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Archiv "Neue Aufgaben einer Globalsteuerung" (15.10.1981)

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Heft 42 vom 15. Oktober 1981

Die Globalsteuerung im Ge- sundheitswesen strebt im Rahmen der einnahmenorien- tierten Ausgabenpolitik eine Konstanz der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenver- sicherung (GKV) an. Das Ge- sundheitswesen soll sich dem- nach belastungsneutral ent- wickeln. Das Ziel .,Belastungs- neutralität für die Wirtschaft"

ist aber keineswegs mit der er- strebten Konstanz der Bei- tragssätze identisch. Die Bela- stung der Wirtschaft für Ge- sundheitsleistungen besteht nämlich nicht nur aus den Ko- sten für die Beitragszahlun- gen zur GKV, sondern auch aus den Kosten, die für die Lohnfortzahlung im Krank- heitsfalle aufgewendet wer- den müssen. Dieser Bereich aber ist weithin ungesteuert.

ln einem Diskussionsbeitrag verdeutlicht der Ordinarius für Sozialpolitik an der Universi- tät zu Köln, Prof. Dr. rer. pol.

Philipp Herder-Dorneich, aus- gewiesener Kenner des Kran- kenversicherungssystems und Begründer der Gesundheits- ökonomik in der Bundesrepu- blik Deutschland, wie die Lohnfortzahlungskosten in die Globalsteuerung des Ge- sundheitswesens einbezogen und auf diese Weise erhebli- che gesundheitspolitische Ra- tionalisierungsreserven er- schlossen werden können.

Neue Aufgaben

einer Globalsteuerung

Ansatzpunkt: Die wirtschaftliche Sicherung im Krankheitsfall Philipp Herder-Dorneich

Die Konzertierte Aktion vom Früh- jahr 1981 postulierte: Die Gesund- heitsausgaben sollen nur noch um 4 Prozent steigen. Man rechnet mit abgeschwächtem Wirtschafts- wachstum. Nach dem Prinzip der einnahmenorientierten Ausgaben- politik ist damit auch für das Ge- sundheitswesen kein höheres Wachstum .,mehr drin". Ist das rich- tig? Zunächst: Ist eine einnahmen- orientierte Ausgabenpolitik richtig?

Natürlich kann man auf Dauer nicht mehr ausgeben als man einnimmt.

Aber ist es richtig, das Gesundheits- wesen auf konstante Beitragssätze festzunageln? Um es gleich zu sa-

gen: Man nimmt dies für gewöhnlich

an, aber es ist nicht der Fall.

..,.. Es ist richtig, das Wachstum des Gesundheitswesens mit dem Wirt- schaftswachstum in Einklang zu bringen, und das bedeutet in der ge- genwärtigen wirtschaftlichen Situa- tion gravierender Strukturverände- rungen, daß die Wirtschaft nicht durch zusätzliche Belastungen aus dem Gesundheitswesen gehemmt werden soll. Das Gesundheitswesen soll sich also belastungsneutrat ent- wickeln.

Wirtschaftspolitisches Ziel ist dem- nach Belastu ngsneutralität. Es ist zu prüfen, ob .,Belastungsneutralität für die Wirtschaft" mit .,Konstanz der Beitragssätze" gleichzusetzen ist.

..,.. Es ist falsch, das Wachstum des Gesundheitswesens auf die Rate des industriellen Wachstums festzu-

schreiben. Der Dienstleistungssek- tor wird in den nächsten Jahrzehn- ten grundsätzlich schnellerwachsen und schneller wachsen müssen als der industrielle Sektor. Diesem Fun- damentalsatz des sogenannten .,Fourastie-Prinzips" (benannt nach J. Fourastie, der es 1949 besonders eindringlich empirisch abgeleitet hat) sollte man nicht versuchen ent- gegenzuarbeiten. Das wäre insge- samt wohlfahrtsmindernd. Wir wer- den also prüfen müssen, ob die Aus- gaben für die Gesundheit Dienstlei- stungsausgaben sind und ob es so- mit im Interesse der Verbraucher liegt, diese Ausgaben überpropor- tional wachsen zu lassen. Um es gleich zu sagen: Dies ist der Fall!

Überproportionelles Wachstum des Gesundheitswesens ist erwünscht.

