Tabelle 4: Geburten und Aborte in der DDR in den Jahren 1946 bis 1954 (K. H. Mehlan)
Geburten Jahr Absolut °A.
Aborte stationär Gesamt davon legal
Berechnete ambulante
Geschätzte kriminelle
194 000 254 000 249 000 281 000 313 000 318 000 313 000 305 000 299 000
46 000 47 000 58 000 74 000 82 000 64 000 62 000 64 000 63 000
16 000 12 500 17 500 26 250 26 360 5 037 3 617 2 441 1 714
54 000 54 000 60 000 70 000 13 000 52 000 46 000 43 000 36 000
etwa 54 000 54 000 64 000 76 000 84 000 68 000 62 000 64 000 60 000 10,4
13,1 12,8 14,5 16,5 16,9 16,7 16,4 16,3 1946
1947 1948 1949 1950 1951 1952 1953 1954
Tabelle 5: Häufigkeit der Schwangerschaftsunterbrechungen, bezo- gen auf 10 000 der Bevölkerung
Jahr DDR CSSR Ungarn Japan Schweden Dänemark Schweiz 11,6
12,3
8,7
15,0 7,4
6,3 5,3 4,6 3,4 93,0
131,0 129,0 123,0 124,0 119,0 2,0
35,0 83,0 123,0 146,0 152,0 1952
1955 1956 1957 1958 1959
2,1 0,73 0,59 0,58 0,55 0,55
2,0 6,0 46,0 60,0
Quelle: K. H. Mehlan
Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen
derreichtum zu Nutzen für Verteidi- gung und Aufbau der volkseigenen Industrie zusammen.
In der Präambel zum „Gesetz zum Schutz von Mutter und Kind" vom 27. September 1950 hieß es mit na- tionalem Pathos: „Die Kinder sind die Zukunft der Nation, und deshalb ist die Sorge um die Kinder, die Fe- stigung der Familie und die Förde- rung des Kinderreichtums eine der vornehmsten Aufgaben unseres de- mokratischen Staates. Kinderrei- chen Familien und alleinstehenden Müttern, die durch den Krieg oder aus anderen Gründen an einer Ehe- schließung gehindert wurden, ist durch geldliche Unterstützung und durch Schaffung sozialer Einrich- tungen eine weitgehende Hilfe zu gewähren."
Neben der medizinischen Indikation, die streng ausgelegt wurde, war le- diglich die eugenische Indikation zulässig. Als Indikationsgrund wur- den in sehr engen Grenzen verein- zelt sozial-medizinische Begründun- gen zugelassen. Nach G. Meyer gin-
gen die Anträge von 1950 bis 1961 um 82 Prozent zurück. Die Genehmi- gungsquote in Ost-Berlin lag bei 64 Prozent.
Die restriktive Gesetzgebung er- brachte jedoch nicht den erwarteten und gewünschten Erfolg: Die Dun- kelziffer stieg, die sogenannten ille- galen und mit ernsthaften Komplika- tionen behafteten Abtreibungen nahmen zu, die Geburtenziffer sank.
Statistisches Material wurde von der SED-Führung nicht mehr freigege- ben. Das „Gesetz zum Schutz von Mutter und Kind" wurde nach 15 Jahren sang- und klanglos in Acht und Bann getan und wird heute in den einschlägigen Arbeiten und Kommentaren zum § 218 offiziell nicht mehr erwähnt.
• Wird fortgesetzt
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Ulrich Wolff
Finkenstraße 19, Tel.: 8 12 10 10 1000 Berlin 33
FORUM
Von
„Money-Seminaren"
und
Wiedergeburt
Private Erfahrungen mit einem Psycho-Guru
Peter M. Sass
Auch in der Bundesrepublik macht sich eine neue Psycho- Bewegung bemerkbar: die
„Rebirthing-Bewegung", die durch eine „perinatale Thera- pie" und „Selbstsuggestion"
Gesundheit, Reichtum und ewige Jugend verspricht. Wie die Wirklichkeit aussieht, schildert der Verfasser, der seine persönlichen Erfahrun- gen in der Praxis eines „Re- birthers" sammelte, in seiner Zuschrift.
