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ENTWURF DER CHARTA DER GRUNDRECHTE DER EUROPÄISCHEN UNION

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ENTWURF DER CHARTA DER GRUNDRECHTE DER EUROPÄISCHEN UNION

fundamental.rights@consilium.eu.int

Brüssel, den 20. Januar 2000 (25.01) (OR. f)

CHARTE 4111/00 BODY 3

INFORMATORISCHE AUFZEICHNUNG

Betr.: Entwurf einer Charta der Grundrechte der Europäischen Union

− Querschnittsfragen

Mit Blick auf die allgemeine Aussprache über die Charta am 2. Februar hat der Vorsitzende das Sekretariat des Gremiums ersucht, kurz auf einige Querschnittsfragen einzugehen, mit denen sich das Gremium zu befassen haben wird. Die Mitglieder des Gremiums erhalten diese Aufzeichnung zu ihrer Information.

I. Politische Erklärung oder Rechtstext

1. Aus dem Mandat, das der Europäische Rat auf seiner Tagung in Köln erteilt hat, geht nicht hervor, welche Form der Chartaentwurf, in den die Arbeiten des Gremiums einmünden werden, haben soll. In dem Mandat wird lediglich festgehalten, daß der Entwurf als Grund- lage für eine interinstitutionelle Erklärung dienen soll und daß später zu prüfen sein wird, ob die Charta in die Verträge aufgenommen werden sollte.

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2. Die Beratungen können zu einem ganz unterschiedlichen Ergebnis führen, je nachdem, welche Bedeutung man der einen oder der anderen Zielsetzung des Entwurfs beimißt. Das Ergebnis kann eine politische Erklärung sein; in diesem Fall wären weitere Arbeiten unerläß- lich, um die Erklärung zu einem Text umzugestalten, der in die Verträge aufgenommen werden kann. Das Ergebnis kann auch ein Rechtstext sein, doch müßte dieser dann besonders sorgfältig abgefaßt werden und es wäre vor allem darauf zu achten, daß er mit den Verträgen in Einklang steht, da er sich ja per definitionem in den Rahmen der Verträge einfügen soll, ohne diese zu ändern.

3. Bei der Wahl zwischen diesen beiden Möglichkeiten handelt es sich um eine politische Frage, die jedoch von großer Bedeutung für die weiteren Arbeiten des Gremiums ist.

II. Eine Charta der Unionsrechte

4. Die Charta soll für die Institutionen der Union und nicht für die außerhalb des Anwendungs- bereichs des Gemeinschaftsrechts bzw. des Unionsrechts liegenden Tätigkeiten der Mitglied- staaten gelten. Dies stünde im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs, der zufolge die Mitgliedstaaten die Grundrechte beachten müssen, soweit sie im Rahmen des Anwen- dungsbereichs der Verträge tätig werden, sei es, um das Gemeinschaftsrecht (bzw.das Unions- recht) umzusetzen oder sei es, um von ihm abzuweichen (Gerichtshof der Europäischen Ge- meinschaften, Urteil vom 18.6.1991, ERT, C-260/89, Slg. I-2925, Randnummer 43).

5. Jedoch kann die Charta für sich genommen keine Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten außerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts im weiteren Sinne begründen. Auf diesen Punkt wäre also in einer der Bestimmungen der Charta hinzuweisen.

6. Mit der Charta soll ein Rechtekatalog aufgestellt werden; sie hat nicht zum Ziel, der Union neue Zuständigkeiten für eine gesetzgeberische Tätigkeit im Bereich der Grundrechte zu übertragen. Der Gerichtshof hat in seinem Gutachten 2/94 vom 28.3.1996 (Slg. I-1759) klar zwischen der Verpflichtung zur Einhaltung der Grundrechte und der Befugnis, auf dem Ge- biet der Grundrechte Rechtsvorschriften zu erlassen, unterschieden. Für die Charta gilt aus- schließlich der Rahmen der derzeitigen Zuständigkeiten. Sollten diese Zuständigkeiten infolge einer Revision der Verträge ausgedehnt werden, so beträfe die Charta natürlich auch die damit neu geschaffenen Zuständigkeiten.

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7. Die Charta gilt für die Institutionen der Union; der Europäische Rat hat auf seiner Tagung in Köln nicht allein auf die Gemeinschaft Bezug genommen. Bei der Abfassung der Charta müßte also berücksichtigt werden, daß sie sowohl im Rahmen des Vertrags über die Euro- päische Union als auch im Rahmen der Gemeinschaftsverträge Anwendung findet. Mit ande- ren Worten: Die Charta gilt auch für die Titel V (GASP) und VI (JI) des Vertrags über die Europäische Union.

III. Die Inhaber der garantierten Rechte

8. Hierbei handelt es sich um eine sehr komplizierte rechtliche Frage. Im Rahmen der Euro- päischen Menschenrechtskonvention wurde die Frage so gelöst, daß die Konvention für jede Person gilt, die der Gerichtsbarkeit eines Vertragsstaats unterliegt. Wählt man diese Lösung, so würde die Charta folglich für jede Person, die der Gerichtsbarkeit der Union unterliegt, gelten.