Ausgaben für die Lohnfortzahlung ungesteuert

Die Konzertierte Aktion ist fixiert auf die gesetzliche Krankenversiche- rung (GKV). Aber das Gesundheits- wesen ist nicht mit der GKV gleich- zusetzen. Für die Versicherten bil- den zwar die Beiträge zur GKV die Hauptbelastung; für die Betriebe aber nicht. Die Betriebe haben unter den .,Aufwendungen für die Ge- sundheit der Mitarbeiter" nicht nur die Arbeitgeberanteile zu verbu- chen, sondern auch die Aufwendun- gen für die Lohnfortzahlung im KrankheitsfalL Diese ist seit 1970 aus der GKV herausgenommen wor- den. Das galt damals als sozialer Fortschritt. Heute stellen wir fest, es 1993

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Die Geld- und Steuerungsströme in der GKV und Lohnfortzahlung Spektrum der Woche

Aufsätze • Notizen

Globalsteuerung

war Steuerungsabbau. Die Ausga- ben für die Lohnfortzahlung erfol- gen seither weithin ungesteuert. Das kann im Zeichen der Kostendämp- fung so nicht bleiben. Diese Ausga- ben müssen wieder in die Steuerung des Gesundheitswesens einbezogen werden, vor allem in die Global- steuerung der Konzertierten Aktion.

„Belastungsneutralität" ist nur für die Versicherten mit „Beitragssatz- konstanz" gleichbedeutend, für die Betriebe aber heißt „belastungsneu- tral", daß die Summe aus Kosten für die GKV (Arbeitgeberbeiträge) plus den Kosten für die Lohnfortzahlung (Lohnnebenkosten) konstant gehal- ten werden. Für die Arbeitgeber kann also die GKV durchaus auch bei Belastungsneutralität wachsen, nämlich dann, wenn im entspre- chenden Maße die Kosten der Lohn- fortzahlung sinken.

Gesundheitsgüter sind Dienstlei- stungen. Das stimmt im großen und ganzen für die Ausgaben der GKV.

Und deshalb ist für die Konsumen- ten auf Dauer erwünscht, daß diese Ausgaben überproportional steigen.

Die Ausgaben für Lohnfortzahlung stellen zwar auch Gesundheitslei- stungen dar, sie bilden jedoch kei- neswegs Dienstleistungen, sondern sind schlicht „Einkommen". Kosten für Lohnfortzahlung unterliegen al-

so dem Fourastiä-Theorem nicht (nämlich, daß sie schneller als die Einkommen wachsen sollen)!

Und damit löst sich gewissermaßen von selbst, was zunächst als die Quadratur des Kreises klang: „Das Gesundheitswesen kann wachsen, ohne daß die Belastung der Wirt- schaft wächst." Wachstum der Dienstleistungen im Gesundheits- wesen ist durchaus belastungsneu- tral durchzuführen. Ja noch mehr, belastungsneutrales Wachstum muß geradezu gesundheitspolitisches Ziel sein. Schließlich ist das Gesund- heitswesen ja gerade dazu da, die Menschen gesünder zu machen. Ge- lingt das, so muß der Krankenstand notwendigerweise abnehmen. Es ist also nur sinnvoll, in den Gesund- heitsleistungen zuzulegen, wenn dieser zusätzliche Aufwand nutz- bringend (und d. h. morbiditätssen- kend) eingesetzt werden kann. Der Erfolg zusätzlicher Gesundheitsaus- gaben läßt sich an den Ausgaben für Lohnfortzahlung direkt ablesen. Das eine ist das Maß des anderen. Wir haben das nur seit 1970 aus dem Auge verloren, seitdem beides, GKV und Lohnfortzahlung, institutionell getrennt worden sind.

„Der Krankenstand ist das Maß der Effizienz der Gesundheitsleistun- gen." Dieser Satz gilt sicher nicht im

Einzelfall. Er stellt also nicht eine Bedingung des Mikrogeschehens dar, wohl aber eine solche im Ma- krobereich. Deswegen gelten die fol- genden Überlegungen auch strikt nur für den Makrobereich und seine Globalsteuerung; sie gelten immer nur für das gesamte System, nie für den einzelnen Patienten und den einzelnen Arzt.

Wie also kann Globalsteuerung der Lohnfortzahlung geschaffen werden und wie ist sie mit der Globalsteue- rung der GKV zu verbinden? Die fol- gende Analyse soll Zusammenhänge aufzeigen. Sie wird dabei deutlich machen, wo das „missing link" fehlt, wo also die Steuerungsströme un- terbrochen sind. Daraus ergibt sich dann notwendig, was zu tun ist, um das gesamte Steuerungssystem zur Funktionsfähigkeit auszubauen.

Das Steuerungssystem der

gesetzlichen Krankenversicherung Die Abbildung zeigt nur die Geld- und Steuerungsströme in GKV und Lohnfortzahlung. Das Bild ist natur- gemäß kompliziert. Es läßt sich je- doch leicht lesen, wenn man sich die Zusammenhänge Stück für Stück vergegenwärtigt. Die Abbildung zeigt in ihrem linken Bereich die Versicherten (V), die Kassen (K) und die Betriebe (B). Die Geldströme ma- chen deutlich, daß die Betriebe (B) im Gegensatz zu den Versicherten (V), die nur ihre Beitragsanteile (bv) an die Kassen zu entrichten haben, in zweifacher Hinsicht belastet wer- den: Sie müssen sowohl ihre Bei- tragsanteile (b B ) als auch die Kosten der Lohnfortzahlung (k) an die Versi- cherten tragen. Für die Betriebe (B) ist die Summe dieser beiden Geld- ströme als ihre Gesamtbelastung für Gesundheitsausgaben von entschei- dender Bedeutung.

Bei der Steuerungsanalyse der ein- zelnen Ströme sei zunächst das Be- ziehungsgeflecht von Beitragszah- lungen der Versicherten (b v) und der Betriebe (b B ) aufgezeigt. Diese beiden Ströme müssen im Rahmen der Umlagefinanzierung insgesamt

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Durchschnitt aller OKKen Bayern

Behandlung durch Ärzte 9,0 7,1

Krankenhauspflege 4,4 7,6

Arzneimittel 4,4 5,5

Leistungsanstieg insgesamt 8,5 9,0

Tabelle: Ausgabensteigerungen der gesetzlichen Krankenversiche- rung (Bayern/Ortskrankenkassen in Prozent)

Wachstumsraten 1. Halbjahr 1980 gegenüber 1. Halbjahr 1979

Quelle: Dienst für Gesellschaftspolitik Nr. 33 vom 21.8. 1980, Seite 5 ff. und Nr. 38 vom 25. 9. 1980, Seite 2 ff.

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Globalsteuerung

dazu in der Lage sein, die Ausgaben der Krankenkassen, die sich aus der Gesamtvergütung für kassenärztli- che Leistungen (gv) an die Kassen- ärztlichen Vereinigungen (KV), den Ausgaben für Arzneimittel (a) an die Apotheken (Ap), den Ausgaben für die Pflegesätze (p) an die Kranken- häuser (KH) sowie den übrigen Aus- gaben (ü) für die sonstigen Bereiche (S) zusammensetzen, zu finanzieren.

Die Steuerungsproblematik ver- schiebt sich damit auf die Steuerung der Ausgabenströme (gv, a, v und ü).

Den Kassenärzten kommt im Rah- men dieser Steuerung eine Schlüs- selstellung zu. Die Ausgabenströme der verschiedenen Bereiche unter- liegen mehr oder weniger ihrem Ein- fluß.

Die Gesamtvergütung (gv), die die Krankenkassen (K) den Kassenärztli- chen Vereinigungen (KV) gewähren, richtet sich nach den abgerechneten Leistungen (s 3), die die Ärzte auf den Krankenscheinen (s 2 ) notieren, die sie von den Versicherten erhalten haben (diese Krankenscheine wer- den wiederum von den Krankenkas- sen an die Versicherten ausgegeben (s 1 )). Durch den Strom (5 3) erhalten wir den unmittelbaren bürokrati- schen Widerspiegel der erbrachten ärztlichen Leistungen.

Die Mengenkomponente der Ausga- ben für Arzneimittel (a) wird durch die Rezeptverschreibungen (r 1 ) de- terminiert, welche die Ärzte an die Versicherten ausgeben. Die Versi- cherten erhalten gegen Vorlage die- ser Rezepte bei den Apotheken (r 2) die entsprechenden Medikamente.

In dem Rezeptestrom (r 2) findet sich der bürokratische Widerspiegel des Leistungsstromes, der von den Apo- theken an die Versicherten fließt.

Die Ausgaben der Krankenkassen für Pflegeleistungen im stationären Sektor (p) werden über die Zahl der Krankenhausfälle durch die Einwei- sungen (e 1 ) beeinflußt, die die Ärzte den Versicherten ausstellen und die diese bei einer Aufnahme ins Kran- kenhaus vorweisen müssen (e 2). Al- lerdings bestimmen die Ärzte auf diesem Wege nur einen Teil der

Mengenkomponente der Ausgaben im Krankenhaussektor, da die Ver- weildauer vom Krankenhaus und den hier tätigen Ärzten festgelegt wird.

Auch im Bereich der „sonstigen Ausgaben" (ü) üben die Ärzte Ein- fluß auf die Menge der erbrachten Leistungen durch ihr Verschrei- bungsverhalten aus. Sie stellen Re- zepte aus (v 1 ) für die die Versicher- ten sonstige Leistungen (S) in Emp- fang nehmen können (v 2 ). Hierbei handelt es sich um den Bereich der sogenannten „Heil- und Hilfsmittel"

(Brillen, Hörgeräte, Prothesen usw.) sowie um Kuren oder Massagen. Es ist bisher kaum gelungen, diesen Bereich in eine Globalsteuerung ein- zubeziehen.

Das Prinzip der einnahmenorientier- ten Ausgabenpolitik in seiner abso- luten Form müßte die Forderung aufstellen, die Einnahmen konstant zu halten. Betrachtet man diese Ma- xime jedoch als dynamisches Prin- zip, so geht es vielmehr um die Kon- stanz der Beitragssätze und nicht des absoluten Beitragsvolumens.

Dies bedeutet jedoch nicht, daß die einzelnen Ausgabenströme gv, a, p und ü in ihren Wachstumsraten an der Einnahmeentwicklung (bei kon- stanten Beitragssätzen) fixiert wer- den müssen, sondern daß lediglich

die gesamten Ausgaben angepaßt werden.

Für eine Globalsteuerung, wie sie auch der „Bayern-Vertrag" vorsieht, bedeutet das, daß die Gesamtvergü- tung (gv) für ambulante ärztliche Dienstleistungen (3 3 ) in dem Maße angehoben werden kann, in dem es gelingt, den Umfang der Steue- rungsströme r 1 , e 1 und v 1 zu redu- zieren und die Preise der dahinter- stehenden Güter konstant zu halten.

Die Globalsteuerung muß sich also damit befassen, diese Ströme zu be- obachten, zu beeinflussen und zu steuern. Eine einfache Lösung die- ses Problems besteht darin, die Scheine, die diese Ströme auslösen, von den Kassenärztlichen Vereini- gungen ausgeben zu lassen. In un- serer Figur sind deshalb die Ströme ro , eo , vo gestrichelt eingetragen.

Wenn diese Formulare (Rezeptfor- mulare für Arzneimittel, Einwei- sungsformulare und Rezeptformula- re für sonstige Leistungen) von den Ärzten bei den KVen abgerufen wer- den, können die KVen dieses abge- rufene Volumen jederzeit beobach- ten und den Ärzten regelmäßige Mit- teilungen über ihr Verschreibungs- verhalten zukommen lassen. Den Ärzten kann dann in dem Umfang mehr Geld für ärztliche Dienstlei- stungen zugestanden werden, in dem es gelingt, die Ausgaben der anderen Bereiche zu senken.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 42 vom 15. Oktober 1981 1995

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Globalsteuerung

Globalsteuerung durch Umschich- tung der Wachstumsraten hat sich der „Bayern-Vertrag" zum Ziel ge- nommen. Erste Erfahrungen liegen inzwischen vor; sie sind im ganzen ermutigend.