Rebirthing in the New Age
Wiedergeburt im Neuen Zeitalter - so lautet der Titel eines Buches, das Leonard Orr und Sondra Rey 1977 in den USA veröffentlicht ha- ben. Sie gehen davon aus, daß fast alle unsere Schwierigkeiten, die wir mit uns selbst und anderen im Le- ben haben, auf den Schock der Ge- burt und auf den ersten Atemzug kalter Luft nach unserer Geburt zu- rückzuführen sind. Schon auf dem Umschlag des Buches wird verspro- chen, man könne mit „Rebirthing"
und einer Affirmationstechnik (Selbstsuggestion) für sich „perfek- te Gesundheit, Glückseligkeit ohne Anstrengung, Reichtum, ewige Ju gend und physische Unsterblich- keit" erlangen.
Inzwischen hat die „Rebirthing"-Be- wegung auf der psychopseudo-reli- DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 21 vom 21. Mai 1981 1057
Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen
Von „Money-Seminaren" und Wiedergeburt
giösen Welle, die von Poona (Bagh- wan!) herüberschwappt, auch in der Bundesrepublik Deutschland Fuß gefaßt. Auf der Basis der Lehren Baghwans und Leonard Orrs, des
„Rebirthings" und einer bestimmten Affirmationstechnik („Ich, M., liebe alle Menschen und am meisten mich selbst") führt der Stuttgarter Psych- iater „Swami Deva H." (alias Dr.
med. I.) als von Baghwan „getauf- ter" Sannyasin seine „perinatale"
Therapie durch. Seit kurzem führt er das „Center for advanced holistic Growth" in Stuttgart.
Als ich Ende 1979 zu ihm kam, ver- langte er für eine knapp zweistündi- ge „Rebirthing"-Sitzung 100 DM, ohne jedoch eine Quittung auszu- stellen, was er im übrigen auch spä- ter ablehnte. Er veranstaltet „work- shops" (u. a. auch auf Santorin, der
„Insel mit dem tiefsten Atem") und
„trainings", in denen er in etwa drei mal fünf Tagen fertige „Rebirther"
ausbildet. Er hält weiter Einzelstun- den ab. Für die letzte Sitzung im April bezahlte ich 170 DM, inzwi- schen soll sie 240 DM kosten. (Ich habe auch schon gehört, daß einzel- ne „Rebirthings" 300 DM und mehr kosten.) Dies entspricht genau der (zwanghaften) „Geldideologie" die- ses Arztes (vgl. seine sogenannten
„Money-Seminare"): wenn jemand kein Geld hat oder nur wenig, ist er selbst daran schuld, er hat eben das falsche Bewußtsein. Dr. Swami Deva hat das richtige Bewußtsein. Er be- mißt seinen Wert in Geld und „ver- sucht" auch anderen dazu zu verhel- fen. (Nach Leonard Orr fließt um so mehr Geld in die eigene Tasche zu- rück, als man ausgibt.) Seine „Pa- tienten" werden dabei aber eher är- mer als reicher. Wie ich erfahren ha- be, hat er einer guten Bekannten von mir, die jetzt in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist, ange- boten, ihre „Rebirthings" künftig über die (Barmer-Ersatz-)Kasse ab- zurechnen. Meine Bekannte, die noch glaubt, auf Gurus angewiesen zu sein, hat jetzt wieder Todesäng- ste, nachdem sie, beeinflußt durch sein „Money-Seminar", viel Geld verdienen wollte, dabei scheiterte, nicht mehr in ihre alte Stellung zu- rückkehren konnte und jetzt
schlechter bezahlt arbeitet. Gleich- zeitig hat er ihr von einer beruflichen Weiterbildung abgeraten, was jeder psychotherapeutischen Gepflogen- heit widerspricht.
