Deutsches ÄrzteblattJg. 103Heft 3028. Juli 2006 AA1997
S E I T E E I N S
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er Abbruch der offiziellen Ver- handlungen über einen Tarifver- trag für die Ärzte an den kommuna- len Krankenhäusern war keine Über- raschung – zu weit liegen die Positio- nen des Marburger Bundes (MB) und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) noch auseinander. Inzwischen mehren sich daher die Stimmen derjenigen, die die Einsetzung eines Schlichters fordern.Vieles spricht für eine solche Beile- gung des Tarifkonflikts: Ein Schlich- tungsverfahren böte beiden Seiten die Möglichkeit, das Gesicht zu wah- ren und den Flächentarifvertrag zu erhalten. Denn an weiteren „Insel- Lösungen“, also Einzelabschlüssen vor Ort, haben weder Arbeitnehmer- noch Arbeitgebervertreter ernsthaf- tes Interesse.
Die MB-Spitze steht unter Druck.
Die Mitglieder in den kommunalen
Krankenhäusern erwarten einen Ta- rifabschluss, der dem für die Ärzte an den Universitätskliniken in nichts nachsteht. Dabei weiß auch Dr. med.
Frank Ulrich Montgomery, dass viele städtische und Kreiskrankenhäuser ohnehin schon tiefrote Zahlen schrei- ben. Hinzu kommen die Pläne der Bundesregierung, den Krankenhäu- sern einen „Sanierungsbeitrag“ in Höhe von einem Prozent der Bud- gets abzuverlangen. Dass mit den Kommunen – auch bei einer nochma- ligen Streikverschärfung – ein ähnli- cher Tarifabschluss erzielt werden kann wie mit den Ländern, ist des- halb sehr unwahrscheinlich (falls doch, drohten zudem Schließungen und Privatisierungen). Eine Alter- native wären Einzelabschlüsse, wie es sie bisher in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Hamburg gibt. Aber der MB ist erst dabei, sich
als eigenständiger Tarifpartner zu etablieren. Mit Hunderten kommu- nalen Klinikträgern Einzelverträge auszuhandeln würde die Gewerk- schaft personell überfordern.
Auch die Klinikträger sind am Er- halt des Flächentarifvertrages inter- essiert. Denn infolge der Umstellung auf das Entgeltsystem nach Fallpau- schalen ist der Veränderungsdruck in der Branche ohnehin enorm. Ein Wettbewerb der Krankenhäuser über die Gehälter der Ärzte würde die La- ge für viele Träger weiter erschweren.
Beide Seiten brauchen einen bal- digen Tarifabschluss, können oder wollen ihren Mitgliedern aber keine weiteren Zugeständnisse zumuten.
In einer so festgefahrenen tarifpoli- tischen Situation hat sich in anderen Branchen die Einsetzung eines un- parteiischen Schlichters durchaus
bewährt. Jens Flintrop
Tarifkonflikt
Reif für den Schlichter
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in noch umfassenderer Nichtrau- cherschutz, geplante Veränderun- gen am Vertragsarztrecht, mögliche Konsequenzen aus einer Studie zur heroingestützten Behandlung Opiat- abhängiger – es ist nicht so, dass sich die jüngste Gesundheitsministerkonfe- renz der Länder (GMK) keine interes- santen Themen vorgenommen hatte.Am meisten Aufsehen erregte jedoch ein Vorstoß aus Sachsen und Thürin- gen zu Abtreibungen. Deren Gesund- heitsminister plädierten dafür, die Ein- kommensgrenzen für eine staatliche Übernahme der Abtreibungskosten zu senken. Derzeit würden rund 90 Pro- zent aller rechtswidrigen, aber straffrei- en Abbrüche aus Steuermitteln finan- ziert. Außerdem schlugen sie vor, die Einkommen betroffener Frauen ge- nauer zu überprüfen.
Eine Mehrheit für diesen Vorstoß fand sich in der GMK nicht. Viel- mehr lautete deren Beschluss am En- de, das Recht auf straffreien Schwan- gerschaftsabbruch dürfe nicht ange- tastet werden. Im Übrigen wolle man die jeweilige Datenlage auswerten und austauschen. Wie jedoch zuvor der Änderungsvorschlag öffentlich begründet oder kritisiert wurde – das zeigte, dass beim Thema Schwanger- schaftsabbruch nach wie vor eher ideologische Reflexe als ruhige Ab- wägung die politische Lösungsfin- dung bestimmen. Einmal mehr er- wies sich, dass mit jeder Diskussion um Einzelaspekte die Grundsatzde- batten neu aufflammen.
Dass die geltenden Vorgaben es Frauen erlauben, ihr tatsächliches Einkommen zu verschleiern, weil
zum Beispiel nicht nach dem Gehalt des Partners gefragt wird, wird nicht bestritten. Hierüber sollte man dis- kutieren dürfen. Doch was ist davon zu halten, dass Gesundheitsminister Sparzwänge als Grund für ihren Vor- stoß angeben? Oder dass sie anregen, mit dem eingesparten Geld könne man doch die so genannte künstliche Befruchtung fördern? Umgekehrt:
Muss man die Diskussion – wie die Linkspartei – gleich abzuwürgen ver- suchen mit dem Hinweis, dass Ein- kommensschwache ja nicht mehr un- entgeltlich Verhütungsmittel erstat- tet bekommen? Im Bundestag wird schon länger, wenn auch leiser, um eine Neuregelung bei Spätabtreibun- gen gerungen. Die GMK-Debatte lässt erahnen, wie schwer eine über- zeugende Einigung ist. Sabine Rieser