Die Ergebnisse des „Bayern-Vertra- ges" beziehen sich nur auf den Be- reich der Bayerischen Ortskranken- kassen, die jedoch schon relativ aus- sagefähig sind, da die Ortskranken- kassen mehr als 50 Prozent der bayerischen Bevölkerung versi- chern. Im folgenden sollen die vom Bundesverband der Ortskranken- kassen (BdO) veröffentlichten Wachstumsraten für Bayern den durchschnittlichen Wachstumsraten aller Ortskrankenkassen im Bundes- gebiet gegenübergestellt werden (vgl. Tabelle auf Seite 1995):

Die Gegenüberstellung zeigt, daß das Ziel des „Bayern-Vertrages" tat- sächlich erreicht wurde: Das Wachs- tum des Krankenhaussektors und des Arzneimittelbereichs konnte ein- gedämmt werden. Trotzdem ist im Gegenzug das Wachstum des ambu- lanten Sektors nicht so stark gestie- gen, daß diese Expansion den Dämpfungseffekt in den anderen Sektoren überkompensiert hätte.

Insgesamt liegt im 1. Halbjahr 1980 das Ausgabenwachstum für alle Be- reiche in Bayern um 0,5 Prozent- punkte unter den Werten für das ge- samte Bundesgebiet.

Es ist evident, daß die Möglichkeiten zur Globalsteuerung durch Um- schichtung der Wachstumsraten grundsätzlich beschränkt sind. Die anderen Sektoren dürfen ja nicht zu weit zurückgedrängt werden. Ein Rückblick in die Vergangenheit zeigt in etwa die Möglichkeiten. Seit 1972 nämlich ist die Ausgabenrate der gesetzlichen Krankenversiche- rung für den Sektor der ärztlichen Dienstleistungen gegenüber den an- deren Sektoren und insbesondere gegenüber dem Krankenhaussektor stark zurückgefallen. Davor hatte er für viele Jahrzehnte ständig einen Anteil von ca. 20 Prozent.

Rückschichtung auf jene Sektoren- verhältnisse scheint demnach ge-

sundheitspolitisch durchaus mög- lich. Für diese Art von Globalsteue- rung kann also ein Aktionszeitraum noch für die nächsten drei bis fünf Jahre angenommen werden. Da- nach freilich muß dieses Instrument auf seine Wirksamkeit und Zulässig- keit sorgfältig überprüft werden.

Aber schon vorher fragt sich, ob es sinnvoll ist, nur innerhalb der GKV zu rationalisieren. Wenn wir die Glo- balsteuerung nicht auf das Ziel der Beitragskonstanz, sondern auf die Konstanz der Gesamtbelastung der Betriebe ausrichten, gilt es die Sum- me aus b B und k konstant zu halten.

Dabei repräsentiert diese Summe die Gesamtbelastung der Betriebe durch den Arbeitgeberanteil und die Kosten der Lohnfortzahlung.

Steuerung des Geldstromes In welchem Maße erfolgt nun eine Steuerung des Geldstromes k? Im Krankheitsfalle melden sich die Ar- beitnehmer bei ihrem Betrieb krank und haben dazu vom dritten Tage an eine Arbeitsunfähigkeitsbescheini- gung (au 2) vorzulegen, die ihnen der Arzt ausstellt (au,). Liegt seitens des Arbeitgebers ein begründeter Zwei- fel an der tatsächlichen Arbeitsunfä- higkeit vor, so kann er bei der zu- ständigen Krankenkasse eine ver- trauensärztliche Untersuchung ver- anlassen. Somit wird gewisserma- ßen eine höhere Stufe der Kontroll- mechanismen erreicht. Diese Stufe kann verglichen werden mit den zu- sätzlichen Kontrollinstrumenten der ärztlichen Tätigkeit, wie sie zum Bei- spiel in Form des Arzneimittel- und Honorarregresses bestehen. Diese Maßnahmen sind nicht Teil der pri- mären Steuerung, sondern gehören in den Bereich der sekundären Steuerungsinstrumente. Man sollte also die Steuerung der Arbeitsunfä- higkeit nicht in erster Linie bei den Vertrauensärzten suchen.

Der Figur können wir entnehmen, daß die Ströme au, und au 2 Grund- lage für den Geldstrom k bilden. Um die Ausgaben k zu dämpfen, müssen die Ströme au, und au 2 beobachtet, registriert und steuernd in sie einge-

griffen werden. Wiederum kann dies in sehr einfacher Weise geschehen, wenn die Arbeitsunfähigkeitsformu- lare von den KVen ausgegeben wer- den (au o) und für jeden Arbeitsunfä- higkeitstag ein eigener Schein aus- gestellt wird.

Wenn für jeden AU-Tag ein AU- Schein verlangt wird, so ist der Strom der AU-Scheine der genaue bürokratische Widerspiegel der in Anspruch genommenen AU-Tage.

Wenn die Ausgabe dieser „Wertpa- piere" bei den Kassenärztlichen Ver- einigungen (KVen) zentralisiert wird, so können diese ständig (z. B. wö- chentlich) über die Zahl der bei ih- nen abgerufenen Scheine berichten.

Die Ärzte, die diese Wertpapiere aus- stellen und an die Versicherten wei- tergeben, werden die Scheine bei ihrer KV anfordern, so daß die Beob- achtung dieses Stromes der Schei- ne, der von den KVen an die Ärzte fließt, schon ein erstes Maß abgibt, welches Volumen an AU-Tagen er- wartet wird. Durch Informationen, durch geeignete Mitteilungen, soge- nannte „Seelenmassage" oder, eng- lisch etwas feiner, „moral suasion"

können die KVen und ihre Verbände versuchen, diese Erwartungen zu beeinflussen. Zu wissen was ge- schieht, ist die erste Voraussetzung zur Übernahme von Verantwortung.

Von den Patienten fließen die AU- Scheine an die Betriebe. Wenn die Betriebe diese nun sammeln und quartalsweise an die KVen einrei- chen, wird es erstmals möglich sein, wieder vollständige Statistiken über die in Anspruch genommenen AU- Tage zu erhalten. Die KVen können ihrerseits die erwarteten AU-Tage (Zahl der abgerufenen Scheine) ver- gleichen mit den tatsächlichen AU- Tagen (Zahl der zurückgeflossenen Scheine). Daraus läßt sich dann er- sehen, wie wirksam die „Seelenmas- sage" gewesen ist.

AU-Scheine fließen nach diesem Sy- stem von den KVen über die Ärzte, die Patienten, die Betriebe und wie- der zurück. Der Ausbau dieser Strö- me zu einem konsequenten Regel- kreissystem macht es zunächst ein- mal möglich, wieder vollständige,

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verläßliche und rasch erstellbare Statistiken zu gewinnen. Wir werden vor allem wieder einmal erfahren, was denn nun eigentlich vor sich geht. Für die Beteiligten wird der AU-Schein wieder zu einem wertvol- len „Wertpapier", mit dem gerech- net werden kann, aber auch gerech- net werden muß. Indem die abgeru- fenen, die weitergereichten, die zu- rückgegangenen Scheine festge- stellt, registriert, abgerechnet wer- den, wird es möglich, einer Sache wieder Aufmerksamkeit zu schen-

ken, die gegenwärtig weitgehend im Nebel liegt.

Steuerung

auf „mittlerer Ebene"

Ein wichtiger Vorteil dieses Regel- kreissystems der AU-Scheine ist, daß die von ihm ausgehenden Maß- nahmen auf der „mittleren Ebene"

angesiedelt sind, und damit das Ge- schehen im Einzelfall nicht berüh- ren. In das Vertrauensverhältnis zwi- schen Patient und Arzt hat sich kei- ner einzumischen! Die Steuerung von der mittleren Ebene her, greift auf die untere Ebene nur durch

„Seelenmassage" also durch Infor- mation, Zuspruch und Aufklärung ein. Beobachtet und gesteuert wer- den nur Globalgrößen auf der mittle- ren Ebene.

Mancher könnte deshalb glauben, daß solche Seelenmassage wenig Wirkung zeitigen könne. Das ist aber aller Erfahrung nach nicht so. See- lenmassage ist sicher ein schwa- ches Mittel ein „weiches" Steue- rungsinstrument; sie kann aber au- ßerordentlich wirksam sein, wenn es ihr gelingt, „Anspruchsniveaus" zu verändern. Das Anspruchsniveau gibt die Marge an, „was man so glaubt, sich leisten zu können", was einem „so zustehe, weil es eben auch die anderen beanspruchen".