9. Schwierigkeiten wirft diese Lösung namentlich in bezug auf bestimmte soziale Rechte auf, die nicht systematisch auf Arbeitnehmer aus Drittländern anwendbar sind und deren Anwen- dungsbereich außerdem je nach den Abkommen, die die Union mit Drittländern geschlossen hat, unterschiedlich ausfallen kann. Das gleiche gilt selbstverständlich für die Freizügigkeit.

10. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die Rechte im Zusammenhang mit dem Status des Gemeinschaftsbürgers, bei denen es sich um politische Rechte handelt, nur Personen gewährt werden können, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen. Bei der Wahrneh- mung dieser Rechte darf es zu keiner Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit kommen.

11. Kompliziert wird diese Differenzierung, wenn eine allgemeine Nichtdiskriminierungsklausel eingeführt würde, die mit dem Bestehen besonderer Rechte für Gemeinschaftsangehörige oder diesen gleichgestellte Personen in Konflikt geraten könnte.

12. Diese Schwierigkeit läßt sich ausräumen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinem Urteil vom 7.8.1996 in der Rechtssache Chorfi entschieden, daß es eine objek- tive und vernünftige Rechtfertigung dafür gibt, den Gemeinschaftsangehörigen in der Frage der Ausweisung eine Vorzugsbehandlung einzuräumen. Es läßt sich also rechtfertigen, unter-

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13. Könnte man angesichts dessen nicht über eine Lösung nachdenken, wonach die Charta für jede Person im Anwendungsbereich des Unionsrechts gelten würde, allerdings mit einem Vorbehalt in bezug auf die besonderen Rechte, die den Unionsbürgern zustehen? Ein ent- sprechendes Beispiel läßt sich in Artikel 25 der Erklärung des Europäischen Parlaments fin- den, mit der eine Lösung des Problems versucht, wenn auch nicht vollständig erreicht wurde.

14. Ganz besondere Aufmerksamkeit ist diesem Problem mit Blick auf die Aufnahme der Charta in die Verträge zu schenken. Artikel 13 EGV enthält genau genommen zwar keine allgemeine Nichtdiskriminierungsklausel, verleiht der Gemeinschaft jedoch die Befugnis, Diskriminie- rungen in ihrem Zuständigkeitsbereich zu bekämpfen. Artikel 6 EUV verweist auf die Euro- päische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und damit auf deren Artikel 14, dem zufolge eine Diskriminierung bei der Wahrnehmung der durch die Konvention garantierten Rechte untersagt ist. Ferner wird im Rahmen des Europarates derzeit über ein Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention verhandelt, mit dem jegliche Art von Diskrimi- nierung untersagt werden soll.

IV. Beziehung zu den internationalen Übereinkünften zum Schutz der Menschenrechte und zu dem gemeinsamen Verfassungstraditionen

15. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Charta und der Europäischen Menschenrechts- konvention wird häufig zur Sprache gebracht. Die Ausarbeitung der Charta hat keine unmit- telbare Auswirkungen auf die Frage des Beitritts der Gemeinschaft zur Europäischen Men- schenrechtskonvention. Die Beitrittsfrage kann sich stellen, gleichgültig, ob die Gemeinschaft eine Charta besitzt oder nicht. Die Charta bildet einen Katalog von Rechten, den die Union sich selbst gibt, genau wie jeder Vertragsstaat der Konvention über eine eigene Grund- rechtecharta verfügt. Dies enthebt die Union keineswegs der Verpflichtung, die Konvention einzuhalten. Mit einem Beitritt zur Konvention würde die Art und Weise, in der die Gemein- schaft die Konvention einhält, einer externen Kontrolle unterliegen. Dem Gerichtshof der Gemeinschaften zufolge ist vor einem solchen Beitritt eine Revision des Vertrags erforder- lich.

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16. Aufgrund von Artikel 6 EUV ist die Union zur Einhaltung der Konvention verpflichtet.

Daraus folgt, daß die Konvention eine Mindestnorm darstellt und daß die Charta nicht hinter der Konvention, wie sie vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausgelegt wird, zurückbleiben darf. Diese Feststellung ist umso wichtiger, als nie ausgeschlossen werden kann, daß eine Privatperson den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit einer ein- zelstaatlichen Maßnahme zur Umsetzung des Gemeinschaftsrechts befaßt und der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, daß das Gemeinschaftsrecht im Widerspruch zur Konvention steht, während der Gerichtshof der Gemeinschaften womöglich zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre (vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil Matthews gegen Vereinigtes Königreich vom 18.2.1999 betreffend die Europawahlen und Gibraltar).

17. Dieselbe Erwägung gilt, was die gemeinsamen Verfassungstraditionen anlangt.

18. Angesichts dessen könnte vielleicht über eine Klausel nachgedacht werden, wonach der durch die Europäische Menschenrechtskonvention und die gemeinsamen Verfassungstraditionen sowie durch andere im einzelnen zu benennende Übereinkünfte (VN-Pakt, Europäische Sozialcharta usw.) gebotene Schutz durch die Charta nicht eingeschränkt wird.

V. Die Frage der Einschränkung der garantierten Rechte

19. Die garantierten Rechte gelten nicht ohne Einschränkung. Die Europäische Konvention läßt Einschränkungen zu, soweit sie in den Rechtsvorschriften vorgesehen und im Rahmen einer demokratischen Gesellschaft erforderlich sind. Es gibt auch andere Möglichkeiten, wie sich dafür Sorge tragen läßt, daß der Kern des garantierten Rechts gewahrt bleibt. Es wäre darüber nachzudenken, in welcher Weise die Einschränkung erfolgen soll. Man könnte sich beispiels- weise an den Artikel G (Teil V) der Europäischen Sozialcharta anlehnen.

VI. Die verschiedenen Arten von Rechten

20. Die zu garantierenden Rechte sind nicht alle derselben Art. Es gibt Rechte, die ganz klar vor Gericht eingeklagt werden können. Andere Rechte bedürfen, damit sie angewandt werden

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21. Anders als manche meinen mögen, stellt diese Unterscheidung nicht auf eine Entgegen- setzung von bürgerlichen und politischen Rechten einerseits und sozialen Rechten anderer- seits ab. Bestimmte soziale Rechte, wie etwa das Vereinigungsrecht, können nämlich durch- aus gerichtlich eingeklagt werden, während dies bei anderen Rechten, beispielsweise dem Recht auf Arbeit, nicht ohne weiteres der Fall ist.

22. Bei jedem einzelnen Recht muß also ermittelt werden, ob es vor Gericht eingeklagt werden kann bzw. ob es so formuliert werden kann, daß dies möglich ist. Könnten bestimmte Rechte nicht als politische Handlungsmaximen der Union definiert werden, denen durch Maßnahmen des Gesetzgebers konkrete Gestalt verliehen werden muß? Diese Lösung wurde in der Erklä- rung des Parlaments gewählt, was das Recht auf eine gesunde Umwelt (Artikel 24) oder die Arbeitsbedingungen (Artikel 13) anlangt.

VII. Gerichtliche Kontrolle

23. Falls die Charta in den Vertrag aufgenommen wird, wird ihre Einhaltung durch die in den Verträgen enthaltenen Bestimmungen über die gerichtliche Kontrolle gewährleistet. Die Kontrolle würde durch den Gerichtshof ausgeübt, der entweder direkt oder im Wege eines Vorentscheidungsersuchens eines einzelstaatlichen Gerichts befaßt wird. Das Kontrollsystem ist je nach den einzelnen Säulen unterschiedlich.

24. Besteht zwischen dem Recht auf Anrufung eines Gerichts, wie es sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, und dem System der Verträge ein Widerspruch? Das in den Verträgen vorgesehene Rechtsmittelsystem ist ein vollständiges System, da die einzel- staatlichen Gerichte mit einzelstaatlichen Rechtsakten zur Umsetzung des Gemeinschafts- rechts befaßt werden können, wenn der Europäische Gerichtshof nicht direkt angerufen werden kann.

25. Es gibt allerdings Fälle, in denen sich die gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften auf ein Ver- bot beschränken und daher kein einzelstaatlicher Umsetzungsrechtsakt erforderlich ist. Hier hat eine betroffene Einzelperson lediglich die Möglichkeit, gegen eine Sanktion Klage zu erheben, die ihr von einem einzelstaatlichen Gericht wegen Verletzung des Gemeinschafts- rechts gegebenenfalls auferlegt wird. Von manchen wurde eingewandt, es sei nicht normal, daß eine Privatperson erst einen Verstoß begehen müsse, um Rechtsmittel einlegen zu können, da sie nicht das Recht hat, den betreffenden gemeinschaftlichen Rechtsakt direkt anzufechten. Es ist jedoch nicht sicher, ob hier die Rechtsprechung des Gerichtshofs als ab- schließend anzusehen ist; der Gerichtshof wird sich demnächst erneut zu dieser Frage zu äußern haben.

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26. Der Gerichtshof hatte in seinem Bericht zur Vorbereitung der letzten Regierungskonferenz den Gedanken zur Sprache gebracht, ein besonderes Rechtsmittel ("Verfassungsbeschwerde") einzuführen. Die Regierungskonferenz hat sich diesem Vorschlag nicht angeschlossen.

FAZIT

27. Die vorliegende Aufzeichnung ist nicht erschöpfend und beschränkt sich darauf, eine Reihe von Querschnittsfragen anzusprechen, ohne sie jedoch eingehender zu behandeln. Diese Fragen müßten ausgehend von den Beratungen des Gremiums einer eingehenden rechtlichen Prüfung unterzogen werden.

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