvorranges nicht anzuwenden. Somit ist das Unionsrecht kein Prüfungsmaßstab für den VfGH. Eine Ausnahme hierzu bestehe nur dann, wenn die zu prüfende innerstaatliche Bestimmung in offenkundigem Widerspruch zum Recht der Europäischen Union stehe. 120

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt jedoch eine andere Auffassung. Laut einem Erkenntnis des VwGH sei eine österreichische Norm, die Unionsrecht umsetze, nur daran zu messen, nicht jedoch auch am Maßstab des österreichischen Verfassungsrechts, weshalb keine doppelte Bindung vorliege.121

In der Literatur122 wird darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit der Aufhebung rechtswidriger

Gesetze und Verordnungen für den Rechtsunterworfenen in einem konkreten Verfahren überhaupt nicht notwendig sei. Sollte eine innerstaatlichen Bestimmung der GRC widersprechen, wäre dies gleichzeitig auch ein Widerspruch zu einem Bestandteil des Unionsrechtes. Durch den Anwendungsvorrang des Unionsrechtes wäre dieses Gesetz bzw diese österreichische Verordnung ohnehin nicht anwendbar. Diese Nichtanwendbarkeit führt für den einzelnen Rechtshilfesuchenden zum gleichen Ergebnis wie eine Aufhebung. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit und Aufhebung einer Bestimmung durch den VfGH bedarf eines eigenen Verfahrens. Die vorrangige Anwendung des Unionsrechtes vor entgegenstehendem innerstaatlichen Recht hat dagegen jedes Organ direkt zu vollziehen, ohne dass es eines Zwischenverfahrens bedarf.123 Dadurch, dass nicht erst das Ergebnis

eines dazwischen geschalteten Verfahrens abzuwarten ist, kann das innerstaatliche Organ früher einen unionsrechtskonformen Zustand herstellen. Dieser Umstand kann als rechtsschutzfreundliche Lösung gewertet werden kann.

120 Heller, JBl 675 (676).

121 Handstanger, GedS Robert Walter (2013), 153 (163). 122 Pöschl, ZÖR 2012, 605.

123 Eine Ausnahme besteht, wenn dieses Organ zweifel an der Auslegung des Unionsrechtes hat. Sofern es sich um ein zur Vorlage berechtigtes Gericht im Sinne des Art 267 AEUV handelt, hat dieses die Möglickheit, ein

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Vereinbarkeit mit Europarecht

In der Literatur wird die Frage behandelt, wie sich ein österreichisches Organ zu verhalten habe, wenn es der Meinung sei, eine Norm des Mitgliedstaates Österreich verstoße gegen die GRC. Erwähnt wird die Möglichkeit, ein dem Fehlerkalkül vergleichbares System anzuwenden, wonach ein Organ ein Normenkontrollverfahren beim Verfassungsgerichtshof zu veranlassen habe.124 Es

wird angenommen, dass jedes österreichische Organ, das derartige Bedenken hat, ein Normenkontrollverfahren einzuleiten hätte.125 Das anhängige Verfahren müsste in diesem Fall

unterbrochen werden.126 Daraus würde folgen, dass das österreichische Organ eine Bestimmung, die

nach der Auffassung dieses Organs gegen die GRC und somit gegen Unionsrecht verstoße, dennoch bis zu ihrer Aufhebung durch den VfGH anzuwenden hätte.

Es stellt sich die Frage, ob eine derartige Lösung mit dem Prinzip des Anwendungsvorranges des Unionsrecht vereinbar ist. Dieser Grundsatz gebietet es, dass dem Recht der Europäischen Union „keine wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgehen"127 können. Die

dargestellte Lösung hätte jedoch zur Folge, dass österreichische Organe innerstaatliche Normen, unabhängig von ihrer Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht, dennoch anzuwenden hätten, bis sie durch den VfGH aufgehoben werden. Selbst wenn der VfGH feststellt, dass eine österreichische Norm mit dem Recht der Europäischen Union nicht vereinbar sei und diese deshalb aufhebt, hätte dies zur Folge, dass die nun erwiesenermaßen unionsrechtswidrige Norm dennoch angewendet werden müsste, bis der durch den Verfassungsgerichtshof bestimmte Zeitpunkt des Inkrafttretens der Aufhebung eintritt. Eine vorrangige Anwendbarkeit von Rechtsakten der Europäischen Union wäre somit auf Grund des innerstaatlichen Rechts weder sichergestellt noch überhaupt möglich. Daher kann vertreten werden, dass eine derartige Lösung mit dem Grundsatz des Anwendungsvorranges nicht vereinbar ist. Der EuGH äußerte sich bereits in der Rs Simmenthal II dazu, ob das Monopol eines mitgliedstaatlichen Höchstgerichtes zur Aufhebung von Normen, die im Widerspruch zum Europarecht stünden, mit dem Prinzip des Anwendungsvorranges vereinbar sei.

Überdies stellt sich die Frage, ob ein derartiges Vorgehen mit Art 267 AEUV128 vereinbar ist,

124 Potacs, JBl 2012, 509 (511).

125 Potacs, in Baumgartner (Hrsg), Jahrbuch Öffentliches Recht (2013), 11 (18). 126 Funk, ecolex 2012, 827 (829).

127 EuGH 15.7.1964, Rs 6/64, Rn 12.

128 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl 1997 C 340, 1 (BGBl III 1999/86) idF ABl 2001 C 80, 1 idf ABl 2001 C 96/27 (BGBl III 2003/4); ABl 2003 L 236, 17(BGBl III 2004/20); ABl 2005 L 157, 11 (BGBl III 2006/185); ABl 2007 C 306, 1 (BGBl III 2009/132) idF ABl 2008 C 111, 56 & ABl 2009 C 290, 1; ABl 2011 L 91, 1 (BGBl III 2013/132); ABl 2011 L 325, 4; ABl 2012 L 112, 10 (BGBl III 2013/171); ABl 2012 L 204,131.

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