Anspruchsniveaus sind die Basis, von denen die einzelnen Überlegun- gen ausgehen, die Grundlage der in- dividuellen Kalküle. Diese Basis

„Anspruchsniveau" ist aber eine psychologische Größe und kann deshalb mit psychologischen Mit-

teln (Seelenmassage) beeinflußt werden. Wenn also einer sich vorge- nommen hat, für sich jeweils die obere Grenze des Anspruchsniveaus auszuschöpfen, so sinkt seine Inan- spruchnahme, ohne daß sich sein persönliches Verhalten ändert, wenn das Anspruchsniveau sinkt.

Eben darauf zielt die Steuerung von Anspruchsniveaus auf der mittleren Ebene ab.

In dem Maße, wie es gelingt, den Strom der Arbeitsunfähigkeitsbe- scheinigungen herabzusteuern, ent- steht bei konstanter Gesamtbela- stung ein finanzieller Spielraum zur Erweiterung der Ausgaben für direk- te Gesundheitsleistungen (gv, a, p und ü).

Schlüsselstellung der Ärzte

Es wird also deutlich, daß die Ärzte weithin über das Ausstellen der Scheine s3 , au i , v 1 , e, und r, die Schlüssel für die Entwicklung der Gesamtausgaben in der Hand ha- ben. Zum Teil geschieht dies auf di- rektem und zum Teil auf indirektem Wege. Allerdings sind die Ärzte auch in der Lage, Schleusen zu den ein- zelnen Geldströmen jeweils direkt oder indirekt zu verschließen. Für eine gesundheitssteigernde Strate- gie können die Ärzte durch ihr Ver- schreibungsverhalten steuernd ein- greifen. Wenn sie ihr Verschrei- bungsverhalten ausweiten, werden auch die Ausgaben im Arzneimittel- sektor ansteigen. Wenn sie ihr Ver- halten im Sinne größerer Wirtschaft- lichkeit rationalisieren, d. h. ihre Maßnahme noch effizienter einset- zen, können sie mit sinkendem Ver- schreibungsvolumen mehr für die Gesundheit erreichen. Sie können aber auch im Einklang mit dem Ziel einer konstanten Gesamtbelastung immer dann einzelne Ströme erwei- tern, wenn dadurch im Gegenzug andere Ausgabenströme reduziert werden können. Aus gesundheitspo- litischer Sicht erscheint es durchaus als sinnvoll, die Ausgaben für direk- te Gesundheitsleistungen (z. B. ärzt- liche Dienste) auszudehnen, wenn diese so effizient sind, daß auf der

anderen Seite die betrieblichen Ab- senzraten (Krankenstand) reduziert werden können. s3 kann in dem Ma- ße an Ausgabenvolumen zunehmen, wie durch die Reduzierung von au, die Ausgaben k herabgesteuert wer- den können.

Auf eine solche gesundheitspoliti- sche Strategie kann von den Betrie- ben durchaus eingegangen werden.

Sie können ihre Zustimmung zu Bei- tragssatzerhöhungen mit Nach- druck davon abhängig machen, daß betriebliche Absenzraten zurückge- steuert werden. Damit können sie einerseits auf die Kassen einwirken, die ja auch durch die Einschaltung des vertrauensärztlichen Dienstes zur Steuerung der Absenz auf der zweiten Steuerungsstufe beitragen.

Andererseits können sie einen Steuerungsdruck auf die KVen aus- üben, die diesen ihrerseits an die Ärzte weiterreichen, indem sie ihnen Informationen über das abgegebene Volumen an Verschreibungsformu- laren und Arbeitsunfähigkeitsbe- scheinigungen zukommen lassen.

Die Verhandlungen zwischen Betrie- ben, Kassen und KVen über die Steuerung des Volumens von Re- zepten und Arbeitsunfähigkeitsbe- scheinigungen können sinnvoller- weise auch in den Verhandlungska- talog der Konzertierten Aktion auf- genommen werden. Mit Sicherheit läßt sich sagen, daß in der Global- steuerung der Arbeitsunfähigkeit noch große gesundheitspolitische Rationalisierungsreserven liegen.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. rer. pol.

Philipp Herder-Dorneich Ordinarius für Sozialpolitik an der Universität Köln Direktor

des Forschungsinstituts für Einkommenspolitik und Soziale Sicherung Lindenthalgürtel 15 5000 Köln 41

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 42 vom 15. Oktober 1981 1997

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