Was hier geschieht— ich kann es nur Ausbeutung nennen, Ausbeutung der Persönlichkeit und der Finanzen meist hilfloser und suchender Men- schen, wenn man dabei berücksich- tigt, welche Ressourcen dem „Nor- malverbraucher" zur Verfügung ste- hen. So kosten vier Sitzungen jetzt etwa 960 DM. (Ich verdiente im Früh- jahr letzten Jahres 1100 DM netto.) Beunruhigt hat mich anfangs, daß Dr. B. getaufter Baghwan-Jünger ist (im Januar und Februar 1980 war er in Poona). Seither trägt er das Bild Baghwans an einer Holzkette (der
„Mala") um den Hals. Mich störten seine lächerlichen Hypnotisierversu- che, die Bilder von Hypnotiseuren an der Wand (jetzt hängt da nur noch Baghwan). Mich störte sein un- reflektiertes „Gottvertrauen", seine recht naive Einstellung zur Komple- xität unserer Gesellschaft, sein fana- tischer Aberglaube an ein absolut harmonisches Universum, wodurch jedem letztlich die persönliche Ver- antwortlichkeit genommen wird.
Seine Verantwortungslosigkeit zeig- te sich zum Beispiel in einer Grup- pensitzung im Mai, als er einen Sui- zidalen, der in seiner Verzweiflung ein wenig Alkohol getrunken hatte, wegschickte — nach dem Motto:
„Was ihr auch tut, laßt es gesche- hen, es ist gut so". Er verstieß damit nicht nur gegen die Hilfeleistungs- pflicht, die jedem Staatsbürger ob- liegt, sondern auch gegen den hip- pokratischen Eid des Arztes. Sein Fatalismus ging so weit, daß er allen Ernstes behauptete, man sei selbst der Verursacher, wenn einem ein Dachziegel auf den Kopf falle.
Die Selbstkritik erstirbt
Die Methode oder Technik des „Re- birthings" ist eine „sanfte" Hyper- ventilation. Man atmet gebunden, al- so ohne Pause zwischen Einatmen und Ausatmen. Man atmet einfach
immer weiter, wobei man psycho- physisch Gefühle mannigfaltiger Art erlebt: Krämpfe, Schmerzen, Lust, Bilderleben, Wärme, Kälte usw. An- schließend erlebt man sich meist frei und energiegeladen. Besonders für jüngere, labile Menschen sehe ich eine große Gefahr des Abgleitens ins
„Jugendsektentum", in eine über- große Guru-Abhängigkeit sowie ein Abgleiten in rein mystische Gefilde, was ich bei vielen beobachten konn- te. Kritikfähigkeit, Kritik am Guru, Selbstkritik erstirbt meist, und auch alternative Orientierungen scheinen eher zu scheitern. So kommen Men- schen, die Hilfe suchen, zu einem
„kleinen Baghwan", der selbst als Sannyasin einen Teil seiner Persön- lichkeit verdrängt hat und durch ein wohl berauschendes Allmacht- und Machtgefühl, ich will nicht sagen therapeutischen Größenwahn bzw.
Sendungs-„Bewußtsein", sich in ge- wisser Weise stabilisieren konnte (eine Beobachtung, die auch bei an- deren Sekten, etwa sogenannten Ju- gendsekten, angestellt werden kann). Die Anfälligen sprechen dar- auf an. Auch bei den „Rebirthing"- Gruppen ist die „Sektenatmosphä- re" spürbar. Beim „Selbstfindungs- prozeß" wird die echte Liebesfähig- keit aufgegeben. Es werden narzißti- sche Prozesse in Gang gesetzt. Der Guru wird anerkannt wie Hitler im Dritten Reich.
In angeblich zehn Sitzungen soll die Selbstfindung abgeschlossen sein, was selbstverständlich nie zutraf.
Die Veränderungen bedeuten noch keine „Heilung", die eigene Arbeit an der Persönlichkeit kann eben nicht ersetzt werden.
Ich bin der Meinung, daß ein Arzt nicht mit „Rebirthings" und „Mo- ney-Seminaren" die Gesellschaft ausbeuten dürfte, daß er nicht „Re- birther" ausbilden dürfte, die dann an ihren Klienten viel Geld verdie- nen. Das Geschäftemachen sollte so weit als möglich aus dem Bereich der Heilberufe herausgehalten werden.
Anschrift des Verfassers:
Peter M. Sass Gaußstraße 37 7000 Stuttgart 1 1058 Heft 21 vom 21. Mai 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT